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Einführung in die Stochastik
Josef G. Steinebach
Köln, WS 2009/10
I Wahrscheinlichkeitsrechnung
1 Wahrscheinlichkeitsräume, Urnenmodelle
Stochastik : Lehre von den Gesetzmäßigkeiten des Zufalls“,
”
Analyse von Zufallsexperimenten“
”
Wahrscheinlichkeitsrechnung(-theorie) : Modelle zur Beschreibung von
Zufallsexperimenten“, charakteristische Kenngrößen, Grenzwertsätze, . . .
”
Statistik : Vergleich von Modell und Realität (Daten), Anpassung von Modellparametern, Entscheidung zwischen verschiedenen Modellen, . . .
Zufallsexperiment : Vorgang, bei dem ein nicht vorhersagbares Ergebnis“ aus einer
”
Menge Ω möglicher Ergebnisse eintritt, z. B.
- Münzwurf: Ergebnis Kopf“K oder Zahl“Z
”
”
- Zahlenlotto 6 aus 49“: 6 verschiedene Zahlen aus {1, . . . , 49} (ohne Zusatzzahl)
”
- Lebensdauer einer Festplatte: Zeit T ≥ 0
- Anzahl defekter Chips in einer Tagesproduktion vom Gesamtumfang N :
zufällige“Zahl 0, 1, . . . , N
”
- Anzahl von Schadenfällen in einer KFZ-Versicherungsklasse innerhalb eines Jahres:
zufällige“Zahl 0, 1, . . .
”
- Ziehen von n Kugeln aus Urne mit N = R + S Kugeln (R = # roter Kugeln,
S = N − R = # schwarzer Kugeln): Anzahl gezogener roter Kugeln, also 0, 1, 2, . . .
oder 0, 1, . . . , min(n, R)
Wichtig für die mathematische Beschreibung:
Ω
= Menge der möglichen Ergebnisse ω des Zufallsexperiments
(Ergebnisraum, Ereignisraum, Stichprobenraum), z.B.
1
- Münzwurf: Ω = {K, Z} oder Ω̃ = {0, 1}
- Zahlenlotto: Ω = {ω = (ω1 , . . . , ω6 ) | ωi ∈ {1, . . . , 49}, ωi 6= ωj (i 6= j)}
z.B. ω = (21, 12, 49, 28, 1, 43)
oder Ω̃ = {ω̃ = {ω̃1 , . . . , ω̃6 } | ω̃ ⊂ {1, . . . , 49}, |ω̃| = 6}
z.B. ω̃ = {21, 12, 49, 28, 1, 43}
- Lebensdauer: Ω = {ω | ω ≥ 0} = [0, ∞)
- defekte Chips: Ω = {0, 1, . . . , N }
- Schadenfälle: Ω = {0, 1, . . .} = N0
- Urne: Ω = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ ? }
Ziehen mit/ohne Zurücklegen
Beschreibung mit/ohne Beachtung der Reihenfolge
(vgl. Urnenmodelle)
Ereignis: Teilmenge A von Ω , also A ∈ P(Ω)
Falls Ergebnis ω in A liegt:
”
A tritt ein“, z.B.
- Münzwurf: A = Zahl geworfen“= {Z}
”
- Zahlenlotto: A = 3. gezogene Zahl ist die 21“
”
= {ω = (ω1 , . . . , ω6 ) ∈ Ω | ω3 = 21} ,
aber: A 6= {ω̃ = {ω̃1 , . . . , ω̃6 } | 21 ∈ {ω̃1 , . . . , ω̃6 }}
B
oder in Ω:
=
(genau) 5 Richtige“
”
= {{1, 12, 21, 28, 43, ω̃6 }, {1, 12, 21, 28, 49, ω̃6 }, . . .
. . . , {12, 21, 28, 43, 49, ω̃6 } ; ω̃6 ∈ {1, . . . , 49}}
B = {(ω1 , . . . , ω6 ) | ∃1 ωi ∈
/ {1, 12, 21, 28, 43, 49}}
Wahrscheinlichkeit P (A) eines Ereignisses A ⊂ Ω:
Maß für die Unsicherheit des Eintretens von A
Normierung: 0 ≤ P (A) ≤ 1 , P (Ω) = 1
- Münzwurf: Wahrscheinlichkeit (Wkt.) für Zahl“?
”
)
Ω = {Z, K}
|A|
1
P (A) =
=
|Ω|
2
A = {Z}
2
- Zahlenlotto: Wahrscheinlichkeit für (genau) 5 Richtige“
”
in Ω:
|Ω| = 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44
|B| = 6 · 43 · (6 · 5 · 4 · 3 · 2)
6 · 43 · 6 · 5 · 4 · 3 · 2
43
=
= 0.0000184
49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44
29 · 47 · 46 · 22
49
49!
49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44
=
=
in Ω̃ : |Ω̃| =
6
1·2·3·4·5·6
6!43!
6 43
|B| =
5
1
6 43
6 · 43 · 6 · 5 · 4 · 3 · 2
5
1 =
P (B) =
= 0.0000184
49
49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44
6
P (B) =
Mathematische Beschreibung von Zufallsexperimenten durch Angabe von
Wahrscheinlichkeitsräumen (W-Räumen) (Ω, A, P ) :
Definition 1.1. a) Ω
(6= ∅) heißt Ereignisraum.
b) Ein System A von Teilmengen von Ω , also A ⊂ P(Ω) , heißt σ-Algebra
(in Ω), falls
(i) Ω ∈ A
(ii) A ∈ A
=⇒
Ac ∈ A
(iii) A1 , A2 , . . . ∈ A =⇒
∞
∪ Ai ∈ A
i=1
c) Sei Ω 6= ∅ und A eine σ-Algebra in Ω. Eine Abbildung P : A → [0, 1] heißt
W-Maß auf A , falls die Kolmogorov’schen Axiome“ gelten, d.h.
”
(i) P (A) ≥ 0 ∀ A ∈ A
(ii) P (Ω) = 1
∞
∞
X
X
P (Ai )
Ai ) =
(iii) P (
i=1
Nichtnegativität
Normiertheit
∀ (Ai )i=1,2,... ⊂ A, Ai ∩ Aj = ∅
i=1
σ − Additivität
Das Tripel (Ω, A, P ) heißt W-Raum.
3
(i 6= j)
Bemerkung 1.1. Falls Ω endlich oder abzählbar unendlich ist (kurz: abzählbar), so
können W-Maße immer auf A = P(Ω) definiert werden.
Falls Ω überabzählbar ist, so müssen W-Maße i.A. auf kleineren σ-Algebren definiert
werden (vgl. Georgii (2009), Satz 1.5) .
Beispiel 1.1. Laplace-Experimente
Ω endlich, etwa |Ω| = N (∈ N)
A
= P(Ω)
Anzahl günstiger Fälle
|A|
=
,
P (A) =
|Ω|
Anzahl möglicher Fälle
1
insbesondere P ({ω}) =
∀ω∈Ω
|Ω|
(Ergebnisse sind gleichwahrscheinlich“)
”
Beispiel 1.2. Diskrete W-Räume
Ω abzählbar, etwa Ω = {ω1 , ω2 , . . .}
A = P(Ω) , P = ?
Durch eine Festlegung
P ({ωi }) := pi
∞
X
pi = 1, wird eindeutig ein W-Maß P auf A definiert.
X
Es gilt: P (A) =
pi .
mit pi ≥ 0,
i=1
i:ωi ∈A
Z.B. Wiederholtes Würfeln“: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass beim i-ten Wurf
”
zum ersten Mal eine 6“auftritt ?
”
Ω = {1, 2, . . .} = N
(Nr. des Wurfs mit erster 6“)
”
A = P(Ω)
P ({i)} =
5i−1 ·1
6i
=
5 i−1
6
1
6
(i = 1, 2, . . .)
Laplace-Ansatz
Allgemeiner: P ({i}) = q i−1 p (i = 1, 2, . . .), 0 < p, q < 1, p + q = 1
geometrische Wahrscheinlichkeiten“
”
4
Beachte:
pi := P ({i}) ≥ 0,
∞
X
i=1
pi = p
∞
X
q i−1 =
i=1
p
p
= =1
1−q
p
Sprechweise: Sei (Ω, A, P ) diskreter W-Raum. Die Funktion ω 7−→ p(ω) := P ({ω}), ω ∈
Ω, heißt (diskrete) W-Dichte (von P ).
Bemerkung 1.2. Für Ω überabzählbar ist es i.A. nicht möglich, P punktweise, d.h. durch
Angabe von P ({ω}), festzulegen.
Z.B. Zufallszahlen“: Zufallsgenerator liefert willkürlich“eine Zahl zwischen 0 und 1.
”
”
Ω = (0, 1) = {ω | 0 < ω < 1} , A = ?
P ({ω}) = ? (nicht sinnvoll, allenfalls = 0)
Ansatz: P ((a, b)) =
b−a
1
= b − a ∀ (a, b) ⊂ (0, 1)
σ-Algebra ? I.A.: A = kleinste σ-Algebra in (0, 1), die alle Intervalle (a, b) enthält
(= Borel-σ-Algebra in (0, 1))
Allgemeiner:
= R1
= kleinste σ-Algebra in R1 , die alle Intervalle enthält =: B 1
Beispiel 1.3. Ω
A
Durch eine Festlegung
Z b
P ((a, b)) :=
f (x) dx ,
a
wobei f Riemann-integrierbar über beliebigen Intervallen [a, b] ⊂ R1 , f ≥ 0 und
R∞
f (x) dx = 1 , wird eindeutig ein W-Maß P auf A festgelegt.
−∞
Interpretation: P ((x, x + ∆x)) ≈ f (x)∆x (f stetig, ∆x klein)
Z.B.
f (x) =
(
1 , 0<x<1
0 , sonst
Rechteck-Verteilung (Gleichverteilung) über (0,1)
5
Folgerungen aus den Kolmogorovschen Axiomen:
Lemma 1.1. Sei (Ω, A, P ) ein W-Raum. Dann gilt :
a) P (∅) = 0 ;
b) P (
n
X
i=1
Ai ) =
n
X
P (Ai )
i=1
für je endlich viele, paarweise disjunkte (p.d.)
A1 , . . . , An ∈ A ;
c) P (Ac ) = 1 − P (A) , A ∈ A ;
d) P (B\A) = P (B) − P (A ∩ B) , A, B ∈ A ;
e) Für A ⊂ B, A, B ∈ A : P (B\A) = P (B) − P (A) ,
P (A) ≤ P (B) ;
f) 0 ≤ P (A) ≤ 1 , A ∈ A ;
g) P (A ∪ B) = P (A) + P (B) − P (A ∩ B) , A, B ∈ A ,
n
X
X
P (A1 ∪ . . . ∪ An ) =
P (Ai ) −
P (Ai ∩ Aj ) + − . . .
i=1
1≤i<j≤n
. . . + (−1)n−1 P (A1 ∩ . . . ∩ An ) , Ai ∈ A
(Siebformel von Poincaré-Sylvester) ;
∞
h) P ( ∪ Ai ) = lim P (An ) , A1 ⊂ A2 ⊂ . . . ∈ A ,
i=1
∞
n→∞
i=1
n→∞
P ( ∩ Ai ) = lim P (An ) , A1 ⊃ A2 ⊃ . . . ∈ A .
Obige Rechenregeln“sind nützlich bei der konkreten Bestimmung von Wahrscheinlich”
keiten:
Beispiel 1.4. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass unter n zufällig ausgewählten
Personen mindestens zwei am selben Kalendertag Geburtstag haben ( Geburtstagsproblem“) ?
”
O.E.: n ≤ 365 , sonst Wahrscheinlichkeit = 1
Ω = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , 365}}, |Ω| = 365n , A = P(Ω)
A = {ω ∈ Ω | ωi = ωj ∃ i 6= j}
Ac = {ω ∈ Ω | ωi 6= ωj ∀ i 6= j}, |Ac | = 365 · 364 · · · (365 − n + 1)
365 · 364 · · · (365 − n + 1)
P (A) = 1 − P (Ac ) = 1 −
365n
Überraschend: Für n = 23 : P (A) = 0.5073 > 12
Informatik: n Daten zufällig auf N Speicherplätze verteilt
−n+1)
Wahrscheinlichkeit für Mehrfachbelegung“ = 1− N (N −1)···(N
Hashing“
Nn
”
”
6
Beispiel 1.5. Es werden n Zahlen 1, . . . , n zufällig permutiert. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens eine Zahl an ihrem Platz bleibt? (Rencontre-Problem, z.B.
Tanzpaare treffen sich wieder)
Ω = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , n} , ωi 6= ωj (i 6= j)}, |Ω| = n!
A = P(Ω)
i-te Komponente bleibt fix“ = {ω ∈ Ω | ωi = i}, |Ai | = (n − 1)!
n
n
X
X
Siebformel
=
(−1)k−1
P (A) = P ∪ Ai
P (Ai1 ∩ . . . ∩ Aik )
Ai =
”
i=1
1≤i1 <...<ik ≤n
k=1
n
X
(n − k)!
n!
k−1 n (n − k)!
=
(−1)k−1
=
(−1)
n!
k!(n − k)! n!
k
k=1
k=1
n
X
n
X
1
= 1−
(−1)k −→ 1 − e−1 ≈ 0.63 (n → ∞)
k!
k=0
Viele diskrete W-Räume lassen sich als (so genannte) Urnenmodelle interpretieren. Die
Berechnung von Wahrscheinlichkeiten besteht dann im Wesentlichen in der Bestimmung
der Mächtigkeit der interessierenden Ereignisse (Kombinatorik):
Betrachtet wird hier das Ziehen von Kugeln aus einer Urne. (Das Verteilen von Kugeln auf
Urnen (vgl. statistische Physik) ist auffassbar als Ziehen der Urnennummern für die zu
verteilenden Kugeln.)
Gegeben: Urne mit N Kugeln der Nummern 1, . . . , N .
Es werden n Kugeln gezogen. Vier Möglichkeiten:
mit
mit
ր
ց
ր
ց
Ziehen
Zurücklegen
ց
ր
ց
ր
ohne
ohne
Beachtung der Reihenfolge
1) Ziehen mit Zurücklegen mit Beachtung der Reihenfolge:
Ω1 = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , N }},
A1 = P(Ω1 )
P1 ({ω}) = N1n ∀ ω ∈ Ω1
|Ω1 | = N n
ω heißt n-Permutation mit Wiederholung oder geordnete Stichprobe
(vom Umfang n) mit Wiederholung
7
Z.B. n-facher Münzwurf (N = 2), n-faches Würfeln (N = 6),
Spiel 77“(Ziehen einer 7-stelligen Zahl, N = 10, n = 7)
”
2) Ziehen ohne Zurücklegen mit Beachtung der Reihenfolge:
Ω2 = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , N }, ωi 6= ωj (i 6= j)}
|Ω2 | = N · (N − 1) · · · (N − n + 1) =: N (n) , A2 = P(Ω2 )
P2 ({ω}) = N 1(n) ∀ ω ∈ Ω2
ω heißt n-Permutation ohne Wiederholung oder geordnete Stichprobe
(vom Umfang n) ohne Wiederholung
Z.B. Zahlenlotto (n = 6, N = 49; Reihenfolge notiert), Qualitätskontrolle, Speicherplatzbelegung ohne Kollision, jeweils Reihenfolge notiert
3) Ziehen ohne Zurücklegen ohne Beachtung der Reihenfolge:
Ω3 = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , N }, ω1 < . . . < ωn }
(äquivalent zu {ω = {ω1 , . . . , ωn } | ωi ∈ {1, . . . , N }})
|Ω3 | = Nn , A3 = P(Ω3 )
∀ ω ∈ Ω3
P3 ({ω}) = N1
(n)
ω heißt n-Kombination ohne Wiederholung oder ungeordnete Stichprobe
(vom Umfang n) ohne Wiederholung
Z.B. wie in 2), aber ohne Notieren der Reihenfolge
4) Ziehen mit Zurücklegen ohne Beachtung der Reihenfolge:
Ω4 = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , N }, ω1 ≤ . . . ≤ ωn }
|Ω4 | = N +n−1
= NN+n−1
n
−1
Beweis: Bei ω1 ≤ ω2 ≤ . . . ≤ ωn sind n − 1
=⇒
”
=“-Zeichen möglich
n−1 N
n−1
N
n−1 N
|Ω4 | =
+
+ ... +
0
n
1
n−1
n−1
1
N +n−1
=
n
Beachte: (1 + x)n−1 (1 + x)N = (1 + x)N +n−1
Binomische Formel, Cauchy-Produkt und Koeffizientenvergleich liefern die Behauptung.
8
Alternativ: Die Abbildung ω = (ω1 , ω2 , . . . , ωn ) 7→ (ω1 , ω2 + 1, . . . , ωn + n − 1) := ω̃,
ω ∈ Ω4 , ist injektiv mit Bildmenge
Ω̃3 = {ω̃ = (ω̃1 , . . . , ω̃n )|ω̃i ∈ {1, . . . , N + n − 1}, ω̃1 < ω̃2 < . . . < ω̃n }
N +n−1
.
=
Folglich: |Ω4 | = |Ω̃3 | = N +n−1
N −1
n
W-Modelle in der statistischen Physik:
Beispiel 1.6. Es werden n Kugeln (Moleküle, Elementarteilchen) auf N Zellen
(Energiezustände) verteilt. Wie viele mögliche Besetzungsmuster gibt es, wenn
I) die Kugeln unterscheidbar sind;
II) die Kugeln nicht unterscheidbar sind;
a) jede Zelle höchstens mit 1 Kugel belegt werden darf (Pauli-Verbot);
b) die Zellen mit mehreren Kugeln belegt werden dürfen?
Lösungen:
I a) Ω = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , N } , ωi 6= ωj (i 6= j)}
ωi : Zellen-Nr. für i-te Kugel
|Ω| = N (n)
I b) Ω = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , N }}
|Ω| = N n
Werden diese N n Möglichkeiten als gleichwahrscheinlich postuliert (Laplace-Ansatz),
so erhält man das Maxwell-Boltzmann-Modell (für Gasmoleküle)
II a) Ω = {ω = (ω1 , . . . , ωN ) | ωj ∈ {0, 1}}
ωj : Anzahl der Kugeln in Zelle Nr. j
|Ω| = Nn
(n Plätze aus N auszuwählen)
Laplace-Ansatz liefert das Fermi-Dirac-Modell (für Elektronen, Neutronen, Protonen)
II b) Ω = {ω = (ω1 , . . . , ωN ) | ωj ∈ {0, 1, . . . , n},
N
X
j=1
ωj : Anzahl der Kugeln in Zelle Nr. j
N +n−1
=
|Ω| = NN+n−1
n
−1
9
ωj = n}
Beweis: n Objekte werden durch N − 1 Trennwände getrennt, d.h. man hat n + N − 1
−1
Plätze, auf die N − 1 Trennwände zu verteilen sind, also n+N
Möglichkeiten.
N −1
Aus den obigen Urnenmodellen lassen sich weitere W -Modelle ableiten:
Beispiel 1.7. a) N Kugeln in einer Urne, davon R rote (Nummern 1, . . . , R) und S
schwarze (Nummern R + 1, . . . , R + S = N ). Es werden n Kugeln zufällig gezogen (mit
Zurücklegen). Man bestimme die Wahrscheinlichkeit der Ereignisse
Ar = genau r rote Kugeln werden gezogen“.
”
Lösung: Benutze (Ω1 , A1 , P1 ). Für r = 0, 1, . . . , n gilt:
n r n−r
n r
|Ar | =
RS
=
R (N − R)n−r
=⇒
r
r
n r
R
|Ar |
=
p (1 − p)n−r , wobei p :=
P1 (Ar ) =
r
|Ω1 |
N
Setzt man pr :=
n
r
r
p (1 − p)
n−r
, r = 0, 1, . . . , n (p fest), so gilt pr ≥ 0,
n
X
pr = 1, d.h.
r=0
(pr )r=0,...,n definiert ein W-Maß auf B := P({0, 1, . . . , n}).
Definition 1.2. Sei X = {0, 1, . . . , n} , B = P(X ). Das durch
X n
P (B) :=
pr (1 − p)n−r , B ⊂ X ,
r
r∈B
definierte W-Maß auf B heißt Binomialverteilung mit Parametern n, p.
Bezeichnung : B(n, p) oder β n (p)
b) In der obigen Situation (N = R + S Kugeln) werde n-mal ohne Zurücklegen gezogen.
Man bestimme entsprechend die Wahrscheinlichkeit der Ereignisse
Ãr = genau r rote Kugeln werden gezogen“.
”
1. Lösung: Benutze (Ω2 , A2 , P2 ). Man beachte zunächst, dass gilt:
max(0, n − S) ≤ r ≤ min(n, R)
n (r) (n−r)
n
R!
S!
|Ãr | =
R S
=
=⇒
r
r (R − r)! (S − n + r)!
R N −R
|Ãr |
r
n−r
=
P2 (Ãr ) =
N
|Ω2 |
n
10
2. Lösung: Benutze (Ω3 , A3 , P3 ). Für r w.o.:
R N −R
|Ar | =
=⇒
r
n−r
R N −R
≈
|A1 |
r
n−r
P3 (Ar ) =
, max(0, n − S) ≤ r ≤ min(n, R)
=
N
|Ω3 |
n
≈
Definition 1.3. Sei X = {0, 1, . . . , n} , B = P(X ). Das durch
−R
X Rr Nn−r
, B⊂X ,
P (B) :=
N
n
r∈B
definierte W-Maß auf B heißt hypergeometrische Verteilung mit Parametern n; N, R.
Bezeichnung : H(n; N, R)
Beispiel 1.8. Urne: N1 Kugeln der Farbe 1, N2 Kugeln der Farbe 2, . . . , Nk Kugeln der
Farbe k (≥ 2), N1 + . . . + Nk =: N . Es werden n Kugeln gezogen (mit Zurücklegen).
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass n1 Kugeln der Farbe 1, . . . , nk Kugeln der Farbe
k gezogen werden (n1 + . . . + nk = n) ?
Lösung: Benutze (Ω1 , A1 , P1 ) , ω = (ω1 , . . . , ωn )
An1 ,...,nk = {ω | genau n1 der ωi ∈ {1, . . . , N1 },
genau n2 der ωi ∈ {N1 + 1, . . . , N1 + N2 }, . . . ,
genau nk der ωi ∈ {N1 + . . . + Nk−1 + 1, . . . , N1 + · · · + Nk }}
n − n1 − · · · − nk−1
n − n1
n
N1n1 N2n2 . . . Nknk
|An1 ,...,nk | =
nk
n2
n1
|
{z
}
1
=
n!
N1n1 . . . Nknk
n1 ! · · · n k !
P1 (An1 ,...,nk ) =
wobei
n!
pn1 . . . pnk k =: pn1 ,...,nk ,
n1 ! · · · n k ! 1
Ni
pi =
N
(≥ 0,
k
X
pi = 1) .
i=1
11
Definition 1.4. Sei X = {(n1 , . . . , nk ) | ni ∈ N0 ,
Das durch
X
P (B) :=
pn1 ,...,nk , B ⊂ X ,
Pk
i=1
ni = n} ⊂ Rk , B = P(X ).
(n1 ,...,nk )∈B
definierte W-Maß heißt Multi-(Poly-)nomialverteilung mit Parametern n; p1 , . . . , pk .
Bezeichnung :
M (n; p1 , . . . , pk )
Auch durch asymptotische Betrachtungen lassen sich aus Urnenmodellen weitere WModelle gewinnen:
Beispiel 1.9. Seien pk = pk (n) = nk pk (1 − p)n−k , k = 0, 1, . . . , n, die Wahrscheinlichkeiten der B(n, p)-Verteilung aus Beispiel 1.7.
Falls p = p(n) derart, dass n p(n) → λ > 0 (n → ∞) , so folgt:
lim pk (n) =
n→∞
λk −λ
e =: pk (k = 0, 1, . . .)
k!
Definition 1.5. Sei X = N0 = {0, 1, 2, . . .}, B = P(X ).
Das durch
X λk
e−λ , B ⊂ X ,
P (B) :=
k!
k∈B
definierte W-Maß heißt Poisson-Verteilung mit Parameter λ (> 0).
Bezeichnung :
P (λ), Poiss(λ), πλ , . . .
Relative Häufigkeiten und Simulation:
Wird ein Zufallsexperiment (Ω, A, P ) unter identischen“Bedingungen n-mal unab”
”
hängig“durchgeführt (s.u.), so nähert sich die relative Häufigkeit Hn (A) eines Ereignisses
A ∈ A, d.h.
Hn (A) :=
1
× (Anzahl der Versuche, in denen A eintritt) ,
n
für n → ∞ der Wahrscheinlichkeit P (A) für das Eintreten von A (vgl. Grenzwertsätze“).
”
12
Vorsicht: Hn (A) ist zufällig“, d.h. hängt von ω1 , . . . , ωn ab, wobei ωi das Ergebnis im
”
i-ten Versuch bezeichnet. Möglich ist Hn (A) = 0, aber P (A) > 0.
Die Erfahrungstatsache Hn (A) ≈ P (A) (n groß) wird benutzt, um mit Hilfe von
Simulation stochastischer Vorgänge unbekannte (oder nur aufwendig zu berechnende)
Wahrscheinlichkeiten zu approximieren (Monte-Carlo-Verfahren).
Beispiel 1.10. Spieler besitzt 1.000 e , benötigt aber 5.000 e (um Schulden zu tilgen).
Er spielt solange Roulette“, bis er sein Kapital auf 5.000 e erhöht (oder aber die
”
1.000 e verloren) hat. Betrachte folgende drei Strategien:
1. Spieler setzt stets 100 e auf Rot“(Gewinnwkt. je Spiel:
”
18
,
37
Auszahlung: 200 e )
2. Spieler setzt gesamtes Kapital (bzw. die Differenz zu 5.000 e ) auf Rot“
”
18
, Auszahlung: doppelter Einsatz)
(Gewinnwkt.: 37
3. Spieler setzt stets 100 e auf 1“ (Gewinnwkt.:
”
1
,
37
Auszahlung: 3.600 e )
Bei welcher Strategie ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler das Kasino mit (mindestens)
5.000 e verlassen kann am größten?
Simulation: Für jede der drei Strategien werden n = 1000 Spielverläufe simuliert“, d.h.
”
Computer erzeugt Zufallszahlen“ U1 , U2 , . . ., wobei Ui R(0, 1)-verteilt ist, also
”
P (Ui ∈ (a, b]) = b − a ∀ (a, b] ⊂ (0, 1)
Setze Vi = 37 Ui und Wi = k, falls Vi ∈ (k, k + 1] (k = 0, 1, . . . , 36)
Dann gilt
P (Wi = k) = P (Vi ∈ (k, k + 1])
k k+1 = P (Ui ∈ 37
=
, 37
1
37
,
also beschreiben die W1 , W2 , . . . dasselbe Zufallsgeschehen wie ein wiederholtes Roulettespiel.
Setze noch


 0, Wi = 0 ,
Xi =
1, Wi ∈ {1, . . . , 18} ,


2, Wi ∈ {19, . . . , 36} ,
so gilt P (Xi = 0) =
1
,
37
P (Xi = 1) =
18
37
= P (Xi = 2).
Identifiziere: 1 =
ˆ Rot“, 2 =
ˆ Schwarz“
”
”
Folgende Tabelle gibt für n = 1000 Simulationsläufe (jeweils bis 5.000 e oder 0 e erreicht
sind) die relative Häufigkeit dafür an, dass der Spieler nach 200, 400, 600, 800, 1000 Spielen
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bei Strategie 1, 2, 3 zu den gewünschten 5.000 e gelangt ist:
Strategie
# Spiele
1
2
3
200
0.060 0.150 0.120
400
0.053 0.163 0.135
0.050 0.173 0.123
600
800
0.048 0.174 0.150
0.053 0.173 0.150
1000
Die Simulationsergebnisse legen die Vermutung nahe, dass gilt:
Strategie 2 ≫ Strategie 3 ≫ Strategie 1
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