wind Aktuell Leben am Windrad Trotz hoher behördlicher Auflagen beeinflussen Offshore-Anlagen sämtliche Lebensformen auf hoher See. Forscher versuchen herauszufinden, ob dieser Einfluss eher gut oder schlecht ist Am Horizont drehen sich die Wind- siedlung der Fundamente der Windräder räder von Alpha Ventus, dem ersten deut- und ihrer Umgebung anzuschauen und schen Offshore-Windpark in der Nordsee Proben zu nehmen“, sagt Schröder. nordwestlich von Borkum in der DeutDas 50 Meter lange Forschungsschiff schen Bucht. Alexander Schröder und sei- hält einen Sicherheitsabstand zu den ne Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut Windrädern. In etwa 300 bis 400 Metern für Polarforschung (AWI) steuern mit dem Entfernung zum ersten Windrad steigen Forschungsschiff Heincke das erste der Alexander Schröder und vier weitere bis jetzt zwölf Windräder an. Der Wind Wissenschaftler in ein Schlauchboot um, pfeift ihnen um die Ohren. Der Wellen- mit dem sie bis an die 90 Meter hohe gang nimmt zu. Schon während der Bau- Turbine mit einem Rotordurchmesser von und Testphase untersuchten Schröder 120 Metern heranfahren. „Die Windräund seine Kollegen die Auswirkungen von der sind wirklich riesig im Vergleich zu Windkraftanlagen auf die Lebensgemein- denen an Land“, sagt Schröder. „Man schaften unter Wasser. Heute steht wieder denkt, man könnte sie schon fast anfassen, ein Tauchgang an, direkt an der Unterwas- muss dann aber doch noch zehn Minuten serkonstruktion der Windkraftanlage in fahren. Im Schlauchboot kommt man sich 30 Meter Tiefe. „Wir kommen zwei- bis neben diesen Riesen wie ein Zwerg vor. dreimal im Jahr hierher, um uns die Be- Das ist schon beeindruckend.“ Er hat sei- Das Team des AWI beim Erforschen von Lebensformen an Unterwasserstrukturen. Foto: AWI/Ivonne Silber 16 erneuerbare energien | April 2010 nen Trockentauchanzug angezogen und darunter wärmende Sportunterwäsche. Das Wasser hat hier nur wenig Grade über null. Eingriff in die Meeresumwelt Der Bau und Betrieb von Offshore-Windenergieanlagen stellt immer einen Eingriff in die Meeresumwelt dar. Für Vögel, Fische, marine Säugetiere, sowie die Lebensgemeinschaften des Meeresbodens, wie beispielsweise Muscheln und Krebse, verändern Offshore-Anlagen den natürlich Lebensraum. Um zu gewährleisten, dass die Lebensgemeinschaften nur einer möglichst geringen Störung ausgesetzt sind und keine erheblichen Eingriffe in die Meeresumwelt eintreten, gibt es in Blick zur Oberfläche durch den Unterbau einer Offshore-Anlage mit Seeanemonen, Miesmuscheln und Krebsen. Seite 16 oben: Verschiedene Seeanemonen-Arten strecken ihre nesselnden Tentakel aus, um kleine Krebse zu fangen. Foto: AWI/Roland Krone Foto: AWI/Alexander Schröder Deutschland ein strenges Genehmigungs- ser fallen. Über das Tauchertelefon ist er „Die Unterwasserstruktur von FINO 1 ist verfahren für Offshore-WEA. in Sprechkontakt mit seinen Kollegen im flächendeckend bewachsen“, hat Schröder Die zuständige Behörde ist das Bun- Schlauchboot. Schröder beschreibt den beobachtet. „Am Boden gibt es Taschendesamt für Seeschifffahrt und Hydro- Bewuchs der Windradfundamente Meter krebse, Schwimmkrebse und für Hartsubgraphie (BSH) in Hamburg. Hier werden für Meter und die Kollegen schreiben mit. strate typische Fische schwimmen umher. die Anträge für Offshore-WindenergieanVor dem Bau von Alpha Ventus ha- Die Fundamente von Offshore-Windenerlagen eingereicht und unterliegen unter- ben Schröder und seine Kollegen schon gieanlagen bilden künstliche Riffe, die aber schiedlichen Prüfungen, unter anderem Proben bei der 400 Meter entfernten deutlich artenärmer als natürliche Hartsubauch einer ausführlichen Umweltverträg- Forschungsplattform FINO 1 genommen. strate sind, da sie auf dem sandigen Boden lichkeitsprüfung. „Die Antragsteller müs- Sie ist die erste von drei Forschungsplatt- der Nordsee nur kleine Inseln darstellen.“ sen vor Baubeginn ein zweijähriges Unter- formen, die zwischen 2003 und 2006 in Die Forscher gehen davon aus, dass die suchungsprogramm nach unserem Stan- der Nord- und Ostsee gebaut wurden. Die Fundamente von Alpha Ventus in Zukunft darduntersuchungskonzept durchführen“, Plattformen werden vom Bundesumwelt- ähnlich bewachsen und belebt sein werden sagt Axel Binder vom BSH. „Hier gibt es ministerium (BMU) gefördert und dienen wie die Streben der Forschungsplattform. klare Richtlinien, welche Umweltuntersu- Forschungsprojekten rund um das Thema Offshore-Windenergieanlagen werden chungen in welcher Weise durchgeführt Offshore-Windkraft. Dabei geht es unter nach Angaben des BSH nicht in sensiblen werden müssen. Wir prüfen dann die ein- anderem um die wissenschaftliche Unter- Bereichen der Nordsee aufgestellt. Seltegereichten Unterlagen und Daten, verglei- suchung möglicher Auswirkungen von Off- nere Bereiche mit Riffen und Sandbänken chen sie mit aktuellen wissenschaftlichen shore-Windenergieanlagen auf Meeres- sollen möglichst von einer Bebauung mit Studien und prüfen sie auf Plausibilität. säuger, Seevögel, den Vogelzug, Fische so- Windenergieanlagen freigehalten werden. Erst wenn wir zur Ansicht gelangen, dass wie auf die Tierwelt des Meeresbodens. Größtenteils liegen die Planungen von keine Gefährdung der Meeresumwelt beOffshore-Windenergieparks in sandigen ziehungsweise des Vogelzuges vorliegt, Unterbau als künstliches Riff Bereichen der ausschließlichen Wirterteilen wir eine Genehmigung.“ schaftszone, wobei die sandigen Bereiche Alexander Schröder ist fertig zum Ab- An den unter Wasser liegenden Metallstre- in der Nordsee sehr häufig sind. „Ob tauchen. Das Equipment ist geprüft, jetzt ben von FINO 1 hat sich über die Jahre ein dieser Eingriff durch die Bestückung mit kann es runtergehen. Sein Kollege hält künstliches Riff gebildet: Miesmuscheln künstlichen Hartsubstraten in diesen Bioden Versorgungsschlauch an dem Schrö- bis in acht, zehn Metern Tiefe, Seenelken, toptyp positiv oder negativ ist, wird von der hängt. Dann lässt sich der Forscher Tote Mannshände und Polypen von Hyd- Fachleuten unterschiedlich gesehen“, sagt rückwärts aus dem Schlauchboot ins Was- rozoen, die zu den Nesseltieren gehören. Axel Binder vom BSH. „Es gibt da keine erneuerbare energien | April 2010 17 wind Aktuell einheitliche Sichtweise. Da die Windräder aber mehrere hundert Meter weit voneinander entfernt sind, sind die Auswirkungen auf die am Meeresboden lebenden Organismen durch diese punktuellen, kleinräumigen Eingriffe hier nur als gering bis unerheblich zu bewerten.“ Windparks bieten Refugium Dass die Schifffahrt durch Offshore-Windparks leicht eingeschränkt wird, hat für die Tier- und Pflanzenwelt durchaus Vorteile. Schiffe mit einer Länge von unter 24 Metern müssen einen Mindestabstand von Über den Helm hat der Taucher Sprechkontakt zur 500 Metern zu den Windrädern einhalten. Oberfläche. Fotos: AWI/Sebastian Fuhrmann/Cora Albrecht Größere Schiffe dürfen erst garnicht in den Windpark hineinfahren. Auch die Fi- wie beispielsweise bei den küstennahen scherei ist im Windpark generell verboten. Windparks in Dänemark, sondern gleich „Diese Beschränkungen können für den bei 25 bis 40 Metern. Für die Betreiber beLebensraum in den Bereichen der Wind- deutet das hohe technische Anforderungen parks sogar sehr positive Auswirkungen und natürlich höhere Investitionskosten. haben“, sagt Binder. „So haben langlebige Mittlerweile sind in Deutschland aber nun Organismen, wie beispielsweise einige doch schon 26 Projekte in Nord- und OstMuschelarten und andere Bodenlebewe- see genehmigt und 68 Projekte beantragt, sen, hier die Chance sich wieder natur- die zurzeit geprüft werden. In Kürze geht näher zu entwickeln, da sie nicht mehr der zweite deutsche Windpark „BARD durch die Fischerei beeinträchtigt oder so- Offshore 1“ in der Nordsee, 90 Kilometer gar geschädigt werden. Und auch Fische nordwestlich von Borkum, in Bau. finden hier ein Refugium. Insofern bietet ein Windpark den Lebensgemeinschaften Lärmschutz für Meeressäuger auf dem Meeresboden in engen Grenzen eine naturnähere Entwicklung.“ Nach zwanzig Minuten taucht Alexander Seit November 2009 ist Alpha Ventus Schröder wieder auf. Der Tauchgang war als erster deutscher Windpark in Betrieb. erfolgreich. „Wissenschaftlich und persönIm Vergleich zu den europäischen Nachbar- lich ist das Tauchen hier schon ein besonländern ist Deutschland mit dem Bau von deres Erlebnis“, sagt Schröder. „Die groWindparks eher spät dran. Das liegt auch ßen Strukturen sind sehr beeindruckend. daran, dass an den deutschen Küsten viele Aber es ist nicht einfach hier zu tauchen. Naturschutzgebiete liegen und nur sehr Die Strömung ist sehr stark und die Sicht wenige küstennahe Bereiche für Offshore- oft schlecht. In der Nähe der Fundamente Anlagen zur Verfügung stehen. Die Planer hört und spürt man deutlich das Brummüssen daher auf küstenferne Gebiete aus- men, das von den Rotoren ausgeht. In ein weichen. Dort liegen die Gründungstiefen paar Metern Entfernung nimmt es aber dann nicht nur bei acht bis zwölf Metern deutlich ab.“ 18 erneuerbare energien | April 2010 Viel lauter als das Brummen während des Betriebs, ist die Geräuschentwicklung während des Baus der Offshore-Windenergieanlagen. Die Fundamente müssen tief in den Boden gerammt werden. Damit marine Säuger, wie beispielsweise die Schweinswale, keine Gehörschäden davontragen, müssen bei Gründung und Installation der Anlagen Arbeitsmethoden verwendet werden, die so geräuscharm wie möglich sind. Die Schallemissionen dürfen dabei in einer Entfernung von 750 Metern den Wert von 160 Dezibel (dB) nicht überschreiten. Eine Möglichkeit den Grenzwert einzuhalten, ist der Einsatz von so genannten Blasenschleiern. Dabei wird rund um die Rammstelle eine Anlage gebaut, die Luftblasen in das Wasser einleitet. Der Blasenschleier hindert dann den Schall an seiner Ausbreitung im Wasser. Wenn das nicht reicht, müssen die geräuschempfindlichen Meeressäuger vor der Durchführung von nicht zu vermeidenden schallintensiven Arbeiten verscheucht oder vergrämt werden. Dafür werden so genannte Pinger eingesetzt, die akustische Signale aussenden, die die Tiere fernhalten sollen. Eine weitere Methode die Tiere zu vergrämen, ist der so genannte „SoftStart“, bei dem die eingesetzte Rammenergie langsam gesteigert wird, um den Meeressäugern die Möglichkeit zu geben, sich aus dem Baugebiet zu entfernen. Die Einhaltung der geforderten Maßnahmen wird streng kontrolliert. „Die Betreiber müssen Beobachtungen durchführen, um die Effizienz der schadensverhütenden Maßnahmen während der Arbeiten zu überprüfen“, sagt Axel Binder. „Dies ist zu dokumentieren und dem BSH unverzüglich zu berichten. Bei gleichzeitiger Bebauung an benachbarten Orten behält sich das BSH vor, die Rammarbeiten so zu koordinieren, dass genügend geräuscharme Flächen vorhanden sind, in die die Tiere flüchten können. Die Deutsche Bucht gewährleistet noch genug Freiraum, dass sich die Tiere zurückziehen können.“ Es gibt ganz unterschiedliche Fundamenttypen für Windenergieanlagen mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Was den Lärm betrifft, so sind Schwergewichtsfundamente eine leisere Alternative. Sie werden nicht in den Boden gerammt, sondern sie werden auf den Boden gelassen und zur Beschwerung wird Sand eingespült. Der Boden muss aber trotzdem vorbereitet werden, um eine plane Fläche herzustellen. Die Geräuschemission ist dabei zwar geringer, aber der Eingriff auf dem Meeresboden ist größer, da das Fundament bei diesem Typ mehr Fläche einnimmt. Eine weitere recht innovative Möglichkeit des geräuscharmen Bauens von Offshore-Windenergieanlagen ist der Einsatz von so genannten schwimmenden Fundamenten. Der bereits genehmigte Bei der Genehmigung von Offshore-Windenergieparks werden immer alle bereits genehmigten beziehungsweise planrechtlich verfestigten Offshore-Vorhaben zusammen betrachtet, damit genug Ausweichräume für Zugvögel vorhanden sind. Bei einer Gefährdung des Vogelzuges werden Anträge auch schonmal abgelehnt. Windpark Ventotec Ost 2 vor Rügen soll Windenergieanlagen mit solchen schwimmenden Fundamenten einsetzen. Abschalten bei Vogelzug Alexander Schröder und seine Kollegen nehmen mit ihrem Schlauchboot wieder Kurs auf die Heincke. Die AWI-TauchCrew steigt wieder auf das Forschungsschiff um. Das Schlauchboot wird mit einer Winde eingeholt. Jetzt fehlen nur noch die Bodenproben. Dafür fährt das Forschungsschiff so dicht wie möglich an die Windräder heran. Ein Greifer, der aussieht wie eine Baggerschaufel, wird ins Wasser gelassen und nimmt eine Probe. Die gesammelten Proben werden die AWI-Wissenschaftler in den nächsten Wochen in ihren Laboren auswerten. „Aus den Proben sollen Rückschlüsse gezogen werden, ob sich die umliegenden Lebensgemeinschaften im Meer durch die Windradfundamente verändern“, sagt Alexander Schröder. „Wenn die Proben ausgewertet sind, werden wir zur Situation unter Wasser etwas sagen können. Was die Veränderung über Wasser angeht, so hat sich rein optisch – wenn man hier so an Deck steht und auf das Meer schaut – natürlich schon etwas verändert. Das Meer ist dadurch nicht mehr so offen. Aber so weit von der Küste auf hoher See stören die Windräder weit weniger als an Land.“ Ob Vögel und Zugvögel die Windräder als störend empfinden wird sich herausstellen. Grundsätzlich stellen die Windparks schon eine mögliche Bedrohung für Vögel dar, gerade während des Vogelzuges. Tagzieher wie Enten, Gänse oder Seevögel haben weniger Probleme, da sie auf dem Wasser landen und sich dort ausruhen können. Weiterhin haben sie tagsüber eine gute Orientierung und können ausweichen. Bei Nachtziehern wie beispielsweise Drosseln ist das schon etwas problematischer. Die Vögel fliegen vor allem in Küstenbereichen. Wenn die Wetterverhältnisse gut sind, fliegen sie in großen Höhen, so dass die Windenergieanlagen sie nicht tangieren. Wenn das Wetter aber schlechter wird, bei Nebel, Regen oder Gegenwind, verlagern die Vögel ihre Flughöhe manchmal weiter nach unten. „Wenn überraschend schlechtes Wetter mit Massenzugereignissen zusammenfällt kann das dazu führen, dass eine größere Anzahl von Vögeln mit den Anlagen kollidiert“, sagt Binder. „In solchen Situationen könnten wir anordnen, dass die Windparkanlagen präventiv abgeschaltet werden. Wir sind dabei, über ein geeignetes Vorwarnsystem nachzudenken.“ Ökologische Begleitforschung In den nächsten fünf Jahren werden Wissenschaftler im Rahmen des vom BMU geförderten Forschungsprogramms RAVE (Research at Alpha Ventus) den neuen Windpark begleiten. Diese ökologische Begleitforschung soll neue Erkenntnisse hinsichtlich bau- und betriebsbedingter Auswirkungen von Offshore-Windparks auf die Meeresumwelt bringen. Dabei stehen folgende Fragen im Fokus: Wie reagieren marine Säugetiere und Rastvögel auf den Windpark? Welche Effekte entstehen durch Bau- und Betriebsgeräusche auf marine Säugetiere und Fische? Wird es eine Veränderung der Lebensgemeinschaften durch die Unterwasserkonstruktionen geben? Wird es Ausweichbewegungen oder möglicherweise Kollisionen von Zugvögeln geben? Alexander Schröder und seine Kollegen werden in den nächsten Jahren noch einige Tauchgänge bei Alpha Ventus machen und die ökologische Entwicklung dokumentieren und abschließend beurteilen können. Ihre Ergebnisse und die vieler weiterer Forschergruppen werden in ein erweitertes Standarduntersuchungs-Konzept der BSH einfließen, das die Grundlage für den Bau weiterer Windparks mit Blick auf die bestmögliche Umweltverträglichkeit bilden wird. Nicole Silbermann Wer hockt im dunklen Schrank, lässt sich unter Strom setzen und hat trotzdem die Ruhe weg? SSB Service Links: Alexander Schröder und Teamkollege vorm Abtauchen. Foto: AWI/Sebastian Fuhrmann Rechts: Fische finden zwischen den Unterwasserstrukturen Nahrung und Schutz. Foto: AWI/Alexander Schröder Das Netzkoppelschütz. Es übernimmt Schaltvorgänge des Hauptschalters und entlastet ihn. www.ssb-service.com | SSB. Erfahrung bewegt. erneuerbare energien | April 2010 19