EINFÜHRUNG IN DIE ZAHLENTHEORIE JÖRN STEUDING — WÜRZBURG, KURZSKRIPT SOMMERSEMESTER 2012 Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. Der euklidische Algorithmus Rationale vs. irrationale Zahlen Algebraische vs. transzendente Zahlen Primzahlen Modulare Arithmetik Der chinesische Restsatz Primitivwurzeln Quadratische Reste und Nichtreste Einheitswurzeln und Gaußsche Summen Das quadratische Reziprozitätsgesetz Summen von Quadraten Pythagoräische Tripel und die Fermat-Gleichung Kongruenzzahlen und elliptische Kurven Kettenbrüche Quadratische Irrationalzahlen Die Pellsche Gleichung Charaktere Dirichlet-Reihen und Euler-Produkte Der Dirichletsche Primzahlsatz 1 2 4 5 7 8 8 9 10 11 12 13 14 17 18 18 20 20 21 Worum geht es in der Zahlentheorie? Zunächst um Zahlen. Am Anfang stehen die ineinander geschachtelten Zahlbereiche N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C der natürlichen, ganzen, rationalen, reellen und komplexen Zahlen mit den bekannten rationalen Operationen der Addition und Multiplikation sowie der damit verbundenen Struktur (Halbgruppe, Ring, Körper); darüberhinaus sind aber auch Zahlkörper und deren Ganzheitsringe von zentraler Bedeutung. Wichtig: all diese Zahlbereiche sind multiplikativ abgeschlossen; insofern sind Teilbarkeitseigenschaften von wesentlichem Interesse. Ein fundamentales Hilfsmittel ist die Wohlordnung: Jede nicht-leere Teilmenge von N besitzt ein kleinstes Element (äquivalent zum Induktionsprinzip). Konvention: Mit kleinen lateinischen Buchstaben werden ausschließlich ganze Zahlen bezeichnet, kleine griechische stehen für reelle Zahlen. 1. Der euklidische Algorithmus Mit Hilfe der Wohlordnung beweist sich der Satz zur Division mit Rest: Gegeben a, b ∈ N mit a > b, existieren eindeutig bestimmte Zahlen q, r mit a = qb+r und 0 ≤ r < b. Eine Zahl a heißt durch b teilbar, wenn a = bd für ein d besteht (also der Rest null bei Division mit Rest entsteht). Zwei Zahlen a, b besitzen 1 2 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE (wiederum aufgrund der Wohlordnung) einen (in N eindeutigen) größten gemeinsamen Teiler ggT(a, b); dessen Berechnung erfolgt mit dem euklidischen Algorithmus: Zu a =: r−1 , b =: r0 bilde rj+1 = qj rj + rj−1 bis rm+1 = 0 6= rm ; dann gilt rm = ggT(a, b). Mit dieser sukzessiven Division mit Rest (rückwärts) finden sich auch Lösungen von linearen diophantischen Gleichungen (worunter wir polynomielle Gleichungen mit ganzzahligen oder rationalen Koeffizienten verstehen, die ganzzahlig oder rational zu lösen sind). Hier besagt der Satz von Bézout: Die Gleichung aX − bY = c besitzt genau dann Lösungen (x, y) ∈ Z2 , wenn ggT(a, b) | c; in diesem Fall ergibt sich die Menge aller Lösungen als x xs b/ggT(a, b) = +Z , y ys a/ggT(a, b) wobei (xs , ys ) irgendeine spezielle Lösung sei; insbesondere gilt {ax − by : x, y ∈ Z} = ggT(a, b)Z. Geometrisch interpretiert liefert dies also Gitterpunkte (genauer: Punkte mit ganzzahligen Koordinaten) auf gewissen Geraden in der Ebene. Der Quotient der Koordinaten liefert respektable rationale Approximationen an die Steigung der Geraden. Eine Anwendung aus der Chemie: Welche Werte für die Unbekannten sind in der Reaktionsgleichung für Fermentation (Saccharose Ethanol + Kohlendioxid) X · C6 H12 O6 −→ Y · C2 H5 OH + Z · CO2 . möglich? Das Frobenius-Problem fragt bei gegebenen teilerfremden natürlichen Zahlen a1 , . . . , am nach der größten natürlichen Zahl g = g(a1 , . . . , am ), die sich nicht darstellen lässt als eine Linearkombination g = k1 a1 + . . . + km am mit kj ∈ N0 . Für m = 2 ist g(a1 , a2 ) = a1 a2 − a1 − a2 ; hingegen ist für m > 3 im Allgemeinen kein geschlossener Ausdruck für g(a1 , . . . , am ) bekannt. Systeme linearer diophantischer Gleichungen in mehreren Unbekannten löst man durch Substitution (oder mit der Cramérschen Regel). In der chinesischen Literatur des sechsten Jahrhunderts findet sich hierzu folgende Aufgabe: Wenn ein Hahn fünf Münzen kostet, eine Henne drei und drei Hühnchen zusammen eine Münze, wie viele Hähne, Hennen und Hühnchen, insgesamt einhundert in Zahl, kann man für einhundert Münzen ersteigern? 2. Rationale vs. irrationale Zahlen Die Farey-Folge der ineinander geschachtelten Mengen a Fn := { : 0 ≤ a ≤ b ≤ n, ggT(a, b) = 1} b entsteht aus den Zahlen 01 und 11 durch sukzessive Bildung der Mediante a+c b+d aus Nachbarn ab und dc ; hierbei heißen zwei Elemente Nachbarn, wenn Fn keine Elemente zwischen ab und dc enthält, bzw. äquivalent hierzu: wenn ad − bc = ±1, wie sich mit dem Satz von Bézout zeigt. Die gekürzten Brüche in Fn bilden bei wachsendem n sämtliche rationalen Zahlen des Einheitsintervalls: Q/Z ≈ ∪n≥1 Fn . Damit folgt sofort: Die rationalen Zahlen liegen dicht in der Menge der reellen Zahlen. Darüber hinaus ergibt sich der Approximationssatz von Dirichlet: Zu α ∈ R \ Q existieren unendlich viele pq ∈ Q mit α − p < 1 ; q q2 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 32 85 53 3 21 G a ∈ Fn sind erklärt durch die Menge alb 1 und bilden eine schöne Kreispackung 2b2 Abbildung 1. Die Ford-Kreise zu |z − ( ab i )| 2b2 + = ler komplexen z mit mit Hilfe derer visuell nach den besten rationalen Näherungen einer vorgegebenen reellen Zahl gesucht √ werden kann. In diesem Beispiel ergeben sich für den goldenen Schnitt G := 5+1 sukzessive die Näherungen 21 , 32 , 35 usw. 2 für rationale α besitzt diese Ungleichung hingegen nur endlich viele Lösungen. Eine weitere Charakterisierung von Irrationalzahlen liefert der Satz von Beatty/Rayleigh: Sei 1 < α ∈ R \ Q, dann ist B(α)∪B(β) eine disjunkte aperiodische Partition von N, wobei B(α) := {⌊nα⌋ : n ∈ N} und α1 + β1 = 1. (Hier steht ⌊x⌋ für die größte ganze Zahl ≤ x, auch Gauss-Klammer genannt.) Für rationale α hingegen entsteht eine periodische Zerlegung. Bereits Lambert und Euler bewiesen: π und e = exp(1) sind irrational. Zum Nachweis von e 6∈ Q werden Partialsummen der Exponentialreihe untersucht; unter der Annahme e = ab ∈ Q ist X 1 X n! = α := n! e − k! k! 0≤k≤n 1 n, k>n eine ganze Zahl mit 0 < α < was den gewünschten Widerspruch liefert. Analog sind die Integrale Z 1 n 1 n x (1 − x)n In := πa fn (x) sin(πx) dx mit fn (x) := n! 0 4 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE n unter der Prämisse π 2 = ab ganzzahlig, was wegen 0 < In < π an! für große n P 2 unmöglich ist, und also π 2 6∈ Q zeigt, und somit auch n≥1 n−2 = π6 6∈ Q. Ein Einzeiler (nach Dedekind) √ √ beweist 2 6∈ Q: Wäre 2 = ab mit b) = 1, dann ebenso √ ggT(a, 2b−a 2 = a−b und ein Widerspruch ergibt sich aus der Minimalität von b. Allgemeiner gilt: Für √ natürliche n ist n genau dann irrational, wenn die Exponenten in der Primfaktorzerlegung von n alle gerade sind. Im Allgemeinen ist es jedoch schwierig, eine vorgegebene Zahl auf Irrationalität zu untersuchen; so ist ungeklärt, ob die Euler-MascheroniP Konstante limN →∞ ( n≤N n1 − P log N ) oder auch n≥1 n−5 irrational ist. Erst 1978 bewies Roger die Irrationalität von P Apéry −3 . n n≥1 Abbildung 2. Der PythagorasSchüler Hipasos entdeckte die Inkomensurabilität von Diagonale und Seite im Quadrat √ (bzw. die Irrationalität von 2). Oben ein geometrischer Beweis mittels Wechselwegnahme (bzw. euklidischem Algorithmus). 3. Algebraische vs. transzendente Zahlen Eine komplexe Zahl α heißt algebraisch, wenn sie Nullstelle eines nichtkonstanten Polynoms P mit ganzzahligen Koeffizienten ist; besitzt P dabei minimalen Grad, so definiert dieser den Grad von α durch deg α = deg P , und P heißt das Minimalpolynom. Andernfalls, wenn also P √ (α) 6= 0 √ für alle P ∈ Z[X] mit 3 deg P ≥ 1, ist α transzendent. Beispielsweise sind 5 , 2, i = −1 algebraisch. Die Menge Q aller algebraischen Zahlen ist ein Körper (wie mit ein wenig linearer Algebra folgt). Mit dem Cantorschen Diagonalargument zeigt sich: Die Menge Q der algebraischen Zahlen ist abzählbar, und die Menge C \ Q der transzendenten Zahlen ist überabzählbar (die Abzählung von Q erfolgt über die Koeffizienten sowie den Grad der P ∈ ZP [X]). Die historisch ersten explizit bekannten transzen−n! lassen sich mit Hilfe des Liouvilleschen denten Zahlen wie etwa n≥1 10 Approximationssatzes ’konstruieren’: Sei α ∈ R algebraisch vom Grad d ≥ 2, dann existiert eine nur von α abhängige Konstante C > 0 mit α − p > C q qd für alle pq ∈ Q (im Falle d = 1 ist noch zusätzlich pq 6= α zu fordern). Der Beweis erfolgt mit dem Mittelwertsatz der reellen Analysis. Der tiefliegende Satz von Thue–Siegel–Roth liefert sogar die untere Schranke C ′ q −2−ǫ für jedes positive ǫ mit einer nur von α und ǫ abhängigen Konstanten C ′ , sofern α algebraisch irrational ist. Gegebene Zahlen als transzendent nachzuweisen, ist jedoch schwierig: e und π sind transzendent, wie zuerst Hermite und Lindemann zeigten, aber die EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 5 P Beweise sind nicht trivial.∗ Insbesondere sind wegen n≥1 n−2k ∈ π 2k Q für gerade k alle diese Reihen transzendent; demgegenüber ist unbekannt, ob e · π und e + π transzendent sind (sicher ist es eine der beiden). 4. Primzahlen Primzahlen sind die multiplikativen Bausteine von Q: Eine ganze Zahl n > 1 heißt prim, wenn sie keine Teiler außer 1 und n (in N) besitzt; ansonsten ist n zusammengesetzt. Euklids Lemma besagt: Teilt eine Primzahl ein Produkt, so teilt sie einen der Faktoren (was für zusammengesetzte Zahlen falsch ist). Insbesondere folgt, dass jede natürliche Zahl eine eindeutige Primfaktorzerlegung besitzt, d.h. zu n ∈ N existieren eindeutig bestimmte ν(n; p) ∈ N0 mit Y n= pν(n;p) , p wobei das Produkt über alle √ Primzahlen p√läuft (allerdings stets endlich ist). In −5] := {a + b −5 : a, b ∈ Z} (dem Ganzheitsring Zahlbereichen wie etwa Z [ √ des Zahlkörpers Q( −5)) hingegen existieren verschiedene Faktorisierungen in irreduzible Faktoren, z.B.: √ √ 6 = 2 · 3 = (1 + −5) · (1 − −5). Mit dem Sieb des Eratosthenes lässt sich eine Liste aller Primzahlen erstellen: Streicht man sukzessive die echten Vielfachen nicht gestrichener Elemente aus der Liste der ihrer Größe nach geordneten natürlichen Zahlen n ≥ 2, so verbleiben genau die Primzahlen. 11 21 x/ 31 41 51 / 61 71 81 / 91 x 2 12 — / — 22 — 32 42 — x/ — 52 — 62 72 — / — 82 — 92 3 13 23 33 / 43 53 63 x/ 73 83 93 / — 4 — 14 x 24 — / — 34 — 44 54 — / — 64 — 74 84 — x/ — 94 5 15 \/ 25 \ x 35 \ 45 \/ 55 \ 65 \ 75 \/ 85 \ 95 \ — 6/ — 16 — 26 — 36 / — 46 — 56 x — 66 / — 76 — 86 — 96 / 7 17 27 / 37 47 57 / 67 77 x 87 / 97 — 8 18 — / — 28 x 38 — 48 — / — 58 — 68 — 78 / — 88 — 98 /9 10 — \ 19 20 — \ 29 30 — \/ 39 / 40 — \ 49 x 50 — \ 59 60 — \/ 69 / 70 — x\ 79 80 — \ 89 90 — \/ 99 / ... Als Primzahltest ist das Sieb ungeeignet: Es liefert mit den (fast) kompletten Primfaktorisierungen zu viele Informationen, als dass es effizient sein könnte. Es gibt unendlich viele Primzahlen bzw., wie Euklid es formulierte, es gibt mehr Primzahlen als jede vorgelegte Anzahl von Primzahlen. Sein Beweis basiert auf der Primfaktorzerlegung von p1 p2 · . . . · pm + 1, wenn p1 , . . . , pm eine solche vorgelegte Menge von Primzahlen ist. Dieses Argument zeigt sogar: Es gibt unendlich viele Primzahlen in der Menge 4Z + 3 (versagt aber ohne weiteres für Primzahlen in 4Z + 1). Es gibt beliebig große Lücken zwischen aufeinanderfolgenden Primzahlen (wie die Zahlen n! + d mit 2 ≤ d ≤ n zeigen); andererseits besagt das Bertrandsche Postulat: Für n > 1 existiert stets mindestens eine Primzahl p mit n < p < 2n. Der Beweis (nach Erdös) basiert auf der Primfaktorzerlegung ∗ Beweise finden sich etwa in dem Klassiker: G.H. Hardy, E.M. Wright, An introduction to the theory of numbers, Clarendon Press 1979, 5th ed. 6 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE des mittleren Binoialkoeffizienten ( 2n n ). Darüber hinaus gilt der Primzahlsatz: Für die Anzahl π(x) der Primzahlen p ≤ x gilt† log x = 1. x Insbesondere bilden die Primzahlen also eine dünne Teilmenge von N. Ungelöst ist, ob es zwischen zwei Quadratzahlen stets mindestens eine Primzahl liegt? Kaum vorstellbar: 1 , 2, 3, 4 , 5, 6, 7, 8, 9 , 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16 , 17, . . . lim π(x) x→∞ Abbildung 3. Die Spirale von Ulam: Die natürlichen Zahlen spiralförmig aufgeführt, Primzahlen weiß eingefärbt und zusammengesetzte Zahlen schwarz. Die Bildmitte enthält die kleineren Zahlen und mehr Primzahlen. Additive Verknüpfungen multiplikativer Objekte sind oft schwierig zu behandeln: Die offene Goldbach-Vermutung behauptet, dass jede gerade Zahl n ≥ 4 sich als Summe von zwei Primzahlen darstellen lässt; z.B. 100 = 83 + 17. Die ebenfalls ungelöste Primzahlzwillingsvermutung besagt, dass es unendlich viele Paare von Primzahlen mit Abstand zwei gibt wie etwa 17 und 19. Mit analytischen Werkzeugen lassen sich bemerkenswerte Teilergebnisse erzielen: So weiß man dank der Kreismethode von Hardy, Ramanujan & Littlewood, dass fast alle geraden Zahlen sich als Summe von zwei Primzahlen darstellen lassen, und, dass für unendlich viele Primzahlen p die Zahl p + 2 nur höchstens zwei Primfaktoren besitzt (wie Chen in den 1960ern mit Siebmethoden zeigte). † Der Beweis mittels komplexer Analysis erfolgt in der Mastervorlesung zur Zahlentheorie im SoSe 2013 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 7 Von zentraler Bedeutung für die Zahlentheorie ist das Restklassenkalkül, eingeführt von Gauß (in seinen wegweisenden Disquisitionae Arithmeticae von 1801). Die multiplikative Abgeschlossenheit von 4Z + 1 erlaubte den Nachweis der Existenz unendlich vieler Primzahlen in 4Z + 3 (siehe §4); ferner lassen sich die ganzen Zahlen, welche durch drei (neun) teilbar sind, durch die Teilbarkeit ihrer Quersumme durch drei (neun) charakterisieren. Diese beiden Beispiele motivieren den Wunsch einer vereinfachten Schreibweise bzgl. Teilbarkeit. Tatsächlich wird eine Reduktion auf die wesentlichen Informationen bei der modularen Arithmetik interessante additive und insbesondere multiplikative Strukturen offenlegen! 5. Modulare Arithmetik Für m ∈ N und a, b ∈ Z schreiben wir a ≡ b mod m, falls m | (b − a), diese also denselben Rest bei Division durch m lassen; wir sagen in diesem Fall a ist kongruent b modulo m und nennen dies eine Kongruenz zum Modul m. Dies definiert eine Äquivalenzrelation auf Z mit den Restklassen a mod m := a+mZ = {b : a ≡ b mod m}. Im Gegensatz zu Z besteht das Bild der Abbildung a 7→ a mod m aus nur endlich vielen, genauer m verschiedenen Restklassen modulo m. Mit diesen lässt sich vermöge der folgendermaßen erklärten Addition und Multiplikation von Restklassen + + (a mod m) (mod m) := a b mod m × × wie mit ganzen Zahlen rechnen. Eine Restklasse a mod m heißt eine prime Restklasse, wenn a und m teilerfremd sind (was wegen ggT(a, m) = ggT(a + km, m) für beliebiges k unabhängig vom gewählten Repräsentanten ist). Die Menge der primen Restklassen modulo m ist multiplikativ abgeschlossen; ihre Anzahl ϕ(m) zählt die Eulersche ϕ-Funktion. Eine Menge von Restklassen a1 , . . . , am mod m heißt ein vollständiges Restsystem modulo m, wenn die aj paarweise inkongruent sind (also verschiedene Restklassen repräsentieren); ferner heißt eine Menge von Restklassen a1 , . . . , aϕ(m) mod m ein primes Restsystem modulo m, wenn die primen Restklassen aj paarweise inkongruent sind. Eine Restklasse a mod m ist genau dann (multiplikativ) invertierbar, wenn a und m teilerfremd sind. Das Inverse lässt sich in diesem Fall mit dem Satz von Euler berechnen: Für zu m teilerfremde a gilt aϕ(m) ≡ 1 mod m mit der Eulerschen ϕ-Funktion. Der Beweis basiert darauf, dass mit a1 , . . . , aϕ(m) auch aa1 , . . . , aaϕ(m) ein primes Restsystem ist, wenn a und m teilerfremd sind, sowie der daraus resultierenden Kongruenz ϕ(m) ϕ(m) Y Y j=1 aj ≡ j=1 ϕ(m) ϕ(m) (aaj ) ≡ a Y aj mod m. j=1 Speziell für Primzahlmoduln m = p ergibt sich aus dem Eulerschen Satz der kleine Fermatsche Satz: ap−1 ≡ 1 mod p für teilerfremde p und a. (Oft schreiben wir von nun an kurz a statt a mod m.) Das RSA-Verfahren ist das am weitesten verbreitete Kryptosystem zum Verschlüsseln geheimer Nachrichten: Bob wählt geheim zwei große verschiedene Primzahlen p und q und veröffentlicht deren Produkt N := pq; ferner wählt er ein zu ϕ(N ) = (p − 1)(q − 1) teilerfremdes e und berechnet geheim dessen multiplikativ Inverse d mod ϕ(N ). Alice verschlüsselt ihre Nachricht M an Bob mit dessen öffentlichen Schlüssel als M e mod N . Bob kann diese Nachricht durch Berechnung von (M e )d ≡ M mod N mit Hilfe seines geheimen Schlüssels entziffern. Die Sicherheit von RSA basiert auf der Beobachtung, dass zwar die Multiplikation großer ganzer Zahlen leicht ist, jedoch für die 8 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE Faktorisierung einer großen gegebenen ganzen Zahl kein effizienter Algorithmus bekannt ist. 6. Der chinesische Restsatz Wir notieren die Menge aller Restklassen modulo m als Z/mZ. Modulare Arithmetik tarnsportiert die Struktur von Z; es gilt nämlich: Z/mZ ist ein Ring (ein Faktorring im Sinne der Algebra). Der Restklassenring Z/mZ ist genau dann ein Körper, wenn m eine Primzahl ist. Z/mZ ist der so genannte Restklassenring bzw. Restklassenkörper modulo m; die zugehörige Einheitengruppe heißt prime Restklassengruppe modulo m und wird mit (Z/mZ)∗ bezeichnet; ihre Ordnung ist gleich ϕ(m). Mit dem Eulerschen Satz lässt sich über die Lösbarkeit linearer Kongruenzen aX ≡ b mod m entscheiden; falls diese überhaupt lösbar sind, liefert der euklidische Algorithmus ein Lösungsverfahren. Systeme linearer Kongruenzen behandelt der chinesische Restsatz: Zu gegebenen paarweise teilerfremden Zahlen m1 , . . . , mk und beliebigen a1 , . . . , ak besitzt das lineare Kongruenzsystem X ≡ aj mod mj für j = 1, . . . k eine eindeutige Lösung P x mod m, wobei m := m1 · . . . · mk ; diese Lösung lässt sich explizit als x = 1≤j≤k aj (m/mj )ϕ(mj ) angeben. Sun Tsu stellte hierzu im vierten Jahrhundert folgende Aufgabe: Gegeben sei eine unbekannte Zahl, welche bei Division durch 3 den Rest 2 lässt, während bei Division durch 5 der Rest 3 entsteht, sowie der Rest 2 bei Division durch 7; um welche Zahl(en) handelt es sich? Mit dem chinesischen Restsatz ergibt sich eine bijektive Abbildung Y Z/mj Z Z/mZ → 1≤j≤k x mod m 7→ (x mod m1 , . . . , x mod mk ) und damit die Isomorphie beider Seiten; selbiges gilt ebenso für die jeweiligen primen Restklassengruppen. Es folgt damit die Produktdarstellung Y 1 , ϕ(m) = m 1− p p|m wobei das Produkt über alle Primteiler p von m läuft; insbesondere gilt ϕ(mn) = ϕ(m)ϕ(n) für teilerfremde m, n, womit ϕ ein erstes Beispiel einer multiplikativen arithmetischen Funktion ist (und eine Anwendung hiervon wird im RSAKryptosystem benutzt; s.o.). Ein covering system ist eine Menge von Kongruenzen X ≡ aj mod mj für j = 1, . . . k, so dass jede ganze Zahl mindestens eine dieser Kongruenzen erfüllt; beispielsweise liefern die Paare (aj , mj )j = {(0, 2), (1, 3), (1, 4), (3, 6), (11, 12)} ein solches. Unbekannt ist eine Frage von Selfridge, ob es ein ’covering system’ mit verschiedenen ungeraden Moduln mj gibt? 7. Primitivwurzeln Gegeben eine prime Restklasse a mod m, heißt die kleinste natürliche k mit der Eigenschaft ak ≡ 1 mod m die Ordnung von a mod m und wird mit o(a; m) bezeichnet. Falls o(a; m) = ϕ(m) gilt, erzeugt a die gesamte prime Restklassengruppe modulo m; solch ein a heißt Primitivwurzel. Beispielsweise ist 2 mod 11 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 9 eine solche Primitivwurzel, denn 1 = 20 , 2 = 21 , 3 ≡ 29 , 4 = 22 , 5 ≡ 24 , 6 ≡ 210 , 7 ≡ 28 , 8 = 23 , 9 ≡ 27 , 10 ≡ 26 mod 11. Die Brüche 1 7 = 0, 142857 , 2 7 = 0, 285714 , 3 7 = 0, 428571 usw. besitzen eine periodische Dezimalbruchentwicklung maximaler Länge, denn 10 ist eine Primitivwurzel modulo 7. Modulo einer Primzahl p existieren genau ϕ(p − 1) Primitivwurzeln. Damit sind die primen Restklassengruppen modulo Primzahlen stets zyklisch! Der Beweis beruht u.a. darauf, dass ein Polynom P ∈ Z[X] modulo einer Primzahl p höchstens deg P viele Wurzeln besitzt; wie das Beispiel X 2 − 1 mod 8 zeigt, ist dies für zusammengesetzte Moduln falsch. In Kombination mit dem kleinen Fermat folgt: Das Polynom X p−1 −1 besitzt p−1 verschiedene Wurzeln. Ist g mod p eine Primitivwurzeln, so ergeben sich die weiteren Primitivwurzeln modulo p durch gk mit zu ϕ(p) = p − 1 teilerfremden k; im Fall p = 11 ergeben sich so die ϕ(10) = 4 Primitivwurzeln 21 = 2, 23 ≡ 8, 27 ≡ 9, 29 ≡ 3 mod 11. Für zusammengesetzte Moduln zeigte Gauß: (Z/mZ)∗ besitzt genau dann eine Primitivwurzel, ist also genau dann zyklisch, wenn m = 1, 2, 4, pk oder 2pk mit einer ungeraden Primzahl p und k ∈ N. Das diskrete Logarithmus-Problem (in der primen Restklassengruppe) fragt bei gegebenen, zu einer Primzahl p teilerfremden g, h nach dem Exponenten e, so dass h ≡ ge mod p gilt. Die Unkenntnis einer Lösung dieser Aufgabe ist Basis für kryptographische Verfahren wie etwa der Diffie-Hellman-Schlüsselaustausch.‡ Es ist also auch kein Algorithmus bekannt, der effizient eine Primitivwurzel zu einem gegebenen Modul berechnet; die kleinste Primitvwurzel modulo 191 ist 19. Ungelöst ist auch Artins Vermutung, dass jedes a > 1 Primitivwurzel für unendlich viele Primzahlen p ist. Lineare Kongruenzen werden wie auch lineare diophantische Gleichungen mit Hilfe des euklidischen Algorithmus gelöst. Im Folgenden untersuchen wir quadratische Kongruenzen auf deren Lösbarkeit. Diese Theorie der quadratischen Reste basiert auf Vorarbeiten von Euler und Legendre sowie der systematischen Grundlegung durch Gauß und markiert den Beginn der modernen Zahlentheorie. 8. Quadratische Reste und Nichtreste Die allgemeine quadratische Kongruenz aX 2 + bX + c ≡ 0 mod m mit zu m teilerfremden a ist genau dann lösbar, wenn die Diskriminante 4a−bc ein Quadrat modulo m ist. Der Fall m = 2 ist trivial; im Folgenden sei zunächst unser Modul p > 2 prim. Eine prime Restklasse a mod p heißt quadratischer Rest modulo p, wenn die Kongruenz X 2 ≡ a mod p lösbar ist; andernfalls heißt a quadratischer Nichtrest. Es gibt p−1 2 quadratische Reste modulo p; diese ergeben sich als die paarweise inkongruenten Restklassen x2 mod p für 1 ≤ x ≤ p−1 2 ; z.B.: x x2 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1 4 9 5 3 3 5 9 4 1 mod 11. ‡ Für alle ’rechnerischen’ Belange rund um Primzahlen und Kryptographie empfehlenswert ist Prime Numbers von R.E. Crandall & C. Pomerance, Springer 2007. 10 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE Die Symmetrie folgt aus (p − x)2 ≡ x2 mod p. Das Legendre-Symbol ist erklärt durch +1 falls a quadr. Rest, a 0 falls p | a, = p −1 falls a quadr. Nichtrest; dies definiert eine (offensichtlich) p-periodische arithmetische Funktion. a b Tatsächlich ist das Legendre-Symbol streng multiplikativ ( ab p ) = ( p )( p ) (ist also ∗ ein Gruppenhomomorphismus (Z/pZ) → {±1}), wie aus dem Euler-Kriterium p−1 folgt: ( ap ) ≡ a 2 mod p. Der Beweis desselben erfolgt mit Hilfe einer Primitivwurzel g; dabei zeigt sich, dass die quadratischen Reste alle von der Form g2k sind und eine Untergruppe der primen Restklassengruppe modulo p bilden. 9. Einheitswurzeln und Gaußsche Summen Die komplexen Wurzeln der Gleichung X n − 1 = 0 heißen n-te Einheitswurzeln und sind gegeben durch 2πk 2πk ζnk = exp( 2πik n ) = cos n + i sin n für 0 ≤ k < n. Die Menge der n-ten Einheitswurzeln bildet eine zyklische Gruppe der Ordnung n; jeder der ϕ(n) Erzeuger heißt primitive n-te Einheitswurzel, z.B. ζn1 = exp( 2πi n ) (in Analogie zu Primitivwurzeln in der primen Restklassengruppe). Mit Hilfe der geometrischen Reihe zeigt sich die Orthogonalitätsrelation: X n falls a ≡ 0 mod n, ak ζn = 0 sonst. 0≤k<n Insbesondere verschwindet also die Summe aller n-ten Einheitswurzeln. Die ζnk für 0 ≤ k < n definieren als Eckpunkte ein regelmäßiges n-Eck (der komplexen Einheistkreislinie einbeschrieben). Gauß zeigte (als Siebzehnjähriger!): Das regelmäßige n-Eck ist genau dann mit Zirkel und Lineal konstruierbar, wenn n das Produkt einer Zweierpotenz und verschiek dener Fermatscher Primzahlen fk := 22 + 1 ist; tatsächlich zeigte erst Wantzel die Notwendigkeit der Bedingung. (Die einzigen bislang bekannten Fermatschen Primzahlen sind 3, 5, 17, 257 und 65 537, und es wird vermutet, dass es keine weiteren gibt.) Das reguläre Fünfeck (Pentagramm) konstruiert sich leicht√vermöge cos 2π 5 = Abbildung 4. Das regelmäßige Fünfeck ist konstruierbar. = (2G)−1 mit Re ζ5 = 12 (ζ5 + ζ54 ) = 5−1 4 (mal wieder) dem Goldenen Schnitt G gilt. Gauß konstruierte das reguläre Siebzehneck und berechnete hierzu den algebraischen Wert cos( 2π ) 17 = 1 16 −1 + √ 17 + q r ! q q √ √ √ √ 34 − 2 17 + 2 17 + 3 17 − 34 − 2 17 − 2 34 + 2 17 . EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 11 Im Folgenden sei p eine ungerade Primzahl und ζ := ζp = exp( 2πi p ). Die zum Legendre-Symbol modulo p assoziierte Gaußsche Summe ist die gewichtete Summe von Einheitswurzeln X b ζ ab τa := p b mod p sowie τ := τ1 ; hierbei läuft die Summation über ein vollständiges (primes) Restsystem modulo p. Gauß fand die folgenden fundamentalen Beziehungen: X p−1 a 2 τa = τ, τ = ζ x , τ 2 = (−1) 2 p. p x mod p Die Beweise basieren auf dem Restklassenkalkül und der√Orthogonalitätsrelation.§ Insbesondere ist jeder quadratische Zahlkörper Q( d) in einem Kreisteilungskörper enthalten; der Satz von Kronecker–Weber besagtm sogar: jede endliche abelsche Körpererweiterung K von Q ist ein Teilkörper eines Kreisteilungskörpers Q(ζn ).¶ 10. Das quadratische Reziprozitätsgesetz Das quadratischen Reziprozitätsgesetz besagt: Für zwei verschiedene ungerade Primzahlen p und q gilt p−1 q−1 q p = (−1) 2 2 . q p Vermutet von Euler gab Gauß den ersten Beweis; sein sechster von insgesamt acht Beweisen, die er hierfür fand, basiert auf Gaußschen Summen und Kongruenzrechnung modulo q Z[ζp ].k Das Reziprozitätsgesetz liefert also Information über die Lösbarkeit von verschiedenen quadratischen Gleichungen in verschiedenen Restklassenkörpern! Das erste bzw. zweite Ergänzungsgesetz besagt: p−1 −1 +1, falls p ≡ +1 mod 4, = (−1) 2 = −1, falls p ≡ −1 mod 4. p und p2 −1 2 +1, falls p ≡ ±1 mod 8, = (−1) 8 = −1, falls p ≡ ±3 mod 8. p (diese ergeben sich aus dem Euler-Kriterium bzw. wiederum mittels Gaußscher Summen). Damit lässt sich nun jedes Legendre-Symbol berechnen. Ein Beispiel: 2 73 −1 36 6 37 = +1. =+ = = +1 bzw. . . . = = 73 37 37 37 37 Als Anwendung lassen sich nun die Primzahlen p charakterisieren, zu denen ein vorgegebenes a ein quadratischer Rest mod p ist; beispielsweise zeigt sich so, dass ( 13 p ) = +1 genau für die Primzahlen p ≡ ±1, ±3, ±4 mod 13 gilt. Eine weitere Konsequenz: Es existieren unendlich viele Primzahlen in der arithmetischen Progression 4Z + 1. Als Beweiseinstieg benutzt man hier die Existenz einer Lösung √ Die genaue Bestimmung des komplexen Vorzeichens der Gauß-Summe τ , nämlich τ = p fr √ p ≡ 1 bzw. = i p für p ≡ 3 (mod )p, soll Gauß sogar vier Jahre Forschung gekostet haben. ¶ Mehr hierzu und auch zur Konstruierbarkeit mit Zirkel und Lineal in der empfehlenswerten Einführung in die Zahlentheorie und Algebra von Jürgen Wolfart, Vieweg 1996. k Mittlerweile existieren mindestens 196 verschiedene Beweise! § 12 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE der quadratischen Kongruenz X 2 + 1 ≡ 0 mod p. Allgemeiner als das LegendreSymbol erklärt sich das Jacobi-Symbol durch a Y a ν(m;p) Y = für ungerade m = pν(m;p) . m p p|m p|m Mit diesem Kunstgriff erleichtert sich die Bestimmung vieler quadratischer Reste, es gelten nämlich die analogen Formeln zum Legendre-Symbol, jedoch ist a ) = −1 zwar impliziert, dass X 2 ≡ a mod m unlösbar ist, zu beachten, dass ( m a allerdings ( m ) = +1 nicht die Lösbarkeit. Z.B. ist 2 kein Rest mod 15. Das so genannte Lokal-Global-Prinzip besagt, dass Information über den lokalen Körpern Information über dem globalen Körper liefern: Beispielsweise ist eine rationale Zahl genau dann ein Quadrat (in Q), wenn sie ein Quadrat in allen lokalen Körpern Z/pZ mit Primzahlen p ist. Dieses Prinzip entspringt der nicht-archimedischen Welt der p-adischen Zahlen und ist gültig für quadratische Formen, versagt jedoch bei kubischen Formen.∗∗ Ein weiteres Beispiel: Die Kongruenz (X 2 − 13)(X 2 − 17)(X 2 − 221) ≡ 0 mod p ist für jede Primzahl p lösbar, während die Gleichung (X 2 − 13)(X 2 − 17)(X 2 − 221) = 0 keine Lösung in Z besitzt. 11. Summen von Quadraten Für k ∈ N bezeichne k die Menge all der natürlichen Zahlen n, welche sich als Summe von k Quadraten ganzer Zahlen darstellen lassen. Der Zweiquadratesatz von Fermat besagt: Jede Primzahl p ≡ 1 mod 4 besitzt eine Darstellung als Summe von zwei Quadraten ganzer Zahlen. Der Beweis basiert auf der Existenz einer Lösung der Kongruenz z 2 + 1 ≡ 0 mod p (mit Hilfe des ersten Ergänzungsgesetzes) und der Methode des Fermatschen Abstiegs (frz.: ’descente infinie’) angewandt auf die Menge M aller natürlichen Zahlen m < p, so dass mp ∈ 2 : Die Aussage folgt durch den Nachweis, dass zu beliebigem 1 < g ∈ M = 6 ∅ ein h ∈ M mit h < g gefunden werden kann (vermöge der Wohlordnung). Der Beweis ist (bis auf den Einstieg) konstruktiv; z.B.: 30 449 = 1002 +1432 . Primzahlen p ≡ 3 mod 4 hingegen benötigen stets mindestens drei Quadrate. Gauß zeigte, dass genau dann n ∈ 3 , wenn n 6= 4k (8m + 7) für k, m ∈ N0 . Darüberhinaus besagt der Vierquadratesatz von Lagrange: Jede natürliche Zahl lässt sich als Summe von vier Quadraten schreiben. Der Beweis basiert wiederum auf dem Fermatschen Abstieg und der Normabbildung der Hamiltonschen Quaternionen a + ib + jc + kd (mit i2 = j 2 = k2 = 1 und ijk = 1). Zumal die Menge 1 der Quadrate eine sehr dünne Teilmenge der natürlichen Zahlen bilden, ist N = 4 eine sehr erstaunliche Aussage. Das Waringsche Problem fragt nach der minimalen Anzahl g = g(k), so dass jede natürliche Zahl als Summe von höchstens g vielen k-ten Potenzen dargestellt werden kann. Hilbert zeigte, dass g(k) < ∞ für alle k ≥ 2 gilt. Eine andere, leichtere Frage: Welche Zahlen lassen sich als Differenz von Quadraten schreiben? • • △ △ △ • △ ⋆ △ △ ⋆ ⋆ ⋆ ⋆ ... ∗∗ hierzu konsultiere man etwa die Zahlentheorie von S.I. Borewicz & I.R. Šafarevič, Birkhäuser 1966 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 13 Die Menge Z[i] der√ganzen Gaußschen Zahlen a + ib (mit i = −1) bildet einen euklidisch und insbesondere faktoriellen Ring. Mit Hilfe der Normabbildung a + ib 7→ a2 + b2 folgt die Identität (a2 + b2 )·(c2 + d2 ) = (ac− bd)2 + (ad+ bc)2 , und die Menge 2 aller n ∈ N, welche sich als Summe von zwei Quadraten darstellen lassen, multiplikativ abgeschlossen. Damit folgt: Es gilt genau dann n ∈ 2 , wenn die Exponenten der Primfaktoren p ≡ 3 mod 4 in der Primfaktorzerlegung von n alle gerade sind. Ferner sind genau die Primzahlen p ≡ 1 mod 4 reduzibel und die Primzahlen p ≡ 3 mod 4 irreduzibel in Z[i]. Abbildung 5. Eine Darstellung von 41 als Summe von zwei Quadraten auf einer Fliese am Bahnhof in Tottori (Japan). Nun untersuchen wir diophantische Gleichungen. Das zehnte Hilbertsche Problem fragt nach einem Algorithmus, der entscheidet, ob eine gegebene diophantische Gleichung (über Z) lösbar ist; Matjasevich gab 1970 hierzu eine negative Antwort!†† (Für den Körper Q ist die entsprechende Fragestellung noch ungelöst.) Spezielle über Z (oder Q) definierte Gleichungen lassen sich manchmal mittels einer geeigneten Faktorisierung hinsichtlich ganzzahliger (oder rationaler) Lösbarkeit untersuchen. 12. Pythagoräische Tripel und die Fermat-Gleichung Natürliche Zahlen x, y, z mit x2 + y 2 = z 2 bilden ein pythagoräisches Tripel (mit Blick auf die Geometrie rechtwinkliger Dreiecke), z.B.: 3–4–5 und 5–12– 13. Pythagoräische Tripel erleichtern die Konstruktion rechtwinklieger Dreiecke; neben diesem praktischen Nutzen liefern sie auch ein Beispiel einer diophantischen Gleichung mit unendlich vielen Lösungen: Euklids Parametrisierung besagt nämlich: Jedes pythagoräische Tripel ist von der Gestalt x = a2 − b2 , y = 2ab, z = a2 + b2 für a > b; wenn hierbei a und b unterschiedlicher Parität sind, ist das Tripel x–y–z primitiv, d.h. x, y, z sind paarweise teilerfremd. Pythagoräische Tripel liefern in eineindeutiger Weise die rationalen Punkte auf dem Einheitskreis: u2 + v 2 = 1 mit u = xz , v = yz , welche sich durch den Schnitt mit Geraden rationaler Steigung durch (−1, 0) ergeben (bekannt als Bachets Sekanten-Tangenten-Methode, welche auch Struktur bei elliptischen Kurven liefert). Hingegen besagt Fermats letzter Satz, dass die Gleichung Xn + Y n = Zn für n≥3 nur triviale Lösungen in ganzen Zahlen besitzt (also solche, die sofort ersichtlich sind); der biquadratische Spezialfall (also n = 4) folgt mit Hilfe von Euklids Parametrisierung der pythagoräischen Tripel und der Fermatschen Abstiegsmethode. Tatsächlich gilt sogar: X 4 +Y 4 = Z 2 besitzt keine Lösungen in N. Die Fermatsche †† was Henri Darmon folgendermaßen quotierte: “In other words: a number theorist cannot be replaced by a computer! 14 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE Abbildung 6. Im Bild die Gerade durch die Punkte (−1, 0) und ( 53 , − 45 ); dieser Schnitt mit dem Einheitskreis liefert das pythagoräische Tripel 3–4–5. Vermutung (im angelsächsischen Sprachraum auch als ’Fermat’s last theorem’ bekannt) aus dem 17. Jahrhundert für den allgemeinen Exponenten wurde erst 1995 von Anrew Wiles gelöst (womit obiger Name letztlich gerechtfertigt ist).∗ Sowohl bei Euklids Charakterisierung der pythagoräischen Tripel als auch im Beweis des Fermatschen Satzes für den Exponenten n = 4 ist ausschlaggebend, dass aufgrund der eindeutigen Primfaktorzerlegung die teilerfremden Faktoren eines Quadrates selbst wieder Quadrate sein müssen. Eine Vielzahl von diophantischen Problemen (wie auch das Fermatsche für hinreichend große Exponenten) folgte aus der ungelösten die abc-Vermutung die besagt, dass eine Gleichung der Form a + b = c in ganzen teilerfremden Zahlen a, b, c die Abschätzung 1+ǫ Y max{|a|, |b|, |c|} ≤ Cǫ p p|abc für ein beliebiges ǫ nachsichzieht, wobei Cǫ eine von ǫ abhängige Konstante ist. Das Analogon für Polynome ist ein Satz von Stothers & Mason (unabhg.).† 13. Kongruenzzahlen und elliptische Kurven Eine natürliche Zahl n heißt Kongruenzzahl, wenn es ein rechtwinkliges Dreieck mit rationalen Seitenlängen und Fläche n gibt; dies lässt sich auch als folgendes diophantisches Problem formulieren: a2 + b2 = c2 ∗ und n = 21 ab, wenngleich auch Homer Simpson folgende Gegenbeispiele entdeckte und öffentlich bekannt machte: 178212 + 184112 = 192212 sowie 398712 + 436512 = 447212 † siehe etwa Diophantine Analysis von Jörn Steuding, Chapman Hall 2004 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 15 224403517704336969924557513090674863160948472041 8912332268928859588025535178967163570016480830 411340519227716149383203 21666555693714761309610 157 6803298487826435051217540 411340519227716149383203 Abbildung 7. 157 ist eine Kongruenzzahl; der Beweis ist mühsame Rechnerei. Aber wie gelangt man zu einem solchen expliziten Dreieck? Und tatsächlich ist dies das einfachste von unendlich vielen ... wobei a, b, c ∈ Q gesucht sind. Mit dem pythagoräischen Tripel 3–4–5 offenbart sich n = 6 als eine Kongruenzzahl; ferner ist n = 5 eine Kon41 gruenzzahl, denn 23 – 20 3 – 6 bildet ein rechtwinkliges Dreieck mit Flächeninhalt 5 (wie zuerst Fibonacci beobachtete). Die ersten Kongruenzzahlen sind 5, 6, 7, 13, 14, 15, 20, . . . , 96, 101, . . . , 2012, . . .. Die Existenz dreier Quadrate rationaler Zahlen in arithmetischer Progression, also x2 = y 2 − n und z2 = y2 + n ist äquivalent dazu, dass n eine Kongruenzzahl ist. Gesucht sind also rationale Punkte auf zwei speziellen Quadriken; Mulitplikation derselben liefert eine kubische Kurve und (vermöge X = y 2 ) ist n genau dann eine Kongruenzzahl, wenn die Kurve En : Y 2 = (X − n)X(X + n) einen rationalen Punkt (x, y) mit y 6= 0 enthält. Sei nun K ein Körper einer Charakteristik 6= 2, 3. Dann definiert die Menge aller Punkte (x, y) ∈ K2 , welche der kubischen Gleichung Y 2 = X 3 + aX + b mit 4a3 + 27b2 6= 0 genügen, plus ein unendlich ferner Punkt ∞ eine elliptische Kurve E(K). Legt man eine Sekante durch zwei K-rationale Punkte P, Q ∈ E(K), so existiert ein dritter Schnittpunkt P ∗ Q = (x, y) auf E(K) mit Koordinaten in K; dessen Spiegelbild wird als die Summe der beiden Punkten definiert: (x, −y) =: P + Q. Mit dieser Addition + von Punkten ist die elliptische Kurve E(K) eine abelsche Gruppe wie Poincaré zeigte; Mordell bewies überdies, dass diese sogar endlich erzeugt ist. Mit Hilfe der Fermatschen Abstiegsmethode zeigt sich: Die Gleichung Y 2 = X 3 − X besitzt nur die trivialen Lösungen (x, y) = (0, 0) und (±1, 0) in Q2 ; diese Punkte sowie ∞ bilden die elliptische Kurve E1 (Q); insbesondere ist weder n = 1 noch irgend ein Quadrat eine Kongruenzzahl wie zuerst Fermat bewies. Andererseits ist E6 (Q) unendlich. Für einen endlichen Körper Z/pZ bewies Hasse die Ungleichung √ |p + 1 − ♯E(Z/pZ)| < 2 p. Die Existenz vieler Punkte auf ’vielen’ lokalen Kurven E(Z/pZ) sollte mit ’vielen’ rationalen Punkten auf der globalen Kurve E(Q) korrespondieren; solch ein Lokal-Global-Prinzip ist für allgemeine Kegelschnitte bekannt (vgl. §10), nicht aber für kubische Kurven. Die ungelöste Vermutung 16 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE Y2 =X3 -62 X 20 P=H-3,9L 9360006 15120493920 P+Q=H , L 1324801 1524845951 10 1074902978 394955797978664 Q=H- , L 2015740609 90500706122273 -5 5 10 15 -10 -20 Abbildung 8. Addition von Punkten auf der elliptischen Kurve Y 2 = X 3 − 62 X. Die Kurve E6 enthält unendlich viele rationale Punkte. von Birch & Swinnerton–Dyer gibt ein solches Kriterium für unendliche E(Q) in Abhängigkeit von den lokalen Gruppenordnungen ♯E(Z/pZ).‡ Im Wechselspiel mit diophantischen Gleichungen steht die diophantische Approximation. Manchmal existiert ein enger Zusammenhang zwischen ganzzahligen (rationalen) Lösungen algebraischer Gleichungen mit den rationalen Näherungen gewisser zugeordneter Irrationalzahlen. Insbesondere bei der Frage nach ganzzahligen (oder rationalen) Punkten auf Kegelschnitten sind solche Wechselbeziehungen zu beobachten: So fragte Archimedes seinerzeit Eratosthenes (in einer Textaufgabe zur Anzahl der Rinder des Sonnengottes) nach einer Lösung der Gleichung X 2 − 4 729 494Y 2 = 1 in natürlichen Zahlen. Bereits die Lösbarkeit des Problems ist keineswegs trivial und die kleinste Lösung x besitzt 45 Dezimalstellen! tatsächlich sind hierfür rationale Näherungen an √ 4 729 494 verantwortlich... ‡ Zum Kongruenzzahlproblem und elliptischen Kurven mehr im Buch Introduction to Elliptic Curves and Modular Forms von Neil Koblitz, Springer 1993. EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 17 14. Kettenbrüche sind Ausdrücke der Gestalt 1 [a0 , a1 , a2 , . . . , an , αn+1 ] := a0 + a1 + , 1 a2 + ... 1 + 1 am−1 + an + 1 αn+1 wobei a0 ∈ Z und die Teilnenner an ∈ N für n ∈ N sowie αn+1 > 1 sind. Die abgeschnittenen Näherungsbrüche pqnn = [a0 , a1 , . . . , an ] lassen sich rekursiv durch pn = an pn−1 + pn−2 , p−1 = 1, p0 = a0 , und q−1 = 0, q0 = 1, und qn = an qn−1 + qn−2 berechnen. Jede reelle Zahl lässt sich vermöge des Kettenbruchalgorithmus 1 sowie an := ⌊αn ⌋ für n = 0, 1, . . . in einen α0 := α und αn = ⌊αn ⌋ + αn+1 solchen Kettenbruch entwickeln. Für rationale α bricht diese Iteration ab und es entsteht ein endlicher Kettenbruch, der sich im Wesentlichen aus dem euklidischen Algorithmus ergibt. Der Calkin-Wilf-Baum wird gebildet vermöge der Iteration a a a+b (1) 7→ , b a+b b 1 aus der Wurzel 1 . In diesem binären Baum tritt jede positive rationale Zahl genau einmal auf, und zwar als gekürzter Bruch. Außerdem stehen in der n-ten Generation genau die positiven rationalen Zahlen mit Teilnennersumme gleich n; hier die ersten vier Generationen: 1 4 1 3 u uuu uuu 1 2 jj jjjj j j j j jjjj JJJ JJJ J 777 4 3 3 5 3 2 1 1 TTTT TTTT TTTT TT u uuu uuu 777 5 2 2 5 2 3 2 1 JJJ JJJ J 777 5 3 3 4 3 1 777 4 1 Für Irrationalzahlen α bricht der Kettenbruchalgorithmus nicht ab, und es entsteht ein konvergenter unendlicher Kettenbruch: Sei α = [a0 , a1 , . . . , an , αn+1 ] irrational mit Näherungsbrüchen pqnn , dann gilt α− pn (−1)n = qn qn (αn+1 qn + qn−1 ) (was den Dirichletschen Approximationssatz noch verschärft) und insbesondere α = limn→∞ pqnn = [a0 , a1 , a2 , . . .]. Wir nennen pq eine beste rationale Approximation an ein α ∈ R, wenn |qα − p| < |nα − m| für alle m n mit n ≤ q gilt, wenn also insbesondere keine bessere rationale Näherung mit kleinerem oder gleich großen Nenner existiert. Das Gesetz der besten Näherungen besagt: Die besten rationalen Approximationen an eine reelle Irrationalzahl sind die Näherungsbrüche der Kettenbruchentwicklung. Dem Kettenbruch π = [3, 7, 15, 1, 292, 1, 1, 1, 21, 31, 14, 2, 1, 2, 2, 2, . . .] liest man die sukzessive be333 355 sten rationalen Näherungen 3, 22 7 , 106 , 113 , . . . ab; die letzte war bereits Sun Tsu 18 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE im fünften Jahrhundert bekannt, eine systematische Theorie der Kettenbrüche entstand aber erst seit Huygens im 17. Jahrhundert. Die metrische Kettenbruchtheorie behandelt mit ergodentheoretischen und probabilistischen Methoden die Statistik von Teilnennern sowie das fast sichere Verhalten der Folge der Näherungsbrüche. Beispielsweise besagt ein Satz von Khintchine, dass fast alle reellen Zahlen x ∈ (0, 1) die relative Häufigkeit eines 1 )/ log 2 zu vorgegebenem k ∈ N ist. Teilnenners an (x) = k gleich log(1 + k(k+2) 15. Quadratische Irrationalzahlen sind algebraische Zahlen vom Grad zwei und lassen sich stets in der Form √ d ∈ Z und a, b ∈ Q darstellen; die zugehöriα = a + b d mit quadratfreiem √ ge Körpererweiterung Q( d) heißt quadratischer Zahlkörper und ist ein zweidi√ mensionaler Q-Vektorraum; einen Unterring bildet Z[ d]. Mit Hilfe der rekursiv durch F0 = √ 0, F1 = 1 und Fn+1 = Fn + Fn−1 definerten Fibonacci-Zahlen ergibt sich so 5+1 = [1, 1, 1, . . .] = [1] mit allen Teilnennern gleich eins; weitere 2 Beispiele quadratischer Irrationalzahlen sind etwa p p n2 + 1 = [n, 2n] und n2 + 2 = [n, n, 2n] für beliebiges n ∈ N, wobei aj , . . . , aj+N eine Periode andeutet. Tatsächlich gilt (in Analogie zur Charakterisierung der rationalen Zahlen als diejenigen mit periodischer oder abbrechender Dezimalbruchentwicklung) der Satz von LagrangeEuler: Eine Irrationalzahl besitzt genau dann eine periodische Kettenbruchentwicklung, wenn sie quadratisch irrational ist. Der Satz von Galois beschreibt diese für Wurzeln natürlicher Zahlen noch genauer: Für quadratfreies d ∈ N gilt √ √ √ d = [⌊ d⌋, a1 , a2 , . . . , a2 , a1 , 2⌊ d⌋]. Insbesondere sind die Teilnenner der Kettenbrüche quadratischer Irrationalzahlen beschränkt; es ist eine offene Frage, √ ob die Teilnenner algebraischer Irrationalitäten höheren Grades wie etwa 3 2 unbeschränkt sind? 16. Die Pellsche Gleichung Existieren ganzzahlige Punkte auf einer Hyperbel? Oder äquivalent: Besitzt die Pellsche Gleichung X 2 − dY 2 = 1 mit d∈N Lösungen in Z? Stets ist x = ±1, y = 0 eine solche Lösung, aber existieren auch weitere, wobei wir wegen der Symmetrien nur noch nach Lösungen (x, y) ∈ N2 fragen. Ist d ein Quadrat, existieren neben der trivialen Lösung keine weiteren (wie Faktorisieren zeigt).√Andernfalls sind Lösungen (x, y) unter√sehr guten rationalen Näherungen an d zu suchen: Faktorisieren im Ring Z[ d] liefert √ √ √ 1 x 2 2 d− = √ bzw. . 1 = x − dy = (x − y d)(x + y d) y y2( d + x ) √ y Mit dieser Idee von Euler gelingt: Wenn d 6∈ Q und bezeichnet pn /qn die Fol√ ge der Näherungsbrüche an d, so liefert x = pm , y = qm für m = δkN − 1 mit beliebigem k ∈ N sämtliche Lösungen der Pellschen √ Gleichung, wobei N die Länge der minimalen Periode des Kettenbruches von d ist und δ = 1 oder 2 ist, je nachdem ob N gerade oder ungerade ist. Insbesondere liegen also unendlich EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 19 viele ganzzahlige Punkte auf der durch die Pellsche Gleichung definierten Hyperbel. Diese bilden eine zyklische Gruppe, wobei Potenzen der Fundamentallösung 15 10 5 -5 5 10 15 20 -5 -10 -15 Abbildung 9. Ganzzahlige Gitterpunkte auf der Hyperbel X 2 − 2Y 2 = 1. Die trivialen Punkte (±1, 0) sowie die nicht-trivialen Punkte (±3, ±2) bzw. ihre ’Quadrate’ (17, ±12). Dem Gitterpunkt (99, 70) liegt das Din A-Format zugrunde. (x0 , y0 ) mit minimalem x0 ∈ N alle Lösungen liefern vermöge √ √ (x0 + y0 d)k = xk + yk d für k ∈ Z. √ Tatsächlich bilden die Elemente x + y d mit Norm x2 − dy 2 gleich eins die √ Einheitengruppe im Ring Z[ d]. √ [1, 2] (3, 2) √2 = [1, 1, 2] (2, 1) √3 = 5 = [2, 4] (9, 4) √ [4, 2, 1, 3, 1, 2, 8] (170, 39) √19 = 61 = [7, 1, 4, 3, 1, 2, 2, 1, 3, 4, 1, 14] (1 766 319 049, 226 153 980) √ [9, 1, 18] (10, 1) √ 99 = 2002 = [44, 1, 2, 1, 9, 5, 6, 9, 1, 2, 1, 88] (11 325 887, 253 128) Die Pellsche Minus-Gleichung X 2 − dY 2 = −1 hingegen ist schwieriger zu behandeln; sie ist offensichtlich unlösbar im Falle d ≡ 3 mod 4. 20 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE Nun behandlen wir mit Primzahlverteilung ein zentrales Thema der Zahlentheorie. Aufhänger: Wie sind die (unendlich vielen) Primzahlen verteilt? Werden gewisse Restklassen bevorzugt? Ram Murty zeigte, dass ein euklidischer Beweis für den Nachweis unendlich vieler Primzahlen in einer primen Restklasse a mod q genau dann existiert, wenn a2 ≡ 1 mod q gilt (vgl. unsere Ergebnisse für ±1 mod 4). Zur Beantwortung der Verteilungsfrage bei beliebigen primen Restklassen führte Dirichlet 1837 zwei wichtige Hilfsmittel (analytischer und algebraischer) Natur ein. 17. Charaktere Es sei G eine endliche abelsche Gruppe der Ordnung ♯G. Ein nicht-trivialer multiplikativer Gruppenhomomorphismen χ G :→ C∗ heißt Charakter; es gilt also χ(gh) = χ(g)χ(h) für alle g, h ∈ G, und die Wertemenge von χ ist die Gruppe der ♯G-ten Einheitswurzeln. Es gibt genau ♯G verschiedene Charaktere und die Menge dieser Charaktere bildet die zu G isomorphe Charaktergruppe Ĝ mit dem Hauptcharakter χ0 ≡ 1 als neutralem Element und der durch (χ1 · χ2 )(g) := χ1 (g)χ2 (g) für g ∈ G erklärten Multiplikation; das Inverse von χ ist der komplex konjugierte Charakter χ−1 = χ. Für die primen Restklassengruppen G = Z/q Z entstehen so genannte Restklassencharaktere bzw. Dirichlet-Charaktere χ mod q (wie etwa das Legendre-Symbol im Falle einer Primzahl q = p); beispielsweise existieren so vier Charaktere modulo 5: 1 ≡ 20 2 ≡ 21 4 ≡ 22 3 ≡ 23 χ0 χ1 χ2 χ3 +1 +1 +1 +1 +1 -1 +i -i +1 +1 -1 -1 +1 -1 -i +i χ1 ist hier das Legendre-Symbol. Man beachte, dass Charaktere modulo Primzahlen bereits durch den Wert auf einer Primitivwurzel eindeutig bestimmt sind. Entsprechend ist auch die Charaktergruppe modulo Primzahlen zyklisch (im obigen Beispiel etwa erzeugt von χ2 ). Allgemein besteht die Orthogonalitätsrelation X 1 1 falls n ≡ a mod q, χ(a)χ(n) = 0 sonst; ϕ(q) χ mod q eine alternative Formel gilt bei festem Charakter und Summation über die Restklassen. Beispiele additiver Charaktere sind durch die Exponentialfunktion gegeben (siehe §8). 18. Dirichlet-Reihen und Euler-Produkte Gegeben P eine arithmetische Funktion n 7→ f (n) heißt die erzeugende Funktion F (s) := n≥1 f (n)n−s die assoziierte Dirichlet-Reihe. Gilt f (mn) = f (m)f (n) für teilerfremde m, n, so heißt f multiplikativ, bzw. streng multiplikativ, falls die Teilerfremdheitsbedingungen weggelassen werden kann. In diesen Fällen kann die erzeugende Funktion auch als Euler-Produkt über Primzahlen p dargestellt werden: X Y X Y 1 + f (n)n−s = f (pk )p−ks = (1 − f (p)p−s )−1 ; n≥1 p k≥1 p EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 21 hierbei gilt die letzte Identität nur für streng multiplikative f . Prototyp ist die Riemannsche Zetafunktion X Y ζ(s) := n−s = (1 − p−s )−1 n≥1 p sowie Dirichletsche L-Funktionen zu Restklassencharakteren X Y L(s, χ) := χ(n)n−s = (1 − χ(p)p−s )−1 ; n≥1 p diese Reihen bzw. Produkte konvergieren für s > 1 (bzw. Re s > 1 in der komplexen Ebene). Die Identitäten zwischen Dirichlet-Reihe und Euler-Produkt sind gewissermaßen jeweils analytische Versionen der eindeutigen Primfaktorzerlegung der ganzen Zahlen; der Konvergenznachweis der Darstellungen legt ferner die Abschätzungen X1 Y 1 1 und ≥ log log x + O(1) ≪ 1− p log x p p≤x p≤x nahe, wobei O(1) für einen beschränkten Fehlerterm steht. Hinsichtlich der letzten Abschätzung findet sich bereits bei Euler die Formel 12 + 13 + 51 + . . . = log log ∞. Der Primzahlsatz liefert für die Anzahl π(x) der Primzahlen p ≤ x die Asymptotik π(x) ∼ logx x bei x → ∞; der Beweis§ basiert auf einer Analyse von ζ(s) als Funktion einer komplexen Veränderlichen. (Analoge quantitative Ergebnisse gelten für das Auftreten von Primzahlen in arithmetischen Progressionen.) Die ungelöste Riemannsche Vermutung über das Nichtverschwinden ζ(s) 6= 0 in 1 der Halbebene Re s > 12 impliziert einen Fehlerterm der Größenordnung x 2 +ǫ im Primzahlsatz. 19. Der Dirichletsche Primzahlsatz Mit Hilfe der Orthogonalitätsrelation gilt für teilerfremde a und q bei s > 1 X X X 1 χ(a) χ(p)p−s p−s = ϕ(q) p χ mod q p≡a mod q P −s bis auf einen wobei über Primzahlen p summiert wird. Nun ist p χ(p)p beschränkten Fehlerterm gleich − log L(s, χ) (wie Logarithmieren des EulerProduktes von L(s, χ) zeigt). Nun ist L(s, χ) für χ verschieden vom Hauptcharakter analytisch in s = 1 und es gilt darüberhinaus: L(1, χ) 6= 0; dies ist für nicht-reelle Charaktere leicht nachzuweisen, während für reelle χ die Asymptotik X X f (n) √ = 2N L(1, χ) + O(1) für f (n) = χ(d) n 2 d|n n≤N mit Hilfe Abelscher Teilsummation herzuleiten ist. Aus der Divergenz bei N → ∞ folgt das Nichtverschwinden der Dirichletschen L-Reihen in s = 1 und insbesondere die Unbeschränktheit der Reihe über die Reziproken der Primzahlen p ≡ a mod q, also der Dirichletsche Primzahlsatz: In jeder arithmetischen Progression existieren unendlich viele Primzahlen sofern a und q teilerfremd sind; ferner gilt für die Anzahl π(x; a mod q) der Primzahlen p ≡ a mod q mit p ≤ x 1 π(x; a mod q) = . x→∞ π(x) ϕ(q) lim § in einer weiterführenden Veranstaltung im Master 22 EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE Abbildung 10. Die Riemannsche Zetafunktion (ein Bild bereitgestellt von Elias Wegert): Die komplexen Funktionswerte in der komplexen Ebene werden ihrem Argument entsprechend eingefärbt; interessant ist die Zetafunktion insbesondere dort, wo sie nicht durch ihre Dirichlet-Reihe definiert ist. Damit sind die Primzahlen in den primen Restklassen sogar gleichverteilt.¶ Rubinstein & Sarnak (1994) bestätigten hingegen eine Vermutung von Tschebyscheff, dass Primzahlen in primen Restklassen zu Nichtresten früher auftreten als deren Pendants in zu quadratischen Resten assoziierten primen Restklassen. Im Sommersemester 2013 wird eine vierstündige Vorlesung Zahlentheorie (im Master) angeboten werden, welche insbesondere die letzten Themen dieser Vorlesung als Schwerpunkte weiterführen wird: • Mittelwerte arithmetischer Funktionen: Eine typiche Frage: Wie viele ganzzahlige Gitterpunkte liegen in einem Kreis? Hierzu gehört die Leibnizsche Formel L(1, χ) = π4 für den Nicht-Charakter χ mod 4. Auch behandelt werden: Das Dirichletsche Teilerproblem zum Mittelwert der P stark oszillierenden Teilerfunktion n 7→ d|n 1 bzw. die Ergebnisse von Hardy & Ramanujan zur durchschnittlichen Anzahl ω(n) der Primfaktoren von n. ¶ Das Buch Einführung in die analytische Zahlentheorie von Jörg Brüdern, Springer 1996, stellt weitaus tiefere Ergebnisse dieser Art bereit. EINFÜHRUNG ZAHLENTHEORIE 23 • Primzahlverteilung mit dem anaytischen Beweis des Primzahlsatzes. Ferner die Funktionalgleichung der Riemannschen Zetafunktion, sowie der Zusammenhang zwischen der Riemannschen Vermutung und dem Fehlerterm im Primzahlsatz (vermöge der expliziten Formel). Auch soll ein Ausblick auf die Verteilung der Primzahlen in arithmetischen Progressionen und eine tiefere Analyse Dirichletscher L-Funktionen gegeben werden. • Quadratische Formen und Arithmetik in Ganzheitsringen: Hier behandeln wir Quadratische Formen (x, y) 7→ ax2 + bxy + cy 2 und ihre Reduktionstheorie. Wir untersuchen den Zusammenhang mit der Arithmetik in quadratischen Zahlkörpern, insbesondere führen wir den Nachweis der Endlichkeit der Klassenzahl (als Maß für die Zerlegbarkeit in Primelemente) und deren Berechnung mittels der analytischen Klassenzahlformel von Dirichlet – ein weiterer Zusammenhang zu Werten L(1, χ) gewisser Dirichletscher L-Funktionen. • Diophantische Aspekte: Fragen zur Gleichverteilung wie etwa: Wie ist die Folge der gebrochenen Anteile von nα bei gegebenem α (rational oder irrational) und n ∈ N verteilt? Was weiß man wenn n hier nur die Primzahlen durchläuft? Entsprechend stellt sich auch die Frage: Nimmt die Folge der Ganzteile der Folge nα auch Primzahlen als Werte an? Welche Zahlen stellen quadratische Formen dar? Diese Fragen knüpfen an den Dirichletschen Primzahlsatz bzw. den Satz von Lagrange an. Angesprochen werden soll aber auch Billard im Kreis und im Quadrat...