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Werbung
Sylvia Meffert. Werbung und Kunst. Ö?ber die phasenweise Konvergenz der SphÖ¤ren Werbung
und Kunst in Deutschland von 1895 bis zur Gegenwart. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2001.
322 S. (broschiert), ISBN 978-3-531-13537-3.
Reviewed by Nadine Ihle (Osnabrück)
Published on H-Museum (June, 2003)
“Home to quality, creative expression and artistic
experimentation”. Diese vollmundigen Worte beschreiben keine neue Künstlerkolonie, sondern den Relaunch
der Internetseite der Marke Absolut Vodka. Wenn die
Vermarktung von schwedischem Alkohol mit einem so
eindeutig künstlerisch formulierten Anspruch betrieben
wird, wo fängt dann Werbung an, wo hört Kunst auf,
kann Werbung Kunst sein und wann ist Kunst Werbung?
derts waren die sozioökonomischen Bedingungen von einer immer stärker industrialisierten Alltagswelt geprägt.
Niemals zuvor hatten so viele Menschen in städtischen
Lebensräumen gewohnt; Konsumgewohnheiten änderten sich durch Verbesserung von Nahrungsmittel- und
medizinischer Fürsorge stetig. Die dadurch forcierte Entwicklung eines anonymen Massenmarktes zwang die Firmen zu einer stärkeren Positionierung–es entstanden die
ersten Markenprodukte.
Die Forschung zu den beiden Sphären Kunst und
Werbung betont zumeist die Divergenzen zwischen beiden. Einen neuen Ansatz–bewusst entgegen der kunstwissenschaftlichen Dominanz zum Thema–verfolgt Sylvia Meffert in ihrer Dissertation. Sie bündelt mit Hilfe einer interdisziplinär übergreifenden Fragestellung die historischen Verläufe der Konvergenz von Kunst und Werbung. Dies geschieht mittels einer umfassenden quantitativen und inhaltlichen Untersuchung der Verflechtungen
von Kunst und Werbung sowohl auf künstlerischer als
auch auf institutioneller Ebene und in den jeweiligen Diskursen der Zeit. Gerade die sorgfältige Aufarbeitung der
Diskurse und der daraus entstandenen medienpädagogischen Ansätze zum Thema Kunst und Werbung weist die
Arbeit von Meffert als Grundlagenforschung aus.
Auch die Kunst wurde von der Idee der Masse beflügelt. Es waren vor allem Jugendstilkünstler, die sich von
ihrem Exklusivitätsanspruch befreiten und es sich zur
Aufgabe machten, Kunst “unter’s Volk” zu bringen. Die
drucktechnischen Entwicklungen und die Verfahren der
Papierherstellung erlaubten die rasche Umsetzung derartig hochgesteckter Ziele. Alltägliche Gebrauchsgegenstände rückten in den Fokus der Kunst, und Lithographien wurden zum Vorläufer des modernen Posters. Obwohl quantitativ nicht sehr hoch–die Großzahl der Plakate wurden von Plakathandwerkern im Stil der traditionellen Historienmalerei als Blankovorlage angefertigt–
entfachten die neuen Künstler-Plakate einen aufgeregten
Diskurs, der sich um die grundsätzliche Frage nach der
Notwendigkeit von Werbung drehte.
Drei verschiedene Phasen mit drei jeweils unterschiedlichen Leitmedien hat Meffert von 1895 bis zur Gegenwart ausgemacht: Die Zeit um 1900 mit den Jugendstilplakaten, die Zeit der Pop-Art in Printwerbung der
1960/70er und die TV-Spots der 1980/90er Jahre. Diesen
Phasen widmet sich Meffert in jeweils einem Hauptkapitel mit präzise gewählten, umfassenden Analyseschritten: Von den Rahmenbedingungen über Akteure und
Modalitäten der Konvergenz bis hin zu dem jeweiligen
zeitgenössischen Diskurs. Am Ausgang des 19. Jahrhun-
Die Werbebranche steckte zu jener Zeit noch in den
Kinderschuhen. Werbung galt weithin als unseriös und
ruchbar. Erst die Künstler des Jugendstils holten die Werbung aus ihrer “Schmuddelecke” und erhoben sie zu einem diskutierten Gebiet, dessen Sinn und Nutzen sich
immer stärker zu erkennen gab. Es trafen sich zwei Interessensphären: Künstler konnten zum einen ihren kunstpädagogischen Anspruch umsetzen und sich zugleich
selbst positionieren. Auf der anderen Seite zwang der ent-
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stehende Massenmarkt Firmen, ihre Marken zu bewerben. In dieser Zeit der beginnenden Professionalisierung
der Werbung bedienten sich die Auftraggeber der PlakatKünstler als qualitativ hochwertige Lückenfüller, denn
der Beruf des grafischen Gestalters sollte sich erst Jahrzehnte später ausformen.
tive zur Annäherung von Werbung und Kunst ging diesmal von beiden Seiten gleichermaßen aus. Künstler wie
Herbert Kaufmann oder Fritz Köthe nahmen Werbung als
Teil der Alltagskultur in ihre Kunstwerke auf und setzten
sich auf diesem Weg in provokanter Weise mit der Werbung als Synonym für den Massenmarkt auseinander.Die
Werbung hatte ihrerseits die Jugend als Zielgruppe für
Besonders interessant erscheint beispielsweise die
sich entdeckt. Jugendliche der 60er Jahre waren zugleich
Darstellung der Aktivitäten der Firma Günther Wagner, kritischer und konsumorientierter als ihre Elterngeneradie Meffert neben anderen ausführlich auf einer Me- tion. Diese wenig homogene Gruppe veränderte sich alsoebene analysiert. Der später unter dem Namen Pe- lerdings so schnell, dass sie mit den tradierten Kommulikan GmbH bekannter gewordene Künstlerbedarfsver- nikationsstrukturen kaum mehr zu erreichen war.
trieb engagierte sich etwa in Plakatwettbewerben mit anschließenden Wanderausstellungen, durch Vergabe von
Als Leitmedium der Werbung entwickelt sich in den
Gestaltungsaufträgen (Verpackungen, Schaufenster, Sie- späten 1960er Jahren die Printanzeige wie Meffert angelmarken) und auch durch ein klassisches Mäzenaten- hand von umfangreichen quantitativen Auswertungen
tum. Gerade anhand der Beispiele auf der institutio- feststellt. Die Übernahme des Motivarsenals aus der Popnellen Ebene–und das gilt auch für die zwei folgenden Art in Printanzeigen geschah allerdings nicht mehr so
Konvergenzphasen–zeigt Meffert deutlich, dass es den deutlich wie es noch im Jugendstil der Fall gewesen war.
Beteiligten vorrangig um die Wahrnehmung und Pro- In den neuen Werbeanzeigen wurden verschiedene Stilfilierung als modern und kunstbeflissen ging. Die Pro- merkmale kombiniert. Dazu gehörten Comicmotive, die
dukte dieser Zusammenarbeit wurden auf die von Ernst aus der bildenden Kunst oder anderen Medien abgeleiTheodor Litfass eingeführten Säulen plakatiert, von de- tet waren, und auch wieder Motive des Jugendstils. Hinnen um die Jahrhundertwende rund 3000 Stück im deut- zu kam die zeitgenössische Werbefotografie. Dass diese
schen Kaiserreich standen. Die Konvergenz von Kunst Popart-Werbung allerdings quantitativ keine weite Verund Werbung bediente alle Seiten: Künstler und Marken breitung fand, kann Meffert in ihrer Untersuchung nachwurden im öffentlichen Raum wahrgenommen, während weisen. Die Fachdiskussion hingegen wurde sehr engaein angeblich kunsterzieherischer Einfluss auf den Re- giert geführt. Dabei wurden grundsätzliche Fragen nach
zipienten wirkte und ihn hoffentlich so zum mündigen dem moralischen Einfluss der Werbung auf den KonsuKunstkenner erzog. Das Ergebnis der verstärkten Wer- menten und nach der Wertigkeit und Position der Popbung durch Plakate war jedoch ein anderes.
Art im Kunstbetrieb gestellt.
Es bildete sich eine spezifische Motivwirkung für
Werbung aus–Hand in Hand mit der Professionalisierung
der Gestaltung führte dies schlussendlich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu einem Auseinanderdriften
der Sphären Kunst und Werbung. Auch der Diskurs über
beide Bereiche wandelte sich: Nicht mehr die Legitimation der Werbung an sich stand im Vordergrund, denn
das sie als ,notwendiges Übel’ zur modernen Gesellschaft
gehörte, galt als ausgemacht. Vielmehr wurde nun begonnen, die psychologischen Wirkungsbedingungen von
Werbung zu diskutieren. Auch hierbei stellt Meffert eine
weitere Distanzierung der beiden Sphären fest.
Die 1980er und -90er Jahre brachten nunmehr nahezu gesättigte Gebrauchsgütermärkte hervor. So standen
Ende der 80er Jahre in mehr als 90% aller bundesrepublikanischen Haushalte nicht nur Kühlschrank und Telefon, sondern auch ein Fernseher. 1984 wandelte sich
die Bedeutung des Fernsehens mit Einführung des dualen
Fernsehsystems grundlegend. Das Angebot an verfügbaren Fernsehkanälen vervielfachte sich. Werbung wurde
ein ständiger Begleiter in den privaten Fernsehprogrammen. Das Leitmedium der Werbung änderte sich wiederum: Die Printanzeige wurde vom TV-Spot abgelöst.
Um die Wahrnehmung der Werbung innerhalb eines
gesättigten Warenmarktes zu gewährleisten, erschien
die verstärkte Segmentierung der Werbezielgruppen als
möglicher Ausweg. Kunstströmungen der Zeit wurden
überlagert von dem alles beherrschenden Begriff ,Postmoderne’. Meffert stellt fest, dass sich die als postmodern
bezeichneten Kunstrichtungen als grundsätzlich ungeeignet für eine Übernahme in die Werbung erwiesen. Ein
Die nächste Phase der Annäherung und Überschneidung konstatiert Meffert in den 1960er Jahren der Bundesrepublik Deutschland. Die Nachkriegswehen und das
Wirtschaftswunder waren bereits abgeflaut, als eine neue
Kunstrichtung die deutsche Öffentlichkeit eroberte: die
Popart. Diese Kunstrichtung wurde mehr als jede andere mit dem Attribut ,jugendlich’ identifiziert. Die Initia-
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Interesse der Künstler an dem neuen werblichen Leitmedium schien nicht vorhanden zu sein. Anders hingegen sah es bei den Werbetreibenden selber aus. Eine bedeutsame Persönlichkeit dieser Zeit ist sicherlich Michael Schirner, der sich nicht nur als erfolgreicher Werber
betätigte, sondern gleichzeitig auch seinen eigenen Anspruch als Künstler verwirklichte. Hierin stand Schirner
offensichtlich nicht alleine, wie das von Meffert ausführlich diskutierte Beispiel der Werbekampagnen von Benetton zeigt. Die 1990er Jahre brachten, ausgelöst durch
die Printkampagne “United Colours of Benetton”, einen
intensiven Diskurs darüber, ob Werbung künstlerische
und journalistische Freiheit in Anspruch nehmen darf
und Reflexionsvorgänge anregen kann. Ein Konsens zwischen Befürwortern und Gegnern konnte nicht erzielt
werden; es blieb verschiedenen Gerichtsverfahren überlassen, die Kunstfreiheit der Werbung zu prüfen. Paradoxerweise wurden Werbemotive in einigen Ländern nach
öffentlichen Protesten oder Gerichtsentscheiden verboten, die in anderen Ländern mit renommierten Werbegestaltungspreisen ausgezeichnet wurden. So zeigt der
unterschiedliche Umgang mit weltweit laufenden Kampagnen vor allem eins: Wahrnehmungsstrukturen im öffentlichen Raum sind keiner allgemeingültigen Norm unterworfen, sondern abhängig von den jeweiligen sozioökonomischen Verhältnissen ihrer Zeit.
Visuelle Medien sind Ausdruck von und Motor für
kollektiv gesellschaftliche Mentalitäten. Werbung ist Teil
einer alltäglichen, sich stetig wandelnden Kommunikation, die sowohl aus wirtschaftlichem als auch aus sozialem Leben entsteht und dieses ihrerseits beeinflusst.
So banal dies auch klingen mag -erst in den letzten Jahren sind verstärkt interdisziplinäre Ansätze in den Blickpunkt der Mentalitätsforschung gerückt. Dabei ging es
vor allem darum, die kunstwissenschaftliche Dominanz
der Bildanalyse aufzubrechen, und die historische Bildforschung mit einer klaren Konzeption und Methodik in
den Kontext von Wahrnehmungsgeschichte zu stellen.
Gerade die Medienwissenschaft bringt dabei erfrischend
neue Ergebnisse hervor, wie der souveräne und vor allem konsequent durchgeführte Zugriff von Meffert auf
so unterschiedliche Medien wie Plakat, Printanzeige und
TV-Spot zeigt.
Trotz der positiven Bewertung dieser sehr gut lesbaren Dissertation bleibt ein Schönheitsfehler: Die 25 zitierten Werbebilder sind sorgfältig ausgewählt worden,
stehen allerdings–wie so oft üblich–in einem gesonderten Einzelteil in der Mitte des Buches. Es wäre sicherlich
ansprechender und lesefreundlicher gewesen, diese Bilder dort zu positionieren, wo sie innerhalb des Textes hin
gehören, zumindest aber direkt innerhalb der jeweiligen
thematischen Kapitel.
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Citation: Nadine Ihle. Review of Meffert, Sylvia, Werbung und Kunst. Ö?ber die phasenweise Konvergenz der SphÖ¤ren
Werbung und Kunst in Deutschland von 1895 bis zur Gegenwart. H-Museum, H-Net Reviews. June, 2003.
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