Band 719 Bernard Vogler Geschichte des Elsass Verlag W. Kohlhammer Alle Rechte vorbehalten © 2012 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany ISBN: 978-3-17-022329-5 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Die Vorgeschichte des Elsass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Die Altsteinzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Jungsteinzeit (Neolithikum) . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Bronzezeit (2300 – 800 v. Chr.) und die Kelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Eisenzeit (800 – 60 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 13 14 15 2 Die Römerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.1 Der Konflikt zwischen Ariovist und Iulius Caesar (58 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Bedeutung der Legionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Straßen und Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Städtische Siedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Römische Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Die Heidenmauer: Das Rätsel des Odilienbergs . . . . 16 19 21 23 26 27 3 Das alamannische und das fränkische Elsass (5. – 9. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1 3.2 3.3 3.4 Die Notitia Dignitatum und die Notitia Galliarum . Die Schlacht von Straßburg (357) . . . . . . . . . . . . . . . Alemannia und Francia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige archäologische Kulturzeugnisse . . . . . . . . . 29 31 32 34 4 Das Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4.1 Das Elsass im frühen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Elsass in der Karolingerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Das Elsass unter den Ottonen und den Saliern . . . . . 36 38 43 6 Inhalt 5 Das glänzende Jahrhundert der Staufer (1152 – 1250) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 6 Licht und Schatten des Spätmittelalters (1250 – 1520) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 7 Das 16. Jahrhundert: Das goldene Zeitalter des Elsass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Die Entstehung einer elsässischen Identität . . . . . . . . Der deutsche Humanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Reformation und ihre Ausstrahlung ins Elsass . . Die wirtschaftliche Blüte des 16. Jahrhunderts . . . . . Renaissance, Stadtkultur, geistiges und religiöses Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Die konfessionelle Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 73 76 78 83 86 88 8 Die Leiden im 17. Jahrhundert (1618 – 1715) . . . 90 8.1 Die Spannungen um 1600 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 8.2 Der Dreißigjährige Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 8.3 Der Westfälische Friede 1648: Das Elsass wendet sich nach Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 8.4 Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 8.5 Das Elsass wird französische Provinz . . . . . . . . . . . . . 100 8.6 Die Kirche im Elsass (1648 – 1715) . . . . . . . . . . . . . . 104 9 Bessere Zeiten: Das kurze 18. Jahrhundert (1715 – 1789) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 9.1 Eine neue Blüte: Die wirtschaftliche Erholung des Elsass im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die französische Herrschaft setzt sich durch . . . . . . . 9.3 Bildung und kulturelles Leben im Elsass des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Die Kirchen im Elsass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Die Elsässer zwischen Frankreich und Deutschland – eine doppelte Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 113 117 121 125 Inhalt 7 10 Das Elsass während der Französischen Revolution und des napoleonischen Kaiserreichs (1789 – 1815) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 10.1 Zehn Jahre permanente Revolution und Unbeständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 10.2 Die Zentralisierung des Elsass unter Napoléon I. Bonaparte (1799 – 1814) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 11 1815 – 1870: Die Restauration, der Kampf gegen das Elend und die Hochzeit der Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 11.1 Vier verschiedene politische Regime innerhalb weniger Jahrzehnte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Die Industrielle Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Das kulturelle Leben im Elsass des 19. Jahrhunderts . 11.4 Die Kirchen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Die elsässische Identität im 19. Jahrhundert . . . . . . . . 141 147 150 152 156 12 Das Elsass wird Reichsland (1871 – 1918) . . . . . . 158 12.1 Die Entstehung des Reichslands und seine Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Die Wirtschaft in der Reichslandzeit . . . . . . . . . . . . . 12.3 Das kulturelle Leben der Reichslandzeit . . . . . . . . . . 12.4 Die Kirchen in der Reichslandzeit . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Das Elsass zwischen Deutschland und Frankreich . . . 12.6 Das Elsass im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) . . . . . . 158 165 169 172 173 175 13 Das Elsass in den Wirren der Zwischenkriegszeit (1919 – 1939) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 13.1 Probleme des Übergangs an Frankreich . . . . . . . . . . . 13.2 Die politische Entwicklung des Elsass in der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Die Weltwirtschaftskrise und der drohende Zweite Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Das Elsass zwischen Deutschland und Frankreich . . . 177 179 184 186 8 Inhalt 14 Das Elsass und die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 14.1 Die Evakuierung und der drôle de guerre (»Sitzkrieg«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 1940 – 1944 Diktatur, Ausweisungen und Zwangsrekrutierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Die Befreiung des Elsass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Kriegsende und Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 190 196 197 15 Das Elsass von 1945 – 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 15.1 Nationale Integration und Zusammenbruch der regionalen Sprache und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Die politische Entwicklung des Elsass . . . . . . . . . . . . 15.3 Der Wirtschaftswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Die neuen kulturellen Entwicklungen . . . . . . . . . . . 200 204 209 213 16 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 17 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 17.1 Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 17.2 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 18 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 19 Auswahlliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 19.1 Allgemeine Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 19.2 Die Antike und das Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 19.3 Frühe Neuzeit und Zeitgeschichte . . . . . . . . . . . . . . 224 Vorwort Das Elsass ist auf einer Landkarte sehr gut erkennbar: Es liegt als langes Viereck im westlichen Teil des Rheingrabens. Im Westen wird es durch die Vogesen, im Süden durch die Burgundische Pforte und den Jura, im Osten durch den Rhein begrenzt und im Norden stößt es an den Pfälzerwald. Im Südwesten grenzt es an die Franche-Comté, im Westen an Lothringen, im Norden an Rheinland-Pfalz, im Osten an Baden-Württemberg und im Süden an die Schweiz. Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 190 Kilometer, von Osten nach Westen ist das Elsass nur 50 Kilometer breit. Mit einer Größe von 8280 Quadratkilometern ist das Elsass flächenmäßig die kleinste Region des französischen Festlands. Das Land besteht von West nach Ost aus drei parallel verlaufenden naturräumlichen Zonen: den Vogesen, den Hügeln der Weingegend und der Rheinebene, die aber nicht alle gleich fruchtbar sind, da große Flächen aus unfruchtbaren Sandböden bestehen, die sich heute allerdings für den Spargelanbau eignen, während die Feuchtgebiete am Rand des Rheins lange dicht bewaldet waren. Durch die Kanalisierung und Begradigung des Rheins und die Hafen- und Industrieeinrichtungen sind diese Wälder zum größten Teil verschwunden Seit dem 9. Jahrhundert ist das Elsass für seinen landschaftlichen und wirtschaftlichen Reichtum berühmt, ein Bild, das sich in Paris bis heute erhalten hat. Es galt Jahrhundertelang als Kornkammer und Weinkeller für die Nachbarn. Seit der Zeit der Alamannen um 350 bis 1697 war der Rhein keine Grenze, da zahlreiche Territorien, besonders das Bistum Straßburg, sich auf beiden Ufern des Rheins erstreckten. Die 10 Vorwort Vogesen waren nur südlich des 1008 Meter hohen Donon eine kulturelle und sprachliche Grenze. Im Süden hatte sich die Grenze am Ende des Mittelalters stabilisiert. Belfort wurde erst nach dem Krieg von 1870/71 vom Elsass abgetrennt. Zur Schweiz hin wurde die Grenze in einem Ausläufer des Jura im 13. Jahrhundert festgesetzt, Basel blieb aber das wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Zentrum des Oberelsass während des Mittelalters und behauptete sich auch nach seinem Eintritt in die Eidgenossenschaft (1501) bis 1789. Nur im Norden wurde die Grenze bis 1815 mehrfach verändert, der Grenzfluss Lauter trennte nicht die Regionen, sondern verband die nördlichen Gebiete als kleine Wasserstraße. Beide Regionen, das Oberelsass und das Unterelsass unterhielten bis 1789 ein eigene Diözese und hatten etliche Jahrhunderte den Status einer Landgrafschaft. Eine eigene kulturelle und räumliche Identität des Elsass entstand erst im 7. Jahrhundert. Diese Identität, besonders auf dem kulturellen Gebiet, verstärkte sich im Laufe der Zeit. Auf politischer Ebene kannte das Elsass nur vier Mal eine politische oder administrative Einheit: Die Zeit des elsässischen Herzogtums unter den Etichonen (640 – 740), als französische Provinz Elsass (1680 – 1789), als deutsches Reichsland (1871 – 1918) und seit 1973 als dezentralisierte Region, die aber nicht mit einem deutschen Bundesland zu vergleichen ist. Viel stärker hat sich die Teilung zwischen dem Ober- und dem Unterelsass ausgeprägt, die durch den früheren Landgraben bestimmt wurde, der heute die Grenze zwischen den beiden Departements Bas-Rhin/Niederrhein (Straßburg) und HautRhin/Oberrhein (Colmar) bildet und für die Oberelsässer eine mythische und psychologische Grenze ist. Von 1871 bis nach 1945 war die Historiographie stark nationalistisch gefärbt. Während in Deutschland seit 1945 das Interesse am Elsass, außer in Baden und der Pfalz, stark zurückging, kam es im Elsass erst nach 1970 mit dem Heranwachsen einer neuen Generation zu einer Erneuerung der deutsch-französischen Nachbarschaft, nicht zuletzt wegen des Aufbaus eines geeinten Europas. Vorwort Karte 1: Das Elsass heute 11 12 Vorwort Schließlich möchte ich noch zwei Personen meinen herzlichen Dank aussprechen: meiner Frau, Chantal Vogler, Maître de conférence, die an der Universität Lyon II lehrte, hat die Urgeschichte, die Antike und die alamannische und fränkische Periode bearbeitet sowie Dr. Wolfgang Müller, Leiter des Archivs der Universität des Saarlandes, für seine redaktionelle Mitarbeit. 1 Die Vorgeschichte des Elsass 1.1 Die Altsteinzeit Die frühere, mittlere und späte Altsteinzeit umfasst eine Periode von rund einer Million Jahren (von 1 000 000 bis 10 000 v. Chr.). Besonders einschneidend waren die vier Eiszeiten: Menschliches Leben war dauerhaft erst nach dem Schmelzen der Gletscher im nördlichen Europa möglich. Der Homo sapiens entwickelte zwischen 33 000 und 10 000 v. Chr. Stein-, Holz- und Knochenwerkzeuge. Die prähistorischen Fundstätten im Elsass liegen westlich von Straßburg bei Achenheim (25 000 bis 8000 v. Chr.). Dort fanden sich Werkzeuge aus Stein und Knochen. Andere Zeugnisse wurden im Breuschtal (Werkzeuge aus Feuerstein), in Niedeck (Werkzeuge aus Vulkangestein), in Entzheim (ein Grab) und in der Oberlarggrotte im Sundgau entdeckt. 1.2 Die Jungsteinzeit (Neolithikum) Im Elsass blühten die neolithischen Zivilisationen seit 5800 v. Chr. vor allem auf fruchtbarem Lössgelände auf. Man unterscheidet dabei die jüngere, die mittlere (Großgartach, Roessen) und die späte Steinzeit (Michelsberg, Münzingen). Sie ist die Zeit des Übergangs vom Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht und damit zur Sesshaftigkeit der Bauern. Sie war die Periode des »geschliffenen« Steins. Es wurde eine vielfältige und stark differenzierte Keramik geschaffen, so dass anhand dieser Funde Datierungen möglich sind. Insgesamt findet man mehr Keramikbruchstücke im 14 Die Vorgeschichte des Elsass Unter- als im Oberelsass. Ein bedeutendes prähistorisches Dorf wurde in Sierentz (Oberelsass) entdeckt, das Werkzeuge und gebänderte Keramik als Fundstücke präsentieren kann. In Rosheim (Unterelsass) fanden sich auch interessante Wohnhäuser und Gräber. Am Ende des späten Neolithikums setzten Viehzucht, Landwirtschaft und die Herstellung von Bronzegegenständen ein. In dieser Zeit nahm auch die archäologische Überlieferung zu. Auf dem Löss im Kochersberger Hügelland und im Gelände westlich von Straßburg finden sich frühe neolithische Zeugnisse (Bilwisheim, Eckbolsheim, Souffelweyersheim, Reichstett, Oberhausbergen). Im Oberelsass lieferten die Ausgrabungen bei Niederburnhaupt und Niederspechbach nördlich von Altkirch Werkzeuge, dekorierte Becher, Mahl- und Feuersteine vom Ende der jüngeren Steinzeit. 1.3 Die Bronzezeit (2300 – 800 v. Chr.) und die Kelten Diese Periode wurde durch die aufkommende Verarbeitung von Metallen, zuerst von Kupfer und Bronze, danach seit etwa 800 v. Chr. von Eisen geprägt. Da sich in der Bronzezeit im Zeichen größerer Trockenheit und steigender Temperaturen das Klima veränderte, verlagerten sich auch die Siedlungsgebiete vom Lössgelände in die weniger warmen und etwas feuchteren Gebieten am Rhein, wie die Funde in den Wäldern von Hagenau und Brumath und in den Tumuli (Hügelgräber) des rheinischen Rieds zeigen. Die Grabbeilagen weisen bei Männern oft nur eine Kleidernadel, aber viele Waffen, Schwerter, Dolche und Äxte auf, während Frauengräber Bronzeketten, Armbänder und Beinringe beinhalten. Außerdem wurden zahlreiche Keramiken gefunden. Die Eisenzeit (800 – 60 v. Chr.) 1.4 15 Die Eisenzeit (800 – 60 v. Chr.) Die Eisenzeit ist die große Zeit des keltischen Elsass mit den beiden Perioden Hallstatt und La Tène. Im Elsass beginnt die nach einem österreichischen Dorf benannte Hallstattperiode um 800 v. Chr. Ihr folgt die nach einem Dorf bei Neuchâtel benannte La Tène-Zeit, die den Höhepunkt der keltischen Zivilisation zwischen 450 und 60 v. Chr. umfasst. Im Norden des Elsass konzentrieren sich im Hagenauer Forst Hügelgräber. In der Eisenzeit veränderten sich gegenüber der Bronzezeit die Grabbeilagen, es gab weniger Keramik, keine Äxte und Beinringe und Gewandspangen statt Kleidernadeln. Die Frauen trugen reichen Schmuck, darunter 20 Zentimeter hohe mit keltischen Symbolen dekorierte Bronzeplattengürtel. Diesen reichen Schmuck ermöglichten die Gewinne aus dem Eisenund Salzhandel. Es entstand eine Oberschicht, bedeutende Fürstensitze wurden gegründet, deren Reichtum widergespiegelt wird. Nach 150 v. Chr. wurde diese Zivilisation durch eindringende germanische Stämme zurückgedrängt. So berichtet beispielsweise Iulius Caesar von ständigen Konflikten zwischen den keltischen Helvetiern und Germanen, vor allem der Sueben, um 60 v. Chr. Schließlich ließen sich die Germanen im Elsass nieder, vor allem die Triboker in der Gegend von Straßburg und Brumath. Die keltischen Mediomatriker zogen sich in die Metzer Gegend zurück. In der Antike entwickelte sich Metz (Divodurum) zu einer bedeutenden und blühenden Stadt, da sie an der verkehrsreichen großen (keltischen danach römischen) Straße zwischen dem Rhonetal und Trier bzw. Köln lag. 2 Die Römerzeit 2.1 Der Konflikt zwischen Ariovist und Iulius Caesar (58 v. Chr.) Die römische Zeit des Elsass wird aus den schriftlichen Quellen erst im 1. Jahrhundert v. Chr. greifbar. Das erste bedeutende Ereignis, von dem wir aus Caesars De bello gallico erfahren, sind die Auseinandersetzungen Caesars mit den keltischen Helvetiern und den germanischen Sueben. Nachdem Ariovist das Vordringen der Helvetier gestoppt hatte, kam er, der Führer der germanischen Sueben, 72 v. Chr., nach Gallien – angeblich von den Avernern und den Sequanern, die das Gebiet um Besançon (Vesontio) besaßen, gerufen, um mit diesen deren Kampf um die Vorherrschaft in Gallien gegen die Haeduer zu entscheiden. Hauptmotiv für Ariovist sich zu engagieren war aber neben den finanziellen Zuwendungen vor allem, dass er neues fruchtbares Siedlungsland in Gallien erobern konnte. Im Unterelsass waren die germanischen Triboker seine Alliierten. Im Jahr 60 v. Chr. errang Ariovist einen großen Sieg gegen eine von Haeduern geleitete gallische Koalition in Admagetobriga, vielleicht Schlettstadt oder Straßburg, der genaue Ort bleibt aber ungewiss. Ariovist hatte ein in den Sümpfen befestigtes und unmöglich zu eroberndes Lager errichtet und erwartete dort den Angriff der Gallier. Als die entmutigten Feinde sich zerstreut hatten, so Caesars Darstellung, griff Ariovist die verbleibenden Truppen plötzlich an und brachte ihnen eine vernichtende Niederlage bei. Nach seinem Sieg belegte Ariovist die Haeduer mit Tributleistungen, die die Der Konflikt zwischen Ariovist und Iulius Caesar (58 v. Chr.) 17 gallischen Stämme schwer belasteten. Obgleich dies Caesars Plänen entgegenstand, herrschte zunächst ein friedliches Miteinander, da Caesar aufgrund innenpolitischer Schwierigkeiten keinen weiteren Feldzug anstrebte. Während seines Konsulats 59 v. Chr. verlieh Caesar Ariovist sogar den Titel eines rex et amicus populi Romani, den Titel eines Freundes des römischen Volkes. Als Ariovist 58 v. Chr. jedoch weitere Stammesgenossen über den Rhein holte, sah Caesar die römische Herrschaft in Gallien gefährdet. In seinem De bello gallico hat er diesen Feldzug gegen Ariovist mit der Erklärung begründet, von den Haeduern zu Hilfe gerufen worden zu sein. Er zog seine Truppen bei Besançon (Vesontio) zusammen und musste diese mit einer flammenden Rede motivieren, da seine Truppen »aus Angst vor den riesigen Wäldern und den Germanen« nicht weiter marschieren wollten. Unter diesen Umständen vollzog Caesar ein großes Ausweichmanöver und marschierte in sieben Tagen ins Elsass, um dort Ariovist zu bekriegen. Eine Unterredung zwischen Ariovist und Caesar blieb ergebnislos, ein Verständigungsfrieden lag in weiter Ferne. Ariovist versuchte einerseits die Versorgung der römischen Truppe zu unterbinden und andererseits einen direkten und offenen Kampf zu vermeiden. Zwei Mal räumte er sein Lager, zunächst lagerte er sub monte, das heißt unter einen kleinen Berg, jedoch entgegen der französischen Auffassung nicht in den von der elsässischen Ebene zu weit entfernten Vogesen. Der mons war wohl vermutlich eher der Mons Brisiacus (Breisach) auf dem linken Rheinufer. Denn bereits am nächsten Tag umging Ariovist Caesars Lager und ließ sich südlich davon nieder, um dessen Versorgung abzufangen, ohne jedoch den Befehl zur Schlacht zu geben. Allerdings versuchte er vergeblich, Caesar an der Errichtung eines zweiten, kleineren Lagers 900 Meter vor seinem eigenen zu hindern. Einen Tag später erteilte Caesar seinen Legionen den Marschbefehl und zwang so Ariovist ebenfalls zum Aufmarsch seiner Soldaten aus den verschiedenen Stämmen – darunter befanden sich Soldaten aus den Stämmen der Tri- 18 Die Römerzeit boker, Nemeten (aus der Region um Speyer), Vangionen (aus der Gegend um Worms), Sueben und Markomannen. Außerdem verfügte Ariovist über 6000 Reiter, die von Fußsoldaten begleitet wurden. Als der Kampf ausbrach, rückten die Germanen so schnell vor, dass die Römer keine Lanzen werfen konnten. Während im Kampf mit Schild und Schwert der germanische linke Flügel aufgebrochen wurde, blieb der von Ariovist vermutlich dank des Zuzugs neuer Truppen über den Rhein besser geschützte rechte germanische Flügel siegreich. Caesar schickte daher Crassus, den Feldherr der Kavallerie, mit den Truppen der dritten Reihe in die Schlacht, um die Germanen weiter zu schwächen und zur Flucht zu veranlassen. Er verfolgte sie bis über fünf Meilen (7,5 km) bis zum Rhein. Nach seinem Sieg führte Caesar seine Legionen in das Gebiet der Sequaner zurück. Die Lage des Schlachtfeldes: Das Ochsenfeld? Ungeklärt bleibt, wo diese von Caesar beschriebene Schlacht stattgefunden hat. Das Schlachtfeld wurde an verschiedenen Plätzen zwischen der Franche-Comté und dem Nordelsass – vornehmlich entweder bei Pfastatt nahe Mülhausen (Mulhouse, im Folgenden immer Mülhausen) oder bei Wittelsheim, nahe Cernay – vermutet. In die Historiographie ging das Ereignis als »Schlacht auf dem Ochsenfeld« ein. Gegen Cernay spricht Caesars Angabe, die Schlacht habe 5 Meilen (7,5 km) vor dem Rhein stattgefunden, Cernay selbst liegt 35 km entfernt. Auch hat Ariovist nicht die Ill überquert, bevor er den Rhein erreichte, so berichtet es zumindest Caesar. Auch fand die Schlacht auf einer großen Ebene und nicht in einem hügeligen Gebiet statt. Ebenso wird die Bedeutung des Hardtwalds, ein Teil des sehr gefährlichen Hercynian Wald, der Caesar den Zugang zum Elsass erschwerte, unterschlagen. Resümiert man das Gesagte, liegt es nahe, dass unter sub monte der damals auf dem elsässischen Ufer befindliche Mons Brisiacus (Breisach) und mit der großen Ebene das Gebiet um Colmar Die Bedeutung der Legionen 19 gemeint sein könnte. Der Rhein bei Breisach besaß zahlreiche kleinere Flussarme, die Ariovists Verstärkung die Überfahrt über den Fluss überhaupt erst ermöglichten. Nach der Schlacht auf dem Ochsenfeld und dem endgültigen Erfolg Caesar 52 v. Chr. über die gegen ihn verbündeten Gallier unter Vercingetorix bei Alesia dominierten die Römer das Rheintal für die nächsten Jahrhunderte. 2.2 Die Bedeutung der Legionen Auch wenn die politische Geschichte wichtig ist, vom Elsass in der Antike wissen wir vor allem durch die verschiedenen archäologischen und insbesondere epigraphischen Zeugnisse der römischen Zeit. Insbesondere die Legionen, Straßen und Siedlungen sind es, die in den Quellen aufscheinen und deutliche Hinweise auf das römische Erbe des Elsass geben. Etliche Legionen sind durch Weihe- oder Grabinschriften sowie Backstein- und Ziegelstempel, nicht nur in Straßburg, sondern auch in anderen Orten wie Zabern, Weißenburg, Niederbronn oder Biesheim-Kuhnheim neben Breisach bezeugt. Leider gibt es aber keine Gesamtdarstellung über die Anwesenheit und Bedeutung der römischen Legionen im Elsass. Die bedeutendste Legion im Elsass war die Legio VIII Augusta, deren Stempel sich vor allem in Straßburg, aber auch andernorts im Elsass und in den Agri Decumates (im heutigen Baden-Baden, in Heidelberg, in Rottweil und im Stadtgebiet von Stuttgart) finden. Solche Siegel oder Stempel finden sich vor allem auf Backsteinen und Ziegeln, außerdem wurden etliche Grabsteine von Soldaten dieser Legion gefunden. Die wenigen datierten Inschriften stammen allerdings aus Severischer Zeit (193 – 235 n. Chr.). Dennoch kann als sicher vermutet werden, dass die Legion seit dem Ende des 1. Jahrhunderts dauerhaft in Straßburg lag. 20 Die Römerzeit Abb. 1: Legionsstempel der Legio VIII Augusta Die zweite im Elsass nachweisbare Legion war die Legio II, die nur fünf später in Koenigshoffen ausgegrabene Grabinschriften hinterlassen hat. Unzweifelhaft handelt es sich um die Legio II Augusta, die 43 n. Chr. ins heutige Großbritannien verlegt worden ist und unter Tiberius (14 – 37) in Straßburg stationiert war. Die anderen durch Stempel im Elsass nachgewiesenen Legionen sind die vor 70 n. Chr. in Mainz stationierte Legio IV Macedonica und die Legio XXI Rapax, die sich am Ende der Herrschaft Neros (54 – 68 n. Chr.) nachweisen lässt. Die Legio XXI. Rapax ist wahrscheinlich die erste Legion, die im Elsass eintraf. Zu ihr gehörte die durch eine Straßburger Inschrift nachgewiesene Ala Petriana, die nach Tacitus im Vierkaiserjahr 69 n. Chr. als erste Truppe über den Großen Sankt Bernhard gegen Kaiser Otho nach Italien zog. Straßen und Verkehr 2.3 21 Straßen und Verkehr Die Römer nutzten als Militärstraßen und Hauptverkehrsadern die alte keltische Rheintrasse nach Mainz sowie die Straße zwischen Straßburg (Argentoratum) und Zabern (Tres Tabernae) nach Metz (Divodurum). Allerdings ist der genaue Routenverlauf nicht immer feststellbar; da sich keine Zeugnisse römischer Straßenführung und -pflasterungen und nur zwei Meilensteine bei Brumath und Seltz erhalten haben. Metz lag an der Hauptstraße zwischen Lyon und Trier/ Köln. Zabern entwickelte sich zur Drehscheibe des wichtigen Militär- und Versorgungstransfers zwischen Metz und Straßburg. Diese Hauptmilitärstraße entlang des linken Rheinufers entspricht dem Verlauf des Rhein-Limes. Im 2. Jahrhundert scheint eine Militärstraße über den Zaberner Pass errichtet worden zu sein, aber im Mittelalter und bis zum 18. Jahrhundert umging die Route den Pass und verlief durch das Tal der Zorn. Im Oberelsass bildete der Hardtwald das große Hindernis, um nach Augst in die Schweiz oder nach Besançon zu gelangen. Die Militärstraße zwischen Besançon und dem Gebiet von Mömpelgard/Montbéliard wurde erst in trajanischer Zeit Anfang des 2. Jahrhunderts erbaut. So bevorzugten die Römer nach der Eroberung der Agri Decumates (von 80 n. Chr.) die auf der rechtsrheinischen Seite verlaufende Straße von Augst bis Heidelberg und Mainz, die durch Badenweiler und Offenburg verlief. Die direkte Route nach Norditalien überquerte den Pass des Großen Sankt Bernhard, wie es Tacitus während des Bürgerkriegs 69/70 n. Chr. für die Legio XXI. Rapax und die Ala Petriana bestätigte. Die Rheinüberquerung erfolgte mit Schiffen, da keine Brücken existierten. Die Inseln bei Straßburg erleichterten ebenso wie die kleineren Flussarme bei Breisach die Überfahrt. 22 Karte 2: Das römische Straßennetz des Elsass Die Römerzeit