Studienseminar für Lehrämter an Schulen Hagen Seminar für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen Fleyer Str. 196, 58097 Hagen Schriftliche Planung gemäß § 34 Abs. 4 OVP für die unterrichtspraktische Prüfung im Fach Sozialwissenschaften Referendarin: Miriam Hillemann Fächerkombination: Mathematik, Sozialwissenschaften Schule: Prüfungskommission Prüfungsvorsitzende: Bekannter Seminarausbilder: Fremder Seminarausbilder: Schulvertreter: Fachlehrer: Lerngruppe: 11 Datum: 04.11.2009 Uhrzeit: 11:35 – 12:20 Uhr Raum: 4203 1. Aufbau der Unterrichtsreihe Thema der Unterrichtsreihe: Politik, alles Lüge? – Betrachtung von Gründen und Lösungsansätzen zur Politikverdrossenheit im Rahmen der Bundestagswahlen Thema der Unterrichtsstunde: Ist der Volksentscheid auf Bundesebene ein geeignetes Mittel, um Politikverdrossenheit zu mindern? – Erarbeitung von Pro- und Contra-Argumenten zum Volksentscheid auf Bundesebene in kooperativen Arbeitsformen Aufbau der Unterrichtsreihe 1. Ist die Demokratie die beste Herrschaftsform? – Erarbeitung von Vor- und Nachteilen der Demokratie anhand einer Textanalyse (2) 2. „Sie haben zwei Stimmen“ – Welche Bedeutung hat die Zweitstimme? – Betrachtung des deutschen Wahlsystems in Partnerarbeit (2) 3. Sind Überhangsmandate undemokratisch? – Betrachtung des Phänomens des „negativen Stimmgewichts“ und Erarbeitung sich daraus ergebender Probleme (2) 4. Haben die Parteien Schuld an der großen Politikverdrossenheit? – Betrachtung der deutschen Parteienlandschaft und Entwicklung eines Schaubildes zu den Aufgabenbereichen der Parteien (2) 5. Die politische Reise nach Berlin – Doch wer geht welchen Weg? – Analyse der Parteiprogramme in Form eines WebQuests in arbeitsteiliger Gruppenarbeit und Präsentation der Ergebnisse mit Hilfe einer PowerPoint Präsentation (4) 6. Deutschland hat gewählt! – Analyse der Wahlergebnisse zur Bundestagswahl und Erarbeitung von Erklärungsansätzen für die gesunkene Wahlbeteiligung (2) 7. Ist es undemokratisch und verantwortungslos, wenn Parteien bereits vor der Wahl Regierungsbündnisse mit anderen ausschließen? – Erarbeitung von Pro- und ContraArgumenten zum Ausschluss von Koalitionen in kooperativen Arbeitsformen (2) 8. Ist der Volksentscheid auf Bundesebene ein geeignetes Mittel, um Politikverdrossenheit zu mindern? – Erarbeitung von Pro- und Contra-Argumenten zum Volksentscheid auf Bundesebene in kooperativen Arbeitsformen (1) 9. Ein neues altes Problem? – Einordnung der Diskussion zur Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene in den Dialog zwischen der Identitäts- und Konkurrenztheorie (2) 2 2. Lernziele der Stunde Übergeordnetes Lernziel: Die Schülerinnen und Schüler sollen das politische Mittel des Volksentscheids als mögliches Instrument zur Verringerung der Politikverdrossenheit kennen lernen und auf der Grundlage von Pro- und Contra-Argumenten die Kontroversität um die Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene bewerten können. Wesentliche Teillernziele: Die Schülerinnen und Schüler sollen - durch den Einstiegsimpuls erkennen, dass viele Bürgerinnen und Bürger mit den politischen Organen und deren Umsetzung ihrer Wahlentscheidung unzufrieden sind, indem sie die Meinungen von Bürgern zur aktuellen politischen Situation interpretieren. - direkte politische Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger zur Lösung der Problematik der Politikverdrossenheit erkennen, indem sie den Volksentscheid als mögliches politisches Instrument benennen und eine Problemfrage formulieren. - Pro- und Contra-Argumente zur Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene benennen können, indem sie verschiedenen Stellungnahmen, von Politikverbänden und Politikwissenschaftlern, die relevanten Argumente für bzw. gegen den Volksentscheid entnehmen, diese in kooperativen Arbeitsformen austauschen und schriftlich festhalten. - Stellung zu dem politischen Instrument des Volksentscheids beziehen, indem sie die herausgearbeiteten Argumente gegeneinander abwägen und auf die am Anfang formulierte Problemfrage beziehen. Sonstige Teillernziele: Die Schülerinnen und Schüler sollen - ihre kommunikativen Kompetenzen verbessern, indem sie innerhalb ihrer Arbeitsgruppe die Pro- und Contra-Argumente zur Einführung des Volksentscheids zusammentragen und im Plenum präsentieren. - ihre Methodenkompetenz trainieren, indem sie zur Erarbeitung der Pro- und ContraArgumente zur Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene die Methode des Placemat anwenden. 3. Hausaufgaben Da es sich um einen neuen Sachgegenstand handelt, wurden keine Aufgaben zur Stunde gestellt. 3 4. Geplanter Unterrichtsverlauf Uhrzeit: 11:35 – 12:20 Uhr Unterrichtsphase Sach- und Verhaltensaspekt Einstieg Der L. legt eine Folie mit Meinungen zur Politik von a) Konfrontation mit verschiedenen Bürgern auf (siehe Anhang 1). einem neuen Sachverhalt b) Systematische Die SuS äußern sich zu den Ansichten und stellen Erfassung der fest, dass viele Bürger unzufrieden mit dem Aussagen Wahlausgang, den Politikern im Allgemeinen und ihrer Machtlosigkeit sind. Die SuS stellen fest, dass die Aussagen Politikverdrossenheit verdeutlichen. c) Problemfindung Erarbeitung Sicherung Bewertung Hausaufgaben Der L. fragt, ob die SuS eine Idee haben, wie man dieses Problem lösen könnte. Die SuS fordern eine direkte Entscheidungsbeteiligung. Der Lehrer führt den Begriff des Volksentscheids ein und hält ihn an der Tafel fest. Der L. fragt die SuS, was sie unter einem Volksentscheid verstehen. Die SuS verbalisieren ihre Ideen. Der L. zeigt eine allgemeine Definition des Begriffs „Volksentscheid“ auf Folie (siehe Anhang 2). Die gemeinsam formulierte Problemfrage „Ist der Volksentscheid auf Bundesebene ein geeignetes Mittel, um Politikverdrossenheit zu mindern?“ wird vom L. an der Tafel notiert (geplantes Tafelbild siehe Anhang 3). Der L. erläutert das weitere Vorgehen und das vorhandene Material. Anhand von vier unterschiedlichen Texten arbeiten die SuS in kooperativen Arbeitsformen die Pro- und Contra-Argumente heraus (siehe Anhang 4). 1. Jeder S. einer Gruppe erhält einen anderen Text. Die SuS lesen ihren Text in Einzelarbeit und notieren die genannten Pro- bzw. ContraArgumente stichwortartig in ihrem Placemat. 2. Die SuS tauschen sich mit dem Gruppenarbeitspartner aus, der die gleiche Ansicht vertritt, und halten ihre Argumente auf einer Folie fest. 3. Die SuS tauschen ihre Pro- und ContraArgumente innerhalb der Gruppen aus, verbessern und ergänzen sich gegenseitig. Eine Schülergruppe präsentiert ihre Ergebnisse. Das Plenum nimmt Verbesserungen oder Ergänzungen vor (mögliche Schülerlösungen siehe Anhang 5). Die SuS beziehen Stellung zur aufgestellten Problemfrage, indem sie die herausgearbeiteten Argumente gegeneinander abwägen und auf die Ausgangsfrage beziehen. Arbeitsblatt (siehe Anhang 6) 4 Sozialform KU Medien OHP/Folie Tafel OHP/Folie Tafel Arbeitsblätter Placemat Folie EA (Think) PA (Pair) GA (Share) KU KU OHP/Folie 5. Didaktischer Kommentar 5.1 Sachstruktureller Entwicklungsstand der Lerngruppe Seit den Sommerferien unterrichte ich den gezeigten 11er Sozialwissenschaftskurs, welcher aus 11 Schülern und 11 Schülerinnen besteht. Aufgrund planungstechnischer Umstände absolviert die gezeigte Lerngruppe wöchentlich nur zwei Unterrichtsstunden (eine Doppelstunde) Sozialwissenschaftsunterricht. Bei dieser Lerngruppe handelt es sich hinsichtlich ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit, ihrem Abstraktionsvermögen und ihrer Unterrichtsbeteiligung um eine sehr leistungsheterogene Lerngruppe, was sich besonders in Phasen der eigenen Meinungsbildung zeigt. Für den Unterricht leite ich daraus die Konsequenz ab, dass Erarbeitungs- und Anwendungsphasen häufig in kooperativen Arbeitsformen durchgeführt werden, um das Helfersystem in dem Kurs auszubauen und somit eine Binnendifferenzierung zu gewährleisten. Das soziale Klima in dem Kurs ist überwiegend gut, sodass es kaum Probleme mit Unterrichtsstörungen gibt und kooperative Arbeitstechniken möglich sind. 5.2 Lehrplanbezug Die Unterrichtsreihe ist dem Inhaltsfeld III „Politische Strukturen und Prozess in Deutschland“ aus den Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen zuzuordnen. Hier ist neben der Analyse des politischen Systems und ihren Grundprinzipien die Frage nach den Ursachen für die mangelnde Akzeptanz der Politik zu behandeln. Diesem Inhaltsfeld ist eine große Bedeutung zugemessen, damit die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, aktuelle politische Entwicklungen zu erfassen und kritisch zu hinterfragen sowie eine Bereitschaft entwickeln, an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Daher ist es notwendig, dieses Inhaltsfeld an konkreten und aktuellen Situationen (derzeit die Bundestagswahl) zu behandeln. Die gezeigte Unterrichtsstunde fördert hauptsächlich die Kompetenzbereiche der Sach- und Urteilskompetenz. Im Bereich der Sachkompetenz sollen die Schülerinnen und Schüler das politische Instrument des Volksentscheids kennen lernen und Argumente, die dafür bzw. dagegen sprechen, benennen können. Im Bereich der Urteilskompetenz sollen die Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage von Pro- und Contra- Argumenten eine Aussage treffen können, in wie weit der Volksentscheid ein geeignetes Mittel ist, um die Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger zu mindern. 5.3 Didaktische Schwerpunktsetzung / Begründung der methodischen Entscheidungen Die vorliegende Unterrichtsstunde ist als Hinführung zu den Demokratietheorien (Identitätstheorie und Konkurrenztheorie) zu verstehen. Zu Beginn der Stunde werden die Schülerinnen und Schüler mit einigen negativen, aktuellen Aussagen der Bürgerinnen und Bürger bzgl. der Umsetzung ihrer Wahlentscheidung konfrontiert. Diese werden von den Lernenden kurz interpretiert und eine gemeinsame Problemfragestellung wird formuliert. Diese Zugangsform bietet den Lernenden einen motivierenden Einstieg in die kontroverse Diskussion zur Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene. Zudem verdeutlicht er die Aktualität des Gegenstandes und damit die Notwendigkeit, sich mit dieser Diskussion, und den in den Folgestunden zu behandelnden Demokratietheorien, auseinanderzusetzten. Der Schwerpunkt dieser Stunde liegt auf der Bewertung der am Stundenanfang formulierten Problemfrage „Ist der Volksentscheid auf Bundesebene ein geeignetes Mittel, um Politikverdrossenheit zu mindern?“ auf der Grundlage von in der Erarbeitungsphase herausgearbeiteten Pro- und Contra-Argumenten. Die gezeigte Stunde leistet daher sachstrukturell den Beitrag, dass die Schülerinnen und Schüler verschiedene Argumente zur Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene benennen können und diese in ihrer Bewertung berücksichtigen können. Die Bewertung der aufgestellten Problemfrage ist ein Beitrag zur kritischen Urteilsbildung, ein zentrales Bildungsziel des sozialwissenschaftlichen Unterrichts. 5 Die Erarbeitung der verschiedenen Argumente für und gegen den Volksentscheid auf Bundesebene erfolgt in kooperativen Arbeitformen (Think-Pair-Share). Hierbei sollen die Schülerinnen und Schüler zunächst in Einzelarbeit die Positionstexte lesen, sich mit den dort beschriebenen Argumenten auseinandersetzten und diese dann in Stichpunkten auf der für die Gruppe bereitgestellten Placemat festhalten. Diese Arbeitsphase gewährleistet, dass jede Schülerin und jeder Schüler sich mit dem Gegenstand und mit einigen Pro- oder ContraArgumenten beschäftigt und so positiv zum Gruppenergebnis beitragen kann. In der sich anschließenden Partnerarbeit tauschen sich die Arbeitspartner, welche die gleiche Position vertreten, über ihre Argumente aus. Da sie unterschiedliche Ausschnitte eines Sachtextes bearbeitet haben und somit unterschiedliche Argumente in die Austauschphase einbringen, vergrößert sich die Vielfalt der Argumente, welche sie für eine abschließende Präsentation schriftlich auf einer Folie festhalten. Der dritte Erarbeitungsschritt, der Austausch in der Gesamtgruppe, gibt jedem Lernenden die Möglichkeit, die Gesamtheit der Argumente zu betrachten und so die Komplexität der Fragestellung zu erfassen. Ich habe mich, aus zwei Gründen, bewusst für die beschriebene Vorgehensweise in der Erarbeitungsphase entschieden. Zum einen aus zeitökonomischen Gründen, da es eine Vielzahl von Argumenten zu der beschriebenen Problemfrage gibt, die ein Lernender nicht in einer Einzelstunde alleine erarbeiteten kann. Zum anderen zur Binnendifferenzierung, da sich der Schwierigkeitsgrad der einzelnen Positionstexte unterscheidet und die unterschiedlichen Austauschphasen den Lernenden die Möglichkeit bietet, nicht verstandene Argumente in der Gruppe zu besprechen. In der nachfolgenden Präsentationsphase stellt eine Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse in der Klasse vor und das Plenum verbessert oder ergänzt die gefundenen Aussagen. Der abschließende Rückbezug zur Problemfrage ermöglicht eine vertiefende Auseinandersetzung mit den formulierten Argumenten und leitet die Schülerinnen und Schüler zur kritischen Urteilsbildung an. Die gestellte Hausaufgabe soll den Lernenden eine zusätzliche Möglichkeit bieten, eine eigene Position zur Leitfrage der Stunde zu beziehen. 6 6. Verwendete Literatur Lehrbücher: Floren, Franz Josef: Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Paderborn: Schöningh, 2001 Fachbücher: Thurich, Eckart: Pocket Politik. Demokratie in Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung/bpb 2003 Lenk, Kurt: Klassisches Demokratiemodell und „demokratische Methode“. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 299 S. 945–964; 1993 Didaktische Literatur: Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Richtlinien für Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, Frechen: Ritterbach, 1999 Brüning, Ludger; Saum, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen – Strategien zur Schüleraktivierung; Essen: NDS Verlagsgesellschaft; 2007 Zeitschriften: W. Fischer: Formen unmittelbarer Demokratie im Grundgesetz. In: Politik und Zeitgeschichte; B52-53; 24. Dezember 1993 Internetquellen: www.mehr-demokratie.de/fileadmin/md/pdf/positionen/pos01.pdf; 11.10.2009 www.hamburg.de/image/99380/volksabstimmung-bildqu.jpg; 11.10.2009 www.toonpool.com/user/195/files/waehler_578145.jpg; 11.10.2009 www.jusos-bremen-nord.de/blog/wp-content/uploads/2009/04/ausrufezeichen.bmp; 11.10.2009 7 7. Anhang Anhang 1 (Einstiegsfolie) „Hab’ das Gefühl, als ob es den Politikern nur um Posten geht und nicht um Inhalte…“ „Die Politiker vertreten doch nur ihre eigenen Interessen und nicht unsere…“ „Jetzt haben wir gewählt, aber entscheiden dürfen wird nicht…“ „Die Wahl ist gelaufen, jetzt machen die da oben doch eh’ wieder, was sie wollen…“ [Quelle: www.toonpool.com/user/195/files/waehler_578145.jpg; 11.10.2009; bearbeitet von M. Hillemann] 8 Anhang 2 (Definition Volksentscheid) Volksentscheid: Abstimmung, bei der ein Gesetzentwurf nicht vom Parlament, sondern direkt von den wahlberechtigten Bürgern beschlossen oder verworfen wird. Der Volksentscheid ist ein Instrument direkter Demokratie. [Quelle: Thurich, Eckart: Pocket Politik. Demokratie in Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung/bpb 2003] Anhang 3 (geplantes Tafelbild) Volksentscheid Ist der Volksentscheid auf Bundesebene ein geeignetes Mittel, um Politikverdrossenheit zu mindern? 9 Anhang 4 (Arbeitsmaterialien) SW 11.1 (HIL) Pro Volksentscheid Arbeitsblatt Nr. 4a Stellungnahme der Bürgeraktion „Mehr Demokratie e.V.“ zur Anwendung des politischen Instruments des Volksentscheids auf Bundesebene: 1 Volksentscheide sind kein Allheilmittel, aber eine wirksame Arznei gegen Probleme unserer Politik. […] Laut Art. 20 GG geht von uns Bürgerinnen und Bürgern alle Staatsgewalt aus. Doch dann geben wir in Wahlen unsere Stimmen und unsere Souveränität1 ab. Mit dem Recht auf Volksabstimmung 5 könnten wir Wähler unsere Stimme viel differenzierter zum Ausdruck bringen: Eine Bürgerin oder ein Bürger kann die CDU wählen, aber beim Volksentscheid – anders als „ihre“ Partei – gegen die Atomkraft stimmen. Gute Ideen prallen oft an Parteien und Parlamenten ab. Die Folge: Reformstau und hohe Kosten. Durch Volksabstimmungen können Bürgerinnen und Bürger die Politik selbst voranbringen. 10 Mit der unmittelbaren Demokratie kann die Kompetenz vieler Bürgerinnen und Bürger zum Wohle der Gesellschaft genutzt werden. Allein in der Bundesrepublik gibt es ca. 70 000 Bürgerinitiativen, die ein riesiges Reservoir an Wissen und neuen Ideen bergen. Doch trotz ihres Einfallsreichtums und ihrer Kompetenz kommen sie oft nicht zum Zuge, weil nur die Amts- und Mandatsträger verbindliche politische Entscheidungsrechte besitzen. 15 Volksabstimmungen decken Widersprüche zwischen Politikern und Wählern auf. Wie in der Schweiz. Immer wieder entscheiden die Bürgerinnen und Bürger anders als zuvor das Parlament. Die Folge: Schweizer Politiker achten genau darauf, was das Volk will, und sie geben sich viel Mühe, die Menschen von ihrer Politik zu überzeugen. Denn sie wissen, wenn sie den Wählerwillen missachten, kommt der Volksentscheid. 20 Die Weichen für die kommenden Generationen werden heute gestellt. Renten, Atomenergie, Abfallwirtschaft, Umwelt, Gentechnik und Europa werden auch unsere Kinder und Enkel beschäftigen. Weitreichende und häufig nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidungen brauchen daher eine breite Basis. Keine Regierung und kein Parlament kann hierfür allein die Verantwortung übernehmen. […] [Quelle: www.mehr-demokratie.de/fileadmin/md/pdf/positionen/pos01.pdf; 11.10.09; bearbeitet von M. Hillemann] 1 Herrschergewalt 10 SW 11.1 (HIL) Pro Volksentscheid Arbeitsblatt Nr. 4b Stellungnahme der Bürgeraktion „Mehr Demokratie e.V.“ zur Anwendung des politischen Instruments des Volksentscheids auf Bundesebene: 1 Volksentscheide sind kein Allheilmittel, aber eine wirksame Arznei gegen Probleme unserer Politik. […] Laut Art. 20 GG geht von uns Bürgerinnen und Bürgern alle Staatsgewalt aus. Doch dann geben wir in Wahlen unsere Stimmen und unsere Souveränität1 ab. […] 5 Das Recht auf Volksentscheide fördert ein Höchstmaß an politischer Bildung. Die Dänen und die Iren wissen viel besser über Europa Bescheid als die Deutschen – weil sie selbst darüber abgestimmt haben. Vor Volksabstimmungen kommt es zu einer breiten, oft zugespitzten, aber doch auch aufklärend wirkenden Diskussion. Die Parteien haben sich breit gemacht in unserem Staat. Durch Volksabstimmungen können wir 10 Bürger und Bürgerinnen die politischen Spielregeln neu gestalten. Wie in den USA. Dort verkürzte das Volk in 22 Bundesstaaten die Amtszeiten von Abgeordneten und Senatoren. Viele sagen: „Die da oben machen doch, was sie wollen“. Die Menschen können kaum Einfluss auf die Politik nehmen. Die Folge: Resignation und sinkende Wahlbeteiligung. Dabei wollen 75% der Deutschen die Volksabstimmung. Die Unterstützung geht quer durch die Anhängerschaft der 15 Parteien. Denn der Volksentscheid hat keine politische Farbe. Er ist ein Instrument, das Menschen ermutigt, sich zu engagieren. Die Bürgerinnen und Bürger identifizieren sich wieder mit der Politik, wenn sie etwas bewegen können. Heute trifft die Regierung die wichtigsten Entscheidungen. Der Bundestag nickt oft nur ab. In der Volksabstimmung spielt das Parlament eine wichtige Rolle: Es kann den Bürgern – in Konkurrenz 20 zu einer Initiative aus dem Volk – einen eigenen Vorschlag vorlegen. Und die Opposition kann über Volksbegehren auch zwischen den Wahlen aktiv werden. Bei wichtigen politischen Entscheidungen wollen die Menschen mitbestimmen. In der Vergangenheit haben das die Themen „Euro“ und „Rentenreform“ gezeigt. Ohne Volksentscheid ist die Gefahr größer, dass politische Maßnahmen boykottiert werden. Mit Volksentscheid 25 hingegen fällt es den Menschen leichter, Veränderungen zu akzeptieren, da sie Einfluss nehmen konnten. [Quelle: www.mehr-demokratie.de/fileadmin/md/pdf/positionen/pos01.pdf; 11.10.09; bearbeitet von M. Hillemann] 11 SW 11.1 (HIL) Contra Volksentscheid Arbeitsblatt Nr. 4c Stellungnahme von W. Fischer zur Anwendung des politischen Instruments des Volksentscheids auf Bundesebene: 1 Gegen die Aufnahme von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid und anderer Formen unmittelbarer Demokratie ins Grundgesetz wurden […] sowohl verfassungssystematische als auch verfassungspolitische Gründe geltend gemacht: Der Parlamentarische Rat1 habe gerade mit seinem strikten Bekenntnis zur parlamentarisch5 repräsentativen Demokratie die entscheidenden Konsequenzen aus dem Scheitern der Weimarer Demokratie gezogen. Selbst wenn in der Weimarer Republik nur relativ wenige plebiszitäre2 Entscheidungen getroffen wurden, habe die Demokratie damals doch unter dem permanenten Druck plebiszitärer Entscheidungsmöglichkeiten gestanden, was wesentlich zu ihrer Schwächung beigetragen habe. Gerade auf der Grundlage dieser historischen Erfahrung habe der 10 parlamentarische Rat für das Grundgesetz auf Formen unmittelbarer Demokratie verzichtet. Diese Entscheidung des Parlamentarischen Rates sei auch heute noch richtungsweisend. Denn das bewährte System der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie könne durch plebiszitäre Verfahren nachhaltig geschwächt werden, da sie die Gefahr einer schleichenden Abwertung des Parlaments in sich trügen. 15 Wegen des Anscheins einer höheren Legitimität des unmittelbaren Volksgesetzes gegenüber den nur mittelbaren Parlamentsgesetz könne die Entwicklung dahingehend eintreten, das Parlament nur noch in weniger wichtigen Fragen entscheiden zu lassen. […] Plebiszite seien ferner der modernen pluralistischen Gesellschaft und Demokratie nicht gemäß. Denn Plebiszite seien nur dem Ja oder Nein, dem Schwarz oder Weiß zugänglich. Gerade die 20 pluralistische3 Demokratie fordere Entscheidungs- und Gesetzgebungsverfahren, die auf ein Höchstmaß an Kompromisssuche und Kompromissfindung angelegt seien. Dies gewährleiste nur das parlamentarische Verfahren. Angesichts der Komplexität politischer Entscheidungen bestehe die Gefahr, dass sich die Bürger nicht von objektiven Kriterien, sondern von der subjektiven Betroffenheit oder von Medien geprägten Stimmungen leiten ließen. [Quelle: W. Fischer: Formen unmittelbarer Demokratie im Grundgesetz. In: Politik und Zeitgeschichte; B52-53; 24. Dezember 1993; bearbeitet von M. Hillemann] 1 Gremium, welches das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland erarbeitet vom Volk direkt abgestimmt 3 auf verschiedenen Ordnungsprinzipien und Wertsysteme beruhend 2 12 SW 11.1 (HIL) Contra Volksentscheid Arbeitsblatt Nr. 4d Stellungnahme von W. Fischer zur Anwendung des politischen Instruments des Volksentscheids auf Bundesebene: 1 Im Falle eines Volksentscheids gäbe man aktiven Minderheiten und gut organisierten Vertretern partikularer Interessen das Instrumentarium, ihre Macht noch stärker als bisher auf Bundesebene durchzusetzen. Die Bürger könnten angesichts der erforderlichen Quoren1 ihre Initiativen in aller Regel nicht selbst vorantreiben, sondern wären auf die Unterstützung von Verbänden und 5 Vereinigungen angewiesen. Infolgedessen bestehe die Gefahr der Bevormundung des Bürgers durch demokratisch nicht legitimierte Vereinigungen. Die Erfahrungen mit Plebisziten in den Nachbarstaaten und in den Bundesländern ließen sich nicht ohne weiteres auf den Bund übertragen. So seien Plebiszite auf Länder- oder Kommunalebene wegen der besseren Überschaubarkeit der Verhältnisse und der geringeren Komplexität der 10 Probleme eher praktikabel als auf Bundesebene. Erfahrungen im Ausland ließen überdies befürchten, dass zahlreiche Plebiszite neben den regelmäßigen Wahlen zu Abstimmungsmüdigkeit führen. […] Schließlich werde der Ausschluss bestimmter, insbesondere finanzwirksamer Politikbereiche (Haushalt, Steuern) wahrscheinlich dazu führen, die Politikverdrossenheit zu vergrößern. Es sei zu 15 befürchten, dass sich das Volk dadurch bevormundet fühle. Von der Einführung plebiszitärer Verfahren sei auch nicht zu erwarten, dass sie die so genannte Parteienverdrossenheit überwinden könne. Eher sei das Gegenteil zu befürchten. Denn wenn Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid mit in das Grundgesetz aufgenommen würden, so würden sich künftig legitimerweise auch Parteien dieser Verfahren bedienen – nicht zuletzt auch deshalb, weil die 20 Durchführung solcher Verfahren in aller Regel der Organisation und Initiierung bedürfe. Wenn die politischen Parteien aber die freie Entscheidung darüber hätten, ob sie ein bestimmtes Anliegen auf plebiszitärem oder parlamentarischem Wege verfolgen sollte, drohe erneut die Flucht aus der parlamentarischen Verantwortung. [Quelle: W. Fischer: Formen unmittelbarer Demokratie im Grundgesetz. In: Politik und Zeitgeschichte; B52-53; 24. Dezember 1993; bearbeitet von M. Hillemann] 1 Die zur Beschlussfassung notwendige Anzahl von Wählern 13 Arbeitsaufträge Einzelarbeit ☺ (absolute Ruhe) 1. Lies den Text aufmerksam durch und arbeite die beschriebene Position zur Einführung eines Volksentscheids auf Bundesebene heraus, indem du die einzelnen Argumente stichpunktartig in deinem Feld der Placemat schriftlich festhältst. Zeit: 8 Minuten Partnerarbeit ☺ ☺ 2. Tausche dich mit dem Arbeitspartner deiner Gruppe, der die gleiche Position vertritt, aus und haltet eure Argumente auf dem entsprechenden Folienteil fest. Haltet eure Ergebnisse auch auf dem Ergebnisbogen fest. Zeit: 7 Minuten Gruppenarbeit ☺ ☺ ☺ ☺ 3. Informiert eure Gruppenmitglieder über die jeweilige Gegenposition, indem ihr die Pro- und Contra-Argumente zur Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene zusammentragt und diese gegebenenfalls noch verbessert und ergänzt. Haltet die Argumente der Gegenposition im Ergebnisbogen schriftlich fest. Zeit: 5 Minuten 14 Ergebnisbogen Pro Volksentscheid Contra Volksentscheid 15 Anhang 5 (Mögliche Schülerlösungen) Pro Volksentscheid • Bürger können differenzierter entscheiden und müssen nicht mit ihrer Partei in allen Fragen übereinstimmen. Contra Volksentscheid • Negative historische Erfahrungen mit Plebisziten in der Weimarer Republik schwächten die Weimarer Demokratie. • Bürger und Bürgerinnen könnten die Politik selbst • Parlamentarisch-repräsentative Demokratie hat voranbringen. sich über 50 Jahre lang bewährt. • Kompetenzen und Fachwissen der Bürger und Bürgerinnen können dadurch zum Wohle der Gesellschaft genutzt werden. • Politiker und Parteien müssen den Wählerwillen stärker beachten und die Menschen über ihre Ziele besser informieren. • Breitere Legitimationsbasis für zukunftsträchtige Entscheidungen (z.B. Atomausstieg). • Erhöht die politische Bildung, da sich Menschen öfters mit politischen Fragen, über die sie befinden sollen, beschäftigen müssen. • Einschränkung der Parteienherrschaft. • Mittel gegen Resignation und sinkende Wahlbeteiligung. • Bürgerinnen und Bürger identifizieren sich mehr mit der Politik, die sie mitgestalten. • Stärkung des Parlaments und der Opposition. • Größere Akzeptanz einschneidender Veränderungen. • Bürgerinnen und Bürger verfügen über mehr Bildung und nehmen Probleme stärker wahr. • Parlament würde abgewertet werden. • Pluralistische Demokratie braucht ein Höchstmaß an Kompromisssuche und Kompromissfindung, sonst Entrationalisierung von Entscheidungen. • Bürger lassen sich durch populistische Meinungsmache beeinflussen. • Subjektive Betroffenheit und nicht objektive Kriterien als Entscheidungsmaßstab. • Medien prägen oft die Stimmung – Machtzuwachs der Medien. • Mit Plebisziten kann man nur Ja/Nein Fragen beantworten – Komplexität der politischen Fragen kann nicht berücksichtigt werden. • Stärkung der Macht politisch aktiver Minderheiten auf Bundesebene. • Bürgerinnen und Bürger können manipuliert werden. • Gefahr der Abstimmungsmüdigkeit. • Politikverdrossenheit könnte wachsen, wenn Bürgerinnen und Bürger über bestimmte Bereiche nicht abstimmen dürften. • Parteien könnten zu noch mehr Macht gelangen und sich aus ihrer parlamentarischen Verantwortung stehlen. Anhang 6 (Hausaufgaben zur nächsten Stunde) Hausaufgaben zur nächsten Stunde 1. Vervollständige die Tabelle in deinem Heft: Der Volksentscheid auf Bundesebene ist eine Lösung zur Minderung der Politikverdrossenheit, weil…. Der Volksentscheid auf Bundesebene ist keine Lösung zur Minderung der Politikverdrossenheit, weil…. 2. Beziehe eine eigene Position zur Problemfrage und formuliere ein abschließendes eigenes Urteil. 16 8. Versicherung „Ich versichere, dass ich die schriftliche Planung eigenständig verfasst, keine andere Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt und die Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder Sinn nach entnommen sind, in jedem einzelnen Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht habe. Das Gleiche gilt auch für beigegebene Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen.“ Miriam Hillemann, Lüdenscheid, den 04.11.2009 17