In memoriam Lisa und aller Kinder, die nur viel zu kurz das Licht dieser Welt erblicken durften Matthias Bloechle 1 Mit Gentest zum Wunschkind ? Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Schumann Institut für Genetik Universität Bayreuth 2 Sollen wir in die Gene Ungeborener blicken ? Wer darf das ? Die Eltern ? Die Versicherungen ? Zu welchem Zweck dürfen die genetischen Daten genutzt werden ? 3 Vortragschwerpunkte 1. Grundlagen 2. Erbkrankheiten 3. Pränataldiagnostik: invasive und nichtinvasive Methoden 4. Präimplantations-Diagnostik (PID) 5. Ausblick 4 1. Grundlagen 2. Erbkrankheiten 3. Pränataldiagnostik: invasive und nichtinvasive Methoden 4. Präimplantations-Diagnostik (PID) 5. Ausblick 5 Historische Entwicklung I 1866: Gregor Mendel entdeckt in Brünn die Erbgesetze 1869: Friedrich Miescher entdeckt in Tübingen das Erbgut = DNA 1944: Avery und Mitarbeiter weisen nach, dass DNA der Träger der genetischen Information ist 6 Historische Entwicklung II 1977: Frederick Sanger entwickelt ein Verfahren zur Bestimmung der Abfolge der Basen in der DNA = DNA‐Sequenzierung 1983: Kary Mullis entwickelt ein Verfahren zur Vervielfältigung der DNA = DNA‐Ketten‐ Reaktion = PCR 7 Grundbegriffe 1. DNA 2. Gen 3. Chromosom 4. Der Weg vom Gen zum Protein 5. Mutation 8 1. Was ist DNA ? DNA besteht aus den vier Bausteinen - Adenin - Cytosin - Guanin Basenpaarungs- - Thymin Regel …AACTCTGTGCACGGTCCAATGCATC… …TTGAGACACGTGCCAGGTTACGTAG… 9 2. Was ist ein Gen ? Gen A Gen B Gen C Gene sind definierte Abschnitte auf der DNA Mensch ~ 25 000 Gene 10 3. Was ist ein Chromosom ? Chromosomen sind lange DNA‐Moleküle und Träger der Gene Bakterien enthalten in der Regel ein einzelnes zirkulares Chromosom Escherichia coli: ca. 4 600 Gene Pflanzen, Tiere und Mensch: mehrere lineare Chromosomen Mensch: 46 Chromosomen, je 23 vom Vater und 23 von der Mutter 11 Die 46 Chromosomen des Menschen Männlicher XY Chromosomensatz XX Weiblicher Chromosomensatz 12 4. Der Weg vom Gen zum Protein Gen A Gen B Gen C Boten-RNA Protein A Protein B Protein C 13 5. Was ist eine Mutation ? Eine Mutation ist eine Änderung in der DNA: AATGGTCCATGC TTACCAGGTACG AATGCTCCATGC TTACGAGGTACG 14 Wie identifiziert man Mutationen ? Methode: durch Bestimmung der Abfolge der Basen …ATGCTGCAAGGCTCAAGGCTACT… …ATGCTGCTAGGCTCAAGGCTACT… …ATGCAGCAAGGCTCAAGGCTACT… …ATGCTGCAAGGCTCAAGCCTACT… Menschliche DNA: etwa 3 Milliarden Basen(paare) 15 Wie weist man Mutationen nach ? Prinzip: Basenpaarung A‐T* T‐A C‐G G‐C C‐G C‐G A‐T T‐A A‐T* T* T‐A A C‐G G G‐C → C C A A C‐G G A‐T T T‐A A G‐A* G‐T C‐A C‐G A‐T C‐G T‐A G‐C Gen-Chips G‐C* G‐C C‐G C C A‐T C‐G T‐A G‐C 16 1. Grundlagen 2. Erbkrankheiten 3. Pränataldiagnostik: invasive und nichtinvasive Methoden 4. Präimplantations-Diagnostik (PID) 5. Ausblick 17 Vererbung 1. Wir besitzen 23 Chromosomenpaare: 22 Autosomenpaare = 44 zwei Geschlechts-Chromosomen Frau: X X Mann: X Y 2. Mutationen sind dominant oder rezessiv dominant = ein mutiertes Gen führt bereits zur Krankheit rezessiv = ein mutiertes Gen führt nicht zur Krankheit 18 Beispiele für autosomal dominante Erbkrankheiten Muskeldystrophie Erblicher Augenkrebs Chorea Huntington Neurofibromatose 19 Beispiele für autosomal rezessive Erbkrankheiten Phenylketonurie Mukoviszidose Albinismus 20 Überzählige Chromosomen Trisomien Bekannte Trisomien: Trisomie 21 = Down-Syndrom Trisomie 13 = Patau-Syndrom Trisomie 18 = Edwards-Syndrom Kinder mit Trisomie 13 und 18 können lebend geboren werden, sterben aber sehr früh 21 Down-Syndrom ~95% aller Schwangeren in Deutschland mit der Diagnose Trisomie 21 entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch 22 Monogenetische Erkrankungen Erkrankung wird durch eine Mutation in einem einzelnen Gen hervorgerufen ~ 10 000 monogenetische Erkrankungen bekannt Beispiele: - Mukoviszidose (= zystische Fibrose): > 1000 verschiedene Mutationen - Phenylketonurie - Albinismus - Chorea Huntington: neurodegenerative Erkrankung (> 40. Lebensjahr) ohne Heilung 23 Polygenetische Merkmale Die Vererbung von komplexen individuellen Merkmalen ist unbekannt: - Intelligenz - Musikalität - sportliche Fähigkeiten - Haar- und Augenfarbe - sprachliche Kompetenz - künstlerisches Talent 24 Historische Entwicklung 1959: Jérôme Lejeune findet ein über‐ zähliges Chromosom beim Menschen mit Down‐Syndrom 1966: Mark Steele und Roy Breg isolieren Fötuszellen aus dem Fruchtwasser → Analyse des Geschlechts 2000: Entzifferung der menschlichen Gene → Jagd nach den Genen beginnt, die für monogenetische Erbkrankheiten verantwortlich sind 25 Das menschliche Genom ist entschlüsselt: 2000 Francis Collins Craig Venter Bill Clinton 26 1. Grundlagen 2. Erbkrankheiten 3. Pränataldiagnostik: invasive und nichtinvasive Methoden 4. Präimplantations-Diagnostik (PID) 5. Ausblick 27 Nachweis von Erbkrankheiten und Fehlbildungen 1. invasive Methoden: - Fruchtwasserentnahme = Amniozentese - Chorionzotten-Biopsie 2. nicht-invasive Methoden - Ultraschall - Gentests - Analyse des gesamten Erbguts 28 Amniozentese • Entnahme von fötalen Zellen aus dem Fruchtwasser • ab der 14. Schwangerschaftswoche • Gefahr einer Fehlgeburt 29 Was kann man mit einer Amniozentese nachweisen ? • Geschlecht • Erbkrankheiten (Analyse der DNA mittels GenChips) • Trisomien 30 Der mörderische Makel Frau Anzeigetafel in Neu‐Dehli http://www.zeit.de/2012/12/Indien-ChinaGeschlechtermord 31 Chorionzotten Biopsie ab der 10.-11. Schwangerschaftswoche 32 Ultraschall-Untersuchung ab der 8. Schwangerschaftswoche 33 Was kann man mit einer UltraschallUntersuchung nachweisen ? 1. Alter des Embryos 2. Geschlecht 3. Fehlbildungen 2009: ~ 31.000 Amniozentesen in D 1/200 Untersuchungen Fehlgeburt 34 Isolierung von fötaler DNA aus dem Blut der schwangeren Mutter • freie fötale DNA = ffDNA • ~ 5 ml Blut ausreichend • Analyse auf Trisomie 21: - Firma Life Codexx: PraenaTest Ende dieses Monats; € 1.250 - Sequenom: MaterniT21; seit Oktober 2011; $ 1.900 • Analyse der gesamten DNA: ~ € 50.000 35 1. Grundlagen 2. Erbkrankheiten 3. Pränataldiagnostik: invasive und nichtinvasive Methoden 4. Präimplantations-Diagnostik (PID) 5. Ausblick 36 Präimplantations-Diagnostik (PID) 37 PID • 1995: erstes PID-Baby kam zur Welt • 27.01.2012: erstes deutsches PIDBaby geboren (Uni-Klinik Lübeck) • > 4000 PID-Kinder weltweit geboren Untersuchungen auf bestimmte Krankheiten erlaubt: - Down-Syndrom - Chorea Huntington - Mukoviszidose - Bluterkrankheit Hämophilie A und B 38 Anwendung der PID Belgien: Rund 50 monogene Erkrankungen, z.B. - zystische Fibrose - Muskeldystrophie Potentielle Krankheiten: nur BRCA1 39 Erfahrungen mit der PID im Ausland Großbritannien: ~500 Behandlungszyklen zwischen 1990 und 2004 mit ~100 Kindern Frankreich: ~100 PID-Behandlungen pro Jahr mit 10-20 Geburten pro Jahr Fazit: Keine Hinweise auf Wunsch-Babies 40 Sonderfälle 1. Rettungsgeschwister 2. behindertes Kind 41 Rettungsgeschwisterkind Zain Hashmi 2 Jahre (02/2002) β-Thalassemia Lebenserwartung ohne Behandlung: ~10 Jahre Mit Behandlung: ~15 Jahre Taubes Ehepaar Wunsch: taubes Kind Technik: in vitro Fertilisation, genetische Analyse im 8-Zell Stadium 1. Grundlagen 2. Erbkrankheiten 3. Pränataldiagnostik: invasive und nichtinvasive Methoden 4. Präimplantations-Diagnostik (PID) 5. Ausblick 44 Was ist neu ? Aus dem Blut der schwangeren Mutter kann bereits in den ersten Schwangerschaftswochen embryonale DNA isoliert und auf Trisomien und Erbkrankheiten hin analysiert werden – ohne Gefahr für den Embryo 45 Wichtige Fragen 1. Kommt die Schwangerschaft auf Probe ? 2. Steuern wir auf eine Medizin zu, die gesunde Kinder garantiert ? 3. Was ist eine schwerwiegende Erbkrankheit ? 4. Wer bezahlt für den Gentest ? 46 Nur knapp 10% aller physischen und psychischen Behinderungen gehen auf Erbkrankheiten zurück 47 48