Aktuell - BIOspektrum

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10.03.2011
11:01 Uhr
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W I S S E N SCH AFT · AKTU E LL
ÿ Mutationen in SMOC1 Ursache für Mikrophthalmie mit Fehlbildungen an Händen und Füßen
ÿ Kupfer-Phobie bei Mycobacterium tuberculosis
ÿ Erste Kristallstruktur aktiver β-adrenerger Rezeptoren: kleine Bewegungen mit großen Folgen
Gen in den Schlagzeilen
Mutationen in SMOC1 Ursache für Mikrophthalmie mit Fehlbildungen
an Händen und Füßen
ó 1961 beschrieb der niederländische
Augenarzt und Genetiker Petrus Johannes
Waardenburg das nach ihm benannte Anophthalmie-Syndrom, eine zu kleine oder rudimentäre Ausbildung eines oder beider
Augäpfel, das auch Fehlbildungen
an Händen und Füßen einschließt
(OMIM 206920). Inzwischen
sind weltweit 18 Familien mit
dieser Erkrankung beschrieben
(www.orpha.net). Ein internationales Konsortium mit Beteiligung von
Gruppen aus Japan, dem Libanon und der
Türkei hat nun unter der Leitung von Hirotomo
Saitsu (Yokohama, Japan) die molekulare
Grundlage dieser seltenen Erkrankung in drei
unabhängigen Familien geklärt (Okada I et al.,
Am J Hum Genet (2011) 88:30–41). Die Identifikation wurde möglich, nachdem die Kopp-
lungsanalyse der drei Familien mit konsanguinem Erbgang gemeinsam durchgeführt wurde.
Die Mutation befindet sich auf dem Chromosom 14q24 innerhalb eines Intervalls von 3 MB,
das 24 Gene enthält. Die Mutationen in
allen drei Familien betreffen das
Gen SMOC1 (SPARC [secreted
protein acidic and rich in cystein]related modular calcium binding ).
Es handelt sich dabei um eine nonsense-Mutation sowie zwei verschiedene splice-site-Mutationen,
die in allen Fällen wahrscheinlich zu
einem Funktionsverlust des Proteins führen.
Die Eltern sind heterozygot für die jeweilige
Mutation; die Mutationen kommen in gesunden
Populationen nicht vor. In der Maus wird Smoc1
während der Augen- und Extremitätenentwicklung exprimiert; ein Knockout-Modell, das
die Autoren beschreiben, zeigt Erscheinungsformen, die dem menschlichen Krankheitsbild
vollständig entsprechen.
Y Die Arbeit zeigt in eindrucksvoller Klarheit
die Identifikation der genetischen Ursache einer
Erkrankung, die in dieser Form besonders selten ist. Der entscheidende Durchbruch gelang
durch die gemeinsame Analyse der drei konsanguinen Familien aus verschiedenen Nationen. Die Charakterisierung der entsprechenden Mausmutante bestätigt die humangenetische Analyse und ermöglicht eine genaue
Beschreibung des Mechanismus. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass Smoc1 als
Antagonist des BMP-Signals wirkt (bone morphogenetic protein), von dem wir wissen, dass
es bei der Augen- und Skelettentwicklung eine
wichtige Rolle spielt.
Jochen Graw, Neuherberg ó
Mikroorganismus in den Schlagzeilen
Kupfer-Phobie bei Mycobacterium tuberculosis
ó Die Entwicklung
neuer Chemotherapeutika gegen M. tuberculosis ist schwierig, weil sich das Bakterium mit einer kaum
durchdringbaren Zellwand schützt. Günstig
wären deshalb Antibiotika, die nicht erst in der Zelle, sondern
bereits außen wirken. Doch weiß man über
Proteine der äußeren Membran von M. tuberculosis bisher wenig. Wolschendorf et al. (Proc
Natl Acad Sci USA (2011) 108:1621–1626) ist
es nun gelungen, ein Membranprotein zu charakterisieren, das vielleicht einen neuen therapeutischen Zugang eröffnet.
Das Molekül Rv1698 (homolog zum mycobacterial copper transport protein MctB in
M. smegmatis) ist eines der wenigen bekann-
ten Proteine der äußeren Membran von
M. tuberculosis. Die
Autoren fanden, dass
Verlustmutanten in
Cu-haltigem Medium
nicht wuchsen und
Cu-Ionen intrazellulär
anreicherten. Die minimale Hemmkonzentration ist mit unter
24 µM (gegenüber etwa 3 mM bei E. coli) sehr
niedrig. M. tuberculosis regelt intrazelluläres
Cu(I/II) mit dem Bindeprotein MymT, vor allem
aber durch Ausschleusen über die Effluxpumpe CtpV in Kooperation mit MctB auf ein extrem geringes Niveau (Abb.). Fällt MctB aus,
so steigt die Cu-Konzentration auf das 100-Fache und vergiftet die Zelle vermutlich durch
Cu(I)-katalysierte Hydroxylradikal-Bildung aus
H2O2. Tatsächlich reagieren infizierte Makro-
phagen mit Cu-Ausschüttung in Phagosomen
und halten so M. tuberculosis in Schach. Die
Zellzahl der hyperempfindlichen MctB-Mutante in der Lunge von Meerschweinchen erreicht
nur 0,1 % des Wildtyp-Werts. Damit bietet sich
das Protein der äußeren Membran als Ziel für
ein neues Medikament an.
Y Der Annahme, dass die Orte antibiotischen
Angriffs im Wesentlichen ausgelotet seien, steht
die Tatsache gegenüber, dass bei weitem noch
nicht alle Gene und Genprodukte in ihrer Funktion und Wirkung bekannt sind. Andere Ansätze zu suchen lohnt sich, zumal für die multiresistenten Stämme von M. tuberculosis. Um
einen Gegner zu überwinden, ist die ultima
ratio nicht immer, seine Stärke zu brechen; es
kann erfolgreicher sein, Schwachstellen aufzuspüren und sie gegen ihn selbst zu richten –
mit Judo statt Pankration.
Harald Engelhardt, Martinsried ó
BIOspektrum | 02.11 | 17. Jahrgang
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10.03.2011
11:01 Uhr
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Arzneimittel in den Schlagzeilen
Erste Kristallstruktur aktiver β-adrenerger
Rezeptoren: kleine Bewegungen mit großen
Folgen
(Bild: Rasmussen
et al., Nature
(2011) 469:
175–180)
ó G-Protein-gekoppelte
Rezeptoren
(GPCR) zählen zu den wichtigsten Zielmolekülen von Arzneistoffen. Seit der Klonierung des β2-adrenergen Rezeptors 1986
wurden bis heute im humanen Genom über
800 GPCRs entdeckt. Bereits kurz nach der
Klonierung begannen mehrere Arbeitsgruppen mit der in vitro-Produktion und Reinigung von Rezeptorproteinen, um ihre dreidimensionale Struktur aufzuklären. Erst
2007 konnten erstmalig β-adrenerge und
Adenosin-Rezeptorstrukturen aufgedeckt
werden. Die bisher bekannten Strukturen
hatten jedoch einen gravierenden Nachteil:
Sie zeigten die Rezeptoren nur im inaktiven
Zustand, da die Proteine zur Kristallisierung
durch inverse Agonisten oder Antagonisten
stabilisiert werden mussten. Nun ist es den
Arbeitsgruppen von Kobilka sowie Tate und
Schertler gelungen, aktive β-adrenerge Rezeptoren zu kristallisieren (Rasmussen SG
et al., Nature (2011) 469:175–180; Rosenbaum DM et al., l. c. 236–240; Warne T
et al., l. c. 241–244).
Schlüssel zum Erfolg waren zum einen
neue Agonisten, die sich mit sehr hoher Affinität bzw. irreversibel an die Rezeptoren
binden, sowie Antikörper, die aus Lamas gewonnen wurden. Lamas und einige andere
BIOspektrum | 02.11 | 17. Jahrgang
Kamelarten synthetisieren Antikörper, die
keine leichten Ketten enthalten, sodass es
gelingen konnte, minimale Antigen-bindende Fragmente zu erhalten, die nur ein Viertel der Größe eines Fab-Fragments ausmachen. Diese Nanokörper (nanobody) zeigten G-Protein-ähnliche Eigenschaften, sodass gereinigtes β2-Rezeptorprotein durch
einen hochaffinen Agonisten und einen Nanokörper ausreichend stabilisiert und im
aktiven Zustand eingefangen werden konnte. Die Veränderungen des Rezeptorproteins vom inaktiven in den aktiven Zustand
waren erstaunlicherweise sehr gering
(Abb.). In der Bindungstasche der Agonisten wurden nur kleine Bewegungen festgestellt, die sich aber wie über einen Hebelmechanismus zu deutlichen größeren
Ausschlägen (bis zu 11,4 Å) der zytoplasmatischen Regionen der Transmembrandomänen TM3, TM5, TM6 und TM7 entwickelten.
Y Wird es nun gelingen, gezielt Liganden
zu entwickeln, die diese Rezeptoren spezifisch aktivieren oder inaktivieren? Die vorgestellten Arbeiten sind sicher bedeutende
Meilensteine auf diesem Weg.
Lutz Hein, Freiburg ó
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