HIOB Deborah Epstein (Inszenierung) Aufgewachsen in Port Washington (USA) und Zürich, Tanz- und Schauspielausbildung in Zürich. Es folgten Schauspielengagements u. a. in Zürich, Dortmund und Basel, wo sie mit Regisseuren wie Frank Castorf, Jossi Wieler, Christoph Marthaler oder Andreas Kriegenburg zusammenarbeitete. Deborah Epstein lehrte an der Schauspielakademie Zürich, an der Hochschule für Theater Bern, an der Hochschule der Künste Berlin und am Mozarteum in Salzburg. Seit 1992 arbeitet sie als Regisseurin u. a. am Staatstheater Stuttgart, am Maxim Gorki Theater Berlin, in Leipzig, Luzern, Freiburg, Graz und Biel-Solothurn. Unter ihren Arbeiten finden sich zahlreiche Inszenierungen nichtdramatischer Texte. In Saarbrücken waren von ihr bereits »Woyzeck«, »Amerika« und Lubitschs Filmkomödie »Sein oder Nichtsein« zu sehen. Florian Barth (Bühnenbild und Kostüme) Nach dem Bühnenbildstudium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Erich Wonder arbeitete Florian Barth als Bühnenbildassistent in Ulm, Zürich und Bayreuth (2000: »Der Ring des Nibelungen«, Regie: Jürgen Flimm, Bühne: Erich Wonder). Seit 2001 ist er als freischaffender Bühnen- und Kostümbildner u. a. in Graz, Berlin, Zürich Göttingen, Solothurn tätig. In Saarbrücken hat Florian Barth schon häufig gearbeitet. Neben den Arbeiten für Deborah Epstein entwarf er hier Bühnen- und Kostümbilder für Inszenierungen von Antje Thoms und Christoph Diem, u. a. für »König Ödipus«, »Der Gott des Gemetzels«, »Don Carlos«, »Supergute Tage« oder »Der standhafte Zinnsoldat«. Joseph Roth: Ein Jude geht nach Amerika (1927) Wenn die Ostjuden nicht soviel Angst hätten, sie könnten sich mit Recht rühmen, das militärfeindlichste Volk der Welt zu sein. Wer sich dem 20. Lebensjahr näherte und so gesund war, dass er annehmen musste, man würde ihn assentieren, floh nach Amerika. Sie wollten nicht dienen. Sie wollten nicht in den Krieg ziehen und fallen. Ihre Frömmigkeit unterstützte die Überlegung. Es war nicht nur dumm, für einen Kaiser, für einen Zaren zu sterben, es war auch eine Sünde, fern von der Thora und entgegen ihren Geboten zu leben. Eine Sünde, Schweinefleisch zu essen. Am Sabbat eine Waffe zu tragen. Zu exerzieren. Wer Geld besaß, überlegte sich, ob er es mit einer Bestechung oder einer Flucht nach Amerika versuchen sollte. Die Mutigsten gingen nach Amerika. Nie mehr durften sie zurück. Sie verzichteten. Sie verzichteten schweren Herzens auf die Familie und leichten Herzens auf das Vaterland. Sie gingen nach Amerika. Das sind heute die sagenhaften Vettern der Ostjuden. Die früheren Deserteure sind drüben reiche, zumindest wohlhabende Kaufleute. Der alte jüdische Gott war mit ihnen. Er belohnte ihre Militärfeindschaft. Dieser Vetter in Amerika ist die letzte Hoffnung jeder ostjüdischen Familie. Er hat schon lange nicht geschrieben, dieser Vetter. Man weiß nur, dass er sich verheiratet und Kinder gezeugt hat. Irgendein altes, vergilbtes Bild hängt an der Wand. Vor zwanzig Jahren kam es an. Zehn Dollar lagen dabei. Man hat lange nichts mehr von ihm gehört. Dennoch zweifelt die Familie in Dubno nicht, dass man ihn in New York oder Chikago finden wird. Dann endlich fährt man vierter Klasse Personenzug sechs Tage nach Hamburg. Man wartet weitere zwei Wochen JOSEPH ROTH auf das Schiff. Schließlich besteigt man es. Und während alle Passagiere mit Schnupftüchern winken und dem Weinen nahe sind, ist der jüdische Emigrant zum erstenmal in seinem Leben froh. Er hat Angst, aber auch Gottvertrauen. Er fährt in ein Land, das alle Ankommenden mit einer riesengroßen Freiheitsstatue grüßt. Diesem riesigen Monument muss die Wirklichkeit einigermaßen entsprechen. Einigermaßen entspricht die Wirklichkeit dem Symbol. Aber nicht etwa deshalb, weil man es drüben mit der Freiheit aller Menschen so ernst nimmt, sondern weil es drüben noch jüdischere Juden gibt, nämlich Neger. Dort ist ein Jude zwar ein Jude. Aber er ist in der Hauptsache ein Weißer. Zum erstenmal bietet ihm seine Rasse einen Vorteil. Der Ostjude fährt dritter Klasse, beziehungsweise Zwischendeck. Die Überfahrt ist besser, als er es sich vorgestellt hat, aber die Landung ist schwieriger. Der Jude kommt in eine Art Gefangenschaft, die man Quarantäne nennt, oder ähnlich. Ein hoher Zaun schützt Amerika vor ihm. Durch die Gitter seines Kerkers sieht er die Freiheitsstatue, und er weiß nicht, ob er oder die Freiheit eingesperrt ist. Er darf nachdenken, wie es in New York sein wird. Er kann sich’s kaum vorstellen. So aber wird es sein: er wird zwischen zwölfstöckigen Häusern, zwischen Chinesen, Ungarn und anderen Juden wohnen, wieder ein Hausierer sein, wieder die Polizei fürchten, wieder schikaniert werden. Seine Kinder werden vielleicht Amerikaner werden. Vielleicht berühmte Amerikaner, reiche Amerikaner. Könige irgendeines Materials. Davon träumt der Jude hinter den Gittern seiner Quarantäne. aus: Joseph Roth, Juden auf Wanderschaft. München (dtv) 52015 (Auszüge) PREMIERE 22.01.2016 Staatstheater Nach dem Roman von Joseph Roth HIOB in einer Fassung von Koen Tachelet Mendel Singer Deborah, seine Frau Menuchim, sein Sohn Mirjam, seine Tochter Schemarjah, sein Sohn Jonas, sein Sohn / Kosake / Mac Erzähler / Doktor / Rabbi / Kapturak / Sameschkin / Menkes Inszenierung Bühnenbild, Video und Kostüme Musik Dramaturgie Regieassistenz und Abendspielleitung Bühnenbildassistenz Inspizienz Souffleuse Christian Higer Nina Schopka Thomas Schmidt Yevgenia Korolov Roman Konieczny Georg Mitterstieler Cino Djavid Deborah Epstein Florian Barth Cino Djavid Ursula Thinnes Jennifer Bischoff Ina Reichert Jörg Paul Christine Ast Technischer Direktor Ralf Heid / Kommissarischer Leiter Beleuchtungsabteilung Frank Sobotta / Leiter Tonabteilung Walter Maurer / Kostümdirektor Markus Maas / Leiterin Maske Birgit Blume / Leiter Requisite Peter Michael Bartosch Bühneninspektoren Philipp Sonnemann, Christoph Frank / Technische Einrichtung und Technische Leitung AFW Dieter Elsenbast / Licht Hans-Jörg Zöhler / Ton Kurt Trenz / Video Jo Gregori / Requisite Klaus-Dieter Einicke, Jasmina Ouachemi / Maske Bianca Jungfleisch, Anette Kleineick / Gewandmeister Elisabeth Bitdinger, Christiane Hepp, Bettina Kummrow, Peter Plaschek / Ankleider Michael Heißler, Sabrina Neukirch Werkstättenleitung Peter Frenzel / Produktionsleiter Christian Held / Dekorationsabteilung Christoph Foss / Malsaal Peter Frenzel / Schlosserei Fabian Koppey / Schreinerei Armin Jost / Leitung Statisterie Andreas Tangermann Herzlichen Dank an Benjamin Chait für die fachliche Beratung. Uraufführung der Fassung: 19. April 2008, Münchner Kammerspiele Premiere: 22. Januar 2016 in der Alten Feuerwache Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden, keine Pause Aufführungsrechte: Rowohlt Theaterverlag, Reinbek IMPRESSUM – S P I E L Z E I T 20 1 5/ 20 16 : HERAUSGEBER: Saarländisches Staatstheater GmbH – Dagmar Zum Stück: Hiob. Die Geschichte eines einfachen Mannes Der Autor: Joseph Roth – Ein Leben auf Wanderschaft »Seit Jahrhunderten wandert dieses Volk der Ostjuden, der armen Bauern westwärts, Heimat verlassend, Heimat suchend. Eine große Traurigkeit geht von ihnen aus, ihren grauen Bärten, ihren zerfurchten Gesichtern, ihren rührenden, unbeholfenen Bündeln.« Geboren 1894 in Brody in Galizien als Sohn eines Holzund Getreidehändlers, gestorben 1939 in einem Armenspital in Paris. Zwischen diesen Eckdaten liegt das kosmopolitische Leben eines jüdischen Intellektuellen und exzessiven Trinkers. Roth war gefeierter Journalist und erfolgreicher Romancier – einer, der nirgends so recht zuhause war: »Seit meinem achtzehnten Lebensjahr habe ich in keiner Privatwohnung gelebt, höchstens eine Woche als Gast bei Freunden. Alles was ich besitze sind 3 Koffer. Und das erscheint mir gar nicht merkwürdig. Sondern merkwürdig und sogar ‚romantisch‘ kommt mir ein Haus vor, mit Bildern u so weiter.« Mendel Singer, »fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich«, ist ein einfacher Tora-Lehrer im Schtetl Zuchnow. Mendels Welt ist ein ruhiger Fluss. Mit der Geburt des vierten Kindes gerät sein Leben aus der Bahn: Das Kind hat Epilepsie, doch Mendel vertraut auf Gott und lehnt medizinische Behandlung ab. Als wäre diese Prüfung nicht genug: Ein Sohn wird Soldat in der zaristischen Armee, ein anderer desertiert in Richtung Amerika und die Tochter beginnt, sich mit Kosaken herumzutreiben. Stück für Stück bricht Mendels Welt auseinander. Er wird nach Amerika gehen und sein krankes Kind in Russland zurücklassen. Er wird seine Familie verlieren und sich von Gott abwenden. Unfassbar, ja märchenhaft, dass sich zuletzt ein Wunder zu ereignen scheint. Joseph Roth erzählt in seinem 1930 erschienenen Roman eine Geschichte von Flucht und Vertreibung, eine, die sich millionenfach ereignet hat und wie sie sich noch immer ereignet. Roths wissendes Gespür für die tiefe Identitätskrise, die der Verlust von Heimat auslöst, macht den Roman so berührend und stark. Es ist nicht nur eine geografische Heimat, die Mendel Singer aufgibt, es ist ein komplexes, ideelles und emotionales Zuhause, das verschwindet und zerbricht. Schlingmann, Generalintendantin / Prof. Dr. Matthias Almstedt, Kaufmännischer Direktor FOTOS: REDAK TION: Ursula Thinnes Björn Hickman, stage picture GmbH Grafikdesign GRAFIK: Leis & Kuckert alle Joseph Roth-Zitate auf dieser und der folgenden Seite aus: Wilhelm von Sternburg, Joseph Roth. Eine Biographie, Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2009 Zu seiner jüdischen Herkunft hatte Roth ein durchaus gespaltenes Verhältnis: »Mein Judentum ist mir nie anders, als eine akzidentelle Eigenschaft erschienen, etwa wie mein blonder Schnurrbart (er hätte auch schwarz sein können). Ich habe nie darunter gelitten, ich war nie darauf stolz.« An anderer Stelle aber schreibt er: »Ich gebe ohne weiteres zu: mein Hirn denkt kosmopolitisch, mein Herz schlägt jüdisch.« Roth reiste im Auftrag der Frankfurter Zeitung nach Albanien und in die Sowjetunion, nach Polen, Italien u. a. Im Herbst 1927 führte ihn eine Reportage-Reise in das Saargebiet, wo nicht nur schmeichelhafte – dafür messerscharf beobachtete – Texte über die Saar und ihre Bewohner entstanden. Vielleicht war Roths Rastlosigkeit, seine eigene Suche nach Identität, das, was seinen Blick in der Distanz des Beobachters hielt und ihm Sehschärfe verlieh. Ohne Schmerz blieb dies nicht. »Wir sind alle Bruchstücke, weil wir die Heimat verloren haben.«