MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT

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Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT 2014, Junges Theater Solothurn 0 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER LIEBE LEHRPERSONEN Mit Schillers erstem Drama „Die Räuber“ hat sich das Junge Theater Solothurn dieses Jahr mit einem Klas-­‐
siker der dramatischen Literatur befasst. Die von neuen Idealen und grossen Zielen geprägte Epoche des Sturm und Drang trifft in dieser Inszenie-­‐
rung auf Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in einer Phase befinden, die seinerseits auch nach Zielen und Idealen verlangt. Ziel war die Auseinandersetzung mit den vielen Themen, welche dieses Stück aufbringt. So sind dann auf der Bühne vorerst zehn sehr unterschiedliche Jugendliche zu sehen, die sich im Rahmen des neuen Trends des „Acting Trips“ (mehr dazu in der fiktiven Reportage auf S.7) in das Stück hineinwerfen, mit dem Ziel, bei den anderen und vor allem bei sich selbst zu beobachten, was das Stück auslösen kann. Die stark ge-­‐
kürzte Fassung von Schillers Werk (Zusammenfassung auf S.3) bietet das Gerüst, auf dem sich die zehn Jugendlichen vor allem auch mit sich selbst auseinandersetzen. Gerne unterstützen wir Sie auch mit einem vorbereitenden Workshop oder einer Nachbesprechung im Schulhaus. Diese werden geleitet durch den Theaterpädagogen Christof Oser-­‐Meier, der sich auch für die Inszenierung des Stückes «Wir, Räuber» verantwortlich zeichnet und ermöglichen dadurch einen fundier-­‐
ten Einblick in die Produktion. Folgende Angebote sind vorgesehen: A) Workshop zur Vorbereitung, 90 Minuten Spielerisch nähern wir uns Themen und Form der Inszenierung an und ermöglichen gleichzeitig ei-­‐
nen Einblick in die Arbeitsweise des jungen Ensembles. In der Schule oder in den Proberäumen des Theaters. Leitung: Christof Oser-­‐Meier B) Vorbesprechung, 45 Minuten Im Vorfeld wird ein Blick auf Schillers Drama geworfen. Dabei sollen einige Themen, die in der In-­‐
szenierung zu Kontroversen führen, genauer betrachtet und hinterfragt werden. Es sind dazu kei-­‐
ne Vorkenntnisse der Klasse notwendig. Leitung: Christof Oser-­‐Meier, evt mit weiteren Personen der Produktion C) Nachbesprechung, 45-­‐90 Minuten Es bietet sich die Möglichkeit, Fragen zum Gesehenen zu stellen und einigen aufgeworfenen The-­‐
men auch aus eigener Sicht auf den Zahn zu fühlen. Leitung: Christof Oser-­‐Meier, evt mit weiteren Personen der Produktion D) Publikumsgespräch am 19. Mai, im Anschluss an die Schulvorstellung Die Mitglieder des Jugendclubs U21 werden sich nach einer ganz kurzen Verschnaufpause im di-­‐
rekten Anschluss an die Nachmittagsvorstellung den Fragen und Rückmeldungen des Publikums stellen und über die Entstehung der Produktion berichten. Bei einem Vorstellungsbesuch sind Workshop, Vor-­‐ und Nachbesprechung kostenlos. Wenn Sie Interesse an einem der obenstehenden Angebote oder einen anderen Wunsch an uns haben, freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme. Adressen dazu finden Sie auf der letzten Seite. Wir wünschen viel Spass bei der Vorbereitung und vor allem beim Besuch der Inszenierung am Theater Orchester Biel Solothurn! 2014, Junges Theater Solothurn 1 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER INHALT S. 3 Zusammenfassung Schillers „Die Räuber“ Überblick über das Personal und die verwickelte Handlung von Schillers Stück in Kurzfas-­‐
sung. S. 4 ! S. 6 ! Der junge Schiller: Ein Leben am Limit Spannende Einblicke ins wilde Leben des jungen Schriftstellers. 22-­‐jähriger Schiller sorgt für Theaterskandal Warum fielen die Zuschauer in Ohnmacht? Warum musste Schiller aus seiner Heimat flie-­‐
hen und warum machten ihn die Franzosen zum Ehrenbürger? S. 7 ! Reportage: Insider-­‐Infos aus der Acting-­‐Trip-­‐Bewegung Die Figuren aus dem Stück «Wir, Räuber» packen aus und erlauben in einer fingierten Re-­‐
portage exklusive Einblicke in die Regeln, die Mechanismen und die Folgen des Psychoex-­‐
periments. S. 9 ! Diskussion: Superhelden – heldenhaft? Ein Vergleich der Räuber mit Hollywoods Superhelden bietet sich an. Der gängige Helden-­‐
begriff soll neu überdacht und diskutiert werden. ! S. 10 Gerichtsverhandlung: Wer ist Schuld? Eine Einteilung von Schillers Figuren in Gut und Böse ist schnell gemacht und bei genaue-­‐
rer Betrachtung doch nicht ganz einfach. In Plädoyers soll nun über jede der Figuren ob-­‐
jektiv gerichtet werden. ! S. 11 Recherche und Diskussion: Bewegungen der Freiheit Gegenentwürfe zu unserer bürgerlich-­‐kapitalistischen Gesellschaft und das Streben nach Freiheit – nicht nur bei den Räubern ein brennendes Thema. S. 12 Besetzung, Impressum 2014, Junges Theater Solothurn 2 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER ZUSAMMENFASSUNG SCHILLERS „DIE RÄUBER“ Der altersschwache Herr von Moor hat zwei Söhne, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Nachdem sein erstgeborener Sohn Karl, statt in Leipzig zu studieren, das väterliche Geld verprasst, sich verschuldet und nur mit Streichen von sich reden gemacht hat, will er sich nun von seinem leichtsinnigen Lebensstil abwenden und bittet um Entschuldigung bei seinem Vater. Währenddessen sitzt der jüngere, und sowohl in Aussehen wie in Beliebtheit seinem Bruder nachstehende Franz zu Hause mit seinem alten Vater. Aus Eifersucht auf den ständig bevorzugten Bruder schmiedet er eine Intrige: Karls Entschuldigungsbriefe unterdrückend, liest er dem Vater einen fingierte Bericht von dessen Schandtaten vor und bringt seinen Vater dazu, Karl zu verfluchen und zu enterben. Karl, durch die väterliche Härte verzweifelt und erbittert, lässt sich zum Hauptmann einer von seinem Kollegen Spiegelberg gegründeten Räuberbande ernennen. Unterdessen versucht sich Franz zu Hau-­‐
se vergeblich der schönen Amalia, der Geliebten Karls, anzunähern. Sie bleibt Karl jedoch treu und verachtet die schmierigen Franz. Um den altersschwachen Vater aus dem Weg zu räumen, lässt die-­‐
ser Herrmann die falsche Nachricht von Karls Tod überbringen, für den er den Vater verantwortlich macht. Vor Schmerz stirbt der alte Moor und Franz übernimmt die Herrschaft. Karls Räuberbande geniesst währenddessen ihr freies, wildes Räuberleben und brennt eine ganze Stadt ab, um ihren Kollegen Roller vor der Todesstrafe zu retten. Erstmals distanziert sich Karl aber von der Grausamkeit des Räubers Schufterle. Als sie in einen aussichtslosen Hinterhalt geraten, be-­‐
weisen alle Räuber ihre Loyalität zu ihrem Hauptmann. Im folgenden Befreiungskampf kommt Roller um. Herrmann wird derweil reuig und gesteht Amalia, dass Karl in Wirklichkeit noch lebt, bevor er zur Räuberbande in den Wald flieht, um Karl die Intrige seines Bruders zu verraten und ihm vom Tod seines Vaters sowie von der Treue seiner Amalia zu erzählen. Karl schwört seinen Bruder für seine Schandtaten zu rächen und macht sich mit seiner Bande zum väterlichen Schloss auf. Spiegelberg schmiedet einen hinterhältigen Anschlag auf Karl in seiner Ab-­‐
wesenheit, den der treue Schweizer jedoch vereitelt, indem er Spiegelberg kurzerhand umbringt. Als Dank für seine Loyalität gibt Karl Schweizer die ehrenvolle Aufgabe, ihm Franz lebendig auszuliefern. Dieser hat sich jedoch, nach einer für ihn vernichtenden theologischen Diskussion mit Pastor Moser vor Verzweiflung über seine eigenen Taten selber umgebracht. Den toten Franz auffindend, bringt sich auch Schweizer um vor Scham, Karls Auftrag nicht erfüllt zu haben. Endlich bringt die Bande Amalia vor Franz, der nun seine Räuberidentität vor ihr nicht mehr verstecken kann. Doch ihre Liebe scheint unerschütterlich. Von den Räubern aber an seinen Treueschwur erinnert, muss er sich zwi-­‐
schen Räuberleben und Amalia entscheiden und kommt schliesslich ihrer Bitte nach und bringt sie um. Personal: Vater von Moor Sohn Karl von Moor, später Räuberhauptmann Sohn Franz von Moor Amalia, Geliebte Karls Pastor Moser Herrmann Ein Pater Räuber: Spiegelberg Schweizer Schufterle Razmann Roller 2014, Junges Theater Solothurn 3 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER DER JUNGE SCHILLER: EIN LEBEN AM LIMIT In «Wir, Räuber» geht es immer wieder um das Festhalten und den Verlust von Kontrolle und Verant-­‐
wortung. Jeder Figur muss ständig ihre Grenzen neu abschreiten, überprüfen, oder ganz hinter sich lassen. Wenn die Figuren Realität und Fiktion verschwimmen lassen, geben sie auch die Kontrolle ab. Grenzüberschreitend, exzessiv, ja fast wahnhaft erscheint auch der junge Schiller in seinem Schaf-­‐
fensdrang und seinem eigensinnigen, alle Konventionen niederreissenden Weg als Dichter, weshalb es sich lohnt, den jungen Schiller etwas näher kennen zu lernen. Als Teenager im Drill der Militärakademie Friedrich Schiller, 1759 als Sohn eines Offiziers und Wundarz-­‐
tes in Marbach geboren, wächst mit seinen fünf Schwestern in relativ bescheidenen Verhältnissen auf. Nach Abschluss der Lateinschule will der vierzehnjährige Schiller Theologie studieren. Doch der Herzog Carl Eugen hat andere Pläne und er wird 1773 in die Herzögliche Militärakademie, später Hohe Karlsschule genannt, eingezogen, die für ihre autoritäre Er-­‐
ziehung berühmt-­‐berüchtigt ist. Uniform-­‐ und Perückentra-­‐
gen ist für die Teenager Vorschrift, der Tagesablauf gestaltet sich etwa folgendermassen: «Aufstehen sommers 5 Uhr, winters 6 Uhr, danach Muste-­‐
rung, Rapport, Frühstück, danach Unterricht 7–11 Uhr, 11–12 Uhr Montursäubern und Musterung durch den Herzog. 13 Uhr Mittagessen, anschließend abteilungsweiser Spaziergang in Gegenwart von Aufsehern und erneut Unterricht von 14–
18 Uhr. An eine Erholungsstunde von 18–19 Uhr schlossen sich Musterung, Rapport und Abendessen um 19:30 Uhr an. Schlafengehen war für 21 Uhr anberaumt. An Sonntagen waren größere Spaziergänge unter Aufsicht von Offizieren möglich. Besuche der Angehörigen wurden ebenso selten gestattet wie Urlaub. Ferien gab es keine.» (Heinz Stade: Unterwegs zu Schiller; Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag, 2005; S. 34) Friedrich Schiller als 21-­‐Jähriger (1780). Gemälde von Tischbein nach einer Zeichnung von J. F. Weckherlin. http://www.goethezeitportal.de Schillers Weg zur Literatur Erst studiert Schiller Recht, später wechselt er dann zur Medizin. Doch was ihn wirklich begeistert, ist die Lektüre der verbotenen, neu erschienen Sturm-­‐und-­‐Drang-­‐Werke, wie etwa Goethes Werther, das Drama Götz von Berlichingen, Klingers Drama Sturm und Drang, aber auch die Gedichte Klopstocks und die Werke Shakespeares, die Schiller und seine Kollegen in einem geheimen Lesezir-­‐
kel zusammen gierig verschlingen. Inspiriert durch die Sturm-­‐und-­‐Drang-­‐Bewegung, die in ihrem Freiheitsdrang, ihrem Durchbrechen von jeglichen Regeln und ihrem Feiern vom heftigen Gefühl krassen Gegensatz zum faden Drill des Akademiealltags steht, schreibt Schiller erste Gedichte und beginnt 1776 mit der Niederschrift der Räuber. Im straffen Akademiealltag Zeit fürs Schreiben zu finden ist freilich fast unmöglich und Schiller entwickelt seine eigenen Techniken: 2014, Junges Theater Solothurn 4 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER «Die Zöglinge der Akademie durften Abends nur bis zu einer bestimmten Stunde Licht brennen. Da gab sich Schiller, dessen Phantasie in der Stille der Nacht besonders lebhaft war […] oft als krank an, um in dem Krankensaale der Vergünstigung einer Lampe zu geniessen. In solcher Lage wurden die Räuber zum Teil geschrieben. Manchmal visitierte der Herzog den Saal; dann fuhren die Räubern un-­‐
ter den Tisch; ein unter ihnen liegendes medizinisches Buch erzeugte den Glauben, Schiller benutze die schlaflosen Nächte für seine Wissenschaft.» (Walter Hoyer: Schillers Leben dokumentarisch, Köln 1967). Sein Leben im Sturm und Drang Nach Abschluss der Karlsschule – was erst 1780 gelingt, nachdem die ersten beiden eingereichten Dissertationen abgelehnt wurden – scheint Schiller sich völlig mit seiner geschaffenen Räuber-­‐Welt zu identifizieren und die Freiheit in Stuttgart in vollsten Zügen zu geniessen. So beginnt er etwa im Räuberstil Briefe zu schreiben oder muss einmal nach einem allzu feucht-­‐fröhlichen Trinkgelage auf einer Sänfte nach Hause getragen werden, was ihm in Stuttgart den Ruf eines Trinker einbringt. Seinen exzessiven Lebens-­‐ und Arbeitsstil behält er sein Leben lang, bis zu seinem frühen Tod im Alter von 45 Jahren, bei. Er sieht sich, im Gegensatz zum späteren Freund Goethe, nicht von Natur aus begabt und sucht dieses vermeintliche Defizit mit Fleiss und Disziplin aufzuholen, wobei er stän-­‐
dig über seine physischen und psychischen Grenzen hinaus lebt. Er steht meist zwischen 12 und 14 Uhr auf und arbeitet am liebsten nachts, um ungestört zu sein. Mit Kaffee, Alkohol und Tabak hält er sich wach und leistungsfähig. 1788 schreibt er, sein Leben sei eine „fatale fortgesetzte Kette von Spannung und Ermattung, Opiumschlummer und Champagner-­‐
rausch.“ Beim Schreiben soll er nicht nur mit sich selbst gesprochen, sondern sich selbst vorlesend, deklamierend, gestikulierend und zuweilen auch schreiend Luft gemacht haben. 2014, Junges Theater Solothurn 5 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER 22-­‐JÄHIGER SCHILLER SORGT FÜR THEATERSKANDAL Die Theateraufführung der Räuber ist als einer der grössten Literatur-­‐ und Theaterskandale in die Geschichte eingegangen. Schon für die Publikation seines Erstlingswerks muss Schiller kämpfen, denn vorerst wird es vom Verleger als unsittlich und der Leserschaft unzumutbar beurteilt, worauf er es 1781 auf eigene Kosten veröffentlicht, was ihn in tiefe Schulden treibt. Doch öffentlich zu seinem explosiven Werk zu stehen, scheint doch zu gefährlich, sodass es anonym und unter dem absichtlich falschen Druckort „Frankfurt und Leipzig“ erscheint. Das gedruckte Stück kommt Heribert von Dalberg, dem Intendanten des jungen und innovativen Mannheimer Nationaltheaters in die Hände und er macht sich, begeistert vom aufrührerischen Stoff, mit Schiller daran, das Stück so umzuschreiben, dass es ohne Risiko, von der Zensur verboten zu werden, aufgeführt werden kann: So wird etwa die Handlung von der Gegenwart ins Mittelalter ver-­‐
legt und alle Geistlichen im Stück, und damit jede Kritik an der Kirche, werden gestrichen. Die Uraufführung findet am Sonntag, 13. Januar 1782, zur Eröffnung des Karnevals statt. Schiller ist, ohne vom Herzog die Genehmigung zu dieser „Auslandreise“ zu haben, heimlich nach Mannheim gekommen und sitzt mit im Zuschauerraum. Es wird berichtet: „Aus der ganzen Umgegend, von Hei-­‐
delberg, Darmstadt, Frankfurt, Mainz, Worms, Speyer usw. waren die Leute zu Ross und zu Wagen herbeigeströmt, um dieses berüchtigte Stück, das eine ausserordentliche Publizität erlangt hatte, […] aufführen zu sehen. Der kleine Raum des Hauses nötigte diejenigen, welchen nicht das Glück zuteil wurde, eine Loge zu erhalten, ihre Sitze schon mittags um ein Uhr zu suchen und geduldig zu waren, bis um fünf Uhr endlich der Vorhand aufrollte.“ (Andreas Streicher, 1836) Über die Reaktionen im Zuschauerraum während der Uraufführung, die über vier Stunden dauerte und von manchen Umbaupausen unterbrochen wurde, haben wir folgenden Bericht eines Augenzeu-­‐
gen: „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füsse, heisere Aufschreie im Zuschauerraume! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung bricht.“ Der durchschlagende Erfolg und der Skandal der Uraufführung ist zwar für Schiller der Beginn seiner Karriere, aber sie hat auch bittere Folgen: Herzog Carl Eugen, der erzürnt ist über das politisch auf-­‐
rührerische Stück und sich persönlich angegriffen fühlt, bestraft seine unerlaubte Ausreise nach Mannheim mit einem vierzehntägigen Arrest und einem Schreibverbot. Das bringt Schiller dazu, in einer Nacht-­‐ und Nebelaktion mit einem Freund nach Mannheim zu fliehen. 1784 schreibt er: „Die Räuber kosteten mir Familie und Vaterland.“ Die politische Dimension des Stücks zeigt sich u.a. darin, dass die Führer der französischen Revolution 1792 im Theater an der Front – passend zu ihrem Motto „vivre libre ou mourir“ – Die Räuber auffüh-­‐
ren liessen und Schiller für das Stück das französische Ehrenbürgertum verliehen. Zum Diskutieren: " Was mochte wohl das Stück zu solch einem Skandal gemacht haben? " Weshalb rief es bei Publikum so starke Reaktionen hervor?
2014, Junges Theater Solothurn 6 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER REPORTAGE: INSIDER-­‐INFOS AUS DER ACTING-­‐TRIP-­‐BEWEGUNG
Ich sitze mit in einem gemieteten Kellerraum. Es riecht leicht muffig, ein paar alte Kleiderstangen mit Kostümen dran, Holzstühle, Kisten stehen herum. Zehn junge Menschen sitzen und stehen nervös herum. Unterschiedlicher könnten sie kaum sein, gemeinsam haben sie nur Eines: Sie waren vor ei-­‐
nem Monat Teil eines Acting-­‐Trips. Die Anspannung im Raum ist kaum zu ertra-­‐
gen. Nicht nur begegnen sich alle seit jenem Abend zum ersten Mal wieder, sondern sie sind auch kurz davor, ihre wichtigste Regel zu brechen: Man spricht nicht über den Acting-­‐
Trip. Doch sie scheinen etwas Wichtiges zu erzählen zu haben. Alles hatte hier begonnen... siert. Es macht ihm sichtlich Mühe, über das Vergangene zu sprechen. So beginne ich ganz allgemein und erkundige mich, wer denn überhaupt mitmachen durfte. Liz übernimmt vorerst das Sprechen: „Wir wollten eine mög-­‐
lichst wild zusammengewürfelte Gruppe. Möglichst spezielle Typen, die eigenständig denken können und bereit sind, sich voll auf etwas einzulassen.“ „Schliesslich sind es einfach die Stärksten, welche den Rest der Gruppe kontrollieren.“ Ich frage eine junge Frau, die etwas abseits sitzt und sich mir mit Meret vorstellt, wie sie in das Ganze hereingeraten sei. „Durch die persönliche Einladung durch Alex fühlte ich mich irgendwie auserwählt, besonders. Ich vertraute ihm und dachte, das sei mal eine Gelegenheit für mich, mich zu beweisen und ein anderes Gesicht von mir zu zeigen“, erklärt sie zögerlich. „Wir wollten möglichst spezielle Typen, die eigenständig denken können und bereit sind, sich voll auf etwas einzu-­‐
lassen.“ Alex hatte damals zusammen mit seiner Kolle-­‐
gin Liz das Ganze organisiert, die Leute einge-­‐
laden, das Stück gewählt, den Raum organi-­‐
2014, Junges Theater Solothurn Sich voll auf etwas einlassen, um das ging es, so höre ich heraus. Petra ereifert sich plötzlich. Denn ihr fiel es nicht leicht, diesen Schritt zu gehen und alles hinter sich zu lassen für die Dauer des Experi-­‐
ments. Doch sie entschied sich dafür und zog es durch. Es tönt fast wie eine Ent-­‐
schuldigung, wenn sie sagt: „Ich hielt mich an die Regeln.“ Offenbar gibt es festgeschriebene Regeln. Einen Schiedsrichter, der über das Einhalten dieser Regeln wacht, sucht man aber verge-­‐
bens. Überhaupt, aussenstehende Personen haben da nichts zu suchen. Wer im Raum ist, muss mitmachen und darf ihn erst wieder verlassen, wenn das ganze Stück durchgespielt ist. Die Gruppe scheint also streng über die vereinbarten Regeln zu wachen. Tatjana korri-­‐
giert mich energisch: „Schliesslich sind es einfach die Stärksten, welche den Rest der Gruppe kontrollieren.“ Plötzlich ist es toten-­‐
still. Konsternierte und scharfe Blicke schies-­‐
sen Richtung Tatjana. 7 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER Umso neugieriger bin ich nun und bohre wei-­‐
ter. Ob sie so etwas wie eine Sekte seien, die einem Anführer folgten? Die beiden Schwes-­‐
tern Eva und Maria schauen mich mit einem müd-­‐ironischen Lächeln an. Eine Sekte seien sie bestimmt nicht, überhaupt keine einge-­‐
schworene Gruppe, sondern das Ganze sei ein einmaliges Treffen gewesen. Maria erklärt: „Es ging für einmal nicht darum, sich einer Ideolo-­‐
gie, einem Glauben oder einem Führer unter-­‐
zuordnen. Sonst hätten wir nie mitgemacht. Genau davor wollten wir für eine Weile flie-­‐
hen.“ „Einmal raus aus der Rolle, die man in der Familie oder in der Schule immer spielen muss.“ Das tönt für mich etwas nach Second Life, nach einem Avatar-­‐Spiel. Der Vergleich scheint für einige gar nicht mal so verkehrt, immerhin geht es auch um eine Flucht aus dem Alltag. Einmal raus aus der Rolle, die man in der Fa-­‐
milie oder in der Schule immer spielen muss, so erklärt mir Joy ihre damalige Motivation. Nun möchte ich endlich mal von Alex, der alles skeptisch und nervös verfolgt, hören, worum es ihm eigentlich ging: „Für mich war die wichtigste Idee dieses vollständige Eintauchen in eine Figur, die nicht du selbst bist. Die Handlungen sind vorgegeben, ich gebe Entschei-­‐
dungsgewalt und Verantwortung für eine Weile vollständig ab. Das hat mich gereizt.“ Ben hatte da eine andere Idee: „Ich dachte erst, das sei einfach, um etwas Spass zu haben. Der Stücktitel ver-­‐
sprach Action, das gefiel mir.“ Wahrlich, dass die Wahl auf Schillers Räuber fiel, ist er-­‐
staunlich. Ein Klassiker, der mit einem ganzen Leichenberg endet. Nun ereifert sich Alex, er will das Stück nicht auf Gewalt reduziert ha-­‐
ben. „Es geht um grosse Themen wie Freiheit, Loyalität und Liebe. Es geht darum, dass man sich diesen Dingen einmal stellt, so richtig real. Dass man alles am eigenen Leib einmal erlebt, 2014, Junges Theater Solothurn durchleidet. Nicht nur auf dem Flachbild-­‐
schirm Hollywood-­‐Stars beim Tränchen-­‐
pressen und Maschinengewehr-­‐Rattern zuse-­‐
hen und dabei Popcorn in sich hineinstopfen. Sondern selber leben, erleben, sich spü-­‐
ren!“ Alex hat sich in Rage geredet. „Die Handlungen sind vorgegeben, ich gebe Entscheidungsgewalt und Ver-­‐
antwortung für eine Weile vollständig ab. Das hat mich gereizt.“ Doch nun schaltet sich selbstbewusst Alisha ein, die sich bisher ruhig zurückgehalten hatte. Einen Räuber zu spielen, habe ihr erst Angst eingejagt, doch durch das Durchspielen von Gewalt habe sie sich auch ganz neu kennen gelernt, meint sie nachdenklich. „Ich lernte mich durchzusetzen, für meine Meinung ein-­‐
zustehen.“ Es scheint also, als ob das Experi-­‐
ment tatsächlich Früchte gebracht hätte. Ich habe allerdings auch schon Gerüchte gehört, dass solche Experimente ausgeartet seien. Und so frage ich gerade heraus, wie es bei ihnen herausgekommen sei. Betretenes Schweigen. Darauf will keiner eine Antwort geben. Ich sehe betroffene Gesichter, einige wenden sich ab, schauen zu Boden. Ich merke, ich habe zu viel gefragt. Über gewisse Dinge lässt sich einfach nicht sprechen. Schon gar nicht zu Aussenstehenden, die damals nicht dabei waren.
8 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER DISKUSSION SUPERHELDEN – HELDENHAFT? In «Wir, Räuber» geht es oft um die grundlegende Frage nach Verantwortung, Freiheit und nach Recht bzw. Gerechtigkeit. Besonders an den mordenden Räubern, die in scheinbar völliger Freiheit leben und ihre eigene Gerechtigkeit, abseits jeden Gesetzes, definiert haben, entzünden sich Fragen wie: " Was macht den Guten zum Guten, den Bösen zum Bösen? " Warum wird die Gewalt des Guten geduldet oder gar gefeiert, die des Bösen aber verurteilt? " Wann ist ein Mord gerechtfertigt? " Heiligt der Zweck die Mittel? " Wann hat das Staatsrecht recht, wann eine übergeordnete Gerechtigkeit? Anhand von bekannten Action-­‐Heroes aus Hollywood lassen sich solche Fragen besonders anschau-­‐
lich verhandeln. Unten sind einige Vorschläge aufgeführt, wobei in den Youtube-­‐Filmen Todesszenen aus den zitierten Filmen recht eindrücklich zusammengeschnitten sind. (Die Filmausschnitte eigenen sich nicht für zu junge Schülerinnen und Schüler). So kann die Grausamkeit des „guten Helden“ aus dem Zusammenhang gerissen distanziert und vielleicht neu beurteilt werden. Eingeübte Wahrneh-­‐
mungsmuster sollen hinterfragt und der Begriff des Helden einer Neudefinition unterzogen werden. Was braucht es, um ein wahrer Held zu sein? " Verantwortungsgefühl? " Aufopferung? " Charisma? " Mut? " Stärke? " Loyalität? " Kaltblütigkeit? " Gerechtigkeitssinn? " eine Vision? " Bescheidenheit? Heroes aus Hollywood: Indiana Jones http://www.youtube.com/watch?v=lOKfQK7fs0c James Bond http://www.youtube.com/watch?v=mXpIbfc21qk Stirb langsam (Die hard) http://www.youtube.com/watch?v=8YXi9JAgdf0 Kill Bill Robin Hood Zorro Spartacus Gladiator Superman X-­‐Men
2014, Junges Theater Solothurn 9 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER GERICHTSVERHANDLUNG UND WER IST SCHULD AM GANZEN SCHLAMASSEL? Es soll in einer fingierten Gerichtsverhandlung – sozusagen am Jüngsten Gericht, da auch über Tote gerichtet werden muss – erörtert werden, inwiefern sich die in den Räubern beteiligten Figuren an-­‐
einander verschuldet haben, wer der Böse, wer der Gute in diesem ganzen Spiel war und wer die Katastrophe wie hätte aufhalten können. Zu berücksichtigen sind dabei nicht allein Verbrechen ge-­‐
gen das Gesetz wie Mord oder Betrug, sondern auch moralisch-­‐ethische Vergehen wie etwa Untreue oder Unterdrückung. Dies kann mündlich, in Form einer nachgestellten Gerichtsverhandlung mit Verteidiger und Ankläger für jede Figur geschehen, oder schriftlichen als Plädoyers für oder gegen eine der Figuren. Vor Gericht stehen: Der alte Moor Franz von Moor Karl von Moor Amalia Spiegelberg 2014, Junges Theater Solothurn 10 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER RECHERCHE UND DISKUSSION BEWEGUNGEN DER FREIHEIT Auch heute noch gibt es Gruppierungen oder Bewegungen, welche sich in Opposition zur bürgerli-­‐
chen Gesellschaft entwickeln und Freiheit und Gerechtigkeit suchen und proklamieren. Jede dieser Gegenentwürfe zur Gesellschaft hat aber wieder ihre eigenen Regeln und Kontrollmechanismen. Es stellt sich die Frage: Ist absolute Freiheit möglich in Gemeinschaft mit Menschen? Oder kann es die nur für einen einzelnen Menschen geben? Suche dir eine der Gruppierungen aus und versuche möglichst viel über sie herauszufinden. Präsen-­‐
tiere deine Erkenntnisse in einem kurzen Referat vor der Klasse oder in Gruppen. Diskutiert zusam-­‐
men, ob und in welcher Form Freiheit erreicht werden kann, was Freiheit überhaupt bedeutet und welche Mittel zum Erreichen dieser Freiheit eingesetzt werden (dürfen). Anarchisten Auswanderer Hippies Roma/Fahrende Punks Hells Angels 2014, Junges Theater Solothurn 11 Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER BESETZUNG «WIR, RÄUBER» Produktionsteam Leitung CHRISTOF OSER-­‐MEIER Regie-­‐ und Dramaturgieassistenz REGULA SCHELLING Inspizienz VERA PROBST Mit Theaterpädagogik Materialmappe ELIAS BAUMANN, NAJA BRUDER, RAHEL BRYNER, FIONA FANKHAUSER, OLIVIA FUHRER, ANNIKA GLAESER, LARA-­‐DESDEMONA KOFMEL, DOMINIK SCHERRER, SIMONA SCHRANER, DIANA ZANDA REGULA SCHELLING, CHRISTOF OSER-­‐MEIER © 2014, Junges Theater Solothurn Folgende Quellen wurden verwendet: Englhart, Andreas: Einführung in das Werk Friedrich Schillers. Darmstadt 2010. Grawe, Christian: Erläuterungen und Dokumente. Friedrich Schiller. Die Räuber. Reclam 2009. Weitere Infos zum Angebot des Jungen Theater Solothurn finden Sie auf unserem Flyer oder auf der Webseite www.tobs.ch unter JUNGES PUBLIKUM. THEATER ORCHESTER BIEL SOLOTHURN JUNGES THEATER SOLOTHURN Theater und Schule Christof Oser-­‐Meier Gibelinstrasse 20 | 4500 Solothurn T ++41 (0) 32 626 20 68 www.tobs.ch 2014, Junges Theater Solothurn 12 
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