Der junge Schiller

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Materialien für den Unterricht
«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER
MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT
2014, Junges Theater Solothurn
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Materialien für den Unterricht
«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER
LIEBE LEHRPERSONEN
Mit Schillers erstem Drama „Die Räuber“ hat sich das Junge Theater Solothurn dieses Jahr mit einem Klassiker der dramatischen Literatur befasst.
Die von neuen Idealen und grossen Zielen geprägte Epoche des Sturm und Drang trifft in dieser Inszenierung auf Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in einer Phase befinden, die seinerseits auch nach
Zielen und Idealen verlangt.
Ziel war die Auseinandersetzung mit den vielen Themen, welche dieses Stück aufbringt. So sind dann auf
der Bühne vorerst zehn sehr unterschiedliche Jugendliche zu sehen, die sich im Rahmen des neuen Trends
des „Acting Trips“ (mehr dazu in der fiktiven Reportage auf S.7) in das Stück hineinwerfen, mit dem Ziel,
bei den anderen und vor allem bei sich selbst zu beobachten, was das Stück auslösen kann. Die stark gekürzte Fassung von Schillers Werk (Zusammenfassung auf S.3) bietet das Gerüst, auf dem sich die zehn
Jugendlichen vor allem auch mit sich selbst auseinandersetzen.
Gerne unterstützen wir Sie auch mit einem vorbereitenden Workshop oder einer Nachbesprechung im
Schulhaus. Diese werden geleitet durch den Theaterpädagogen Christof Oser-Meier, der sich auch für die
Inszenierung des Stückes «Wir, Räuber» verantwortlich zeichnet und ermöglichen dadurch einen fundierten Einblick in die Produktion.
Folgende Angebote sind vorgesehen:
A) Workshop zur Vorbereitung, 90 Minuten
Spielerisch nähern wir uns Themen und Form der Inszenierung an und ermöglichen gleichzeitig einen Einblick in die Arbeitsweise des jungen Ensembles.
In der Schule oder in den Proberäumen des Theaters.
Leitung: Christof Oser-Meier
B) Vorbesprechung, 45 Minuten
Im Vorfeld wird ein Blick auf Schillers Drama geworfen. Dabei sollen einige Themen, die in der Inszenierung zu Kontroversen führen, genauer betrachtet und hinterfragt werden. Es sind dazu keine Vorkenntnisse der Klasse notwendig.
Leitung: Christof Oser-Meier, evt mit weiteren Personen der Produktion
C) Nachbesprechung, 45-90 Minuten
Es bietet sich die Möglichkeit, Fragen zum Gesehenen zu stellen und einigen aufgeworfenen Themen auch aus eigener Sicht auf den Zahn zu fühlen.
Leitung: Christof Oser-Meier, evt mit weiteren Personen der Produktion
D) Publikumsgespräch am 19. Mai, im Anschluss an die Schulvorstellung
Die Mitglieder des Jugendclubs U21 werden sich nach einer ganz kurzen Verschnaufpause im direkten Anschluss an die Nachmittagsvorstellung den Fragen und Rückmeldungen des Publikums
stellen und über die Entstehung der Produktion berichten.
Bei einem Vorstellungsbesuch sind Workshop, Vor- und Nachbesprechung kostenlos.
Wenn Sie Interesse an einem der obenstehenden Angebote oder einen anderen Wunsch an uns haben,
freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme. Adressen dazu finden Sie auf der letzten Seite.
Wir wünschen viel Spass bei der Vorbereitung und vor allem beim Besuch der Inszenierung am Theater
Orchester Biel Solothurn!
2014, Junges Theater Solothurn
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INHALT
S. 3
Zusammenfassung Schillers „Die Räuber“
Überblick über das Personal und die verwickelte Handlung von Schillers Stück in Kurzfassung.
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S. 4
Der junge Schiller: Ein Leben am Limit
Spannende Einblicke ins wilde Leben des jungen Schriftstellers.
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S. 6
22-jähriger Schiller sorgt für Theaterskandal
Warum fielen die Zuschauer in Ohnmacht? Warum musste Schiller aus seiner Heimat fliehen und warum machten ihn die Franzosen zum Ehrenbürger?
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S. 7
Reportage: Insider-Infos aus der Acting-Trip-Bewegung
Die Figuren aus dem Stück «Wir, Räuber» packen aus und erlauben in einer fingierten Reportage exklusive Einblicke in die Regeln, die Mechanismen und die Folgen des Psychoexperiments.
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S. 9
Diskussion: Superhelden – heldenhaft?
Ein Vergleich der Räuber mit Hollywoods Superhelden bietet sich an. Der gängige Heldenbegriff soll neu überdacht und diskutiert werden.
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Gerichtsverhandlung: Wer ist Schuld?
S. 10
Eine Einteilung von Schillers Figuren in Gut und Böse ist schnell gemacht und bei genauerer Betrachtung doch nicht ganz einfach. In Plädoyers soll nun über jede der Figuren objektiv gerichtet werden.
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S. 11
Recherche und Diskussion: Bewegungen der Freiheit
Gegenentwürfe zu unserer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und das Streben nach
Freiheit – nicht nur bei den Räubern ein brennendes Thema.
S. 12
Besetzung, Impressum
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ZUSAMMENFASSUNG SCHILLERS „DIE RÄUBER“
Der altersschwache Herr von Moor hat zwei Söhne, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Nachdem sein erstgeborener Sohn Karl, statt in Leipzig zu studieren, das väterliche Geld verprasst,
sich verschuldet und nur mit Streichen von sich reden gemacht hat, will er sich nun von seinem
leichtsinnigen Lebensstil abwenden und bittet um Entschuldigung bei seinem Vater. Währenddessen
sitzt der jüngere, und sowohl in Aussehen wie in Beliebtheit seinem Bruder nachstehende Franz zu
Hause mit seinem alten Vater. Aus Eifersucht auf den ständig bevorzugten Bruder schmiedet er eine
Intrige: Karls Entschuldigungsbriefe unterdrückend, liest er dem Vater einen fingierte Bericht von
dessen Schandtaten vor und bringt seinen Vater dazu, Karl zu verfluchen und zu enterben.
Karl, durch die väterliche Härte verzweifelt und erbittert, lässt sich zum Hauptmann einer von seinem
Kollegen Spiegelberg gegründeten Räuberbande ernennen. Unterdessen versucht sich Franz zu Hause vergeblich der schönen Amalia, der Geliebten Karls, anzunähern. Sie bleibt Karl jedoch treu und
verachtet die schmierigen Franz. Um den altersschwachen Vater aus dem Weg zu räumen, lässt dieser Herrmann die falsche Nachricht von Karls Tod überbringen, für den er den Vater verantwortlich
macht. Vor Schmerz stirbt der alte Moor und Franz übernimmt die Herrschaft.
Karls Räuberbande geniesst währenddessen ihr freies, wildes Räuberleben und brennt eine ganze
Stadt ab, um ihren Kollegen Roller vor der Todesstrafe zu retten. Erstmals distanziert sich Karl aber
von der Grausamkeit des Räubers Schufterle. Als sie in einen aussichtslosen Hinterhalt geraten, beweisen alle Räuber ihre Loyalität zu ihrem Hauptmann. Im folgenden Befreiungskampf kommt Roller
um. Herrmann wird derweil reuig und gesteht Amalia, dass Karl in Wirklichkeit noch lebt, bevor er
zur Räuberbande in den Wald flieht, um Karl die Intrige seines Bruders zu verraten und ihm vom Tod
seines Vaters sowie von der Treue seiner Amalia zu erzählen.
Karl schwört seinen Bruder für seine Schandtaten zu rächen und macht sich mit seiner Bande zum
väterlichen Schloss auf. Spiegelberg schmiedet einen hinterhältigen Anschlag auf Karl in seiner Abwesenheit, den der treue Schweizer jedoch vereitelt, indem er Spiegelberg kurzerhand umbringt. Als
Dank für seine Loyalität gibt Karl Schweizer die ehrenvolle Aufgabe, ihm Franz lebendig auszuliefern.
Dieser hat sich jedoch, nach einer für ihn vernichtenden theologischen Diskussion mit Pastor Moser
vor Verzweiflung über seine eigenen Taten selber umgebracht. Den toten Franz auffindend, bringt
sich auch Schweizer um vor Scham, Karls Auftrag nicht erfüllt zu haben. Endlich bringt die Bande
Amalia vor Franz, der nun seine Räuberidentität vor ihr nicht mehr verstecken kann. Doch ihre Liebe
scheint unerschütterlich. Von den Räubern aber an seinen Treueschwur erinnert, muss er sich zwischen Räuberleben und Amalia entscheiden und kommt schliesslich ihrer Bitte nach und bringt sie
um.
Personal:
Vater von Moor
Sohn Karl von Moor, später Räuberhauptmann
Sohn Franz von Moor
Amalia, Geliebte Karls
Pastor Moser
Herrmann
Ein Pater
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Räuber:
Spiegelberg
Schweizer
Schufterle
Razmann
Roller
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«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER
DER JUNGE SCHILLER: EIN LEBEN AM LIMIT
In «Wir, Räuber» geht es immer wieder um das Festhalten und den Verlust von Kontrolle und Verantwortung. Jeder Figur muss ständig ihre Grenzen neu abschreiten, überprüfen, oder ganz hinter sich
lassen. Wenn die Figuren Realität und Fiktion verschwimmen lassen, geben sie auch die Kontrolle ab.
Grenzüberschreitend, exzessiv, ja fast wahnhaft erscheint auch der junge Schiller in seinem Schaffensdrang und seinem eigensinnigen, alle Konventionen niederreissenden Weg als Dichter, weshalb es
sich lohnt, den jungen Schiller etwas näher kennen zu lernen.
Als Teenager im Drill der Militärakademie
Friedrich Schiller, 1759 als Sohn eines Offiziers und Wundarztes in Marbach geboren, wächst mit seinen fünf Schwestern
in relativ bescheidenen Verhältnissen auf. Nach Abschluss
der Lateinschule will der vierzehnjährige Schiller Theologie
studieren. Doch der Herzog Carl Eugen hat andere Pläne und
er wird 1773 in die Herzögliche Militärakademie, später Hohe
Karlsschule genannt, eingezogen, die für ihre autoritäre Erziehung berühmt-berüchtigt ist. Uniform- und Perückentragen ist für die Teenager Vorschrift, der Tagesablauf gestaltet
sich etwa folgendermassen:
«Aufstehen sommers 5 Uhr, winters 6 Uhr, danach Musterung, Rapport, Frühstück, danach Unterricht 7–11 Uhr, 11–12
Uhr Montursäubern und Musterung durch den Herzog. 13
Uhr Mittagessen, anschließend abteilungsweiser Spaziergang
in Gegenwart von Aufsehern und erneut Unterricht von 14–
18 Uhr. An eine Erholungsstunde von 18–19 Uhr schlossen
sich Musterung, Rapport und Abendessen um 19:30 Uhr an.
Schlafengehen war für 21 Uhr anberaumt. An Sonntagen
waren größere Spaziergänge unter Aufsicht von Offizieren
möglich. Besuche der Angehörigen wurden ebenso selten
gestattet wie Urlaub. Ferien gab es keine.» (Heinz Stade:
Unterwegs zu Schiller; Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag,
2005; S. 34)
Friedrich Schiller als 21-Jähriger (1780). Gemälde von
Tischbein nach einer Zeichnung von J. F. Weckherlin.
http://www.goethezeitportal.de
Schillers Weg zur Literatur
Erst studiert Schiller Recht, später wechselt er dann zur Medizin. Doch was ihn wirklich begeistert, ist
die Lektüre der verbotenen, neu erschienen Sturm-und-Drang-Werke, wie etwa Goethes Werther,
das Drama Götz von Berlichingen, Klingers Drama Sturm und Drang, aber auch die Gedichte
Klopstocks und die Werke Shakespeares, die Schiller und seine Kollegen in einem geheimen Lesezirkel zusammen gierig verschlingen. Inspiriert durch die Sturm-und-Drang-Bewegung, die in ihrem
Freiheitsdrang, ihrem Durchbrechen von jeglichen Regeln und ihrem Feiern vom heftigen Gefühl
krassen Gegensatz zum faden Drill des Akademiealltags steht, schreibt Schiller erste Gedichte und
beginnt 1776 mit der Niederschrift der Räuber. Im straffen Akademiealltag Zeit fürs Schreiben zu
finden ist freilich fast unmöglich und Schiller entwickelt seine eigenen Techniken:
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«Die Zöglinge der Akademie durften Abends nur bis zu einer bestimmten Stunde Licht brennen. Da
gab sich Schiller, dessen Phantasie in der Stille der Nacht besonders lebhaft war […] oft als krank an,
um in dem Krankensaale der Vergünstigung einer Lampe zu geniessen. In solcher Lage wurden die
Räuber zum Teil geschrieben. Manchmal visitierte der Herzog den Saal; dann fuhren die Räubern unter den Tisch; ein unter ihnen liegendes medizinisches Buch erzeugte den Glauben, Schiller benutze die
schlaflosen Nächte für seine Wissenschaft.» (Walter Hoyer: Schillers Leben dokumentarisch, Köln
1967).
Sein Leben im Sturm und Drang
Nach Abschluss der Karlsschule – was erst 1780 gelingt, nachdem die ersten beiden eingereichten
Dissertationen abgelehnt wurden – scheint Schiller sich völlig mit seiner geschaffenen Räuber-Welt
zu identifizieren und die Freiheit in Stuttgart in vollsten Zügen zu geniessen. So beginnt er etwa im
Räuberstil Briefe zu schreiben oder muss einmal nach einem allzu feucht-fröhlichen Trinkgelage auf
einer Sänfte nach Hause getragen werden, was ihm in Stuttgart den Ruf eines Trinker einbringt.
Seinen exzessiven Lebens- und Arbeitsstil behält er sein Leben lang, bis zu seinem frühen Tod im
Alter von 45 Jahren, bei. Er sieht sich, im Gegensatz zum späteren Freund Goethe, nicht von Natur
aus begabt und sucht dieses vermeintliche Defizit mit Fleiss und Disziplin aufzuholen, wobei er ständig über seine physischen und psychischen Grenzen hinaus lebt.
Er steht meist zwischen 12 und 14 Uhr auf und arbeitet am liebsten nachts, um ungestört zu sein. Mit
Kaffee, Alkohol und Tabak hält er sich wach und leistungsfähig. 1788 schreibt er, sein Leben sei eine
„fatale fortgesetzte Kette von Spannung und Ermattung, Opiumschlummer und Champagnerrausch.“ Beim Schreiben soll er nicht nur mit sich selbst gesprochen, sondern sich selbst vorlesend,
deklamierend, gestikulierend und zuweilen auch schreiend Luft gemacht haben.
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«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER
22-JÄHIGER SCHILLER SORGT FÜR THEATERSKANDAL
Die Theateraufführung der Räuber ist als einer der grössten Literatur- und Theaterskandale in die
Geschichte eingegangen. Schon für die Publikation seines Erstlingswerks muss Schiller kämpfen, denn
vorerst wird es vom Verleger als unsittlich und der Leserschaft unzumutbar beurteilt, worauf er es
1781 auf eigene Kosten veröffentlicht, was ihn in tiefe Schulden treibt. Doch öffentlich zu seinem
explosiven Werk zu stehen, scheint doch zu gefährlich, sodass es anonym und unter dem absichtlich
falschen Druckort „Frankfurt und Leipzig“ erscheint.
Das gedruckte Stück kommt Heribert von Dalberg, dem Intendanten des jungen und innovativen
Mannheimer Nationaltheaters in die Hände und er macht sich, begeistert vom aufrührerischen Stoff,
mit Schiller daran, das Stück so umzuschreiben, dass es ohne Risiko, von der Zensur verboten zu
werden, aufgeführt werden kann: So wird etwa die Handlung von der Gegenwart ins Mittelalter verlegt und alle Geistlichen im Stück, und damit jede Kritik an der Kirche, werden gestrichen.
Die Uraufführung findet am Sonntag, 13. Januar 1782, zur Eröffnung des Karnevals statt. Schiller ist,
ohne vom Herzog die Genehmigung zu dieser „Auslandreise“ zu haben, heimlich nach Mannheim
gekommen und sitzt mit im Zuschauerraum. Es wird berichtet: „Aus der ganzen Umgegend, von Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt, Mainz, Worms, Speyer usw. waren die Leute zu Ross und zu Wagen
herbeigeströmt, um dieses berüchtigte Stück, das eine ausserordentliche Publizität erlangt hatte, […]
aufführen zu sehen. Der kleine Raum des Hauses nötigte diejenigen, welchen nicht das Glück zuteil
wurde, eine Loge zu erhalten, ihre Sitze schon mittags um ein Uhr zu suchen und geduldig zu waren,
bis um fünf Uhr endlich der Vorhand aufrollte.“ (Andreas Streicher, 1836)
Über die Reaktionen im Zuschauerraum während der Uraufführung, die über vier Stunden dauerte
und von manchen Umbaupausen unterbrochen wurde, haben wir folgenden Bericht eines Augenzeugen: „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füsse, heisere
Aufschreie im Zuschauerraume! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen
wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen
Nebeln eine neue Schöpfung bricht.“
Der durchschlagende Erfolg und der Skandal der Uraufführung ist zwar für Schiller der Beginn seiner
Karriere, aber sie hat auch bittere Folgen: Herzog Carl Eugen, der erzürnt ist über das politisch aufrührerische Stück und sich persönlich angegriffen fühlt, bestraft seine unerlaubte Ausreise nach
Mannheim mit einem vierzehntägigen Arrest und einem Schreibverbot. Das bringt Schiller dazu, in
einer Nacht- und Nebelaktion mit einem Freund nach Mannheim zu fliehen. 1784 schreibt er: „Die
Räuber kosteten mir Familie und Vaterland.“
Die politische Dimension des Stücks zeigt sich u.a. darin, dass die Führer der französischen Revolution
1792 im Theater an der Front – passend zu ihrem Motto „vivre libre ou mourir“ – Die Räuber aufführen liessen und Schiller für das Stück das französische Ehrenbürgertum verliehen.
Zum Diskutieren:
 Was mochte wohl das Stück zu solch einem Skandal gemacht haben?
 Weshalb rief es bei Publikum so starke Reaktionen hervor?
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REPORTAGE:
INSIDER-INFOS AUS DER ACTING-TRIP-BEWEGUNG
Ich sitze mit in einem gemieteten Kellerraum. Es riecht leicht muffig, ein paar alte Kleiderstangen mit
Kostümen dran, Holzstühle, Kisten stehen herum. Zehn junge Menschen sitzen und stehen nervös
herum. Unterschiedlicher könnten sie kaum sein, gemeinsam haben sie nur Eines: Sie waren vor einem Monat Teil eines Acting-Trips.
Die Anspannung im Raum ist kaum zu ertragen. Nicht nur begegnen sich alle seit jenem
Abend zum ersten Mal wieder, sondern sie
sind auch kurz davor, ihre wichtigste Regel zu
brechen: Man spricht nicht über den ActingTrip. Doch sie scheinen etwas Wichtiges zu
erzählen zu haben. Alles hatte hier begonnen...
siert. Es macht ihm sichtlich Mühe, über das
Vergangene zu sprechen. So beginne ich ganz
allgemein und erkundige mich, wer denn
überhaupt mitmachen durfte. Liz übernimmt
vorerst das Sprechen: „Wir wollten eine möglichst wild zusammengewürfelte Gruppe.
Möglichst spezielle Typen, die eigenständig
denken können und bereit sind, sich voll
auf etwas einzulassen.“
„Schliesslich sind es einfach die
Stärksten, welche den Rest der
Gruppe kontrollieren.“
Ich frage eine junge Frau, die etwas abseits
sitzt und sich mir mit Meret vorstellt, wie sie
in das Ganze hereingeraten sei. „Durch die
persönliche Einladung durch Alex fühlte ich
mich irgendwie auserwählt, besonders. Ich
vertraute ihm und dachte, das sei mal eine
Gelegenheit für mich, mich zu beweisen und
ein anderes Gesicht von mir zu zeigen“, erklärt
sie zögerlich.
„Wir wollten möglichst spezielle Typen,
die eigenständig denken können und
bereit sind, sich voll auf etwas einzulassen.“
Alex hatte damals zusammen mit seiner Kollegin Liz das Ganze organisiert, die Leute eingeladen, das Stück gewählt, den Raum organi2014, Junges Theater Solothurn
Sich voll auf etwas einlassen, um das ging
es, so höre ich heraus. Petra ereifert sich
plötzlich. Denn ihr fiel es nicht leicht,
diesen Schritt zu gehen und alles hinter
sich zu lassen für die Dauer des Experiments. Doch sie entschied sich dafür und
zog es durch. Es tönt fast wie eine Entschuldigung, wenn sie sagt: „Ich hielt mich an
die Regeln.“
Offenbar gibt es festgeschriebene Regeln.
Einen Schiedsrichter, der über das Einhalten
dieser Regeln wacht, sucht man aber vergebens. Überhaupt, aussenstehende Personen
haben da nichts zu suchen. Wer im Raum ist,
muss mitmachen und darf ihn erst wieder
verlassen, wenn das ganze Stück durchgespielt
ist. Die Gruppe scheint also streng über die
vereinbarten Regeln zu wachen. Tatjana korrigiert mich energisch: „Schliesslich sind es
einfach die Stärksten, welche den Rest der
Gruppe kontrollieren.“ Plötzlich ist es totenstill. Konsternierte und scharfe Blicke schiessen Richtung Tatjana.
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«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER
Umso neugieriger bin ich nun und bohre weiter. Ob sie so etwas wie eine Sekte seien, die
einem Anführer folgten? Die beiden Schwestern Eva und Maria schauen mich mit einem
müd-ironischen Lächeln an. Eine Sekte seien
sie bestimmt nicht, überhaupt keine eingeschworene Gruppe, sondern das Ganze sei ein
einmaliges Treffen gewesen. Maria erklärt: „Es
ging für einmal nicht darum, sich einer Ideologie, einem Glauben oder einem Führer unterzuordnen. Sonst hätten wir nie mitgemacht.
Genau davor wollten wir für eine Weile fliehen.“
„Einmal raus aus der Rolle, die man in
der Familie oder in der Schule immer
spielen muss.“
Das tönt für mich etwas nach Second Life,
nach einem Avatar-Spiel. Der Vergleich scheint
für einige gar nicht mal so verkehrt, immerhin
geht es auch um eine Flucht aus dem Alltag.
Einmal raus aus der Rolle, die man in der Familie oder in der Schule immer spielen muss,
so erklärt mir Joy ihre damalige Motivation.
Nun möchte ich endlich mal von Alex, der alles
skeptisch und nervös verfolgt, hören,
worum es ihm eigentlich ging: „Für
mich war die wichtigste Idee dieses
vollständige Eintauchen in eine Figur,
die nicht du selbst bist. Die Handlungen
sind vorgegeben, ich gebe Entscheidungsgewalt und Verantwortung für
eine Weile vollständig ab. Das hat mich
gereizt.“
Ben hatte da eine andere Idee: „Ich
dachte erst, das sei einfach, um etwas
Spass zu haben. Der Stücktitel versprach Action, das gefiel mir.“ Wahrlich,
dass die Wahl auf Schillers Räuber fiel, ist erstaunlich. Ein Klassiker, der mit einem ganzen
Leichenberg endet. Nun ereifert sich Alex, er
will das Stück nicht auf Gewalt reduziert haben. „Es geht um grosse Themen wie Freiheit,
Loyalität und Liebe. Es geht darum, dass man
sich diesen Dingen einmal stellt, so richtig real.
Dass man alles am eigenen Leib einmal erlebt,
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durchleidet. Nicht nur auf dem Flachbildschirm Hollywood-Stars beim Tränchenpressen und Maschinengewehr-Rattern zusehen und dabei Popcorn in sich hineinstopfen.
Sondern selber leben, erleben, sich spüren!“ Alex hat sich in Rage geredet.
„Die Handlungen sind vorgegeben, ich
gebe Entscheidungsgewalt und Verantwortung für eine Weile vollständig
ab. Das hat mich gereizt.“
Doch nun schaltet sich selbstbewusst Alisha
ein, die sich bisher ruhig zurückgehalten hatte.
Einen Räuber zu spielen, habe ihr erst Angst
eingejagt, doch durch das Durchspielen von
Gewalt habe sie sich auch ganz neu kennen
gelernt, meint sie nachdenklich. „Ich lernte
mich durchzusetzen, für meine Meinung einzustehen.“ Es scheint also, als ob das Experiment tatsächlich Früchte gebracht hätte. Ich
habe allerdings auch schon Gerüchte gehört,
dass solche Experimente ausgeartet seien.
Und so frage ich gerade heraus, wie es bei
ihnen herausgekommen sei.
Betretenes Schweigen. Darauf will keiner eine
Antwort geben. Ich sehe betroffene Gesichter,
einige wenden sich ab, schauen zu Boden. Ich
merke, ich habe zu viel gefragt. Über gewisse
Dinge lässt sich einfach nicht sprechen. Schon
gar nicht zu Aussenstehenden, die damals
nicht dabei waren.
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«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER
DISKUSSION
SUPERHELDEN – HELDENHAFT?
In «Wir, Räuber» geht es oft um die grundlegende Frage nach Verantwortung, Freiheit und nach
Recht bzw. Gerechtigkeit. Besonders an den mordenden Räubern, die in scheinbar völliger Freiheit
leben und ihre eigene Gerechtigkeit, abseits jeden Gesetzes, definiert haben, entzünden sich Fragen
wie:





Was macht den Guten zum Guten, den Bösen zum Bösen?
Warum wird die Gewalt des Guten geduldet oder gar gefeiert, die des Bösen aber verurteilt?
Wann ist ein Mord gerechtfertigt?
Heiligt der Zweck die Mittel?
Wann hat das Staatsrecht recht, wann eine übergeordnete Gerechtigkeit?
Anhand von bekannten Action-Heroes aus Hollywood lassen sich solche Fragen besonders anschaulich verhandeln. Unten sind einige Vorschläge aufgeführt, wobei in den Youtube-Filmen Todesszenen
aus den zitierten Filmen recht eindrücklich zusammengeschnitten sind. (Die Filmausschnitte eigenen
sich nicht für zu junge Schülerinnen und Schüler). So kann die Grausamkeit des „guten Helden“ aus
dem Zusammenhang gerissen distanziert und vielleicht neu beurteilt werden. Eingeübte Wahrnehmungsmuster sollen hinterfragt und der Begriff des Helden einer Neudefinition unterzogen werden.
Was braucht es, um ein wahrer Held zu sein?

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

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




Verantwortungsgefühl?
Aufopferung?
Charisma?
Mut?
Stärke?
Loyalität?
Kaltblütigkeit?
Gerechtigkeitssinn?
eine Vision?
Bescheidenheit?
Heroes aus Hollywood:
Indiana Jones
http://www.youtube.com/watch?v=lOKfQK7fs0c
James Bond
http://www.youtube.com/watch?v=mXpIbfc21qk
Stirb langsam (Die hard)
http://www.youtube.com/watch?v=8YXi9JAgdf0
Kill Bill
Robin Hood
Zorro
Spartacus
Gladiator
Superman
X-Men
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GERICHTSVERHANDLUNG
UND WER IST SCHULD AM GANZEN SCHLAMASSEL?
Es soll in einer fingierten Gerichtsverhandlung – sozusagen am Jüngsten Gericht, da auch über Tote
gerichtet werden muss – erörtert werden, inwiefern sich die in den Räubern beteiligten Figuren aneinander verschuldet haben, wer der Böse, wer der Gute in diesem ganzen Spiel war und wer die
Katastrophe wie hätte aufhalten können. Zu berücksichtigen sind dabei nicht allein Verbrechen gegen das Gesetz wie Mord oder Betrug, sondern auch moralisch-ethische Vergehen wie etwa Untreue
oder Unterdrückung.
Dies kann mündlich, in Form einer nachgestellten Gerichtsverhandlung mit Verteidiger und Ankläger
für jede Figur geschehen, oder schriftlichen als Plädoyers für oder gegen eine der Figuren.
Vor Gericht stehen:
Der alte Moor
Franz von Moor
Karl von Moor
Amalia
Spiegelberg
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RECHERCHE UND DISKUSSION
BEWEGUNGEN DER FREIHEIT
Auch heute noch gibt es Gruppierungen oder Bewegungen, welche sich in Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft entwickeln und Freiheit und Gerechtigkeit suchen und proklamieren. Jede dieser
Gegenentwürfe zur Gesellschaft hat aber wieder ihre eigenen Regeln und Kontrollmechanismen. Es
stellt sich die Frage: Ist absolute Freiheit möglich in Gemeinschaft mit Menschen? Oder kann es die
nur für einen einzelnen Menschen geben?
Suche dir eine der Gruppierungen aus und versuche möglichst viel über sie herauszufinden. Präsentiere deine Erkenntnisse in einem kurzen Referat vor der Klasse oder in Gruppen. Diskutiert zusammen, ob und in welcher Form Freiheit erreicht werden kann, was Freiheit überhaupt bedeutet und
welche Mittel zum Erreichen dieser Freiheit eingesetzt werden (dürfen).
Anarchisten
Auswanderer
Hippies
Punks
Roma/Fahrende
Hells Angels
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BESETZUNG
«WIR, RÄUBER»
Produktionsteam
Leitung
CHRISTOF OSER-MEIER
Regie- und
Dramaturgieassistenz
REGULA SCHELLING
Inspizienz
VERA PROBST
Mit
ELIAS BAUMANN, NAJA BRUDER, RAHEL BRYNER, FIONA FANKHAUSER,
OLIVIA FUHRER, ANNIKA GLAESER, LARA-DESDEMONA KOFMEL,
DOMINIK SCHERRER, SIMONA SCHRANER, DIANA ZANDA
Theaterpädagogik
Materialmappe
REGULA SCHELLING,
CHRISTOF OSER-MEIER
© 2014, Junges Theater Solothurn
Folgende Quellen wurden verwendet:
Englhart, Andreas: Einführung in das Werk Friedrich Schillers. Darmstadt 2010.
Grawe, Christian: Erläuterungen und Dokumente. Friedrich Schiller. Die Räuber.
Reclam 2009.
Weitere Infos zum Angebot des Jungen Theater Solothurn finden Sie auf unserem Flyer oder auf der
Webseite www.tobs.ch unter JUNGES PUBLIKUM.
THEATER ORCHESTER BIEL SOLOTHURN
JUNGES THEATER SOLOTHURN
Theater und Schule
Christof Oser-Meier
Gibelinstrasse 20 | 4500 Solothurn
T ++41 (0) 32 626 20 68
www.tobs.ch
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