Hausarbeit Zwischen Westminster und Züri

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Freie Universität Berlin
Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften
Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft
SoSe 2013
PS15053 Die Logik der Demokratie und ihre Herausforderungen
Prof. Dr. Volker von Prittwitz
Hausarbeit
Zwischen Westminster und Züri
Die Demokratievorstellungen deutscher Parteien im Vergleich
Benjamin Buchwald
Matrikelnummer: 4549001
Trautenaustraße 3
10717 Berlin
[email protected]
Politikwissenschaft B.A.
4. Fachsemester
I
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .……………………………………….………………….………… Seite 1
2. Überblick über die Vielfalt von Demokratiebetrachtungen und –vorstellungen ……………………………………………………………………….…… Seite 2
2.1. Demokratiedefinitionen …………….…………………...…………… Seite 2
2.2. Demokratie in der politischen Ideengeschichte ……………………... Seite 3
3. Vergleichenden Analyse der Demokratievorstellungen deutscher Parteien … Seite 5
3.1. Entwicklung von Vergleichskriterien …………………...…………… Seite 5
3.2. Vergleichende Untersuchung der Grundsatzprogramme deutscher
Parteien ……..…...…………………………….……………………... Seite 7
4. Zusammenfassung und Fazit…..……………………………………………… Seite 13
5. Literaturverzeichnis ……………………………………….………………….. Seite 17
II
1. Einleitung
„CDU auf dem Weg zu mehr direkter Demokratie? Die Südwest-CDU macht sich für mehr
direktdemokratische Elemente stark.“ (Badische Zeitung 2013) titelte die Badische Zeitung
im April 2013. Bundespräsident Joachim Gauck bezeichnete die SPD anlässlich ihres 150jährigen Jubiläums als Wegbereiter sowie Verteidiger der Demokratie in Deutschland (vgl.
Gauck 2013) - und das nicht nur, weil der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler
Willy Brandt in seiner legendären Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 die Maxime
„Wir wollen mehr Demokratie wagen“ (Brandt 1969) ausgab. Das Phänomen Demokratie
beschäftigt die deutschen Parteien schon sehr lange. Alle heute im Deutschen Bundestag
vertretenen Parteien bekennen sich zu dieser Regierungsform. Dennoch befindet sich ihr
Verständnis über die Ausgestaltung der Demokratie in Deutschland im ständigen Wandel.
Das zeigt auch das einführende Zitat (vgl. Badische Zeitung 2013). Es kam deshalb in der
Geschichte zu unterschiedlichen Demokratievorstellungen, die sich nicht nur innerhalb
sondern auch zwischen den deutschen Parteien feststellen lassen.
Die vorliegende Arbeit soll dazu dienen, heutige Ansichten über die Vorstellungen der
Ausgestaltung von Demokratie zu identifizieren. Ihr liegt dabei die Fragestellung zu
Grunde: „Inwieweit unterscheiden sich die Demokratievorstellungen der heute im
Deutschen Bundestag vertretenen Parteien voneinander?“. Dazu werde ich die aktuellen
Grundsatzprogramme dieser Parteien vergleichend analysieren. Die im 17. Deutschen
Bundestag vertretenen Parteien dienen als Analyseobjekte, weil sie im politischen System der
Bundesrepublik, dem eine große Parteienmacht zugeschrieben wird (vgl. von Arnim 2000),
als die wichtigsten Entscheidungsträger und -gestalter auftreten.
Bei der Bearbeitung der zu beantwortenden Frage unterstelle ich aus der Sicht eines
interessierten Beobachters der deutschen Politik eine These, die es im weiteren Verlauf der
Arbeit zu untersuchen gilt und die bei der Beantwortung der Fragestellung als Leitlinie
dienen soll.
These:
Die Demokratievorstellungen der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien
ähneln sich stark. Es lassen sich große Gemeinsamkeiten feststellen und
Unterschiede treten nur marginal auf.
Zur Beantwortung meiner oben aufgestellten Frage und zur Überprüfung meiner
unterstellten These werde ich nach diesem einleitenden Teil (Kapitel 1) zunächst die Vielfalt
von Demokratiebetrachtungen und -vorstellungen in der Wissenschaft sowie in der Historie
im Überblick darstellen (Kapitel 2). Nach diesem Abriss über die politische Philosophie
erfolgt die eigentliche Analyse der Demokratievorstellungen deutscher Partei, die den
1
Hauptteil dieser Arbeit ausmachen wird (Kapitel 3). Dabei werde ich zunächst geeignete
Vergleichskriterien entwickeln, um anschließend die Grundsatzprogramme der im 17.
Deutschen Bundestag vertretenen Parteien vergleichend untersuchen zu können. Danach
fasse ich meine Analyseergebnisse zusammen und ziehe ein Fazit (Kapitel 4). Abschließend
lege ich meine verwendeten Quellen dar (Kapitel 5).
Bei der Beantwortung meiner Frage werde ich Primärquellen, Sekundärliteratur sowie
Internetquellen nutzen.
2. Überblick über die Vielfalt von Demokratiebetrachtungen und -vorstellungen
Dieses Kapitel soll dazu dienen, die Vielfältigkeit der politikwissenschaftlichen Betrachtung
sowie der historisch-philosophischen Ideengeschichte von und über Demokratie
darzulegen, um im
Weiteren
präzise Vergleichskriterien für die Analyse
der
Demokratievorstellungen deutscher Parteien entwickeln zu können. Dazu betrachte ich
zunächst, wie Demokratie in der Politikwissenschaft beschrieben wird und gebe
anschließend einen kurzen historischen Überblick über die Vorstellungen der Ausgestaltung
von Demokratie.
2.1. Demokratiedefinitionen
Der Begriff Demokratie ist weitgefasst. Seine beiden Wortbestandteile demos und kratein
stammen aus dem Altgriechischen. Ins Deutsche übersetzt bedeuten sie Volk (für demos)
und herrschen (für kratein). Demokratie steht in übersetzter Form dementsprechend für
Volksherrschaft bzw. für Herrschaft des Volkes (vgl. Schultze 2011: S.81-82). Für den
übersetzen Begriff ergeben sich jedoch unterschiedlichste Definitionen, die in der
politikwissenschaftlichen Literatur rege diskutiert werden (vgl. Walter 2009: S. 121-122).
Beispielsweise definiert Schultze Demokratie sehr nahe an der Übersetzung aus dem
Altgriechischen. Für ihn bedeutet Demokratie eine „Volksherrschaft, Herrschaft der
Mehrheit, der Vielfalt, [die] in Abgrenzung zu anderen Formen von Herrschaft bzw.
anderen Staatsformen, u.a. der Monarchie oder Aristokratie, des autoritären Regimes oder
der Diktatur“ (Schultze 2011: S.81-82) steht. Er ergänzt diese Definitionen um
Demokratiedimensionen, die aber nicht notwendige Bedingung für seine Begriffserklärung
sind. Diese Demokratiedimensionen begründet Schultze in Anlehnung an die Gettysburg
Address des einstigen US-amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln1. Das bedeutet für
1
Am 19. November 1863 hielt der damalige US-amerikanische Präsident Abraham Lincoln eine seiner
berühmtesten Reden, die Gettysburg Address. Während der Einweihung eines Soldatenfriedhofs in der Nähe
der Stadt Gettysburg (Pennsylvania), der zu Ehren gefallener Soldaten während des US-Amerikanischen
Bürgerkrieges angelegt wurde, beschrieb er die politischen Ideale der Vereinigten Staaten von Amerika. Der
2
ihn, dass „in der Demokratie […] die Herrschaft aus dem Volk hervor[geht] und [sie] durch
das Volk selbst und in seinem Interesse ausgeübt [wird].“ (ebd.) Anders definiert Walter den
Begriff Demokratie. Sie nutzt sofort Lincolns Dimensionen und leitet hieraus ihre Definition
ab. Demnach ist für sie Demokratie eine „Herrschaft […], [die] erstens vom Volk [ausgeht],
[…] durch das Volk selbst (oder durch von ihm gewählte Repräsentanten) ausgeübt [wird]
und […] drittens zum Wohle der Bürger eingesetzt [wird]. (Walter 2009: S. 119). In die
genau entgegengesetzte Richtung definiert Giovanni Sartori Demokratie: „Demokratie ist
ein System, in dem niemand sich selbst auswählen kann, niemand sich die Macht zum
Regieren selbst verleihen kann und deshalb niemand sich unbedingte und unbeschränkte
Macht anmaßen kann.“ (Sartori 1992)
Auch wenn diese drei Definitionen unterschiedlich aussehen, haben sie eine eher enge
Auffassung des Konzepts der Demokratie gemeinsam. Die Autoren begnügen sich bei der
Begriffserklärung damit, dass in einer Demokratie politischer Wettbewerb (beispielsweise
durch Wahlen) existieren muss, der durch die Herrschaft des Volkes determiniert wird. Es
gibt jedoch auch andere Autoren, die den Begriff Demokratie weiter auffassen. Für sie
müssen zudem universelle Rechte für alle Bürger - beispielsweise Menschen- und
Grundrechte - gelten, um von einer Demokratie sprechen zu können (vgl. Walter 2009:
S.121). Für die Analyse in dieser Arbeit soll ein eher enges Verständnis von Demokratie
genügen.
2.2. Demokratie in der politischen Ideengeschichte
Die Vielfalt der Demokratiedefinitionen spiegelt auch die Vielfalt der Ausgestaltung der
Regierungsform wider. Allein die Übersetzung Volksherrschaft zeigt noch nicht, wie ein
demokratisches System aussieht. Gerade weil keine klare Definition von Demokratie
vorherrscht, gab es in der Geschichte und gibt es auch noch heute rege normative
Diskussionen darüber, wie sie ausgestaltet werden sollte.
Wie bereits erwähnt, stammt der Begriff Demokratie aus dem Altgriechischen. Das
politische Konzept der Demokratie fand erstmals im 5. Jahrhundert vor Christus im
griechischen Athen Anwendung. Es war eine Ordnungsform der athenischen Polis2, in der
eine Versammlung der Vollbürger der wichtigste politische Entscheidungsträger war und
wichtigste Satz, der dabei Demokratie kennzeichnete, war: “It is rather for us to be here dedicated to the great
task remaining before us – that from these honored dead we take increased devotion to that cause for which
they gave the last full measure of devotion – that we here highly resolve that these dead shall not have died in
vain – that this nation, under God, shall have a new birth of freedom – and that government of the people, by
the people, for the people, shall not perish from the earth.“ Lincoln beschreibt die damalige (USamerikanische) Demokratie dabei eher beiläufig als „Regierung des Volkes (of the people), durch das Volk (by
the people) und für das Volk (for the people)“.
2
Stadtstaat im antiken Griechenland
3
die Herrschaft des Stadtstaates ausübte (vgl. Roth 2003: S.94-95)3. Andere griechische
Poleis übernahmen das Konzept entweder durch den athenischen Vorbildcharakter oder
weil es ihnen während einer Phase der athenischen Expansionspolitik oktroyiert wurde (vgl.
ebd.). Die antike Demokratie war durch die herausragende Stellung der Volksversammlung
(Versammlung des Demos) eine ausgeprägte Form der direkten Demokratie. Alle Vollbürger
nahmen mit Stimme und Verwaltungsämtern, in die sie gewählt oder gelost wurden, direkt
an den Staatsgeschäften und der Herrschaft teil (vgl. Walter 2009: S.119). Die Bewertung
dieser antiken Demokratie fiel bei den altgriechischen Philosophen allerdings negativ aus.
So bezeichnete Aristoteles die Demokratie in ihrer Reinform, der Herrschaft durch eine
Versammlung des Volkes, als schlecht und „entartet“, weil durch sie die Möglichkeit der
Herrschaft der Armen über die Reichen (vgl. Roth 2003: S.144-145) bzw. der Mehrheit
über die Minderheit bestehe (gewissermaßen Mehrheitsdemokratie).
Auch die Römische Antike kannte Praktiken der Demokratie (vgl. Roth 2003: S.177-196).
Nach dem Zerfall des Römischen Reiches und dem Einsetzen des Mittelalters, das in Europa
durch die Macht der katholischen Kirche sowie die Herrschaft durch Fürsten und Könige
geprägt war, geriet das Konzept der Demokratie jedoch fast in Vergessenheit und fand nur
noch vereinzelt Anwendung (vgl. Roth 2003: S.375-511).
Erst mit dem Aufkommen des Humanismus und dem Einsetzen der Aufklärung, vor allem in
England und in Frankreich, erlangte das Konzept der Demokratie wieder an Bedeutung (vgl.
Roth 2003: S.480-511). Die beinahe in Vergessenheit geratenen Ideen der Antike dienten
der politischen Philosophie als Vorbild. Denker wie beispielsweise Spinoza oder Rousseau
entwickelten demokratische Konzepte, um den damals vorherrschenden absoluten
Monarchenstaat zu überwinden und breiteren Bevölkerungsschichten Einfluss zu
gewähren. Hier entstand aber die angesprochene Bandbreite von Demokratievorstellungen.
Während Spinoza und Rousseau argumentierten, dass nur in einer direkten und
unmittelbaren Demokratie eine wahre Volksherrschaft möglich sei, da jeder an den
Staatsentscheidungen und -geschäften beteiligt werden müsse (vgl. Roth 2003: S.732-744),
gingen liberale Theoretiker wie Kant davon aus, dass dies auch über Wahlen von
Stellvertretern, also durch Repräsentation, möglich wäre4 (vgl. Roth 2003: S.733-734). Die
Vordenker der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung Hamilton, Madison und Jay
erdachten zudem, wie sich Demokratie nicht nur in homogenen Nationalstaaten, sondern
auch über die Grenzen kleinerer Regionen hinweg verwirklichen lässt, ohne dass die
3
Zur genauen Ausgestaltung der antiken Demokratie in Griechenland siehe Roth, Klaus (2003): Philosophie und
Politik in der Polis in: Genealogie des Staates. Prämissen des neuzeitlichen Politikdenkens (Hrsg: Roth, Klaus),
S.75-160, zweite, durchgesehene Auflage, Dunker & Humblot, Berlin, 2003
4
Die Vertreter der repräsentativen Demokratie argumentierten dabei, dass in den entstehenden neuen,
großen Nationalstaaten, z.B. USA, Frankreich oder Großbritannien, zu viele Menschen leben, um alle in einer
ständigen Volksversammlung zu versammeln.
4
Gebiete ihre traditionellen Rechte grundlegend verlieren würden (Föderalismus) (vgl. Roth
2003: S.723). Ebenfalls im Vorfeld der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten
von Amerika wurde ein System erdacht, indem nicht nur die Vertreter des Volkes in die
Demokratie), sondern auch das
Staatsoberhaupt vom Wahlvolk bestimmt werden konnte (präsidentielle Demokratie) (vgl.
Legislative
gewählt
werden
(parlamentarische
ebd.).
Diese überblickshafte Darstellung der historisch-politischen Philosophie zeigt die
Demokratiedimensionen, die größtenteils diskutiert werden. Sie bewegen sich entlang der
vier folgenden Spektren: direkte oder repräsentative Demokratie, Mehrheits- oder
Konkordanzdemokratie, parlamentarische oder präsidentielle Demokratie, unitarische oder
föderale Demokratie - und sollen im nächsten Kapitel genauer erläutert werden
3. Vergleichenden Analyse der Demokratievorstellungen deutscher Parteien
Im Hauptteil dieser Arbeit nehme ich nun die eigentliche Analyse der im Deutschen
Bundestag vertretenen Parteien hinsichtlich ihrer Demokratievorstellungen vor. Dazu
werde ich zunächst geeignete Kriterien aufstellen, um anschließend die Analyse
vergleichend durchführen zu können.
3.1. Entwicklung von Vergleichskriterien
Wie
bereits
im
vorherigen
Kapitel
gezeigt
wurde,
erstrecken
sich
die
Ausgestaltungsmöglichkeiten demokratischer Systeme vor allem entlang der vier
beschriebenen Demokratiedimensionen. Sie sollen daher auch der folgenden Analyse der
Demokratievorstellungen der im 17. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien als
Vergleichskriterien dienen.
Die beschriebenen Demokratiedimensionen fasste von Prittwitz in seinem WestminsterZüri-Modell zusammen (vgl. von Prittwitz 2007: S.96-97). Das Modell soll helfen,
demokratische Systeme und Konzepte vergleichend analysieren zu können. Der Autor
nimmt dabei die historisch entwickelten Demokratiedimensionen und –kulturen als
Vergleichsdimensionen und ordnet sie zwei Idealtypen zu5. Diese sollen dann als
Vergleichstypen fungieren. Auf der einen Seite steht dabei der Westminster-Typ, auf der
5
Von Prittwitz versteht Idealtypen dabei in der Tradition von Max Weber. Dieser definierte den Begriff
Idealtypus als „gedankliche Konstruktion zur Messung und systematische Charakterisierung von individuellen,
d.h. in ihrer Einzigartigkeit bedeutsamen Zusammenhängen […]. Die gedankliche Konstruktion besteht in der
einseitigen Steigerung der entscheidenden Gesichtspunkte sozialer Einzelerscheinungen. Infolge der
Überbetonung einzelner Züge eines sozialen Phänomens ist der Idealtypus ein in sich einheitliches
Gedankengebilde, das in der Wirklichkeit nur annähernd anzutreffen ist und daher „utopischen“ Charakter
hat.“ (Weber 1951: S.201)
5
anderen der Züri-Typ. Von Prittwitz orientiert sich dabei an den real existierenden
demokratischen Systemen und Kulturen Großbritanniens und der Schweiz, die dann
wiederum in die Idealtypen im Sinne Max Webers transformiert werden (vgl. ebd.). Aus
dem britischen System ergibt sich somit der Westminster-Typ und analog dazu aus dem
schweizerischen System der Züri-Typ. Die Vergleichsdimensionen bezeichnet der Autor
dabei Unmittelbarkeit, Parlamentsbezug, Entscheidungsprinzip und Vertikale Gliederung,
welche sich in den oben beschriebenen Demokratiespektren zwischen direkt oder
repräsentativ,
parlamentarisch
oder
präsidentiell
Demokratie,
Mehrheits-
oder
Konkordanzdemokratie, unitarisch oder föderal bewegen (vgl. ebd.)
Dem Idealtypus Westminster, für welches das demokratische System Großbritanniens als
Vorbild dient, ordnet von Prittwitz dabei die Eigenschaften repräsentativ, parlamentarisch,
Mehrheitsprinzip und unitarisch zu. Analog dazu erhält der Züri-Typ, dem das
schweizerische System vorbildhaft dient, die Attribute direkt, präsidentiell, Konkordanz und
föderal (vgl. ebd.).
Westminster-Typ
Vergleichsdimensionen
Züri-Typ
Repräsentativ
Unmittelbarkeit
Direkt
Parlamentarisch
Parlamentsbezug
Präsidentiell
Mehrheitsprinzip
Entscheidungsprinzip
Konkordanz
Unitarisch
Vertikale Gliederung
Föderal
Westminster-Züri-Modell zum qualitativen Vergleich von demokratischen Systemen nach von Prittwitz
(eigene Darstellung)
Als Determinante der Demension der Unmittelbarkeit gilt dabei, ob Entscheidungen
unmittelbar durch den Bürger getroffen werden, etwa per Volksabstimmungen oder
Volksgesetzgebung (direkte Demokratie) (vgl. von Prittwitz 2007: S.85-87) oder ob diese
durch gewählte Repräsentanten des Volkes im Parlament wahrgenommen werden
(repräsentativ) (vgl. von Prittwitz 2007: S.80-84).
Der entscheidende Aspekt, ob ein demokratisches System als parlamentarisch oder
präsidentiell angesehen wird, liegt in der Abwahlmöglichkeit der Regierung. Während in
einer präsidentiellen Demokratie die Regierungsspitze vom Volk gewählt wird, aber nicht
durch das Parlament abberufen werden kann, ist genau dies in einer parlamentarischen
Demokratie der Fall. (vgl. Steffani 1979).
Die Vergleichsdimension Entscheidungsprinzip bewegt sich zwischen den beiden Polen
Mehrheitsprinzip und Konkordanz. Mehrheitsprinzip meint dabei, dass politische
Entscheidungen grundsätzlich und strikt von der Mehrheit der Entscheider bestimmt
6
werden (vgl. von Prittwitz 2007: S.91-92), wohingegen in einer Konkordanzdemokratie
Entscheidungen auf dem Konzept des Konsenses basieren, indem die Minderheit feste
Teilhabe- und Vetorechte im Entscheidungsprozess besitzt und so institutionell beteiligt
wird (vgl. von Prittwitz 2007: S.92).
Bei der vertikalen Gliederung unterscheidet man in unitarisch und föderal. Demokratische
Entscheidungen
in
einem
unitarischen
Gebiet
werden
dabei
über
vorhandene
Gebietskörperschaften nach dem Einheitsprinzip von oben getroffen, während in einem
föderalen System das Bündnisprinzip gilt und somit die Gebietskörperschaften institutionell
beteiligt werden oder in ihrem Gebiet eigene Rechte besitzen (vgl. von Prittwitz 2007: S.93)
3.2. Vergleichende Untersuchung der Grundsatzprogramme deutscher Parteien
Die Analyse der im 17. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien soll nun anhand dieser
hergeleiteten Vergleichskriterien erfolgen. Als Analyseobjekte dienen ihre jeweiligen
Grundsatzprogramme.
Die
ausgewählten
Parteien
stehen
stellvertretend
für
die
wesentlichen Entscheidungsträger im politischen System der Bundesrepublik.
FDP – Freie Demokratische Partei
Unmittelbarkeit:
Die Freie Demokratische Partei bekennt sich zur repräsentativen Demokratie (vgl. FDP
2012: S. 72-73). Gleichzeitig fordert sie jedoch, diese mit direktdemokratischen Elementen
zu ergänzen (vgl. FDP 2012: S. 73). Konkret wird der Vorschlag zur Einführung von
Volksbegehren und Volksentscheiden auch auf Bundesebene gemacht. Als Vorbild sollen
dabei bewährte Verfahren aus den Bundesländern dienen (vgl. ebd.).
Parlamentsbezug:
Grundsätzlich fordert die FDP auf der anderen Seite eine Stärkung des Parlaments als
politisches Organ (vgl. ebd.). Vor allem die kommunalen Parlamente sollen in ihren Rechten
und Kompetenzen aufgewertet werden (vgl. FDP 2012: S. 74). Wie dies jedoch genau
aussehen soll, bleibt das Programm schuldig. Konkreter wird es dagegen, wenn es über die
deutsche Ebene hinaus geht. So fordert die FDP eine Aufwertung des Europäischen
Parlaments, indem man ihm das Initiativrecht bei der Gesetzgebung und Eigenständigkeit in
der Haushaltspolitik einräumen möchte (vgl. FDP 2012: S. 96).
Aussagen zur Abwählbarkeit der Regierung sind im Programm nicht zu finden. Daher ist
davon auszugehen, dass sich für die FDP das Prinzip der Abwählbarkeit des Bundeskanzlers
durch den Deutschen Bundestag mit einem konstruktiven Misstrauensvotum bewährt hat.
7
Sie steht so für die Tradition des parlamentarischen Systems. Auch finden sich keine
Aussagen zur Thematik „Wahl des Bundespräsidenten“ als Staatsoberhaupt durch das Volk.
Entscheidungsprinzip:
Äußerungen zum Spektrum Mehrheits- oder Konkordanzprinzip lassen sich in den
„Karlsruher Freiheitsthesen“ der FDP nicht finden. Interessant ist dabei, dass die Partei, die
sich selbst als Vertreter des Liberalismus sieht, nicht ein einziges Mal die Wörter
„Pluralismus“ oder „pluralistisch“ in ihrem Grundsatzprogramm verwendet.
Vertikale Gliederung:
Dem Thema der vertikalen Gliederung als Demokratiedimension widmet die FDP in ihrem
Grundsatzprogramm ein gesamtes Kapitel. Sie bekennt sich zum föderalen System der
Bundesrepublik Deutschland und möchte dieses ausbauen (vgl. FDP 2012: S. 74-75). Die
FDP
fordert
eine
qualitative
und
quantitative
Stärkung
der
kommunalen
Entscheidungsfindung sowie eine klare Trennung von Verantwortungen zwischen Bund,
Bundesländern und Kommunen (vgl. ebd. sowie vgl. FDP 2012: S. 74). Welche Aspekte dies
jedoch genau umfasst, steht nicht im Programm. Besonders betont wird das Prinzip der
Subsidiarität – nicht nur in Europa sondern auch innerhalb Deutschlands (vgl. FDP 2012: S.
74-75).
CSU – Christlich Soziale Union
Unmittelbarkeit:
Im Grundsatzprogramm der Christlich Sozialen Union finden sich für die Bundesebene
keine Forderungen nach mehr direktdemokratischer Teilhabe. Einzig die Forderung nach
Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten auf kommunaler Ebene ist Teil der
Agenda der bayerischen Partei (vgl. CSU 2007: S. 55).
Parlamentsbezug:
Der „Stärkung der Parlamente“ (CSU 2007: S. 54) widmet die CSU ein eigenes Kapitel ihres
Programms. Dazu soll es eine klare Aufgabenzuteilung zwischen Bund, Ländern und
Kommunen geben (vgl. CSU 2007: S. 55). Ausdrücklich wird betont: „Die CSU will eine
staatliche Ordnung, in der die politischen Entscheidungen in den Parlamenten und damit
möglichst bürgernah und transparent getroffen werden.“ (CSU 2007: S. 54.) Dies
entspricht, wie auch schon oben zu sehen, einer klaren parlamentarisch-repräsentativen
Vorstellung von Demokratie. Aussagen zur Abwählbarkeit der Regierung finden sich im
CSU-Programm nicht.
8
Entscheidungsprinzip:
Die CSU bekennt sich zum Mehrheitsprinzip in der Entscheidungsfindung. So heißt es: „Der
Staat kann den inneren und sozialen Frieden nur gewährleisten, wenn er nicht nur die
Freiheit des Einzelnen sichert, sondern auch den demokratischen Mehrheitswillen
durchsetzt und dabei die Rechte von Minderheiten schützt.“ (CSU 2007: S. 48)
Vertikale Gliederung:
Föderalismus und Subsidiarität sind Kernthemen des Grundsatzprogramms der Christlich
Sozialen Union (vgl. CSU: 2007: S. 40 sowie CSU: 2007: S. 54). Sie sieht gar das Problem
eines zunehmenden Zentralismus‘ und unnötiger Bürokratie auf bundesdeutscher Ebene
(vgl. CSU: 2007: S. 40). Daher will die CSU „die Rückkehr zum Prinzip der Subsidiarität“
(ebd.) für die Kommunal- und auch für die Landesebene. So heißt es weiter: „Wir
verteidigen und stärken die kommunale Selbstverwaltung, die föderale Freiheit der Länder
gegenüber dem Bund und den dezentralen Aufbau der Europäischen Union.“ (CSU 2007: S.
54) und „Die CSU will die Eigenstaatlichkeit der Länder bewahren und ihnen alle Aufgaben
übertragen, die sie selbst bewältigen können.“ (ebd.). Damit steht sie ganz eindeutig für den
Pol der föderalen Struktur.
CDU – Christlich Demokratische Union
Unmittelbarkeit:
Wie auch bei der Schwesterpartei CSU finden sich im Programm der Christlich
Demokratischen Union keine Hinweise auf Forderungen nach direkter Demokratie. Es
werden auch keine Möglichkeiten der unmittelbaren Partizipation auf kommunaler Ebene
gefordert. Damit steht die CDU wie keine zweite Partei für die Ausprägung der
repräsentativen Demokratie.
Parlamentsbezug:
Hinweise auf eine Stärkung des Parlamentarismus in Deutschland finden sich im
Grundsatzprogramm der CDU nicht. Eine Ausnahme bilden Forderungen zur Aufwertung
des Europäischen Parlamentes (vgl. CDU 2007: S. 99). Zudem fehlen Hinweise zur
Thematik der Wähl- oder Abwählbarkeit von Regierung oder des Staatsoberhauptes.
Entscheidungsprinzip:
Die Dimension des Entscheidungsprinzips verhält sich ähnlich wie bei der Schwesterpartei.
Die
Christlich
Demokratische
Union
steht
ebenso
zum
Prinzip
der
Mehrheitsentscheidungen mit festen Rechten für Minderheiten: „Wir leben in einer
9
Gesellschaft mit verschiedenen Weltanschauungen, Meinungen und Interessen. Das
erfordert eine demokratische Willensbildung, in der die widerstreitenden Meinungen und
Interessen zu Mehrheiten zusammengefasst werden, ohne die Anliegen und Überzeugungen
der Minderheiten nicht zu beachten. Das Mehrheitsprinzip verbindet sich mit dem Schutz
der Minderheiten.“ (CDU 2007: S. 88-89)
Vertikale Gliederung:
Auch die CDU bekennt sich zur föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland.
Anders als die CSU, die eine Stärkung des föderalistischen Gedankens fordert, spricht die
CDU jedoch vorsichtiger nur vom „[E]rhalten und [W]eiterentwickeln“ (CDU 2007: S. 93).
Bündnis 90/Die Grünen
Unmittelbarkeit:
Bündnis 90/Die Grünen widmen ein ganzes Kapitel unter dem Titel „Aufbruch zur
Erneuerung der Demokratie“ der Diskussion über die Ausgestaltung von Demokratie (vgl.
Bündnis 90/Die Grünen 2002: S. 115-131). Eine bedeutende Stellung erhält dabei der
Ausbau direktdemokratischer Elemente im politischen System Deutschlands. So heißt es: „Es
sind neue Beteiligungsformen zu ermöglichen und zu etablieren, die geeignet sind, den
gesellschaftlichen Dialog zu befördern. Ergänzend zur parlamentarischen Demokratie
wollen wir die direkte Demokratie, von der kommunalen bis zur Bundesebene, ausbauen.“
(Bündnis
90/Die
Grünen
2002:
S.
129).
Konkrete
Maßnahmen
werden
im
Grundsatzprogramm jedoch nicht genannt. Es fehlen Vorschläge wie beispielsweise
Volksbegehren, -entscheide oder Verfassungsreferenden. Auf der anderen Seite wird jedoch
gefordert, nicht nur den einzelnen Bürger über direktdemokratische Methoden zu
beteiligen,
sondern
auch
Nichtregierungsorganisationen,
Vereine
und
Verbände
institutionell im politischen Entscheidungsprozess zu stärken (vgl. ebd.).
Parlamentsbezug:
Die Grünen schlagen vor, die Rechte von Parlamenten in Deutschland zu stärken (vgl.
Bündnis 90/Die Grünen 2002: S. 14 sowie 128) und sprechen von einer „Reform des
Parlamentarismus“ (Bündnis 90/Die Grünen 2002: S. 22). Konkrete Vorschläge zur
Umsetzung bleiben sie jedoch schuldig – so auch zur Wähl- und Abwählbarkeit der
Bundesregierung oder des Bundespräsidenten.
Entscheidungsprinzip:
10
Anders als die anderen Parteien betont Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Programm nicht
nur Mehrheitsentscheidungen, sondern auch gesellschaftlichen Konsens. So heißt es:
„.Politische Entscheidungen, die unumkehrbare Folgen für die Gesellschaft mit sich bringen
können, sollten auf weitgehendem gesellschaftlichen Konsens beruhen.“ (Bündnis 90/Die
Grünen 2002: S. 19). Dieses deutet auf ein eher konkordanzdemokratisches Verständnis
hin. Konkrete Vorschläge zu einem Mehr an Institutionalisierung innerhalb der politischen
Entscheidungsfindung sind aber im Programm nicht vorhanden.
Vertikale Gliederung:
Das föderale System der Bundesrepublik hat sich laut den Grünen bewährt (vgl. Bündnis
90/Die Grünen 2002: S. 130). Die Partei setzt sich für eine klare Trennung der Aufgaben
zwischen Bund, Bundesländern und Kommunen ein (ebd.) und möchte eine „Belebung des
Föderalismus“ (Bündnis 90/Die Grünen 2002: S. 115) in Deutschland.
SPD – Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Unmittelbarkeit:
In ihrem „Hamburger Programm“ von 2007 fordert die Sozialdemokratische Partei
Deutschlands eine intensivere Verbindung von repräsentativer und direkter Demokratie in
Deutschland (vgl. SPD 2007: S. 32-33). Dazu schlägt sie Volksbegehren und –entscheide
nicht nur auf Kommunal- und Länderebene, wie sie bereits heute bestehen, sondern auch
für das Bundesgebiet vor (vgl. ebd.).
Parlamentsbezug:
Auch die SPD fordert eine Stärkung der Parlamente in ihren Rechten, ohne dabei jedoch
konkrete Vorschläge zur Durchführung zu geben (vgl. SPD 2007: S. 33). Wie auch bei den
anderen Parteien fehlen jedoch Hinweise zur Thematik der Wähl- oder Abwählbarkeit der
Exekutive.
Entscheidungsprinzip:
Hinweise, die auf die Demokratiedimension zwischen Mehrheits- oder Konkordanzentscheidungen hinweisen könnten, fehlen im SPD-Grundsatzprogramm.
Vertikale Gliederung:
Die Sozialdemokratische Partei setzt sich für eine Stärkung der kommunalen
Selbstverwaltung ein (vgl. SPD 2007: S. 33). Zudem fordert sie eine Erhöhung der
finanziellen Mittel der Kommunen durch Transferzahlungen der Bundesebene (vgl. ebd.).
11
Auch die SPD bekennt sich zum föderalen Aufbau der Bundesrepublik mit dem Prinzip der
Subsidiarität, doch schließt sie nicht aus, dass manche Kompetenzen auf die übergeordnete
Ebene übertragen werden sollten – vor allem auf die europäische (vgl. SPD 2007: S. 34-35).
Die Linke
Unmittelbarkeit:
Die Partei Die Linke sieht eine Aushöhlung demokratischer Prinzipien in Deutschland
beispielsweise durch Privatisierung öffentlicher Betriebe und in ihren Augen liberalen
Reformen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik (vgl. Die Linke 2011: S. 23-24). Dem will
die Partei entgegen wirken, indem auf allen Ebenen des politischen Systems
direktdemokratische Elemente eingeführt und ausgebaut werden sollen (vgl. Die Linke
2011: S. 45). Wichtigste Forderung ist dabei die Einführung eines Volksentscheides auf
Bundesebene. Hinzu kommen die Möglichkeit zu Volksinitiativen und Volksbegehren (vgl.
Die Linke 2011: S. 46). Der repräsentative Charakter der Bundesrepublik soll sozusagen
durch immer mehr direktdemokratische Elemente zurückgedrängt werden. Dabei gilt für
Die Linke, dass diese Stärkung der direkten Teilhabe nicht nur im politischen System,
sondern in allen gesellschaftlichen Subsystem – etwa in der Wirtschaft durch mehr
Mitbestimmung der Arbeitnehmer – stattfinden soll (Die Linke 2011: S. 45).
Parlamentsbezug:
Die Linke fordert neben dem Ausbau der direkten Demokratie in Deutschland aber auch
eine Stärkung der Parlamente (vgl. Die Linke 2011: S. 45). Dazu macht sie in ihrem
Programm auch konkrete Vorschläge wie beispielsweise neue Kontrollkompetenzen
gegenüber den Regierungen oder feste Anhörungsmethoden von Akteuren des
intermediären Systems (vgl. Die Linke 2011: S. 45-45). Vorschläge zur Wahl- und
Abwahlmöglichkeiten von Regierung oder des Bundespräsidentenamtes befinden sich
jedoch nicht im Programm.
Entscheidungsprinzip:
Die Partei bekennt sich zum Mehrheitsprinzip in politischen Entscheidungen (vgl. Die Linke
2011: S. 74). Dennoch fordert sie andererseits mehr Mitspracherechte in Entscheidungen
durch Institutionalisierung von Akteuren des intermediären Systems (Die Linke 2011: S.
45).
Vertikale Gliederung:
12
Zwar fordert Die Linke eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland
(vgl. Die Linke 2011: S. 46-47), gleichzeitig lehnt sie aber den „Wettbewerbsföderalismus,
in dem die Länder gegeneinander mit unterschiedlichen Steuern, Standards und
Bedingungen im öffentlichen Dienst konkurrieren“ (Die Linke 2011: S. 41). Damit macht
sie sich als einzige der hier betrachteten Parteien für mehr Zentralisierung hin zu einem
unitarischen System stark.
4. Zusammenfassung und Fazit
In diesem abschließenden Kapitel fasse ich nun die Ergebnisse der Untersuchung
zusammen, ziehe ein Fazit und werde meine Arbeit reflektieren. Die Analyseergebnisse
gegenüberstellend ergeben sich für die Demokratievorstellungen der im 17. Deutschen
Bundestag vertretenen Parteien folgende Ergebnisse:
Für den Punkt Unmittelbarkeit des Westminster-Züri-Analysemodells nach von Prittwitz
ergeben sich interessante Ergebnisse. Zwar vertreten alle sechs Parteien die grundlegende
Auffassung des Bekenntnisses zur repräsentativen Demokratie. Doch fordern FDP, Bündnis
90/Die Grünen, SPD und Die Linke eine Ergänzung um direktdemokratische Elemente,
während sich bei CSU und CDU solche Forderungen nicht finden lassen.
Die Demokratiedimension des Parlamentsbezuges, wie wir sie oben definiert haben, ist in
den Grundsatzprogrammen der untersuchten Parteien nur schwer zu entdecken. Es finden
sich in keinem der Parteiprogramme Äußerungen zur Abwählbarkeit der Regierung oder
des Wahlverfahrens dieser oder des Staatsoberhauptes. Alle Parteien bekennen sich jedoch
in ihren Programmen zum parlamentarischen Prinzip der Bundesrepublik und fordern eine
Stärkung dieses Prinzips.
Dem Entscheidungsprinzip kommen unterschiedliche Auffassungen der untersuchten
Parteien zu. Während sich CSU und CDU klar zum Mehrheitsprinzip bekennen, finden sich
bei Die Linke Forderungen nach mehr Institutionalisierung von Akteuren des intermediären
Systems im politischen Entscheidungsprozess. In einer noch gesteigerten Form findet sich
dies auch bei Bündnis 90/Die Grünen, wobei sich hier schon Tendenzen nach
konkordanzdemokratischen Forderungen feststellen lassen. Bei der FDP und der SPD finden
sich zu dieser Demokratiedimension keine Angaben.
Die Dimension der vertikalen Gliederung ist in allen Programmen ausführlich zu finden.
Alle Parteien bekennen sich zum föderalen System Deutschland – wenn auch in
unterschiedlicher Ausprägung. Einzig bei Die Linke sind Vorstellungen zu mehr
Zentralsierung und Unitarisierung feststellbar.
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Die konkreten Analyseergebnisse sind in der folgenden Tabelle dargestellt.
Demokratievorstellungen der im 17. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien im Spektrum des
Westminster-Züri-Analysemodells nach von Prittwitz (eigene Darstellung)
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Die meisten Anknüpfungspunkte an das Westminster-Züri-Modell zur vergleichenden
Analyse von demokratischen Systemen nach von Prittwitz finden sich in den
Parteiprogrammen der untersuchten Parteien für Dimensionen Unmittelbarkeit und
vertikale Gliederung. Es scheint, als wären diese Dimensionen für die Parteien maßgeblich,
wenn über die Ausgestaltung der Demokratie in Deutschland diskutiert wird. Außerdem
ließen sich Punkte zum Entscheidungsprinzip in den Grundsatzprogrammen finden.
Äußerungen der Parteien zur Dimension des Parlamentsbezugs, wie sie oben nach von
Prittwitz in Anlehnung an Steffani definiert wurde, fanden sich in den Programmen nicht.
Für die Analyse mithilfe des verwendeten Westminster-Züri-Modells ergibt sich daher, dass
dieses die Diskussion innerhalb und zwischen den Parteien grundlegend abbilden kann. Es
kann also auch als ergänzend zur vergleichenden Analyse von demokratischen Systemen
verwendet werden. Probleme ergeben sich augenscheinlich nur mit der Dimension
Parlamentsbezug. Als Grund dafür lässt sich eine Diskrepanz zwischen denen im Modell
verwendeten Definitionen von parlamentarischem sowie präsidentiellem System und der
Verwendung dieser beiden Begriffe außerhalb der Politikwissenschaft feststellen.
Beantwortet man abschließend die oben aufgestellte Fragestellung dieser Arbeit6, lässt sich
grundlegend sagen, dass die Demokratievorstellungen der im deutschen Bundestag
vertretenen Parteien keine großen Diskrepanzen aufweisen. Es herrscht augenscheinlich ein
weitgehender Konsens über die Ausgestaltung des demokratischen Systems in Deutschland.
Unterschiede lassen sich nur marginal etwa bei der Ergänzung durch direktdemokratische
Elemente oder der Gewichtung von föderalen Strukturen feststellen. Eine weitgreifende
Diskussion über die Ausgestaltung der Demokratie in Deutschland scheint es zumindest
zwischen den Parteien nicht zugeben. Damit hat sich die vorher erdachte These7
weitgehend bestätigt.
Selbstreflektierend muss man jedoch auch festhalten, dass diese Arbeit nur die
Grundsatzprogramme der im 17. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien abbildet und so
natürlich nicht das gesamte politische Spektrum erfasst. Außerdem stammt beispielsweise
das aktuelle Grundsatzprogramm von Bündnis90/Die Grünen Die Zukunft ist grün aus
dem Jahre 2002 und erfasst somit nicht mehr neueste Trends. Grundsatzprogramme bilden
zudem auch nicht umfassend die Meinung einzelner, handelnder Akteure im politischen
Entscheidungsprozess – beispielsweise von Parlamentariern – ab. Interessant wäre es daher
6
„Inwieweit unterscheiden sich die Demokratievorstellungen der heute im Deutschen Bundestag vertretenen
Parteien voneinander?“
7
Die Demokratievorstellungen der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien ähneln sich stark. Es lassen
sich große Gemeinsamkeiten feststellen und Unterschiede treten nur marginal auf.
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weitergehende Untersuchungen zur Thematik – vor allem auch wie sich die Vorstellungen
über die Zeit hinweg veränderten – vorzunehmen.
Festhalten lässt sich jedoch, dass es immer wieder Diskussionen über die Ausgestaltung der
Demokratie in der Deutschland gab, gibt und geben wird. Besonders populär sind derzeit –
wie auch in den Grundsatzprogrammen der Parteien – Gedanken zur Einführung und
Ausweitung direktdemokratischer Elemente (vgl. Stuttgarter Zeitung Online 2012) sowie
zur Ausgestaltung des Föderalismus‘ in Deutschland (vgl. Spiegel Online 2013). Diese
Diskussionen und Debatten sind wichtig und richtig, spiegeln sie doch das grundlegende
Bekenntnis zur Regierungsform der Demokratie wieder – etwas, das wir in Deutschland
noch nicht lange feststellen können.
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5. Literaturverzeichnis
 Primärquellen
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BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, Berlin, 2002
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CSU (2007): Chancen für alle! In Freiheit und Verantwortung gemeinsam Zukunft
gestalten, München, 2007
DIE LINKE (2011): Programm der Partei DIE LINKE, Erfurt, 2011
FDP (2012): Verantwortung für die Freiheit. Karlsruher Freiheitsthesen der FDP für eine
offene Bürgergesellschaft, Karlsruhe, 2012
SPD (2007): Hamburger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands, Hamburg, 2007
 Sekundärliteratur
Roth, Klaus (2003): Genealogie des Staates. Prämissen des neuzeitlichen Politikdenkens,
zweite, durchgesehene Auflage, Dunker & Humblot, Berlin, 2003
Sartori, Giovanni (1992): Demokratietheorie, 1991, Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt, zitiert in: von Prittwitz, Volker (2007): Vergleichende Politikanalyse,
Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 2007
Schultze, Rainer-Olaf (2011): Demokratie in Kleines Lexikon der Politik (Hrsg. Nohlen,
Dieter; Grotz, Florian), S.82-84, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische
Bildung, Bonn, 2011
Steffani,
Winfried
(1979):
Strukturtypen
präsidentieller
und
parlamentarischer
Regierungssysteme in: Parlamentarische und Präsidentielle Demokratie. Strukturelle
Aspekte westlicher Demokratien, (Hrg.: Steffani, Winfried), Westdeutscher Verlag,
Opladen, 1979
von Arnim, Hans Herbert (2000): Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne
Verantwortung am Volk vorbei, Droemer Knaur, München, 2000
von Prittwitz, Volker (2007): Vergleichende Politikanalyse, 2007, Lucius & Lucius
Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 2007
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Walter, Stefanie (2009): Grundformen politischer Systeme in: Einführung in die
Politikwissenschaft, (Hrsg.: Bernauer, Thomas; Jahn, Detlef; Kuhn, Patrick; Walter,
Stefanie), S.117-148, 1. Auflage, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2009
Weber, Max (1951): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Auflage , Tübingen,
1951
 Internetquellen
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abgerufen am 20.06.2013: http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/cdu-auf-demweg-zu-mehr-direkter-demokratie--71372020.html
Brandt, Willy (1969): Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vom 28.
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Bonn,
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http://www.hdg.de/lemo/html/dokumente/KontinuitaetUndWandel_erklaerungBrandtRegi
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http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-
Gauck/Reden/2013/05/130523-150-Jahre-SPD.html
Spiegel Online (2013): Nach der Wahl: In fünf Schritten zur Bildungsrepublik Deutschland,
24.09.2013,
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http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/nach-der-wahl-was-sich-in-derbildungspolitik-jetzt-aendern-muss-a-923878.html
Stuttgarter Zeitung Online (2012): Mehr direkte Demokratie wagen!, 03.06.2012,
abgerufen am 28.09.2013: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.essay-von-peterconradi-mehr-direkte-demokratie-wagen.14ba788a-5a05-4eab-a76c-cbf79a765c8b.html
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