Gewissensbildung - auf buseck

Werbung
20. Januar 2011
Alfred Keils Kolumne „des pudels kern“
Gewissensbildung
Kaum etwas wird öfter wiederholt als die
Feststellung: „Wir Deutsche klagen auf hohem
Niveau.” Unsere Politiker ironisieren und
verharmlosen gerne auf diese Weise und
suggerieren damit, dass wir in Wahrheit gar
keinen Grund haben zu klagen.
Wagt sich doch einmal einer, den Finger in die
Wunde zu legen, wird er schnell in die
Schranken gewiesen. Vielversprechend waren
2005 die Auftritte von Professor Paul
Kirchhof, ehemaliger Richter des
Bundesverfassungsgerichts und Direktor des
Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der
Heidelberger Universität. Der parteilose
Wissenschaftler gehörte als designierter
Finanzminister zum Kompetenzteam um
Angela Merkel.
Kirchhof machte vielen Menschen Hoffnung.
Er stellte fest, dass die Politik den Bürgern
den Dialog verweigere. Er forderte: „Gebt den
Bürgern ihren Staat zurück!” In seinem Buch
„Das Gesetz der Hydra” klagt er: „Der Staat
ist zu einer Hydra verkommen, einem
vielköpfigen Ungeheuer, das unser Land fest
im Griff hat.”
Noch im selben Jahr erhielt der Professor den
„Jakob-Grimm-Preis Deutsche Sprache”. Die
Politik aber spuckte ihn wieder aus. Paul
Kirchhof verschwand in der Versenkung.
An diesen verunglückten Versuch, Politik
endlich bürgernah zu machen, erinnerte ich
mich, als wir in der Philosophenrunde das
Thema „Werte, Wertewandel, Werteverlust“
behandelten.
Die traditionelle Wertschätzung von
Sparsamkeit, Disziplin, Ordnungssinn,
Gewissenhaftigkeit, Arbeitsfreude ist tief
gesunken. Zugenommen hat laut Elisabeth
Noelle-Neumann, der Gründerin des Instituts
für Demoskopie in Allensbach, das Interesse
an lustbetonten Verhaltensweisen. Das zeige
besonders drastisch der Wandel der
Sexualmoral.
Mit dem Begriff „Werteverfall“ entfachte
die im März 2010 verstorbene
Wissenschaftlerin einen öffentlichen Streit.
Nun erhob sich auch die Frage, ob
Wissenschaft für das Phänomen Ethik
überhaupt zuständig ist. Denn Wissenschaft
basiert auf Gesetzen, Moral aber basiert auf
der Freiheit von Gesetzen.
In dem Streit ging es auch um die Definition
von ethischen Werten. Ethische Werte sind
reine Zielvorstellungen. Ihre Grundlegung
finden wir bereits bei Platon und Aristoteles,
die vier Haupttugenden aufstellten: Weisheit
als Besinnung auf die Folgen, Tapferkeit im
Sinne von Willenskraft, Besonnenheit als
Selbstbeherrschung und die „Gesamttugend“
Gerechtigkeit. Die christliche Philosophie
fügte noch drei Tugenden hinzu: Glaube,
Liebe, Hoffnung.
In der Ethik gehören Wissen und Ge-wissen
untrennbar zusammen. Zu Beginn der
Neuzeit war die Gewissensbildung das
Zentrum der Bildung. Die gegenwärtige
Bildung vermittelt vor allem Wissen. Ganz
zum Schluss kommt das Gewissen.
Blicken wir auf die jüngste Finanzkrise,
fragen wir uns, wie groß der Mangel an
Gewissensbildung bei unseren Eliten schon
ist.
Herunterladen