Jahrbuch 2007/2008 | Guenter, Sibylle; Lauber, Philipp; Strumberger, Erika | Die Physik schneller Teilchen in Fusionsplasmen Die Physik schneller Teilchen in Fusionsplasmen Physics of fast particles in fusion plasmas Guenter, Sibylle; Lauber, Philipp; Strumberger, Erika Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Effizienz eines zukünftigen Fusionskraftw erks hängt unter anderem entscheidend davon ab, w ie gut die hochenergetischen Fusionsprodukte, also die schnellen Helium-Kerne, im Magnetfeld eingeschlossen w erden. Ein aktueller Forschungsschw erpunkt ist es, den Transport dieser super-thermischen Teilchenpopulation qualitativ und quantitativ Magnetfeldstörungen Mechanismen, deren als zu auch verstehen. von den Eigenschaften Dabei schnellen sind sow ohl Teilchen experimentell und selbst großskalige getriebene numerisch interne und externe Instabilitäten w ichtige untersucht und für das Forschungsexperiment ITER vorhergesagt w erden müssen. Summary The efficiency of a future fusion pow er plant depends on the confinement of the fusion products, i.e. the helium nuclei, in the magnetic configuration. Therefore, the investigation of the transport properties of this superthermal particle population is of great scientific interest and w ill be one of main research areas at the international fusion experiment ITER. Especially large-scale internal and external magnetic perturbations and instabilities driven by the energetic particles can contribute critically to this transport. Mit dem Bau des internationalen Experiments ITER w ird ein völlig neues Element in die Physik von Fusionsplasmen eingeführt: die thermonukleare Selbstheizung des Plasmas. In bisherigen Experimenten blieb der Einfluss der Fusionsheizung auf die Energiebilanz des Plasmas relativ gering. Das gilt selbst für den Joint European Torus JET in Culham/Großbritannien, die zurzeit w eltw eit größte Fusionsanlage, die immerhin schon 17 MW Fusionsleistung erreichte. In ITER (lateinisch: ,der Weg’) dagegen w ird die Heizung des Plasmas erstmals von den fusionserzeugten Heliumkernen, so genannten Alpha-Teilchen, dominiert w erden. Dies ist Neuland, denn damit kann die Heizleistung nicht mehr direkt von außen geregelt w erden. Sie w ird ausschließlich durch die Parameter des Plasmas selbst bestimmt. © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2007/2008 | Guenter, Sibylle; Lauber, Philipp; Strumberger, Erika | Die Physik schneller Teilchen in Fusionsplasmen Schematischer Aufbau eines Tokamaks: Der magnetische Käfig für das Plasma wird sowohl durch externe Spulen als auch durch einen im Plasma fließenden Strom aufgebaut. Die Überlagerung beider Felder erzeugt ein Magnetfeld mit helikalen Feldlinien, entlang derer sich die Elektronen und Ionen des Fusionsplasma im Wesentlichen auf Spiralbahnen bewegen. © Ma x -P la nck -Institut für P la sm a physik , Ga rching ITER ist ein Experiment vom Typ Tokamak ( Abb. 1): Der magnetische Käfig für das Plasma w ird sow ohl durch externe Spulen als auch durch einen im Plasma fließenden Strom aufgebaut. Die Überlagerung beider Felder erzeugt ein Magnetfeld mit helikalen Feldlinien, entlang derer sich die Elektronen und Ionen des Fusionsplasmas im Wesentlichen auf Spiralbahnen bew egen. Die entscheidende Frage, die es an ITER in diesem Zusammenhang zu beantw orten gilt, ist: W ie gut sind die Helium-Kerne in dieser Magnetfeldkonfiguration eingeschlossen? Gibt es Mechanismen, die sie aus dem heißen Plasmazentrum transportieren, bevor sie ihre Energie durch Stöße an das Hintergrundplasma abgegeben haben? Ganz offensichtlich hängt die Effizienz eines zukünftigen Fusionskraftw erks entscheidend von der Antw ort ab. Darüber hinaus sorgen schnelle Teilchen, die mit hohen Energien das Plasma verlassen, für eine hohe Belastung der das Plasma Wandkacheln verkürzen stark umgebenden ersten Wand, w elche könnte. Welches sind nun die die Lebensdauer von Divertor- und Mechanismen, die zum Verlust der hochenergetischen Alpha-Teilchen führen können? Ohne Stöße oder dissipative Effekte w ürden sich die Teilchen in einem vollständig axialsymmetrischen Magnetfeld auf geschlossenen Bahnen bew egen und damit perfekt eingeschlossen bleiben. In einem Tokamak führt aber die endliche Zahl von Hauptfeldspulen zu einer kleinen toroidalen Variation der Magnetfeldstärke. Dadurch w ird die Axialsymmetrie gebrochen, w as zur Folge hat, dass einige Teilchenorbits nicht mehr geschlossen sind und desw egen nach außen driften. Neben dieser externen, konstruktionsbedingten Plasmainstabilitäten verursachte Störungen. So Magnetfeldschw ankung können etw a gibt es Magnetfeldlinien, auch die interne, durch ansonsten auf geschlossenen Flächen liegen, aufbrechen, w enn das Verhältnis von poloidalen und toroidalen Umläufen der helikalen Feldlinie einen rationalen Zahlw ert annimmt. W ie in Abbildung 2 gezeigt, bilden sie dann durch © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2007/2008 | Guenter, Sibylle; Lauber, Philipp; Strumberger, Erika | Die Physik schneller Teilchen in Fusionsplasmen magnetische Rekonnektion eine Kette von ‚magnetischen Inseln’. Wenn das Verhältnis von poloidalen und toroidalen Umläufen einer helikalen Magnetfeldlinie eine rationale Zahl annimmt, so kann sich durch Rekonnektion eine Kette von ´magnetischen Inseln` bilden (links). Dadurch vergrössert sich die radiale Ausdehnung einer Driftbahn, zu sehen im rechten Bildteil; - rote Bahn: ohne Insel, grüne Bahn: mit Insel, schwarz: rationale Fläche. © Ma x -P la nck -Institut für P la sm a physik , Ga rching Der Effekt auf ein schnelles Teilchen ist ebenfalls in Abbildung 2 zu sehen: W ährend das Teilchen im ungestörten Feld eine geschlossene Driftbahn beschreibt (rot eingezeichnet), die gegenüber einer Magnetfeldfläche nur w enig radial verschoben ist, beschreibt die Teilchenbahn im gestörten Feld einer Inselkette eine so genannten Driftinsel (grün). Dadurch entsteht eine erhöhter radialer Versatz von der Magnetfeldfläche und damit auch ein größerer radialer Transport. Inseln, die sich nahe am Plasmarand befinden, können sogar direkt zu einem Ausw urf von schnellen Teilchen an der W and führen. Vor allem aber ist ein völlig neuer Effekt zu erw arten, w enn das Plasma durch das Abbremsen der AlphaTeilchen aufgeheizt w ird: Es w erden neue Instabilitäten in Form einer umlaufenden Wellenbew egung des Magnetfeldes angeregt. Schnelle Teilchen, die sich mit fast gleicher Geschw indigkeit w ie die Welle fortbew egen, können einen Teil ihrer Energie an die Welle abgeben. Dabei w erden sie radial nach außen transportiert – ein Effekt, den man auch als Umkehrung einer stoßfreien Dämpfung, der so genannten LandauDämpfung, verstehen kann. Sie tritt dann auf, w enn es zu Resonanzen zw ischen den typischen Umlauffrequenzen der schnellen Teilchen und globalen magneto-hydrodynamischen (MHD) W ellen kommt. Die typischen Zeiten für einen Umlauf um den Torus hängen von der Magnetfeldgeometrie und der Temperatur bzw . kinetischen Energie der Teilchen ab. Neben der in Abbildung 1 beschriebenen Parallelbew egung gibt es – unter anderem w egen der Krümmung und Inhomogenität des Tokamak-Magnetfeldes – auch eine viel langsamere Driftbew egung senkrecht zum Magnetfeld. Die Abbremsung der Alpha-Teilchen führt zu einer Verteilungsfunktion, bei der es mehr Teilchen gibt, die Energie an die Welle abgeben als solche, die Energie von der Welle aufnehmen. Um vorherzusagen, w ie stark eine solche Welle dadurch anw ächst, benötigt man detaillierte numerische Simulationen, die nicht nur den Destabilisierungsmechanismus berücksichtigen, sondern auch die Dämpfung der W elle durch das Hintergrundplasma. Die Komplexität dieses Problems soll anhand des in Abbildung 3 gezeigten Beispiels veranschaulicht w erden: In einem Torus entstehen durch das Brechen der Zylindersymmetrie so genannte ‚gaps’, also Lücken im Frequenzraum des Alfvén-Kontinuums – analog zur Bandstruktur von Elektronenbändern in einem Kristall. In diesen Bereichen können globale MHD-Moden existieren, w ie etw a die in den Abbildungen 3 und 4 gezeigte © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2007/2008 | Guenter, Sibylle; Lauber, Philipp; Strumberger, Erika | Die Physik schneller Teilchen in Fusionsplasmen toroidale Alfvén-Eigenmode, deren Eigenfunktion sich über den gesamten Plasmaradius erstreckt. Die Eigenfrequenz dieser Mode liegt im Bereich der Umlauffrequenzen von Alphateilchen und kann desw egen von diesen destabilisiert w erden. Die Dämpfung dieser Mode hängt jedoch vor allem von der Kopplung an kleinskalige Moden ab, w ie etw a an eine kinetische Alfvén-Welle am Plasmarand, deren typische radiale Wellenlänge – einige Millimeter – im Bereich des Ionen-Gyroradius des Plasmahintergrunds liegt (siehe Detailbild in Abb. 3, rechts). Dabei ist die detaillierte Struktur der Mode entscheidend für die korrekte Berechnung der Dämpfung. Es w urde gezeigt, dass für die toroidale Alfvén-Eigenmode dieser Dämpfungsmechanismus in vielen Fällen dominiert. Ga p-Struk tur de s Alfvé n-Kontinuum s und die da zuge höre nde toroida le Alfvé n-Eige nm ode (link s). Die ra dia le n Eige nfunk tione n de r zwe i dom inie re nde n poloida le n Fourie rHa rm onische n (m =1, m =2) ve ra nscha uliche n die MultiSk a le n-Eige nscha fte n die se r Mode (re chts). © Ma x -P la nck -Institut für P la sm a physik , Ga rching Die Kopplung von klein- und großskaligen Moden sow ohl im Orts- als auch im Geschw indigkeitsraum (Resonanzen) stellt hohe Anforderungen an theoretische Modelle und numerische Implementationen. Offensichtlich können Flüssigkeitsmodelle die entscheidenden Resonanz- und Koppungseffekte nicht selbstkonsistent beschreiben, w esw egen man zu kinetischen Formulierungen übergehen muss. Die für die Vorhersage benötigten numerischen Werkzeuge müssen selbstverständlich mit den Ergebnissen von Experimenten w ie etw a ASDEX Upgrade in Garching/Deutschland, JET in Culham/ Grossbritanien, DIII-D in San Diego/USA oder JT-60-Upgrade in Naka/Japan verglichen und validiert w erden. Da diese Maschinen in der Regel keine Alpha-Teilchen produzieren, w ird hier die Umverteilung von schnellen Teilchen untersucht, die durch Zusatzheizungen w ie zum Beispiel Ionen-Zyklotron-Resonanzheizung oder Neutralteilchen-Injektion erzeugt w erden. Gerade in den letzten Jahren w urde eine beträchtliche Anzahl von Diagnostiken an den oben erw ähnten Experimenten installiert. Dazu gehören die direkten Messungen von schnellen Ionenverlusten mit einem Szintillator-Detektor am Plasmarand, die nicht nur über die Anzahl der ausgew orfenen Teilchen Aufschluss geben, sondern auch über die parallele und senkrechte Energie der Teilchen und damit über den Verlustmechanismus. Zum anderen kann man die Fluktuationen von Temperatur und Dichte und damit die Modenstruktur direkt messen, w odurch eine verlässliche und detaillierte Identifikation der Moden möglich w ird. Die Dämpfungsraten des Hintergrundplasmas können aber auch direkt bestimmt w erden: Mittels aktiver externer Antennen w erden eigentlich stabile Moden angeregt; die daraufhin gemessene ‚Plasma-Antw ort’ kann als Maß für die Dämpfung interpretiert w erden. © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2007/2008 | Guenter, Sibylle; Lauber, Philipp; Strumberger, Erika | Die Physik schneller Teilchen in Fusionsplasmen P oloida le r Q ue rschnitt e ine r TAE-Mode , e inge ze ichne t in da s P la sm a ge fä ß de r Ga rchinge r Fusionsa nla ge ASDEX Upgra de . © Ma x -P la nck -Institut für P la sm a physik , Ga rching Das quantitative Verständnis dieser Messergebnisse erfordert einen erheblichen theoretisch-numerischen Aufw and, da die oben beschriebenen Multi-Skalen-Phänomene unter möglichst realistischen und experimentnahen Bedingungen zu berechnen sind. Auch die nichtlineare Physik dieser Moden ist von großer Bedeutung: Zum einen w ill man die Sättigung der Moden durch ein Abflachen oder eine radiale Verschiebung des treibenden Gradienten der schnellen Teilchen quantitativ verstehen, zum anderen aber auch mögliche ‚channeling’-Effekte: Hierbei können die Teilchen mit verschiedenen Moden an verschiedenen radialen Positionen im Plasma w echselw irken und dadurch sehr effizient nach außen ‚kanalisiert’ w erden. Mithilfe von umfangreichen Simulationen auf Großrechnern sind auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren w eitere neue Ergebnisse zu erw arten. An ITER validiert, w erden diese schließlich in das Design des ersten Demonstrationskraftw erks DEMO einfließen. © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5