John Cage picking mushrooms [1967], photo by William Gedney Das einjährige Festival CAGE100, in dessen Rahmen auch diese Veranstaltung stattfindet, ehrt einen der ungewöhnlichsten Komponisten und Künstler des 20. Jahrhunderts, dessen Œvre nicht nur Musik umfasst sondern auch Performancekonzepte, verschiedene Schriften, Malerei, einen Spielfilm – ja, sogar ein Buch über Pilze hat John Cage herausgegeben. Cage wurde am 5. 9. 1912 in Los Angeles geboren und starb am 12. 8. 1992 in New York. Er gilt als einer der wichtigsten und einflussreichsten Komponisten des 21. Jahrhunderts. Viele Künstler der Gegenwart, aber auch Philosophen und Geisteswissenschaftler beziehen sich auch heute noch auf sein Werk, das vor allem durch die die Verwendung von Zufallsoperationen, dem Gebrauch von Stille sowie die Einbeziehung von Geräuschen in die Musik bekannt geworden ist. Cage wuchs als einziges Kind des Erfinders John Milton Cage und der Redakteurin Lucretia Harvey auf. Schon in den jungen Jahren zeigte sich Cages kreativer Geist. So initiierte er als Jugendlicher eine regelmäßige und sehr erfolgreiche Jugend-­‐Sendung im lokalen Radio, schrieb Gedichte, gab eine französischsprachige Schülerzeitung heraus, nahm an Redewettbewerben teil und lernte Klavier spielen. 1930 ging Cage für einige Monate nach Europa, wo er mehr oder weniger engagiert Architektur studierte und unter anderem Klavierstunden bei dem renommierten Pianisten Lazare Lévy nahm. In dieser Zeit unternahm er auch seine ersten Kompositionsversuche, die allerdings nicht erhalten sind. Zurückgekehrt in die USA, studierte Cage Harmonielehre bei Adolph Weiss, einem Schüler des berühmten und nach Amerika emigrierten Komponisten, Arnold Schönberg. Ein weiterer Lehrer dieser Zeit war der Komponist Henry Cowell. Cowell war einer der ersten Komponisten, die Klaviermusik schreiben, die auch das Innere des Klavieres als Klangkörper nutzten, eine Technik, die John Cage später revolutionieren sollte. à Klangbeispiel (Henry Cowell »The Banshee«) Von 1935 bis 1937 nahm John Cage dann Privatunterricht bei Arnold Schönberg, dem damals bekanntesten Lehrer und Komponisten sowie Erfinder der so genannten 12-­‐Ton-­‐Technik, einem Verfahren, bei dem alle 12 Töne einer Oktave gleichberechtigt sind und die klassischen Dur/Moll-­‐Harmonien keine Rolle mehr spielen. »Wenn möglich ging ich immer zum Chef der Firma«, so wird Cage zitiert, der schon damals in seinem Bekanntenkreis berühmte Persönlichkeiten wie das Sammlerehepaar Walter und Louise Arensberg, den Filmemacher Oskar Fischinger und den Komponisten und späteren Freund Lou Harrison hatte. Cage, der stets unter großer materieller Not litt, verdiente sich mit diversen Nebenjobs wie Musik-­‐Kursen für Hausfrauen bis hin zur Gebäudereinigung in dieser Zeit sein Geld. Da er ebenso wenig Geld für Musiker aufbringen konnte, kam er auf die Idee mit diversen Gegenständen das Klavier zu präparieren um so den Eindruck eines Schlagzeugensembles zu vermitteln. Die Technik des präparierten Klaviers, die bis heute von vielen Komponisten angewandt wird gilt als Cages erste bahnbrechende Erfindung. So verwendet er Schrauben, Gummis, Klammern etc. um den Klang des Klavieres zu verändern. à Klangbeispiel (John Cage »Sonatas and Interludes«) Nach einer tiefen Lebenskrise in den 1940er Jahren wandte sich John Cage fernöstlichen Philosophien wie dem Zen-­‐Buddhismus zu. Später, in den 1950er Jahren belegte er u.a. auch 2 Jahre lang einen Kurs bei dem Berühmten Zen-­‐Meister Daisetz Teitaro Suzuki, der z.B. auch den berühmten Maler Paul Klee beeinflusst hat. Durch die Beschäftigung mit dem Zen-­‐ Buddhismus änderte sich Cages Lebenshaltung und Kompositionstechnik ganz grundlegend. John Cage hat sich Zeit seines Lebens nicht davor gefürchtet Grenzen der Musik und des Denkens zu überschreiten. Einer entsetzten Konzertbesucherin, die ihm sagte, dass seine Arbeiten doch nichts mehr mit Musik zu tun haben gab er humorvoll mit auf den Weg »Call it something else, if the word music bothers you.« Cages Ideen sind teilweise so Grenzen sprengend, dass es großer Mühen bedarf sie aufzuführen. Er war Zeit seines Lebens auf Reisen und lies sich stets von anderen Kulturen, Künstlern, Philosophen und Wissenschaftlern inspirieren, was sein Werk auch so vielschichtig macht. Inzwischen gilt er als einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts. Der Zufall bei John Cage Als Komponist trieb John Cage vor Allem die Sehnsucht und die Suche nach unverbrauchten und immer neuen Klängen an. Ein Verfahren, dass Cage entwickelte um dieses Ziel zu erreichen, war das Komponieren mit Zufallsoperationen. Kompositorische Entscheidungen wie zum Beispiel Tonhöhen, Tondauern und Zusammenklänge bestimmte Cage nicht mehr selbst sondern ließ den Zufall Herr über diese Entscheidungen sein.1 So kam Cage immer wieder zu überraschenden Klangergebnissen und vermied die Wiederholungen althergebrachter Tonmuster. Allzu häufig wird Cage auf Grund dieser Tatsache Beliebigkeit und Willkür unterstellt. Schaut man aber genauer hin so stellt man schnell fest, dass die Art und Weise wie genau der Zufall auf eine Komposition angewandt werden soll von ihm stets stringent, eindeutig und unmissverständlich festgelegt wurde. Die mathematischen Grundlagen für seine Zufallsoperationen entlehnte Cage in den meisten Fällen dem Chinesischen Orakelbuch I Ging2. Das I Ging verzeichnet 64 sogenannte Hexagramme. Dabei handelt es sich um Gruppierungen aus jeweils 6 durchgezogenen oder unterbrochenen Linien. Je nach Anordnung der Striche sind den Hexagrammen eine Nummer und eine Titel zugeordnet: 1 Cage verfolgte so auch sein Ideal, den Kompositionsprozess vom Subjekt des Komponisten zu befreien und eine nicht-­‐intentionale Musik zu schaffen. 2 Das I Ging bzw. Yì Jīng 易經 oder Zhouyi 周易 wird auch als »Buch der Wand-­‐ lungen«, »Wandlungen des Zhou« oder »Klassiker der Wandlungen« bezeichnet. Die Sammlung von Strichzeichnungen und Sprüchen ist eines der ältesten chinesischen Texte. Das Buch wurde in der westlichen Zhou-­‐Dynastie verfasst und wird Fürst Dan von Zhou 周公旦, Fuxi 伏羲, König Wen von Zhou 周文王 und Konfuzius zugeschrieben. Ursprünglich wurde das I Ging Buch für Weissagungen verwendet. Jemand stellte eine Frage an seine Zukunft und das I Ging gab ihm eine Antwort. Der Fragende muss dazu nur 6 x 3 Münzen werfen und bei jedem Wurf ihre Summe addieren. Kopf zählt dabei 3, Zahl zählt 2. Ergibt die Summe der drei Münzen eine gerade Zahl, zeichnet der Fragende eine unterbrochene Linie, ist die Summe ungerade zeichnet er eine durchgezogene. Nach 6 Münzwürfen ist das Hexagramm vollständig und der Fragende kann an Hand der Beschreibung, die jedem Hexagramm im I Ging Buch zugeordnet ist, Rückschlüsse auf seine Zukunft ziehen. Cage übertrug dieses System auf seinen Kompositionsprozess. Zum ersten Mal verwandte er das I Ging Buch in seinem Stück Concert for Prepared Piano and Chamber Orchestra aus den Jahren 1950/51. Vor der Ausarbeitung des ersten Satzes ordnete Cage das gesamte klangliche Material, dass das Orchester verwenden sollte in Form von Einzeltönen, Akkorden und Tongruppen auf Tabellen an. Er ordnete dann je eines der 64 Hexagramme je einem musikalischen Ereignis der Tabelle zu und bestimmte so die zeitliche Abfolge der musikalischen Elemente in der Partitur durch Münzwürfe. Im Laufe seines Schaffensprozesses unterwarf Cage neben dem Klangmaterial auch verschiedene andere musikalische Parameter dem Zufall. In »Child of Tree« muss der Interpret vor der eigentlichen Aufführung durch Münzwürfe bestimmen, welche der zehn zuvor ausgewählten Instrumente3 er bei dem betreffenden Konzert erklingen lassen soll. In anderen Stücken lies Cage durch das I Ging Orakel beispielsweise die Präparation des Klaviers für jede Aufführung oder die Standorte der Spielenden neu generieren. Das Komponieren mit dem I Ging Verfahren bestimmt Cages Schaffen insbesondere in den 1950er Jahren. In den darauf folgenden Jahrzehnten tritt das Orakelbuch in den Hintergrund und andere Verfahren für die zufällige Generierung von Klangstrukturen finden Einzug in sein Oeuvre. In den 60er Jahren ließ Cage sich hierfür häufig von graphischen Elementen inspirieren. Für »Music for Carillon Nr. 4« [1961] legte er zum Beispiel eine durchsichtige Partitur-­‐ Schablone auf eine Sternenkarte und notierte dort, wo die Gestirne eingezeichnet waren Punkte auf die Notenlinien.4 Für die »Music for Carillon Nr. 5« [1967] zeichnete er ein Notensystem auf fünf Sperrholztafeln und gibt dem Interpreten die Anweisung immer dort einen Ton zu spielen, wo die Maserung des Holzes eine Notenlinie oder einen Zwischenraum kreuzt. In »Music for Piano« [85 Werke, 1952 -­‐ 1962] verfuhr er bereits ähnlich, nutze hierbei aber Unregelmäßigkeiten und Mängel in den verwendeten Papierbögen. Ein dritte Art und Weise wie Cage den Zufall auf das musikalische Endergebnis Einfluss nehmen lässt, ist das Umgehen mit den verschiedenen Gegebenheiten am Ort der Aufführung. In »Fifteen Domestic Minutes« [1982] muss der Interpret für seine Aufführung verschiedene Schallplatten zusammensuchen. Cage gibt dafür die Anweisung in das Plattenarchiv des Radiosenders vor Ort zu gehen und nach genau festgelegten Schrittzahlen und Laufmetern links und rechts nach Platten zu greifen. Die Angaben über den Weg sind immer gleich. Durch die unterschiedlichen Anordnungen in den jeweiligen Archiven sind es jedoch immer wieder anderen Schallplatten, die dem Interpreten als Grundlage für seine Aufführung in die Hände fallen. Hatte sich John Cage in den 1940er und 1950er Jahren noch mühsam mit einem Lehrauftrag als Korrepetitor über Wasser halten müssen, kam Ende der 1950er Jahre sein internationaler Durchbruch. Besonders in Europa war sein Einfluss auf die zeitgenössischen Komponisten sehr groß, auch wenn viele Kritiker ihn und seine aleatorische Technik (Alea [griechisch] = Würfel) als Scharlatanerie abtaten. Insbesondere seine Performance-­‐Kompositionen waren höchst umstritten. 3 Bei diesem Stück handelt es sich ausschließlich Naturmaterialien wie z. B. eine mexikanische Bohnenart als Rassel. 4 Auf diese Art ging er ebenso bei den »Freeman Etudes« [1961/62] und »Atlas Eclipticales« [1977-­‐80] vor. Klang, Geräusch und Stille – Cages Verständnis von Musik Beschäftigt man sich mit Cage und lässt sich von seinen Gedanken und Ideen anregen, so wird man bald feststellen, dass es schwer zu beurteilen ist, was überhaupt Musik ist und was nicht. Eigentlich müsste Stille als das Gegenteil von Klang und Geräusch angesehen werden; doch gibt es so etwas wie Stille überhaupt? Auch Cage hat sich diese Frage gestellt und wagte in den frühen 1950er Jahren ein Experiment. Er ist zur Harvard Universität in Cambridge, Massachusetts gegangen und hat sich dort in einen speziellen, schalltoten Laborraum begeben, in dem keine Geräusche von außen eindringen konnten. In diesem Raum musste Cage dann feststellen, dass es so etwas wie absolute Stille nicht gibt. Das Geräusch der eigenen Atmung ist allgegenwärtig und obwohl er sich nicht bewegte und versuchte, keine anderen Geräusche zu produzieren, bemerkte er, dass er zwei Töne hören konnte. Einen hellen-­‐ und einen tiefen Ton. Außerhalb des Labors fragte er einen Ingenieur der Universität, wieso zwei unterschiedliche Töne in diesem schalltoten Raum zu hören waren. Der Ingenieur erklärte Cage, dass der hohe Ton vom seinem eigenen Nervensystem und der tiefe Ton vom Blutkreislauf verursacht wird. Stille, so Cages Überlegung, lässt sich demnach nicht als Gegenteil von Klang und Geräusch auffassen. Stille ist, wenn nur wenige bis keine Töne hörbar sind, die wiederum ohne Absicht, also nicht intentional erzeugt wurden. Stille ist nach Cage also nicht Geräuschlosigkeit, sondern ein Zustand frei von Intention. Diese Gedanken und Erfahrungen, sowie seine unbändige Neugierde und Lust an Neuem bekräftigten ihn in seiner Entscheidung, sich selbst als Komponisten, genauer das Individuum und damit individuelle Entscheidungen und alles subjektive, aus dem Kompositionsprozess herauszunehmen. Indem Cage Zufallsoperationen in seinen Kompositionsprozess einbezieht, gelingt es ihm unbeabsichtigte und ungeplante Klangereignisse zu ermöglichen. Die traditionelle Musik mit ihrer durch Tonalität hervorgebrachten Funktionen – wie z.B. Tonika, Subdominate und Dominante – nimmt er als »verbraucht durch Intellektualisierung« wahr. Indem er Geräusche und nicht geplante [nicht-­‐intentionale] Klänge – auch Geräusche und Klänge aus dem Alltag – in seine Musik einbezieht, gelingt es ihm Töne und Klänge wieder »frisch und neu« und vor allem ohne vorgefertigte Zuschreibung zu hören und erfahrbar zu machen. Cage sagt dazu einmal selbst: »Ich höre Musik nicht, wenn ich sie schreibe; ich schreibe, um etwas zu hören, das ich noch nicht kenne«. In einem ähnlichen Zusammenhang wurde er auch einmal von einem Journalisten gefragt, was denn die Absicht seiner experimentellen Musik sei, woraufhin Cage trocken mit nur drei Worten entgegnete: »No Purpose. Sounds.« Es kam ihm also nicht darauf an, dass die Musik einem bestimmten Ziel, wie einem Finale oder einem Höhepunkt entgegen strebte, sondern dass einzelne, unwillkürlich entstandene Klangereignisse, die nur einmal und durch Zufall erscheinen, als wesentliches Ziel seines kompositorischen Schaffens herauszustellen. Cage wohl bekannteste Komposition 4’33” Seiner Erfahrung aus dem Besuch im schalltoten Laborraum und die daraus entstandenen Erkenntnisse wollte Cage auch einem breiten Publikum näher bringen und so komponierte er 1952 sein berühmtes Stück 4’33”. In diesem Stück werden in drei Sätzen und 4 Minuten und 33 Sekunden von einem Pianisten keine Töne und auch keine Geräusche produziert. Genaugenommen wird vom Pianisten also gar nichts gespielt und da ja auf der Bühne buchstäblich nichts passierte, gelang es ihm, dass seine Entdeckung im Labor für die Zuhörer des Konzertes nachvollziehbar wurde. Die Aufmerksamkeit des Publikums wurde durch das Fehlen der Musik und indem die gewohnten Hörerwartungen gesprengt wurden, zwangsläufig auf die Geräusche der Umgebung, auf absichtslos erzeugte Töne gerichtet. Durch das Rascheln und Räuspern, empörte Rufe, einsetzenden Unterhaltungen und Beschwerden, durch die Geräusche und Klänge die von dem Publikum selbst erzeugt wurden, wurden die Zuhörer selbst zum Klangkörper, zum Instrument und Orchester der eignen Musik. An den bisher genannten Beispielen wird klar, dass Cage Musik eine Aufforderung an alle Zuhörer ist, neu und genau zu hören und sich der oft überhörten und lebendigen akustischen Umwelt gewahr zu werden. Die einzige Voraussetzung diese Neue Musik wahrzunehmen, beschreibt Cage mit folgenden Worten: »You just have to have the ears to hear it«. Cage entwickelte immer neue Ideen, um kompositorische Entscheidungen dem Zufall zu überlassen und überließ absichtlich viele Entscheidungen den Musikern und Interpreten seiner Musik. Indem er diesen Weg Konsequent verfolgte, gelang es ihm nicht nur, immer wieder bisher »unerhörte« Musik zu schreiben, sondern er veränderte die Wahrnehmung von Kunst generell. Begriffe wie Werkcharakter, Kunstwerk, Autorenschaft und Authentizität werden durch seine Ideen in Frage gestellt und seine Ideen beeinflussten nicht nur die Auffassung von Musik selbst, sondern auch viele nachfolgende Musiker und Komponisten genauso wie viele andere Künstler, Wissenschaftler, Philosophen und Soziologen. Der Kaktus als Instrument In Cages Kompositionen werden häufig Alltagsgegenstände und Naturmaterialien wie Muscheln, Schrauben, Holz, Schreibmaschinen und Pflanzen etc. eingesetzt und deren Möglichkeiten bezüglich Ihrer Klangerzeugung werden von Cage neu erforscht. Ein probates Mittel von ihm, um auch sehr leise Klänge und Geräusche hörbar zu machen, ist, diese entsprechenden Gegenstände elektronisch zu verstärken. Der Kaktus als elektronisch verstärktes Musikinstrument wird beispielsweise in Cages Werken »Child of Tree«, »Branches« und »Song Books« gespielt. à Klangbeispiel/Video (John Cage »Child of Tree«) Um den Kaktus elektrisch zu Verstärken wird ein »Piezo«, ein Tonabnehmer benutzt. Anders als der Tonabnehmer bei der E-­‐Gitarre arbeitet der Piezo nicht mit Elektromagnetismus, der im Falle der E-­‐Gitarre durch das Schwingen der Stahlsaiten erzeugt wird, sondern mit dem Auftreten von elektrischer Spannung, wenn ein Festkörper verformt wird, wie dies z.B. beim Kaktus der Fall ist, wenn man seine Nadeln zupft. Um dies zu erreichen, wird der Piezo einfach an den Korpus des Kaktus angeklebt und an einen Verstärker angeschlossen. à Kaktus als Ausstellungsstück »Water Music« Das erste, als Performance-­‐Komposition konzipierte Werk ist die »Water Music« aus dem Jahre 1952. Der Pianist David Tudor, mit dem Cage wie mit dem Choreografen Merce Cunningham bis ins hohe Alter zusammengearbeitet hat, hat dieses Werk vielfach aufgeführt und berühmt gemacht. »Water Music« wurde im Frühjahr 1952 komponiert und ist im Mai 1952 uraufgeführt worden. Es ist aus mehreren Gründen und in besonderem Maße dazu geeignet, an den unterschiedlichsten Orten und Ländern aufgeführt, aufgezeichnet und durch eine weltweite Ausstrahlung via Internet wiedergegeben zu werden. Zum einen ist das Stück eine der ersten Performance-­‐Kompositionen von Cage. Dies zeigt sich unter anderem dadurch, dass der Pianist auch als Interpret von Entenlockpfeife, Sirene, Kartenspiel und natürlich Wasser in Erscheinung tritt. Zusätzlich muss der Flügel noch während des Auftritts vom Pianisten präpariert werden, was bedeutet, dass mit Gegenständen aus unterschiedlichen Materialien wie Holz, Knochen, Eisen, Plastik und Gummi der Klang des Flügels verändert wird, indem eben diese Gegenstände zwischen die Klaviersaiten geklemmt oder auf Ihnen platziert werden. Wie in viele Kompositionen Cages kann auch dieses Stück nicht in Takte gegliedert werden, da ihm nicht ein bestimmtes Metrum, sondern die Zeit als maßgebende Einheit zugrunde gelegt wird. Indem nicht nur Minuten und Sekunden, sondern auch Millisekunden vom Interpreten berücksichtigt werden müssen und sowohl Klavier als auch die genannten Artefakte gleichzeitig bedient werden sollen, wird die Aufführung ebenso zu einem audio-­‐ visuelles Ereignis für das Publikum, wie zu einer virtuosen Herausforderung für den Pianisten. Eine weitere Besonderheit der Komposition -­‐ neben dem Aspekt, dass sich der Titel des Stücks mit dem Ort der Aufführung ändert -­‐ ist die Verwendung eines Radios als Instrument, welches ebenfalls vom Pianisten »gespielt« werden muss. Cage gibt innerhalb des Stückes an verschiedenen Stellen Spielanweisungen in Form von genauen Frequenz-­‐ und Lautstärkenangaben für die Bedienung des Radios. Durch den Umstand, dass auf den spezifischen Frequenzen in jedem Land unterschiedliche Sender und damit verschiedenste Nachrichten, Werbungen, Musikrichtungen und Störgeräusche zu hören sind, gleicht keine Aufführung der anderen und erhält ihr eigenes einzigartiges, ortsspezifisches Lokalkolorit. Bei der Aufführung und Aufnahme der Konzerte ist zu beachten, dass die Noten nach den Spielanweisungen von John Cage ähnlich wie Poster angebracht werden müssen und zwar so, dass sie sowohl für den Zuschauer als auch für den Pianisten zu sehen sind. Das »Water Music Project« im Rahmen von CAGE100 Mit dem »Water Music Project« wird das FZML [Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig] gemeinsam mit den Partnerstädten Leipzigs ein groß angelegtes und spektakuläres Livekonzert mit weltweiter Übertragung im Internet, als eines der Highlights des internationalen Kunst-­‐ und Musikfestivals CAGE100, realisieren. Als vergleichbares Ereignis kann man vielleicht auf das »Helikopter Quartett« von Stockhausen verweisen, welches von BBC ebenfalls als Internet Livekonzert produziert und von einem breiten Publikum weltweit verfolgt wurde. Es wird in jeder teilnehmenden Partnerstadt Leipzigs John Cages »Water Music« als Konzert aufgeführt werden. Diese sechsminütige Komposition für Piano Solo hat die Besonderheit, dass sich der Name bzw. Titel mit dem Ort der Aufführung ändert; so kann das Konzert beispielsweise in Addis Abeba als »Addis Abeba Music 2013« und in Leipzig dementsprechend als »Leipzig Music 2013« betitelt werden, wodurch es zu einem einzigartigen Stück Musikgeschichte wird. Die Aufführungen aller teilnehmenden Städte werden innerhalb des Zeitraums vom 8. -­‐ 22. März 2013 stattfinden. Von diesen Konzerten wird mit einer Videokamera und einem Stereomikrophon in jeder Partnerstadt von einem versierten Techniker ein Mittschnitt angefertigt, der dann als Live-­‐Stream auf der Festival eigenen Internetplattform http://www.cage100.com online, weltweit und zeitgleich zu verfolgen sein wird. Das Konzert einer jeden Stadt wird auch nachhaltig auf der Internetplattform verfügbar sein und kann zusammen mit allen oder ausgewählten anderen Konzerten in weiteren Partnerstädten simultan wiedergegeben werden, wodurch ein eigenes multiphones Konzert und neues Kunstprodukt entstehen kann, das sich ganz im Geiste John Cages jeder Internetnutzer selbst kreieren und zusammenstellen kann. Die Städte können zwischen zwei verschiedenen Formen der Teilnahme wählen: In der kleineren Variante kann sich die Partnerstadt dafür entscheiden, lediglich das sechsminütige Musikstück in einem repräsentativen Raum der Stadt zu zeigen. In der größeren Variante besteht zum einen die Möglichkeit das Konzert in ein abendfüllendes Programm zu integrieren, zum anderen kann im Vorfeld zu dem Konzert eine Einführung, eine Präsentation der Stadt in Form z.B. einer Dokumentation gestaltet werden, die dann ebenfalls im Live-­‐Stream zu sehen sein wird. Concert for Piano and Orchestra Seit den 1950er verfeinerte Cage die Technik des Komponierens mit dem Zufall noch weiter. So gibt es verschiedene Werke, in denen man die Besetzung frei wählen kann, wie dem »Concert for Piano and Orchestra«, dass man z.B. sogar nur mit einer einzigen Person aufführen kann. Teilweise kann man auch verschiedene Werke miteinander kombinieren, wie z.B. besagtes »Concert for Piano and Orchestra« mit dem »Fontana Mix«. Die großangelegte, Elaine de Kooning gewidmete Komposition Concert for Piano and Orchestra entstand 1957-­‐58 und wurde am 15. Mai 1958 in New York uraufgeführt. Elaine de Kooning [1918 -­‐ 1989] war eine bekannte, amerikanische Künstlerin und Kunstkritikerin. Sie gilt im Bereich der bildenden Kunst als eine Vertreterin des abstrakten Expressionismus und übte als Autorin, Kunstprofessorin und wache Beobachterin der so genannten »New York School« einen großen Einfluss auf die Entwicklung der modernen Kunst in den USA aus. [Selbstportrait der Künstlerin, 1944] Anders als sonst bei orchestralen Werken üblich, gibt es für das »Concert for Piano and Orchestra« keine Gesamtpartitur, denn jede einzelne Stimme des Orchesters kann auch als Solo oder in beliebiger Kombination mit den anderen Instrumenten des Orchesters aufgeführt werden. Je nachdem, welches Instrument oder welche Instrumentengruppen zusammenspielen, ändert sich der Name des Stücks beispielsweise in Solo for Cello, oder in Concert for Piano, Trumpet, Violoncello and Bass. Seit dem Ende der 1940er Jahre setzte sich John Cage verstärkt mit den philosophischen und religiösen Lehren des fernen Ostens auseinander. Die faszinierende Wirkung, die insbesondere der Zen-­‐Buddhismus aber auch die Spiritualität des Hinduismus auf ihn ausübten, hatte sowohl mittelbar als auch unmittelbar Auswirkung auf seine künstlerische Arbeit; ja sie beeinflussten wohl auch entscheidend Cages Überlegungen, alles Subjektive, Gewohnte und Intentionale aus dem Kompositionsprozess herauszulösen und den Zufall als strukturierendes Element für seine Kompositionen einzusetzen. In einem Brief an Pierre Boulez, den Schirmherren des Festivals CAGE100, äußert er sich 1951 euphorisch: »I freed myself from what I had thought to be freedom, and which actually was only the accretion of habits and tastes.« Mit Music of Changes vollendete Cage 1951 seine erste Komposition, die ausschließlich auf den Zufallsoperationen des I Ging Buches basiert. In den darauffolgenden Jahren erforscht Cage intensiv weitere Möglichkeiten des Komponierens anhand verschiedenster Zufallsoperationen und legt dann sieben Jahre später mit Concert for Piano and Orchestra eine Art Kompendium vor, welches alle von ihm bis dato entwickelten Möglichkeiten des Komponierens unter Verwendung verschiedenster Zufallsoperationen, enthält. Einhergehend mit dieser diffizilen Forschungsarbeit, entwickelt Cage immer neue Arten einer zum Teil hochgradig kreativen Notation. Die neu entstehenden formalen und musikalischen Zusammenhänge finden so auch visuell ihren Ausdruck in seiner Komposition. So enthalten alleine die Noten für den Pianisten innerhalb ihrer 63 Seiten 84 verschiedene Arten von Notationen [siehe Abbildungen 1-­‐4] [Abb. 1: Ausschnitt aus Solo for Piano] [Abb. 2: Ausschnitt aus Solo for Piano] [Abb. 3: Ausschnitt aus Solo for Piano] [Abb. 4: Ausschnitt aus Solo for Piano] à Partituren des Concert for Orchestra and Piano als Ausstellungsstück Die einzelnen Notationselemente können, die Spielweise und die Dauer betreffend, meist frei interpretiert werden. Manchen Notationselementen gehen aber auch erklärende Spielanweisungen voraus, die wie die Legende einer Landkarte aufführungspraktische Hinweise für die einzelnen Abschnitte enthalten. Für den Buchstaben A [Abb. 1] lautet z.B. die Anweisung: »Follwing the perimeter, from any note on it, play in opposite directions in the proportion given. Here and elsewhere, the absence of indications of any kind means freedom fort he performer in that regard.« (Sinngemäß: »Folge dem Umriss einer jeden Note, spiele Sie in entgegengesetzter Richtung in den gegebenen Proportionen. Hier und anderswo bedeutet das Fehlen von Hinweisen jeglicher Art Freiheit für den Interpreten«.) Für die Buchstaben AY [Abb. 3] lautet die Anweisung: »Graph music. 1/10 inch squared: Time unit. Numbers within are of tones that may complete their appearance within any amount of time area given them by graph. Vertical graph is frequency, the treble and bass areas mobile as indicated.« (Sinngemäß: »Graphische Musik. 1/10 Zoll im Quadrat: Zeiteinheit. Die Zahlen innerhalb des Quadrats sind Töne, die innerhalb des Zeitraums auftreten können, der ihnen vom Graph gegeben ist. Die vertikalen Grafiken bezeichnen die Frequenz, die höhen-­‐ und basslastigen Bereiche und deren Beweglichkeit, wie angegeben«.) Die Noten der Orchesterinstrumente sind etwas konventioneller angelegt als die des Klaviers. Sie bestehen jeweils aus 12-­‐16 Seiten und jede Seite besteht wiederum aus 5 Notensystemen [siehe Abb. 5]. [Abb. 5: Auschnitt aus Solo for Trumpets in E Flat, F, D, C, and B Flat] Diese Notensysteme können nun, analog der Vorgehensweise beim Klavier und im Rahmen der vorausgehenden Spielanweisungen frei interpretiert werden. Jedoch definiert Cage in eben jenen Spielanweisungen eine entscheidende Grundvoraussetzung: Es müssen bei der Interpretation des Notentextes so viele verschiedene Spieltechniken wie möglich angewandt werden. Das inzwischen legendäre Concert for Piano and Orchestra hat zahlreiche Künstler und auch Wissenschaftler inspiriert. So z.B. die Informatiker Benny Sluchin und Mikhail Malt, die ein Computerprogramm entwickelt haben, dass den Musiker bei der Interpretation des Werkes unterstützen soll. Ebenfalls interessant sind die Forschungen von Homei Miyashita und Kazushi Nishimoto, welche, inspiriert durch Cages raffinierte Notationen im Concert for Piano and Orchestra, eine auf Temperatursensoren und Midi-­‐Schnittstellen basiertes, experimentelles Live-­‐Setup entwickelt haben. à Videobeispiel (John Cage »Concert for Piano and Orchestra«) Fontana Mix Der »Fontana Mix« kann aus verschiedenen Gründen als ein zentrales Werk in Cages Schaffen angesehen werden. In ihm versammeln sich gleich mehrere von Cages grundlegenden, revolutionären Kompositionsprinzipien: 1. Der Minimierung des Einflusses des Komponisten auf das musikalische Endergebnis 2. Die Stärkung des Interpreten und seines Einflusses auf die Aufführung eines Stückes 3. Die Loslösung von einer Partitur im klasssischen Sinne zu Gunsten einer grafischen Grundlage für das Erzeugen von Musik. Für den »Fontana Mix« hat Cage dem Interpreten Materialien zusammengestellt, aus denen sich dieser innerhalb bestimmter Regeln eigenständig eine Spielpartitur »komponieren« muss. Sie setzen sich folgendermaßen zusammen: 1. 10 Seiten mit jeweils sechs unterschiedlich Linien 2. 10 transparente Folien mit jeweils willkürlich angeordneten schwarzen Punkten 3. 1 ebenfalls auf Transparentfolie gedrucktes Raster aus 20 x 100 Quadraten sowie 4. 1 auf Transparentfolie gedruckte schwarze, gerade Linie. Für die Erzeugung einer Spielpartitur nimmt sich der Interpret nun zuerst 1 der 10 Seiten mit den verschiedenen Linien, legt dann 1 der 10 Folien mit den Punkten nach Belieben über die Linien, nimmt dann das Raster zur Hand und legt es ebenfalls nach Belieben auf das bisherige Material und greift am Ende zu der schwarzen Linie, die er als letztes über die vorhandenen Folien legt. Die schwarze Linie muss so positioniert werden, dass sie einen Punkt außerdem des Rasters und einen Punkt innerhalb des Rasters miteinander verbindet. So entsteht eine Partiturseite, die in etwa folgendes Aussehen hat: Eine dieser Seiten steht dabei für eine Spieldauer von jeweils 30 Sekunden. Je nach gewünschter Spieldauer kann der Interpret sich beliebig viele Seiten herstellen. Cage gibt die Spielanweisung, dass immer dann, wenn die schwarze Diagonale eine der sechs geschwungenen Linien tangiert, ein musikalisches Ereignis erklingt.5 Wie sich dieses musikalische Ereignis genau ausgestaltet, ist wiederum dem Interpreten überlassen. Vor der Aufführung muss er den sechs verschiedenen Linien je einen musikalischen Parameter wie zum Beispiel Tonhöhe oder Klangfarbe zuordnen. 5 Der Musiker interpretiert hierbei immer nur jenen Teil des Blattes, bei dem die Diagonale innerhalb des Rasters liegt. Die einzige genauere Festlegung, die Cage in Bezug auf den genaueren musikalischen Verlauf trifft, ist, dass bei einem Verlauf der Diagonale von unten links nach oben rechts mit steigender Intensität musiziert werden soll und bei einem Verlauf von oben links nach unten rechts entsprechend abnehmend. Die Besetzung mit der »Fontana Mix« realisiert werden kann, ist gänzlich frei wählbar. Das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig führte den Fontana Mix innerhalb des Festivals CAGE100 in einer Version für Schlagzeug solo und in einer Version für 2 Tänzerinnen und 1 Sängerin auf. à Videobeispiel (John Cage »Fontana Mix«) à Partituren des Fontana Mix als Ausstellungsstück