Fachbeitrag Reiner Hanewinkel Wie wirkt Suchtmittelwerbung auf Jugendliche? Im Jahr 2007 wurde für Alkoholwerbung und Sponsoring mehr als eine Milliarde Euro ausgegeben und ein dreistelliger Millionenbetrag in die Werbung von Tabakprodukten investiert. Folgt man der Argumentation der Industrie, verfolgt Werbung für legale Drogen das alleinige Ziel, das Interesse der Konsumenten für eine bestimmte Marke zu wecken, aber nicht den Markt in seiner Gesamtgröße zu beeinflussen. Dieses Argument soll in diesem Beitrag kritisch hinterfragt werden. Alkohol- und Tabakkonsum in Deutschland – ein gesättigter Markt? Werbeindustrie und Suchtmittelproduzenten stellen die Behauptung auf, dass es sich beim Alkohol- und Tabakmarkt in Deutschland um einen gesättigten Markt handeln würde (ZAW, 2008). Dies bedeutet, dass Werbung das alleinige Ziel verfolgen soll, bereits konsumierende Verbraucher für ein anderes Produkt zu interessieren, womit ein Markenwechsel intendiert ist. Diese Behauptung kann schon aus folgendem Grund nicht stimmen: Allein durch den normalen Alterungsprozess sterben Konsumenten. Will man nicht Umsatz und Marktanteile Junge Leute sind verlieren, müssen neue Kunden geworZiel von Werbung ben werden (Hanewinkel, Morgenstern, 2009). Dies gelingt auch in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die schon deshalb ein interessantes Ziel für die Suchtmittelindustrie bilden, da der frühzeitige Beginn des Substanzkonsums ein guter Prädiktor für einen langjährigen Konsum darstellt. Wie und mit welchen Botschaften wird geworben? Für ein Produkt kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise geworben werden. Dabei kann man die klassische »Above the line«-Werbung, also die Print- und Rundfunkwerbung, die Kinound Außenwerbung von der so genannten »Below the line«-Werbung unterscheiden. Unter Letzterer versteht man Maßnahmen wie Promo- 3/2010 KJug, 55. Jg., S. 89 – 92 (2010) © Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. tion, Sponsoring, Öffentlichkeitsarbeit, Direktmarketing, Product-Placement (in Film und Fernsehen) oder Eventmarketing. Darüber hinaus wird über Markenerweiterung, also die Verwendung eines etablierten Produktnamens oder Logos für gänzlich andere Produkte, z.B. Camel Boots, die Bekanntheit und das Image einer Marke mit beeinflusst. Letztlich wird auch über das Produktdesign Werbung für eine bestimmte Marke betrieben. Werbebotschaften sind intensiv im Bereich des Tabakmarketings untersucht worden. Folgende Images spielen in der Zigarettenreklame eine herausragende Rolle (Lynch, Bonnie, 1994): 1. Rauchen als Ausdruck von Unabhängigkeit Mit dem Bedürfnis des Jugendlichen nach Unabhängigkeit sind weitere Bedürfnisse wie z.B. nach Selbstbewusstsein, sozialer Anerkennung, Befreiung vom Druck durch Autoritäten und Suche nach Abenteuern verbunden. Prototyp für das Thema Unabhängigkeit ist der Marlboro Mann. 2. Rauchen als Ritus, um erwachsen zu werden Symbole und Themen der Erwachsenen wie Abenteuer, krasser Individualismus, Unabhängigkeit, Kultiviertheit, Glamour und Sexualität besitzen für Jugend- Rauchen als liche eine hohe Attraktivität. Rau- Zeichen von chen wird in der Image-Werbung mit Erwachsensein diesen Themen in der Weise assoziativ verknüpft, dass Rauchen selbst zu einem Indikator für das Erwachsensein und Vergnügen wird und so ein großer Anreiz besteht, die dargestellten Charaktere zu imitieren. K Jug 89 Hanewinkel • Wie wirkt Suchtmittelwerbung auf Jugendliche? 3. Rauchen, um soziale Interaktionen zu entspannen Rauchen wird häufig als Mittel angepriesen, das es erleichtert, soziale Kontakte aufzunehmen und von der Bezugsgruppe akzeptiert zu werden. In der Phase der Identitätsbildung haben soziale Kontakte zwar eine sehr große Bedeutung, sind aber oft mit großen Unsicherheitsgefühlen verbunden. Images, die Rauchen als Vehikel für sorgenfreies Dazugehören darstellen, sprechen daher Kinder und Jugendliche besonders an. 4. Rauchen als Norm Durch die Verknüpfung von Rauchen mit alltäglichen Aktivitäten, Ereignissen und Orten soll der Eindruck vermittelt werden, der Gebrauch von Tabak sei normal, überall vorhanden und sozial akzeptiert. Die Werbung zeigt oft Rauchen bei Routinehandlungen und Übergangsphasen im normalen Tagesablauf wie z.B. in der Kaffeepause oder beim Drink nach der Arbeit. 5. Rauchen und Gesundheit Gesundheit ist ein weiteres Thema der Zigarettenwerbung. Werbung vermittelt oft das Image von Gesundheit, indem kühnes und dynamisches Verhalten in reiner ursprünglicher Natur bzw. reine Naturszenen geGesundheitsgefahr zeigt werden. Durch die Verknüpfung verharmlost von Rauchen mit gesunden Menschen, die bei verschiedensten Aktivitäten in der Natur gezeigt werden, wird suggeriert, dass durch Rauchen keine Gefahr für die Gesundheit bestehe. Tabakwerbung ist also reine Imagewerbung. Produktinformationen werden so gut wie keine gegeben. Fachbeitrag Die Bilder der Werbung wirken auf Kinder und Jugendliche viel intensiver, da sie in der Phase der Identitätsbildung sensitiver für Signale und Symbole des Erwachsenseins sind und sie im Vergleich zu Erwachsenen geringere kognitive Fertigkeiten und Bewältigungsstrategien besitzen, um sich gegen Werbestrategien wehren zu können (Pechmann, Levine, Loughlin, Leslie, 2005). Suchtmittelwerbung erreicht Jugendliche Kürzlich wurde an einer großen Stichprobe von über 3.400 Kindern und Jugendlichen aus drei deutschen Bundesländern untersucht, ob Werbung Kinder und Jugendliche überhaupt erreicht (Hanewinkel, Isensee, Sargent, Morgenstern, 2010). Der in dieser Studie eingesetzte Fragebogen enthielt insgesamt 9 Abbildungen von Alkoholwerbung, 6 Abbildungen von Zigarettenwerbung sowie 8 Werbungen für weitere kommerzielle Produkte wie beispielsweise Süßigkeiten. Alle Abbildungen waren maskiert, d.h. es waren keinerlei Hinweise auf den Markennamen zu sehen. Die 10- bis 17-Jährigen, die sich an der Untersuchung beteiligten, wurden u.a. gefragt, ob und wie häufig sie die Werbung schon gesehen hatten und wurden ferner gebeten, sofern es ihnen möglich war, den Markennamen aufzuschreiben. Abbildung 1 veranschaulicht einen Teil der Untersuchungsergebnisse grafisch. 100% 84% 90 K Jug 89% 76% 56% 55% 40% 32% 35% 55% 34% 24% Das erste Probieren von Alkohol und Zigaretten erfolgt in der Regel in der Pubertät. Diese Lebensphase stellt verschiedene Anforderungen an die Heranwachsenden. Mit fortschreitender Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen ändert sich das eigene Selbstkonzept. In dieser Phase der Identitätsbildung bestehen große Unsicherheiten über das eigene Selbst, da es noch nicht stabil ausgeprägt ist. An diesem Punkt setzt die Werbung an: Durch die Image-Werbung werden Eigenschaften zum Ausdruck gebracht, die sich viele Jugendliche von sich selbst erhoffen. 99% 80% 60% Warum sind Kinder und Jugendliche besonders gefährdet? 1-mal gesehen mehr als 10-mal gesehen Marke korrekt benannt 95% 22% 18% 20% 7% 0% Krombacher Jägermeister Marlboro Lucky Strike Kinder Pingui Abbildung 1: Kontakt mit Werbung für verschiedene Produkte Es zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche sehr gut mit Werbebildern vertraut sind. Die Werbung einer speziellen Süßigkeit (Kinder Pingui) hatten so gut wie alle Kinder und Jugendlichen mindestens einmal gesehen. 89% können aufgrund des vorgelegten Werbebildes den Markennamen die- 3/2010 Fachbeitrag Hanewinkel • Wie wirkt Suchtmittelwerbung auf Jugendliche? ser Süßigkeit korrekt benennen. Auch mit Alkohol- und Schnapswerbung sind Kinder und Jugendliche bestens vertraut. Ein Drittel der Heranwachsenden kann die Biermarke Krombacher korrekt benennen (Bild einer Insel in einem See), über die Hälfte der Kinder erkennt bei der Präsentation von Hirschgeweihen die dahinter stehende Schnapsmarke Jägermeister. Weniger bekannt sind die Werbungen der Zigaretten-Markenführer. »Lediglich« 24% bzw. 22% nennen die Marken Marlboro und Lucky Strike aufgrund ihrer jeweiligen Reklamebilder. Dies kann auf die bereits bestehenden Werberestriktionen zurückgeführt werden. Für Tabakprodukte darf in Deutschland im Gegensatz zu Alkoholika nicht im Fernsehen und in Zeitschriften geworben werden. Schon dieser Befund verdeutlicht somit, dass Werbeeinschränkungen einen verringerten Werbekontakt nach sich ziehen. Dieser Zusammenhang kann im Übrigen nicht auf ein besseres Erinnern der Werbung bei bereits konsumierenden Jugendlichen zurückgeführt werden, da er sich auch bei Nie-Konsumenten zeigt. Diese haben eine sehr viel höhere Empfänglichkeit für zukünftigen Konsum, wenn sie intensiv der Suchtmittelwerbung ausgesetzt waren (Hanewinkel et al., 2010). Auch nach Kontrolle einer ganzen Reihe von Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status, Schulart, Bundesland, Suchtmittelkonsum des Umfelds (Gleichaltrige und Eltern) sowie Persönlichkeitseigenschaften (Erlebnishunger) verdoppelte sich nahezu das Risiko, jemals geraucht oder getrunken zu haben, wenn die Kinder und Jugendlichen vielen Werbungen für Zigaretten bzw. Alkoholika ausgesetzt waren bzw. diese wiedererkannten im Vergleich zu denjenigen, die weniger Zigaretten- und Alkoholwerbung ausgesetzt waren. Suchtmittelwerbung wirkt Internationale Studien belegen, dass Suchtmittelwerbung nicht nur Kinder und Jugendliche erreicht, sondern sie wirkt auch (Anderson, de Bruijn, Angus, Gordon, Hastings, 2009; DiFranza et al., 2006; Smith, Foxcroft, 2009). Abbildung 2 verdeutlicht beispielhaft das Dosis-WirkungsPrinzip der Werbung anhand der vorgestellten aktuellen Untersuchung aus Deutschland: Je mehr Zigaretten- bzw. Alkoholwerbung die Kinder und Jugendlichen gesehen haben, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass sie selbst schon einmal Alkohol getrunken oder zur Zigarette gegriffen haben. 78% 80% 70% Jemals getrunken Jemals geraucht 60% 69% 54% 52% 50% 40% 38% 37% 30% 25% 20% 16% 10% 0% selten gelegentlich oft sehr oft Kontakt mit Alkohol- bzw. Tabakwerbung Abbildung2:DosisͲWirkungsͲPrinzipderWerbung:DieWahrscheinlichkeitdesTrinkensbzw.des RauchenssteigtmitderZunahmedesKontaktszuAlkoholͲbzw.Zigarettenwerbung. 3/2010 Werbeeinschränkungen als Präventionsstrategie Die Wirkung von Werbeverboten kann über einen Vergleich von Staaten erfolgen, die sich im Hinblick auf Einschränkungen der Werbemöglichkeiten unterscheiden. Eine Studie, die den Tabakkonsum der Bevölkerung aus 22 hochindustrialisierten Ländern über längere Zeiträume hinweg verfolgte, kam zu dem Ergebnis, dass in Staaten, die ein absolutes Tabakwerbeverbot umgesetzt hatten, deutlich weniger Tabak konsumiert wird als in Staaten, die keine oder nur einige Restriktionen implementiert haben (Quentin, Neubauer, Leidl, Konig, 2007). In einer Studie wurde die Entwicklung von Deutschland mit vier Staaten – Finnland, Frankreich, Norwegen und Neuseeland – über einen Zeitraum von 26 Jahren von 1970 bis 1996/1997 verglichen. Diese Staaten hatten im Unterschied zu Deutschland ein tota- Werbeverbote les Werbeverbot für Tabakprodukte wirken erlassen (Hanewinkel, Pohl, 2001). Es zeigte sich, dass alle Länder, die ein umfassendes Werbeverbot eingeführt haben, in diesem Zeitraum erheblich höhere Reduzierungen des Verbrauchs aufzuweisen hatten als Deutschland. Norwegen hat eine doppelt so hohe Reduzierung des Pro-Kopf-Verbrauchs aufzuweisen, in Finnland und Frankreich ist die Reduktion mehr als dreimal so stark wie in Deutschland und in Neu- K Jug 91 Hanewinkel • Wie wirkt Suchtmittelwerbung auf Jugendliche? seeland ist eine um 50% größere Reduktion als in Deutschland zu verzeichnen. Zu einem absoluten Tabakwerbeverbot Deutschland hat sich Deutschland auch vertraglich hat Werbeverbote verpflichtet. Deutschland hatte als zugesagt einer der ersten Staaten das WHORahmenabkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs 2003 unterschrieben und 2004 ratifiziert. Das Abkommen wurde dann im März 2005 für Deutschland rechtlich bindend (Hanewinkel, 2008). Artikel 13 des Rahmenabkommens widmet sich der »Tabakwerbung, Förderung des Tabakverbrauchs und Tabaksponsorings«. Darin verpflichten sich die Vertragsparteien, innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung umzusetzen. Deutschland hat diese Frist tatenlos verstreichen lassen, ist somit seinen internationalen Verpflichtungen nicht nachgekommen und vertragsbrüchig geworden. Fazit Alkohol- und Tabakwerbung erreicht Kinder und Jugendliche. Die attraktiven Bilder der Werbung wirken auf sie sehr intensiv, da sie in der Phase der Identitätsbildung sehr sensitiv auf Signale und Symbole des Erwachsenseins reagieren und sie darüber hinaus im Vergleich zu Erwachsenen geringere kognitive Fertigkeiten und Bewältigungsstrategien besitzen, um sich gegen Werbestrategien wehren zu können. Alkohol- und Tabakwerbung erreicht aber nicht nur Kinder und Jugendliche, sie wirkt auch – und dies nicht nur im Sinne eines Markenwechsels bei bereits konsumierenden Jugendlichen. Suchtmittelwerbung kann Kinder und Jugendliche zum Experimentieren mit psychotropen Substanzen ermuntern. Im Sinne eines verbesserten Kinder- und Jugendschutzes ist daher zu hoffen, dass die Tabakreklame in Deutschland entsprechend internationaler Verpflichtungen ganz verboten und die Alkoholwerbung eingeschränkt wird. Literatur Anderson, Peter; de Bruijn, Avalon; Angus, Kathryn; Gordon, Ross; Hastings, Gerard (2009): Impact of alcohol advertising and media exposure on adolescent alcohol use: a systematic review of longitudinal studies. Alcohol and Alcoholism, 44, 229-243. 92 K Jug Fachbeitrag DiFranza, Joseph R.; Wellman, Robert J.; Sargent, James D.; Weitzman, Michael; Hipple, Betahny J.; Winickoff, Jonathan P. (2006): Tobacco promotion and the initiation of tobacco use: assessing the evidence for causality. Pediatrics, 117, e1237-e1248. Hanewinkel, Reiner (2008): Tabakpolitik. Suchttherapie, 9, 93-102. Hanewinkel, Reiner; Isensee, Barbara; Sargent, James D.; Morgenstern, Matthis (2010): Cigarette advertising and adolescent smoking. American Journal of Preventive Medicine, 38, 359-366. Hanewinkel, Reiner; Morgenstern, Matthis (2009): Werbung für Alkohol und Tabak: Ein Risikofaktor für die Initiierung des Substanzkonsums? In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.), Jahrbuch Sucht 2009 (pp. 229-238). Geesthacht: Neuland. Hanewinkel, Reiner; Pohl, Johannes (2001): Auswirkungen eines totalen Werbeverbots für Tabakprodukte – ein Diskussionsbeitrag. Sucht, 47, 104-113. Lynch, Barbara S.; Bonnie, Richard J. (1994): Growing up tobacco free: preventing nicotine addiction in children. Washington, DC: National Academy Press. Pechmann, Cornelia; Levine, Linda; Loughlin, Sandra; Leslie, Frances (2005): Impulsive and self-conscious: adolescents' vulnerability to advertising and promotion. Journal of Public Policy & Marketing, 24, 202-221. Quentin, Wilm; Neubauer, Simone; Leidl, Reiner; König, Hans-Helmut (2007): Advertising bans as a means of tobacco control policy: a systematic literature review of time-series analyses. International Journal of Public Health, 52, 295-307. Smith, Lesley A.; Foxcroft, David R. (2009): The effect of alcohol advertising, marketing and portrayal on drinking behaviour in young people: systematic review of prospective cohort studies. BMC.Public Health, 9: 51. ZAW (2008): Alkohol und Werbung: Fakten gegen Desinformation. Berlin: Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft. PD Dr. Reiner Hanewinkel Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) Harmsstraße 2 24114 Kiel Mail: [email protected] www.ift-nord.de Autor Privatdozent, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut Geschäftsführer des Instituts für Therapieund Gesundheitsforschung (IFT-Nord) 3/2010