Bausteine für eine neue Welt

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Wissenschaft und Forschung – Lehre und Studium
Bausteine für eine neue Welt
Die Gesetzmäßigkeiten der belebten Natur zu untersuchen ist das
klassische Gebiet der Biologie. Die
Chemie hingegen baut die natürlichen Bestandteile nach und verändert sie in Struktur und Eigenschaften. Also ist es nicht verwunderlich,
dass nichts bleibt wie es war, wenn
Biologen und Chemiker sich gemeinsam mit Biomolekülen beschäftigen.
Chimere, also Biomoleküle mit chemischen Modifikationen, stehen im
Mittelpunkt des Interesses einer neuen Marburger Forschergruppe, die
von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter dem Titel „Chemisch-biologische Hybridverbindungen“ gefördert wird.
Die Erbinformation, die in der
DNA gespeichert ist, untersuchen,
interpretieren und gegebenenfalls
verändern – das Gebiet der „Genomics“ eröffnet grenzenlose Möglichkeiten. DNA ist daher ein Material,
das im Zentrum des Interesses der
Forschergruppe steht. Möglicherweise kann man die informationsspeichernden Eigenschaften des Biomoleküls DNA durch geschickte chemische Veränderung nutzen, um
z. B. molekulare Leiterbahnen aufzubauen. Aber auch Proteine, die funktionellen Eiweißstoffe der Zellen, die
in ihren spezifischen Funktionen
auch Enzyme genannt werden,
möchte die Biowissenschaft sich als
„Molekulare Maschinen“ nutzbar machen. Allerdings sind Proteine an biologische Systeme angepasst und
reagieren sensibel auf äußere Einflüsse: Hitze und Kälte, aber auch
ein saures oder basisches Milieu,
können die Eigenschaften zerstören.
Chemiker sind nun Spezialisten,
wenn es darum geht, mit chemischen Veränderungen solche Eigenschaften zu beeinflussen. Sie können Proteine wesentlich unempfindlicher machen, die Eiweiße auf feste
Oberflächen aufbringen und so für
alle Fotos: Graßmann
Chemiker und Biologen arbeiten gemeinsam an neuartigen Mischverbindungen
Studierende sind mit praktischen Laborarbeiten an den Projekten der Forschergruppe beteiligt.
technische Prozesse stabilisieren
und in ihrer Funktion optimieren.
„Proteine mit Plastik-Rückgrat zum
Beispiel sind denkbar“, konkretisiert
Professor Thomas Carell, der Sprecher der Forschergruppe, diese Utopie, „Biomoleküle in Verbindung mit
künstlichen Stoffen würden eine
neue Welt schaffen.“
Neue Bausteine
Der Weg in diese Welt ist noch weit,
denn chemisch veränderte Aminosäuren, die Bausteine von Proteinen,
herzustellen, ist das kleinste Problem. In der Natur kommen allein
zwanzig verschiedene Varianten regelmäßig vor. Diese chemisch weiter
zu diversifizieren, ist ein Leichtes.
Schwerer dagegen ist die Verknüpfung der „neuen“ Aminosäure mit
dem restlichen Protein. Mit dem heutigen Stand der chemischen Synthese, kann nur eine einzige „neue“ Aminosäure in ein natürliches Protein eingebaut werden, das aber insgesamt
aus mehreren tausend Aminosäuren
bestehen kann. Da der Pfad der chemischen Synthese sehr mühsam ist,
setzt Professor Mohamed Marahiel
auf einen uralten Weg: die Evolution.
Deren Prinzipien der Zufallsmutation
und der gezielten Selektion setzt er
in seinem evolutiven Protein-Design
ein. In seiner Arbeitsgruppe werden
vor allem solche Enzyme verändert,
die in der Natur Antibiotika produzieren. Durch die evolutive Veränderung
entstehen modifizierte Enzyme, die
dann neue Antibiotika produzieren
können. Entscheidend für den Erfolg
des Verfahrens ist die Herstellung
zahlreicher verschiedener Enzym-Varianten, aus denen geeignete Varianten isoliert werden; geeignet heißt in
diesem Fall, dass die neuen Enzyme
tolerant auf den Einbau fremder,
künstlicher Aminosäuren reagieren,
möglichst in dem Bereich, der für die
Spezifität des Antibiotikums entscheidend ist. Ließe sich hier eine (im Idealfall sogar variable) künstliche Aminosäure einbauen, könnte man ein
ganzes Spektrum neuer Antibiotika
produzieren. Dazu muss natürlich bekannt sein, wo die Zentren der Spezifität lokalisiert sind. Professor LarsOliver Essen klärt deshalb die Kristallstruktur von in Frage kommenden
Enzymen auf.
Ebenfalls auf medizinischem Gebiet liegt die Bedeutung des Projektes von Professor Carell. Er entwickelt für diagnostische Zwecke so
genannte FRET-Sonden, die mit Hilfe
des Fluoreszenz-Resonanz-EnergieTransfers spezielle Proteine aufspüren. Ein FRET-Molekül ist ein wie eine
Haarnadel geformter DNA-Strang. An
den beiden Enden liegen Moleküle,
die sich wegen ihrer räumlicher Nähe wechselseitig Energie übertragen
und in Form von Lichtenergie abstrahlen. In der Biegung der „Haarnadel“ ist ein Substrat lokalisiert,
das von einem bestimmten Enzym
gespalten werden kann. Dabei wird
die Haarnadel in zwei separate Teile
getrennt, der Energietransfer an den
Enden wird unterbrochen und das
Leuchten setzt aus. Wenn sich also
die Lichtabstrahlung verringert,
weist das die Anwesenheit des spaltenden Enzyms nach. Wenn diese
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Haarnadel mit unterschiedlichen
Substraten „beladen“ wird, kann eine
große Anzahl von Enzymen auf nur
einem einzigen Biochip nachgewiesen werden.
Lichtempfindlich
Photorezeptoren, wie sie im menschlichen Auge, aber auch in vielen anderen Organismen vorkommen, benötigen Co-Enzyme, also Hilfs-Bausteine, die wie Antennen wirken und
das Licht einfangen. Mit Hilfe von
künstlichen Co-Enzymen, die Professor Carell synthetisiert, soll die Palette der Photorezeptoren erheblich
erweitert werden. Biologie-Professor
Alfred Batschauer hofft, so neue Farben, neue Wellenlängen-Spektren
und neue Anwendungen entwickeln
zu können, die letztlich auch zur Aufklärung des Mechanismus der
Photorezeption beitragen.
Ein lichtsensitives Molekül ist bereits in der technischen Anwendung:
das Bakteriorhodopsin (siehe auch
Marburger UniJournal Nr. 12). Seine
Fähigkeit, Informationen abzuspeichern, könnte erheblich gesteigert
werden, wenn man die räumliche Anordnung beeinflusst. Deshalb möchte der Physikochemiker Professor
Norbert Hampp in das Protein einen
chemischen „Anker“ einbauen, mit
dem es in Ketten aufgereiht oder sogar auf Membranen aufgeschichtet
und mit diesen aufeinander gestapelt werden kann.
Professor Thomas Carell mit seinen Mitarbeitern Dr. Werner Massa und Dr. Klaus Harms (v. l. n. r.) am Refraktometer.
Fest verankert
Dieses Verankern von Proteinen in
einer Membran gehört zu Dr. Jacob
Piehlers Arbeitsgebiet, der Membran-Architektur. Darauf greift auch
Professor Robert Tampé zurück, der
wie Piehler mittlerweile an der Universität Frankfurt forscht. Tampé arbeitet mit Multi-Enzymkomplexen,
die in der Zelle als „Schredder“ fungieren. Sie zerteilen unbrauchbare
oder überflüssige Proteine in ihre
Bausteine, die Aminosäuren, die
dann wieder zum Aufbau neuer, anderer Enzyme zur Verfügung stehen.
Würden diese Schredder nun auf
Membranen befestigt, könnten sie
technisch für das Recycling von Proteinabfällen genutzt werden.
Außerdem arbeitet Tampé an
„molekularen Pinzetten“. Dazu nutzt
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er aus, dass eine bestimmte Aminosäure, das Histidin, stark von dem
Metall Nickel angezogen wird. Mehrere Histidin-Teile an einem Protein
binden dann an das Nickel-Molekül,
das am Ende der „molekularen Pinzette“ liegt, mit der das Histidin-reiche Protein gezielt „angefasst“ werden kann. Auch Professor Thomas
Schrader arbeitet mit einer solchen
Pinzette, allerdings bindet hier Arginin an die Nickel-Atome. In Kombination wirken die beiden Pinzettentypen noch spezifischer.
Als assoziiertes Mitglied der
neuen Forschergruppe verfolgt
Dr. Peter Graumann einen Ansatz,
mit dem DNA zielgerichtet und quasi-mechanisch über eine Oberfläche
transportiert werden könnte. Dazu
will er die „Motoren der Zelle“, die
während der Zellteilung die verdoppelte DNA in die beiden Tochterzellen hinüberziehen, auf einer Membran fixieren.
Ob molekulare Pinzetten, Photorezeptoren oder neue Antibiotika –
wenn die Marburger Forschergruppe
biologische Substanzen mit chemisch synthetisierten Bausteinen
verknüpft, entwickelt sich eine Vielfalt neuartiger Funktionen und
irgendwann vielleicht eine ganz neue
Welt.
CvS
Kontakt:
Prof. Dr. Thomas Carell
Sprecher der Forschergruppe
„Chemisch-biologische Hybridverbindungen“
Hans-Meerwein-Straße
35032 Marburg
Tel.: (0 64 21) 28-2 15 34
Fax: (0 64 21) 28-2 21 89
E-Mail:
[email protected]
URL: www.staff.uni-marburg.de/
~carell/fg/
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