Proteine bestimmen die Struktur und Funktion aller Organismen. Betrachtete man sie früher relativ isoliert, so weiß man heute, dass sie fein abgestimmt zusammenwirken. Dennoch sind viele Prozesse noch immer unverstanden. Und erst langsam begreift man, was im Stoffwechsel geschieht, wenn der Mensch krank wird. Im Exzellenzcluster Center for Integrated Protein Science Munich (CIPSM) wollen Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Disziplinen mehr über die Rolle der Proteine erfahren. Mit modernster Technik nehmen sie Proteine in lebenden Zellen und verschiedenen Gewebearten ins Visier. tim sc h r ö der grossbaustelle zelle W er schon einmal am Rande einer Großbaustelle gestanden hat, mag ungläubig darüber gestaunt haben, dass in all dem Chaos tatsächlich eine Ordnung ist. Kreuz und quer rumpeln Muldenkipper und Bagger über die matschigen Pisten. Kräne drehen sich. Da und dort schieben Radlader und Raupen Sand zusammen. Zement­ mischer karren Beton heran. Hier wächst ein Gebäudetrakt in die Höhe, dort eine Säule. Für den Zaungast ohne Konstruktionsplan bleibt die Baustelle ein unergründliches quirliges Durcheinander. Ganz ähnlich geht es For­ schern, die die wohl faszinierendste Baustelle unseres Körpers verstehen wollen, die Zelle mit all ihren Werkzeugen und Baugeräten, den Proteinen. Proteine steuern die Entwicklung des Organismus. Sie dirigieren den Stoffwechsel und reagieren auf Reize von außen. Manche Proteine rasen wie ein Ferrari auf dem Erbgutstrang entlang und lesen dabei den Bauplan für weitere Proteine ab. Andere arbeiten als Zugangskontrolleure in der Zellhülle, der Membran, und wieder andere wandern als Transporter von A nach B. Einige fungieren gar als Werkspolizei, die zielsicher Fremdkörper und Saboteure im dichten Gewimmel des Zellinnern identifiziert. Betrachtete man einzelne Proteine früher relativ isoliert, so weiß man heute, dass sie fein abgestimmt zusammenwirken. Sie schweben aufeinander zu, packen gemeinsam an und trennen sich wieder. Im Detail aber sind viele Prozesse noch immer unverstanden. Und erst langsam begreift man, was im Stoffwechsel geschieht, wenn der Mensch krank wird, und was dann in den Baustellen des Körpers schief läuft. Seit knapp drei Jahren erforschen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen im Center for Integrated Protein ­Science Munich (CIPSM) an der LMU und in anderen Instituten gemeinsam intensiv das Wesen der Proteine. Die etwa 100 Forscher und Forscherinnen wollen damit die Funktionsweise der Moleküle des Lebens endlich umfassend entschlüsseln. „In CIPSM wollen wir die Proteine aber nicht nur verstehen. Unser Ziel ist es letztlich, Proteine für verschiedene Anwendungen zu entwickeln, insbesondere für neue Medikamente“, sagt Professor Thomas Carell, Sprecher von CIPSM. Dazu nehmen die Forscher Proteine aus ganz verschiedenen Blickwinkeln ins Visier. Sie schauen tief in ihren atomaren Aufbau. Sie analysieren, wie sich mehrere dieser Moleküle zu großen Komplexen zusammenballen, wie sie arbeiten, sich dabei deformieren und drehen. Sie zerren an ihren molekularen Seitenästen, um mehr über die Struktur zu erfahren. Wie Detektive verfolgen sie einzelne Moleküle. Sie beobachten, wohin sie wandern und was sie dort tun. Freilich ist das nur mit einem ganzen Park erstklassiger Forschungsgeräte möglich, die bis in die atomare Struktur der Biomoleküle blicken können. Eine einzelne Arbeitsgruppe könnte sich derartige Apparate kaum leisten. Im Cluster wird das möglich. 82 i n terdiszip l i n ä re ei n sic h te n S ec h s F a c h gebiete f ü r die P rotei n forsc h u n g Das Cluster wird für fünf Jahre mit rund 45 Millionen Euro aus Mitteln der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder finanziert. Neben der LMU sind am CIPSM die Technische Universität München, das Helmholtz-Zent­ rum München sowie die Max-Planck-Institute für Neurobiologie und Biochemie beteiligt. Das Exzellenzcluster ist in sechs Fachgebiete unterteilt, denen wiederum Forscher der verschiedenen Institute angehören. In Fachgebiet ­Protein Biophysics, werden einzelne Moleküle mithilfe optischer und mechanischer Spezialwerkzeuge analysiert. Die zweite Gruppe, Protein Folding and Transport, befasst sich mit der äußeren Gestalt der Proteine, der soge­ nannten Faltung, und mit dem Proteintransport im Organismus. Fachgruppe 3, Protein Structure and Networks, analysiert diese dreidimensionalen Strukturen im Detail und untersucht deren Aktivitäten. Dazu zählt die Bildung von Komplexen zwischen verschiedenen Proteinen. Die vierte Gruppe, Protein Nucleic Acid Interactions, konzen­ triert sich auf das Zusammenwirken von Proteinen und den Nukleinsäuren des Erbguts, der DNA und der RNA. Hier geht es vor allem um epigenetische Fragen, also das Wissen darum, wie die Erbinformation übersetzt und in die Bausteine des Lebens verwandelt wird. Das fünfte Fachgebiet, Protein Engineering and Chemical Genetics, hat das Ziel, Proteine mit neuen Funktionen zu kreieren, die sich später einmal als Medikamente oder neue Wirkstoffe einsetzen lassen könnten. In dieser Gruppe versuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Protei­ ne gezielt chemisch zu verändern, um sie mit neuen Funktionen zu versehen. „Denn in vielen Fällen müssen die Proteine zunächst verändert werden, bevor sie die gewünschte Wirkung haben“, sagt Thomas Carell. Die sechste Gruppe, Protein Function and Dysfunction in vivo, schließlich untersucht, welchen Einfluss Proteine auf den Verlauf von Krankheiten und insbesondere neurologischen Erkrankungen haben. Zusammen mit den anderen Fachgruppen sollen dabei unbekannte Proteine identifiziert und modifiziert werden. „Im Vordergrund steht die intensive Zu­ sammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachgruppen. So profitiert ein Bereich von den Erkenntnissen und der Expertise der anderen. Gerade dieser integrative Ansatz macht das Cluster aus und weltweit praktisch einzigartig“, sagt Thomas Carell. Die integrative und angewandte Grundlagenforschung macht CIPSM auch für die Industrie inte­ ressant. Mit Bayer-Schering-Pharma besteht eine strategische Partnerschaft. Weitere Kooperationen gibt es mit fast allen forschenden Pharmafirmen und anderen Chemieunternehmen. Förderlich wirkt auch die Nähe zu den vielen Biotech-Firmen im Großraum München. M o l e k ü l - B a u k a ste n f ü r D NA u n d P rotei n e Wie integrative Forschung aussehen kann, das hat Thomas Carell, der dem Fachgebiet Protein Engineering and Chemical Genetics angehört, gemeinsam mit seinem Kollegen Professor Karl-Peter Hopfner vom Genzentrum und Department für Chemie und Biochemie der LMU gezeigt. Die beiden Wissenschaftler wollten herausfinden, war­ um Tumoren gegen das wirkungsvolle Medikament Cisplatin resistent werden. Cisplatin wird seit einigen Jahren ­erfolgreich gegen Eierstockkrebs, Lungenkrebs oder Harnblasenkrebs eingesetzt. Cisplatin ist ein Zellgift, das an den DNA-Strang andockt und damit das Ablesen des Erbguts und die Verdopplung der DNA verhindert. Das aber ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Zellteilung. Heftet sich Cisplatin an, können sich Tumorzellen nicht vermeh­ ren. Sie sterben ab. Beim Hodenkrebs aber erwacht der Tumor manchmal zu neuem Leben. Warum das so ist, fan­ den Thomas Carell und Karl-Peter Hopfner heraus. Für die Verdopplung der DNA sind große Protein-Komplexe, die Polymerasen, zuständig. Wie ein Rennwagen sausen sie den DNA-Strang entlang und setzen dabei eine DNA-Kopie 83 i n terdiszip l i n ä re ei n sic h te n 7 Eine Momentaufnahme der Polymerase Eta beim Überlesen eines DNA-Schadens, verursacht durch Cisplatin. Dieser Prozess spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Resistenzen gegen dieses ansonsten sehr wirksame Krebstherapeutikum. aus fast zwölf Millionen DNA-Bausteinen, den Desoxynukleo­ tidtriphosphaten, zusammen. Cisplatin verursacht Störstellen auf dem DNA-Strang, indem es zwei benachbarte DNA-Bausteine zusammenkittet. Die Polymerasen bleiben stecken. In manchen Fäl­ len springt dann eine zweite Polymerase ein – die Polymerase „Eta“. Wie ein Geländewagen kann sie auch über die verkitteten DNA-Abschnitte hinwegholpern und die Cisplatin-Blockade überwinden. Für gewöhnlich kommt die „Eta“-Polymerase zum Einsatz, wenn UV-Strahlung DNA beschädigt und verkittet. Doch manchmal wird sie auch in Tumorzellen aktiv und umgeht so die Cisplatin-Hürde. Durch akribische Analyse fanden die Forscher heraus, wie die „Eta“-Polymerase arbeitet und warum der Krebs wieder aufflammt. V ermessu n g der D NA - Komp l e x e Während Thomas Carell und seinen Mitarbeitern die anspruchsvolle Aufgabe zukam, mit ihrem Hightech-MolekülBaukasten DNA und die Proteine zu synthetisieren und beides in das Zucht-Bakterium Escherichia coli zu transfe­ rieren, übernahm Karl-Peter Hopfners Gruppe aus dem Fachgebiet Protein Structure and Networks die Vermessung der Protein-DNA-Komplexe. Der Spezialist für Kristallographie und Röntgenstrukturanalyse vermisst Moleküle auf atomarer Skala. Dazu wird die Materie mit Röntgenstrahlung beschossen. Da biologische Gewebe – und damit auch Proteine – Röntgenstrahlung normalerweise ungehindert passieren lassen, müssen die Proteine zunächst aus einer Lösung auskristallisiert werden. Denn erst ein solches mikrometerfeines Kristall kann die Röntgenstrahlung beugen. So werden die Elektronenwolken der Proteinmoleküle sichtbar. Mit Computerhilfe lässt sich daraus die Gestalt des Proteins oder beispielsweise auch eines Komplexes aus Polymerase und DNA extrahieren. Wie sich zeigte, ist das aktive Zentrum der „Eta“-Polymerase, der Abschnitt, der an die DNA andockt, offener als bei anderen Polymerasen. „Eta“ kann damit leichter über die Cisplatin-Störstellen hinweggleiten. Die Forscher vermuten, dass die DNA dabei jedoch gelegentlich fehlerhaft abgelesen wird – ein möglicher Grund für das Wiedererstarken des Tumors. Jetzt hoffen sie, dass die Erkenntnisse dazu beitragen, neue wirksamere Chemotherapeutika zu entwickeln. Karl-Peter Hopfner kann sich für Proteine, die winzigen Arbeitspferde des Organismus, begeistern. Fasziniert ist er vor allem von ihrer Fähigkeit, „die Nadel im Heuhaufen zu finden.“ In einer Zelle schwirren Unmengen von Erb­ gutinformationen umher, natürlich die große DNA, vor allem aber Tausende kleiner RNA-Abschnitte – jene ErbgutKopien, mit den die Erbinformation in den Proteinfabriken des Körpers, den Ribosomen, schließlich in Proteine übersetzt wird. Trotz des Gewimmels identifizieren manche Proteine zielsicher Fremdkörper wie etwa virale oder bakterielle RNA. Karl-Peter Hopfner wollte wissen wie die molekularen Spürnasen das schaffen und wurde fündig: Mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse stellte er fest, dass das schon bekannte zelluläre Protein RIG-I virale RNA offenbar anhand zweier Merkmale als fremd identifiziert. Zum einen trägt Viren-RNA am Anfang ihres Strangs ein kleines Molekül, ein Triphosphat. Da aber auch körpereigene RNA im Zellkern solche Triphosphate enthalten kann, reicht dieses Merkmal allein zur sicheren Identifizierung der Viren-RNA nicht aus. Wie die Forscher um Karl-Peter Hopfner weiter feststellten, hat RIG-I aber eine zweite besondere Fähigkeit. Sie kann auch RNA-Doppelstränge identifizieren und auf ihnen entlang wandern. Ein solcher Doppelstrang entsteht, wenn RNA kopiert wird – und das geschieht bei viraler RNA besonders intensiv. Triphosphat plus Doppelstrang machen damit eine sichere Differen­ zierung zwischen Freund und Feind möglich. 84 i n terdiszip l i n ä re ei n sic h te n 3 Atomare Struktur der DNA-Polymerase Eta (oranges Bindungsmodell/blaue Elektronendichte) in Komplex mit DNA (braun/grün), die durch das Chemotherapeutikum Cisplatin (grün/magenta/gelb) quervernetzt ist. Polymerase Eta kann diese DNA-Schäden überlesen, was bei der Resistenzentwicklung von Tumoren gegen Cisplatin eine Rolle spielen kann. Die Struktur kann als Vorlage für verbesserte Wirkstoffe dienen. Doch auch körpereigene Defekte können die Fahndungs-Proteine entdecken, etwa gefährliche DNA-Doppelstrangbrüche. Solche Strangbrüche sind fatal. Werden sie nicht repariert, stirbt die Zelle ab. Werden sie falsch repariert, können genetische Schäden auftreten. So vermuten Fachleute, dass Leukämien die Folge früherer Strang­ brüche sein können. Zu bestimmten Zeitpunkten kontrolliert eine Zelle deshalb automatisch, ob ihr Erbgut noch intakt ist; bei Bakterien beispielsweise bevor das Erbgut verdoppelt wird und sich das Bakterium teilt. Doch wirklich verstanden ist dieser Prozess nicht. Karl-Peter Hopfner gelang es jetzt, ein Detail zu entschlüsseln. Bekannt war, dass das Protein DisA bei der Erbgut-Kontrolle eine wichtige Rolle spielt. Der LMU-Forscher aber entdeckte im Röntgenstrukturbild von DisA ein kleines Anhängsel, das er zunächst für ein Artefakt hielt. Doch die vermeintliche Bildstörung entpuppte sich als bislang unbekanntes Molekül, das er c-di-AMP taufte. Damit wurde klar, dass DisA nicht nur Kontrollfunktion besitzt, wie bisher angenommen, sondern auch eine Enzym-Funktion hat, also bestimmte Substanzen synthestisiert. Die Forscher vermuten, dass der c-di-AMP-Spiegel in der Zelle bei Anwesenheit normaler DNA hoch ist. Liegt ein Bruch vor, sinkt er ab. C-di-AMP scheint damit eine Art Tot-Mann-Überwachungsfunktion zu haben. Nach diesem Prinzip werden Arbeiter in gefährlichen Umgebungen überwacht. Steht der Arbeiter aufrecht, sendet ein Sensor regelmäßig ein Signal. Wird der Mann bewusstlos und fällt zu Boden, stoppt das Signal. Alarm wird ausgelöst. Die Maschinen halten an. „Möglicherweise trägt ein niedriger c-di-AMP-Spiegel entsprechend dazu bei, die Zellteilungsmaschinerie anzuhalten, wenn ein Doppelstrangbruch vorliegt.“ Auch Dr. Daniel Wilson, Junior-Arbeitsgruppenleiter im Fachgebiet Protein Structure and Networks, geht den Struk­ turen und dem Wirken der Proteine mithilfe der Röntgen-Kristallographie auf den Grund. Zu seinen Spezialitäten gehört die Untersuchung der Wirkungsmechanismen gängiger Antibiotika, die unter anderem zur Bekämpfung multiresistenter Krankenhauskeime, beispielsweise MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus), einge­ setzt werden. Diese Superkeime infizieren bei Operationen oder Behandlungen im Krankenhaus jährlich mehrere Hundert Patienten, manche sterben daran. Lange gab es kaum ein Mittel gegen diese widerstandsfähigen Einzeller. Dann kam 2002 in Deutschland der Wirkstoff Linezolid auf den Markt – ein neues Antibiotikum aus der Klasse der so genannten Oxazolidinone, das auch die hartgesottensten Mikroben abtötete. Doch inzwischen treten die ersten Resistenzen gegen Linezolid auf. Wilson versucht, die Wirkungsweise besser zu verstehen, um Grundlagen für optimierte Medikamenten-Varianten zu finden. „Solche Grundlagenforschung wird von etablierten Firmen in der Regel nicht durchgeführt“, sagt Daniel Wilson. „Unsere Arbeit ist dort daher sehr willkommen.“ Er konnte heraus­ finden, wie der Wirkstoff genau im aktiven Zentrum des Ribosoms bindet und dadurch die Proteinsynthese der Bakterien unterbricht. Er hofft, dass das Wissen um die molekularen Details die Entwicklung neuer Oxazolidinone beschleunigt. Daniel Wilson, der aus Neuseeland stammt, ist begeistert von den Freiheiten, die ihm der Münchner CIPSM-Campus bietet. „Das Umfeld hier ist ideal – die Nähe zu anderen Experten und der Zugang zu HightechAnalysegeräten.“ Und mit einem Lachen fügt er hinzu: „Wer hier keine vernünftigen Forschungsergebnisse produ­ ziert, der kann sicher sein, dass er selbst Schuld ist.“ Dr. Stephan Sieber, ebenfalls Nachwuchsgruppenleiter, pflichtet bei: „Eine kleine Arbeitsgruppe verfügt in der Regel nur über ein kleines Budget, fehlt es an erstklassiger Ausstattung erschwert das die Arbeit.“ So benötigt Stephan Sieber für seine Forschung beispielsweise ein Bio-Labor mit hohem Sicherheitsstandard, denn auch er arbeitet an multiresistenten Staphylococcus-Keimen. Im CIPSM-Cluster untersucht er, wie verschiedene ­Naturstoffe 85 i n terdiszip l i n ä re ei n sic h te n auf die gefährlichen MRSA wirken. Schließlich wurde er bei den altbekannten aber wenig erforschten Lactonen fündig, kleinen Molekülen, die von Bäumen aber auch Pilzen und Bakterien produziert werden. Manche, wie das „Whiskey-Lacton“ im Holz von Eichenfässern sind nur aromatisch, andere aber, so stellten Stephan Sieber und sein Mitarbeiter Thomas Böttcher fest, machen den MRSA tatsächlich das Leben schwer. Die Forscher fanden heraus, dass bestimmte Lactone an ein zentrales Protein der Bakterien andockt, das ClpP, das auch für die Virulenz, die krankmachende Wirkung der Keime ganz entscheidend ist. ClpP fungiert wie eine Art Schredder, der verschiedene Proteine aus dem Bakterienstoffwechsel zerkleinert. ClpP schreddert auch jenes Protein, das für gewöhnlich die Virulenz-Gene im Bakterienerbgut blockiert. Zieht das Bakterium in die Schlacht, wird dieses Protein vom Erbgut abgekoppelt und zerkleinert. Das Virulenzgen liegt frei und kann abgelesen werden. Dann wird es gefährlich, denn jetzt produziert das Bakterium Toxine und Substanzen, die die Immunabwehr des Menschen unterdrücken. Wird ClpP aber durch Lactone blockiert, verharrt das Protein auf dem Gen. Das Bakterium bleibt kampfunfähig. Der Vor­ teil: Anders als herkömmliche Antibiotika töten die Lactone die Bakterien nicht ab. Genau das aber führt meist zur Bildung neuer Resistenzen, weil die Keime überleben, die im Laufe der Bakterien-Evolution die Fähigkeit zur Resis­ tenz entwickelt haben. Die Lactone hingegen entwaffnen die Keime lediglich. Es gibt also keinen Selektionsdruck. Die Resistenz-Bildung wird verlangsamt. Für ihre Forschung wurden Stephan Sieber und Thomas Böttcher mit dem Innovationspreis der BioRegionen ausgezeichnet. Jetzt wollen sie ihre Lactone in Zusammenarbeit mit dem Maxvon-Pettenkofer-Institut an Mäusen testen. Sie spielen bereits mit dem Gedanken, eine Firma zu gründen. Prof. Dr. Thomas Carell ist seit 2004 Lehrstuhlinhaber für Organische Chemie. Im selben Jahr erhielt er den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er ist Sprecher des Exzellenzclusters CIPSM. [email protected] http://www.cup.uni-muenchen.de/oc/carell/ Prof. Dr. Karl-Peter Hopfner ist seit 2001 Professor am Genzentrum und Department für Chemie und Biochemie der LMU. 1997 erhielt er den Leopoldina-Preis für junge Wissenschaftler, 2002 folgte der EMBO Young Investigator Award. [email protected] http://www.lmb.uni-muenchen.de/hopfner/welcome.html Dr. Daniel Wilson ist seit 2007 Leiter einer Nachwuchsgruppe im Genzentrum der LMU. [email protected] http://www.lmb.uni-muenchen.de/wilson/WilsonHomepage.html Dr. Stephan Sieber ist seit 2006 Leiter eine Nachwuchsgruppe an der LMU. Gemeinsam mit Thomas Böttcher erhielt er 2009 den Innovationspreis der BioRegionen. [email protected] http://www.cup.uni-muenchen.de/oc/sieber/ 86 i n terdiszip l i n ä re ei n sic h te n