Physische Geographie 1 - vub - Wissen mit System seit 1845

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Roland Baumhauer
Physische Geographie 1
Geomorphologie
Geowissen kompakt
Herausgegeben von
Bernd Cyffka und Jrgen Schmude
Begrndet von
Hans-Dieter Haas
Roland Baumhauer
Physische Geographie 1
Geomorphologie
3. Auflage
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim
Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888.
Aus: Camille Flammarion: L’atmosphre, et la mtorologie populaire,
Paris 1888. i akg-images.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschtzt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulssig.
Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen,
bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in
und Verarbeitung durch elektronische Systeme.
3., bibliografisch aktualisierte Auflage 2013
i 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
1. Auflage 2006
Die Herausgabe des Werkes wurde durch
die Vereinsmitglieder der WBG ermglicht.
Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach
Umschlaggestaltung: schreiber VIS, Seeheim
Gedruckt auf surefreiem und alterungsbestndigem Papier
Printed in Germany
www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-25634-1
Elekronisch sind folgende Ausgaben erhltlich:
eBook (pdf): 978-3-534-73415-3
eBook (epub): 978-3-534-73416-0
Inhalt
Vorwort
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VII
1 Geomorphologie, Grundanschauungen und Gliederung . . . .
1.1 Entwicklungen und Forschungsanstze in der
Geomorphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Teilgebiete der Geomorphologie . . . . . . . . . . . . . .
1
2 Geologische Grundlagen, endogene Dynamik und
Strukturformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Hypsographische Kurve . . . . . . . . . . .
2.2 Schalenbau der Erde . . . . . . . . . . . . .
2.3 Plattentektonik . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Tektonik und tektonische Strukturen . . . . .
2.5 Vulkanismus und Plutonismus . . . . . . . .
2.6 Geologische Zeiteinheiten . . . . . . . . . .
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8
8
8
12
18
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3 Minerale und Gesteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 Minerale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Gesteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
33
37
4 Verwitterung . . . . . . . . . .
4.1 Physikalische Verwitterung
4.2 Chemische Verwitterung .
4.3 Biologische Verwitterung .
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44
44
45
49
5 Gravitative Massenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Typisierung von Massenbewegungen . . . . . . . . . . .
50
50
51
6 Fluviale Prozesse und Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1 Hydraulische Grundlagen fluvialer Dynamik . . . . . . .
6.2 Fluviale Formung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
55
57
7 Glaziale Prozesse und Formen . . . . .
7.1 Glaziologische Grundlagen . . .
7.2 Gletschertypen . . . . . . . . . .
7.3 Glaziale Formung . . . . . . . . .
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73
73
76
78
8 Periglaziale Prozesse und Formen . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1 Grundlagen frostdynamischer Prozesse in
Periglazialgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2 Periglaziale Formung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1
6
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88
V
Inhalt
9 Karst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1 Petrographische und hydrologische Grundlagen und
Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.2 Karsthydrographie . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.3 Karstformen und Karstlandschaften . . . . . . . .
. . . .
93
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93
95
96
10 olische Prozesse und Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.1 Grundlagen olischer Formung . . . . . . . . . . . . . .
10.2 olische Formung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11 Litorale Prozesse und Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.1 Wellen und Brandung – Physikalische Grundlagen . . . .
11.2 Die Gezeiten und deren himmelsmechanische Grundlagen
11.3 Litorale Formung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.4 Kstentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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108
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110
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12 Die geomorphologischen Haupteinheiten Deutschlands .
12.1 Ksten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.2 Norddeutsches Tiefland . . . . . . . . . . . . . . .
12.3 Mittelgebirgsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . .
12.4 Sddeutsches Stufenland, Oberrheingraben und Ries
12.5 Alpenvorland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.6 Alpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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117
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131
Literaturverzeichnis
VI
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Vorwort
Mit der vorliegenden dritten, durchgesehenen Auflage des Bandes zur Geomorphologie liegt zusammen mit dem ebenfalls in der Reihe GEOWISSEN
KOMPAKT 2008 erschienenen Band zur Klima-, Hydro-, Boden- und Vegetationsgeographie eine komplette Einfhrung in die Physische Geographie vor.
Zielsetzung dieses Bandes ist eine erste Einfhrung in das unbestritten
wichtigste Teilgebiet der Physischen Geographie. Der begrenzte Umfang der
Einfhrung erfordert eine Fokussierung auf die wichtigsten geomorphologischen Prozesse und Formen sowie einer knappen Darstellung der geomorphologischen Entwicklung Deutschlands. Da fr viele Teile der Geomorphologie Kenntnisse von geologisch-tektonischen und mineralogischen Grundlagen notwendig sind, wurde diesen ein breiterer Raum gewidmet. Der Band
wendet sich insbesondere an Studierende der Geographie und Geowissenschaften zu Beginn ihres Studiums und an geographisch-geowissenschaftlich
Interessierte benachbarter Disziplinen.
Allen, die am Gelingen dieses Bandes mitgewirkt haben, sei hier gedankt.
Ganz besonderer Dank gilt Frau Julia Breunig (Wrzburg), die die kartographischen Arbeiten hervorragend durchgefhrt hat.
Wrzburg, im Sommer 2012
Roland Baumhauer
VII
1 Geomorphologie, Grundanschauungen und Gliederung
Die Geomorphologie, unbestritten eines der Kerngebiete der Geographie,
beschftigt sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Formen der
Erdoberflche, dem Relief der festen Erde. Neben der systematischen Beschreibung und Ordnung der einzelnen Oberflchenformen, den unterschiedlichen Formentypen, den charakteristischen Formengesellschaften
und ihrer rumlichen Verbreitung sind die Entwicklung der Landformen im
Raum und in der Zeit und die Prozesse, die dazu gefhrt haben, ebenso
Forschungsgegenstand der Geomorphologie, wie die Prozesse, die heute
beobachtbar sind. Obwohl auch die Oberflchenformen des Meeresbodens Gegenstand geomorphologischer Forschung sind, stehen die Landgebiete im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses.
Im Relief der Erde als Grenzraum zwischen Atmosphre einerseits und
Lithosphre andererseits berlagern sich in komplexen Wirkungsgefgen
die Lebensrume der Pflanzen- und Tierwelt und die des Menschen. Dadurch spielen die Reliefverhltnisse als Steuerungskomponente in den
Geokosystemen eine maßgebliche Rolle und geomorphologische Forschung (und Anwendung) erfolgt daher a priori in interdisziplinrer Zusammenarbeit mit geowissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen
Nachbarwissenschaften (Geologie, Klimatologie, Bodenkunde, Hydrologie, Biologie). In jngerer Zeit haben zahlreiche regionale Untersuchungen ber aktuelle geomorphologische Formen und Prozesse das Wissen
differenziert und damit nicht nur die theoretischen und methodischen Anstze grundlegend weiterentwickelt, sondern vermehrt Schnittstellen auch
mit nicht-naturwissenschaftlichen Disziplinen aufgezeigt.
Definition
1.1 Entwicklungen und Forschungsanstze in der Geomorphologie
Betrachtet man Methode und Forschungsentwicklung, hat sich als Teilgebiet der Erd- und Landschaftsgeschichte die historisch-genetische Geomorphologie (Geomorphogenese) entwickelt, d. h. die langzeitliche Entwicklung der Formen der Erdoberflche unter der Einbeziehung von Ereignissen, die außerhalb des engeren Systems der Reliefentwicklung liegen, wie
Klimaentwicklung oder Vulkanismus. Die geologischen Verhltnisse wie
Gesteinsuntergrund und Tektonik fhrten zunchst zur Entwicklung der
Strukturgeomorphologie. DAVIS (1912) entwarf daran anknpfend seine
„Zyklustheorie“. Danach lassen sich nach dem allgemeinen Reliefcharakter Stadien des Abbaus der „Reliefenergie“, d. h. der relativen Hhenunterschiede, unterscheiden: die Reliefentwicklung vom Hochgebirge zur Abtragungs- und Sedimentationsflche, dem Endrumpf, auf dem Niveau des
Meeresspiegels als absolute Erosionsbasis. Diese Entwicklung wird lediglich durch jeweils unterschiedliche Gesteine und deren Verwitterung und
Abtragung modifiziert.
Historischgenetische
Geomorphologie
1
1
Grundanschauungen und Gliederung
Funktionale
Geomorphologie
Methodischer Ansatz
2
Mit dem zunehmenden Wissen um die unterschiedliche Steuerung der
geomorphologischen Prozesse durch die klimatischen Verhltnisse entwickelte sich die Klimageomorphologie. Weltweite Klimaschwankungen haben vielfach weit verbreitet Reste von Oberflchenformen als Spuren hinterlassen, die mit den aktuellen Formungskrften nicht zu erklren sind. So
sind beispielsweise im Relief der mittleren, khlgemßigten Breiten Spuren
glazialer und periglazialer Formen und Prozesse (s. Kap. 7.8) festzustellen,
bei denen es sich um Vorzeitformen aus den quartren Eiszeiten handelt.
Diesen reliefhistorisch-prozessualen Ansatz, der die Zusammensetzung
unseres Reliefs aus Reliefgenerationen ableitet, verfolgt die klimagenetische Geomorphologie. Sowohl Klimageomorphologie als auch klimagenetische Geomorphologie leiten aus der Untersuchung reprsentativer und
regional begrenzter Ausschnitte der Erdoberflche, die als Langzeitversuchsanordnungen der Natur aufgefasst werden, bertragbare qualitative
Modellvorstellungen ab. Versuche zur Quantifizierung stecken insbesondere aufgrund der vielfltigen regionalen Besonderheiten noch in den Kinderschuhen.
Im Gegensatz zu den historisch-genetischen Anstzen in der Geomorphologie geht die funktionale Geomorphologie (Prozessgeomorphologie)
von aktuell beobachtbaren Ereignissen aus. Mit Messungen, dem Versuch,
die Randbedingungen quantitativ zu bestimmen, sowie Gelnde- und Laborexperimenten wurde ein unmittelbarer Bezug zur gngigen naturwissenschaftlichen Methodik hergestellt. Jedoch stehen die Ergebnisse stets
unter einem zeitlichen und rumlichen Vorbehalt, d. h. im Verhltnis zur
Reliefgeschichte sind die empirischen Messreihen und die daraus abgeleiteten Modelle, die notwendigerweise nur zum geringsten Teil durch die aktuell zu beobachtenden (und zu messenden) Prozesse entstanden sind,
kaum in andere zeitliche und rumliche Maßstbe zu bertragen. Dennoch
haben sich gerade in den letzten Jahren innerhalb der funktionalen Geomorphologie die methodisch-theoretische und die angewandte Geomorphologie (z. B. auch die Ingenieurgeomorphologie) insbesondere in den
angelschsischen Lndern sehr stark weiterentwickelt. Auf der lokalen und
regionalen Maßstabsebene geht es dabei um Gefahren- und Risikoabschtzungen wie Bodenerosionsschutz oder Untersuchungen zur Hangstabilitt.
Grundlegender methodischer Ansatz geomorphologischer Forschung ist
die systematisierende Beobachtung durch Gelndearbeit. Im Vordergrund
steht dabei stets der Vergleich der unmittelbaren komplexen Formen der
Erdoberflche. Theoretische Ableitungen aus naturwissenschaftlichen Einzelgesetzen und Experimenten dagegen sind von nachrangiger Bedeutung.
Grundlegend fr die Geomorphologie ist der methodische Ansatz, dass die
Gegenwart der Schlssel zur Vergangenheit ist. Dieses Prinzip des Aktualismus geht davon aus, dass die aktuellen geomorphologischen Prozesse
prinzipiell auch in der Vergangenheit wirksam waren und fhrt zu der
Mglichkeit, ber eine vergleichende Beobachtung durch eine einfache
Ortsnderung eine andere geomorphologische Entwicklungsstufe kennen
zu lernen. Durch diese „Zeitreise“ („Raum-Zeit-Analogie“) werden beispielsweise die Polarzonen zu Regionen, in denen die Eiszeit noch stattfindet und die entsprechenden geomorphologischen Prozesse zu beobachten
sind.
1
Entwicklungen und Forschungsanstze
Eine weitere Grundanschauung in der Geomorphologie ist die Aktivierung von Prozessen zur Formung der Erdoberflche durch katastrophale Ereignisse wie Erdbeben, Hochwsser oder Bergstrze. Damit wird auch
deutlich, dass die geomorphologische Entwicklung nicht kontinuierlich erfolgt, sondern diskontinuierlich ber Schwellenwerte, die durch Strke
(Magnitude) und Hufigkeit (Frequenz) von Ereignissen gekennzeichnet
sind: Strke und Hufigkeit von Niederschlgen in einem Flusseinzugsgebiet bestimmen die Talbildung und Talentwicklung. Obwohl zwischen
Grße und Entwicklungs- bzw. Existenzdauer unterschiedlicher Formen
der Landoberflche ein zeitlicher Zusammenhang besteht, lassen sich die
Fragen nach der Zeit und damit der Geschwindigkeit der Entwicklung nicht
allgemein beantworten. Hintergrund hierfr ist, dass im Rahmen der in
Jahrmillionen gemessenen erdgeschichtlichen Zyklen andere Systemnderungen zu bercksichtigen sind, als auf der in Jahrhunderten rechnenden
skularen Zeitschiene oder gar aktuell ber einige Jahre oder Tage. So wird
die Hhe der Schichtstufe der Schwbischen Alb im Laufe eines Zyklus
stark abgebaut, in skularer Betrachtung wird die relative Hhe schwanken
und in aktueller Zeitbetrachtung werden keinerlei nderungen zu konstatieren sein (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Grße, Bildungs- und Bestandszeit ausgewhlter Reliefformen
(nach AHNERT 1981, S. 9)
Dadurch wird deutlich, dass das Relief ein komplexes System ist, in dem
es nicht nur zur berschneidung der Wechselwirkungen kologischer Phnomene mit der Vielskaligkeit von Prozessen kommt. Die Betrachtung von
Systemen in unterschiedlichen Maßstben erfordert darber hinaus stets
eine skalenabhngige Gewichtung der Faktoren, da sich auch die rumlichen Verteilungsmuster skalenabhngig verhalten. Das Relief lsst sich da-
Systemgleichgewicht
3
1
Grundanschauungen und Gliederung
her durch sein Systemgleichgewicht beschreiben. Auf dieser Grundlage
entspricht das Relief einem gemittelten Entwicklungszustand der einzelnen
messbaren Reliefparameter z. B. Hangneigung oder absolute Hhe. Entwicklungsrichtungen, die aus den Messwerten von Systemparametern ableitbar sind, knnen verschiedenen Gleichgewichtstypen zugeordnet werden (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Gleichgewichtstypen von Geosystemen (verndert nach CHORLEY/KENNEDY
1971)
4
1
Entwicklungen und Forschungsanstze
Ob sich ein gegebener Systemzustand nach der berschreitung eines
Schwellenwertes und einer Relaxationszeit wieder einstellt oder ob er sich
ndert, kennzeichnet die Flexibilitt, die Belastbarkeit oder das Pufferungsvermgen des Systems. Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen offenen Systemen und geschlossenen Systemen. Ein abgeschlossenes System
erhlt keine Energiezufuhr von außen und gibt keine Energie nach außen
ab, whrend offene Systeme Energie von außen beziehen und Energie an
ihre Umwelt abgeben. Die erkennbare, d. h. wissenschaftlich erfassbare
Umwelt und damit auch das Relief bestehen ausschließlich aus offenen
Systemen. Offene Systeme knnen temporr bei vorbergehendem Ausbleiben der Energiezufuhr den Charakter geschlossener Systeme bernehmen. Jedes offene System ist zugleich Bestandteil grßerer Systeme, indem
es Energie von jenen empfngt und Energie an sie abgibt. Die Zufuhr und
Abgabe von Materie ist dabei als Form des Energieaustausches zu verstehen. Bei den Merkmalen, die einen Raum bzw. ein System kennzeichnen,
wird unterschieden zwischen Formvariablen, d. h. statischen Eigenschaften, und Prozessvariablen, d. h. dynamischen Komponenten. In der Geomorphologie gehren Formen (z. B. Flusstler oder Schichtstufen), Formeigenschaften wie die Hangneigung, Materialarten wie Gesteine und Bden
sowie Materialeigenschaften (z. B. Korngrße oder Klftung eines Gesteins)
zu den statischen Komponenten. Verwitterung, Flusserosion oder Rutschungen und Erosionsraten oder die Abflusshufigkeit kennzeichnen Prozesse und Prozesseigenschaften. Je nachdem welche Komponenten im System betrachtet werden sollen, sind drei Systemtypen zu unterscheiden:
* Statische Systeme lassen sich in Form- und Materialsysteme (d. h. regelhafte Assoziationen von Formeigenschaften mit Materialeigenschaften)
untergliedern und stellen Zustnde dar. Der Faktor Zeit bleibt dabei unbercksichtigt. Die Zuverlssigkeit der jeweiligen Aussage beruht auf der
Hufigkeit der beobachteten Assoziation der Werte. Die Funktionalbeziehungen zwischen Form- und Materialeigenschaften sind nicht kausal, da
zur Kausalitt die Identifikation der verursachenden Prozesse gehrt.
* Prozesssysteme bestehen aus regelhaften Assoziationen zwischen Prozessen und Prozesseigenschaften untereinander. Da vielfach Materialien
von einem Prozesssystem zum nchsten „weitergereicht“ werden, knnen Prozesssysteme auch als Cascade-Systems bezeichnet werden.
* Aufgrund der hufigen Rckkopplungseffekte in Prozesssystemen wurde
von AHNERT der Begriff des Process-Response-Systems eingefhrt. Hierbei
sind die einzelnen Komponenten durch negative Rckkopplung miteinander verknpft, die als Mechanismen der Selbstregulierung wirken und
das System in Richtung eines Gleichgewichtszustands lenken. So fhrt
die Erosion eines in das Meer mndenden Flusses zu einer Verminderung
des Geflles des Flusslaufs. Da die Gefllsabnahme wiederum zu einer
Abnahme der Erosionsrate fhrt, die ja eine Funktion des Geflles ist, besteht eine negative, intensittsdmpfende Rckkopplung, die idealerweise zu einem ausgeglichenen Flusslngsprofil fhrt.
Systemzustnde
5
1
Grundanschauungen und Gliederung
1.2 Teilgebiete der Geomorphologie
Endogene und
exogene Dynamik
Die Gliederung der inhaltlichen Teilgebiete der Geomorphologie orientiert
sich an ihrem Forschungsgegenstand, der Erklrung der Einzelformen, der
Formtypen, der Formengesellschaften, ihrer Verbreitung, Entstehung und
Weiterentwicklung aus Prozessen und der Landschaftsgeschichte der Landformen der festen Erde und erfolgt sowohl nach den dominierenden Formungskrften als auch den jeweils vorherrschenden Gesteinen, aus denen
sich die Landformen entwickelt haben. Die einzelnen Bereiche knnen
sich teilweise berlagern und wechselseitig beeinflussen.
Medium und determinierender Faktor zugleich sind die Lithosphre mit
ihren tektonischen Prozessen sowie den Gesteinen einerseits und die atmosphrischen Prozesse andererseits. Tektonische Krfte aus dem Erdinneren,
die als endogene Prozesse bezeichnet werden, bestimmen die Struktur und
die Beschaffenheit der Erdkruste und fhren zu stndigen Vernderungen
der Landformen. Endogene Vorgnge bestimmen den Großbau der Formen
der Erdoberflche. Formen, die durch endogene Prozesse entstanden sind,
werden als Strukturformen bezeichnet. Exogene Prozesse, die maßgeblich
von den klimatischen Bedingungen gesteuert werden, finden an der Erdoberflche statt und schaffen dort die Detailformen des Reliefs (Skulpturformen),
dessen weites Spektrum an Einzelformen von den unterschiedlichen Gesteinen bedingt wird.
Abb. 3: Wirkungsgefge endogener und exogener Prozesse (nach AHNERT 1996,
S. 35, verndert)
6
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