Hamilton-Mechanik

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Hamilton-Mechanik
Simon Filser
24.9.09
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
1
2
Verallgemeinerter oder kanonischer Impuls
1
3
Hamiltonfunktion und kanonische Gleichungen
2
4
Die Hamiltonfunktion als Energie und als Erhaltungsgröÿe
3
5
Kanonische Transformationen und zyklische Koordinaten
5
6
Phasenraum
6
7
Poissonklammern
8
8
Standardvorgehen für Aufgaben
9
1
Einleitung
Für die Praxis der theoretischen Mechanik bietet der Hamilton-Formalismus
zwar keine Vorteile gegenüber dem Lagrange-Formalismus, allerdings ist er in
vielen Fällen etwas eleganter und bildet eine wichtige Grundlage für die Quantenmechanik.
2
Verallgemeinerter oder kanonischer Impuls
In der Hamilton-Mechanik wird zu jeder Ortsvariable
jugierter Impuls
pi
qi
ein kanonisch kon-
deniert, der statt der Geschwindigkeit
q̇i
des Lagrange-
Formalismus erwendet wird. Der kanonische Impuls wird deniert als
pi =
Weil somit alle
qi
durch die Impulse
pi
∂L
∂ q̇i
(1)
ausgedrückt werden, wird das System aus
1
f
DGL 2. Ordnung (also die Bewegungsgleichungen im Lagrange-Formalismus)
in ein äquivalentes System aus
2f
DGL 1. Ordnung transformiert, die kanoni-
schen Gleichungen (s. u.).
Bsp: Ebenes Pendel
Wir verwenden hier ohne Herleitung die Lagrangefunktion eines ebenen Pendels:
L=
Hier ist der zu
φ
m ˙
r²φ² + mgrcos(φ)
2
konjugierte Impuls
pφ =
∂L
∂ φ̇
= mr²φ̇
(2)
kein Translationsimpuls,
sondern ein Drehimpuls.
3
Hamiltonfunktion und kanonische Gleichungen
Die Hamiltonfunktion entsteht durch eine Legendre-Transformation der Lagrangefunktion:
f
H(~q, p~, t) =
X
q˙i (~q, p~, t)pi − L(~q, ~q˙ (~q, p~, t), t)
(3)
i=1
Wichtig ist dabei, dass alle
q˙i
vollständig durch die Impulse
pi
ausgedrückt
werden und in der Hamiltonfunktion nicht mehr vorkommen.
Wenn man diese Funktion jetzt partiell nach ihren Variablen ableitet, erhält
man die
kanonischen Gleichungen, sie sind die wichtigsten dieses Kapitels.
q˙k =
∂H
∂qk
p˙k = −
Die neuen Variablen
p
und
q
(4)
∂H
∂qk
(5)
sind völlig gleichberechtigt und haben in er-
weiterten Transformationen der Koordinaten nicht mehr zwangsläug viel mit
den ursprünglichen Koordinaten zu tun, können insbesondere der Energie oder
anderen physikalischen Gröÿen entsprechen.
Oft wird auch die Beziehung zwischen den Zeitableitungen von Lagrange- und
Hamiltonfunktion zu den kanonischen Gleichungen gerechnet:
∂H
∂L
=−
∂t
∂t
(6)
Bsp: Massenpunkt im Potenzial
Die Lagrangefunktion für die Bewegung eines Massenpunkts in einem Potenzial
lautet:
L=
m
(ẋ² + ẏ ² + ż ²) − U (x, y, z, t)
2
2
(7)
Daraus ergeben sich die Impulse
px =
∂L
∂ ẋ
= mẋ, py = mẏ
und
pz = mż ,
was
zur Hamiltonfunktion
H
=
ẋpx + ẏpy + żpz −
=
=
m
(ẋ² + ẏ ² + ż ²) − U (x, y, z, t) =
2
py
pz
m
px
px + py + pz − (ẋ² + ẏ ² + ż ²) + U (x, y, z, t) =
m
m
m
2
px ² py ² pz ²
+
+
+ U (x, y, z, t)
2m
2m
2m
(8)
führt.
Die kanonischen Gleichungen sind für die x-Komponente:
∂U
∂H
=−
∂x
∂x
∂H
px
ẋ =
=
∂px
m
p˙x = −
(9)
(10)
und analog für die anderen Komponenten. In Vektorschreibweise erhält man
p~
~r˙ =
m
(11)
~
p~˙ = −∇U
(12)
was die Äquivalenz der verschiedenen Formalismen belegt.
4
Die Hamiltonfunktion als Energie und als Erhaltungsgröÿe
Die Hamiltonfunktion entspricht in vielen typischen Fällen der Energie des
Systems, allerdings nur dann, wenn die kinetische Energie
T
nur von der Ge-
schwindigkeiten abhängt und das Potential geschwindigkeitsunabhängig ist, also
wenn sich die Lagrangefunktion als
L = T (q̇) + U (q, t)
schreiben lässt. Daraus
folgt dann:
H=T +U =E
(13)
Um die Zeitabhängigkeit der Hamiltonfunktion zu überprüfen, bilden wir die
totale Zeitableitung:
dH
dt
X ∂H
∂H
∂H
(
q˙i +
p˙i ) +
=
∂qi
∂pi
∂t
X ∂H ∂H ∂H ∂H
∂H
∂H
∂L
=
(
−
)+
=
=−
∂qi ∂pi
∂pi ∂qi
∂t
∂t
∂t
=
(14)
Wirken nur skleronome, also zeitunabhängige, Zwangsbedingungen, ist die Hamiltonfunktion erhalten. Es gilt dann
dH
∂L
=−
=0
dt
∂t
3
(15)
Wenn also die Hamiltonfunktion der Energie entspricht, ist diese (die Energie)
genau dann enthalten, wenn Lagrange- bzw. Hamilton-Funktion nicht explizit
von der Zeit abhängen.
Umgekehrt sind die Energieerhaltung und die Identität von Hamiltonfunktion
und Energie allerdings nicht äquivalent!
∂H
∂t
=0<H=E
Bsp: Perle auf rotierendem Draht
Ein Teilchen sei auf einem halbkreisförmig rotierenden Draht mit Radius
R
angebracht und auf diesem frei beweglich. Der Draht rotiere mit konstanter
Winkelgeschwindigkeit
ω
um eine fest vorgegebene Achse im kräftefreien Raum.
Abbildung 1: Perle auf rotierendem Draht
Die Lagrangefunktion lautet in Kugelkoordinaten (entspricht den kin. Energie, da keine Kräfte wirken):
L=
ϑ
m
R²(ϑ̇² + ω ²sin²ϑ)
2
(16)
ist die einzige freie Variable, ihr konjugierter Impuls ist
pϑ =
∂L
= mR²ϑ̇
∂ ϑ̇
(17)
pϑ
mR²
Wir können jetzt die Hamiltonfunktion aufstellen:
die Geschwindigkeit ist also
H
ϑ̇ =
pϑ ²
m
− R²(ϑ̇² + ω ²sin²ϑ) =
mR²
2
pϑ ²
m
pϑ
pϑ ²
mR²
=
− R²((
)² + ω ²sin²ϑ) =
−
ω ²sin²ϑ(18)
mR²
2
mR²
2mR²
2
= ϑ̇pϑ − L =
Weil in diesem Beispiel kein Potenzial besteht, gilt:
Um die Energieerhaltung zu überprüfen, leiten wir
4
E=T =L
L nach der Zeit
ab:
dE
dL
mR²
=
=
(2ϑ̇ϑ̈ + 2ω ²sinϑcosϑϑ̇) = mR²ϑ̇(ϑ̈ + ω ²sinϑcosϑ) 6= 0
dt
dt
2
(19)
Die Energie ist hier nicht erhalten, weil durch die konstante Bewegung des Rings
Energie zugeführt oder abgegeben werden kann.
Wir prüfen auch, ob die Hamiltonfunktion erhalten ist:
dH
dt
=
pϑ ṗϑ
− mR²ω ²sinϑcosϑϑ̇ =
mR²
pϑ ṗϑ
pϑ ṗϑ
pϑ ṗϑ
=
− pϑ ω ²sinϑcosϑ =
−
=0
mR²
mR² mR²
p˙ϑ = − ∂H
∂ϑ = mR²ω ²sinϑcosϑ,
dH
∂H
(Alternativ:
dt = ∂t = 0)
wobei
also
ω ²sinϑcosϑ =
(20)
p˙ϑ
mR² .
Die Hamiltonfunktion ist erhalten, sie kann also hier nicht der Energie entsprechen.
5
Kanonische Transformationen und zyklische Koordinaten
Im Hamiltonformalismus sind viel mehr verschiedene Koordinatentransformationen möglich als im Lagrangeformalismus. Als Bedingung wird jetzt nur noch
gestellt, dass die Transformationen
kanonisch sind, also auch in den neuen Ko-
ordinaten die kanonischen Gleichungen erfüllt sind (und die Rechenregeln für
Poissonklammern gelten, s. u.). Dadurch kann sich die Gestalt der Bewegungsgleichungen in Einzelfällen vereinfachen, wenn beispielsweise eine zyklische Koordinate (Zur Erinnerung: Eine zyklische Koordinate ist eine Variable, von der
die Hamiltonfunktion nicht abhängt) auftaucht. Zyklischen Koordinaten sind
immer entsprechende Erhaltungsgröÿen zugeordnet, die Impulse, aber auch abstraktere Gröÿen sein können.
Es gibt allerdings kein Standardverfahren für solche Transformationen.
Bsp: Kanonische Transformation beim harmonischen Oszillator
Die Hamiltonfunktion des harm. Oszillators lautet (ohne Herleitung):
H=
mω ²q ²
p²
+
2
2m
(21)
Wählt man folgende Transformation auf die Variablen Q und P (Die Transformation ist kanonisch, was hier nicht bewiesen wird. Man könnte das beispielsweise durch Bilden der Poissonklammern beweisen (s. Kap. 7)):
q
√
2P
2mωP cosQ
mω sinQ , p =
vereinfacht sich die Hamiltonfunktion auf
q=
H = ωP sin²Q + ωP cos²Q = ωP
5
(22)
Die Koordinate
Q
ist zyklisch und die Bewegungsgleichung hängt nur noch von
einer Variablen ab.
6
Phasenraum
In einem System mit f Freiheitsgraden benötigt man 2f Werte - also f Orts- und
f Impulskoordinaten - um das System eindeutig festzulegen. Man kann einen 2fdimensionalen Raum denieren, in dem dann die Bewegung stattndet. Schon
bei 2 Freiheitsgraden erhält man aber einen 4-dimensionalen Phasenraum, der
nicht mehr zu zeichnen ist und die Beispiele beschränken sich eigentlich fast
immer auf Systeme mit nur einem Freiheitsgrad.
Satz von Liouville
Für Systeme, in denen der Hamilton-Formalismus gilt, gilt auch der Satz von
Liouville, der besagt:
Das Volumen, das eine Menge von Phasenraumpunkten einnimmt, ist zeitlich konstant.
Bsp: Massenpunkte im Graviationspotenzial (Klausuraufgabe)
Ein Teilchen der Masse m bewegt sich auf einer vertikalen Linie unter dem
Einuss des Gravitationpotentials
U (x) = mgx.
E kann man
Für ein einzelnes Teilchen der Energie
p(x)
Impuls als
Aus
eine eindimensionale Kurve
berechnen. Weil hier der typische Fall vorliegt, lässt sich der kanonische
E=
p = mẋ und die kinetische Energie als T =
+ mgx folgt für diese Kurve die Formel
p²
2m
m
2 ẋ
²=
p²
2m schreiben.
p
p(x) = ± 2m(E =mgx)
Aus der Bewegungsgleichung
und
x(0)
mẍ = =mg
folgen für gegebene Anfangswerte
(23)
p(0)
die zeitlichen Entwicklungen
p(t) = p(0)=mgt
x(t) = x(0) +
6
p(0)t 1
= 2 gt²
m
(24)
(25)
2
1
-3
-2
1
-1
-1
-2
Abbildung 2: Trajektorien im Phasenraum für positive und negative Energie
t=0
x = 0 bendet und gleichmäÿig verteilte Impulsen zwischen =p0 (nach
unten) und +p0 (nach oben) besitzt. Wir suchen den Bereich des Phasenraums,
den die Phasenraumpunkte (x(t), p(t)) dieser Teilchen zu einem späteren Zeitpunkt t = t0 > 0 belegen.
Aus (25) folgt mit x(0) = 0
Betrachten wir nun ein Ensemble von Teilchen, das sich zum Zeitpunkt
am Ort
1
m
p(0) = (x(t0 ) + gt0 ²)
2
t0
(26)
Setzt man das in (24) ein, sieht man, dass alle Punkte zu Zeit t0 auf der Geraden
p(t0 ) =
m
1
x(t0 ) − mgt0
t0
2
(27)
liegen. Diese Gerade schneidet die parabolische Phasenraumkurve zur (maximalen) Energie
x1 =
E0 =
p0 ²
2m in den Punkten:
p0 t0 gt0 ²
−
, p1 = p0 −mgt0 ;
m
2
x2 = −
p0 t0 gt0 ²
−
, p2 = −p0 −mgt0
m
2
Die Phasenraumpunkte des Ensembles belegen zum Zeitpunkt
t = t0
(28)
den Ab-
schnitt der oben angegeben Geraden zwischen diesen Schnittpunkten.
Schlieÿlich betrachten wir den Fall, dass die Teilchen zum Zeitpunkt
t = 0 ein
x=0
kleines endliches Gebiet des Phasenraums mit Ortskoordinaten zwischen
und
x=h
(h klein) belegen; die Anfangsimpulse sollen nach wir vor zwischen
=p0 und p0 liegen, die Fläche des Gebiets ist also 2p0 h.
Zum späteren Zeitpunkt
einer um den Wert
h
t0
liegt das Gebiet zwischen der Geraden aus (27) und
zu positiven x-Werten verschobenen Geraden:
p(t0 ) =
1
m
(x(t0 ) − h) − mgt0
t0
2
7
(29)
Es entsteht ein Parallelogramm, das ebenfalls die Höhe
Fläche
2p0 h
2p0
und somit auch die
besitzt.
2
1
-1.0
0.5
-0.5
1.0
1.5
-1
-2
Abbildung 3: zeitliche Verschiebung einer Fläche im Phasenraum
7
Poissonklammern
Die Poissonklammern sind ein Beispiel für einen Teil des Formalismus, der noch
wenig sinnvoll erscheint, aber in der Quantenmechanik sehr wichtig wird. Allerdings ist es möglich, aus den Poissonklammern Bewegungsgleichungen herzuleiten und zu überprüfen, ob eine bestimmte Transformation kanonisch ist. Die
Rechenregeln für Poissonklammern müssen nämlich auch in den neuen Koordinaten gelten.
Die Poissonklammern sind deniert als
{f, g}q,p =
X ∂f ∂g
∂f ∂g
(
−
)
∂qi ∂pi
∂pi ∂qi
i
(30)
wobei oft die Indizes an den Klammern weggelassen werden, weil klar ist, nach
was abgeleitet wird.
Die Poissonklammern lassen sich für alle
dem Phasenraum, z. B.
H)
Observablen (Funktionen f (q, p, t) auf
bilden. Sie vereinfachen beispielsweise die totale
Zeitableitung einer Observablen:
X ∂f
X ∂f ∂H
∂f
∂f
∂f ∂H
∂f
∂f
df
=
(
q˙i +
p˙i ) +
=
(
−
)+
= {f, H} +
dt
∂q
∂p
∂t
∂q
∂p
∂p
∂q
∂t
∂t
i
i
i
i
i
i
i
i
(31)
∂f
∂t = 0
Wichtige Eigenschaften der Poissonklammern kann man aus der Denition ge-
Also ist
f
genau dann eine Erhaltungsgröÿe, wenn gilt:
winnen:
8
{f, H} +
ˆ
ˆ
ˆ
ˆ
ˆ
Antisymmetrie:
Linearität:
{f, g{= = {g, f }
{λf + g, h} = λ {f, h} + {g, h}
Produktregel:
{f, gh} = {f, g} h + g {f, h}
fundamentale Poissonklammern:
{qi , qj } = {pi , pj } = {f, f } = 0
{qi pj } =
δij
kanonische Gleichungen:
q̇i = {qi , H}
ṗi = {pi , H}
In Aufgaben genügt es meist, verschiedene der oberen Eigenschaften anzuwenden ohne die Klammer explizit ausrechnen zu müssen.
8
Standardvorgehen für Aufgaben
Zum Aufstellen der Hamiltonfunktion kann man prinzipiell folgendes Schema
anwenden:
ˆ
ˆ
ˆ
ˆ
Aufstellen der Lagrange-Funktion
Berechnung der konjugierten Impulse
pi
Diese Impulsgleichungen nach den Geschwindigkeiten
Überprüfen, ob der typische Fall vorliegt, also
qi
auösen
T (q̇) und U (q, t), dann ist
die Hamiltonfunktion gleich der Energie (Achtung: die kinetische Energie
durch
ˆ
pi
ausdrücken, nicht durch
q̇i !)
Die Hamiltonfunktion aufstellen und die
qi
aus der Funktion mit der Im-
pulsgleichung eliminieren:
f
H(~q, p~, t) =
X
q˙i (~q, p~, t)pi − L(~q, ~q˙ (~q, p~, t), t)
i=1
9
(32)
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