Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 1 Hinweise für Schüler Aufgabenauswahl: Überprüfen Sie die Aufgabenstellungen auf Vollständigkeit (Seiten 2 - 14). Sie erhalten zwei Aufgaben zur Wahl, von denen eine vollständig zu lösen ist. (Aufgabe 1 – vier Teilaufgaben, S. 3 - 6) (Aufgabe 2 – vier Teilaufgaben, S. 7 - 13) Bearbeitungszeit: Bearbeitungszeit 240 Minuten (zuzüglich 30 Minuten zur Wahl der Aufgabe) Hilfsmittel: - Duden - Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (unkommentierte Ausgabe) Hinweis: Nummerieren Sie die Seiten. Es wird nur die Reinschrift bewertet. Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 2 Aufgabe 1 „Allgemeiner Grundsatz unsererseits war, daß wir aus den Fehlern der Weimarer Republik die nötigen Folgerungen ziehen müßten“. ( Konrad Adenauer) 1. Vergleichen Sie die Nachkriegssituation 1918 und 1945 und die Entstehungsbedingungen der zwei deutschen Republiken (Weimar und Bonn). Stellen Sie anhand der folgenden Kriterien Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus: - Ergebnisse der Kriege, staatlich-politische Situation, Belastungen, außenpolitische Situation (Quelle 1). 2. Erarbeiten Sie die in den Quellen 2 (Reichsinnenminister David) und 3 (Bundespräsident a. D. von Weizsäcker) sichtbar werdenden grundlegenden Probleme der Weimarer Demokratie als wesentliche Ursachen ihres Scheiterns. 3. Erläutern Sie anhand der Rede Carlo Schmids vor dem Plenum des Parlamentarischen Rates am 8. September 1948 (Quelle 4) die verfassungsrechtlichen Vorkehrungen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland gegen eine Wiederholung im Sinne der Okkupation des Weimarer Staates durch die Nationalsozialisten. 4. Setzen Sie sich unter Einbeziehung des Demokratiegedankens von Bundespräsident a. D. Roman Herzog (Quelle 5) kritisch mit der folgenden Auffassung auseinander: „Die Bundesrepublik ist eine `Schönwetterdemokratie` und keineswegs gefestigt. Zunehmende Partei- und Politikverdrossenheit, wachsende (rechts)radikale Tendenzen und eine sich vergrößernde Distanz (nicht nur der Jugend) zu staatlichen Institutionen verdeutlichen – gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession – dies ein ums andere Mal.“ Bewertung der einzelnen Aufgabenteile Teilaufgabe Anforderungsbereiche Gewichtung 1 2 3 4 I, II I, II I, II II, III 25 % 20 % 25 % 30 % Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 3 Quellen zu Aufgabe 1 Quelle 1 In Anlehnung an Arbeitsfeld, Geschichte und Politik, 2. Auflage, STAM-Verlag, Köln 1991, S. 143 und 215 Quelle 2 5 10 „Die neue Verfassung findet scharfe Kritiker auf der Rechten dieses Hauses und auf der äußersten Linken. Aber auch Ihnen, meine Herren, wird die neue Verfassung gerecht. Sie hindert Sie nicht, Ihre politischen Aufgaben zu vertreten, sie gibt Ihnen die Möglichkeit, auf legalem Weg die Umgestaltung in Ihrem Sinne zu erreichen, vorausgesetzt, daß Sie die erforderliche Mehrheit des Volkes für Ihre Anschauungen gewinnen. Damit entfällt jede Notwendigkeit politischer Gewaltmethoden. Der Wille des Volkes ist fortan das oberste Gebot. Wer den Willen des Volkes für seine politischen Auffassungen und Ziele gewinnt, der gewinnt das Recht, das Steuer des Reiches zu führen. Die Bahn ist frei für jede gesetzlich-friedliche Entwicklung. Das ist der Hauptwert einer echten Demokratie.“ Reichsinnenminister David – SPD – vor der Nationalversammlung; Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung im Jahr 1919, Bd. 329, S. 2194 Quelle 3 „Weimar ist nicht daran zugrunde gegangen, daß es zu früh zu viele Nazis gegeben hat, sondern daß es zu lange zu wenige Demokraten gegeben hat, die sich dessen bewußt waren, daß ihr Streit untereinander nicht so wichtig war wie die gemeinsame Verteidigung der freiheitlichen verfassungsmäßigen Grundlage.“ Richard v. Weizsäcker, in: Die Welt 121/84 Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 4 Quelle 4 5 10 15 20 25 30 35 40 45 „… Es ist uns aufgegeben worden, ein Grundgesetz zu machen, das demokratisch ist und ein Gemeinwesen des föderalistischen Typs errichtet. Was bedeutet das? Das Erste ist, daß das Gemeinwesen auf die allgemeine Gleichheit und Freiheit der Bürger gestellt und gegründet sein muß [...] Nun erhebt sich die Frage: Soll diese Gleichheit und Freiheit völlig uneingeschränkt und absolut sein, soll sie auch denen eingeräumt werden, deren Streben ausschließlich darauf ausgeht, nach der Ergreifung der Macht die Freiheit selbst auszurotten? Also: Soll man sich auch künftig so verhalten, wie man sich zur Zeit der Weimarer Republik zum Beispiel den Nationalsozialisten gegenüber verhalten hat? Auch diese Frage wird in diesem Hohen Hause beraten und entschieden werden müssen. Ich für meinen Teil bin der Meinung, daß es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, daß sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. [...] Das Zweite, was verwirklicht sein muß, wenn man von demokratischer Verfassung im klassischen Sinne des Wortes sprechen will, ist das Prinzip der Teilung der Gewalten. Sie wissen, daß die Verfassung von 1792 den Satz enthielt, daß ein Staat, der nicht auf dem Prinzip der Teilung der Gewalten aufgebaut sei, überhaupt keine Verfassung habe. Was bedeutet dieses Prinzip? Es bedeutet, daß die drei Staatsfunktionen, Gesetzgebung, ausführende Gewalt und Rechtsprechung, in den Händen gleichgeordneter, in sich verschiedener Organe liegen, und zwar deswegen in den Händen verschiedener Organe liegen müßten, damit sie sich gegenseitig kontrollieren und die Waage halten können. Diese Lehre hat ihren Ursprung in der Erfahrung, daß, wo auch immer die gesamte Staatsgewalt sich in den Händen eines Organes nur vereinigt, dieses Organ die Macht mißbrauchen wird. [...] Als drittes Erfordernis für das Bestehen einer demokratischen Verfassung gilt im allgemeinen die Garantie der Grundrechte. In den modernen Verfassungen finden wir überall Kataloge von Grundrechten, in denen das Recht der Personen, der Individuen, gegen die Ansprüche der Staatsraison geschützt wird. Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist, wenn er nur einen willfährigen Gesetzgeber findet, sondern der Mensch soll Rechte haben, über die auch der Staat nicht soll verfügen können. Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren, sie dürfen nicht nur ein Anhängsel des Grundgesetzes sein, wie der Grundrechtskatalog von Weimar ein Anhängsel der Verfassung gewesen ist. Diese Grundrechte sollen nicht bloß Deklamationen, Deklarationen oder Direktiven sein, nicht nur Anforderungen an die Länderverfassungen, nicht nur eine Garantie der Länder-Grundrechte, sondern unmittelbar geltendes Bundesrecht, auf Grund dessen jeder einzelne Deutsche, jeder einzelne Bewohner unseres Landes vor den Gerichten soll Klage erheben können. [...] Ich habe es immer seltsam gefunden, daß auch die modernsten Verfassungen bis auf wenige unter ihnen von der Existenz der politischen Parteien keine Notiz nehmen. Freilich ist es sicher: die politischen Parteien sind keine Staatsorgane; sie sind aber entscheidende Faktoren unseres staatlichen Lebens, und je nachdem, ob sie so oder anders organisiert sind, haben unsere Staatsorgane diesen oder einen anderen politischen Wert. Nun scheint es mir richtig zu sein, daß man sehr bald ein Parteigesetz erläßt, und mir scheint weiter richtig zu sein, daß man in dieses Grundgesetz Mindestbestimmungen für ein solches Parteiengesetz aufnimmt. Bestimmungen, die für die politischen Parteien einen gewissen demokratischen Mindeststandard vorsehen.“ Carlo Schmid (SPD) vor dem Plenum des Parlamentarischen Rates am 8. September 1948. Aus: Parlamentarischer Rat, Stenographische Berichte über die Plenarsitzungen, Bonn 1948/49, 2. Sitzung, 8.9.1948, S. 8 ff. Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 5 Quelle 5 Eine freiheitliche Verfassung braucht den Mut der Demokraten 5 10 15 20 „(…) Ich möchte (…) den heutigen Jahrestag nutzen, um auch etwas über den ’Soll-Zustand’ der Demokratie im vereinigten Deutschland zu sagen (...) Denn der ’Soll-Zustand’ der Demokratie ist nicht nur Sache der Institutionen. Er geht auch den Bürger an. Politikverdrossenheit ist nicht die richtige Antwort auf den Streit der Parteien (...) Wie gefährlich die verächtliche Abwendung von der Politik sein kann, hat die Geschichte der Weimarer Republik in trauriger Deutlichkeit gezeigt. Der Streit der Parteien ist ein unverzichtbares Element der Demokratie, die ja nichts anderes ist als ein Wettbewerb der Ideen und damit infolgedessen ein Entdeckungsprozeß zur Lösung der Probleme des Gemeinwesens. Es ist durchaus verständlich, daß manche Bürger sich von diesem Streit abgestoßen fühlen. Aber das bedeutet eben gerade nicht, daß sie sich damit ganz von der Politik abwenden können. Nicht Abwendung ist die richtige Reaktion, sondern Mitreden. Was im konkreten Fall das Gemeinwohl ist, das zu entscheiden, darf keine Person und keiner Partei allein überlassen werden. Und worauf es besonders ankommt, das ist das offene Bekenntnis der Bürger zu ihrem Staat und ihrer Verfassung – nicht nur in gelegentlichen Aufzügen und Demonstrationen, so wichtig das ist, sondern gerade auch im ständigen Bekenntnis des einzelnen, in seinem mutigen Eintreten dort, wo es am meisten nötig ist: in den zahllosen Diskussionen in der Familie und im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, in Omnibussen und Eisenbahnen, ja selbst am Urlaubsstrand, das heißt überall dort, wo öffentliche Meinung ausnahmsweise nicht durch Journalisten und Funktionäre, sondern durch den Bürger selbst ’gemacht’ wird (...) Jeder, der sich hier bekennt, hat die Chance, einen anderen, der vielleicht ins Zweifeln geraten ist, für die gute Sache der Demokratie zu gewinnen, und jeder, der schweigt, läuft Gefahr, einen anderen für die Sache zu verlieren (...) Sorgen wir dafür, daß es nicht noch einmal am Mut der Demokraten fehlt.“ Rede von Bundespräsident Roman Herzog anlässlich des Festaktes zur 75. Wiederkehr der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung in Weimar am 3.9.1994 Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 6 Aufgabe 2 „... das kritische Denken im Erkennen und Urteilen ... bewirkt, dass die Menschen in freier Selbstbestimmung und ohne Not friedlich miteinander leben und arbeiten können. Europa hat diese Werte in der ganzen Welt verbreitet.“ Aus „Charta der europäischen Identität“ vom 28.10.1995, beschlossen von den Staaten der Europäischen Union, Das Parlament, 8. Januar 1999 1. Erläutern Sie auf Grundlage der Quellen 1 bis 4 , welche Herausforderungen die deutsche Einheit an die Menschen in Ost und West stellt. 2. Bereits 1951 formulierte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer, dass die Integration Europas eine absolute Notwendigkeit und nur durch gemeinsame Interessen und gemeinsames Handeln herbeizuführen sei. Inwiefern können Sie Adenauer zustimmen, wenn Sie die Probleme und Aufgaben der EU-Osterweiterung berücksichtigen? (Quellen 5 und 6) 3. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bezeichnet Globalisierung als einen „Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden – dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegung von Kapital und Technologie.“ Diskutieren Sie anhand der Quelle 7 Chancen und Risiken des Globalisierungsprozesses. 4. Worin sehen Sie Parallelen bei der Bewältigung der in den Aufgaben 1 bis 3 beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse in Deutschland, Europa und der Welt? Bewertung der einzelnen Aufgabenteile Teilaufgabe Anforderungsbereiche 1 2 3 4 I, II II, III II, III III Gewichtung 20 % 25 % 25 % 30 % Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 7 Quellen zu Aufgabe 2 Quelle 1 Aus der Regierungserklärung von Ministerpräsident Lothar de Maizière, 19. April 1990 5 „Aus dem Ruf ’Wir sind das Volk’ erwuchs der Ruf ’Wir sind ein Volk’. [...] Daher eine herzliche Bitte an die Bürger der Bundesrepublik: Bedenken Sie, wir haben 40 Jahre die schwere Last der deutschen Geschichte tragen müssen. Die DDR erhielt bekanntlich keine Marshall-Plan-Unterstützung, sondern sie mußte Reparationsleistungen erbringen. Wir erwarten von Ihnen keine Opfer. Wir erwarten Gemeinsamkeit und Solidarität. Die Teilung kann tatsächlich nur durch Teilen aufgehoben werden. [...] Wir bringen ein unser Land und unsere Menschen, wir bringen geschaffene Werte und unseren Fleiß ein, unsere Ausbildung und unsere Improvisationsgabe. [...] Wir bringen ein unsere Sensibilität für soziale Gerechtigkeit, für Solidarität und Toleranz.“ Aus: Parlament, 27. April 1990 Quelle 2 Ostdeutschland 12 Jahre nach der Vereinigung 5 10 „Als sich die beiden deutschen Staaten im Jahre 1990 vereinten, gab es begeisterte Einschätzungen über die wirtschaftlichen Perspektiven. Befreit von sozialistischen Fesseln und mit marktwirtschaftlichem Schwung schien ein ’zweites deutsches Wirtschaftswunder’ möglich, diesmal auf ostdeutschem Boden. Die Begeisterung ist verflogen. Zwölf Jahre nach der Vereinigung beider deutscher Staaten am 3. Oktober 1990 ist Ostdeutschland immer noch mit großen Problemen konfrontiert. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Menschen wandern ab. Die wirtschaftliche Leistung je Einwohner erreicht nicht einmal zwei Drittel des westdeutschen Niveaus. Die neuen Länder sind auf Finanzhilfen angewiesen. Der Aufholprozess ist langwieriger und mühseliger als man es sich ursprünglich vorstellte. Dennoch gelangen die Wirtschaftsforschungsinstitute zu der Erkenntnis, dass die Lage in Ostdeutschland keineswegs hoffnungslos ist, wie sie in der Öffentlichkeit vielfach dargestellt wird. Die Probleme sind zwar alles andere als gering. Aber es gibt auch beträchtliche Erfolge. Der Aufbau Ost wird vorankommen, wenn Tatendrang und nicht Resignation das Handeln der Menschen prägt.“ 15 Aus: Bonz, Scheffner, Ich – wir, Gemeinschaftskunde, Holland und Josenhans Verlag, 3. Auflage, Stuttgart 2003, S. 200 Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 8 Quelle 3 5 Bonz, Scheffner, Ich – wir, Gemeinschaftskunde Holland und Josenhans Verlag, 3. Auflage, Stuttgart 2003, S. 200 Quelle 4 10 Halbzeit beim Aufbau Ost 15 20 25 30 35 „Seit der Wende wurden in Mecklenburg-Vorpommern 17 Milliarden Euro in den Wohnungsund Städtebau in Straßen, Krankenhäuser, Hochschulen und Gewerbegebiete investiert. ... Bis zum Jahr 2020 werden noch einmal etwa 15 Milliarden Euro in die Infrastruktur des Landes gesteckt, um die Unterschiede zwischen Ost und West auszugleichen, rechnete Finanzministerin Sigrid Keler (SPD) .... bei der Vorstellung des 1. Fortschrittsberichtes ’Aufbau Ost’ vor. Sichtbar gut vorangekommen ist das Land beim Wohnungsbau und der Städtesanierung, bei der Dorferneuerung, der touristischen Infrastruktur und beim Ausbau der Pflegeheime. Viel zu tun gibt es weiterhin beim Straßenbau, an den Universitäten, beim Schulbau und in den Kommunen, die noch immer im Vergleich zu den Städten und Dörfern in den alten Bundesländern bis zu 40 Prozent weniger Einnahmen haben. Um die Infrastrukturlücke zu schließen, fließen allein aus der Bundeskasse im Solidarpakt II von 2005 bis 2020 weitere 11,1 Milliarden Euro nach Mecklenburg-Vorpommern, die gleiche Summe wie seit 1995. Trotz riesiger Investitionen steht das Land noch immer nicht auf eigenen Füßen. Jeder Fünfte ist arbeitslos und die Wirtschaftsleistung sinkt, bilanziert der Fortschrittsbericht. Nur 39,5 Prozent der Bürger verdienen ihren Lebensunterhalt selbst. 1995 waren es noch 43,6 Prozent. Angesichts des Geschaffenen, aber auch der prekären Situation, sagte Ministerpräsident Ringstorff zum Tag der deutschen Einheit: ’Auch wenn im Einigungsprozess Fehler gemacht wurden und vieles nicht so schnell geht, sollte niemand den Kopf in den Sand stecken. Wir brauchen den Elan der Bürgerinnen und Bürger, ihren Unternehmergeist. ’ Finanzministerin Keler nannte vor allem soziale Bereiche, in denen M-V anderen Ländern weit voraus ist: die gut ausgebaute Hochschullandschaft, die Kindertagesstätten, die Polizeidichte und die Investitionsförderung. Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seit 1991 flossen • in den Wohnungsbau • in die Städte • in Ferienanlagen/Hotels • Ausbau der Häfen • in Hochschulen • in Krankenhäuser Seite 9 Mrd. Euro 2,6 1,7 3,6 0,9 1,1 1,9 Es entstanden u. a. • 194 Gewerbegebiete • fünf Regionalflughäfen • elf neue Erlebnisbäder.“ Aus: Norddeutsche Neueste Nachrichten, Oktober 2003 Quelle 5 „MACHT HOCH DIE TÜR, DIE TOR MACHT WEIT!“ Karikatur aus: Kochendörfer, J., Geschichte und Geschehen, Klett-Verlag, Berlin 2003, S. 345 Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 10 Quelle 6 5 10 15 20 25 30 35 „Die Polen kommen! Wer mit dieser Feststellung auf die geplante Erweiterung der EU aufmerksam machen oder gar gegen sie Stimmung machen wollte, erzielte zumindest in Nord- und Ostdeutschland schon vor mehreren Jahren nur ein müdes Lächeln. Die sind doch längst da, hieß es dann mit unzähligen Beispielen aus dem Gaststättengewerbe, bei der Spargelernte oder in Handwerksbetrieben. Eben überall dort, wo wegen der anstrengenden Arbeit EU-Arbeitskräfte nicht mehr zu bekommen waren und die angebotenen Arbeitsplätze selbst länger ansässigen türkischen Arbeitnehmern nicht mehr attraktiv genug waren, durften Polen mit Sondergenehmigungen arbeiten. Wurde die Arbeitserlaubnis verweigert, wurden sie nicht selten schwarz beschäftigt. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Auch in Polen hat sich herumgesprochen, dass in der EU die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen. Viele der Wanderarbeiter sind zurückgekehrt und hoffen zu Hause auf eine bessere wirtschaftliche Entwicklung, anstatt in ihren zukünftigen Partnerländern nur Vorurteilen zu begegnen und von Gewerkschaften als Lohnbrecher angefeindet zu werden. Dennoch glaubt die EU in den Beitrittsverhandlungen für die zehn künftigen Neumitglieder mit weit über 500 Ausnahme- und Übergangsregelungen der Angst vor einer neuen Völkerwanderung nach der Erweiterung begegnen zu müssen. Wie schon bei den früheren Erweiterungsrunden mit Spanien und Portugal heben sich vom Stichtag an die Schlagbäume für den Warenverkehr, nicht aber für die Menschen. Vor allem auf Betreiben der unmittelbaren Nachbarn Österreich und Deutschland wollen die derzeitigen Mitgliedstaaten der EU nach der Erweiterung noch bis zu sieben Jahre ihre Arbeitsmärkte gegen Zuwanderung aus den Kandidatenländern abschotten. Mit einer Ausnahme: Malta hat sich ausdrücklich vorbehalten, seine Grenzen ebenfalls dichtmachen zu dürfen. Sonne, Meer und florierende Wirtschaft könnten allzu viele Menschen aus dem kalten regnerischen Norden der Union anlocken, fürchtet die Regierung des kleinen Inselstaates. Dabei ist die Notwendigkeit solcher von den Betroffenen als Diskriminierung empfundenen Einschränkung durchaus umstritten. Selbst 1986, nach der Aufnahme Spaniens und Portugals, als die Wirtschaft nördlich der Pyrenäen noch boomte, blieben die ebenfalls befürchteten Wanderungsbewegungen aus. Selbst dann, als die Arbeitslosigkeit sprunghaft auf zeitweise mehr als 20 Prozent und bei Jugendlichen sogar über 50 Prozent anstieg, weil die alten unrentablen Industriezweige dem Konkurrenzdruck aus dem Norden nicht standhalten konnten. Auch eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie bestätigt, dass im Fall einer vollständigen Grenzöffnung schon heute allenfalls 335.000 Menschen aus den zehn Beitrittsländern auszuwandern bereit seien. Und davon käme nur rund ein Drittel, um Arbeit zu suchen. Und die, so stellt das deutsche IFO-Institut fest, werden sogar dringend gebraucht.“ Aus: Kochendörfer, J., Geschichte und Geschehen, Klett-Verlag, Berlin 2003, S. 345 Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 11 Quelle 7 Aus: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 280, Bonn 2003, S. 37 Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin von „Brot für die Welt“: „Globalisierung bedeutet für mich, dass niemand verschont bleibt, seine Haut weltweit zu Markte zu tragen. Der Wettlauf um niedrigste Löhne und übelste Arbeitsbedingungen spielt Menschen gnadenlos gegeneinander aus. Sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse feiern Auferstehung. Dabei wäre eine Auferstehung der Menschenwürde nötig.“ Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit: „Mit der Globalisierung der Märkte muss eine Globalisierung der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit einhergehen. Gerade das deutsche Beispiel der sozialen Marktwirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten ja gezeigt, dass marktwirtschaftliche Effektivität und sozialer Zusammenhalt miteinander bestehen können.“ Horst Siebert, Institut für Weltwirtschaft: „In den 90er Jahren wuchsen nicht etwa reiche Länder am schnellsten, sondern die armen Länder, die sich stark in die Weltwirtschaft integrierten. Diejenigen Länder profitierten am meisten von der Globalisierung, die durch Offenheit nach außen und Reformen nach innen ihre Chance auf Teilnahme an der Weltwirtschaft am besten genutzt haben.“ Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk Seite 12 Karlheinz Böhm, Gründer der Stiftung „Menschen für Menschen“: „Der größte Handlungsbedarf, um die Entwicklung dieser so genannten ärmsten Länder zu unterstützen, wäre die Öffnung der Tore für den Welthandel als solcher. Man muss diese Länder endlich als gleichwertige Handelspartner akzeptieren.“ Felix Kolb, ehemaliger Pressesprecher von ATTAC Deutschland: „Die Globalisierung produziert Gewinner als auch Verlierer. Auf der Gewinnerseite stehen einige große Konzerne. Auf der Verliererseite sind Menschen in der Dritten Welt, aber auch in den Industrieländern. Die Konzerne verfügen über Macht und können mit Politikern sogar Gesetze in ihrem Interesse verändern.“ Erzbischof Desmond M. Tutu, Südafrika: „Europa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Marshall-Plan auf die Füße geholfen. Der Westen muss nun so etwas wie einen neuen Marshall-Plan entwickeln, um Afrika bei der Entwicklung zu helfen. Dies sollte an die strenge Bedingung geknüpft werden, dass das gesparte Geld direkt den Menschen und nicht einer Elite zugute kommt.“ Aus: Das Zeitbild, Nr. 1, München 2003, S. 2