Forum 2: Islam in der Lehrerbildung

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Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2: Islam in der Lehrerbildung
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Forum 2: Islam in der Lehrerbildung
Konzept und Moderation: Impulsreferate:
Berichterstattung: MR Heiko Gevers, Niedersächs. Ministerium f. Wissenschaft u. Kultur
Prof. Dr. Klaus Geiger, Universität Kassel
Prof. Dr. Hans H. Reich, Universität Koblenz-Landau
Prof. Anas Schakfeh, Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich
Prof. Dr. Peter Graf, Universität Osnabrück
MDgt Frieder Bechberger-Derscheidt, Ministerium für Bildung, Frauen
und Jugend, Rheinland-Pfalz
In vielen Schulen lernen Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens gemeinsam mit Kindern und
Jugendlichen anderer Religionen und Weltanschauungen. Hier erwachsen Lerngemeinschaften und
Dialog aus dem schulischen Alltag. Die Lehrerinnen und Lehrer können täglich aufs Neue unter Beweis
stellen, dass sich ihre pädagogische Arbeit dem friedlichen Zusammenleben verpflichtet weiß. Dafür
brauchen sie eine angemessene Aus- und Fortbildung.
Das Forum widmet sich drei zentralen Fragen in der schulischen Arbeit: der interkulturellen Bildung, dem
Spracherwerb und dem islamischen Religionsunterricht. Jeder der drei Themenkreise böte ausreichend
Diskussionsstoff für ein eigenes Forum, ja für eine eigene Konferenz. Die Referenten sind daher
gehalten, konzentriert über Forschungsergebnisse, praktische Erfahrungen und zukünftige Entwicklungen
zu berichten. Allgemeines Ziel des Forums ist es, einen Eindruck zu vermitteln, wie vielfältig und
umfangreich die Lehreraus- und -fortbildung auf schulische Herausforderungen in diesem Bereich
reagieren muss.
Interkulturelle Bildung - Prof. Dr. Klaus Geiger
Interkulturelles Lernen sollte zu einem prägenden Moment im Schulalltag werden, und es ist zu
diskutieren, ob die internationalen und globalen Perspektiven Eingang in allen Schulfächern finden sollen.
Damit würde interkulturelles Lernen kein additives Thema sondern integrativer Bestandteil aller Fächer.
Das wiederum hätte weitreichende Folgen für die Fachausbildung der Lehrkräfte, da dann Fachdidaktiken
entsprechen dieser neuen Aufgage umgestaltet werden müssten.
Spracherwerb - Prof. Dr. Hans H. Reich
Die Beherrschung der deutschen Sprache ist ein zentrales Element im Integrationsprozess auch der
muslimischen Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen. Eine zentrale Frage der angewandten
Sprachwissenschaft und der Spracherwerbsforschung, unter welchen Bedingungen Schülerinnen und
Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache die deutsche Sprache ohne Bruch der sprachlichen
Entwicklung erlernen können, wird am Anfang der Erörterungen über den Spracherwerb stehen.
Weitergehende Konsequenzen für die Sprachdidaktik und die universitäre Lehrer-Ausbildung sollten
daraus abgeleitet werden.
Islamischer Religionsunterricht - Prof. Dr. Peter Graf
Muslime setzen sich für islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache im Sinne des
Grundgesetzes ein. Diesen Unterricht wird es nur geben, wenn die Muslime in den Ländern
Religionsgemeinschaften bilden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden. Die
Universität Osnabrück plant die Einrichtung eines Bachelor- Master-Studiengangs zur Ausbildung von
Lehrkräften für islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache. Der gegenwärtige Stand der
Entwicklung soll an Hand des vorgestellten Werkstattberichts diskutiert werden.
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Interkulturelle Bildung im Rahmen der Lehreraus- und -fortbildung
Klaus F. Geiger
Interkulturelle Pädagogik befasst sich mit den Folgen radikaler gesellschaftlicher Veränderungsprozesse
für die Organisation von Bildung. Solche Prozesse sind: globale Vernetzung, insbesondere Migration und
das Entstehen neuer Minderheitenkulturen, aber auch die mit der Individualisierung einhergehende
Differenzierung von Kulturen bzw. Vermehrung von Subkulturen. Wir suchen also nicht nur Antworten auf
die Frage, welche Folgen Immigration für unser Bildungssystem haben müsse. Bildung ist insgesamt neu
zu definieren, wo alltäglich und überall in der Welt unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen, sich
beeinflussen, verändern, verbinden oder rigide voneinander abgrenzen. In diesem Sinne bezeichnet
interkulturelle Bildung eine zentrale Dimension zeitgemäßer Bildung überhaupt, nicht nur für
Minderheiten, nicht nur für Grund- und Hauptschüler, nicht nur für einen vorübergehenden Zeitraum.
Unsere Überlegungen müssen daher an verschiedenen Diskussionssträngen der Vergangenheit
anknüpfen, nicht nur an der Ausländerpädagogik, sondern auch an den Bemühungen um eine
internationale politische Bildung und eine entwicklungspolitische Bildung, an den Diskussionen über
Individualisierung, Subkulturen und Sprachbarrieren. Es geht um nichts Geringeres als um das
Umdenken der Bildungsziele und den Umbau eines Bildungswesens, das traditionell gerade nicht auf den
Respekt von Vielfalt und Differenz, sondern auf die kulturelle Homogenisierung nationaler Gesellschaften
angelegt war. Heute geht es um die Verbindung der Anerkennung von kultureller Differenz mit dem alten
Zielwert der Gleichberechtigung. Damit treten als wichtige pädagogische Kompetenzen in das Blickfeld:
die Kenntnis unterschiedlicher Weisen, die Welt zu sehen und zu werten – das schließt das Erkennen der
eigenen Standortgebundenheit ein -, der Respekt vor diesen Sichtweisen und Wertungen und die
Fähigkeit, in einer kulturell heterogenen Welt zu vermitteln und zu kooperieren.
Freilich: Wenn ich betone, dass es aktuell nicht nur um eine Fortführung der Ausländerpädagogik unter
modernisiertem Etikett geht, so gilt doch weiterhin: Interkulturelle Pädagogik definiert Bildungsziele für
alle Lerngruppen, aber sie richtet ein besonderes Augenmerk auf diejenigen Gruppen, die sich in
Migrationsprozessen konstituieren. Sie unterstützt den Selbstverständigungsprozess in diesen Gruppen
und ihr Streben um Anerkennung, sie bemüht sich um eine Bildungsorganisation, welche die speziellen
Fähigkeiten und Bedürfnisse dieser Gruppen aufnimmt und Chancengleichheit anstrebt.
Ich freue mich, dass die Veranstalter für mein Impulsreferat den Begriff „Interkulturelle Bildung“
vorgegeben haben – statt der gebräuchlicheren Begriffe der „interkulturellen Erziehung“ oder des
„interkulturellen Lernens“. Denn Bildung ist der umfassendere Begriff; mit ihm assoziieren wir die
gesamte Persönlichkeitsentwicklung und damit die Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen.
Vermittlung von Wissen, das über den Tellerrand einer Nationalkultur hinausgeht, ist also nur ein Teil der
Aufgabe interkultureller Bildung; wichtiger noch ist die Unterstützung von Fähigkeiten des
selbstbestimmten und sozialverträglichen Umgangs mit einer multikulturellen und globalisierten Umwelt.
Engen wir den Horizont auf Fragen der Lehreraus- und -fortbildung für das öffentliche Schulwesen ein.
Setzt sich die Schule das Ziel, Gleichberechtigung und Anerkennung von Differenz einerseits in ihrer
Lernorganisation zu verankern, andererseits den Schülerinnen und Schülern als Wert zu vermitteln, so
lautet die erste Forderung an die Bildungspolitik: Fördern Sie die Herausbildung multikultureller Kollegien!
Das meint mehr als die Einstellung sog. Muttersprachenlehrer im Interesse der Migrantenkinder, mehr
auch als die Verbesserung des Status dieser Lehrer und Lehrerinnen. Meine Forderung zielt darauf,
Menschen nicht-deutscher Herkunft und Menschen aus Einwanderungsminderheiten zu einem Lehr­
amtsstudium zu ermutigen sowie Menschen mit pädagogischer Erfahrung aus diesen Gruppen für den
Schuldienst weiterzubilden und sie in die Lehrerkollegien zu integrieren. Diese Lehrer und Lehrerinnen
können in den Unterricht, aber auch ins Gespräch mit den Kollegen und Kolleginnen, ihre existentiell
erworbenen bikulturellen Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen; sie können als Identifikationsfiguren für
Minderheitenkinder dienen. Und vor allem kann ein multikulturell zusammengesetztes Team allen
Schülerinnen und Schülern erlebbar machen, dass gleichberechtigte Kooperation bei Anerkennung von
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Differenz gewollt ist und dass sie funktioniert. Schülerinnen und Schüler bekommen das vorgelebt und
hören es nicht nur als moralische Maxime.
Zweite Forderung ist die Berücksichtigung der interkulturellen Dimension in der Aus- und Fortbildung der
Lehrer und Lehrerinnen. Ein Überblick über die aktuelle Organisation der Lehrerausbildung in den
einzelnen Bundesländern zeigt für das Jahr 1999 einen höchst defizitären Zustand: In gerade einmal drei
Bundesländern ist wenigstens eine einzige Lehrveranstaltung zu interkulturellen Themen Pflicht für die
künftigen Lehrer. Andernorts gibt es entsprechende Veranstaltungen, deren Besuch aber fakultativ ist,
sowie Zusatz- und Weiterbildungsangebote. Dabei sind insbesondere spätere Grundschul-Lehrkräfte und
darunter vor allem künftige Lehrerinnen und Lehrer im Fach Deutsch berücksichtigt, für die in vielen
1
Hochschulen eine Schwerpunktsetzung in Didaktik von Deutsch als Zweitsprache möglich ist.
Die so ausgebildeten Lehramtsanwärter, die auch zumeist während ihrer Referendariatszeit wenig über
Migration, Globalisierung und interkulturelle Kompetenzen erfahren, beginnen damit ihren Schuldienst mit
einem doppelten Defizit. Zum einen sind sie – insbesondere in Grund-, Haupt-, Berufs- und Sonderschu­
len mit einer Schülerschaft konfrontiert, auf deren multikulturelle Zusammensetzung sie nicht vorbereitet
sind. Sie haben damit Schwierigkeiten in der individuellen Förderung von Schülern aus Mehrheits- wie
Minderheitengruppen gleichermaßen. Zum andern sind sie nicht darauf vorbereitet, spezielles Wissen
und spezielle Fähigkeiten für eine multikulturelle Gesellschaft und eine globalisierte Welt zu vermitteln.
Eines der Ergebnisse aus der PISA-Studie lautet bekanntlich, dass in Deutschland die Zugehörigkeit zu
einer Einwanderungsgruppe in hohem Maße mit niedrigen schulisch vermittelten Fähigkeiten korreliert.
Das hat sicher auch mit einer Schulorganisation und mit einer Lehrerausbildung zu tun, deren Strukturen
monokulturelle Traditionen weitertragen; denn das Ergebnis hiervon sind Schulen und Kollegen, welche
2
Schüler aus Minderheitengruppen primär als Träger von Defiziten in den Blick bekommen.
Allerdings zeigt uns die Schulrealität, dass viele Kolleginnen und Kollegen sich aus eigenem Engagement
in diesem Bereich fortgebildet haben, in den verschiedenen Bundesländern dabei unterschiedlich stark
von Institutionen der Lehrerfortbildung unterstützt. Dies gilt für Grundschullehrkräfte in weit höherem
Maße als z.B. für Gymnasiallehrer und –lehrerinnen.
Wenn ich den Ist-Zustand der Lehrerausbildung richtig gezeichnet habe, so leitet sich daraus eine kurzund eine langfristig zu erfüllende Aufgabe ab. Kurzfristig heißt die Forderung: in einer breiten
Fortbildungsoffensive in allen Bundesländern Wissen über eine multikulturelle Gesellschaft und eine
globalisierte Welt zu vermitteln und durch Trainingseinheiten im folgenden näher zu benennende
Fähigkeiten zu entwickeln und zu unterstützen. Gleichzeitig, und das ist die auf längere Frist angelegte
Forderung, ist die interkulturelle Dimension in allen drei Stufen der Lehrerbildung als verpflichtender
Anteil zu verankern – eine Forderung, die im Bericht „Zuwanderung“ der Kultusministerkonferenz aus
3
dem Jahr 2002 als „unstrittig“ bezeichnet wird. Dabei sind die Erfordernisse der verschiedenen
Schulformen und Fächer zu berücksichtigen. Im folgenden möchte ich aufzählen, welche
Veranstaltungen m.E. für alle Lehramtsanwärter in der Hochschulausbildung als Pflichtangebote zu
organisieren sind:
1. Innerhalb des Wissensstoffes für die verschiedenen Studien- bzw. Lehrfächer müssen nicht-deutsche
Kulturen, Gesellschafts- und Geschichtsprozesse eine größere Rolle spielen; das gilt ebenso für
Prozesse der Globalisierung und der internationalen Beziehungen. Besonders zu berücksichtigen sind
Kulturen und soziale Erfahrungen, welche über Einwanderungsminderheiten in der Bundesrepublik
präsent sind. Das bedeutet auch die Einrichtung neuer Fächer, wie z.B. muslimische Theologie.
2. Alle Studierenden sollten Wissen erwerben über weltweite Migrationsprozesse, über die Veränderung
Deutschlands und Europas durch Immigration, über Lebenssituation und Selbstverständnis von
Einwanderungsminderheiten sowie über strukturelle und mentale Barrieren für die Integration der
Einwanderungsgesellschaft. Hier wie in anderen Bereichen scheinen mir Formen des forschenden
Lernens, Projektseminare, die sich für die Realität außerhalb der Hochschule oder Fortbildungsinstitution
öffnen, besonders fruchtbar.
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3. Ein dritter Wissensbestand, der von Pädagogen und Psychologen zu vermitteln ist, betrifft das Thema
„Sozialisation und Identitätsprozesse in interkulturellen Feldern“. Das leuchtet ein als Pflichtthema für
künftige Lehrer und Lehrerinnen in Schulen mit sog. hohem Ausländeranteil; sie sollen ein Bewusstsein
für Entwicklungsprozesse der ihnen gegenübersitzenden Lernsubjekte gewinnen. Aber ich möchte meine
These wiederholen: Migranten und Migrantinnen repräsentieren nur in besonders intensivem Maße einen
allgemeinen Befund, dass nämlich fast alle Menschen auf dem Globus heute von einer Pluralität von
Kulturen beeinflusst werden. Folglich handelt es sich hier um ein alle betreffendes zentrales
erziehungswissenschaftliches Thema.
4. Auch beim vierten Wissensbereich möchte ich betonen, dass er nicht nur die Arbeit in einem
bestimmten Sektor betrifft, sondern alle Fächer und – in unterschiedlichem Maße – alle Schulformen: Ich
rede von dem Themenbereich „Mehrsprachigkeit, Zweitsprachenlernen, Didaktik der Wissensvermittlung
in der Zweitsprache Deutsch“. Wie ich bereits gesagt habe, gibt es vielerorts fakultative Angebote für
„Deutsch als Fremdsprache“ oder – was die angemessenere Bezeichnung ist – „Deutsch als
Zweitsprache“. Aber nicht nur in Deutsch, sondern in allen Fächern wird Wissen primär über Sprache
vermittelt; auch z.B. in Mathematik ist daher zu berücksichtigen, dass für einen Teil der Schüler Deutsch
die Zweitsprache ist; ebenso ist es für den Englischlehrer bedeutsam, etwas über das
Fremdsprachenlernen von Bilingualen zu wissen.
5. Bei dem fünften Bereich geht es um die bereits mehrfach erwähnten personalen und sozialen
Fähigkeiten für eine multikulturelle und globalisierte Welt. Mir scheint die Lehrerausbildung in ihrer ersten
Phase insgesamt daran zu kranken, dass fast ausschließlich Wissenserwerb im Zentrum steht; das gilt
insbesondere für die Lehrämter für die Sekundarstufen. Fähigkeiten können dort in der Praxis erprobt
werden, wo schulpraktische Studien in das Hochschulstudium integriert sind. Wünschenswert erscheinen
mir als Ergänzung Veranstaltungen mit Trainingscharakter. Deren Gegenstand wäre ein doppelter:
einmal die Entwicklung, Verstärkung und Unterstützung von Fähigkeiten, die der Studierende in der Rolle
als Bürger und in der Rolle als künftiger Lehrer selbst benötigt. Der künftige Lehrer bzw. die künftige
Lehrerin können interkulturelle Kompetenzen nicht vermitteln, wenn er bzw. sie diese nicht in sich
personifiziert und in seinem bzw. ihrem Verhalten im Klassenraum sichtbar macht. Gefordert sind
Hochschulangebote, wo Selbstreflexion gestärkt wird, Verarbeitung von Befremdung thematisiert wird,
die Kooperation mit Menschen unterschiedlicher kultureller Ausprägung und die interkulturelle Mediation
geübt werden. In zweiter Linie geht es um eine Didaktik der Vermittlung eben dieser Fähigkeiten in der
Schule und in den unterschiedlichen Fächern.
Zu klären bleibt noch die Frage der Organisation eines Angebots im Bereich Interkultureller Bildung in
den Lehramtsstudiengängen der Hochschulen. Offensichtlich ist ein Zustand, wo es nur fakultative
Angebote gibt, oft innerhalb der Fächer marginalisiert, unbefriedigend. Das gleiche gilt für das bloße
Angebot von Zusatzqualifikationen und Zusatzstudiengängen. Eine Vorbereitung auf die schulische
Wirklichkeit, wie auf ein Bildungsziel, in dem interkulturelle Kompetenzen eine zentrale Dimension
4
darstellen, kann nur als Pflichtbereich organisiert werden. Sein Ort wäre derjenige Studienanteil, der in
den einzelnen Bundesländern unter unterschiedlichen Bezeichnungen firmiert und das Fachstudium
durch gesellschafts- und erziehungswissenschaftliche Grundkenntnisse ergänzt. Die mit Interkultureller
Bildung gemeinten Wissens- und Fähigkeitsbereiche wären also einerseits fachwissenschaftlich in
verschiedenen Disziplinen zu verankern, andererseits interdisziplinär in diesen Kernbereich der
Lehrerausbildung zu integrieren. Hinzu kommen müssten Schwerpunktsetzungen in den einzelnen
Fächern bzw. auch die Einrichtung neuer Fachgebiete.
Das Thema „Islam“
Fragen wir uns abschließend, welchen Stellenwert die Thematisierung des „Islam“ in der hier
aufgezeigten Perspektive erhält. Dabei ist vorab zu klären, inwiefern Religion und Religiosität überhaupt
bedeutsame Themen in der allgemeinen Lehreraus- und fortbildung darstellen. Offensichtlich sprechen
hierfür zwei Überlegungen: Zum einen spielen Religion und Religiosität weltweit, auch – entgegen
mancher Erwartungen – in der Bundesrepublik für die Sinnsuche und die Lebensgestaltung der meisten
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Menschen eine wichtige Rolle. Zweitens – das belegt gerade die in den letzten Jahrzehnten
anschwellende Debatte über „den Islam“ – stehen Religionsbezeichnungen als symbolische Kürzel für
wichtige und umfassende soziale, kulturelle, ideologische und politische Sachverhalte.
Wissensvermittlung über die verschiedenen Ausprägungen der Religion Islam und die divergierenden
Formen muslimischer Religiosität ist im Rahmen der Lehrerbildung dreifach begründet:
1. Diese Kenntnisse erlauben einen vertieften Blick auf die kulturelle Entwicklung eines beträchtlichen
Teils der Welt, einschließlich Europas. Sie sind insbesondere für das Verständnis aktueller sozialer,
kultureller und politischer Weltprozesse notwendig, wo das Symbol „Islam“ in politischen Positionie­
rungen, in der Selbst- und Fremdidentifikation, eine bedeutsame Rolle spielt. Dabei wird es zentral
darum gehen, Stereotypen, die häufig negativ eingefärbt sind, durch differenzierte und
differenzierende Vorstellungen zu ersetzen.
2. Ebenso wichtig ist es, angehenden Lehrerinnen und Lehrern ein differenziertes Bild von muslimischer
Religiosität und im Namen „des Islam“ stattfindenden Vergemeinschaftungen in der Bundesrepublik
Deutschland zu vermitteln. Die spätere Weitergabe dieses Wissens im Unterricht ebenso wie die
Destruktion von Islam-Feindbildern bei Schülerinnen und Schülern ist ein wichtiger Bestandteil inner­
staatlicher Friedenserziehung.
3. Kenntnisse über muslimische Religiosität können ferner zu einem besseren Verständnis für die
beträchtlichen Schülergruppen beitragen, deren Sozialisation – in unterschiedlichem Maße – von
islamisch geprägten kulturellen Wertungen und religiösen Verhaltensforderungen beeinflusst worden
ist. Um nicht missverstanden zu werden, möchte ich an dieser Stelle kurz auf das Verhältnis von
„kulturellem Wissen“ und pädagogischem Handeln eingehen. Nie lässt sich Handeln quasi als
logischer Akt aus Wissen ableiten. Ein entsprechender Versuch wäre gerade in pädagogischen
Interaktionen gefährlich, denn er würde unweigerlich die Schülerin oder den Schüler als Individuum
verfehlen. In dieser Interaktion kann dem Lehrenden Wissen über „muslimische Religiosität“,
„muslimische Gruppierungen im Unterricht“, „Erziehungsmaßstäbe in islamisch geprägten Kulturen“
usw. nur als Hintergrundwissen dienen. Dieses wird in der pädagogischen Begegnung tentativ als
5
Verstehenshilfe eingesetzt, überprüft, suspendiert, erweitert. Aber diese Maxime gilt ja nicht nur für
„kulturelles Wissen“, sie gilt genauso für Wissen über anders definierte Kollektive: die soziale Schicht,
das Geschlecht oder die ideologische Gruppierung.
Anmerkungen
1
Vgl. Gogolin/Neumann/Reuter 2001
2
Eine vertiefte Analyse der Ergebnisse der PISA-Studie hat bestätigt, dass die Bundesrepublik zu den Ländern
gehört, in denen Schüler(innen) mit Migrationshintergrund in besonderem Maße benachteiligt sind (vgl. Baumert
u.a. 2003: 53). Außerdem ergibt sich, dass bereits ein Anteil von 20% Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund
zu „eine(r) sprunghafte(n) Reduktion der mittleren Leistungen auf Schulebene“ führt. Die Autoren kommentieren
diese Tatsache mit dem Satz: „Der Umgang mit Heterogenität scheint Schulen also bereits bei einer quantitativ
relativ moderaten ethnischen Durchmischung der Schülerschaft Schwierigkeiten zu bereiten“ (ebd. 56). Dies ist
eine Aussage über die Struktur des Schulwesens in allen seinen Dimensionen – damit auch der
Lehrerausbildung. Leider wird in der medialen Öffentlichkeit nur darüber diskutiert, wie „Ausländerkinder“ besser
auf die Schulwirklichkeit vorbereitet werden könnten, durch die Teilnahme an Deutschkursen nämlich. Eine
bessere Vorbereitung der Lehrer(innen) auf diese Schulwirklichkeit, auf ihre Problematik wie auch auf ihre
Chancen, gerät aus dem Blickfeld. Ein strukturelles Defizit wird so unter der Hand – wie gewohnt – zu einem
Defizit einer benachteiligten Gruppe.
3
Vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister, S. 6.
4
Vgl. ebd. S. 18.
5
Vgl. hierzu ausführlicher Geiger 2003
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
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Literatur
Auernheimer, Georg (Hg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Opladen 2002.
Auernheimer, Georg (Hg.): Migration als Herausforderung für pädagogische Institutionen. Opladen 2001.
Baumert, Jürgen u.a. (Hg.): PISA 2000 – Ein differenzierter Blick auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland.
Zusammenfassung zentraler Befunde. Hg. v. Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Berlin 2003.
Geiger, Klaus F.: Schule und Migration: Interkulturelle Schule. In: Landeshauptstadt Hannover, Referat für
interkulturelle Angelegenheiten (Hg.): Interkulturelle Schule – Schule der Zukunft. Hannover 2002, S. 10-18.
Geiger, Klaus F.: Identitätshermeneutik – ein verläßlicher Ratgeber? In: Erwägen Wissen Ethik 14 (2003). (im Druck).
Gogolin, Ingrid, Ursula Neumann u. Lutz Reuter (Hg.): Schulbildung für Kinder aus Minderheiten in Deutschland
1989-1999. Münster 2001.
Krüger-Potratz, Marianne: Lehrerbildung interkulturell (= interkulturelle studien 34). Münster 2001.
Puskeppeleit, Jürgen u. Marianne Krüger-Potratz: Bildungspolitik und Migration. Münster 1999.
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Bericht
„Zuwanderung“. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 24.05.2002. Bonn 2002.
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"Spracherwerb" und "Lerngemeinschaft“
Hans H. Reich
In welchem Sinne soll auf einer Tagung zum Thema "Lerngemeinschaft" und "Dialog mit Muslimen" über
Spracherwerb und Lehrerbildung referiert werden?
Man könnte denken an die hiesige Präsenz der Sprachen, die mit islamisch geprägten Kulturen ver­
bunden sind – Arabisch, Türkisch, Farsi, Urdu, Bengali – an die Rolle, die sie in der Bildung muslimischer
Schüler in Deutschland spielen oder spielen sollten, und daran, was es für die persönliche Entwicklung
von Kindern und Jugendlichen bedeutet, eine dieser Sprachen neben dem Deutschen zu können und zu
gebrauchen. Die Frage an die Lehrerbildung wäre dann, was die Lehrkräfte über diese Sprachen wissen
sollten und wie Lehrkräfte zu rekrutieren und zu qualifizieren sind, die diese Sprachen unterrichten.
Man könnte denken an die Funktion der Religionen beim Erhalt der Herkunftssprachen von Migranten
und umgekehrt der Herkunftssprachen für die Weitergabe der Religionen, also an das Polnische und die
katholische Kirche im Ruhrgebiet der 1880/1890er Jahre, an das Deutsche und die mennonitischen
Gemeinden in den sibirischen Teilen der Sowjetunion, an die griechisch-orthodoxen Organisationen und
ihre Bedeutung für die griechische Sprache in Deutschland – und in aller Welt! Die Frage an die Lehrer­
bildung wäre dann, wie viel Kenntnisse der Sprachsoziologie und der Bilingualismusforschung heute von
den Lehrkräften zu verlangen sind, die die junge Generation in den längst vielsprachig gewordenen
Schulen auf das Leben in einer auch sprachlich pluralen Gesellschaft vorbereiten.
Man könnte denken an das Phänomen der heilig gehaltenen Sprachen, wie das Sanskrit der Brahmanen,
die drei Sprachen der Inschrift auf dem Kreuze Christi (Johannes 19, Vers 20) und eben das Arabische
des Koran. Die Frage an die Lehrerbildung wäre dann, wie viel Verständnis für dieses Phänomen, wie
viel Respekt z.B. für das Auswendiglernen von Suren in der arabischen Sprache auch von einer
deutschen Lehrkraft erwartet werden darf.
Man könnte, um diese Reihe abzuschließen, daran erinnern, dass mystische Strömungen des Islam wie
des Christentums die Erfahrung einer Kommunikation jenseits aller Sprachen und Worte, einer Gemein­
schaft über die Sprache hinaus kennen. In dem Gedicht des "West-östlichen Diwan", in dem er seine
Wünsche an ein Leben im Paradies ausdrückt, einem Paradies, das nach islamischen Vorstellungen
modelliert ist, spricht Goethe davon, die Freuden des Erdenlebens mitzunehmen, um sie dort gesteigert
und verwandelt neu zu empfinden. Dabei kommt er auch auf die Freude an der Sprache zu sprechen:
Und so möchte' ich alle Freunde,
Jung und alt, in eins versammeln,
Gar zu gern in deutscher Sprache
Paradiesesworte stammeln.
Doch – und damit kommt er auf das zu sprechen, was mehr ist als die deutsche Sprache –
man horcht nun (das heißt im Paradies)
. . . Dialekten,
Wie sich Mensch und Engel kosen,
Der Grammatik, der versteckten,
Deklinierend Mohn und Rosen.
(Hamburger Ausgabe, Band 2, S. 116f.)
Dies alles wären schöne und verlockende Themen. Meine Pflicht aber ist es, von dort, wo Mohn und
Rosen sprechen, hinab und zurück zu steigen in die Niederungen des Partikularen, dorthin, von wo
Goethes Gedanke ausgegangen war, zur deutschen Sprache als einer Sprache unter Freunden. Ich
übersetze es in unseren Fachjargon: Es geht um die deutsche Sprache als das Medium der Inklusion
aller Schülerinnen und Schüler im deutschen Bildungswesen. Was kann die Lehrerbildung dazu
beitragen?
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
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Lehrerbildung ist Qualifizierung für die Arbeit an der Schule. Um die Frage nach dem Zusammenhang
von Spracherwerb und Lehrerbildung beantworten zu können, muss also zuvor etwas über die För­
derung des Spracherwerbs durch die Schule gesagt werden: Was kann, was soll die Schule dazu tun?
Drei Argumente sind zusammenzuzählen, um die nach heutigem Wissensstand erfolgversprechendste
Strategie zu bestimmen.
Erstes Argument: Der entscheidende Punkt für eine gelingende sprachliche Inklusion der Kinder und
Jugendlichen liegt nicht beim Übergang von einer nicht-deutschen zur deutschen Sprache, sondern beim
Übergang von einem alltäglichen Sprachgebrauch zu einem Sprachgebrauch, der den schulischen
Anforderungen gerecht wird. Es ist der Punkt, der in der sprachdidaktischen Theorie von Cummins die
Kommunikationsfähigkeit im direkten Gespräch von der Sprachfähigkeit unterscheidet, die zu kognitiven
Zwecken benötigt wird (vgl. Baker/Homberg 2001). In der älteren, heute etwas aus der Mode geratenen
Sprachsoziologie hatte man versucht, diesen Gegensatz mit dem Begriffspaar "restringierter" vs.
"elaborierter Code" zu erfassen (Bernstein 1972). Lehrkräfte bringen ihn nicht selten auf die Formel
"mündlich ganz gut, schriftlich katastrophal". Ganz gewiss wäre mehr theoretische Klarheit über diesen
Punkt zu wünschen, aber auch in der Vorläufigkeit, die jetzt herrscht, ist erkennbar, dass eine bloße
Einführung in die deutsche Sprache nicht genügt, um den Grund für eine erfolgversprechende – d.h.
nachhaltigen schulischen Erfolg versprechende – Nutzung dieser Sprache zu schulischen Zwecken zu
legen.
Zweites Argument: Die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudien weisen aus, dass die
Leistungen der Schüler im Leseverstehen und die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften
eng miteinander zusammenhängen (Deutsches PISA-Konsortium 2001). Mit dem Blick auf Förder­
notwendigkeiten kann man dieses Ergebnis auch folgendermaßen formulieren: Die sprachlichen
Anforderungen steigen mit den fachlichen Anforderungen. Der Erwerb der Zweitsprache ist nicht damit
abgeschlossen, dass zweisprachige Kinder den Forderungen des 1. Schuljahres entsprechen können; er
ist ein Aufholprozess, bei dem die Ziele Jahr um Jahr höher gesteckt werden und der darum das
schulische Lernen stetig begleitet.
Drittes Argument: Vergleiche unterschiedlicher Schulmodelle, wie sie in den USA angestellt worden sind,
zeigen, dass der Schulerfolg der Migrantenschüler stärker und nachhaltiger unterstützt wird, wenn die
Zweitsprache – Englisch in diesem Falle – durch "content-learning" eingeführt und aufgebaut wird, also
nicht durch einen separaten Sprachunterricht ("eigenen Rechts" sozusagen), sondern durch
fachbezogene Unterweisung, bei der die sprachlichen Mittel, die zur Lösung fachlicher Probleme benötigt
werden, bedacht und didaktisch planvoll eingeführt werden. Diese Untersuchungen haben auch gezeigt,
dass die Einbeziehung der Herkunftssprache in das curriculare Lernen ebenfalls einen positiven Beitrag
zum Schulerfolg leisten kann (Thomas/Collier 1997; Greene 1998; Oller/Eilers 2002).
Diese drei Argumente zusammen legen folgende Orientierung nahe:
1. Schulisches Lernen ist durchweg auch sprachliches Lernen. Sprachliches Lernen in der Schule
vollzieht sich im fachlichen Lernen und durch fachliches Lernen so wie es seinerseits fachliches
Lernen ermöglicht. Es richtet sich auf die allgemeine Sprachfähigkeit, welche den einzelsprachlichen
Fähigkeiten vorausliegt und mit der allgemeinen intellektuellen Entwicklung eng verbunden ist.
2. Sprachliche Förderung bedeutet Unterstützung beim Erwerb der sprachlichen Fähigkeiten, die zum
Erreichen der fachlichen Lernziele (zusammen mit allgemeinen intellektuellen Fähigkeiten) erforderlich
sind. Sie vollzieht sich überall dort, wo sich im Erklären und Anwenden fachsprachlicher Begriffe, im
Verständlich- und Verfügbarmachen allgemeiner, komprimierter und abstrakter Aussagen Sprach- und
Fachlernen verschränken, als notwendige "Sprachförderung für alle". Wo sie darüber hinaus auf die
Elemente des gehobenen Allgemeinwortschatzes eingeht, die zum Erarbeiten der fachsprachlichen
Begriffe gebraucht werden, und auf das Verständnis komplexerer grammatischer Konstruktionen, also
von erweiterten Infinitiven, Finalsätzen, Passivkonstruktionen usw. achtet, die den Charakter von
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
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Fachtexten ausmachen, ist sie "besondere Sprachförderung", die die sprachlichen Aspekte des
fachlichen Lernens weiter in die Tiefe hinein verfolgt.
3. Davon zu unterscheiden ist die Einführung in die Sprache, die als Unterrichtsmedium verwendet wird.
Sie muss allen Schülern angeboten werden, die noch keine Kenntnisse im Alltagsgebrauch dieser
Sprache haben, d.h. insbesondere den neu zuwandernden Schülern, aber auch den Schulanfängern
und Vorschulkindern, die in einer durch die Herkunftssprache geprägten Lebenswelt aufwachsen. Für
diese Schülerinnen und Schüler kann eine didaktisch planvolle Einbeziehung der Herkunftssprache in
den Unterricht ein wirksames Mittel sein, um zwischen den noch im Aufbau befindlichen Ausdrucks­
und Verstehensmöglichkeiten in der Zweitsprache und den (altersgerecht entwickelten) allgemeinen
intellektuellen Fähigkeiten zu vermitteln.
4. Die bisher vorgetragenen Argumente sind auf den instrumentellen Wert von Sprache für schulisches
Lernen bezogen. Ich verkenne nicht, dass sprachliche Bildung auch einen Eigenwert hat, deren
traditionelle Koppelung mit literarischer und kultureller ("landeskundlicher") Bildung mir nach wie vor
als eine sinnvolle Koppelung erscheint. Sie stellt sowohl für den Deutschunterricht in Deutschland wie
für den Fremdsprachenunterricht wie für den Herkunftssprachenunterricht eine anwendbare Formel
dar.
5. Angesichts der Sprachenvielfalt und mit Blick auf die Erfordernisse des lebenslangen Lernens ist es
angezeigt, eine weitere Funktion zu definieren, die unter dem Begriff "Lernen des Sprachenlernens"
gefasst werden kann. Dazu gehören Kenntnisse und Fähigkeiten wie das Anwenden von Lese­
strategien, das Präparieren mündlicher Vorträge, das kategoriengeleitete Analysieren sprachlicher
Strukturen, das Sprechen über Bedeutungsunterschiede, die Nutzung von Hilfsmitteln und Medien.
Früher hat vieles davon der Lateinunterricht geleistet, heute ist es ungepflegt und verstreut über die
sprachlichen Fächer. Es gehört neu gebündelt und in die Curricula eingebaut. Die in den Klassen
vorfindliche Sprachenvielfalt ist eine Ressource für einen solchen Unterricht.
Was bedeutet dies für die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte?
Die Fähigkeit zur sprachlichen Qualifikation der Schüler im Unterrichtsalltag verlangt vom Lehrer, die
Sprachstände der Schüler wahrzunehmen, um die nächsthöheren sprachlichen Anforderungen an sie
stellen zu können. In sprachlich relativ homogenen Klassen, wie sie es in der Vergangenheit gegeben
haben mag, konnte diesem Verlangen durch eine intuitive Orientierung an einem ungefähren Durch­
schnittswert vielleicht Rechnung getragen werden. Vielleicht war es auch verantwortbar, die Einführung in
die Fachsprache unter der Voraussetzung eines entwickelten Standes der Allgemeinsprache als "Sprung
in ein anderes Sprachspiel" zu konzipieren. Unter den heutigen Voraussetzungen sprachlicher Hetero­
genität dagegen werden differenziertere und bewusstere sprachdiagnostische Fähigkeiten erforderlich
und entsprechend bewusstere Strategien des Lehrervortrags, des Erklärens und Umschreibens, des
Rückgriffs auf andere Sprachen, der Aufbereitung von Lektüre und der Unterstützung von schriftlicher
und mündlicher Sprachproduktion der Schüler. Bei der sprachlichen Bewertung von Schülerleistungen
müssten an die Stelle einfacher Falsch-Richtig-Urteile Aussagen über erreichte und nächsterreichbare
Sprachentwicklungsstufen treten. Beides – der eigene Sprachgebrauch des Lehrers (und der von ihm
herangezogenen Quellen) wie seine Beurteilungen des Sprachgebrauchs der Schüler – hat eine
allgemeinsprachliche und eine fachsprachliche Seite; beides müsste in der Lehrerbildung zur Geltung
kommen.
Das nächste Aufgabenbündel, die Erteilung von Unterricht zur Einführung und schulbezogenen
Förderung der deutschen Sprache, verlangt sprachdidaktische Kenntnisse und Fähigkeiten, die die volle
Bandbreite der Methoden des Deutschen als Muttersprache und als Fremdsprache und die Fähigkeit der
didaktisch angemessenen Auswahl und erforderlichen Ergänzung oder Anpassung umfassen. Es geht
um Deutsch in Deutschland und für die deutsche Schule, d.h. um die unmittelbare Ermöglichung
deutschsprachiger Kommunikation, um die systematische Klärung und Weiterführung der in dieser
Kommunikation gemachten Spracherfahrungen und um eine möglichst weit gehende Annäherung der
sprachlichen Unterweisung an die allgemeine intellektuelle Entwicklung der Lernenden.
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2: Islam in der Lehrerbildung
44
Die Fähigkeit eines sehr bewussten Umgangs mit den Möglichkeiten innerer und äußerer Differen­
zierung und die Fähigkeit individueller Schullaufbahnberatung (die freilich beide nur zum Tragen kommen
können, wenn entsprechende institutionelle Vollmachten gewährt werden) müssten hinzu kommen. Es
handelt sich hier alles in allem um Qualifikationen im Rang eines eigenen Fachs.
Der Bereich sprachlicher Bildung, der Sprache in Verbindung mit kulturellen Einsichten und Fähigkeiten
vermittelt, ist herkömmlich eine Domäne sprachspezifischer Fachausbildung der Lehrer. Er verlangt von
den Lehrkräften heute zusätzlich die Reflexion des Verhältnisses, das sie selbst und das ihre Schüler zu
diesem Gegenstand einnehmen. Deutsch ist eben nicht mehr fraglos die Muttersprache der Lehrer und
Schüler insgemein, sondern für viele eine partiell fremde Sprache, an der und durch die sich zu bilden
mehr kulturelle, historische und strukturelle Erklärungsarbeit erfordert, als das früher der Fall gewesen
sein mag. Umgekehrt ist Englisch nicht mehr umstandslos als Fremdsprache anzusehen, sondern wird
oder ist schon eine partiell vertraute Sprache, die auch für die Schülerinnen und Schüler so viele
Funktionen außerhalb der Schule hat, dass man sie "eigentlich" nicht mehr "rein philologisch" unter­
richten dürfte. Von den Lehrerinnen und Lehrern verlangt das eine hohe sprachpraktische Kompetenz,
eine Erweiterung des fremdsprachenmethodischen Repertoires um Elemente der Zweitsprachendidaktik
und Vertrautheit mit der anglophonen Jugendkultur, welche zur Gegenwart der Schülerinnen und Schüler
gehört, ebenso wie mit der anglophonen Globalkultur, die einen Teil ihrer Zukunft ausmacht. In noch
einschneidenderer Weise ist von den Lehrkräften des Herkunftssprachen-Unterrichts gefordert, von
einem ursprünglich einmal muttersprachdidaktischen Modell auf ein Modell des Unterrichts einer
Minderheitensprache umzusteigen, sich die dazu benötigten methodischen Verfahren anzueignen,
Inhalte bikulturell zu definieren und sich am Ziel der Zweisprachigkeit zu orientieren.
Ein künftiger islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache dagegen stünde – sprachlich gesehen
– an einem Anfangspunkt. Zu fragen ist nach einer für Schülerinnen und Schüler angemessenen
religionskundlichen Terminologie, aber auch nach der angemessenen Weise des religionshistorischen
Erzählens, des religionstheoretischen Erklärens und des religionspolitischen Argumentierens. Zu fragen
ist nach dem Status deutschsprachiger Korantexte in einem solchen Unterricht und nach der Bedeutung
des Arabischen. Die Sprache eines Schulfaches „Islamische Religion“ wäre eine Entwicklungsaufgabe.
Der letzte Bereich schließlich, das Lernen des Sprachenlernens – der Beitrag der Schule zum lebens­
langen Sprachenlernen oder doch zumindest zum Sprachenlernen im Beruf und in engen persönlichen
Beziehungen – ist in der Lehrerbildung etwas Neues, aber nichts gänzlich Neuartiges. Es handelt sich um
die Fähigkeit, in die Nutzung von Medien, in die Anwendung von Verstehens- und Redestrategien und in
die Reflexion über Sprache vergleichend einzuführen, entdeckendes Lernen auch mit Bezug auf
Sprachstrukturen zu üben und Kenntnisse über Sprachtypen und sprachlich-soziale Sachverhalte zu
vermitteln. Das ist keine allzu schwere und keine allzu umfangreiche Aufgabe. Sie müsste sich in der
Lehrerbildung irgendwo ein- oder angliedern lassen.
Ich fasse zusammen: Der Spracherwerb in der Schule und daraus folgend in der Lehrerbildung heute ist
im Wandel, nicht gerade in einem revolutionären Umbruch, aber doch in einem Wandel, der in seiner
Tragweite an Entscheidungen wie die Ablösung des Lateinischen durch die Volkssprachen als Medium
des Unterrichts, die Einführung der neueren Sprachen an den höheren Schulen oder die Einführung einer
Fremdsprache für alle erinnert. Es ist ein Wandel, der sich auf Generationen hinaus auswirken wird und
in dem Entscheidungen zu treffen sind, deren Folgend wir nur bedingt übersehen. Was sich abzeichnet,
hoffe ich deutlich genug bezeichnet zu haben:
-
eine neue Aufmerksamkeit auf die Sprache als Medium des Unterrichts;
-
weitreichende Verschiebungen in den Verhältnissen von Lehrenden und Lernenden zu den in der
Schule unterrichteten Sprachen, durch die die ehrwürdige Zweiteilung der Sprachen in Muttersprache
einerseits, Fremdsprachen andererseits hinfällig und Zweisprachigkeit als Bildungsziel greifbar wird;
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2: Islam in der Lehrerbildung
-
45
die Einbeziehung des Sprachenlernens in das allgemein schulische Ziel einer Ausbildung von
Lernfähigkeit, mit der Konsequenz der Entwicklung sprachenübergreifender Curriculumelemente, die
auf die Curricula der Einzelsprachen zurückwirken werden.
Wie lässt sich die Vermittlung dieser anzustrebenden Fähigkeiten in der Lehrerbildung institutio­
nalisieren? Bestrebungen zur Reform der Lehrerbildung sind derzeit in vielen Bundesländern im Gange.
Darin liegt auch die Chance, künftige Lehrkräfte so zu qualifizieren, dass sie ihren Schülern für das
Zurechtkommen in einer vielsprachigen und zunehmend auf Sprache angewiesenen Welt etwas
mitgeben können. Ich gehe die damit verbundenen Aufgaben noch einmal der Reihe nach durch:
Sprache als Unterrichtsmedium ist ein Thema, das mit der Akademisierung der Lehrerausbildung an den
Rand gedrängt wurde und fast in Vergessenheit geraten ist. Es ist hohe Zeit, es wieder aufzugreifen. Ich
stelle mir vor, dass es – theoretisch und praktisch – ein obligatorisches Element in den bildungswissen­
schaftlichen Komponenten der künftigen Lehrerbildung sein sollte. Die PISA-Ergebnisse, und dabei
insbesondere die Ergebnisse der Schüler mit Migrationshintergrund, sind Grund genug, diese (ja doch
eher bescheidene) Reform der Lehrerbildung ins Auge zu fassen. Wahrscheinlich wird man die Aus­
bildung fachspezifischer Sprachfähigkeiten nicht in gleicher Weise verbindlich machen können; doch
lassen sich Entwicklungs- und Implementationsprojekte denken, die mit bildungspolitischer Unterstützung
entsprechende Impulse in die Ausbildung der Fachlehrer hineintragen und in fachdidaktischen Seminaren
des Hauptstudiums – wiederum: theoretisch und praktisch – zur Anwendung kommen würden.
Die Einführung des Deutschen als Zweitsprache als Fach der Lehrerbildung ist ein größerer Schritt. Aber
auch hier genügt es, zur Rechtfertigung auf die PISA-Ergebnisse und den Entwurf des Zuwanderungs­
gesetzes zu verweisen, dessen Bestimmungen zur sprachlichen Integration ja im Gegensatz zu anderen
Teilen des Gesetzes nicht strittig sind. Bei der Einführung von Bachelor-Master-Strukturen in die
Lehrerbildung ließe sich z.B. durchaus an Deutsch als Zweitsprache als eine Master-Option in
Fortführung eines Bachelor-Faches Germanistik oder anderer Sprachenstudien denken.
Noch etwas weiter geht die Vorstellung eines Faches "Herkunftssprachen und ihre Didaktik", weil hier
eine bisher unübliche Kombination von generellen Modulen mit sprachspezifischen Modulen erfolgen
müsste. Es ist sehr begrüßenswert, dass an zwei deutschen Universitäten das Fach Türkisch in der
Lehrerbildung angeboten wird; aber beide Angebote sind nach dem Modell der herkömmlichen (Fremd-)
Sprachen-Lehrerausbildung gestrickt. Auf Dauer wird dies weder mit Blick auf die Zweisprachigkeits­
didaktik noch mit Blick auf die Sprachenvielfalt genügen. Mit der Vorstellung eines Faches "Herkunfts­
sprachen und ihre Didaktik" in der Lehrerbildung befinde ich mich in guter Gesellschaft. Die Kultus­
ministerkonferenz hat diese Empfehlung schon 1996 (Beschluss vom 25. Oktober 1996) ausgesprochen.
Bleibt nur zu wünschen, die Minister möchten ihrer eigenen Empfehlung folgen.
Leichter zu verwirklichen ist die Einführung des Ausbildungsziels, zum Lernen des Sprachenlernens
anzuleiten. Dafür hat die aktuelle Curriculumsprache das Wort "Modul" in ihrem Lexikon. Ein Modul für
alle Studierenden sprachlicher Fächer sollte genügen.
Reformen in der Lehrerbildung, die dazu beitragen, dass Lehrer lernen, sich auf die Tatsache der
Vielsprachigkeit und die damit verbundenen Bedürfnisse im Bereich der sprachlichen Bildung
einzulassen, sind noch nicht "Dialog mit den Muslimen". Sie schaffen trotzdem etwas sehr Wichtiges. Sie
brechen die oft unbewusste, stets unbedachte Gleichsetzung von "Sprache" und "deutscher Sprache"
auf, die wir immer noch vorfinden, wo die Rede davon ist, "die Kinder können die Sprache nicht", "die
Kinder müssen in der Sprache gefördert werden". Wo dieses einseitige Denken überwunden wird,
können neue, lebbare Formen des Miteinanders von Sprachen gefunden werden. Sie würden sich
einfügen in ein Bild des Lebens und Handelns in pluralen gesellschaftlichen Bezügen, das sich nicht
begnügt mit der Auskunft der immer weiter schreitenden Vereinzelung, sondern auch ein Element von
Anerkennung und Miteinander-Teilen, von Kommunikation im ursprünglichen Sinne des Wortes enthält.
Ich hätte dann keine Probleme mehr mit dem Bezug des Themas „Spracherwerb“ zum Thema
"Lerngemeinschaft".
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2: Islam in der Lehrerbildung
46
Literatur
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Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.) (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im
internationalen Vergleich. Opladen.
Goethe, Johann Wolfgang: Werke, hrsg. Erich Trunz (Hamburger Ausgabe), Band 2, Hamburg: Wegner, 4. Aufl.
1958.
Greene, J.: A meta-analysis of the effectiveness of bilingual education. Claremont, CA: Thomas Rivera Policy
Institute, 1998
Hakuta, Kenji / Butler, Yuko Goto / Witt, Dania: How long does it take English learners to attain proficiency? Stanford:
The University of California Linguistic Minority Research Institute, 2000
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Intercultural Teacher Training) (Hrsg.): Qualifkationen für das Unterrichten in mehrsprachigen Schulen, Münster:
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Reich, Hans H.: Machtverhältnisse und pädagogische Kultur. Die Legitimierung des Unterrichts in den
Herkunftssprachen von Migranten als Gegenstand eines internationalen Vergleichs. In: Gogolin, Ingrid / Nauck,
Bernhard (Hrsg.): Migration, gesellschaftliche Differenzierung und Bildung. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 343­
364
Reich, Hans H. / Roth, Hans-Joachim u.A.: Spracherwerb zweisprachig aufwachsender Kinder und Jugendlicher. Ein
Überblick über den Stand der nationalen und internationalen Forschung, Hamburg: Schulinformationszentrum 2002.
Thomas, Wayne P. / Collier, Virginia: School effectiveness for language minority students. Washington D.C.: National
Clearingshouse for Bilingual Education, 1997
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2: Islam in der Lehrerbildung
47
Islam in der Lehrerbildung in Österreich
Anas Schakfeh
Die Lehrerbildung in Österreich unterscheidet sich von der Lehrerbildung in Deutschland dadurch, dass
die Lehrerbildung für die Pflichtschulen (Volks- und Hauptschulen) keine universitäre Ausbildung ist. Die
PflichtschullehrerInnen werden in den so genannten pädagogischen Akademien ausgebildet. LehrerInnen
für die allgemein bildenden höheren Schulen (Gymnasium, Handelsakademien, HTL, etc.) dagegen
müssen ein Hochschulstudium (Lehramtsstudium) absolvieren und das so genannte Lehramtsdiplom
erwerben.
Absolventen der pädagogischen Akademien haben die Möglichkeit der Fort- und Weiterbildung durch die
Absolvierung von Kursen und Lehrgängen der pädagogischen Institute. Auch GymnasiallehrerInnen
belegen Fortbildungskurse der pädagogischen Institute.
Die pädagogischen Institute bieten interessierten LehrerInnen der verschiedenen Fachrichtungen Kurse
und Fachlehrgänge über den Islam an. Sehr oft werden muslimische Referenten bei diesen Kursen und
Lehrgängen herangezogen.
Exkursionen im In- und Ausland (Besuche in Moscheen und Orientreisen) runden das Fort­
bildungsprogramm ab.
Ausbildung von muslimischen ReligionslehrerInnen
Die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, als staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft in
der Republik Österreich, organisiert und beaufsichtigt den islamischen Religionsunterricht für etwa 40.000
SchülerInnen in den öffentlichen Schulen.
Die fachgerechte Ausbildung von muslimischen ReligionslehrerInnen in Österreich wurde durch die
Gründung der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) in Wien als konfessionelle
Privatschule mit Öffentlichkeitsrechts im Schuljahr 1998/1999 gesichert.
Die IRPA hat die Aufgabe, aufbauend auf dem Bildungsgut einer höheren Schule, ReligionslehrerInnen
für Volks-, Haupt-, Sonderschulen und Polytechnische Schulen auszubilden, die nach Berufsgesinnung,
Berufswissen und Berufskönnen geeignet sind, die Aufgaben des Lehrerberufes zu erfüllen.
Der Studiengang der Akademie umfasst sechs Semester. Die Studienveranstaltungen gliedern sich in
Vorlesungen, Seminare, Übungen, sowie Schul-, Sozial- und Gemeindepraxis.
Aus integrativ-gesellschaftlichen Überlegungen haben wir den Lehrbetrieb in der IRPA auf religiös­
theologische Fachgegenstände eingeschränkt. Für die pädagogische, humanwissenschaftliche Aus­
bildung unserer LehrerkandidatInnen haben wir die Pädagogische Akademie des Bundes (PÄDAK) in
Wien gewonnen. Dort werden die StudentInnen unserer Akademie nicht nur fachlich ausgebildet, sondern
sie finden zugleich den ungezwungenen Kontakt zu ihren zukünftigen LehrerkollegInnen.
Obwohl wir bei der Erstellung der Lehrpläne für die theologischen Fachgegenstände auf die Erfahrung
der Al-Azhar Universität in Kairo zurück gegriffen haben, achteten wir aber zugleich darauf, daß die
Islamische Religionspädagogische Akademie keine Österreich-Variante einer ausländischen Lehrer­
bildungsanstalt sein wird, sondern eine selbstbewusste, eigenständige österreichische Ausbildungsstätte
für muslimische ReligionslehrerInnen mit europäischer Prägung und Ausrichtung.
Ein Grundproblem der Lehrerausbildung an der IRPA war und ist teilweise noch immer die nicht
ausreichende Literatur über islamische Themen und Fachdiszipline in deutscher Sprache. Eine qualitativ
gute Ausbildung erfordert eine umfangreiche Auswahl von fachwissenschaftlichen Quellen. Aus diesem
Grund werden einige Fachdisziplinen in arabischer Sprache gelehrt. Es ist uns ganz klar, dass wir nie
gänzlich auf die arabische Sprache bei der Ausbildung von muslimischen Religionslehrerinnen verzichten
können, aber wir sind sehr bemüht eine ausgewogene Kombination zwischen der deutschen Sprache als
Hauptunterrichtssprache, und der arabischen Sprache als Quellensprache herbeizuführen.
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2: Islam in der Lehrerbildung
48
Die Studienanfänger an der Akademie haben jeweils die Möglichkeit, ein Vorbereitungsjahr zu
absolvieren, in dem sie entweder intensiv die arabische Sprache erlernen oder ihre deutsche Sprache
verbessern können. Sehr wenige von ihnen besuchen beide Lehrgänge.
Eine weitere Herausforderung für die Akademie war das Nichtvorhandensein einer wissenschaftlich
entwickelten, praktisch erprobten Fachdidaktik des islamischen Religionsunterrichts. Mit Beginn des
laufenden Studienjahres haben wir ein gemeinsames Projekt mit der evangelischen
Religionspädagogischen Akademie in Wien gestartet, zur Entwicklung einer adäquaten Fachdidaktik für
den islamischen Religionsunterricht unter Heranziehung und Nutzung der fachlichen und praktischen
Erfahrungen der evangelischen Kollegen.
Für die nahe Zukunft plant die IRPA eine Lehrplanreform, die unter anderem die Einführung eines
Lehrfaches <islamische spirituelle Musik> vorsieht. Dieser Schritt wird mit Sicherheit eine Menge Kritik
und möglicherweise heftige innerislamische Diskussionen verursachen, scheint uns aber sehr wichtig, ja
unumgänglich zu sein.
Das Projekt Islamische Religionspädagogische Akademie in Wien hat seine endgültige Gestalt noch nicht
gefunden, es macht aber mit Sicherheit gute Fortschritte in die richtige Richtung.
Lehrerfortbildung
Zum Ende des laufenden Studienjahres wird die IRPA ihre bisher dritte AbsolventInnengruppe in den
Lehrerberuf verabschieden. Für die fachgerechte Fort- und Weiterbildung beabsichtigen wir die Gründung
eines islamischen pädagogischen Institutes in Wien. Das pädagogische Institut soll seinen Lehrbetrieb im
kommenden Studienjahr (Herbst 2003) aufnehmen. Es wird nicht nur muslimische ReligionslehrerInnen
fort- und weiterbilden, sondern es wird auch Kurse und Lehrgänge über islamische Themen für die
interkulturelle Bildung von LehrerkollegInnen der verschiedenen Fachrichtungen anbieten.
Das österreichische Matura (Abitur)-System sieht als eine Prüfungsvariante eine fächerübergreifende
Prüfung vor. Die Kandidatin wird von zwei FachlehrerInnen betreut, die dann auch die Reifeprüfung
gemeinsam abnehmen. Das Prüfungsfach „Religion“ kann mit den verschiedensten Prüfungsfächern
(Geschichte, Geographie, Philosophie, Soziologie, deutsche Sprache, Fremdsprache, Biologie, etc.)
kombiniert werden. Wir haben mit dieser Prüfungsvariante bis jetzt auch sehr gute Erfahrungen gemacht.
Allerdings setzt gerade diese Prüfungsvariante eine vorhandene interkulturelle Bildung des prüfenden
Lehrers voraus.
Spracherwerb
Der Integrationsprozess der muslimischen Kinder erfordert selbstverständlich die einwandfreie
Beherrschung der deutschen Sprache. Aus diesem Grund sind wir in der IGGIÖ von Anfang an und ganz
entschieden für die Erteilung des islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache eingetreten.
Versuche von manchen Stellen, die darauf zielen, den islamischen Religionsunterricht in einer fremden
Sprache zu erteilen haben wir immer vehement zurückgewiesen. Für die Pflege der jeweiligen
Muttersprache hat das österreichische Schulsystem neuerdings einen Muttersprachunterricht als Freifach
für interessierte SchülerInnen eingeführt. Inwieweit die SchülerInnen von dieser Möglichkeit Gebrauch
machen und ob die Ziele dieses Sprachunterrichts in der Praxis realisierbar sind, werden wir
wahrscheinlich erst nach ein paar Jahren beurteilen können.
49
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
Stundentafel der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) in Wien
Studienfächer / Semester
Humanwissenschaften
Schulrecht
Politische Bildung
Medienpädagogik
Islam. Religionspädagogik
Islam. Kultur und Philosophie
Islamische Geschichte
Vergleich. Religionswissenschaft
Erziehungswissenschaft*
Unterrichtswissenschaft*
Pädagogische Psychologie*
Pädagogische Soziologie*
Islamologische Fachwiss.
Quran-Rezitation
Spirituelle Musik
Usulul-fiqh
Fiqh 1 / Fiqhul-ibadat
Fiqh 2 / Familienrecht
Fiqh 3 / Mu’amalat
Fiqh-Regeln
Fiqh-Theorien
Vergleichender Fiqh
Einführung in die Schari’a
Al-achlaq / Islamische Werte
Ulumul-quran/Quranwissen.
Ulumul-hadith/Hadithwissen.
Hadithe/ Memo. + Interpretation
Tafsir
‘Aqida
Fiqhus-sira
FD & Spezielle Didaktiken
I.
V
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V
S
III.
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S
IV.
Ü
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Ü
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1
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1K
1K 1K
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1K
1K
1K
2K
1A
1
1
1
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1A 1A
1K
S
1
1
1A
Arabisch Fachsprache
Kalligraphie
EDV
Kommunikation/Präsentation
Einführung in d. wiss. Arbeiten
Diplomandenseminar
2A
Schulpraktische Studien
V
S
1K
1K
1
1
Ü
V
S
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V
S
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V
1
V
1K
1K
1
1
1
Ergänzende Studien
1
1K
1K
1K
1K
1A
1
V
1
1
1K
1K
1A
1A
1
1
1A
1A
FD der islamolog. Wiss.
IRU-Didaktik an VorS & VS
IRU-Didaktik an HS, PS, BS
IRU-Didaktik an S.-Schulen
Ü
1
1
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1
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S
1A 2A
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1
1
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S
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2
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1
1
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V
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Ü
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2
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1A
1A
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1
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V
1
1
12
S
Ü
1
1
1
1
7 11 13 7 10
30
30
Legende: ohne Angaben: Unterrichtssprache Deutsch (104)
A: Unterrichtssprache Arabisch (34)
K: Unterrichtssprache kombiniert Arabisch/Deutsch (26)
V
S
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2
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30
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V
S
2
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2
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9 12
30
Ü
V
1
1
2
6
8
22
8
V, S, Ü: Vorlesung, Seminar, Übung
I, II, III, IV, V, VI: Semester des Akademiestudiums
* Unterricht an der Pädagogische Akademie PA
2
2
6
3
4
3
2
2
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3
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V
1
Unterrichtsbesprechung
Unterrichtsanalysen
Unterrichtsbesuche & Praktikum
Lehrverhaltenstraining
Zwischensumme
Summe
II.
1
1
2
1
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7
6
10
2
164
164
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
Islamischer Religionsunterricht als Ort des interkulturellen Dialogs
Peter Graf
1.0 Begründungskontext
2.0 Ebenen des interkulturell-interreligiösen Dialogs
2.1 Islamischer Religionsunterricht als Dialog-Ereignis
2.2 Ebenen des Dialogs
-
Politisch Ebene der öffentlichen Meinungsbildung
-
Verwaltung des Bildungswesens in den Ländern, KMK
-
Wissenschaftlich-universitäre Ebene: Fachwissenschaften
-
Generationen-Ebene: Eltern, Imame, Schulen...
-
internationale Ebene: D - Herkunftsländer – EU
-
Einigung zwischen den Muslimen (z.B. Schura-Niedersachsen)
3.0 Qualitätskriterien für die Lehrerbildung im Fach ‚islamische Religion’
-
authentischer Islam
-
wissenschaftlich-universitäre Lehrerbildung
-
Islam in Europa
4.0 Master-Studiengang für das Fach ‚islamische Religion’
4.1 Aufbau des Master-Studiengangs
4.2 Curricular-modulare Bestimmung des Studiengangs
4.3 Planungsbedarf
4.4 Forschungsaktivitäten und Kooperationen
4.5 Präliminarien des Projekts
-
Dialog in gegenseitiger Achtung und Distanz
-
Religiöse Bildung als mentale Orientierung
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht."
Franz Kafka
50
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
51
Islamischer Religionsunterricht als Ort des interkulturellen Dialogs
1.0 Begründungskontext
Die religiöse und ethische Erziehung der SchülerInnen stellt eine grundlegende Aufgabe schulischer
Bildung dar. Einleitend wähle ich bewusst den Begriff ‚Bildung’ der in dieser Form aus dem christlichen
Umkreis der Schule von Meister Eckhart, vor 700 Jahren Prior im benachbarten Erfurt, stammt. Mit dem
Begriff ‚Bildung’ wird das ‚uz-bilden’ dessen verstanden, was im Inneren des Menschen angelegt ist, die
Würde seiner Person ausmacht und daher entfaltet werden soll.
Die Begründung für religiöse Bildung liegt in einem doppelten Zusammenhang, der erstere ist
europäisch-bildungspolitischer Natur, der zweite folgt dem Verfassungsgebot der ‚Neutralität’ des
Staates, also dem Gebot der Gleichbehandlung von Religionsgemeinschaften.
Schule und schulische Bildung in Europa hat die Aufgabe, SchülerInnen zu befähigen, ihre Umwelt zu
verstehen. Zu dieser Umwelt gehören die Religionen, zählt der Islam als Weltreligion und zweite Religion
in Europa. Auch die Kulturgeschichte des Islams, vor allem die Kulturgeschichte des Mittelmeerraums,
der über viele Jahrhunderte vom islamischen Kulturkreis geführt oder inspiriert wurde, haben die Ge­
1
schichte Europas wesentlich mit bestimmt. In diesem Kontext fällt eine neue bildungspolitische Debatte
auf, die in unserem Nachbarland Frankreich, dem Land der laicité par excellance, geführt wird. Der ehe­
malige Erziehungsminister Jack Lang schlägt zusammen mit dem Philosophen Régis Debray vor, in
öffentlichen Schulen neu die Vermittlung religiösen Wissens einzuführen. Die SchülerInnen sollen dem­
nach aus einer ‚inculture religieuse’ (fehlende religiöse Erziehung, Ü. P.G) herausgeführt und befähigt
werden, durch religiöses Wissen die europäische und globale Kulturgeschichte besser zu verstehen. Die
Karte der gegenwärtigen Welt ist nicht zureichend zu verarbeiten ohne Referenz auf die religiösen Struk­
2
turen in den kulturellen Feldern. Eine für französische Verhältnisse so grundlegende Wendung in der
Frage der religiösen Erziehung ist überhaupt nur vorstellbar auf der Grundlage einer in jeder Hinsicht
überzeugenden Argumentation: die Kulturgeschichte, die Literatur ebenso wie die Kunst und Architektur
Europas sind ohne religiöses Grundwissen nur oberflächlich zu verstehen. Diese bildungspolitische Posi­
tion hat ebenso Bedeutung für Deutschland und schließt ein grundlegendes Wissen über den Islam ein.
Der zweite Begründungszusammenhang stammt aus dem rechtlichen Kontext. Nicht im Schulrecht,
sondern an sehr prominenter Stelle, durch den Artikel 7 GG werden die wesentlichen Bezugspunkte für
die religiöse Erziehung der Schüler festgehalten. In der Reihenfolge der Nennung handelt es sich um
3
folgende Bezugspunkte:
- die generelle Aufsicht des Staates
- das Recht der Erziehungsberechtigten
- Religionsunterricht als ‚ordentliches Lehrfach’ in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der
Religionsgemeinschaften.
Das Recht auf eine religiöse Bildung für Muslime, wie es für christliche und jüdische SchülerInnen
4
verwirklicht wird, ist darüber hinaus durch das Verfassungsgebot der ‚Neutralität’ des Staates geschützt.
Ferner hat das seit dem Jahr 2000 wirksame neuen Staatsangehörigkeitsrecht eine grundlegend neue
Entwicklung zur Folge: ab 2006 fehlen die vielen ‚ausländischen Schüler’. Es werden vornehmlich
deutsche SchülerInnen unterschiedlichen Glaubens oder weltanschaulicher Haltung die Schulen
besuchen. Dieser Wandel erfordert eine neue Einstellung, die meine erste These begründet.
1.1 These der Einleitung
In der Frage der religiösen Erziehung geht nicht weiter die fremden Anderen, um Ausländer oder
„Türken„. Es handelt sich nicht um die Verlängerung des muttersprachlichen Unterrichts oder die Pflege
von Identitäten ‚ausländischer Kinder’ im Sinne der Herkunftsländer.
In der Frage der religiösen Erziehung für Muslime an öffentlichen Schulen geht es vielmehr um die
Verwirklichung der deutschen Verfassung, um eine allgemein gebotene religiös-weltanschauliche
Erziehung der in Deutschland heranwachsenden jungen Generation. Sie soll befähigt werden, die
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
52
europäische Kulturgeschichte zu verstehen, ihre eigene weltanschauliche Stellung in ihrer kulturellen,
sozialen und politischen Umwelt selbstbewusst zu gestalten. Wer heute für das Fach ‚islamische Religion’
plädiert, zielt auf eine überzeugende und gleichrangige religiöse und ethische Erziehung deutscher
SchülerInnen muslimischen Glaubens in öffentlichen Schulen, die durch einen partnerschaftlichen
interkulturellen Dialog geprägten werden.
Die religiöse Erziehung von Muslimen beinhaltet damit ein neues Beziehungsverhältnis zwischen den
Gruppen und Unterrichtsfächern, dem christlichen Religionsunterricht und dem Fach Ethik und Normen.
An Stelle des Inländer-Ausländer-Verhältnisses, an Stelle der isolierten Pflege von Gruppen-Identitäten
geht es um den Dialog zwischen den Gruppen, die Kommunikation zwischen den Fächern und das
gegenseitige Verstehen von religiös geprägte Lebensformen in deutschen Städten und in Europa. Da in
der Europäischen Union jetzt schon von rund 20 Mio Muslimen ausgegangen wird, wird sich der Islam in
Europa auf Dauer etablieren und wohl auch eigenständig entwickeln. Dieser Islam wird sich von den
Lebensformen in den Herkunftsländern unterscheiden, dennoch eine authentische und auf das Leben in
Westeuropa eingestellte Form des Islam darstellen. Dieses können die Muslime im Prinzip nicht allein
leisten. Ebenso wenig kann die nichtmuslimische Umwelt die Vorgaben dazu allein schaffen. Dazu ist ein
kontinuierlicher politischer, kultureller und interreligiöser Dialog nötig. Eine religiöse Erziehung von
muslimischen SchülerInnen, in Übereinstimmung mit der Religionsgemeinschaft und ‚in staatlicher
Aufsicht’ verwirklicht, spiegelt eben dieses Dialogereignis.
Niemand hat die existentiell-anthropologische Relevanz des Dialogs prägnanter zum Ausdruck gebracht
als Martin Buber. In seinem Werk ‚Das dialogische Prinzip’ erklärt er den Dialog als principium, als
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Anfang im Sinne von Ursprung und Wesen der Selbstverwirklichung: „Der Mensch wird am Du zum Ich."
2.0 Ebenen des interkulturell-interreligiösen Dialogs
Bedingung und Aufgabe der religiösen Erziehung von Muslimen in öffentlichen Schulen stellt ein absolut
neues Unterfangen dar: hier ist nichts einfach zu importieren oder zu übertragen. Auch kann kein
bestehender Unterricht einfach mit islamischen Inhalten angereichert werden. Ebenso wenig würde es
ausreichen, wenn die islamische Glaubensgemeinschaft aus ihren ebenso vielfältigen wie erzieherisch
unterschiedlichen Herkunftstraditionen heraus den Religionsunterricht vorweg definieren wollte. Eine
Selbstfindung, die über Selbsttäuschungen hinaus verlässliches Formen gemeinsamen Handelns
begründet, kann nur im Spiegel der anderen gelingen. Noch prägnanter bringt Max Frisch das
interdependente Beziehungsverhältnis von gelungener Kommunikation zum Ausdruck: „Jeder Versuch,
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sich mitzuteilen, kann nur mit dem Wohlwollen der anderen gelingen."
2.1 Islamischer Religionsunterricht als Dialog-Ereignis
Zweite These:
Die Einführung eines Fachs islamische Religion stellt ebenso wie die Ausbildung islamischer
ReligionslehrerInnen ein Dialogereignis dar: es hat einen Dialog auf mehreren Ebenen zur Bedingung
und zielt auf eine dialogisch konzipierte religiöse Erziehung in Westeuropa.
Es geht um das wichtigste Gut jeder Gesellschaft, die Kinder als nachwachsende Generation, um ihre
weltanschauliche, ethische und religiöse Orientierung. Es geht um ihre Befähigung, sich gegenseitig zu
7
achten, einander zu verstehen und gemeinsam die Berufswelt zu gestalten. Wie jede religiöse und
ethische Erziehung auf den Islam eingehen muss, wird auch der islamische Religionsunterricht auf die
deutsche Umwelt, die Lehrerbildung auf die deutsche Schule abgestimmt sein müssen. Er kann diese
Funktion nur erfüllen, wenn er in Deutsch stattfindet. Seine Konzeption, die entsprechende Lehrerbildung
8
hat einen Dialog auf unterschiedlichen Ebenen zur Bedingung, die ich hier nur aufrufen kann:
2.2 Ebenen des Dialogs
Nur gemeinsam sind die neuen Strukturen, Curricula und Formen der religiös-weltanschaulich Erziehung
für Muslime in Westeuropa zu erarbeiten. Die entscheidenden Ebenen des Dialogs sehe ich in folgenden
Feldern:
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
53
-
die politische Ebene der öffentlichen Meinungsbildung in Deutschland
-
im Blick auf die Anerkennung der dauerhaften Präsenz des Islams im Westen und die Wahrnehmung
9
der Muslime als ‚normaler’ Teil der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens;
-
die Verwaltungs-Ebene des Bildungswesens in den Ministerien der Länder
-
im Blick auf die Einlösung des Grundgesetzes und der Neutralitätspflicht des Staates auch im
Verhältnis zur Religionsgemeinschaft der Muslime,
-
die wissenschaftlich-universitäre Ebene;
-
im Blick auf die Einrichtung und Anerkennung entsprechender Studiengänge, im interdisziplinären
Verhältnis zu den Theologien, zu den Bezugswissenschaften Pädagogik, Fachdidaktik und
Religionswissenschaft;
-
die Generationen-Ebene des Gesprächs zwischen Eltern, Erziehern und Imamen einerseits und den
SchülerInnen, Schulen und LehrerInnen andererseits,
-
die nationale Ebene zwischen den Herkunftsländer einerseits, Deutschland und der Europäischen
Union andererseits;
-
last but not at least der interne Dialogs zwischen den Muslimen, ihren Gruppierungen und
Vereinigungen und Dachverbänden. Er ist in einer neuen und intensiven Form mit dem Ziel zu führen,
ebenso verbindliche wie verlässliche ‚Grundsätze’ der islamischen Religionsgemeinschaft im
Verhältnis zum Staat zu erarbeiten.
Ähnlich wie die Übereinstimmung mit der Religionsgemeinschaft der Übereinstimmung zwischen den
Muslimen bedarf, an der noch nachhaltig zu arbeiten ist, muss der genannte Dialog mit den Bezugs­
wissenschaften innerhalb der Universitäten eingeleitet werden, um die Inhalte und Didaktik der religiösen
Erziehung von Muslimen an deutschen Schule schrittweise in einer Form zu entwickeln, die mit den
Professionalisierungswissenschaften abgestimmt ist, die Vorgaben der universitären Lehrerbildung erfüllt
und der Rechtssprechung genügt. Auf keiner der genannten Ebenen findet bisher der nötige Dialog in
10
zureichender Form statt. Dennoch zeichnen sich neue Perspektiven, etwa im Land Niedersachsen, ab.
3.0 Qualitätskriterien für die Lehrerbildung im Fach ‚islamische Religion’
Mit dem neuen Fach im Sinne eines ‚ordentlichen Lehrfachs’ ist ein neues Konzept der Lehrerbildung zu
entwickeln, sind neue Wege zu beschreiten, die deutlich über die bisherigen Lösungen hinausführen:
a) Es geht nicht mehr nur um Islamkunde als Teil der Landeskunde im mutter-sprachlichen Unterricht,
nun allerdings in deutscher Sprache. Dieser Weg verlängert nur eine segregierende Ausländerpädagogik,
da dieser Unterricht durch besondere LehrerInnen, die immer an mehreren Schulen tätig sind und wie die
muslimischen SchülerInnen auch dort nur marginalisierte Positionen einnehmen können, vermittelt wird.
b) Es geht nicht um einen religionskundlichen Unterricht, Werte und Normen oder eine vorwiegend
ethische Erziehung bis hin zu LER (Lebensgestaltung, Ethik, Religion). Diese Konzepte erfüllen weder
die derzeitige Rechtsprechung nach 7.3 GG noch das Recht auf Gleichbehandlung der verschiedenen
Gruppen in öffentlichen Schulen (Neutralitätspflicht des Staates).
So pragmatisch dieser Weg für die schulische Organisation erscheint, so kostengünstig er den Ministerien
angeboten wird, so ist er doch keinem Bundesland zuzumuten, da auch dieser Weg Investitionen erfordert,
gleichzeitig aller Voraussicht nach in der Rechtsprechung keinen Bestand haben wird. Bisher ist keine
Religionsgemeinschaft damit einverstanden, religiöse Bildung auf den wichtigen, doch sekundären Bereich
einer normativ-ethischen Erziehung zu reduzieren. Hinzu kommt, dass nach einer Evaluation, die Michael
Tiedtke und Andreas Wernet in der Zeitschrift für Pädagogik veröffentlicht haben, das Fach LER weder
fachwissenschaftlich ausreichend begründet wurde noch als 'säkularisierten Prophetie' eine überzeugende
11
Alternative anstelle der Fächer Religion/Ethik anbietet (Tiedtke / Wernet 1998).
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
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c) Es geht schlechthin um das Fach ‚islamische Religion’ als ‚ordentliches Lehrfach’ in öffentlichen
Schulen. Dieses neue Fach kann nur dann im Vergleich zum christlichen Religionsunterricht und dem
Werte und Normen-Unterricht Anerkennung finden, wenn es von vergleichbar ausgebildeten LehrerInnen
in deutscher Sprache unterrichtet wird, die nicht nur dieses Fach unterrichten. Eine entsprechende
Lehrerbildung erfordert neue Strukturen und aufwendige Investitionen, die allerdings dann gerechtfertigt
sind, wenn sie folgende drei Bedingungen erfüllen:
1. Sie muss einen authentischen Islam repräsentieren, der die muslimische Glaubensgemeinschaft
überzeugt, also in Kernbereichen von islamischen TheologInnen ausgeführt werden.
2. Sie muss die wissenschaftlichen Kriterien der bestehenden Lehrerbildung erfüllen. Dies bedeutet,
LehrerInnen auszubilden, die in jeder Hinsicht dienstrechtlich gleichgestellt werden, als KollegInnen im
Lehrerkollegium akzeptiert werden, auch andere Fächer unterrichten und fachübergreifende Aufgaben
wie Klassenleitungen übernehmen können.
3. Sie hat die Aufgabe, im Blick auf den Islam in Europa dialogisch innerhalb eines interdisziplinären
und interkulturellen Netzwerks von Hochschulen LehrerInnen auszubilden und ihnen fundierte
Kenntnisse über die Lebenswelt in Westeuropa zu vermitteln.
Dieses Anspruchsniveau lässt sich erneut mit der Haltung des Dialogs, allerdings in seiner
ursprünglichen Bedeutung, zusammenfassen: Der so erfolgreiche griechische Begriff Dia-logos
(dia-logoV), der in die meisten Sprachen der Welt Eingang gefunden hat, bezieht sich weniger auf eine
verbale Interaktion im Sinne eines wechselnden Tausches von Zeichen zwischen mehreren Partnern. In
seinem ursprünglichen Wortsinn meint dieser Begriff das Wort und die Einsicht, die durch den Menschen
hindurchgeht (‚dia-‚ wie in ‚dia-metral’), ihn dabei verändert, ähnlich wie das Wort der Dia-gnose eines
Arztes den Angesprochenen verändert. Weit über den Informationsaustausch hinaus gestaltet der echte
Dialog das Verstehen des eigenen Konzepts neu, verändert das Verhältnis zur Umwelt und leitet die
eigene Selbstdefinition über die Antwort des anderen. Wer sich nach Martin Buber auf den Weg des
Dialogs begibt, verlässt nicht nur verdinglichte Es-Verhältnisse, sondern tritt fachlich, sozial und
existentiell in ein Verhältnis der Beziehung ein, ohne das der Mensch nicht zu leben vermag: „Es gibt kein
12
Ich an sich, sondern nur das Ich des Grundworts Ich-Du und das Ich des Grundworts Ich-Es."
4.0 Master-Studiengang für das Fach ‚islamische Religion’
13
Seit dem Jahr 2000 unterstützt der Präsident der Universität Osnabrück, Herr Kollege Rainer Künzel,
meinen Vorschlag, einen Studiengang einzurichten, durch den nach den genannten Kriterien LehrerInnen
für das Fach ‚islamische Religion’ ausgebildet werden sollen. So neu das Vorhaben auch ist, angesichts
der drängenden politischen, kulturellen und sozialen Entwicklung muss zu einer Haltung des ‚beginners
mind’ gefunden werden, die im Blick auf den Ursprung die wesentlichen Dinge ins Auge fasst.
Vergleichbar erscheint mir das Wirken von Franz Kafka, der aus der Not und Inspiration des
‚Interkulturellen’, der er war, der deutschen Literatur neue Wege in die Moderne gewiesen hat. Eben von
ihm stammt der programmatische Satz:
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht."
4.1 Aufbau des Master-Studiengangs
Der einzurichtende MA-Studiengang „Lehramt islamische Religion“ ist durch folgende Merkmale
gekennzeichnet:
a) zwei Jahre Studium an der Universität Osnabrück (in Kooperation mit in- und ausländischen
Partnerhochschulen),
b) fachliche Ausbildung für das „Lehramt islamische Religion“ als zweites oder weiteres Fach für
Studierende, die schon die Befähigung für ein Lehramt im Grund-, Haupt- und Realschulbereich
besitzen oder bereits unterrichten.
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
55
c) geplanter Studienbeginn soll das Studienjahr 2005/06 sein, so dass erste Abschlüsse Juli 2007
erwartet werden können.
Der Master-Studiengang setzt Arabisch-Kenntnisse voraus und entfaltet sie. Er wird an der Universität
Osnabrück in Kooperation mit der Universität Hannover und Erfurt angeboten. Schwerpunkte des
Studiengangs sind das Studium der islamischen Theologie mit Schwerpunkt Europa, der Fachdidaktik,
der (interkulturellen) Pädagogik und Schulpädagogik. Hinzu kommen die Lehrbereiche Psychologie und
vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt 'Islam'. Der Studienanteil 'Religions­
wissenschaft mit Schwerpunkt Islam' wird als Lehrmodul durch das Seminar für Religionswissenschaft
(Prof. Drs. Peter Antes) an der Universität Hannover angeboten. Der Studienabschluss wird durch eine
Master-Arbeit zu einem Kernstudienbereich eingeleitet. Er soll äquivalent zum 1. Staatsexamen für das
Grund-, Haupt-, Realschule-Lehramt im Fach "Islamische Religion" anerkannt werden.
4.2 Curricular-modulare Bestimmung des Studiengangs
Durch den Studiengang sollen nach dem Osnabrücker Modell der Lehrerbildung LehrerInnen ausgebildet
werden, die in der Grundschule und in der Sekundarstufe I der Haupt- und Realschule eingesetzt werden
können. Eben in diesen Schulstufen ist der Bedarf an ReligionslehrerInnen am größten und religions­
pädagogisch am dringlichsten. Der Studiengang soll die curricularen Rahmenvorgaben der aktuell
gültigen Lehrerbildung im GHR-Bereich erfüllen.
Der MA-Studiengang ist durch folgende Lehrmodule gekennzeichnet:
1. Fachwissenschaften (islamische Theologie und Religionswissenschaft)
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mit 40 Semesterwochenstunden
2. LehrerInnen-Professionalisierung (Fachdidaktik, Pädagogik und Schulpädagogik, Psychologie
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und interkulturelle Pädagogik) mit 22 Semesterwochenstunden .
"Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Islam in Europa" steht für das Wahlpfichtfach nach PVO
Lehr I. In diesem Lehrbereich wird in die unterschiedlichen Ausprägungen des Islam nach Sunniten ­
Schiiten - Aleviten und deren Organisationsstruktur in Westeuropa eingeführt. Angesichts des neuen
Feldes der islamischen Religionsdidaktik in Deutschland sind die Anteile des Didaktik-Studiums erhöht
worden.
Für das Studium in Osnabrück kommt den interkulturellen Dialogkompetenzen, die durch ein jährlich
tagendes 'Forum des interreligiösen Dialogs' zu verwirklichen sind, eine entscheidende Rolle zu.
Dieses Forum hat zudem die Aufgabe, ein interdisziplinäres Netzwerk der Forschung aufzubauen und in
internationaler Kooperation wissenschaftliche Projekte zu initiieren.
4.3 Planungsbedarf
An dieser Stelle sollen die Erwartungen, die sich aus den bisherigen Planungsgesprächen ableiten, nur
aufgelistet werden, da über die Genehmigung und Stellenbeschreibung an anderen Orten entschieden
wird. Da der Studiengang vom Fachbereich "Erziehungs- und Kulturwissenschaften" angeboten wird, sind
die beantragten Stellen diesem Fachbereich zuzuordnen.
a) Koordinationsstelle BAT zum Aufbau und Pflege des Hochschulnetzwerks
b) Zwei Junior-Professuren
- W1-Professur für die 'Didaktik des islam. Religionsunterrichts in Deutschland'
- W1-Professur für das Lehrgebiet ‚Islamische Theologie /Schwerpunkt Europa‘
Beide Professuren sollen ab 2003 als Juniorprofessuren eingerichtet werden, um die damit verbundenen
neuen Lehrgebiete an der Universität Osnabrück fachlich aufzubauen. Ab 2008/09 sollen diese Stellen
als W3-Anschluss-Professur für islamische Religionsdidaktik und als W2-Professur für Islam in Europa
besetzt werden.
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
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c) Zwei Dozenturen:
- Islamische Religions- und Kulturgeschichte, islamische Philosophie
- Islamische Ethik und Rechtsauslegung, Moral und Normen
d) Zwei Lektorate:
- Koran-Rezitation, Gebetspraxis
- Arabisch
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4.4 Forschungsaktivitäten und Kooperationen
Über das Hochschulnetzwerk hinaus sollen durch folgende Maßnahmen wissenschaftliche
Handlungsfelder für Forschungsaktivitäten, interdisziplinäre Projekte und den international-interkulturellen
Austausch geschaffen werden:
- Sommerakademien / Intensivkurse:
‚Islamische Religionspädagogische Akademie’, Wien; Universitäten in der Türkei
Die Studierenden sollen im Rahmen ihres Studiums an zwei Lehrveranstaltungen dieser Art teilgenommen
haben. Die Sommerakademien haben die Aufgabe, einen kontinuierlichen wissenschaftlichen Dialog
zwischen den DozentInnen der Partnerhochschulen aufzubauen. Sie laden ferner dazu ein, dem
islamischen Kulturkreis zu begegnen, die sprachlichen, philosophischen und kulturellen Traditionen im
Herkunftsland zu studieren. Wer eine Tradition überzeugend fortentwickeln möchte, muss das auf der
Basis der Tradition leisten, indem er die Quellen dieser Tradition studiert, um sie in neuer Form zu
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entfalten, empfiehlt Mohammad Khatami, der Präsident der Islamischen Republik Iran.
- Regelmäßige Tagungen im „Forum des interreligiösen Dialogs“
Fachwissenschaftliche Konferenzen, die international und interdisziplinär ausgerichtet werden, öffnen den
Blick für den Islam als Weltreligion und die vielschichtige Relevanz dieser Religion für die
Humanwissenschaften generell.
- Wissenschaftliche Rahmenbedingungen vor Ort
Die Universität bietet fachliche Rahmenbedingungen, die für die wissenschaftliche und methodische
Vertiefung der Studienmodule von einschlägiger Bedeutung sind:
- Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS)
- Zentrum für Lehrerbildung
- Evangelische und katholische Theologie mit ihren Religionsdidaktiken
- Institut für Europäische Studien
- Professuren für Interkulturelle Pädagogik und Pädagogik/Frauenforschung
Eingebettet in diesen breiten Kontext eines ebenso fachspezifischen wie interdisziplinär-internationalen
Blickwinkels erscheint es möglich, LehrerInnen für das Fach ‚islamische Religion’ auszubilden, die nicht
nur ihren KollegInnen in den etablierten Fächern Religion und Ethik gleichzustellen sind, sondern als
Mehrfach-LehrerInnen auch allgemeine pädagogische Aufgaben übernehmen können. Sie bestätigen
durch ihre normale Präsenz im Schulalltag und ihre allgemeine Verantwortung die Normalität und
Zugehörigkeit auch der muslimischen SchülerInnen in diesen Schulen.
4.5 Präliminarien des Projekts
Die Verwirklichung des vorgeschlagenen Konzepts geht von zwei Präliminarien aus, die für die den
interkulturellen Dialog in diesem Feld konstitutiv sind. Ich rufe sie abschließend kurz auf.
Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen
Forum 2. Islam in der Lehrerbildung
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Dialog in gegenseitiger Achtung und Distanz
Das Projekt stellt ein Dialogereignis auf unterschiedlichen Ebenen dar. Alle Beteiligten lernen vonein­
ander, können das Projekt nur gemeinsam verwirklichen. Die nötige Partnerschaft auf gleicher Augen­
höhe erfordert allerdings auch ein Moment der Distanz, da es um Dinge geht, die in ihrem Kernbereich
nur ein Partner als existentiell letztlich entscheidend oder als heilig betrachtet und ihnen mit entsprechen­
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der Ehrfurcht begegnet. Dieser Sachverhalt erfordert eine dialogische Haltung, die bedeutet, dass
beide Partner nicht gleichermaßen alle Felder sich selbst ‚aneignen’, nicht alle Gegenstände gleicher­
maßen zu funktional verfügbaren, operativen Objekten erklären. An die Stelle einer distanzlos verding­
lichten Betrachtung sollte die Aufmerksamkeit für den nicht austauschbaren Vollzug des Umgangs, etwa
mit den als heilig angesehenen Schriften, treten. Sie entstammt einer persönlichen Haltung der Dialog­
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partner, die vielfach nicht die eigene ist und entsprechend von außen nicht nachzuvollziehen ist. Diese
Distanz spiegelt sich daher im Respekt vor den Kerninhalten der Religionen und einer hohen Achtsamkeit
für die Haltung der jeweiligen Partner. Sie ist Bedingung für das Gelingen des interreligiösen Dialogs.
Religiöse Bildung als mentale Orientierung
Die Wahrnehmung und Orientierung in der Welt im Sinne von Religion ereignet sich im Kopf der
Menschen, die zusammen mit anderen Menschen diese Lebensform verbindlich leben. Unsere Wirk­
lichkeit ist eine mentale, konstruktiv hergestellte, denn Kognition und damit Orientierung entsteht im Kopf
des Menschen. Dies hat nach der Schule des Konstruktivismus nicht mit Einbildung zu tun, da es keinen
Vergleichspunkt gibt: nichts steht uns schlechthin als Objekt gegenüber, alle Wahrnehmung ist Ergebnis
20
unserer Verarbeitung dessen, was uns unsere Sinnesorgane an ‚perturbierenden’ Eindrücken liefern.
Kaum ein Lebensbereich hat wie der religiöse immer schon und in allen Religionen die Relevanz der
inneren Wahrnehmung betont, sie zum eigentlichen Kriterium für das, was zu tun und zu lassen sei,
erklärt. Konzepte von Gewissen und Verantwortung, Güte und Heil sind übergreifende Leitkonzepte
religiöser Orientierung aller Religionen. Der Begriff der Bildung, mit dem ich meinen Beitrag einleitete und
der im christlichen Umfeld der mittelalterlichen Mystik entwickelt wurde, ist ein Beispiel für die Ent­
deckung der inneren Wahrnehmung als Kriterium für die Würde der Person, die Entfaltung ihrer Anlagen
und verantwortlich-personales Handeln. Innere Wahrnehmung als Orientierung kommt nach der neueren
Lernpsychologie nicht nur von innen, sie wird dort aus der körperlichen Konstitution, der eigenen
Biographie und den Erfahrungen mit der gegebenen Umwelt gelernt. Die Schule des Konstruktivismus
hat daher eine doppelte Bedeutung:
Religiöse Bildung, insofern sie Orientierung anbietet und zur Verantwortung befähigt, muss in die
familiäre, die soziale und religiöse Umwelt des Lernenden eingebettet sein. Dies empfiehlt nicht nur die
Übereinstimmung der religiöser Erziehung mit der Religionsgemeinschaft, daraus leitet sich auch die
nötige Abstimmung des Religionsunterrichts auf die gegebene soziale, kulturelle und weltanschauliche
Umwelt ab. Jeder Mensch ist in allen seinen mentalen Aktivitäten auf die sozial-kommunikativen
Beziehungen zur Umwelt angewiesen, kann die Bedeutung religiöser Orientierung nur innerhalb dieser
Interaktionen erkennen und selbst entfalten.
Religiöse Erziehung als Orientierung in der Welt bewährt sich zweitens an der Fähigkeit, gemeinsam mit
anderen die gegebene Umwelt konstruktiv herzustellen, ihre Vorgaben über Orientierung mit anderen zu
beantworten, sie selbst zu verantworten. Nichts bleibt, wie es ist, da es kein Objekt mehr gibt, alles
gestaltet werden muss, um Teil menschlicher Wahrnehmung zu werden, gibt es auch keinen Weg, die
Welt nicht täglich neu kognitiv herzustellen. Die Frage ist nur, ob man sie gemeinsam mit anderen
destruktiv oder konstruktiv gestaltet. Maturana und Varela kommen als Neurobiologen am Ende ihrer
Einführung in den Konstruktivismus zu dem erstaunlichen Schluss, das Konzept der ‚Liebe’ aufzurufen,
das alle großen Religionen in die Mitte ihrer Karte der Orientierung gestellt haben:
„Wir haben nur die Welt, die wir zusammen mit anderen hervorbringen,
und nur Liebe ermöglicht uns, diese Welt hervorzubringen."
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