Umweltmedizin - Nacht- und Schichtarbeit Fakten und Perspektiven
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Umweltmedizin - Nacht- und Schichtarbeit Fakten und Perspektiven Was ist Nacht- und Schichtarbeit? - - Nachtarbeit: o Jede Arbeitszeit zwischen 23 und 6 Uhr, die länger als 2 Stunden dauert o Nachtarbeitnehmer sind Mitarbeiter, die mindestens an 48 Tagen im Jahr Nacht- oder Wechselschicht leisten Schichtarbeit: o Ist Arbeit zu wechselnden Tageszeiten oder zu konstanter, aber ungewöhnlicher Tageszeit Wie hat sich Nacht- und Schichtarbeit entwickelt? Beispiel England: Industrialisierung: Fabrikbesitzer beschäftigen arme oder verwaiste Kinder 1802: Health and Morals of Apprentices Act Gesundheits- und Sittlichkeitsgesetz für Auszubildende Tägliche Arbeitszeit festgesetzt auf 12 Stunden Nachtarbeit verboten 1819: Neues Gesetz Altersgrenze (9Jahre) für Aufnahme in Fabriken Nachtarbeit verboten 1831: Nachtarbeitsverbot für 9- bis 21-Jährige Beispiel Deutschland: 1839: Gesetz in Preußen: keine Kinderarbeit unter 10 Jahren Ziel: gesündere Rekruten zu finden 1853: Mindestalter für Fabrikarbeit: 12 Jahre 1891: Reichsgesetzliches Arbeitsschutzgesetz Verbot der Nachtarbeit von Frauen „aus Rücksicht der Gesundheit und des Familienlebens“ 1938: Arbeitszeitordnung [AZO] 01.07.1994 Arbeitszeitgesetz [ArbZG] Ziel: „Verbesserung des Gesundheitsschutzes für die Beschäftigten, insbesondere die Nacht- und Schichtarbeit“ Kinderarbeit – Situation heute - 250 Millionen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren leisten Kinderarbeit Im globalen Mittel gehen von 100 Kindern aus dieser Altersgruppe 20 einer Erwerbstätigkeit nach o Davon 10 stundenweise o Und 10 ganztags Wie viele Erwachsene sind von Nacht- und Schichtarbeit betroffen? Industrialisierte Welt: 20% der Bevölkerung arbeitet zwischen 17:00 und 5:00 Uhr Deutschland: etwa 7% der Arbeitnehmer arbeiten nachts Im Jahr 2000: 2,67 Millionen Menschen Schichtarbeit in der Krankenpflege Bei Pfelgekräften sind Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit die Regel - Wechselschicht mit Nachtdienst Wechselschicht ohne Nachtdienst Dauernachtdienst Kein Schichtdienst 54% 23,2% 8,4% 14,4% Unfälle/Katastrophen durch Nacht- und Schichtarbeit? 15.April 1912 00:12 Uhr Die Titanic sinkt 28. März 1979 04:00 Uhr Three Mile Island in Pennsylvania: Bis dahin schwerster Zwischenfall eines Kernkraftwerks, als als es im Reaktorblock zu teilweisen Kernschmelze kam. Ursachen: - schlechte Ausstattung des Kontrollraums - unzureichende Ausbildung der Mitarbeiter - „Schichtkomplikation“ 26. April 1986 01:23 Uhr Reaktorkatastrophe mit katastrophaler Kernschmelze und Explosion im Kernreaktor Tschernobyl Block 4 Schwere Betriebsfehler der Betreiber der Anlage, die genau die Prozeduren missachteten und die Sicherheitssysteme abschalteten, die den sicheren Betrieb gewährleisten sollten 24. März 1989 00:04 Uhr Exxon Valdez Schlimmste Ölkatastrophe der Seeschifffahrt durch einen Öltanker, der im Prinz-WilliamSund im Nordosten der USA auf Grund lief Welche gesicherten Gesundheitsprobleme gibt es? - Schlafstörungen - Funktionelle gastro-intestinale Beschwerden - Langfristig erhöhte Risiken für Herz-Kreislauferkrankungen insbesondere KHK - Psychovegetative Störung - Störungen des sozialen Lebens - Leistungsfähigkeit ↓ Unfälle ↑ Was sind die Ursachen für die Gesundheitsprobleme? - Synchronisation des individuellen circadianen Rhythmus auf den 24 Stunden „Tag“ durch Zeitgeber = Hell-Dunkel-Wechsel, soziale Kontakte, Kenntnis der Uhrzeit Aufgrund dieser Einflüsse ist eine vollständige physiologische Anpassung an Schichtarbeit fast nicht möglich Die antizyklische Schichtarbeit kann zu Störung von Beziehung und Aktivitäten führen Nur wenige Nachtarbeiter erreichen eine vollständige Resynchronisation der physiologischen Rhythmen mit dem Schlaf-Wach-Wechsel Der Zeitbedarf für eine vollständige Anpassung beträgt – ähnlich wie bei „ZeitZonenflügen“ – circa einen Tag für jede Stunde, um den der Schlaf-Wachwechsel verschoben wurde. Bei der Verschiebung um acht Stunden dauert es also circa 8 Tage, bis die Anpassung erfolgt ist. CAVE: große interindividuelle Unterschiede Welche Regelungen gibt es? Arbeitszeitgesetz: Mindestruhezeit 11 Stunden Anspruch auf 3-jährliche arbeitsmedizinische Untersuchung Mutterschutzgesetz: keine Beschäftigung von werdenden und stillenden Müttern zwischen 20 und 6 Uhr Ausnahmen: Erste 4 Schwangerschaftsmonate, Gastwirtschaften (22 Uhr), Künstlerinnen (23 Uhr), Landwirtschaft (ab 5 Uhr) Jugendarbeitsschutzgesetz: keine Beschäftigung zwischen 20 und 6 Uhr Ausnahmen: Bäckerei ab 5 Uhr bzw. bei 17-jährigen ab 4 Uhr Gaststätte bis 22, Landwirtschaft bis 21 und ab 5 Uhr Die Kernfrage... Kann es Ursächliche Verbindungen zwischen Licht, Zeit, Nacht und Schichtarbeit und Krebs geben? Die Antwort... Ja! Weitere Fragen... Licht und Sehen? Licht und Zeit? Licht und Krebs? Wie können wir die Wirkung der ubiquitären Exposition Licht untersuchen? Nacht- und Schichtarbeit und Krebs? Licht und Sehen... eine längere Chronologie 1684 Zapfen und Stäbchen werden beobachtet - Leeuwenhoek Danach Wissenschaftler untersuchen Geheimnisse der Farben, des Sehens und des Lichtes 1967 Nobelpreis für Granit, Hartline und Wald: Aufklärung der Physiologie des Sehens Die „Kausalkette“ von Licht und Sehen... Stimulus Licht Rezeptor Zapfen und Stäbchen in der Retina Neuronale Verbindung Optische Nervenbahnen Effektor Sehrinde im Großhirn Effekte Seheindrücke Rhodopsin = Sehfarbstoff in Stäbchen Iodopsin = Sehfarbstoff in Zapfen Chiasma opticum, Tractus opticus Und, wie sehen wir...? Erklärung des Nobelkomitees mit Picassos Maltechnik - Wie bei einer Kamera wird auf der Retina ein Bild der Welt erstellt Das Bild, das auf ein Mosaik von Photorezeptoren fällt, wird in Formen, Konturen und Farben zerlegt, da die unterschiedlichen Rezeptoren auf verschieden Teile des Bildes reagieren. Die Primärinformationen werden dann im neuronalen Netzwerk zusammengeführt und dies beinhaltet sowohl Additionen als auch Subtraktionen von Bildelementen. An der „Kausalkette“ von Licht und Sehen ...besteht also Aber... kein Zweifel Gibt es eine Kausakette zwischen Licht und Zeit? Licht und Zeit... eine kürzere Chronologie 90-er Jahre „Neue“ Photorezeptoren werden entdeckt danach Wissenschaftler untersuchen die Schlüsselrolle der „neuen“ Rezeptoren für die zeitliche Organisation unserer Physiologie heute Erwartung: die „neuen“ Rezeptoren und die nachgeschalteten Wirkungen beeinflussen den Schutz vor –bzw. die Empfindlichkeit fürKrebserkrankungen - Science 2002 Durchbruch des Jahres: .... Die Entdeckung neuer Rezeptoren in der Retina .... „Forscher habe in diesem Jahr den Jackpot geknackt und herausgefunden, wie Lciht die innere Uhr stellt, die unser tägliches Verhalten und unsere Physiologie steuert.“ Wie kam es zu diesem Durchbruch? Positive Ergebnisse sind eine Folge des Zweifelns, ob alles, was gelehrt wird, auch wirklich stimmt. - Feynman, 1966 Biologische Rhythmen beim Menschen... Zeit Leistung 4:00 – 6:00 ↓ Körpertemperatur ↓Konzentration ↓ Tiefschlaf ↓Urinproduktion ↑ Geburt (natürlich) Krankheit ↑ Magengeschwürkrisen ↑ plötzlicher Kindstod ↑ Asthma Biochemie ↑ ACTH ↑ FSH ↑ LH ↑ TSH ↑ Blutzucker ↑ Melatonin Die innere Uhr und der Zeitgeber Licht... 1938 Kleitman und sein Student Richardson lebten 32 Tage in Mammoth Cave – ein Ort, der weder Tag noch Nacht kannte – Messgrößen waren die Körpertemperatur und „akademische Leistungsparameter“ Ergebnis: „es gibt eine innere Uhr, die nicht fest programmiert ist“ 1960 Im Rahmen der „Bunkerversuche“ am Max-Planck Institut in Andechs wurde dann gesichert, dass Licht der entscheidende Zeitgeber ist für rhythmische physiologische Vorgänge. Wie kam es zu dem Wissenschaftsdurchbruch in den letzten Jahren? Seit langem war also gesichert, das Licht der entscheidende Zeitgeber ist für rhythmische physiologische Vorgänge Mitte der 90-er Jahre stellten Wissenschaftler die Folgenden Fragen: Sind es - Zapfen und/oder - Stäbchen und/oder - andere „Strukturen“ die für die so genannte Photorezeption und Phototransduktion verantwortlich sind? Experimentelle Studien seit 1998 Stäbchen Zapfen ++ ---++ ---- ++ ++ ------- Photorezeption + transduktion Ja Ja Ja Ja Wo und was ist der "neue" Rezeptor .. ? Wo? Was? - kein PCandidat unter dem Mikroskop - in der inneren Retina und / oder - in der 3. Schicht" 1998 Opsin-Gen wird im Auge von Lachsen entdeckt ähnlich wie — aber anders als — Rhodopsin und Iodopsin „neues“ 2000 ein äquivalentes Opsin wird in zahlreichen Säugetieren gesucht.. .... und Melanopsin in spezifischen Ganglienzellen [„3. Schicht“] gefunden Die Suche nach den „neuen“ Photorezeptoren in Säugetieraugen Stäbchen & Zapfen ++ ------++ Melanopsin ++ ---++ ---- Photorezeption + transduktion Ja Nein Ja vermindert Erkenntnisstand vor wenigen Jahren Was man zu sehen erwartet, wenn... Zapfen nein Stäbchen nein Licht ja Die Kausalkette von Licht und Zeit... Licht ↓ Lichtpigmente („Zeitrezeptoren“) ↓ Suprachiasmatische Nuclei [SCN] Generalschrittmacher für das komplexe Zusammenspiel unserer Organe ↓ Zirbeldrüse [Epiphyse]: Melatonin ↓ Generalzeit des SCN „stellt“ die Uhren, die es fast in jeder unserer Zellen gibt Licht und Krebs? Licht-bei-Nacht ↓ ↓ Melatonin ↓ ↓ ↑ Brustkrebsrisiko ↑ Melatonin Wirkungen Indirekt: Eine Uhr und ein Kalender Ein Zeitbote Direkt: Eine Vielzahl von Einflüssen auf die molekulare Architektur von Krebsentwicklung Was machen Krebszellen? ... senden selbständig Wachstumssignale ... ignorieren Anti-Wachstumssignale ... vermieden Apoptose (programmierten Zelltod) ... replizieren sich ohne Grenzen ... fördern die Bildung von Blutgefäßen ... breiten sich durch Invasion und Metastasen aus Kann Melatonin - als "Dunkelheitshormon" — die Hallmarks of Cancer beeinflussen? Hat Melatonin Wirkungen auf Wachstumssignale? Anti-Wachstums-Signale? Apoptose? das replikative Potential? Angiogenese? Gewebeinvasion und Metastasierung? Ja Ja Ja Ja Ja Ja Dass Licht die Entwicklung von Krebserkrankungen beeinflussen kann... ... erscheint also biologisch plausible Aber... Gelten die Ergebnisse auch beim Menschen? [cave: v.a. Tierexperimente] Vorsicht... „der Mensch ist keine große Ratte...“ Das Problem Wie kann man die Wirkungen der „ubiquitären“ Exposition Licht Epidemiologisch untersuchen? Hypothese und Folgerung Licht-bei-Nacht Dunkelheit Melatonin ↓ [!!!!!] Melatonin ↑ [!!!!!] Brustkrebs ↑ [????] Brustkrebs ↓ [????] ↓ ↓ ↓ ↓ Vorhersagen für ,,4 Risikogruppen" bei Gültigkeit der Melatonin-Hypothese und der logischen Folgerung... Licht [-bei-Nacht] ,,fördert Krebs" Dunkelheit ,,schützt vor Krebs" Untersuchungskollektive Schichtarbeiter / Innen Flugbegleiter / Innen Blinde Arktisbewohner Risikogradient durch Geographie Studienergebnisse Ja Ja Ja Ja ? Nacht- und Schichtarbeit Arbeitszeitgesetz seit 01.01.2004 Nachtarbeitnehmer [Arbeitszeit zwischen 23 und 6 Uhr, die länger als 2 Stunden dauert] sind berechtigt, sich vor Beginn der Beschäftigung und danach in regelmäßigen Zeitabständen von nicht weniger als drei Jahren arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Nach dem 50. Lebensjahr steht Nachtarbeitnehmern dieses Recht in Zeitabständen von einem Jahr zu. Die Kosten der Untersuchungen hat der Arbeitnehmer zu tragen. Die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeiter ist nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen .... festzulegen. Thesen aus der Arbeitsmedizin Schichtarbeit ist... ein „Experiment...“ eine „Graue Box...“ ein wichtiger Forschungsansatz... und auch eine Forschungschance... Schichtarbeit wird möglicherweise ein berufsgenossenschaftlicher Grundsatz für Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen werden. Bin BG-Grundsatz Schichtarbeit? Bestimmung des Chronotyps Frühaufsteher = Lerchen versus Langschläfer = Eulen Anamnese von prädisponierenden Expositionen und Krebserkrankungen Versicherter, Geschwister. Eltern, Großeltern Cave: Umgang mit krebserzeugenden Gefahrstoffen Arbeitsmedizinische Beurteilung und Beratung erweitern Lichtapplikation um innere Uhr schneller auf Schichtdienst zu stellen Melatoningabe um innere Uhr schneller auf Schichtdienst zu stellen
