Nadja Lobner - Uni Salzburg

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WORKING PAPERS
11
facing poverty
Politikwissenschaftliche
Erkundungen zur Macht
des Armutsdiskurses
Nadja Lobner
University of Salzburg/Austria
Poverty Research Group
FWF (AUSTRIAN SCIENCE FUND):
RESEARCH PROJECT Y 164
Mai 2005
“Facing Poverty” is the Series of Working Papers
of an interdisciplinary research group.
Editor: Clemens Sedmak
We are focussing on
(a) interdisciplinarity in poverty research and the effort to establish
poverty research as a genuine discipline
(b) bridging the gap between academic research and humanitarian
practice, between university and NGOs.
These Working Papers are intended to be points of reference for discussion:
“Administrative and bureaucratic practice has disseminated the terms ‘working
papers’ or, notably in American idiom, ‘position papers’. These terms could be useful
in defining a certain stage and style of ni tellectual argument. A ‘working’ or a
‘position’ paper puts forward a point of view, an analysis, a proposal, in a form which
may be comprehensive and assertive. It seeks to clarify the ‘state of the art’ at some
crucial point of difficulty or at a juncture from which alternative directions can be
mapped. But its comprehension and assertiveness are explicitly provisional. They aim
at an interim status. They solicit correction, modification, and that collaborative
disagreement on which the hopes of rational discourse depend. A ‘working paper’, a
‘position paper’, is one which intends to elicit from those to whom it is addressed a
deepening rejoinder and continuation.” (George Steiner)
In this sense, we would be grateful for any comments and feedback.
Contact:
Prof. Clemens Sedmak
Poverty Research Group, University of Salzburg
Department of Philosophy
Franziskanergasse 1, A – 5020 Salzburg, Austria/Europe
[email protected]
Please visit our homepage: www.sbg.ac.at/phi/projects/theorien.htm
Working Papers, University of Salzburg, Poverty Research Group
ISSN 1814-1021
Politikwissenschaftliche Erkundungen zur Macht des
Armutsdiskurses
Nadja Lobner
1. Reden/Schreiben über Armut und diskursive Macht ................. 5
1.1. Does Analysis matter? ................................................................................... 6
1.2. Diskursanalytische Methoden in der Politikwissenschaft .................... 8
1.3. Ansätze der Diskursforschung .................................................................... 9
1.3.1. Wissensorientierte Ansätze .................................................................... 13
2. Die Produktion von Wissen über Armut ......................................... 17
2.1. Praxis der Armutsberichterstattung ......................................................... 17
2.2. Fallbeispiel 1: Die „Karriere“ eines Armutsberichts
am Beispiel des Salzburger Frauenarmutsberichts 2002 .................... 22
2.3. Zwischenresümee ......................................................................................... 29
3. Die Rahmung von Armut ....................................................................... 33
3.1. Rahmenanalyse politischer Diskurse ....................................................... 33
3.1.1. Zum Forschungsprozess ........................................................................ 35
3.2. Was die politische Rahmenanalyse für die Armutsforschung
leisten kann ..................................................................................................... 39
3.3. Fallbeispiel 2: Jugendliche schreiben über Armut .............................. 43
3.4. Zwischenresümee ........................................................................................ 50
4. Armut und soziale Kontrolle ................................................................. 51
4.1. Soziale Kontrolle .......................................................................................... 51
4.2. Soziale Kontrolle und Lebensstil ............................................................ 56
4.2.1. Sozialstruktur – Individualisierung - Disziplinierung .................... 59
4.2.2. Modernisierungsrisiken ........................................................................... 62
4.2.3. Armut und die Individualisierung sozialer Not ................................ 65
5. Schlusswort .................................................................................................. 69
6. Literatur ......................................................................................................... 70
Politikwissenschaftliche Erkundungen zur Macht des
Armutsdiskurses
Nadja Lobner
Das hier vorliegende Working Paper der Reihe facing poverty fasst Überlegungen bezüglich einer Anwendung einer politikwissenschaftlichen Diskursanalyse in der Armutsforschung zusammen. Gefördert wurden diese
theoretischen Vorarbeiten für meine Doktorarbeit mit einem sechsmonatigen Dissertationsstipendium des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur durch den Vizerektor für Forschung der Universität
Salzburg.
1. Reden/Schreiben über Armut und diskursive Macht
Die Verknüpfung von Diskursanalyse und Armutsforschung ist keine
„Neuerfindung“ und hat sich bereits in der Praxis der Armutsforschung
etabliert. Gearbeitet wird mit verschiedenen Ansätzen. 1 Auf der Suche
nach Armutsdefinitionen und -konzepten sollten Armutsforscher/-innen
dabei auch ihre Rolle in der Diskursproduktion reflektieren, indem sie sich
bewusst machen, dass sie nicht Wahrheit produzieren, sondern Aussageereignisse, die selbst Teil eines Diskurses sind.2 Dabei stellt sich die Frage,
1
2
Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang/Barlösius, Eva (2001), Die Armut der Gesellschaft, in:
Dies. (Hg.), 11–68; Bauer, Michael W. (2002), Limitations to Agency Control in European Union Policy-Making: The Commission and the Poverty Programmes, in: Journal
of Common Market Studies, 40 (3), 381–400; Nederveen Pieterse, Jan (2000), After
post-development, in: Third World Quarterly, 21 (2), 175–191; Berardi, Leda (2001),
Globalization and poverty in Chile, in: Discourse & Society, 12 (1), 47–58; Torck,
Danièle (2001), Voices of homeless people in street newspapers: a cross-cultural exploration, in: Discourse & Society, 12 (3), 371–392; Blommaert, Jan (2001), Investigating
narrative inequality: African asylum seekers’ stories in Belgium, in: Discourse & Society, 12 (4), 413–449; Huckin, Thomas (2002), Textual silence and the discourse of
homelessness, in: Discourse & Society, 13 (3), 347–372; Arapoglou, Vassilis P. (2004),
The governance of homelessness in Greece: discourse and power in the study of philantrophic networks, in: Critical Social Policy, 24 (Feb. 2004). 102–126.
Keller, Reiner (2004), Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, Opladen, 61.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
6
inwieweit von Armut Betroffene an und in der Armutsforschung partizipieren sollen, damit sie am Armutsdiskurs teilhaben und teilnehmen.
Die Politikwissenschaft hat zur Beantwortung dieser Frage bis jetzt
wenig beigetragen. Die politische Dimension der Wissensproduktion über
Armut, der Transfer dieses Wissens in die Politik und die Umsetzung in
Policies wurden bisher nur lückenhaft erfasst. Hinterfragt werden muss
hier vor allem die Rolle von Policy-Analysen, die in Form von Armutsberichten den politischen Akteuren Maßnahmen zur Armutsbekämpfung
empfehlen.
Abgesehen davon werden die Ergebnisse von Armutsberichten medienwirksam in der Öffentlichkeit kommuniziert. Da soziale Kontrolle
und Macht immer häufiger diskursiv – über symbolische Praktiken und
Kommunikation – vermittelt werden, ist der Kampf um politische Macht
und staatliches Handeln auch ein Kampf um Deutungsmacht und um politische, institutionelle und handlungspraktische Durchsetzung dieser
Deutungsmacht. Die Auseinandersetzung um die lebensweltliche Bedeutung von wissenschaftlicher Expertise kann als diskursiver Machtkonflikt
verstanden und analysiert werden.3
1.1. Does Analysis matter?
Policy-Analysen sind durch ihre Ausrichtung auf gesellschaftliche Probleme und durch die Suche nach Problemlösungen gekennzeichnet. Politik
erscheint aus der Sicht der Policy-Analyse als Problembearbeitungsprozess
und ist anwendungsorientiert. Der Versuch, die Ergebnisse und Empfehlungen der Policy-Analyse in politische Prozesse umzusetzen, wirft jedoch
Schwierigkeiten auf, die einerseits das Verhältnis von Wissen und Werten
(im Kontext von Evaluation), andererseits das Verhältnis von Wissenschaft und Politik – oder allgemeiner: von Wissen und Macht (im Kontext
von Politikberatung) – betreffen.4
3
4
Ders. et al. (2001), Zur Aktualität sozialwissenschaftlicher Diskursanalyse – Eine
Einführung, in: Keller et al. (Hg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse.
Bd. 1: Theorien und Methoden, Opladen, 8.
Saretzki, Thomas (2003), Aufklärung, Beteiligung und Kritik: Die „argumentative
Wende“ in der Policy-Analyse, in: Schubert, Klaus/Bandelow, Nils C. (Hg.), Lehrbuch
der Politikfeldanalyse, München/Wien, 391.
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7
Im Zentrum der Reflexion des Verhältnisses von Wissen und Macht
steht die Rolle der Sprache. Gemeint ist damit nicht jede Form von
sprachlicher Äußerung, sondern vornehmlich solche sprachlich vermittelten Aussagen, die sich an Kriterien rationaler Nachvollziehbarkeit orientieren und in Form von Argumenten auftreten.
Die Ergebnisse von Policy-Analysen versteht man heute als Argumente, die auf den politischen Prozess bezogen sind. Sie können deshalb
nicht mehr einfach nur nach wissenschaftlichen Kriterien als „wahr“ oder
„falsch“ bewertet werden. Die Bewertungskriterien ergeben sich aus dem
politischen Prozess. 5
Dieses veränderte Verständnis der Rolle von Policy-Analysen im politischen Prozess einer Demokratie wird mit dem Begriff „argumentative
turn“ zusammengefasst. Policy-Analysten/-Analystinnen erscheinen nunmehr als Produzenten/Produzentinnen von Argumenten. Bei ihren „Produkten“ handelt es sich nicht um Schlussfolgerungen, deren Wahrheit
oder Richtigkeit exakt bewiesen oder demonstriert werden kann, sondern
um mehr oder weniger gut begründete, mehr oder weniger stark überzeugende Argumente.6
Policy-Analysen können aufgrund dessen Gegenstand politischer und
professioneller Kritik werden, vor allem dann, wenn man mit Ansätzen
und Methoden der Diskurs- und Argumentationsanalyse an sie herangeht.
Mithilfe dieser Methoden können einzelne Argumente, bestimmte Argumentationsstrategien oder die argumentative Begründung von Policies
analysiert und im Hinblick auf ihre Rationalität bewertet werden. Für Kritiker/-innen der Policy-Analyse ist der Anspruch auf positivistische Objektivität und Wertneutralität bereits aufgegeben und eine Policy-Analyse nur
mehr eine Stimme unter vielen anderen im Kampf um Meinungen und
Ideen. Klar ist in jedem Fall, dass Policy-Analysten/-Analystinnen, wenn
sie sich in einer öffentlichen Streitfrage oder für eine Interessensgruppe engagieren, offenkundig Partei ergreifen und nicht mehr die Rolle von neutralen Sachverständigen reklamieren können. Der Anspruch der PolicyAnalyse auf unparteiliche Analyse von public policies ist damit fraglich. 7
5
6
7
Ebd., 397.
Ebd., 401.
Ebd., 408.
8
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
Unabhängig davon, welche Rolle Policy-Analysten/-Analystinnen einnehmen, ob sie nun als Advokaten/Advokatinnen auftreten oder im
Rahmen von diskursiven Designs versuchen, ihren Argumenten Geltung
zu verschaffen – es bleibt die Frage offen, ob und wie es der Policy-Analyse gelingt, tatsächlich auf den politischen Prozess einzuwirken.
Laut dem Konzept der „Diskurskoalitionen“ 8 können Policy-Analysen im politischen Prozess dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie problemdefinierende „story lines“ erzeugen und dazu beitragen, dass ihre Problemdefinitionen zum Kristallisationspunkt einer Diskurskoalition
werden. Erfolgreich sind Diskurskoalitionen dann, wenn sie den diskursiven Raum um ein Problem dominieren und die dominierende Diskursstrukturierung und die zugehörigen Praktiken im Politikfeld institutionalisiert werden. Erfolg und Scheitern eines Diskurses lässt sich dann analysieren, wenn eine diskursanalytische und eine institutionenbezogene Ebene
verknüpft werden. Bedeutend sind jedoch auch der gesellschaftliche und
politische Kontext, in dem politische Akteure argumentieren und PolicyAnalysten/-Analystinnen Argumente analysieren und rekonstruieren. 9
1.2. Diskursanalytische Methoden in der Politikwissenschaft
In der Politikwissenschaft begann man erst in den 90er Jahren sich mit
dem Diskursbegriff systematisch auseinander zu setzen, allerdings sehr
zögernd. Erst im letzten Jahrzehnt ist das Interesse an der Diskursanalyse
gestiegen. Diskurstheorien wurden im postmarxistischen, poststrukturalistischen, postkolonialen und feministischen Kontext und in den Cultural
Studies entwickelt.
Angesichts dieser Bemühungen darf jedoch nicht übersehen werden,
dass sich gerade in der Soziologie, den Geschichts- und Politikwissenschaften nur wenige systematische Versuche finden, eine an sozialwissenschaftliche Traditionen anschlussfähige empirische Umsetzung diskurstheoretischer Überlegungen vorzunehmen. Der größte Klärungsbedarf
findet sich im Hinblick auf die forschungspraktische Umsetzung von Diskursanalysen. Fragen nach den Bestimmungen der Textkorpora, die der
8
9
Ebd., 412; Nullmeier, Frank (2001), Politikwissenschaft auf dem Weg zur Diskursanalyse?, in: Keller, Reiner et al. (Hg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse.
Band 1: Theorien und Methoden. Opladen, 295ff.
Saretzki, Aufklärung, Beteiligung und Kritik, 411ff.
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9
Diskursanalyse zugrunde liegen, nach den Verfahren und der methodischen Kontrolle von Datenerhebung und -analyse, nach der Interpretation
bzw. dem Stellenwert der jeweiligen Ergebnisse bleiben unbeantwortet.
Dafür finden sich in den verschiedenen Disziplinen unterschiedliche Vorschläge. Jede Diskursanalyse bedarf eines Verständnisses davon, was der
Untersuchungsgegenstand ist oder sein kann und welcher Stellenwert ihm
im gesellschaftlichen Kontext zugesprochen wird. Auch die Selbstreflexion ist notwendig – denn jede Diskursanalyse trägt zur Konstruktion ihres Gegenstandes bei. Deutungen zur Wirklichkeit dieses Gegenstandes
werden als wissenschaftlicher Diskurs produziert. 10
Frank Nullmeier weist darauf hin, dass Diskursanalyse auch als Methodenfeld für kleinteilige Herrschaftsanalysen betrachtet werden kann. Dabei
sei Vorsicht geboten, denn methodisch sei eine Diskursanalyse aufgrund
ihrer Komplexität kaum umsetzbar und laufe außerdem Gefahr, in eine
allgemeine politische Institutionenanalyse abzugleiten. 11 Eine andere Möglichkeit wäre, diskursanalytische Politikforschung im methodischen Sinne
als kontrollierte Analyse von politischen und politikrelevanten (Massen-)Texten zu betrachten. Diese Massentextanalyse hat das Ziel, grundlegende und großflächige Sinneinheiten ausfindig zu machen, die als organisierender Kern einer (dominanten oder unterlegenen) Politik gelten können. Anzustreben ist eine umfassende Textanalyse, die die verschiedenen
Ebenen und Einheiten miteinander verbindet und die Organisierung von
Makroeinheiten über den Einsatz von Mikroelementen belegen kann. Politik kann so als Ausdruck eines höchst spezifischen und durchstrukturierten Sprach- und Textspiels beschrieben werden.12
1.3. Ansätze der Diskursforschung
Wissensorientierte Ansätze in der Politikwissenschaft stellen den Zusammenhang zwischen den Sozialwissenschaften, dem Staat und ihren Beziehungen her.
Diese Zusammenhänge sind gerade für die Wechselwirkung von Armutsforschung, Armutsberichterstattung und Armutsbekämpfung relevant. Armut zu definieren und jemanden als arm zu bezeichnen bedeutet
10
11
12
Keller, Zur Aktualität sozialwissenschaftlicher Diskursanalyse, 15.
Nullmeier, Politikwissenschaft auf dem Weg zur Diskursanalyse?, 303f.
Ebd., 304f.
10
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zum einen Ausübung von Macht (im Sinne von Definitionsmacht), zum
anderen weist die Tatsache, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen neu als
Risikogruppen anerkannt werden und ihnen staatliche bzw. gesellschaftliche Hilfe zugestanden wird (oder eben umgekehrt: nicht anerkannt werden und ihnen keine staatliche Hilfe zugestanden wird), auf Wandlungstendenzen in Gesellschaft und Politik hin. 13
Auch im Hinblick auf die Frage nach einer adäquaten Einbeziehung
von so genannten „Betroffenen“ in Armutsforschung und Armuts-bekämpfung ergibt sich ein Betätigungsfeld für die Politikwissenschaft im
Kontext von Überlegungen zur Partizipation. Hier kann mit Ansätzen einer politikwissenschaftlich angelegten Diskursanalyse gearbeitet werden.
Es ergeben sich in diesem Zusammenhang Forschungsfragen wie: Was
verstehen Akteure unter Partizipation? Welche „Rolle“ übernehmen „die
Armen“ im Zuge von Bemühungen um mehr Partizipation? Werden sie
im politischen Diskurs zu „Partizipationsverweigerern“?
Daneben steht die Critical Discourse Analysis (CDA) mit ihren Konzepten von Ideologie14 und Hegemonie15, die den Einfluss gesellschaftli13
14
15
So fällt zum Beispiel im Kontext des Umbaus des Sozialstaates der politische Diskurs
auf, der die Armut von Kindern und ihren Familien stärker betont und eine Umschichtung von Ressourcen von der Sozial- zur Familienpolitik zu rechtfertigen scheint.
Butterwegge, Christoph/Klundt, Michael (Hg.) (2003), Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Familien- und Sozialpolitik im demografischen Wandel. Opladen.
In seinen seit den 1980er Jahren zahlreichen Veröffentlichungen verknüpft Fairclough
(post-)marxistische Philosophietraditionen mit der Diskurstheorie Foucaults, mit sprachwissenschaftlichen Fragestellungen, Traditionen kritischer Linguistik und sozialwissenschaftlichen Theorieangeboten sowie Gesellschaftsdiagnosen. Dabei greift Fairclough
vor allem Althussers dreifachen Zusammenhang von Ideologien und materialen Institutionen auf. Demnach materialisieren sich Ideologien in institutionellen Praktiken,
formen das Selbstverständnis von Subjekten, was in den verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen wie Familien, Recht, Medien, Erziehungswesen
usw. geschieht. Ideologien stehen zueinander ni Konkurrenz- und Hierarchiebeziehungen. Die jeweils dominierende Ideologie wird als Resultat von Klassenkämpfen begriffen. Keller, Reiner (2004). Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, 27.
Der Begriff „Hegemonie“ - den Gramsci schon lange vor Althusser ins Zentrum seiner Überlegungen gerückt hat- bezeichnet Herrschaft, Macht und Meinungsführerschaft einer ökonomischen Klasse und ihrer Verbündeten über die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche bzw. die gesamte Gesellschaft. Das Hegemoniekonzept geht
jedoch nicht von einer völligen, sondern einer partiellen und zeitlich begrenzten Vormachtstellung aus. Hegemonie ist das Ergebnis temporärer Machtbündnisse und Allianzen, die auch unterdrückte Klassen einschließen. Ebd., 28.
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cher Strukturen auf konkrete Sprachereignisse erklären. Die von Norman
Fairclough und Ruth Wodak formulierte Diskursdefinition macht die gesellschaftskritische Intention der CDA explizit. Diskurse werden als
Sprachgebrauch im Sprechen und Schreiben und gleichzeitig als eine
Form sozialer Praxis definiert. Sprachgebrauch ist sowohl praktisches Tun
als auch Zuschreibung von Sinn und Bedeutung. Beide Dimensionen sind
als soziale und sozial strukturierende Prozesse zu verstehen. Dabei besteht
eine Wechselwirkung zwischen Diskursen und der ihren Kontext bildenden Sozialstruktur: Sie wirken beide als Bedingungen und Effekte. Diskurse konstituieren Welt und werden umgekehrt durch sie konstituiert.
Diskurse (re-)produzieren und transformieren Gesellschaft. Sie leisten
eine Konstruktion sozialer Identität, stellen soziale Beziehungen zwischen
Personen und Wissens- und Glaubenssystemen her. 16
Im Kern der CDA steht der Text. Texte sind „in einem diskursiven
Ereignis produzierte, geschriebene oder gesprochene Sprache, Bilder und
Töne“ 17. Diese Texte werden im Hinblick auf ihren Produktions- und Rezeptionsprozess und deren kontextuelle Einbettung analysiert. Die Einbettung eines Textes in eine diskursive Praxis der Textproduktion, -verbreitung und -konsumption sowie wiederum deren Einbettung in eine
soziale Praxis, einen Zusammenhang von Situation, institutionellem und
gesellschaftlichem Kontext. Für deren Analyse werden die Begriffe der
Ideologie und Hegemonie bedeutsam. Als ideologisch gelten Diskurse
dann, wenn sie etablierte soziale Machtbeziehungen verstärken.
In Bezug auf sozialwissenschaftliche Theorien und Gegenwartsdiagnosen erweiterte Fairclough seine Überlegungen zusammen mit Lili
Chouliaraki zu einem Ansatz, der sich für die Rolle, Funktionsweise und
Problemgehalte von Sprache im Kontext gesellschaftlicher Wandlungsprozesse interessiert. Dabei tritt die kritisch-aufklärerische Intention der CDA
in den Vordergrund.18
Den Ansatz der Kritischen Diskursanalyse haben Siegfried Jäger und
seine Mitarbeiter/-innen am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung DISS entwickelt. Die Kritische Diskursanalyse unterscheidet
sich von der oben skizzierten CDA durch ihre theoretische Fundierung.
16
17
18
Ebd., 28.
Ebd., 29.
Ebd., 29f.
12
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Aufgebaut wird im Wesentlichen auf die Arbeiten von Michel Foucault,
deren Rezeption und Weiterführung durch den Literaturwissenschaftler
Jürgen Link und die marxistisch-psychologische Tätigkeitstheorie von
A. N. Leontjew.19
Die Kritische Diskursanalyse untersucht interdiskursive Beziehungen
zwischen unterschiedlichen Diskursen, vor allem geht es um Funktionsweisen gesellschaftlicher Kollektivsymbole. Jürgen Link versteht unter einem Diskurs institutionalisiertes Spezialwissen, einschließlich der entsprechenden ritualisierten Redeformen, Handlungsweisen und Machteffekte.
Texte sind im Sinne der Tätigkeitstheorie Ergebnisse der Denktätigkeit
von Individuen. Ihre Produktion beruht auf sozialisatorisch angeeignetem
Wissen, den Motiven der sprachlich Handelnden und den verfügbaren
Ressourcen der Versprachlichung und sprachlichen Entäußerung.
Diskurse sind also institutionalisierte, geregelte Redeweisen, insofern
sie an Handlungen gekoppelt sind und Machtwirkungen ausüben. Texte
werden als Elemente eines überindividuellen sozio-historischen Diskurses
begriffen. Diskurs-Strukturen erschließen sich über die Begriffe Spezialdiskurs/Interdiskurs, Diskursfragment, Diskursstrang und deren Verschränkung, diskursives Ereignis, diskursiver Kontext, Diskursebenen sowie Haupt- und Unterthemen. 20
19
20
Ebd., 31.
Als Inter-Diskurs bezeichnet Link all jene Diskurselemente, die mehreren Einzeldiskursen gemeinsam sind. Manche Begriffe stammen aus einem Ausgangsdiskurs, wandern
aus diesem als Metaphern heraus und durch eine Vielzahl von Diskursen hindurch, wodurch sie spontan zu fundamentalen ideologischen Konzepten der Zivilgesellschaft
werden. Die Gesamtheit der Symbolik, Bildlichkeit, Metaphorik, der anschaulichen Stereotypen und Klischees bildet das „synchrone System von Kollektivsymbolen“. Der
Begriff „diskursive Position“ benennt eine bestimmte, relativ kohärente Verwendungsweise des Systems von Kollektivsymbolen. Bestimmte Symbole werden darin negativ,
andere Symbole positiv gewertet. Durch „diskursive Ereignisse“ kann eine Veränderung eintreten: Durch diskursive Ereignisse wird die eine oder andere diskursive Position geschwächt. Diskursfragmente sind Bestandteile von Diskurssträngen, die sich auf
verschiedenen Diskursebenen (Orte, von denen aus gesprochen wird, also Wissenschaft, Politik, Medien, Alltag) bewegen. In ihrer Gesamtheit machen sie den Gesamtdiskurs einer Gesellschaft aus, den man sich als ein „Gewimmel“ von Diskursen vorstellen kann. Diese Diskurse bilden die jeweiligen Voraussetzungen für den weiteren
Verlauf des gesamtgesellschaftlichen Diskurses. Ebd., 32f.
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13
Trotz dieser Ansätze hat sich eine eigenständige politikwissenschaftliche Diskursanalyse noch nicht etabliert. Einige Tendenzen der letzten
zehn Jahre weisen allerdings auf eine Öffnung der Politikwissenschaft in
Richtung Diskursanalyse hin. 21 Jene Ansätze in der Politikwissenschaft,
die Wirklichkeit als Konstrukt begreifen, werden als „wissensorientiert“ 22
bezeichnet. Den meisten „wissensorientierten“ Ansätzen ist in der Politikwissenschaft bis jetzt noch kein Durchbruch gelungen. Es fehlt eine
überzeugende Theorie der diskursiven Mechanismen, der Lernprozesse
und der Regeln der Wissensdiffusion. Hinzu kommen die grundlegenden
methodologischen Vorbehalte und deren Bestätigung durch den geringen
Explikationsgrad diskursanalytischer Arbeiten. 23
Der Versuch, politikwissenschaftliche Diskursanalyse mit Armutsforschung verbinden zu wollen, stößt in einen relativ neuen Bereich vor.
Ohne den Anspruch zu stellen, theoretische Probleme lösen zu wollen,
werde ich in diesem Artikel dennoch auf wissensorientierte Ansätze zurückgreifen.
1.3.1. Wissensorientierte Ansätze
Wissensorientierte Ansätze werden heute in Policy-Analysen angewandt.
Dies ist allerdings eine recht neue Entwicklung. Es war zunächst die Rolle
der Wissenschaften und wissenschaftlichen Experten/Expertinnen in
übergreifenden Policy-Entwicklungen, die die Frage nach der Funktion
und Bedeutung von Ideen, Wissen und Deutungen für Politikfeld-Entwicklungen aufwarf. Wissenschaftliches Wissen, politische Wissensproduktion und Politikberatung gewannen vor allem in der bundesdeutschen
Wirtschaftspolitik der 80er Jahre an Bedeutung. Daraus ergab sich die
theoretische Notwendigkeit, eine umfassende Erklärung der Rolle von
21
22
23
Die Öffnung gegenüber allen Formen der „Konstruktion von Wirklichkeit“ erfolgt
allerdings nicht über den Terminus „Diskurs“, sondern Begriffe wie „Ideen“, „Wissen“,
„Argumente“, „Interpretationen“. Aufgrund der mangelnden Rezeption poststrukturalistischer Überlegungen wird der Paradigmenstreit nicht mittels des Begriffs „Diskurs“, sondern mittels des Begriffspaares „Ideen versus Interessen“ in einem kausalanalytischen
Rahmen ausgefochten. Interessen erscheinen dabei als wissensjenseitig bzw. wird Wissen nur als Instrument zur besseren technischen Umsetzung des von Interessen Angestrebten begriffen. Nullmeier, Politikwissenschaft auf dem Weg zur Diskursanalyse?, 290.
Ebd., 286.
Ebd., 303.
14
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
Ideen, Werten und Wissen in der Politik bei Einbeziehung der Entstehungsbedingungen von Expertise im wissenschaftlichen Bereich wie im
Zwischenfeld von Politik und Wissenschaft zu liefern. 24
Die Grundthematiken wissensorientierter Ansätze in der Politikwissenschaft lassen sich als vier Fragenblöcke formulieren:
- Konstituieren Diskurse, Ideen oder Wissen politische Realitäten?
Mittels welchen Begriffs wird der Gegenstand bestimmt?
- Welche weiteren Kategorien stehen bereit, das Feld Diskurs/ Wissen/Ideen detailliert zu untersuchen? Welche Wissensanalytiken
werden verwendet?
- Wie entstehen politische Gemeinschaften, Koalitionen und Konfliktlinien (politische Koalitionen als Wissensvergemeinschaftungen; Diskurskoalitionen zwischen politischen Institutionen und Sozialwissenschaften)? Welche Termini verwenden die einzelnen Ansätze, um Konsens und Konflikt im politischen Raum zu kennzeichnen?
- Wie lässt sich politischer Wandel als Wissens-/Diskurs-/Dieenwandel erklären? Wie lassen sich diskursive Dynamiken
beschreiben und erklären?
Die wissensorientierten Ansätze in der Politikwissenschaft stellen Wege
vor, auf denen Wissen politisch wirksam wird und zur Veränderung des
politischen Handelns durch Lernen beiträgt. 25 Policy-oriented learning
(Sabatier), social learning (Hall), government learning (Etheridge) und
lesson-drawing (Rose) befassen sich als Ansätze mit politischen Lernprozessen, wenngleich sie sich in ihren Ansichten bezüglich dem, was Lernen
ist, wer lernt oder Lernprozesse anstößt, unterscheiden.
24
25
Ebd., 287.
Einer der Ansätze, der Politik als Lernprozess fasst, wurde von Hugh Heclo im Zuge
einer vergleichenden Studie zur Entwicklung von Sozialpolitik entwickelt. Die an Heclo
anschließende Debatte über Policy Learning geht von den zentralen Akteursgruppen
und Veränderungen in einem Politikfeld zurück auf die Bedingungen, unter denen dort
Lernprozesse jenseits der bloßen Verschiebung von Machtkonstellationen stattfinden.
Man beginnt nicht mit der Untersuchung von Ideen, Wissen und deren Wirkungswege,
sondern fragt nach den Umständen beobachtbarer Veränderungen und Lernprozesse in
den Zentren politischer Entscheidungsfindung. Ebd., 300f.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
15
In dieser Tradition stehen die Überlegungen von Maarten Hajer, die
darauf zielen, diskursive Dynamiken sowie politische Veränderungen bzw.
politisches Lernen auf die Wirkung von diskursiven Mechanismen innerhalb einer Wissenslandschaft zurückzuführen. 26
Die wissensorientierte Policy-Forschung konzentriert sich auf Vernetzungen, Gemeinschaften und Koalitionen, die quer zu Institutions- und
Organisationsgrenzen sowie quer zur Grenze zwischen Politik und Wissenschaft die Entwicklung in einzelnen Politikfeldern bestimmen. Als
Kategorien wurden hier die Begriffe Epistemic Communities, Advocacy
Coalitions und Diskurskoalitionen eingeführt. Wissenschaftler/-innen
werden in diesen Konzepten nicht als Einzelakteure außerhalb der politischen Arena, sondern als Mitglieder und Angehörige einer politischen und
politikrelevanten Koalition oder Gemeinschaft verstanden.
Epistemic Communities lassen sich beschreiben als nationale oder
transnationale Verbindungen spezialisierter Experten-/Expertinnengruppen, die durch gemeinsame normative Grundüberzeugungen, geteilte
kausale Annahmen, übereinstimmende Bewertungsmaßstäbe für die
Gültigkeit von Wissen, aber auch ein gemeinsames politisches Projekt
innerhalb des abgesteckten Policy-Feldes getragen werden. Epistemic
Communities sind unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer wissenschaftlichen Disziplin oder Anhängerschaft einer Theorierichtung, sondern sind hauptsächlich über normative Überzeugungen und politische Interessen verbunden. Wirksam sind Epistemic Communities vor allem
unter Bedingungen von Unsicherheit, da die Akteure durch Zuhilfenahme
wissenschaftlicher Interpretationsleistungen wissen können, was ihre Interessen sind, wer Gegner und Verbündete sein könnten.
Der Advocacy Coalitions-Ansatz versucht den Einfluss von politischen Akteuren an der Übereinstimmung der eigenen Überzeugungen
(„belief systems“) mit den in staatlichen Programmen und Gesetzen enthaltenen impliziten Theorien normativer und kausaler Art zu ermessen.
Indem „belief systems“ ins Zentrum gerückt werden, wird das Wissen das
grundlegende Element bei der Erfassung des gesamten politischen Prozesses. Akteure aus verschiedenen Organisationen und Institutionen bilden gemeinsam „Überzeugungskoalitionen“ in einem Politikfeld. In jedem
Politikfeld gibt es zwei bis vier Überzeugungskoalitionen. Die politischen
26
Ebd., 302.
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16
Akteure lernen, da sie versuchen, die Welt und die Politikprobleme besser
zu verstehen, um ihre Ziele zu erreichen. Es sind vor allem politikfeld-interne Öffentlichkeiten, die zum Lernprozess führen und damit die Politikentwicklung bestimmen. Lernen ist aber auch über die Grenzen der einzelnen Überzeugungskoalitionen hinweg möglich. Voraussetzung dafür ist
eine hinreichende Ausstattung aller Akteure mit wissenschaftlichen Ressourcen, um Argumente in Gutachten, Berichten, Stellungnahmen überprüfen und vorbringen zu können. Konfliktfähigkeit, Debattenfähigkeit
und ein Ort, an dem diese Debatten ausgetragen werden können, bieten
einen Nährboden für Lernprozesse.
Das Konzept der Diskurskoalitionen betont die enge Interaktion zwischen Staat und Sozialwissenschaft. Während in den 1960er Jahren policyorientierte Sozialwissenschaften und wissenschaftsoptimistische Reformpolitiker/-innen stark interagierten und sich wechselseitig Legitimität und
Ressourcen zuführten, kann heute eher von Tendenzen einer Diskursregulierung – die Realitätsdefinitionen der staatlichen Politik durchdringen die
der Sozialwissenschaften – gesprochen werden. Die Wirkungsrichtung verläuft also mehr vom Staat in Richtung Sozialwissenschaft als umgekehrt.
Ausgehend von dieser Annahme, ist der wissenschaftliche Wissenstransfer
in die Öffentlichkeit nur eine „Verdoppelung“ politisch-administrativer
Sichtweisen. Das, was bereits institutionell verankert ist, wird verstärkt.27
27
Ebd., 295ff.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
17
2. Die Produktion von Wissen über Armut
In folgenden Abschnitt geht es um die Frage der Praxis der
Armutsberichterstattung und dies soll an einem Salzburger Fallbeispiel
gezeigt werden. Darin soll deutlich werden, wie sich wissensorientierte
Ansätze in der Politikwissenschaft für die Armutsforschung verwenden
lassen.
2.1. Praxis der Armutsberichterstattung
Das Wissen über Armut wird von Armutsforschern/Armutsforscherinnen
produziert. Die Mehrzahl dieser berufsmäßigen Armutsforscher/Armutsforscherinnen ist in staatlichen Administrationen, im sozialstaatlichen Sicherungssystem, in der Wissenschaft beschäftigt oder freien
Wohlfahrtsverbänden verpflichtet. Ihre „objektiven Repräsentationen der
sozialen Welt“ sind entscheidend dafür, ob und wie Armut gesellschaftlich
registriert wird. So groß die Unterschiede unter den Armutsforschern/Armutforscherinnen auch sind und so unterschiedlich ihre Darstellungen
von Armut, sie alle berufen sich auf den Stand der Wissenschaft, also auf
jene Objektivierungsmethode, die in modernen Gesellschaften als einzig
legitime anerkannt wird.
Die bevorzugte Objektivierungsmethode in modernen Staaten ist die
der statistischen Erfassung. Moderne Wohlfahrtsstaaten nutzen Daten
und Statistiken als realistisches Wissen, um sozialen Wandel zu planen, um
staatliche Interventionen zu legitimieren, um die Nichtdurchführung von
sozialstaatlichen Maßnahmen zu begründen. Neben diesen praktischen
Zwecken für die Politik haben Statistiken in Staaten auch symbolische Bedeutung – Zahlen sind die einzig akzeptable Form von Wissen über die
soziale Welt. Statistiken sind also nicht nur intellektuell geschaffene Repräsentationen, sie sind auch „symbolische Orientierungsmittel“ und unterliegen dem Kampf um Klassifikationssysteme.28
28
Barlösius, Das gesellschaftliche Verhältnis der Armen, 78.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
18
Die Armutsberichterstattung spielt aus der Perspektive wissensorientierter Ansätze eine besondere Rolle. Armutsberichte unterscheiden sich
von anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungsformen dadurch, dass
sie als „offizielle“ Darstellung von Sachverhalten anerkannt werden. Berichte rücken dicht an die Repräsentationsform heran, welche die amtliche
Statistik für sich behauptet: nämlich neutral, objektiv und wissenschaftlich
unabhängig zu sein. Forschungsergebnisse in Berichtform sind deshalb
mit einer besonderen Macht ausgestattet.
Viele Resultate der Armutsforschung, die der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und informierten Experten-/Expertinnenkreisen zugänglich
sind, aber politisch weitgehend folgenlos geblieben sind, erhalten durch
die Publikation als Bericht einen enormen Zuwachs an öffentlicher und
politischer Aufmerksamkeit. Deshalb erklärt sich von selbst, dass die
Mehrzahl der Akteure, die Armut zu einem öffentlichen oder politischen
Thema machen wollen, ihre Ergebnisse in Berichtform veröffentlichen.
Als Akteure sind in diesem Feld Gewerkschaften, Parteien, freie Wohlfahrtsverbände, Kirchen und die Kommunen tätig, die unmittelbar mit
den Folgen von Armut konfrontiert sind. Als hochgradig organisierte Interessenverbände haben sie das Ziel, dem „offiziellen Bild“ von Armut,
welches von der staatlichen Sozialstatistik bestimmt wird, eine – wie sie
meinen – realitätshaltigere Sicht der Armut entgegenzusetzen. Sie fordern
eine nationale Armutsberichterstattung und eine Diskussion über die publizierten Armutszahlen ein und hoffen, eine spezielle Armutspolitik einfordern zu können. Doch wird auch in diesen Berichten nur über solche
Formen der Armut berichtet, welche mit den eingeführten Definitionen
messbar sind und bei denen gesellschaftlicher Konsens darüber besteht,
dass sie inakzeptabel und zu beseitigen sind bzw. soll Übereinkunft darüber hergestellt werden. Eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Gruppen
findet aber in den Armutsberichten keinen Platz. Dazu zählen zum Beispiel Asylwerber/-innen, illegale Einwanderer, Straßenkinder, Obdachlose.
In den Statistiken und Datensätzen, die herangezogen werden, um Armut
zu messen, sind sie nicht repräsentiert. Die Verknüpfung von Armut und
Unterstützungsanspruch wird hier oftmals in Frage gestellt. 29
29
Ebd., 79f.
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19
Die Mehrheit der wissenschaftlichen Arbeiten über Armut – ob sie
nun als Armutsberichte veröffentlicht werden oder nicht – verwendet
staatlich anerkannte Armutsdefinitionen, um sich in der politischen Auseinandersetzung Gehör zu verschaffen. Die Grenzen zwischen Armutsforschung und Armutsberichterstattung sind aus diesem Grund fließend.
Gleichzeitig wird aber die Armutsforschung dadurch mit ähnlichen Problemen wie die Armutsberichterstattung konfrontiert.
Eine verlässliche Armuts- bzw. Sozialberichterstattung scheitert oft
daran, dass die notwendigen Daten von Seiten des Sozialamtes nicht verfügbar sind. Ein anderes Hindernis liegt bei den Personen, die in der Sozialarbeit tätig sind. Sie verfügen über ein detailliertes Wissen über soziale
Problemlagen und deren Entwicklung. Allerdings muss dieses Wissen dokumentiert sein. Die Anlässe für das Tätigwerden, die Leistungen, die
erbracht werden, die Entwicklung der Klienten-/Klientinnenzahlen und
der Problemstellungen müssen nachgewiesen und festgehalten werden.
Das würde das Führen einer aussagefähigen Arbeits- und Leistungsstatistik notwendig machen, doch besteht tiefe Abneigung dagegen. Grund
dafür ist, dass Leistungsstatistiken in der sozialen Arbeit auch für die individuelle Leistungsbewertung der Mitarbeiter/-innen und für gezielte Arbeitseinsatzsteuerung herangezogen werden können. Durch den zunehmenden Wettbewerb unter den sozialen Diensten im Zuge des Umbaus
des Sozialstaates hat sich aber immerhin die Datenlage verbessert, da diese
zur Absicherung und Ressourcensteuerung notwendig ist.30
Armutsberichterstattung ist aber auch mit einem Hindernis konfrontiert, das weniger leicht behebbar ist. Armutsberichte machen Aussagen,
die für manche Adressaten/Adressatinnen, vor allem für die verantwortlichen Politiker/-innen unbequem sind. Sozialberichterstattung wird deshalb oft verhindert oder einfach negiert. 31 So fällt zum Beispiel auf, dass
Armutsberichte oft von der jeweiligen Opposition eingefordert und diskutiert werden, mit dem Ziel, dass die Versäumnisse der Regierenden aufgezeigt werden. Diese haben jedoch wenig Interesse daran, als Verursacher/-innen von Armut dargestellt zu werden. Somit verhindert partei30
31
Proksch, Roland (Hg.) (1998), Das Soziale neu denken. Soziale und ethische
Herausforderungen an die soziale Arbeit durch Wertewandel, Individualisierung und
Kommerzialisierung der Gesellschaft. Dokumentation zum Symposium vom 21. November 1996, Regensburg. 103f.
Ebd., 104.
20
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
politisches Kalkül, dass sich die Sozialpolitik die Grundlagen für effektives
und zielgerichtetes Agieren regelmäßig und systematisch beschafft.32
Und zuletzt ist es auch oft die Handhabbarkeit von Armutsberichten,
die sie zum Scheitern verurteilen. Studien zum Thema Wohlfahrt oder
Armut sind oft nicht operational orientiert. 33 So weist Dimmel darauf hin,
dass im Vergleich zu den Forschungsaufwendungen für einschlägige Studien der umsetzbare Ertrag dieser Forschung bescheiden erscheint. Den
Studien fehlt es in ihren konzeptionellen Anlagen an konkreter Handlungs- und Verwertbarkeitsorientierung. Es werden auch keine Kontrollstudien in Auftrag gegeben. Die sozialwissenschaftliche Prävalenz der
Verfasser/-innen der Studien steht ebenfalls nicht zur Debatte, zumal derartige Studien oftmals auf Basis politischer Konzessionen vergeben werden. Diesbezüglich spricht Dimmel auch vom Dreischritt „Studie-Pressekonferenz-Schublade“.34
Für kleine und mittlere Kommunen sowie für Tätige in Sozialberufen
sind Sozialberichte nur schwer umsetzbar. Hier werden modellhafte einzelne Studien als nützlicher erachtet. 35
Jede wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Armut bedeutet, sich
auf die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen über Armut einlassen zu müssen. Die Konflikte darüber, was Armut eigentlich ist,
sind ein wichtiger Bestandteil des Diskurses und müssen in einer politikwissenschaftlichen Analyse von Armut einen Forschungsaspekt darstellen.
32
33
34
35
Ebd., 104.
Dimmel, Sozialmanagement oder Wohlfahrtsverwaltung, 40.
Ebd, 183.
Proksch, Das Soziale neu denken, 135.
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21
Um diese Besonderheit der sozialwissenschaftlichen Armutsforschung
und ihre große Nähe zur Sozialpolitik stets präsent zu halten, ist es sinnvoller, von „Interpretationsmodellen zu sprechen, anstatt Armutskonzepte
als „Theorien der Armut“ zu qualifizieren. 36
36
Zu diesen Interpretationsmodellen gehören: 1. Die Dynamische Armutsforschung, die
den wissenschaftlichen und den politischen Armutsdiskurs in den 1990er Jahren in
Deutschland dominiert hat. Die Dominanz dieses Konzepts zeigt sich darin, dass das
gesamte Forschungsfeld sich aufgerufen fühlte, sich gegenüber diesem zu positionieren.
Entwickelt wurde das Konzept (dynamic approach to poverty and welfare) in den 70er
und 80er Jahren von David Ellwood in den USA, der die Lebenslauf-Perspektive und
damit die Beachtung der Dauer der Armut in die Armutsforschung einbrachte. Umgesetzt wurde dieses Modell im deutschsprachigen Raum durch die Projekte zu Armutskarrieren, u.a. von Leibfried. Obwohl unbestritten fest steht, dass die Einführung der
Dauer als eine Dimension zur Bestimmung von Armut und die Übertragung der Lebensverlaufsoziologie die Armutsforschung bereichert hat, steht das Fazit der Dynamischen Armutsforschung, dass Armut verzeitlicht, individualisiert und sozial entgrenzt
ist, jedoch nicht außer Streit, da sich die empirischen Untersuchungen nur auf Sozialhilfeempfänger/innen beschränkt hat. 2. Auf der Ebene der Europäischen Union bestimmte das Interpretationsmodell der „social exclusion“ bzw. die ins Deutsche übersetzte „soziale Ausgrenzung“ die Armutsforschung. Dieses Modell wurde durch die
politische Debatte in Frankreich über exclusion sociale inspiriert und setzte sich Anfang
der 1990er Jahre schnell in der europäischen Öffentlichkeit durch. Im Vertrag von
Maastricht, den Zielen der Europäischen Strukturfonds wie in den EU-Forschungsprogrammen wird deshalb häufiger von social exclusion als von Armut gesprochen. Aktuell
findet dieses Interpretationsmodell in den „Nationalen Aktionsplänen zur Bekämpfung
von Armut und sozialer Ausgrenzung“, die die Regierungen nach Brüssel weiterleiten
müssen, damit die gemeinsame Armutspolitik besser koordiniert werden kann, ihren
Niederschlag. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass für die
Operationalisierung auf europäischer Ebene nicht direkt das französische Modell
übernommen wurde und das trotz des gemeinsam verwendeten Begriffs in den
einzelnen Mitgliedsstaaten der EU Unterschiedliches zusammengefasst wird. Bei der
exclusion sociale wird die Einbindung in jene Institutionen, welche soziale Integration
garantieren und soziale Ausgrenzung verhindern in den Blick genommen. Die Vergesellschaftungs- und Integrationsmodi stehen im Zentrum der Forschung, während bei
dem Modell der sozialen Ausgrenzung die soziale Lage des/der Einzelnen bzw. des
Haushalts den Ausgangspunkt der Analyse bildet. Ob die enge Assoziierung von kumulierter Unterversorgung und sozialer Ausgrenzung tatsächlich so besteht, ist kaum
empirisch überprüft worden. In den empirischen Analysen ist man kaum über einfache
Zusammenhänge zwischen Ausgrenzung, sozialen Netzwerken/Kontakten und Einkommensarmut hinausgekommen. Trotzdem berufen sich viele Akteure in den letzten
Jahren im öffentlichen Diskurs, in sozialpolitischen Beiträgen und in Forschungsbeiträgen auf dieses Interpretationsmodell. Wahrscheinlich ist der Grund für die Popularität
des Modells der sozialen Ausgrenzung ein ähnlicher wie in Frankreich: Mehr als der
Bezug auf steigende Armut zeigt es an, dass das gesellschaftliche Integrationsmodell der
22
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
2.2. Fallbeispiel 1: Die „Karriere“ eines Armutsberichts am Beispiel des
Salzburger Frauenarmutsberic hts 2002
Der Salzburger Frauenarmutsbericht 200237 war der in den Salzburger Medien präsenteste Armutsbericht der letzten drei Jahre. Abgesehen davon,
dass es sich bei dem Bericht um eine Auftragsarbeit des Frauenbüros der
Stadt Salzburg sowie des Büros für Frauenfragen und Gleichbehandlung
des Landes Salzburg (beide stehen der Salzburger SPÖ nahe) handelte,
wurde der Bericht mit dem Förderpreis für Wissenschaft/Forschung des
Fonds der Landeshauptstadt Salzburg zur Förderung von Kunst, Wissenschaft und Literatur der Landeshauptstadt Salzburg 2003 ausgezeichnet.
Die Wochenzeitung „Salzburger Fenster“ wählte die Autorin Dagmar Aig-
37
gesicherten Arbeitnehmergesellschaft und sozialen Marktwirtschaft, also die breite konsensuale Orientierung auf die mittleren sozialen Lagen, als gefährdet angesehen wird.
3. Das den US-amerikanischen Armutsdiskurs dominierende Interpretationsmodell von
der urban underclass wurde deshalb in Europa bedeutend, weil viele Armutskonzepte
und –modelle in Abgrenzung zu diesem formuliert und sogar als gesellschaftliche Gegenentwürfe in die Debatte eingebracht wurden. Das vorangegangene populäre Modell
der culture of poverty, das eng mit dem Anthropologen Oscar Lewis verbunden ist,
trug wesentlich zur Entstehung des Modells der urban underclass bei: Lewis entwickelte seine These, dass es eine Kultur der Armut gäbe, auf der Basis von Studien über
Mexiko und Puerto Rico und legte es später auf Amerika um. Charakteristisch für die
Kultur der Armen sei, dass sie sich nicht mehr auf die Normen und Werte der Mehrheitsgesellschaft beziehe und sich zu einer Subkultur verständige, was sich wiederum
dysfunktional auf soziale Integration und Aufstiegsmobilität auswirke. Lewis leitete daraus die Notwendigkeit staatlich geförderter pädagogischer Programme ab, die die Kultur der Armut aufbrechen sollten, um das Problem der Armut dauerhaft zu beseitigen.
Von der politischen Öffentlichkeit wurden Lewis Thesen völlig anders rezipiert: Armut
sei das Ergebnis mangelnder persönlicher Fähigkeiten, abweichenden Verhaltens und
geringer Motivation, weshalb die Armen weitgehend selbst für ihre soziale Lage verantwortlich seien. Das Konzept der culture of poverty diente damit der Stigmatisierung
der Armen und hat zur Folge, dass der gesellschaftliche Unterstützungsanspruch in
Frage gestellt und Kürzungen und Streichungen legitimiert werden können. Bei der
deutschen Rezeption des Interpretationsmodells urban underclass zeigt sich, dass underclass als abzuwendende mögliche Bedrohung, als gesellschaftlicher Gegenentwurf
verstanden wird. Damit wird die Strategie verfolgt, einer wachsenden sozialen Segregation insbesondere in Großstädten entgegenzuwirken. Außerdem wird die individualistische Tradition, die im underclass-Begriff zum Ausdruck kommt, kritisiert und der europäischen Tradition der sozialen Rechte entgegengehalten. Ludwig-Mayerhofer et al.,
Armut der Gesellschaft, 34ff.
Aigner, Dagmar (2002), frauen.armut.bericht. Frauenarmutsbericht für das Bundesland
Salzburg.
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23
ner im Jänner 2003 zur viertwichtigsten Salzburgerin 2002. Aigner arbeitete zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichts in der Wissenschaftsagentur
Salzburg, derzeit ist sie Mitarbeiterin des Salzburger Bürgermeisters Heinz
Schaden (SPÖ).
Wie die Autorin selbst in einem Interview für „jfk-online“ sagte, erschien es ihr als „paradox, geehrt zu werden“, weil sie „aufgeschrieben
habe, dass andere arm sind. Die Armen selbst waren einmal mehr nicht so
sehr im Mittelpunkt.“ 38
Angesichts des Anspruchs Armutsberichterstattung aus diskursanalytischer Sicht zu betrachten, ist die Frage zu stellen, ob die „Armen“ Mittelpunkt des Frauenarmutsberichtes waren.
Der Anspruch des Frauenarmutsberichts 2002 war es, „Armutsmechanismen aufzuzeigen und auf die Systematik und Struktur dahinter zu
verweisen“ 39 und nicht, statistische Daten über Frauenarmut in Salzburg
zu liefern. Unter „Armutsmechanismen“ versteht Aigner die Weise, wie
Armut unter Frauen entsteht, warum und in welchen Situationen Frauen
mit Armut zu kämpfen haben.
Betrachtet man die Methoden der Datenerhebung, so fällt auf, dass
ausschließlich so genannte „Expertinnen“ der Vereine, Beratungseinrichtungen und öffentlichen Institutionen, die Mitglied der Arbeitsgruppe
„Salzburger Netzwerk Frauenarmut“ sind, befragt wurden. Im gesamten
Bericht kam keine einzige von Armut oder Armutsgefährdung betroffene
Frau zu Wort. Erhoben wurden also nicht die Armutsmechanismen und
die dahinter stehende Systematik und Struktur, sondern die Wahrnehmung der Beraterinnen, die aufgrund ihrer Kompetenzen und Qualifikationen als Expertinnen bezeichnet werden. Im Literatur- und Quellenverzeichnis des Berichts finden sich unter den 53 Quellenangaben zehn Statistiken der Statistik Austria bzw. des Landes Salzburg und 29 Berichte,
die entweder von öffentlichen Einrichtungen oder von der öffentlichen
Hand geförderten Einrichtungen erstellt wurden. Tätigkeitsberichte haben
üblicherweise die Aufgabe, die Existenz des Akteurs, der den Tätigkeitsbericht verfasst, zu legitimieren und für die Zukunft zu sichern.
Die auffallend dominierenden SPÖ-Seilschaften im Zusammenhang
mit diesem Frauenarmutsbericht weisen auf eine Diskurskoalition hin. Der
38
39
JFK – Leute in Salzburg. Dagmar Aigner (http:/www.jfk-online.at/index.php?id=187 ;
16.01.2005)
Aigner, frauen.armut.bericht., 10.
24
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Hauptkritikpunkt jedoch ist die fehlende Partizipation der von Armut
Betroffenen bei der Erhebung der Daten. Die Armut jener Frauen, die
nicht Klientinnen einer der Einrichtungen des Netzwerkes Frauenarmut
sind oder waren, konnte dadurch nicht erhoben werden.
Möglicherweise ist das die Ursache dafür, dass Obdachlosigkeit von
Frauen im Frauenarmutsbericht nur im Kapitel über „Mädchen“ 40 angesprochen wird. Allerdings erscheint die Obdachlosigkeit von Mädchen
hier als „eine vorübergehende Phase, die relativ schnell von den Mädchen
selbst beendet wird“41, da sie in betreute Wohngemeinschaften aufgenommen werden.
An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass es eben bestimmte Gruppen gibt, die in Armutsberichten keinen Platz finden, unter anderem
Flüchtlinge und Obdachlose. In den Statistiken und Datensätzen, die herangezogen werden, um Armut zu messen, sind sie nicht repräsentiert.
Auch der Frauenarmutsbericht 2002, der mit qualitativen Methoden an
das Problem herangegangen ist und die offiziellen Datensätze kritisch betrachtet, hat Flüchtlingsfrauen und obdachlose Frauen „übersehen“.
Dass Obdachlose in Armutsforschung, Armutsberichterstattung und
Armutspolitik kaum Aufmerksamkeit erfahren, ist ein Kreislauf.
„Das hat sich erlich damit zu tun, daß Wohnungslose für die Umfrageforschung üblichen Zuschnitts schwer zu erreichen sind –
doch ist dies auch eine Frage des Aufwands. Daß dieser Aufwand
für eine kleine, aber extrem von Armut betroffene Gruppe nicht
betrieben (weil nicht finanziert) wird, dürfte auch damit zusammenhängen, daß es sich nicht um ‘respektable’ Arme handelt: Sie
sind nicht so leicht wie beispielsweise Kinder oder Familien als
‘Opfer’ verfehlter Sozialpolitik zu definieren, sie warten auch nicht
darauf, von Sozialforschern entdeckt zu werden, sondern präsentieren sich und ihre Armut (manchmal ganz ungeniert) in der Öffentlichkeit – und verweigern sich doch häufig advokatorischer
Vereinnahmung durch Dritte ebenso wie den ihnen zugedachten
Hilfemaßnahmen.“42
40
41
42
Ebd., 54ff.
Ebd., 56.
Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang/Müller, Marion/Paulgerg-Muschiol, Larissa (2001),
„.. das extremste Phänomen der Armut“. Von der Armut, ohne Wohnung zu leben, in:
Barlösius/Ludwig-Mayerhofer (Hg.). Die Armut der Gesellschaft, 286.
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25
Wohnungslosigkeit bei Frauen ist oft Resultat männlicher Gewalt, entspringt Verfügungsansprüchen von Vätern oder (Ehe-)Partnern, die
Frauen in die Flucht treibt. In den Interviews, die Ludwig-Mayerhofer et
al. mit obdachlosen Frauen und Männern durchgeführt haben, treten
Frauen allerdings nicht nur als Opfer, sondern auch als verstrickte Mittäterinnen auf. Manche von ihnen scheinen dazu zu tendieren, gerade solche
Männer attraktiv zu finden, die zu Gewaltausübung neigen, so dass sich
eine Spirale von Attraktion, Gewaltausübung, Gegenwehr und schließlich
Beendigung der Beziehung mit der Gefahr, ohne eigenen Wohnraum dazustehen, mehrfach wiederholt. In Einzelfällen ist es auch nicht die Flucht
vor gewalttätigen Männern, sondern gerade der Anschluss an Männer mit
einem sehr irregulären Lebensstil, der Frauen zu einem Leben in sehr prekären Wohnverhältnissen und manchmal echter Wohnungslosigkeit im
Sinne des temporären Nächtigens in ungeschütztem Wohnraum bringt.43
Auffallend in Bezug auf die „empfohlenen Maßnahmen“, die im Frauenarmutsbericht 2002 vorgeschlagen werden, ist die Mittelschichtorientierung des Frauenbildes. So werden am Ende des Kapitels über Erwerbstätigkeit Maßnahmen vorgeschlagen, die vor allem die Vereinbarkeit von
Beruf und Familienaufgaben und den Wiedereinstieg nach der Karenz betreffen. Einige der Maßnahmen beziehen sich auch auf Bildungsangebote.44 Damit wird vorausgesetzt, dass die betroffenen Frauen bereits vor
einer Karenzzeit in einem Beschäftigungsverhältnis standen, was dem von
der SPÖ propagierten Frauenbild entspricht. Auch die Forderung nach einer Harmonisierung des Karenzurlaubs-Gesetzes mit dem Kinderbetreuungsgeld-Gesetz setzt voraus, dass eine Frau Anspruch auf Karenzurlaub
oder Kinderbetreuungsgeld hat. Flüchtlingsfrauen zum Beispiel fallen völlig aus diesem Gesetz heraus. Die Problemlage von Flüchtlingsfrauen fehlt
auch im Kapitel über Migration45. Über die Eingliederung von langzeitarbeitslosen Frauen ist an dieser Stelle des Frauenarmutsberichts nichts zu
lesen. Ebenso wird die Meinung reproduziert, dass die Ursache für Erwerbslosigkeit in der mangelnden Bildung der Frauen zu suchen ist.
Aus diskursanalytischer Perspektive interessant ist das Kapitel über
Gesundheit 46, denn auch hier werden Maßnahmen empfohlen, die nur be43
44
45
46
Ebd., 275f.
Aigner, Dagmar (2002). frauen.armut.bericht., 23.
Ebd., 26–31.
Ebd., 42–45.
26
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dingt mit Armutsminderung zu tun haben. So wird ein Ausbau der Anzahl
der Kassenverträge mit niedergelassenen Ärztinnen, besonders im gynäkologischen Bereich, gefordert. Frauen, die nicht krankenversichert sind,
würde diese Maßnahme keine Verbesserung bringen.
Die Notwendigkeit, Schwangerschaftsabbrüche in öffentlichen Krankenhäusern zu ermöglichen, wird im Text dreimal genannt, unter anderem
auch als Maßnahme gegen Armut empfohlen. Hier erfolgt eine Verknüpfung des Abtreibungsdiskurses mit dem Armutsdiskurs, der aus ethischer
Sicht äußerst problematisch ist. Es gibt signifikante Hinweise darauf, dass
ökonomische Motive (zu hohe Kinderkosten, beengte Wohnverhältnisse)
bei der Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch relevant sind.47
Die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch verhindert zwar, dass
Frauen in prekären ökonomischen Situationen ein (weiteres) Kind bekommen, deren Armut mindert diese Maßnahme aber nicht.
Das Kapitel über Scheidung und Trennung 48 im Frauenarmutsbericht
ähnelt einer Kritik an der Institution Ehe an sich. Ebenso beschränken
sich die empfohlenen Maßnahmen auf Verbesserung der Gesetzeslage bei
Scheidungen im Zusammenhang mit Unterhaltsansprüchen und dem
Ausbau von Beratung. Auch hier wieder zeigt sich die Orientierung des
Frauenarmutsberichts an der Mittelschicht. Die Problemlage von Frauen,
die nicht verheiratet waren und damit auch keinen Anspruch auf Unterhaltszahlungen haben, scheinen hier ebenso wenig auf wie die Situation
von Müttern, die für ihre ledigen Kinder vom Kindesvater keine Alimentationszahlungen erhalten.
Es gilt hier zu hinterfragen, ob das Armutsrisiko ursächlich auf die
Trennung oder Scheidung zurückgeführt werden kann und nicht bereits
vor diesen Ereignissen angelegt war. Andreß/Güllner haben das Armutsrisiko bei Scheidung und Trennung in Deutschland untersucht und sind
zu folgendem Ergebnis gekommen: Bei den verheirateten Personen, die
sich trennen, handelt es sich nicht vorrangig um Personen, die dem unteren Einkommensbereich entstammen.49 Sowohl die Höhe der Armuts47
48
49
Wimmer-Puchinger, Beate (2001), Schwangerschaftskonflikt. Motive für bzw. gegen
den Schwangerschaftsabbruch. Ludwig Boltzmann Institut für Frauengesundheitsforschung, Wien, 117ff.
Aigner, frauen.armut.bericht, 60–65.
Andreß, Hans-Jürgen/Güllner, Miriam (2001), Scheidung als Armutsrisiko, in: Barlösius/Ludwig-Mayerhofer (Hg.). Die Armut der Gesellschaft, 187.
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27
quote als auch der Anstieg der Einkommensarmut ist im Zusammenhang
mit einer Trennung größer als im Zusammenhang mit einer Scheidung,
was darauf hindeutet, dass sich die bedeutenden wirtschaftlichen Veränderungen bereits vor einer Scheidung ereignet haben. Die Frage der Kinderbetreuung ist eine entscheidende Determinante der wirtschaftlichen Situation nach ehelicher Trennung, weil betreuungspflichtige Kinder die Erwerbsmöglichkeiten der betreuenden Person erheblich einschränken. Für
die Personen, bei denen nach der Trennung die Kinder und Jugendlichen
aus der Ehe verbleiben, zeigt sich eine ganz erhebliche Zunahme der Armutsquoten, während bei den Personen ohne betreuungsbedürftige Kinder keine wesentliche Veränderung im Armutsrisiko vor und nach der
Trennung zu erkennen ist. Besonders ausgeprägt ist dieser Unterschied bei
den Personen mit Kindern unter sechs Jahren. Ihre Armutsquote steigt von
18% vor der Trennung auf 52% im Jahr der Trennung, um dann in den
folgenden Jahren auf einem Niveau um die 30% zu verharren.50 Die Ehedauer ist nur ein sehr kruder Indikator ehelicher Arbeitsteilung. Sowohl
bei den jungen, als auch bei den alten Ehen sind Konstellationen denk bar,
in denen ein Ehepartner zugunsten von Kinderbetreuung und Hausarbeit
eine Erwerbstätigkeit aufgegeben hat. Am höchsten sind allerdings die
Armutsrisiken in der jüngsten Ehedauerklasse, von denen bereits ein Jahr
vor der Trennung ein ganz erheblicher Teil mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Die Armutsquote liegt hier bei 18%. Im Jahr der
Trennung steigt die Armutsquote auf 32%, und auch in den Folgejahren
ist ca. ein Fünftel dieser Gruppe von Einkommensarmut betroffen.51
Andreß/Güllner heben zusammenfassend hervor, dass sich die wesentlichen wirtschaftlichen Veränderungen bereits im Zusammenhang mit
der Trennung einer Ehe ergeben und nicht erst als Folge der Scheidung
erweisen. Für tiefer gehende Analysen ist es erstrebenswert, die bereits vor
der Trennung bzw. Scheidung angelegten Risikofaktoren zu kontrollieren. 52
Abgesehen davon vernachlässigt eine Sichtweise, die sich einseitig auf
ökonomische Armutsrisiken konzentriert, die sozialen Armutsrisiken, die
eine Trennung bzw. ein „Verlust der Familie“ 53 verursachen können. Dieser Verlust der Familie kann als Prozess in seiner geschlechtsspezifisch
50
51
52
53
Ebd., 191.
Ebd., 191f.
Ebd., 195.
Ludwig-Mayerhofer et al., „... das extremste Phänomen der Armut“, 274.
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28
unterschiedlichen Ausprägung gesehen werden. So entwickelt sich bei
Männern der Verlust der Familie häufig vor dem Hintergrund eines einseitig forciert betriebenen Familienprojekts. Laut einer Untersuchung von
Ludwig-Mayerhofer et al. zeigt sich, dass Männer, die nach einer Trennung wohnungslos geworden sind, sehr viel in die Familie investiert haben
und die Trennung/Scheidung seitens der (Ehe-)Frau als dramatisches Ereignis interpretieren, welches die Lebenskonzepte und -orientierungen der
betroffenen Männer nachhaltig zerstört. Hier muss von einer starken narzisstischen Kränkung gesprochen werden, die mit dem Angriff auf die eigene Rolle als männlicher Familienversorger verbunden ist. Die Familienprojekte später obdachloser Männer waren nach patriarchalischen Bildern
von der Familie modelliert. Indem die emotionale Verkoppelung von Ehe
bzw. Familie mit der Wohnung sehr stark gewesen ist, überträgt sich das
Ende der Beziehung auf das Wohnen insgesamt. Eine Fortsetzung des
Lebens in der alten Wohnung erscheint unmöglich, der Wunsch nach einer eigenen Wohnung fehlt. Der häufig geschilderte Fall eines Umzugs in
eine andere Stadt ist gekoppelt mit dem Gefühl der Heimatlosigkeit und
bedeutet auch den Verlust von sozialen Netzwerken. In Wechselbeziehung mit fehlenden finanziellen Ressourcen war der Einstieg in ein Mietsverhältnis entweder gar nicht oder nur unter eher prekären Bedingungen
möglich. „Daß in Einzelfällen die Wohnungslosigkeit gezielt gesucht
wurde, um Unterhaltsansprüchen seitens der (Ex-)Frau und/oder der
Kinder auszuweichen“ 54, wurde von den Befragten zwar nicht explizit berichtet, für Ludwig-Mayerhofer et al. scheint das aber durchaus plausibel.
Geschlechtsspezifische Facetten hat im Kontext der Wohnungslosigkeit
aufgrund von Trennung auch die „Wohnunfähigkeit“ 55 vieler (männlicher)
Wohnungsloser. Gemeint ist damit die Unfähigkeit, sich im Haushalt
selbst zu versorgen – nicht nur mit Nahrung, sondern auch mit sauberer
Wäsche und die Wohnung zu pflegen.
Angesichts der zahlreichen Hinweise auf traditional-patriarchalische
Orientierungen und Lebensformen getrennter/geschiedener Paare lässt
sich annehmen, dass nicht die Institution Ehe an sich, sondern eine traditional-patriarchalische Arbeitsteilung in der Partnerschaft sowohl für Männer als auch für Frauen ein erhöhtes Armutsrisiko in sich trägt.
54
55
Ebd., 275.
Ebd., 278.
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29
2.3. Zwischenresümee
Wie die Ausführungen in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt haben, sind es bestimmte Armutskonzepte, die im aktuellen öffentlichen
Diskurs über soziale Probleme erfolgreich sind und so eine „hegemoniale“
Stellung einnehmen. Dass in postindustriellen Gesellschaften europäischsozialstaatlicher Prägung gerade das Konzept der sozialen Ausgrenzung
erfolgreich ist, könnte auf die Mittelstandsorientierung sozialstaatlicher
Modelle zurückzuführen sein – oder aber auch auf eine gesellschaftliche
Entwicklung, die Barlösius in der Tradition Bourdieus als „Reproduktionskrise der Sozialstruktur“ bezeichnet.
Auch ein „Frauenarmutsbericht“ kann In diesem Kontext der Mittelschichtorientierung der österreichischen Gesellschaft verstanden werden.
Auf die österreichische Gesellschaft trifft nämlich genau das zu, was
Bourdieu für Frankreich und Barlösius für Deutschland konstatieren: Die
Auseinandersetzung über die sozialstrukturellen Folgen der aktuellen
Neubestimmung des politisch-institutionellen Gefüges werden gerade von
jenen sozialen Gruppen geführt, welche einen sozialen Abstieg wahrnehmen. Es ist vor allem die Mittelschicht, die über viele Institutionen, die
sich derzeit wandeln, abgesichert war. Die Institutionen funktionieren
immer weniger, eine auf die Mittelschicht ausgerichtete Sozialstruktur zu
reproduzieren. Ihr Versagen misst sich nicht direkt materiell, also über einen massiven Abstieg in den sozialen Positionen, vielmehr besteht das
Versagen darin, dass diese Institutionen – wie zum Beispiel die Ehe oder
ein Arbeitsplatz – in Krisenzeiten keine lebensstandardgemäße Absicherung mehr garantieren. 56
Der gesellschaftliche Grundkonsens, den man auch als Integrationsmodell bezeichnen kann, ist der einer gesicherten Arbeitnehmer-, Eheund Familiengesellschaft. 57 Dieser Integrationsmodus ist in den Perspektiven der Menschen so stark verankert, dass das Aufbrechen dieses Konsenses als ein „sich außerhalb der Gesellschaft stellen“ beurteilt wird.58
56
57
58
Barlösius, Das gesellschaftliche Verhältnis der Armen, 90f.
Ebd., 89.
Ebd., 91.
30
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Um diese Zusammenhänge zu verstehen, eignen sich Bourdieus Konzepte von der „Misere der sozialen Position“ und der „Misere der sozialen
Stellung“.59
Unter „Misere der sozialen Position“ ist das augenfällige Leiden bei
den Mittellosen, die zu wenig für ihren Lebensunterhalt haben, gemeint.
Damit sind jene Formen der Benachteiligung gemeint, die mit dem Begriff
„Armut“ erfasst werden.
Die „Misere der sozialen Stellung“ ist schwieriger zu beschreiben.
Bourdieu drückt dies mit der Metapher von der „Gespaltenheit des Habitus“ aus. Der Habitus ist die Vermittlungsinstanz zwischen sozialer Position und Perspektive, das Verbindungsglied von sozio-ökonomischer
Lage und den Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata. Der Zusammenhang ergibt sich daraus, dass sich Denk-, Wahrnehmungs- und
Bewertungsschemata sowohl im individuellen Lebensverlauf als auch im
Gesellschaftsprozess aufeinander abgestimmt entwickeln. Sie können sich
im Laufe der Zeit auch wieder voneinander entfernen. Dies kann auf der
individuellen Ebene durch Veränderungen im Lebenslauf und auf der gesellschaftlichen Ebene durch einen massiven strukturellen Wandel geschehen. Die Einzelnen passen ihren Habitus einer veränderten sozialen
Laufbahn innerhalb bestimmter Grenzen an. Weichen die neuen Lebensbedingungen aber zu stark von den früheren und erwartbaren ab, dann
bewirkt diese Abweichung eine innere Spaltung des Habitus. Ein derartiger Laufbahnwechsel kann durch einen gravierenden sozialen Aufstieg als
auch durch einen ebenso gravierenden sozialen Abstieg ausgelöst werden.
In beiden Fällen passen die Praktiken der Auf- oder Absteiger/-innen
nicht zu den verfügbaren Ressourcen, es setzt sich kein stimmiges Bild aus
sozialer Position und Perspektive zusammen. Dies drückt Bourdieu mit
dem Begriff der „Gespaltenheit des Habitus“ aus.
Widersprüche, Missklänge und Disharmonien, die augrund der „Gespaltenheit des Habitus“ zu einer inneren Zerrissenheit führen, schlagen
sich im Innersten des Subjekts nieder, werden als persönliche Tragödien
erlebt und nicht als das, was sie sind, nämlich gesellschaftliche Brüche und
Widersprüche. Meist handelt es sich um Reproduktionskrisen der Sozialstruktur, die daraus resultieren, dass bisherige Rekrutierungsmodi, die ge59
Eva Barlösius, die Bourdieus Konzept theoretisch bearbeitet hat, empfiehlt, den Begriff
„Misere“ beizubehalten, da Bourdieu nicht von Armut, sondern eben von Misere
spricht. Die deutsche Übersetzung als „Elend“ führe zu Missverständnissen. Ebd., 85.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
31
sellschaftlichen Aufstieg garantierten, nicht mehr funktionieren. Reproduktionskrisen zeigen sich derzeit in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Die Widersprüche des Arbeitsmarktes bestehen darin, dass die
beruflichen Rekrutierungswege nach dem Modell der gewerkschaftlich organisierten Facharbeiter/-innen aufgebaut sind, die Betriebe aber keine
entsprechenden Arbeitsmöglichkeiten mehr anbieten. Im Bildungssystem
zeigt sich der Widerspruch darin, dass die Chancengleichheit nur ideologisch verwirklicht ist, aber nicht tatsächlich. Formal wurde die Selektionsinstitution Schule für alle Schüler/-innen geöffnet, doch intern blieben die
sozialen Grenzen starr. Die völlige Entwertung der nun für größere soziale Gruppen erreichbaren Bildungstitel war die Folge, weshalb ehemals
wertvolle Bildungszertifikate nun auf dem Arbeitsmarkt einen geringeren
Wert besitzen. Der soziale Selektionsprozess wurde nur zeitlich verlagert,
denn das berufliche Scheitern wird nun als persönliches Versagen wahrgenommen. Die Schule verspricht damit Chancen, die sie nicht hält.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass sich Strukturen so schnell wandeln, dass die Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata – der Habitus –
überholt werden. Davon sind nicht nur einzelne Personen, sondern gesellschaftliche Großgruppen wie Klassen, Schichten, regionale Einheiten betroffen.
„Ehemals projektierte und gesellschaftlich versprochene Laufbahnen sind verschlossen, angestrebte Positionen werden unerreichbar
und sicher geglaubte Aussichten verbaut, und dies, obwohl die betroffenen Gruppen alles getan haben, die in ihrer sozialen Position
angelegte ‘gesellschaftliche Flugbahn’ zu nehmen. Die Folge ist,
daß die Zukunftspläne nichtig werden.“ 60
Neue strukturelle Entwicklungen können von den betroffenen Gruppen
nicht mehr habituell aufgefangen werden. Ihre eingeübten Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster sind ungeeignet, um angemessen auf
die veränderten Strukturen zu reagieren. Bislang erfolgreiche Mittel zur
sozialen Positionierung wie berufliche Qualifikation, solidarische Zugehörigkeiten, familiale Beziehungen eignen sich nicht mehr, um gewohnte und
gesellschaftlich in Aussicht gestellte Ziele zu erreichen. Dieses Scheitern
bestimmt die Problematik der betroffenen Gruppen, die eine „Misere der
sozialen Stellung“ ist. Ausgelöst wird sie, indem die vorhandenen Erfah60
Ebd., 86.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
32
rungen und Erwartungen, das angeeignete Können und Wissen und das
eingeübte Reaktions- und Handlungsrepertoire vom gesellschaftlichen
Wandel überholt wurden. Daraus erwachsen die alltäglichen Nöte und
Enttäuschungen, die sich nicht wie die Not der materiellen Mittellosigkeit
quantifizieren und messen lassen, aber trotzdem für den Menschen existentiell und bedrohlich sind.
Führt man die verschiedenen Reproduktionskrisen zusammen, um einen allgemeinen Mechanismus zu erkennen, gelangt man zu den aktuellen
gängigen Beschreibungen des Strukturwandels moderner Gesellschaften.
Dazu gehören Begriffe wie „Individualisierung“ (mehr dazu in Abschnitt
4.2.1), „Pluralisierung“, „Modernisierung“. Für Bourdieu realisieren sich in
den Reproduktionskrisen die praktischen Folgen der Konversion zur
neoliberalen Sichtweise. Welche Beschreibung angemessen ist, sei
dahingestellt. Die Auseinandersetzung über die richtige Darstellung des
sozialstrukturellen Wandels ist Teil der Misere, weil darin Sichtweisen und
Stellungnahmen transportiert werden, welche die Betroffenen nutzen, um
ihre eigene Lage zu verstehen. Oder die Sichtweisen werden ihnen
aufgedrängt, um ihr Scheitern gesellschaftlich zu rechtfertigen.61
In der Armutsforschung wird das Konzept der „subjektiven Armut“
oft als problematisch, weil nicht wertfrei, eingestuft und deshalb vernachlässigt. Kombiniert man jedoch Simmels Konzept von „arm sein“ und
Bourdieus Konzept von der „Misere der sozialen Stellung“, erscheint subjektive Armut in einem völlig neuen Licht: Beurteilt sich jemand als
„arm“, so ist das nicht bloß subjektiv und beliebig, sondern drückt aus,
dass der sozialstrukturelle Wandel als illegitim und ungerecht wahrgenommen wird, weil er dem gesellschaftlichen Grundkonsens zuwider
läuft. Diese Bewertung kann sich auf die eigene Lage, aber auch auf eine
Neuordnung der gesamten Sozialstruktur beziehen.
Doch wie lässt sich das empirisch nachweisen? Wie können wir als
Armutsforscher/-innen erfahren, wie die Menschen Ungerechtigkeiten –
und damit auch Armut – wahrnehmen?
Hierzu braucht es ein Konzept, das sich den Denksystemen der Rezipienten/Rezipientinnen von Diskursen annähert. Die Rahmenanalyse ist
ein Ansatz, der dies ermöglicht.
61
Ebd., 87f.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
33
3. Die Rahmung von Armut
3.1. Rahmenanalyse politischer Diskurse
Spezifisch für diesen Ansatz ist die Verknüpfung von qualitativen Textanalysen mit der quantifizierenden Auswertung großer Datenkorpora62,
die aus Artikeln und Printmedien bestehen. Auch bildliche Darstellungen
werden untersucht. Der Ansatz, der auf William A. Gamson zurückgeht,
eignet sich besonders zur quantifizierenden Analyse von Themenkarrieren
in den Massenmedien.
Gamson hat die frame analysis im Kontext der symbolisch-interaktionistischen Forschungen über Mobilisierungsprozesse sozialer Bewegungen
entwickelt. Untersucht wurden die Prozesse der Mobilisierung von Zustimmung durch den Einsatz spezifischer Deutungsstrategien.
Allgemeiner ausgedrückt heißt das: Akteure konstruieren in öffentlichen Auseinandersetzungen über strittige Themen ihre Problemdeutungen
in der strategischen Absicht, möglichst breite öffentliche Resonanz zu er62
Methodisch schlägt Gamson folgende Vorgehensweise vor: Da es um die Massenanalyse
umfangreicher Datenmengen geht, erfolgt zunächst eine qualitative Mikroanalyse einzelner Texte oder Bilder. Diese werden als Bestandteile eines nach thematischen Kriterien identifizierbaren Diskurses aufgefasst und in einem ersten Interpretationsprozess
im Hinblick auf ihre wichtigsten bedeutungstragenden Elemente hin analysiert. Die einzelnen Deutungsbestandteile eines Diskurses werden zu Deutungspaketen („packages“)
gebündelt. Jedes package hat eine spezifische innere Struktur, sodass man davon ausgehen kann, dass jedem package jeweils ein zentrales Deutungsmuster – ein Deutungsrahmen („frame“) – zugrunde liegt. Im Weiteren können Argumentationsfiguren („reasoning devices“) und rhetorische Deutungsmittel („framing devices“ – z.B. Metaphern,
Verdichtungen) unterschieden werden, die zur sprachlichen Materialisierung des frame
eingesetzt werden. Packages enthalten auch eine „story line“ bzw. ein „scenario“, durch
das sie neue Ereignisse im Zeitverlauf integrieren. Nach der qualitativen Analyse exemplarischer Texte und der Rekonstruktion der packages wird in einem zweiten Schritt ein
Codierschema für die Verarbeitung größerer Datenmengen entwickelt. Argument- und
Deutungsbausteine, die in den zu codierenden Texten immer wieder auftauchen, gelten
als Indiz für das Vorkommen des jeweiligen package, aus dem es stammt. Diskurspositionen müssen nicht immer vollständig wiedergegeben werden. Vom Auftauchen spezifischer package-Elemente in einem Text kann auf die Aktualisierung des betreffenden
Deutungsrahmens und damit des gesamten package bei Rezipienten geschlossen werden. Das sagt aber nichts über die Position der Rezipienten – also deren Zustimmung
oder Ablehung – aus. Mit Hilfe des Codierschemas werden große Textmengen im Hinblick auf das Vorkommen der rekonstruierten packages untersucht. Keller, Diskursforschung, 38.
34
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
zielen, sich selbst als legitime, verantwortungsbewusste Akteure und Anbieter von Problemlösungen zu präsentieren. Öffentliche, in den Printmedien dokumentierte Auseinandersetzungen sind Austragungen der erwähnten Interpretationskonflikte. Aus diesem Grunde gelten Medien als
zentrale Arena der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion. 63
Frames sind Kategorien, mittels derer Menschen (=Rezipienten/Rezipientinnen) die Welt wahrnehmen. Es handelt sich dabei um Kategorien,
die bereits in der Kultur oder im Gedächtnis der Menschen präsent sind.
Kognition ist in diesem Sinne nicht mehr als Re-Kognition (im Extremfall
Restrukturierung bestehender Muster nach Maßgabe neuer, angemessener
Muster). Akteure verleihen den Dingen Sinn eben durch deren Wieder-Erkennung als Elemente einer sinnhaft geordneten Welt. Die Konsequenz
davon ist: Es kann nicht wahrgenommen werden, was nicht bereits zuvor
bekannt war, daher ist die Bedeutung stets in der bestehenden Kultur zu
suchen. Welcher Deutungsrahmen in konkreten Situationen aktualisiert
wird, hängt von der Kultur der Rezipienten/Rezipientinnen ab, d.h. von
der Verfügbarkeit der Kategorie in der Enzyklopädie der Rezipienten/Rezipientinnen.
Frames haben die Eigenschaft, Daten oder Elemente, die nicht in das
bestehende Schema passen, entweder anzupassen oder zu eliminieren. Datenlücken werden durch den frame ergänzt, um das wieder erkannte Muster zu vervollständigen. Außerdem kann jedes einzelne Bündel von Wahrnehmungsdaten in eine größere Menge unterschiedlicher Rahmen eingepasst werden.64
Ein frame ist also eine vorstrukturierte, standardisierte und generelle
Struktur. Sie ist bereits Teil des Wissens der Rezipienten/Rezipientinnen,
erlaubt Re-Kognition und strukturiert auf diese Weise die Wahrnehmung.
Diese Wahrnehmungsstrukturen umfassen relevante Fakten, Ursachen
und Folgen des Deutungsmusters. Akteure rufen in jeder (neuen) Situation diese Wahrnehmungsstrukturen ins Gedächtnis, verdichten das Wissen
der Rezipienten/Rezipientinnen und ermöglichen ihnen, bestimmte Erwartungen über das, was zu tun ist oder geschehen wird, zu formulieren.
63
64
Ebd., 38.
Donati, Paolo R. (2001), Die Rahmenanalyse politischer Diskurse, in: Keller, Reiner et
al. (Hg.). Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und
Methoden, Opladen, 150.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
35
Sprache ist aus dieser Perspektive nicht ein Instrument zur Beschreibung von Realität, sondern ein Instrument zur Definition von Realität.
Der Prozess der Realitätsdefinition ist sozial relevant, weil er praktische
Konsequenzen hat. Akteure entscheiden und handeln entsprechend ihrer
Kategorien und verleihen den Fakten Sinn. Die unterschiedlichen Kategorien werden zu Quellen sozialer Kämpfe um legitime Realitätsdefinitionen.
„Diskurse sind der soziale Ort, an dem diese Bemühungen um die
Definition sozialer Wirklichkeit stattfinden, so daß diese überhaupt
kollektive Geltung erlangen können. Frames sind also gleichsam
die grundlegenden Werkzeuge oder gar Waffen, die in diesen
Deutungskämpfen genutzt werden.“ 65
Die politische Rahmenanalyse dient als Instrument, um die Art und Weise,
wie die politische Realität durch Diskurse definiert – framed – wird, zu
analysieren. Im Forschungsprozess rekonstruiert man Deutungsrahmen,
wie sie in der themenbezogenen politischen Rede und Debatte benutzt
werden.
Es sind meist kontroverse Problemdefinitionen, die einen Sachverhalt,
wie zum Beispiel Armut, zu einem sozialen und politischen Thema machen. Diskurse, die sich um ein Thema formieren, sind der Hauptgegenstand der politischen Rahmenanalyse, die die unterschiedlichen frames der
in den Diskursen involvierten Akteure rekonstruiert. Das bedeutet also für
die Rahmenanalyse, dass der Forschungsgegenstand durch das soziale
Problem oder das politische Thema vorgegeben ist. Was durch die Akteure definiert wird, ist nicht das Problem selbst, sondern ist ein Objekt,
um das herum ein themenbezogener Diskurs entsteht. Dieses Objekt wird
zumeist von unterschiedlichen, mehr oder weniger kontroversen Blickwinkeln aus betrachtet.66
3.1.1. Zum Forschungsprozess
Bei der Definition und Selektion von Themen stellt sich im Forschungsprozess die Frage, welches Objekt ausgewählt werden soll. Wie findet man
den richtigen Schlüssel zu den Argumenten, durch die ein Thema kommuniziert und definiert wird? Meistens werden argumentative Verbindun65
66
Ebd., 151f.
Ebd., 152f.
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
36
gen zwischen den verschiedenen Objekten in den Diskursen explizit, sodass die Wahl des Forschungsthemas weniger dramatisch ist, als es sich
zunächst anhören mag. Es ist wichtig zu beachten, dass das, was durch die
Akteure definiert wird, nicht das Problem selbst ist, sondern das Objekt,
um welches ein themenbezogener Diskurs entsteht.
In einem weiteren Schritt ist zu entscheiden, welche „Stimme(n)“ als
relevante Elemente des Diskurses betrachtet werden. Sie müssen nicht alle
aus dem gleichen sozialen Setting kommen. Dies können politische Institutionen sein, Massenmedien, aber auch soziale Bewegungen. Die Stimmen repräsentieren jedoch nicht die Analyseeinheiten. Vielmehr sind die
Diskurse Sprechakte in mündlicher und schriftlicher Form. Sie werden als
„Text“ betrachtet. Rekonstruiert wird in der Diskursanalyse die Argumentationsstruktur, die in den Texten benutzt wird. Das Problem besteht darin, das vollständige Set an Texten zu definieren. Diskurse in klar abgrenzbaren Settings sind relativ einfach zu analysieren. Schwieriger wird es,
wenn ein Mediendiskurs untersucht wird. In diesem Fall kann eine Liste
mit Schlüsselworten ein erstes Selektionsprinzip bilden. 67
Texte bestehen also immer aus zwei Elementen, nämlich aus einem
Deutungsrahmen (frame) und aus einem Thema (topic ). Ist man mit einem bestimmten Text konfrontiert, besteht die schwierigste Aufgabe
darin, zu entscheiden, welcher Rahmen verwendet wird, um das Forschungsthema zu definieren.
Wichtig ist, dass die Analyse ein prinzipiengeleiteter Prozess ist. Bislang folgte man im Forschungsprozess eher der Intuition.
Jeder Text eines selektierten Textkorpus wird durch eine bestimmte
argumentative Form konstituiert, deren Rolle darin besteht, bereits bekannte Strukturen, Modelle oder Wahrnehmungsmuster, mit denen das
Thema implizit oder explizit gleichgesetzt wird, wieder erkennbar zu machen. Dabei spielen rhetorische Figuren und Stile bei der Definition eine
wichtige Rolle. Ein Rahmen wird nicht notwendigerweise wörtlich im
Text entfaltet, sondern diskursive Elemente können den Rezipienten/Rezipientinnen Dinge verraten, die nicht auf der wörtlichen Ebene des Textes abzulesen sind, die aber nichtsdestoweniger dort sind. Es müssen also
auch symbolische Aspekte decodiert werden, um die fundamentale semantische Struktur des Textes zu rekonstruieren. Die fundamentale Struk67
Ebd., 152ff.
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37
tur ist nicht notwendigerweise kompakter als der zu analysierende Text
selbst. In einigen Fällen weist diese über den vorliegenden Text hinaus.
Manchmal lässt sich ein Text durch einen sehr kurzen Satz repräsentieren,
der aber wiederum selbst ein sehr komplexes kulturelles Deutungsmuster
in sich birgt. Vorsicht ist auch angebracht, wenn der Text das gewählte
Forschungsobjekt nicht direkt adressiert, sondern vielmehr ein angrenzendes Thema. Solche Fälle erfordern einen weiteren Forschungsschritt,
um zum eigentlichen Forschungsgegenstand zu gelangen: Es muss der
sekundäre Deutungsrahmen identifiziert werden und die Beziehung dieses
Deutungsrahmens zum framing des eigentlichen Forschungsobjektes.
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die relevanten Elemente des framing im Text enthalten sein müssen. In vielen Fällen erfolgt das framing
über Kontext, Zeitpunkt und Ort der Äußerung. Die wörtliche Ebene des
Textes ist keinesfalls die einzige Ebene, die bei der Interpretation in Betracht gezogen werden kann. Unterthemen und Re-Definitionen des
Themas sind andere Elemente.
Eine andere Frage im Forschungsprozess betrifft die Benennung (labeling) von Deutungsrahmen. Bei der Interpretation des Textes geht es
darum, zu erkennen, welcher frame verwendet wurde, um das relevante
Objekt oder Thema zu definieren.
Bei der Analyse von Deutungsrahmen trifft man auf verschiedene Typen von Deutungsrahmen. Erkennbar sind jene Deutungsrahmen, die
Analogien mit Bezug auf Objekte konstituieren. In der Politik wesentlich
häufiger verwendet werden Deutungsrahmen, die Analogien bezüglich
von Handlungen und Ereignissen bilden. In diesem zweiten Typ von frames werden Ereignissequenzen einbezogen, die Ursachen, Voraussetzungen und Folgen implizieren. 68
Das Besondere an der Rahmenanalyse ist, dass sie ihre Analyseeinheiten nicht auf der Basis manifester Inhalte definiert. Bevor die Analyseeinheiten festgelegt werden, wird die argumentative Struktur eines Textes berücksichtigt, indem dessen Inhalte synthetisiert werden. So können latente
Sinnstrukturen (frames) rekonstruiert werden.
Die zweite Besonderheit der Diskursanalyse liegt in ihrem Umgang
mit Kategorien. Diskursanalysen übersetzen Inhalte nicht in analytische
oder soziologische Kategorien, wie es Inhaltsanalysen tun. Diskursanalyse
68
Ebd., 155ff.
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38
ist nicht an abstrakten Kategorien – wie für oder gegen etwas zu sein –
interessiert, sondern will herausarbeiten, warum jemand für oder gegen
etwas ist. Was verstehen Akteure unter einem Problem, wie betont der
Gebrauch von Metaphern bestimmte Aspekte und verbirgt oder unterdrückt andere? Wie fungieren diese Metaphern als argumentatives und
überzeugendes rhetorisches Mittel? Erzielt eine bestimmte Art des framing Resonanz in der Kultur der Rezipienten/Rezipientinnen? Werden
die Rezipienten/Rezipientinnen dadurch mehr oder weniger überzeugt,
zum Beispiel dann, wenn der Diskurs wenig rational erscheint?
Ein Text lässt sich auf diese Weise aber nur verstehen, wenn es gelingt, ihn in die Common Sense-Kategorien der Lebenswelt der Rezipienten/Rezipientinnen zu übersetzen. Diskursanalyse kann als Prozess der
Übersetzung von der Sprache des geschriebenen oder gesprochenen Textes in die Alltagskategorien gesellschaftlicher Akteure verstanden werden.
Es wird nach Indikatoren für die Kultur der Rezipienten/Rezipientinnen
gesucht – ganz anders, als es Inhaltsanalysen tun, denn diese suchen nach
Indikatoren der Sprecher-/Sprecherinnenintentionen. 69
Was die politische Diskursanalyse bis jetzt noch nicht geleistet hat,
das ist eine angemessene Verknüpfung der Ebene der ideologischen Konstrukte mit der Ebene des kollektiven Handelns. Indem Diskurse/Ideologien und Realität als Dualität gedacht werden, erscheint Realität demnach
immer durch die Diskurse verzerrt, verschleiert oder umdefiniert zu sein.
Das Diskursmodell ersetzt das Einstellungskonzept, mittels dessen Untersuchungen über politische Kultur durchgeführt werden.
Betrachtet man Diskurse jedoch als Teil der Handlungen, fasst man
sie als Interaktionen auf, die durch Akteursäußerungen ausgeführt werden,
erleichtert das die Antwort auf die Frage, welcher frame sich in einem
symbolischen Kampf durchsetzt. Die Frage, warum und aufgrund welcher
Bedingungen eine soziale Bewegung in einem sozialen System entsteht,
wird damit allerdings nicht beantwortet.
Aus dieser Perspektive sind soziale Probleme Ausdruck der Art und
Weise, wie unterschiedliche Akteure die Realität sehen. Soziale Probleme
sind aber nicht lediglich das Ergebnis sozialer Konflikte um die legitime
Definition der Realität. Der umstrittene Sachverhalt ist selbst ein Terrain,
69
Ebd., 163ff.
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39
auf dem ein Diskurs stattfindet und ist eine durch Interaktion entstandene
Konstruktion. 70
3.2. Was die politische Rahmenanalyse für die Armutsforschung leisten
kann
Die politische Rahmenanalyse erlaubt eine genauere Beschreibung der
Entwicklung und des Wandels von Wissens-, Glaubens- sowie Meinungssystemen und Ideologien. Außerdem ermöglicht sie eine Analyse der Beziehungen zwischen kulturellen und ideologischen Systemen. Die politische Rahmenanalyse eignet sich auch zur Untersuchung deliberativer Prozesse, in denen und durch die Akteure von einer Wirklichkeitsdefinition
zu einer anderen wechseln und folglich Situationen, Fakten, Ereignisse in
neuen Begriffen Sinn und Bedeutung zuschreiben. Dies geschieht, so ist
theoretisch anzunehmen, durch die Nutzung und Anwendung eines neuen
frames und im Rahmen des Prozesses des frame-alignment.71
Das frame-Konzept berücksichtigt die realitäts- und bedeutungskonstituierenden Praktiken der Akteure, indem es mit einem Modell symbolischen Handelns arbeitet. Deutungsrahmen sind Kategorisierungen, die auf
Analogien und Metaphern beruhen. Sie haben das Ziel, Bedeutung zu vermitteln und eine Übertragung von etwas bereits Bekanntem auf etwas
Neues zu erzeugen. Auch Ideologien und Glaubenssysteme (beides sind
komplexe und artikulierte Konstrukte) sind als auf verschiedenen Ebenen
miteinander verwobene und hierarchisch geordnete frames zu betrachten.
Deren Artikulation folgt aber keinen formal-logischen, sondern rhetorischen und symbolischen Regeln. Ideologien können durchaus mit verschiedenen frames des gleichen Problems und desselben Ereignisses konsistent
sein, auch wenn diese verschiedenen frames unterschiedliche Konsequenzen für das Verhalten und die ihm zugrunde liegenden Ideen haben mögen.
Ideologien sind gerade deshalb oft widersprüchlich, und zwar nicht
aufgrund der fehlenden logischen Struktur, sondern weil Strukturierung
und Legitimierbarkeit nicht von einer formalen Logik, sondern der Sprache selbst abhängen.72 Frames verrichten „konstruktiv-definitorische und
70
71
72
Ebd., 169ff.
Ebd., 165.
Ebd., 165ff.
40
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semantische Arbeit“: Sie verknüpfen „Erfahrung mit Kultur“ und ermöglichen „ideelle und ideologische“ Verbindungen. So strukturieren sie die
„gesamte Bedeutungsdimension von Erfahrung ..., während die Erfahrung gleichzeitig ... im Sprechakt ... vollzogen wird. Kultur wird
also durch fortwährende Manipulation von Verknüpfungen und
Konflikten zwischen frames geformt. Wenn man analysiert, wie
Akteure ... ihre frames konstruieren, sie verändern und verknüpfen,
so bedeutet dies zu untersuchen, wie Akteure um die Definition
der Realität kämpfen, und warum und weshalb sie bei der Mobilisierung der öffentlichen Meinung und kollektiven Handelns Erfolg
haben oder aber scheitern.“ 73
Lenken wir nun den Blick wieder auf das Thema „Armut“. Mithilfe der
Rahmenanalyse kann der Frage, wie unterschiedliche Policies als Armutsbekämpfungsmaßnahmen gerahmt werden und welche Formen struktureller Ausgrenzung dadurch entstehen, nachgegangen werden.
So zeigt zum Beispiel eine Untersuchung von Michael Bauer, welche
Rolle das Konzept der „social exclusion“ in den EU-Armutsbekämpfungsmaßnahmen als „Rahmung“ von Armut spielt. 74
Ein zweites Beispiel für die „Rahmung“ eines sozialen Problems findet sich im Kontext Familienarmut wieder: So wurde von Ministerin
Gehrer im August 2003 eine so genannte „Wertedebatte“ 75 losgetreten,
73
74
75
Ebd., 168f.
Bauer, Michael W. (2002), Limitations to Agency Control in European Union PolicyMaking: The Commission and the Poverty Programmes, in: Journal of Common Market Studies, 40 (3), 381–400.
In einer Rede in Alpbach forderte Gehrer die junge Generation auf, ihren Beitrag zum
Generationenvertrag zu erfüllen. Kinder seien die beste Zukunftssicherung. „Was
macht das Leben lebenswert? Etwa, wenn man von Party zu Party rauscht, ist es das
Single-Leben?“ Die Debatte weitete sich schnell aus, verebbte aber ebenso schnell wieder. Der Wertediskurs, der sich sehr schnell auf die Formen „Kinderkriegen oder Partyleben“ zuspitzte, löste massive Kritik aus. Die Reaktionen auf Gehrers Aussagen fielen großteils ablehnend, aber trotzdem sehr unterschiedlich aus. Die ÖVP-Jugendsprecherin Silvia Fuhrmann zeigte sich über die klischeehaften Bilder verärgert und wies
darauf hin, dass die Anforderungen an die heutige Jugend andere seien als an die Nachkriegsgeneration. Heute führe der Leistungsdruck, eine gute Ausbildung abzuschließen
und sich rasch im Berufsleben zu etablieren dazu, dass keine Zeit bleibe, um ans Kinderkriegen zu denken. Außerdem würden nach wie vor die Rahmenbedingungen fehlen,
um Kinder und Beruf besser vereinbaren zu können. Fuhrmann sprach sich deshalb für
eine Aufhebung der Zuverdienstgrenzen beim Kinderbetreuungsgeld und für flexiblere
Arbeitszeiten für Eltern aus. Der Grünen-Sprecher Alexander van der Bellen bemerkte,
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
41
die eine sehr subtile Form der Ausgrenzung von Armut – nämlich durch
einen Diskurs – ins Spiel brachte. Im Zusammenhang mit diesem, die
Sommerpause 2003 füllenden Streit, wurde öffentlich über „Kinderkosten“ diskutiert. Damit ist diese „Wertedebatte“ über Kinder in der Tradition des Sozialstaat-Diskurses zu verorten, der derzeit in beinahe allen
dass sich für viele junge Menschen die Frage stelle, „ob sie sich Kinder finanziell leisten
können. Für Frauen geht es darüber hinaus um ihre beruflichen Zukunfts- und Karriereaussichten.“ Johannes Fenz, der Präsident des Katholischen Familienverbandes,
nützte die Gelegenheit, um bessere Rahmenbedingungen für Familien zu fordern. Er
forderte vor allem eine Erweiterung der Betreuungsmöglichkeiten: „Es geht nicht nur
um das Kindergebären, sondern darum, dass Eltern auch Betreuungseinrichtungen in
Anspruch nehmen können, ohne dass sie in Armut abgleiten.“ Ähnlich reagierte auch
die ÖGB-Frauenvorsitzende Renate Csörgits, die „flächendeckende Kindergärten und
Ganztagsschulen“ forderte. Unterstützung erhielt Gehrer für ihre Aussagen von der
ÖVP-Familiensprecherin Ridi Steibl, indem sie meinte, dass eine Wertediskussion über
künftige Familienkonstellationen forciert werden müsse. Auch der ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka meinte, dass die „Keine-Kinder-Mentalität“ vieler
Österreicher/-innen nach „Gegensteuerung“ verlange. Bundeskanzler Wolfgang
Schüssel nahm, mehrere Tage nachdem Gehrer die Wertediskussion angestoßen hatte,
zu der Thematik Stellung und stärkte Gehrer den Rücken. Schüssel kritisierte, dass alles
und jedes in unserer Gesellschaft sich in Form einer ökonomischen Betrachtung materialisieren müsse. Das Materielle sei wichtig und bedeutsam, könne aber nicht die Entscheidung für oder gegen das Leben substituieren. Man müsse hingegen zu einer neuen
Form der Lebensbejahung finden, zu einer neuen Form der Herzlichkeit und der Bindung. Geborgenheit, Heimat und Wurzeln zu geben sei das Wichtigste in der Kindheit,
doch wäre das die Aufgabe der Eltern. Auch Vizekanzler Herbert Haupt unterstützte
Gehrers Argumentation. Die Gesellschaft habe sich „allzu stark egoistisch entwickelt“.
Man dürfe den Sozialstaat nicht im Sinn des eigenen „Egoismus“ und „Hedonismus“
ausnützen. Dabei räumte er ein, dass er selbst als Kinderloser sich gegen eine Adoption
entschieden hätte und damit den Generationenvertrag nicht eingehalten habe. Er würde
es deshalb verstehen, wenn er in der Pensionsversicherung schlechter gestellt würde.
Die FPÖ-Frauensprecherin Elke Achleitner kritisierte sowohl die Oppositionsparteien
als auch den Koalitionspartner für die Drohung, dass der Geburtenrückgang durch
stärkere Zuwanderung ausgeglichen werden müsse. Achleitner sieht die Ursachen für
den Kindermangel darin, dass die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen
nicht mit den Arbeitszeiten der Mütter übereinstimmen und deshalb Mütter großen
Stress hätten und nur eingeschränkt bestimmte Jobs ausführen können. Achleitner unterstützt außerdem Haiders Vorschlag, Kindergartenförderung an die Gemeinden mit
der Einführung entsprechend flexibler und bedarfsgerechter Öffnungszeiten zu koppeln. Die Anspruchsberechtigung des Kinderbetreuungsgeldes solle außerdem bis zum
sechsten Lebensjahr ausgedehnt werden. Bis September/Oktober entwickelte sich die
Diskussion insofern weiter, als über ein „Recht auf Teilzeitarbeit für Eltern“
nachgedacht wurde. Schließlich diskutierte man über die ökonomische Benachteiligung
von Eltern am Arbeitsmarkt und fehlende Kinderbetreuungsplätze. Letztendlich einigte
sich die Regierung auf die Gründung einer Kommission zum Thema Kinderbetreuung.
42
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
westlichen Industriegesellschaften geführt wird. Niedrige Fertilitätsraten
werden zunehmend als politisches Problem für den Fortbestand des Systems sozialer Sicherung gesehen. Üblicherweise geschieht die Bezugnahme
auf Familienarmut in diesem Zusammenhang unter einer starken Fokussierung auf die Armut von Kindern und Jugendlichen. Die Armut der
Pflegepersonen bzw. der Eltern dieser Kinder, die sich dahinter verbirgt,
bleibt versteckt. Diese Art des Benennens von Armutslagen von Familien
lässt sich auf die Macht des öffentlichen Diskurses um Generationengerechtigkeit im Zusammenhang mit der Reform des Pensionssystems zurückführen. Das wachsende Gewicht von Kinderarmut
„im öffentlichen Diskurs lenkt von einer dramatisch wachsenden
Ungleichheit innerhalb aller Generationen ab. Kinderarmut wird
als politisch -ideologischer Hebel benutzt, um Teile der Armutspopulation, aber auch Eltern und Kinderlose, gegeneinander auszuspielen. Ähnliches gilt für Diskussionen zum demografischen
Wandel, zur ‘Vergreisung’ der Gesellschaft und zu den daraus (angeblich) erwachsenden Finanzierungsproblemen für die Systeme
der sozialen Sicherung“ 76.
Der Diskurs geht sogar soweit, dass der Begriff „Kinderarmut“ seine Bedeutung als „Not junger Menschen“ verliert und umgedeutet wird zum
„Mangel an Nachwuchs“.77
Ein mögliches Konzept innerhalb der Rahmenanalyse, das für die Untersuchung des Armutsdiskurses geeignet ist, ist jenes der textual silence78.
Aus dieser Perspektive wurde von Thomas Huckin der Diskurs über
Obdachlosigkeit untersucht. Huckin geht davon aus, dass im Armutsdiskurs gerade das, was nicht gesagt oder geschrieben wird, wichtig ist. So
stehen gerade manipulative „Leerstellen“ – also jene relevanten Informationen, die absichtlich vor den Lesern/Leserinnen oder Zuhörern/Zuhörerinnen zum Vorteil des Sprechers/der Sprecherin oder des Autors/der
Autorin verschwiegen wird – im Mittelpunkt des Interesses. Selbstver76
77
78
Butterwegge, Christoph/Klundt, Michael (Hg.) (2003), Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Familien- und Sozialpolitik im demografischen Wandel, Opladen, 7f.
Butterwegge, Christoph/Klundt, Michael (2003), Die Demografie als Ideologie und
Mittel sozialpolitischer Demagogie? Bevölkerungsrückgang, „Vergreisung“ und Generationengerechtigkeit, in: Butterwegge/Klundt (Hg.), 66.
Huckin, Thomas (2002), Textual silence and the discourse of homelessness, in: Discourse
& Society, 13 (3), 347–372.
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43
ständlich ist es eine methodische Herausforderung für die Diskursanalyse,
genau das, was nicht da ist, zu analysieren. Es gilt zu fragen: Was wurde
nicht gesagt, was gesagt werden hätte müssen? Mit dem Blick auf den
Kontext des Sprechaktes erfolgt ein reframing.79
Texte über Armut enthalten in den meisten Fällen Aussagen über Ursachen und Folgen von Armut, öffentliche Verantwortung und demografische Daten. Von diesen Aussagen ausgehend lässt sich auf deren Rahmung schließen.
Konservativen Rahmen liegt meist der Individualismus amerikanischen Zuschnitts zugrunde (der Mythos vom „American Dream“). Wer
versagt, trägt selbst Schuld an seinem Schicksal. Strukturelle Ursachen von
Armut und Lösungen werden meist nicht erwähnt.
Strukturelle Ursachen und strukturelle Lösungen stehen hingegen in
Zusammenhang mit einem liberalen Rahmen. Hier werden vor allem die
im System grundgelegten Aspekte von Armut betont, individuelle Ursachen und Lösungen werden verschwiegen.80
Es ist wichtig zu betonen, dass jede Art von framing zu einer ideologischen Manipulation der Rezipienten/Rezipientinnen von Texten beiträgt. Manipulationen „can be passed down the food chain“ 81, sie werden
von Armutsforschern/Armutsforscherinnen über Armutsberichte und
Medien in die Öffentlichkeit übertragen und zeigen kognitive Effekte bei
den Rezipienten/Rezipientinnen. Was das in der Praxis bedeutet, zeige ich
im folgenden Fallbeispiel.
3.3. Fallbeispiel 2: Jugendliche schreiben über Armut
Wie gehen Rezipienten/Rezipientinnen mit dem Armutsdiskurs um? Was
leiten sie daraus für ihr eigenes Leben und das Leben von den so genannten „Armen“ ab?
Diese beiden Fragen standen im Vordergrund einer kleineren, diskursanalytisch angelegten Untersuchung von Schüler-/Schülerinnenaufsätzen
über Armut. Ziel war es zu entdecken, ob sich in der Argumentationsweise von Schülern/Schülerinnen frames erkennen lassen und ob diese
Schlüsse auf die Hegemonie eines Diskurses zulassen.
79
80
81
Ebd., 353f.
Ebd., 361ff.
Ebd., 366.
44
Working Papers Facing Poverty Nr. 11, Mai 2005
Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Klassen von AHS und
BHS in zwei Schulen im Bundesland Salzburg w urden gebeten, Problemarbeiten über Armut zu schreiben. Drei Aufsatzthemen wurden zur Auswahl
gestellt, es konnte eines davon gewählt werden. Die Themen lauteten:
1. Obwohl Österreich zu den reichsten Ländern der Erde zählt, gibt es
auch bei uns immer mehr – teils versteckte – Armut. Worin siehst du
die Gründe dafür, welche Maßnahmen sind von Seiten des Einzelnen
und von Seiten der Gemeinschaft notwendig?
2. Besonders armutsgefährdet sind in Österreich Alleinerzieherinnen
und deren Kinder. Für viele Frauen ist bereits während der Schwangerschaft absehbar, dass sie von Armut bedroht sein werden. Sollen Menschen überhaupt Kinder bekommen, wenn sie wissen, dass sie sie nur
mit finanziellen Schwierigkeiten großziehen können? Welche Lebensumstände sind die Grundvoraussetzung für eine Familiengründung?
3. In Österreich, einem der wohlhabendsten Länder Europas, sind rund
11% der Bevölkerung armutsgefährdet und rund 4% akut von Armut
betroffen. Erörtere, was es in unserer Gesellschaft bedeutet, als Familie armutsgefährdet oder arm zu sein und wie man Familienarmut vermeiden könnte.
Es waren insgesamt 54 Schülerund Schülerinnen, die Problemarbeiten zu
je einem dieser drei Themen schrieben. Thema 1 wurde von 24 Schülern/Schülerinnen gewählt, Thema 2 von 12 Schülern/Schülerinnen und
Thema 3 von 18 Schülern/Schülerinnen. Alle Aufsätze wurden von mir
nach der Methode von Bohnsack analysiert. Diese Methode wird üblicherweise zur Analyse von Interviews nach semistrukturierten Leitfäden verwendet und dient dazu, Argumentationsweisen und zentrale Begriffe herauszuarbeiten. Untersucht wurden die Aufsätze nach folgenden Fragestellungen:
1. Mit welchen impliziten Armutsbegriffen arbeiten die Schüler/Schülerinnen bzw. machen sie ihre verwendeten Armutsbegriffe explizit?
2. Wer ist für die Schüler/Schülerinnen arm?
3. Welche Ursachen für Armut geben die Schüler/Schülerinnen an?
4. Welche Folgen hat Armut laut den Aussagen der Schüler/Schülerinnen?
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5. Welche Maßnahmen zur Armutsbekämpfung betrachten die Schüler/
Schülerinnen als sinnvoll? Sind diese Maßnahmen auf struktureller
oder auf individueller Ebene angesiedelt?
In den Problemarbeiten zu Thema 1 wird Armut hauptsächlich als ökonomisches Problem betrachtet – das wird in einigen Arbeiten explizit gemacht, in den meisten aber ist erst nach einer Analyse der verwendeten
Argumente zu erkennen, dass die Schüler/Schülerinnen von ökonomischer Armut ausgehen. Nur in vier Arbeiten wird mit einem sozialen Armutsbegriff gearbeitet. Ein/e Schüler/-in fasst den Armutsbegriff als
„Machtlosigkeit, Hunger, Elend“ auf. Als Ursachen für Armut werden
großteils Arbeitslosigkeit und atypische Beschäftigungsverhältnisse genannt. Der Konsumdruck in der Wohlstandsgesellschaft wird von elf Schülern/Schülerinnen angekreidet – damit steht dies als Ursache für Armut an
zweiter Stelle. Scheidung und Trennung, hohe Lebenshaltungskosten, materialistische gesellschaftliche Werthaltungen, Schicksalsschläge und Katastrophen, fehlende Solidarität und die Unfähigkeit der Politik werden als
weitere Gründe für Armut angegeben. Erwähnt werden auch fehlender
Arbeitswille, Krankheit und Behinderung, eine schlechte wirtschaftliche
Lage, teure bzw. ungenügende Bildung, Sucht, Diskriminierung von Frauen, der Zerfall der Institution Ehe/Familie und mangelnde Eigenvorsorge.
Die Folgen von Armut, die die Schüler/Schülerinnen angeben, sind
sehr vielfältig. Genannt werden:
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Anhäufung von Schulden
Sucht
Jugendarbeitslosigkeit
Ausgrenzung und Einsamkeit
Stress
Vernachlässigung der Kinder, Vererbung von Armut an die Kinder
Krankheit
Macht- und Ausweglosigkeit
Zerbrechen von Familien, familiäre Probleme
Kinderlosigkeit
Leben mit Einschränkungen
Obdachlosigkeit
Die vorgebrachten Argumente bezüglich Ursachen und Folgen von Armut zeigen eine große Ähnlichkeit, was darauf schließen lässt, dass von
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den Schülern/-innen erkannt wird, dass es sich um einen Armutskreislauf
handelt. Als benachteiligte Bevölkerungsgruppen bzw. Risikogruppen werden von den Schülern/-innen angeführt:
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–
Kinder und Jugendliche (zehn Nennungen)
Familien (neun Nennungen)
Süchtige und Kranke (sechs Nennungen)
Obdachlose (fünf Nennungen)
Alleinerziehende (vier Nennungen)
weiters noch Katastrophenopfer, Behinderte, Sozialhilfeempfänger/-innen, Geschiedene, Alte, Flüchtlinge, Arbeitslose, Ausländer/-innen und Frauen.
Ein Großteil der Schüler/-innen, die das Thema 1 bearbeitet haben –
nämlich dreizehn - , betrachten Maßnahmen, die beim Individuum ansetzen, als zielführend. Die Gemeinschaft solle mehr spenden, umgekehrt
sollten „Arme“ sorgfältiger mit Geld umgehen und mehr sparen. Sieben
Schüler/-innen erkennen die Notwendigkeit eines Zusammenwirkens von
strukturellen Rahmenbedingungen und individuellem Engagement bei der
Armutsbekämpfung.
Die Schüler/-innen, die sich mit dem Thema 2 beschäftigt haben, definieren Armut in erster Linie als ökonomisches Problem. Ursachen für
die Armut von Alleinerziehenden seien vor allem
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Scheidung und Trennung
Vereinbarkeitsprobleme
ein zu geringes Einkommen
eine familienfeindliche Politik
eine traditionelle Arbeitsteilung
hohe Kinderkosten
Brüche und Schicksalsschläge im Leben eines Menschen
Probleme bei der Bezahlung von Alimenten
Mobilitätszwang, der Familien zerreißt
Veränderung der Familienstrukturen
Unter dem Begriff „Alleinerziehende“ stellen sich die Schüler/-innen
Frauen mit Kindern vor, die entweder
– nie verheiratet waren oder
– geschieden sind,
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– Hausfrauen sind,
– berufstätig sind,
– junge Mütter in Ausbildung sind
Als Folgen der Armut von Alleinerziehenden erkennen die Schüler/-innen
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–
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–
Vereinsamung
Stress
gesundheitliche Probleme
die Vererbung der Armut an die Kinder
Ausgrenzung
Chancenungleichheit
Eltern können ihre Ausbildung nicht abschließen
zunehmende Kinderlosigkeit, Geburtenrückgang
ethische Probleme hinsichtlich der Haltung gegenüber (ungeborenen) Kindern
Jene Schüler/-innen, die notwendige Maßnahmen auf individueller Ebene
ansiedeln, empfehlen, den Kinderwunsch so lange hinauszuzögern, bis die
Voraussetzungen für eine Familiengründung geschaffen sind: eine stabile,
liebevolle Partnerschaft, Kinderwunsch, ein geregeltes Einkommen und
ein Haus bzw. eine Wohnung. Kinder sollen demnach „geplant“ werden.
Adoption oder Abtreibung werden von wenigen Schülern/Schülerinnen
in Betracht gezogen, sollte die werdende Mutter nicht die Verantwortung
für ihr Kind tragen können. Der Gedanke, dass man sich ein Kind „leisten
können muss“, wird von sieben Schülern/Schülerinnen in unterschiedlicher Weise formuliert. Nur zwei Schüler/-innen betonen, dass das Leben
nicht planbar sei, Kinder nicht mit Materiellem gleichgesetzt werden können und das eigene Leben nicht gesellschaftlichen Normen entsprechen
muss, um Kinder bekommen zu können. Gewünscht werden von den Jugendlichen
– mehr staatliche Unterstützung von Alleinerziehenden bzw. jungen
Familien,
– dass Väter mehr in die Verantwortung genommen werden,
– mehr Aufklärung über den Alltag mit Kind,
– bessere Vereinbarkeit von Ausbildung und Kinderbetreuungspflichten,
– politische und wirtschaftliche Sicherheit,
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– Anerkennung der Leistungen von Alleinerziehenden,
– Umverteilung zugunsten von Alleinerziehenden.
Das Thema 3 wurde von 18 Schülern/Schülerinnen bearbeitet. Es geht
darin um Familienarmut. Die Ergebnisse der Auswertung zeigen, dass
diese Lebenswelt den Schülern/Schülerinnen sehr viel näher ist als die Armutssituationen, die im Kontext der anderen beiden Fragestellungen zu
behandeln waren. Die Beschreibungen und Argumente sind hier sehr
„dicht“ und werden vor allem aus der Sicht der Jugendlichen geschildert.
Dichte Beschreibungen finden sich bereits bei der Definition von Armut,
die – auch hier wieder implizit als auch explizit – als Zusammenspiel von
ökonomischer und sozialer Armut betrachtet wird. Einige der Schüler/-innen definieren Armut auch mit eigenen Worten, zum Beispiel „arm
ist, wer am Alltagsleben nicht teilhaben kann“, „wer zuwenig Geld hat,
um Grundbedürfnisse zu befriedigen“, „Familien sind arm, wenn die Kinder nicht versorgt werden können“.
Als Ursachen für Familienarmut betrachten die Schüler/-innen
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Arbeitslosigkeit
unregelmäßiges Einkommen
Wirtschaftskrise, zunehmende Konkurse
Einsparungen in der Sozialpolitik
Verschuldung durch den Wunsch nach einem Eigenheim
Krankheit
hohe Lebenshaltungskosten
Scheidung
Vereinbarkeitsprobleme der Eltern
Schicksalsschläge und Katastrophen
zu viele Kinder
fremd sein
Konsumzwang
hohe Risiken für Arbeitgeber, wenn sie „Sozialfälle“ einstellen
Gesellschaftsstruktur
das Zusammentreffen mehrerer Armutsrisiken
das Abschieben von Familienarmut in die private Sphäre
fehlende Aufklärung und Bildung
Leben über die eigenen Verhältnisse
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– wenig Toleranz bei Zahlungsrückständen
Die Folgen von Familienarmut würden in erster Linie die Kinder treffen
und sind laut den Argumentationen der Schüler/-innen:
– Ausgrenzung und Einsamkeit (17 Nennungen bei 18 Aufsätzen)
– psychische Probleme und höhere Anfälligkeit für Suchtmittel
(7 Nennungen)
– Einsparungen bei der Ausbildung der Kinder
– weniger Chancen
– Angst
– Druck
– Scham
– Abhängigkeit von sozialen Einrichtungen
– erhöhtes Gesundheitsrisiko
– Vererbung von Armut
Einer der Schüler/Eine der Schülerinnen bringt Familienarmut folgendermaßen auf den Punkt:
„Armut (für Familien) in unserer Gesellschaft bedeutet, dass Familien die wesentlichen Kriterien, die eine Familie auszeichnen, aus
finanziellen Gründen nicht verfolgen können, wie zum Beispiel der
Wunsch nach Kindern oder auf ein Eigenheim.“82
Wesentlich häufiger als bei den Themen 1 und 2 erkennen die Schüler/-innen das Zusammenwirken von individuellen und strukturellen Ursachen als Auslöser von Familienarmut, scheinen aber die sozialen Auswirkungen, nämlich Ausgrenzung und psychische Probleme, stärker zu
bewerten.
Auffallend bei den Erörterungen zu Thema 3 ist, dass die erwünschten bzw. empfohlenen Maßnahmen gegen Familienarmut wesentlich stärker auf struktureller Ebene angesiedelt sind als bei Erörterungen zu den
Themen 1 und 2. Gewünscht wird:
– ein stärkeres Eingehen auf die Bedürfnisse von (jungen) Familien
durch die Politik
– stärkere Umverteilung zugunsten der Familien
– ein Wertewandel bzw. gesellschaftliches Umdenken, mehr Solidarität
82
Aufsatz Nr. 9/3.
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– kostengünstigere Bildung
– konkrete Armutsbekämpfungsmaßnahmen
– eine Senkung der Lebenshaltungskosten (Wohnen, Kleidung, Lebensmittel, Gesundheitsvorsorge)
– eine positive Diskriminierung von Müttern in der Arbeitswelt
– bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie
– eine stärkere Einbeziehung von Familien und Jugendlichen in die
Politik (Partizipation)
– Individuelle Maßnahmen gehen in Richtung mehr Selbstbewusstsein, weniger Schulden eingehen, mehr Hilfe.
3.4. Zwischenresümee
Hier stehen also „dünne Beschreibungen“, die nur die Oberfläche spiegeln
im Gegensatz zu „dichten Beschreibungen“, die von Tiefenschichten und
Innenansichten des „Sparen-Müssens’“ in der Familie erzählen. 83
Die Idee, Jugendliche Problemarbeiten über Armut schreiben zu lassen, beruht auf der Annahme, dass diese öffentlichen Diskurse rezipieren
und mit ihrer Erfahrungs- und Lebenswelt in Verbindung bringen. Die
schein-objektive Argumentationsweise, die vom Schulsystem beim Verfassen von Problemarbeiten verlangt wird, lässt persönliche Erfahrungen
hinter rezipierte Rahmungen treten. Gerade der Vergleich der Erörterungen nach Themen zeigt aber, dass es den Schülern/Schülerinnen sehr
wohl möglich ist, das Thema „Familienarmut“ mit ihrer Lebenswelt zu
verbinden und die Schwierigkeiten in ihren eigenen Familien aus der Sicht
des Jugendlichen/Kindes wahrzunehmen. Umgekehrt sind Themen, die
Armut allgemein betreffen oder sich mit ethischen Fragen bezüglich der
„Leistbarkeit“ eines Kindes der Lebenswelt der Jugendlichen eher fremd.
Die Schüler/-innen tendieren in diesen Fällen eher dazu, Diskurse zu rezipieren und Rahmungen nicht als öffentliche Meinung, sondern als „Wahrheiten“ anzunehmen.
83
Die Begriffe „dichte“ und „dünne Beschreibungen“ verwendet Clemens Sedmak, um
den Prozess des Verstehens von Armut zu erklären. Damit greift er auf die von Gilbert
Ryle eingeführten Kategorien zurück. Sedmak, Clemens (2003), Erkennen und Verstehen. Grundkurs Erkenntnistheorie und Hermeneutik, Innsbruck/Wien, 116; Sedmak,
Clemens (2003), Kleine Verteidigung der Philosophie, München, 15.
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51
Der wissenschaftliche Anspruch, noch „dichtere“ Beschreibungen
von Armut von Schülern/Schülerinnen zu bekommen, stößt schnell an
Grenzen. Jegliche „Umfragen“ – d.h. Gespräche mit Schülern/Schülerinnen – müssen von den zuständigen Landesschulräten genehmigt werden. Weiters braucht es eine Zustimmung durch die Eltern der Schüler/-innen. Das charakterisiert in der Gegenwart die Institution Schule, die
nur wenig Raum lässt für philosophische Protoerfahrungen wie Staunen,
Neugierde, Zweifel, Verwirrung, Fragen und Angst. Schule ist, sofern
nicht einzelne Lehrpersonen einen „anderen“ Weg gehen, ein System sozialer Kontrolle.
4. Armut und soziale Kontrolle
4.1. Soziale Kontrolle
Soziale Kontrolle wird als Charakteristikum von Gegenwartsgesellschaften, die mit den Schlagworten Individualisierung und Pluralisierung charakterisiert werden, meistens vernachlässigt. 84 Die Ursache dafür liegt laut
Silvia Hahn darin, dass sich die klassische Frage nach sozialen Kontrollen
in der Sozialstrukturanalyse deshalb nicht stellt,
„weil ‘soziale Kontrolle’ ausschließlich mit den Handlungsrestriktionen traditioneller Gesellschaften in Verbindung gebracht wird
und damit angesichts des beschriebenen ‘Freisetzungsprozesses’ als
inadäquate Analysekategorie erscheinen muß. [...] Es fragt sich jedoch, ob die ‘neue Eigenständigkeit’, durch die die modernen Gemeinschaftsformen gekennzeichnet sind, wirklich Ausdruck des
Verlustes sozialer Kontrolle ist.“ 85
Bei genauer Betrachtung der sozialen Wirklichkeit lassen sich aber Phänomene entdecken, die ehemals im Kontext traditioneller Lebensformen
oder vormoderner Gesellschaften mit dem Begriff „soziale Kontrolle“ beschrieben worden sind. Diese neuen Zwänge beschreibt Hahn folgendermaßen:
84
85
Hahn, Cornelia (1995), Soziale Kontrolle und Individualisierung. Zur Theorie moderner Ordnungsbildung, Opladen, 9.
Ebd., 20f.
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52
„Mit dem Wandel der sozialen Struktur müssen sich danach jedoch
auch die Formen der sozialen Kontrolle verändern. Wie von den
Klassikern herausgearbeitet worden ist, variieren diese Formen im
gesellschaftlichen Prozeß, ohne daß hierdurch ihre Funktion berührt würde: zunehmende Individualisierung und Lockerung der
Handlungsordnung zum Beispiel lassen nicht auf das Fehlen sozialer Kontrolle schließen.“86
Die ausschließliche Konzentration auf Handlungsspielräume als gesellschaftliche Strukturkategorie verstellt den Blick auf Handlungsbeschränkungen, bemerkt Hahn. 87 Die sozialstrukturelle Freisetzung und Bindung
in der Moderne kann jedoch als Prozess von zunehmender Individualisierung und gleichzeitig zunehmender sozialer Kontrolle beschrieben werden.88
„Sieht man soziale Kontrolle nämlich weniger unter dem Aspekt
von gesellschaftlich produzierten Restriktionen, die die ‘eigentlich’
unbegrenzte Handlungsautonomie der Einzelnen beschneiden,
sondern unter dem Aspekt, welche und wieviel Kontrollarbeit dem
Einzelnen innerhalb eines bestimmten sozialstrukturellen Gefüges
zugemutet wird, um nicht als ‘deviant’ deklassiert zu werden, so
läßt sich erkennen, daß das Gesamtvolumen sozialer Kontrollen
zugenommen haben muss.“89
Hahn führt aus, dass es gerade in der individualisierten Gesellschaft keine
zwingende Handlungslogik, wohl aber eine Kontrolllogik gebe. Auf soziale Kontrolle könne reagiert werden, indem entweder dem nahe gelegten
Verhalten entsprochen wird – also mit Konformität –, oder aber indem
aktive Gegenkontrolle versucht werde, die dann mit einem größeren Arbeitsaufwand verbunden sei. Komplexe soziale Systeme können dem Einzelnen zwar keine systemische Handlungslogik aufzwingen, kontrollieren
aber dadurch, dass Individuen nur in einer bestimmten mediatisierten
Form handeln können, wenn sie die Ordnungsleistungen, die das System
erbringt, in Anspruch nehmen wollen. Individuelle Kontrollstrategien sind
damit ausgeschlossen – oder der Systemerhalt wird gefährdet. Ein Kennzeichen der Moderne und die Voraussetzung von Individualisierung ist
86
87
88
89
Ebd., 54.
Ebd., 41.
Ebd., 119.
Ebd., 169.
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53
der sozialstrukturelle Tatbestand, dass die Individuen gerade nicht an einem sozialen System teilnehmen, sondern im Schnittpunkt von zunehmend vielfältigeren sozialen Systemen stehen. Individuelle Kontrollstrategien beziehen sich darauf, wie unterschiedliche Systemstrukturen in der
Alltagspraxis kompatibel gemacht werden bzw. gemacht werden müssen.
Die Individualisierung des Lebensstils ist also vor allem auch mit hohen
und möglicherweise belastenden Anforderungen verbunden.90
Betrachtet man soziale Kontrolle dabei in Verbindung zu staatlichen
Institutionen, so zeigt sich, dass mit zunehmendem institutionellem Ausbau eine immer subtilere Form sozialer Kontrolle konstatiert werden
kann. So zum Beispiel wird die Eigenverantwortung für soziale Problemlagen von der öffentlichen Subsistenzsicherung vorläufig als „Normalität“
dargestellt. 91 Es finden sich aber auch Hinweise dafür, dass soziale Kontrolle durch sozialpolitisch reglementierte „Instanzen sozialer Kontrolle“
ausgeübt wird, indem das Personal dieser Institutionen gemäß den Verwaltungsvorschriften handelt. 92 Es darf jedoch nicht übersehen werden,
dass innerhalb eines institutionellen Rahmens ein Symbolgehalt auf alle
Interaktionspartner/-innen und nicht nur auf die Klientel wirkt. So zum
Beispiel leiden auch die Beschäftigten des Sozialamtes unter ihrer gesellschaftlichen Etikettierung.93
Der Begriff der „sozialen Kontrolle“ bezieht sich aber auch auf die
Kapazität einer Gesellschaft, sich selbst zu regulieren. Dies kann durch in
diesen Strukturen inhärente kulturelle Handlungsmuster, Regeln, Symbole,
Werte, Ideen und Ideale geschehen. 94 Prinzipiell existiert ein breites Spektrum von Kontrollmechanismen, was nahe legt, dass soziale Kontrolle
durch vielfältige Formen ausgeübt werden kann.95
90
91
92
93
94
95
Ebd., 169f.
Ebd., 8.
Ebd., 15.
Ebd., 16.
Ebd., 63.
Ebd., 84ff.
54
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Formen bzw. Mechanismen sozialer Kontrolle können sein: 96
- „Ethische sowie politische Instrumente der Kontrolle, die auf der
Konstitution von kollektiven Gefühlen“ basieren, wie zum Beispiel
‘public opinion’, ‘suggestion’, ‘personal ideal’, ‘social religion’, ‘art’,
‘social valuation’
- Ethische und politische Instrumente der Kontrolle, die „auf gesellschaftlicher Nützlichkeit und gesellschaftlichem Eigeninteresse“
basieren, wie zum Beispiel ‘law’, ‘belief’, ‘ceremony’, ‘education’,
‘illusion’
- „Ausübende Organe der sozialen Kontrolle, die sich nach dem gesellschaftlichen Wertesystem richten, das jeweils eine bestimmte
Gruppe von Positionsinhabern mit Machtbefugnissen ausstattet“
- „Bewertungskriterien sozialer Kontrolle wie ‘economy’, ‘inward’,
‘simplicity’, ‘spontaneity’, ‘diffusion’[,] ..., ‘laissez faire’“
Cornelia Hahn, die verschiedene Formen sozialer Kontrolle auf theoretischer Ebene diskutiert, kommt zu dem Schluss, dass besonders das „laissez-faire“-Prinzip in einer individualisierten Gesellschaft als Kontrollinstrument wirken kann, wenn dadurch Ordnungsleistungen, die aus dem
kulturellen Potential der Individualisierung oder des Freiheitsdranges resultieren, ausgeschöpft werden können. 97 Das Problem moderner Gesellschaften, soziale Ordnung herzustellen, ist demnach nicht durch rigidere
soziale Kontrolle möglich, sondern durch ein kontrolliertes „laissezfaire“.98 Hahn geht sogar soweit, dass sie das gesellschaftliche Strukturprinzip „Individualisierung“ als Kontrollprinzip interpretiert, da dadurch
Handlungspraktiken zugelassen und gefördert werden,
„die auf einem individuellen Gestaltungsspielraum basieren. Dieser
Gestaltungsspielraum ist zur Konstitution einer komplexen Gesellschaftsstruktur notwendig, in der allgemein verbindliche, aber ausdifferenzierte Handlungsregeln nicht mehr entwickelt werden können. (...) Die Grenzen individueller Kontrolle liegen da, wo formalisierte Kontrollen wirksam werden; diese können jedoch wie-
96
97
98
Ross, E., On social control. A survey of the foundations of order, London/New York
1970, 428ff., zit. nach: Hahn, C. (1995), Soziale Kontrolle und Individualisierung. Zur
Theorie moderner Ordnungsbildung, Opladen, 85.
Ebd., 92.
Ebd., 157.
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55
derum sowohl als Zwang als auch Entlastung angesehen werden.“99
Die Ausübung von Kontrolle als auch die kreative Reaktion auf Kontrollversuche anderer werden in der Soziologie als „Kontrollarbeit“ bezeichnet. Universale Kontrollstrukturen wirken als Entlastungsmechanismen,
die die individuelle Kontrollarbeit vermindern, gleichzeitig aber die formalisierte Kontrolle über Handlungen verstärken. In manchen Bereichen
sind diese Entlastungsmechanismen so stark institutionalisiert, dass die
Entscheidung zu individueller Kontrolle nur durch verstärkte Kontrollarbeit zu erzielen ist. Die Entscheidung zu unformalisierten Handlungsformen ist außerdem immer auch mit Verständigungsrisiken oder Sanktionierungen verbunden, so dass sich aus den möglichen Folgeproblemen dieses
Verhaltens erneut individuelle Gestaltungszwänge ergeben können. Deshalb kann es sein, dass in Situationen verstärkter Kontrollanforderungen
standardisierte Handlungsmuster subjektiv als Unterstützung angesehen
werden. Diese Unterstützungen sind jedoch ambivalent: Sie lösen einerseits ein Kontrollproblem, andererseits wirken sie selbst sozial kontrollierend oder evozieren durch die Art der nahe gelegten Kontrolle wieder
Folgeprobleme, auf die mit aktiver Gestaltung reagiert werden muss.100
Betrachtet man aus dieser Perspektive den Stil der Lebensführung, erscheint dieser als ein individuell gewähltes Problemlösungsmuster bzw.
Kontrollmuster zur Herstellung eines subjektiv geordneten Lebensverlaufs, wobei auf standardisierte Problemlösungsangebote zurückgegriffen
werden muss. Hier bieten sich Möglichkeiten für vielfältige soziale Kontrollen. Auch hier zeigt sich deutlich, dass das Strukturprinzip Individualisierung zum Kontrollprinzip werden kann. Denn: „Je standardisierter die
verfügbaren Mittel zur Bewältigung dieser Aufgabe sind, desto höher werden die kulturellen Anforderungen an die Herstellung eines individuellen
Lebensstils.“ 101
Demnach darf die Frage also nicht ausschließlich lauten, welche Muster sozialer Kontrolle in einer individualisierten Gesellschaft wirken, sondern es muss auch danach gefragt werden, welchen Beitrag die zunehmende Individualisierung zur gesellschaftlichen Kontrolle leistet.
Ebd., 174.
Ebd., 174f.
101 Ebd., 175.
99
100
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56
Die Individualisierungsthese vernachlässigt, dass persönliche Autonomie in der Moderne einen kulturellen Wert darstellt. Der gegenwärtige
Anomisierungsprozess verschleiert, dass er in eine kulturelle Umwelt eingebettet ist, die persönliche Autonomie für alle zum Anspruch gemacht
hat. 102 Autonomie ist zu etwas wie einem „Mythos der Moderne“ geworden. Politische und wirtschaftliche Freiheit sowie die Lösung aus überkommenen Fesseln durch Aufklärung gilt als Indikator des gesellschaftlichen Fortschritts. 103
4.2. Soziale Kontrolle und Lebensstil
Soziale Kontrolle manifestiert sich auch im Lebensstil der Individuen. Lebensstil umfasst die Art und Weise der praktischen Lebensführung und
gilt zudem als Ausdruck individueller Persönlichkeit. Konstruktionsmerkmale von Lebensstil können sein: 104
– „die Familien- und Haushaltsstrukturen, insbesondere die Zusammensetzung der Haushalte und die Erwerbsbeteiligung der Haushaltsmitglieder
– die Muster des Konsums, insbesondere die Verwendung des nichtrestitutiven Einkommens
– die Zeit- und Aktivitätsbudgets
– die sozialen Beziehungen der Haushalte und die Mitgliedschaften
der Haushaltsangehörigen
– die Wohnformen, Einrichtungen und Ausstattung
– die Werteinstellungen
– die Lebensziele und Lebenspläne“
Sicherlich gibt es Unterschiede hinsichtlich der Möglichkeiten und auch
Restriktionen in der Gestaltung der eigenen Lebensführung. Dies hängt
eng mit den dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen zusammen, mit
objektiven Bedingungen, unter denen und auf diese bezogen Menschen
handeln müssen und können. Doch die Feststellung der Tatsache, dass es
Ebd., 25.
Ebd., 26.
104 Zapf, W., Individualisierung und Sicherheit. Untersuchungen zur Lebensqualität in
der Bundesrepublik Deutschland, München 1987, 16, zit. nach: Kraft, S. (1992), „Modernisierung“ und „Individualisierung“. Eine kritische Analyse ihrer Bestimmungen.
[Masch.-schr.] Diss. Regensburg, 207.
102
103
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ausdifferenzierte Lebensstile gibt, darf nicht eine Analyse der Bedingungen, unter denen diese Differenzierung stattfindet, ersetzen. 105
Wenn man die neuen Abhängigkeiten und Zwänge inhaltlich benennt,
wenn man beginnt herauszuarbeiten, wie die neuen Freiheiten mit den
neuen Zwängen zusammenhängen, wird deutlich, dass es heute einen
„Zwang zur Individualisierung“ gibt. Die Ernsthaftigkeit und Verbissenheit, mit denen Menschen versuchen, die Selbstverwirklichungsziele zu erreichen und wie sehr sie sich unter Druck setzen lassen, etwas Besonderes
sein und machen zu müssen, um überhaupt wahrgenommen zu werden,
entgeht einem Blick, der Individualisierung und Entscheidungsdruck als
Phänomen privilegierter Schichten abtut. 106
Individualisierung hat in jedem sozialen Milieu und in jeder Generation eine andere Färbung und weltanschauliche Einbettung. Individualisierung als allgemeines kulturelles Muster wird individuell, unter je spezifischen Bedingungen und je spezifischen Ressourcen, angeeignet und umgesetzt. Individualisierung allein für das Intellektuellen- und Selbstverwirklichungs-Milieu für gültig zu erklären, verharmlost sogar die Situation.
Schroer betont in seinen Ausführungen, dass auch Arbeiter/-innen,
Arbeitslose und Arme nicht vom Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit ausgenommen sind und deshalb auch an den gesellschaftlichen Umbrüchen beteiligt, die mit den Stichworten Individualisierung, Pluralisierung, Erlebnisorientierung, Stilisierung des Lebens, Enttraditionalisierung
beschrieben werden.107
Schroers Auffassung wird durch einige empirische Untersuchungen
belegt. So weisen unter anderem Leibfried et al. darauf hin, dass auch
arme und randständige Menschen grundsätzlich Handelnde sind, die
Chancen haben, zu einer Veränderung ihrer Lage oder zu einem aktiven
Umgang mit ihr beizutragen. 108 Auch die Untersuchung über die postmoderne Familie von Judith Stacey widerlegt die These, dass es sich bei den
in der Familiensoziologie diskutierten neuen Formen des Zusammenlebens um ein Mittelschichtphänomen handelt. Im Gegenteil tauchte die
Ebd., 208.
Schroer, Markus (2000), Das Individuum der Gesellschaft. Synchrone und diachrone
Theorieperspektiven, Frankfurt/Main, 428.
107 Ebd., 425.
108 Leibfried, Stephan et al. (1995), Zeit der Armut. Lebensläufe im Sozialstaat. Frankfurt/Main.
105
106
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Zunahme von Scheidungen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften,
von erwerbstätigen Müttern, Zwei-Verdiener/-innen-Haushalten, Alleinerziehenden oder unverheirateten Paaren, matrilinearen, erweiterten und
künstlich geschaffenen, verwandtschaftlichen Unterstützungssystemen
unter Armen und Angehörigen der Arbeiterschaft wesentlich früher und
in größerem Maßstab auf.109
Dass Individualisierung, Erlebnisorientierung, Inszenierung und Stilisierung auch auf gesellschaftliche Randgruppen angewendet werden könnte, rührt an einem Tabu, an einem – keineswegs stillschweigenden – Konsens der Soziologie der Moderne darüber, dass allenfalls privilegierte
Gruppen es sich leisten können, ihr Leben aktiv und kreativ zu gestalten. 110 Von mehreren Seiten wird die Behauptung eines universellen Individualisierungstrends in Zweifel gezogen. Kann es sein, dass es sich dabei
um eine Erscheinung großstädtisch-akademischer Milieus ha ndelt?111
In der Haltung, „Individualisierung, Stilisierung und postmoderne Lebens- und Liebesformen“ als Phänomen „einiger weniger Privilegierter
abzutun“, verberge sich jedoch ein „typisch intellektuelles Selbstmißverständnis“, so Schroer. „Während sich Intellektuelle diese Fähigkeit zur
Selbstinterpretation und Selbstdarstellung wie selbstverständlich zutrauen,
sprechen sie es anderen Gruppen schlichtweg ab.“112
Gerade deshalb wird die Individualisierungsthese von der klassentheoretischen Strömung innerhalb der Sozialstrukturanalyse kritisiert, da im
Hintergrund eine Generalisierung eines Mittelschichtphänomens auf andere Schichten vermutet wird: Man verschleiere damit soziale Ungleichheiten. Mit der Individualisierungsthese verbunden sei die Überzeugung,
dass gesellschaftliche Randgruppen keine Wahlmöglichkeiten haben. Arbeiter/-innen oder einfache Angestellte, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger/-innen, Alte, Ausländer/-innen und Angehörige unterer Einkommensgruppen werden als Erdulder/-innen ihrer alternativlosen Position
betrachtet. 113
Stacey, Judith (1991), Zurück zur postmodernen Familie. Geschlechterverhältnisse,
Verwandtschaft und soziale Sicht im Silicon Valley, in: Soziale Welt, 42, 301–322.
110 Schroer, Individuum der Gesellschaft, 424.
111 Burkart, Günter (1994), Die Entscheidung zur Elternschaft. Eine empirische Kritik von
Individualisierungs- und Rational-Choice-Theorien, Stuttgart, 129.
112 Schroer, Individuum der Gesellschaft, 427.
113 Ebd., 422f.
109
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4.2.1. Sozialstruktur – Individualisierung - Disziplinierung
Der gesellschaftliche Individualisierungsschub, den Ulrich Beck beschreibt, hat sich vor dem Hintergrund eines relativ hohen materiellen Lebensstandards und sozialstaatlicher Sicherheit vollzogen. Dadurch wurden
die Menschen aus traditionalen Versorgungsbezügen der Familie und
Klassenbedingungen herausgelöst und auf sich selbst und ihr individuelles
Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen
verwiesen.114 Die Individuen wurden zu Akteuren ihrer marktvermittelten
Existenzsicherung und der darauf bezogenen Biografieplanung und
-organisation. 115
Beck behauptet, dass die Dynamik des sozialstaatlich abgesicherten
Arbeitsmarktes die sozialen Klassen im Kapitalismus ausgedünnt bzw.
aufgelöst hat. Es handelt sich beim modernen Kapitalismus um einen Kapitalismus ohne Klassen, aber mit allen damit verbundenen Strukturen
und Problemen sozialer Ungleichheit. Die Tendenz zur Klassenlosigkeit
sozialer Ungleichheit zeigt sich in der Verteilung der Massenarbeitslosigkeit. 116
Beck weist darauf hin, dass der Wirklichkeitsgehalt des Klassen- und
Schichtungs-Paradigmas in Zweifel gezogen werden muss. Das ständische
Gepräge und die soziale Wahrnehmbarkeit der Klassen im Sinne von
Großgruppen, die sich durch Kontakt-, Hilfs- und Heiratskreise abgrenzen, ist niemals ein nur wissenschaftlicher Begriff. Die Gesellschaft versteht und ordnet sich selbst in Klassen und der soziologische Begriff
nimmt dies auf und reflektiert die darin enthaltenen Annahmen. Deshalb
ist eine Gesellschaft, die nicht mehr in sozial wahrnehmbaren Klassenkategorien handelt, auf der Suche nach einer anderen Sozialstruktur. Den
Begriff der „Schicht“ versteht Beck als liberalisierten Klassenbegriff.
Schicht ist demnach ein „Übergangsbegriff, dem die soziale Realität der
Klassen bereits unter den Händen verschwimmt, der sich aber die eigene
Ratlosigkeit noch nicht einzugestehen wagt und der dann das willig mit
Beck, Ulrich (1986), Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/Main, 116; Kraft, „Modernisierung“ ..., 191ff.
115 Hahn, Soziale Kontrolle ..., 23.
116 Beck, Risikogesellschaft, 117.
114
60
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sich geschehen läßt, was Wissenschaftler gerne tun, wenn sie ratlos werden: ihr Handwerkszeug putzen.“ 117
Die Individualisierungstheorie löst sich von Begriffen wie Klasse und
Schicht, weil sie die Frage nach den Abständen zwischen unterstellten
Großgruppen stellt und damit nach dem Relationsaspekt sozialer Ungleichheit fragt. Außerdem stellt sie den Klassen- bzw. Schichtcharakter
der Sozialstruktur in Frage. Ins Zentrum tritt hier, dass die Relationen sozialer Ungleichheit und ihr sozialer Klassencharakter sich unabhängig
voneinander verändern können. 118
„Bei konstanten Abständen im Einkommen usw. sind im Zuge
von Individualisierungsprozessen in der wohlfahrtsstaatlichen
Nachkriegsentwicklung die sozialen Klassen enttraditionalisiert und
aufgelöst worden, und umgekehrt: die Auflösung sozialer Klassen
(Schichten) kann unter anderen Rahmenbedingungen – etwa der
Massenarbeitslosigkeit – mit einer Verschärfung sozialer Ungleichheiten einhergehen. Dieser ‘Fahrstuhl-Effekt’ nach unten gewinnt
seit den achtziger Jahren an Bedeutung.“119
Arbeitsmarktrisiken werden somit nicht mehr klassensolidarisch abgefedert und es kommt dadurch zu neuen Ungleichheiten in Konsum- und
Lebensstil, die aber nicht entlang der alten Klassengrenzen liegen. 120 Verschärfung und Individualisierung sozialer Ungleichheiten greifen ineinander. Systemprobleme werden in persönliches Versagen abgewandelt und
politisch abgebaut. Dadurch geraten Individuum und Gesellschaft in eine
neue Unmittelbarkeit: Gesellschaftliche Krisen erscheinen als individuelle
und werden in ihrer Gesellschaftlichkeit nur noch bedingt wahrgenommen.121
Die Freisetzung aus ständisch geprägten sozialen Klassen und die
Freisetzung aus Geschlechtslagen darf nicht mit Emanzipation gleichgesetzt werden, denn die Individualisierung geht einher mit Tendenzen der
Institutionalisierung und Standardisierung von Lebenslagen. Die freigesetzten Individuen werden arbeitsmarktabhängig und bildungsabhängig,
Ebd., 140.
Ebd., 142.
119 Ebd., 142f.
120 Burkart, Entscheidung zur Elternschaft, 113; Beck, Ulrich (1994), Jenseits von Stand
und Klasse?, in: Beck/Beck-Gernsheim (Hg.), 43–60.
121 Beck, Risikogesellschaft, 118.
117
118
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konsumabhängig, abhängig von sozialrechtlichen Regelungen und Versorgungen. Dies verweist auf eine besondere Kontrollstruktur, die auch offen
ist für implizite politische Gestaltung und Steuerung.
Die ausgeprägte materielle Kultur wirkt als Integrationsmechanismus
und Disziplinierungsmaßnahme der Industriegesellschaft.
„In den entwickelten westlichen Industriegesellschaften richtet die
– schrumpfende – Mehrheit ihr Leben im Rahmen der materiellen
Kultur ein. Sie entwickelt Formen der Lebensführung, die an individuellen Neigungen und Interessen orientiert sind, die sich wiederum durch Selektion aus den jeweils zugänglichen Angeboten
und Möglichkeiten ergeben haben. Diese Formen der Lebensführung sind in hohem Maße individualisiert und zugleich weitgehend
gesellschaftlich standardisiert. Denn die individuellen Varianten
sind ja nichts anderes als Kombinationen aus dem standardisierten
Baukasten gesellschaftlicher Möglichkeiten.“122
Damit stellt die materielle Kultur eine universelle Lebensgrundlage dar.
Für den Bürger/die Bürgerin in der Industriegesellschaft gibt es essentielle
zivilisatorische Standards. Diese Standards müssen nahezu ausnahmslos
individuell bezahlt werden. Zu diesen Standards gehört, dass der Mensch
informations-, handlungs- und bewegungsfähig sein muss, mit den Gegebenheiten der Industriegesellschaft umgehen kann, aber sich nicht mit allen gesellschaftlichen Fragen direkt befassen muss. Das Individuum zahlt
Steuern, konsumiert, steht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung bzw. betreibt
ein Unternehmen. Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen, Englisch und EDV werden beherrscht. Das Individuum verfügt über Führerschein, Fernseher, Telefon und einem Grundlebensstandard. Nach Möglichkeit sollte es sich auch für die demokratische Grundordnung einsetzen
und sich für ökologische Lebensgrundlagen mitverantwortlich fühlen.123
Wenn Menschen aus diesem alltagskulturellen Rahmen herausfallen,
hat das einschneidende Konsequenzen. Menschen beziehen teilweise ihre
Identität aus den Mechanismen der Wohlstandsgesellschaft und entwickeln ihre private Lebenssphäre danach. Sie greifen selbstverständlich auf
verschiedenste gesellschaftliche Leistungen zu. Wenn sie aus dieser Alltagskultur herausfallen, müssen sie lernen, ihr Leben auf Grundlagen auBrock, Ditmar (1994), Rückkehr der Klassengesellschaft? Die neuen sozialen Gräben in
einer materiellen Kultur, in: Beck/Beck-Gernsheim (Hg.), 70.
123 Ebd., 68f.
122
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ßerhalb der materiellen Kultur umzustellen. Der Ausschluss breiter Bevölkerungsteile ist ein Modernisierungsproblem ersten Ranges.124
4.2.2. Modernisierungsrisiken
Die Verteilungslogik von Modernisierungsrisiken ist eine wesentliche Dimension der so genannten „Risikogesellschaft“. Die damit entstehenden
Gefährdungslagen und die darin enthaltene soziale und politische Dynamik werden jedoch überlagert durch gesellschaftliche, biografische und
kulturelle Risiken und Unsicherheiten, die das industriegesellschaftliche
Beziehungsgefüge, wie soziale Klassen, Familienformen, Geschlechtslagen, Ehe, Elternschaft und Beruf, verändert haben. So gehen soziale Gefährdungslagen mit der Verteilung und dem Anwachsen der Risiken einher. In einigen Dimensionen folgen sie der Ungleichheit von Schicht- und
Klassenlagen. Es gibt breite Überlappungszonen zwischen der Klassenund Risikogesellschaft und die Risiken scheinen die Klassengesellschaft zu
verstärken, indem sich zu dem Mangel an Versorgung ein Mangel an Sicherheit gesellt. 125
Die entwickelte Industriegesellschaft nährt sich von den Risiken, die
sie selbst produziert und wirtschaftlich ausschlachtet, schafft auf diese
Weise soziale Gefährdungslagen und politische Potentiale, die die Grundlagen bisheriger Modernisierung in Frage stellen. 126 Die Verbreitung und
Vermarktung von Risiken brechen nicht mit der kapitalistischen Entwicklungslogik, sondern heben diese auf eine neue Stufe.
„Modernisierungsrisiken sind big business. Sie sind die von den
Ökonomen gesuchten unabschließbaren Bedürfnisse. Hunger kann
man stillen, Bedürfnisse befriedigen. Zivilisationsrisiken sind ein
Bedürfnis-Faß ohne Boden, unabschließbar, unendlich, selbstherstellbar.“ 127
Das Wissen um die Gefährdungslagen gewinnt eine neue politische Bedeutung. Beck weist darauf hin, dass das politische Potential der Risikoge-
Ebd., 67f.
Beck, Risikogesellschaft, 46ff.
126 Ebd., 75.
127 Ebd., 30.
124
125
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sellschaft in einer Theorie der Entstehung und Verbreitung des Wissens
um Risiken entfaltet und analysiert werden müsste.128
Während Einkommen, Bildung etc. konsumierbare, erfahrbare Güter
sind, sind die Existenz und Verteilung von Gefährdungen und Risiken
prinzipiell argumentativ vermittelt. Viele der neuartigen Risiken – Naturzerstörung, Gesundheitsbeeinträchtigungen durch nukleare oder chemische Verseuchungen, Schadstoffe in Nahrungsmitteln – entziehen sich
dem unmittelbaren menschlichen Wahrnehmungsvermögen. Viele der
Gefährdungen bedürfen der Wissenschaft, um durch Theorien, Experimente und Messinstrumente überhaupt Gefährdungen sichtbar und interpretierbar zu machen. Die Wissenschaften machen es sich zur Aufgabe,
den Risikogehalt des Risikos sachlich zu ermitteln, doch entkräften sie
sich damit selbst. Mehr als Wahrscheinlichkeitsaussagen sind den Wissenschaften meist nicht möglich. Und von Wertfreiheit kann nicht gesprochen werden, da man einen Wertstandpunkt beziehen muss, um überhaupt über Risiken reden zu können.129
„Risikofeststellungen basieren auf mathematischen Möglichkeiten
und gesellschaftlichen Interessen selbst und gerade dort, wo sie
sich mit technischer Gewißheit präsentieren. In der Befassung mit
Zivilisationsrisiken haben die Wissenschaften immer schon ihren
Grund experimenteller Logik verlassen und sind eine polygame
Ehe mit Wirtschaft, Politik und Ethik eingegangen (…).“ 130
Das Alltagswissen beruht also nicht mehr nur auf Eigenerfahrungen, sondern eigenerfahrungsloses Allgemeinwissen wird zum bestimmenden Zentrum der Eigenerfahrung.131
In Risikogesellschaften ist das Greifbare nicht mehr evident. Das
Sichtbare gerät in den Schatten unsichtbarer Gefährdungen.132
„Was sich der Wahrnehmbarkeit entzieht, fällt nicht mehr zusammen mit Unwirklichem, kann sogar einen erhöhten Grad von Gefährdungswirklichkeit besitzen. Das unmittelbare Bedürfnis konkurriert mit dem gewußten Risikogehalt. Die Welt des sichtbaren
Ebd., 30.
Ebd., 35f.
130 Ebd., 39.
131 Ebd., 96.
132 Ebd., 59.
128
129
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Mangels oder Überflusses verdunkelt sich unter der Übermacht der
Risiken.“ 133
Es gibt breite Überlappungszonen zwischen der Klassen- und Risikogesellschaft. Die Risiken scheinen die Klassengesellschaft zu verstärken, indem sich zu dem Mangel an Versorgung ein Mangel an Sicherheit gesellt.134 Klassen- und risikogesellschaftliche Ungleichheiten können sich
überlagern und gegenseitig bedingen. Der wesentliche Unterschied zwischen Klassen- und Risikogesellschaften besteht darin, dass es in Klassengesellschaften um die sichtbare Befriedigung materieller Bedürfnisse geht.
Hunger und Überfluss, Macht und Ohnmacht stehen sich gegenüber. In
Risikogesellschaften ist das Greifbare nicht mehr evident. Das Sichtbare
gerät in den Schatten unsichtbarer Gefährdungen.135
Entsprechend unterscheide sich auch die soziale Grundsituation, in
der sich die Menschen befinden, schreibt Beck und bringt dies pointiert
auf den Punkt: Die treibende Kraft in der Klassengesellschaft könne in
dem Satz „Ich habe Hunger!“ gefasst werden. Die Bewegung, die mit der
Risikogesellschaft in Gang gesetzt wird, komme in der Aussage „Ich habe
Angst!“ zum Ausdruck. Aus dieser Angst entstehe in der Risikogesellschaft auch Solidarität. Es stellt sich letztendlich aber die Frage, ob diese
Solidargemeinschaft der Ängstlichen stabil genug ist, um eine Basis für
politisches Handeln sein können. 136
Unter den Bedingungen der Mangelgesellschaft vollzieht sich der Modernisierungsprozess unter dem Anspruch, mit den Schlüsseln der wissenschaftlich-technischen Entwicklung verborgene Quellen gesellschaftlichen
Reichtums aufzuschließen und so von unverschuldeter Armut und Abhängigkeit zu befreien. Diesem Denken liegen jedoch Kategorien sozialer
Ungleichheit zugrunde, die von der Klassen- über die Schichtungs- bis zur
individualisierten Gesellschaft reichen. 137 Oder anders ausgedrückt: Der
als Um- oder Abbau bezeichnete Rückzug des Sozialstaates kann als
Durchsetzung der versicherungsmathematischen gegen die soziale Gerechtigkeit verstanden werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund neoliEbd., 59.
Ebd., 46ff.
135 Ebd., 59.
136 Ebd., 66.
137 Ebd., 26f.
133
134
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beraler, auf Eigenverantwortung, Effektivität und Effizienz gründender
Rationalität. 138
4.2.3. Armut und die Individualisierung sozialer Not
In den erlebbaren Gefährdungen selbstbewusst wahrgenommener, expansiv angelegter, privater Handlungs- und Entscheidungsräume liegt laut
Beck der „Funke“, an dem sich heute soziale Konflikte und Bewegungen
„entzünden“.139 Ungleichheiten werden nicht beseitigt, sondern umdefiniert in eine Individualisierung sozialer Risiken.
Damit scheint die Individualisierungstheorie das Eigentümliche an der
„neuen Armut“ zu erklären. Unter den Bedingungen der Individualisierung wird Massenarbeitslosigkeit den Menschen als persönliches Schicksal
aufgebürdet. Die Menschen werden nicht mehr sozial sichtbar und kollektiv, sondern lebensphasenspezifisch von ihr betroffen. Während armutserfahrene Betroffene mit klassengeprägten Lebenszusammenhängen
entlastende Gegendeutungen, Abwehr- und Unterstützungsformen bereithielten und tradierten, wird das Kollektivschicksal in den klassenzusammenhanglosen, individualisierten Lebenslagen zum persönlichen
Schicksal, zum Einzelschicksal. Die Bezugseinheit der Armut ist das
Markt-Individuum. Die Gesellschaft spaltet sich in eine Mehrheit von Arbeitsplatzbesitzern/Arbeitsplatzbesitzerinnen und eine wachsende Minderheit von Arbeitslosen, Frühpensionisten/Frühpensionistinnen, Gelegenheitsarbeitern/Gelegenheitsarbeiterinnen und solchen, die den Zugang
zum Arbeitsmarkt nicht schaffen. Dies wird an der Strukturierung der Arbeitslosigkeit und den wachsenden Grauzonen zwischen registrierter und
nichtregistrierter Arbeitslosigkeit deutlich. 140
Die lebensphasenspezifische Verteilung von Armut macht ihre Ambivalenz deutlich. Die „neue Armut“ erscheint dadurch als etwas Vorübergehendes, als Zwischenereignis. Wenn die Armut nicht mehr abzuschütteln ist, sind viele Menschen ihr allerdings viel schonungsloser ausgesetzt,
Schmidt-Semisch, Henning (2000), Selber schuld. Skizzen versicherungsmathematischer
Gerechtigkeit, in: Bröckling, Ulrich et al. (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart,
171.
139 Beck, Jenseits von Stand ..., 56.
140 Beck, Risikogesellschaft, 144.
138
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da sie nicht mit den Abschirmungsmöglichkeiten und Umgangsformen einer Kultur vertraut sind, die mit Armut zu leben weiß.141
„Entsprechend verkriecht sich die neue Armut hinter den eigenen
vier Wänden, bleibt in dem schrillen Skandalcharakter, die das Ereignis hier hat, aktiv verborgen. Nicht klar ist, was schlimmer ist –
entdeckt zu werden oder nicht entdeckt zu werden, Hilfe empfangen zu müssen oder noch länger zu entbehren. Die Zahlen sind da.
Aber man weiß nicht, wo die Menschen sind. Es gibt Spuren. Das
abgemeldete Telefon. Der überraschende Austritt aus dem Club.
Aber sie verweisen nur noch einmal auf die Mauern des scheinbar
Vorläufigen, mit dem sich die neue Armut auch dort noch umgibt,
wo sie endgültig geworden ist.“142
Beck, der die Armut in direktem Zusammenhang mit Massenarbeitslosigkeit sieht, bezeichnet diese Verteilungsform als „demokratisiert“, da sie
nicht mehr eine Klasse trifft, sondern sich auf vielen Schultern verteilt. In
diesem Stück „Demokratisierung der Massenarbeitslosigkeit“ liegt demnach ein Stück Umverteilung des Mangels, ein Stück Chancengleichheit
nach unten. Dem entspricht ein bestimmtes biografisches Verteilungsmuster: Was früher als Gruppenschicksal zugewiesen wurde, wird heute
biografisch querverteilt. Die Lebensläufe werden durch die Individualisierung vielfältiger, gegensätzlicher, brüchiger, unsicherer, aber auch bunter,
umfassender, widersprüchlicher, bis hin zu der Tatsache, dass ein wachsender Teil der Gesamtbevölkerung mindestens vorübergehend Arbeitslosigkeit und Armut ausgesetzt ist. 143
Die neue Armut ist aber nicht nur ein materielles Problem. „Es ist
auch diese in die Stummheit hineingenommene, im rituellen Durchlaufen
der vergeblichen Abwendungsversuche sich vollziehende Selbstzerstörung, mit der das Massenschicksal unter der Oberfläche wuchert.“ 144
Gesellschaftliche Probleme erscheinen durch die Individualisierung
als psychische Dispositionen, persönliches Ungenügen, Schuldgefühle,
Ängste, Konflikte, Neurosen. Es entsteht dadurch eine neue Unmittelbarkeit von Individuum und Gesellschaft: Gesellschaftliche Krisen erscheinen als individuell. Zur Bewältigung dieser gesellschaftlichen Probleme
Ebd., 148.
Ebd., 148f.
143 Ebd., 149.
144 Ebd., 150.
141
142
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werden Menschen in soziale und politische Koalitionen gezwungen, die
jedoch nur punktuell, situations- und themenspezifisch sind. Die Konfliktlinien und -themen erfahren dadurch eine Pluralisierung und werden
zu „Modekonflikten“.145
Soziale Risiken sind jene Sorte von Modernisierungsfolgen, die sich
unmittelbar auf das soziale Handeln, auf Subjektstrukturen und zwischenmenschliche Interaktionsformen auswirken. Risiken sind einerseits
Begleiterscheinungen des Umbaus der Industriegesellschaft, entstehen
aber auch durch die dadurch möglich gewordenen neuen Optionen und
Möglichkeiten sozialen Handelns jeweils neu und werden von den Individuen selbst erzeugt: Risiken sind Folgen von Entscheidungen im Umfeld
von Beruf und Arbeitsmarkt, ohne dass die Individuen die Folgen ihrer
Entscheidungen überblicken und kontrollieren können. Die Menschen befinden sich damit plötzlich in sozial riskanten Lebenslagen oder Situationen, die sie nur schwach beeinflussen können. Aufgrund der Vielfalt der
Optionen werden Entscheidungen angesichts der ungewissen Auswirkungen zu einem Wagnis. 146
„Normalität, so könnte man pointieren, vervielfältigt sich – und
zwar so lange, bis sie sich als Orientierungsmaßstab, an den man
sich ebenso anlehnen wie dezidiert davon absetzen kann, von
selbst auflöst: Die ganz alltägliche Lebensbewältigung und die ganz
gewöhnliche Lebensführung wird so zu einer selbst zu lösenden
Herausforderung, zu einer selbst zu bewältigenden Lebensaufgabe,
zu einer ungewißheitsbelasteten, riskanten sozialen Aufgabe.“ 147
Gesellschaftliche Widersprüche – sollte es solche überhaupt geben – treffen in den Individuen und in den eigenen Lebensentwürfen zusammen.
Risikolagen führen zu psychischer und sozialer Instabilität im Innenleben
der Menschen und werden zum Nährboden für psychosoziale Krisen. 148
Um diese zu bewältigen, sind persönliche Anpassungen und Entwicklungen notwendig, die in die Richtung von „multiplen Identitäten“ – aus Einzelstücken zusammengesetzten, nicht unbedingt harmonischen Identitäten
– gehen.
Beck, Jenseits von Stand ..., 58f.; Beck, Risikogesellschaft, 158f.
Rauschenbach, Thomas (1994). Inszenierte Solidarität: Soziale Arbeit in der
Risikogesellschaft. In: Beck/Beck-Gernsheim (Hg.), 89f.
147 Ebd., 91.
148 Ebd., 93.
145
146
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Dass soziale Not individualisiert wurde, lässt sich auch an den Reaktionen der Sozialarbeit erkennen. Diese orientiert sich heute an der sozialpädagogischen Einzelfallhilfe, da Sozialhilfeleistungen mit individuellen
Notlagen begründet werden. Der Trend zur Therapeutisierung und Pädagogisierung der Sozialarbeit wird von zunehmender Professionalisierung
begleitet. 149 Herausgefordert wird die Sozialarbeit durch die „sozialen Risiken“, die die Individualisierung mit sich bringt. 150
Für soziale Dienste ist es eine beinahe unlösbare Aufgabe, stabile und
flexible Subjektstrukturen unter riskanten und ungewissen Kontext- und
Zukunftsbedingungen hervorzubringen und Krisen abzumildern. Rauschenbach bezeichnet deshalb die expandierenden sozialen und pädagogischen Dienste als „wohlfahrtsstaatlich inszenierte Maßnahmen gegen die
Nebenwirkungen individualisierter Lebensformen“151.
Während sich neue, modernisierte Formen des sozialen Bedarfsausgleichs ausweiten, verliert jene Organisation der sozialen Hilfe, die auf
Gegenseitigkeit und Solidarität beruht, an Kraft und Bedeutung. Es lässt
sich daher die These formulieren, dass in einer individualisierten Gesellschaft privat-lebensweltliche Formen der Hilfe tendenziell abnehmen und
durch eigens dafür bereitgestellte, inszenierte soziale und pädagogische
Dienste ergänzt oder ersetzt werden.152
Gewerkschaftliche und politische Wahrnehmungs- und Bearbeitungsformen geraten in Konkurrenz zu individualisierenden rechtlichen, medizinischen und psychotherapeutischen Betreuungen und Kompensationen,
die unter Umständen konkreter und für die Betroffenen evidenter die entstandenen Zerstörungen und Belastungen zu bewältigen vermögen.153
Riedmüller, Barbara (1994), Sozialpolitik und Armut. Ein Thema zwischen Ost und
West, in: Beck/Beck-Gernsheim (Hg.), 74–88.
150 Rauschenbach, Inszenierte Solidarität, 89.
151 Ebd., 93.
152 Ebd., 94.
153 Beck, Jenseits von Stand und Klasse?, 54.
149
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5. Schlusswort
Kommen wir nach diesen Ausführungen über Individualisierungsthese(n)
und Mechanismen sozialer Kontrolle zurück zu der eingangs gestellten
Frage.
Wenn wir uns als Armutsforscher/-innen als Produzenten/Produzentinnen von Diskursen begreifen, haben wir dann nicht auch die Pflicht
und die Verantwortung, aus einem „menschenunfreundlichen“ Armutsdiskurs auszusteigen, der ignoriert, dass es sich bei „den Armen“ um
Menschen handelt und nicht um bloße „Forschungsobjekte“?
(Politikwissenschaftliche) Armutsforschung, wie sie derzeit praktiziert
wird, reproduziert Strukturen sozialer Kontrolle, indem sie dünne Beschreibungen liefert und weiterhin dazu anregt, dass Partizipationsspezialisten/Partizipationsspezialistinnen jene Menschen, die nicht in vollem
Ausmaß am gesellschaftlichen Leben und/oder an den Märkten
partizipieren, dazu anleiten, sich nicht mehr anleiten zu lassen. Jene, die
„am Rand der Gesellschaft“ stehen, werden damit weiter an den Rand
gedrängt, ni dem ihnen per definitionem die Fähigkeit zur Partizipation
abgesprochen wird. Umgekehrt werden jene, die partizipieren sollen, aber
nicht wollen, von der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Möglichkeit zur
Partizipation ist also gleichzeitig ein Zwang zur Partizipation.
Aber auch wenn wir über die Einbeziehung von Betroffenen in der
Armutsforschung und Armutsbekämpfung reden bzw. schreiben, erliegen
wir sehr leicht der Gefahr, hier einem von Praktiken neoliberaler
Selbstdiszip linierungstechnologien geprägten Diskurs zu folgen.
Welchen Anspruch haben wir aber an uns selbst? Wollen wir den Status quo erhalten oder Wege der Menschlichkeit gehen? Wenn wir Wege
der Menschlichkeit gehen wollen, werden wir uns auf die „Armut“ einlassen, so genannte „Arme“ kennen und verstehen lernen müssen. Wir
werden sie als Handelnde wahrnehmen, als Menschen mit eigener Sprache, die die Macht haben, sich selbst und ihre Lebenssituation zu definieren. Kategorien wie Armut und Reichtum werden neue Dimensionen entfalten und nicht mehr in ihrer etablierten Form aufrecht zu erhalten sein.
70
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In der Reihe FACING POVERTY sind bisher folgende Hefte erschienen:
01
Thomas BÖHLER et al.: Armut als Problem. Wie gehen fünf Einzelwissenschaften
mit dem Phänomen Armut um? (März 2003)
02
Clemens SEDMAK: Dichte Beschreibungen: Erzählte Armut. Vom Wert der Literatur für die Armutsforschung. (April 2003)
03
Renate BÖHM/Robert BUGGLER/Josef MAUTNER (Hg.): Arbeit am Begriff der Armut. (Juni 2003)
04
Daiva DÖRING/Magdalena HOLZTRATTNER/Clemens SEDMAK (Hg.): Armutsforschung in Österreich. (Dezember 2003)
05
Andreas BAMMER/Thomas B ÖHLER: Best Practices. Auf dem Weg zu einem neuen
Verständnis. (Jänner 2004)
06
Thomas BÖHLER: Der Fähigkeiten-Ansatz von Amartya Sen und die ‚Bevorzugte
Option für die Armen’ in der Befreiungstheologie. Zwei Ansätze auf dem Weg zur
ethischen Begründung von Armutsforschung und Armutsreduktion.
(Februar 2004)
07
Thomas BÖHLER/Clemens SEDMAK : Armutsforschung und Armutsminderung.
Eine Bestandsaufnahme aus einem ethischen Blickwinkel. (Februar 2004)
08
Andreas EXENBERGER/Josef NUSSBAUMER: Über praktische und theoretische Armut. Vom Vergessen wichtiger Fährten in der Ökonomik und von ihrer aktuellen
Relevanz. (April 2004)
09
Margit EBERHARTER/Sabine KUNRATH: Einbeziehung von Betroffenen. Eine
Studie. (September 2004)
10
Gebhard Kirchgässner: Option für die Armen: Eine ökonomische Perspektive.
(Jänner 2005)
Homepage: http://www.sbg.ac.at/phi/projects/start/index.htm
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