Presseinformation Max Frisch: HOMO FABER In einer Fassung von Ulrich Woelk Nach dem gleichnamigen Roman Regie Bühne & Kostüme Sound & Musik Licht & Video Rüdiger Burbach Beate Fassnacht Joel Schoch Patrick Hunka Premiere Donnerstag | 21. Januar 2016 | 20.00 Uhr Theater Kanton Zürich, Scheideggstrasse 37, Winterthur Nächste Vorstellungen dort Samstag | 23. Januar | 20.00 Uhr Sonntag | 24. Januar | 19.00 Uhr Dienstag | 2. Februar | 20.00 Uhr Donnerstag |4. Februar | 20.00 Uhr Reservationen (Premiere) Telefon 052 212 14 42 | [email protected] Fotos http://theaterzuerich.ch/tzpix/ Faber: Ich lese keine Romane. Zu viel Fantasie, Dinge, die nicht wirklich passieren … Das war noch nie was für mich, auch nicht in Ihrem Alter. Sabeth: Wie alt sind Sie denn? Faber (zögert): Ich werde demnächst fünfzig ... Sabeth: Fünfzig … (Sie rechnet.) … Dann haben Sie den ersten Atlantikflug von Lindbergh noch mitbekommen … wow … Faber: Ich befürchte, an meinem Alter würde sich aus Ihrer Sicht auch nichts ändern, wenn ich Ihnen von Napoleon erzählen würde … Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch Besetzung Max Frisch: HOMO FABER In einer Fassung von Ulrich Woelk Nach dem gleichnamigen Roman Walter Faber Stefan Lahr Walter Faber (jung) Nicolas Batthyany Hanna Landsberg (jung) Anna Schinz Beamter der Ausländerbehörde Andreas Storm Stewardess Anna Schinz Herbert Hencke Andreas Storm Ivy Miriam Wagner Elisabeth Piper (Sabeth) Anna Schinz Hardy, Freund von Sabeth Nicolas Batthyany Frau auf Schiffsdeck Miriam Wagner Horace Hamgrey, Baptist aus Amerika Andreas Storm Hanna Piper, geb. Landsberg Katharina von Bock Regie Bühne & Kostüme Sounds & Musik Licht & Video Dramaturgie Regieassistenz Hospitanz Rüdiger Burbach Beate Fassnacht Joel Schoch Patrick Hunka Uwe Heinrichs Johanna Böckli Jonas Bühler Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch Technische Leitung Bühnenbau Beleuchtung Ton & Video Gewandmeisterinnen Mitarbeit Kostümatelier Requisite Bühnenmeister Bühnentechnik Flurin Ott Stefan Schwarzbach Stefanie Keller Stefan Schwarzbach Patrick Boinet Alessandro Gervasi Janos von Kwiatkowski Jano Müller Graziella Galli Franziska Lehmann Iris Barmet Stefanie Keller Flurin Ott Patrick Boinet Alessandro Gervasi Jamal Hojaij-Huber Janos von Kwiatkowski Jano Müller Stefan Rüdisühli Patrick Schneider Sascha Simic Premiere am 21. Januar 2016 im Theater Kanton Zürich Aufführungsrechte beim Suhrkamp Verlag, Berlin. Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch Das Stück Faber: … Also ich hätte da einen Vorschlag … Sabeth: Einen Vorschlag … ? Faber: Wissen Sie, ich wollte sowieso Urlaub machen … Was halten Sie davon, wenn ich Sie mitnehme … Avignon … Nîmes … irgendwo da will ich hin, um auszuspannen … Sabeth: Wow, also das wäre ja … Ist das wirklich so … Sie machen Urlaub? Faber: Nur noch ein Vortrag, ein UNESCO-Rapport heute Nachmittag, nichts Großes … Dann Schluss mit Generatoren und Turbinen und nur noch das, was Freude macht … Heute Abend gehe ich in die Oper. Wenn Sie Zeit haben, können Sie mir einen Gefallen tun … Ich habe noch keine Karten … Sabeth: In die Oper! Und Sie behaupten, Sie könnten mit Fantasien nichts anfangen! Walter Faber ist ein Ingenieur, der im Auftrag der UNESCO arbeitet. Seine Weltsicht ist von grosser Nüchternheit und dem Glauben an den technischen Fortschritt geprägt. Er ist ein Macher und Rationalist. Umso irritierender sind für ihn die Ereignisse einer Reise, die ihn zunächst von New York nach Mittelamerika führt. Sein Flugzeug muss notlanden, dann findet er seinen Jugendfreund tot im Dschungel vor. Nach New York zurückgekehrt, trennt sich Faber von seiner Freundin Ivy und bricht zu einer Schiffsreise nach Europa auf. An Bord lernt er eine junge Frau kennen, in die er sich schon bald verliebt. Dass Sabeth rund 30 Jahre jünger ist als er, hält Faber nicht davon ab, sie in Paris wiederzutreffen und ihr seine Hilfe anzubieten. Ihr Ziel ist Athen. Bei der Autoreise durch Südeuropa kommen sich die beiden immer näher. Doch als Sabeth am Strand von einer giftigen Schlange gebissen wird, nimmt die Tragödie ihren Lauf. Max Frischs Roman, 1957 erschienen, ist ein Klassiker der Moderne. Er beschreibt in der Figur des Walter Faber einen Menschentypus, dessen Weltsicht ausschliesslich technisch-rationalen Kriterien unterworfen ist. Frisch unterlegt seinem Roman Motive der griechischen Tragödie «König Ödipus». Wie Ödipus verstrickt auch Faber sich in eine fatale Liebesbeziehung Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch – ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Aufklärung der tragischen Dimension seiner Beziehung und die damit einhergehende Selbsterkenntnis kommen zu spät. In der Figur des Faber verabschiedet Max Frisch die technisch-kalte Vernunft als letztgültige Instanz gesellschaftlich verantwortlichen Handelns. Der Berliner Autor und Physiker Ulrich Woelk dramatisiert für das Theater Kanton Zürich Max Frischs Welterfolg. Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch Der Autor Max Frisch, geboren 1911 in Zürich; gestorben 1991 ebenda, erreichte mit Theaterstücken wie «Biedermann und die Brandstifter» oder «Andorra» sowie mit seinen drei grossen Romanen «Stiller», «Homo faber» und «Mein Name sei Gantenbein» ein breites Publikum, fand Eingang in den Schulkanon und gilt als Autor von weltliterarischem Rang. Neben den Dramen und Romanen veröffentlichte er Hörspiele, Erzählungen und Prosawerke sowie mehrere literarische Tagebücher. Der Autor der Fassung Ulrich Woelk, 1960 geboren, studierte Physik und promovierte 1991 an der TU Berlin, wo er bis 1994 als Astrophysiker tätig war. Für seinen DebütRoman «Freigang» erhielt er 1990 den «Aspekte»-Literatur-Preis. Seither erschienen Romane, Erzählungen, Theaterstücke. Zuletzt erschienen bei dtv seine Romane «Was Liebe ist» (2013) und «Pfingstopfer» (2015). Für das Theater Kanton Zürich schrieb er 2011 das Stück «In der Nähe der grossen Stadt». Der Regisseur Rüdiger Burbach, geboren 1966, lebt seit 1993 in Zürich. Theaterstationen: (u.a.) Theater Basel, Baracke des Deutschen Theaters Berlin, Schiller-Theater Berlin, Theater am Kurfürstendamm Berlin, Schauspiel Bonn, Schauspiel Essen, Schauspiel-Frankfurt, Ernst Deutsch Theater Hamburg, Theater Ingolstadt, Theater Krefeld Mönchengladbach, Luzerner Theater, Staatstheater Mainz, Staatstheater Meiningen, Staatstheater Stuttgart, Staatstheater Wiesbaden, Schauspielhaus Zürich. Seit Sommer 2010 ist er der Künstlerische Leiter des Theater Kanton Zürich, seit Anfang 2014 Intendant. Er inszenierte hier die Schweizer Erstaufführung von Nick Woods «Fluchtwege», Alan Ayckbourns «Frohe Feste», die Uraufführung von Ulrich Woelks «In der Nähe der grossen Stadt» sowie das Jukebox-Musical «Beatles for Sale». 2012/2013 führte er bei Oscar Wildes «Bunbury» und William Shakespeares «Was ihr Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch wollt» Regie. 2013/2014 inszenierte er Jordi Galcerans «Karneval» und Dennis Kellys «Die Opferung von Gorge Mastromas». 2014/2015 eröffnete er die Saison mit der Inszenierung von Florian Zellers Komödie «Die Wahrheit». Es folgte dann in seiner Regie im März 2015 ein weiteres Jukebox-Musical aus der Feder von Stephan Benson: «Falling in Love». Zuletzt inszenierte er in Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich Mozarts «Der Schauspieldirektor» zur Eröffnung der Spielzeit 2015/2016. Gastschauspielerin Anna Schinz, geboren 1987, hat ihr Schauspielstudium 2011 an der Zürcher Hochschule der Künste mit dem Master abgeschlossen. Bereits während Ihres Studiums stand sie bei zahlreichen Projekten auf der Bühne, u.a. im Theater der Künste, im Theater Biel-Solothurn und am Theater Neumarkt. Sie ist ausserdem in zwei Langfilmen aufgetreten: «Alles bleibt anders» von Güzin Kar und «Undercover» von Sabine Boss und ist als Ermittlerin im Schweizer Tatort zu sehen. Anna Schinz hat in ihrer kurzen Karriere bereits einige Auszeichnungen und Förderungen erhalten, darunter den Studienpreis Schauspiel des Migros-Kulturprozent, den Friedl-Wald-Studienpreis Schauspiel, den Förderfond der Fritz-Gerber-Stiftung, den Solopreis der Zürcher Hochschule der Künste sowie den Oprecht Preis 2010. Am Schauspielhaus Zürich war Anna Schinz in der Spielzeit 2010/11 in Karin Henkels Inszenierung von «Viel Lärm um Nichts» zu sehen. Am Jungen Schauspielhaus Zürich war sie in «Remember me» und in «Die grüne Katze», beides in der Regie von Enrico Beeler zu sehen. In dem neuen «Heidi»-Film der just sehr erfolgreich in den deutschen und Schweizer Kinos gestartet ist, spielt sie Tante Dete. Ausserdem hat sie gerade einen Schweizer «tatort» abgedreht, in dem sie eine Episodenhauptrolle spielt. In «Homo faber» verkörpert Anna Schinz Sabeth, eine Stewardess und die junge Hanna Landsberg. Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch Die Macht der Liebe und der Untreue Zum 100. Geburtstag erscheinen zwei neue Biographien. Die eine liest sich wie eine Proseminararbeit - die andere wie das Werk eines Schlachters. Von H. Böttiger Die Frischiana häufen sich. 2011 wäre der große Eidgenosse100 Jahre alt geworden, und bereits in diesem Herbst erschienen drei Titel, die das große Max-Frisch-Rennen in der Pole-Position beginnen wollen, zwei Biographien und eine exquisite Neuauflage. Die Reihe "Kollektion" bei Nagel & Kimche versammelt entlegene Perlen der Schweizer Literaturgeschichte. Man mag darüber streiten, ob Frischs 1943 erschienener Roman "J'adore ce qui me brûle" tatsächlich dazugehört. Immerhin, nach den schwülstigen Phantasien seiner beiden ersten Bücher wagt er sich hier ein bisschen mehr ins Offene. Die Sprache ist immer noch voller Klischees und Pathoskitsch, aber es drängen sich auch schon kleine soziale Überlegungen vor. Für Frisch-Fans ist das eine desillusionierende, aber auch erhellende Fundgrube, man gerät an bereits verfaulte und abgestorbene, aber immerhin existierende Wurzeln. Frisch-Fans resultieren meist aus der Erfahrung, in der elften Klasse eines Gymnasiums "Homo faber" gelesen zu haben. Seit einigen Jahrzehnten berichten Deutschlehrer unisono von einem seltenen Erlebnis: Mit Homo faber haben sie die 17-Jährigen beiderlei Geschlechts vollkommen in der Hand. Der Roman ist ein einziger Tafelanschrieb: Mann gegen Frau, Technik gegen Natur, genaueste Berechnungen gegen wuchernde Dschungel-Vegetation, alles geht restlos auf. Und wenn sämtliche, fein säuberlich über den ganzen Roman verstreute Gegensätze Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch erkannt worden sind, bleibt unterm Strich ein großes Gefühl übrig: Es vibriert vor Schicksal und Sexualität. Es ist anzunehmen, dass die beiden Frisch-Biographen dieses Herbstes auch im betreffenden Alter von diesem Autor erwischt worden sind. Sie gehen mit diesem Pfund aber äußerst unterschiedlich um. Volker Weidermann agiert eher hemdsärmelig, greift zu einer großkarierten Schürze und nähert sich seinem Gegenstand wie ein Schlachter: Systematisch wird an den Knochen entlanggeschnitten und das entscheidende Stück freigelegt. Hinderliche, zähe und faserige Bestandteile, Eingeweide und Innereien werden schnell beiseitegeworfen. Mit solch schwierigen Materien, die eine besonders aufwendige und differenzierte Behandlung erfordern, braucht man sich erst gar nicht zu beschäftigen. Was zählt, sind die sauber portionierbaren und handlich zuschneidbaren Fleischteile. Sie werden ordentlich herausgesäbelt und zurechtgelegt, Schnitzel für Schnitzel fertiggemacht für die Plastikfolie bei Aldi. Auch die Sprache Weidermanns entstammt den Discountern. Zu "Homo faber" schreibt er: "Ein umstürzlerisches Buch. Weil es an den Kern des Lebens rührt. Weil es lebendig ist." Zu Stiller: "ein Hammer". Zum Tagebuch: "Frisch urteilt nicht. Frisch schaut und schaut und staunt und schreibt." Viel analytischer wird es nie. Es geht vor allem um das unbedingte Präsens, um kurze, stakkatohafte Sätze, die etwas Ranschmeißerisches haben. Mit literarischer Emphase hat das alles nicht viel zu tun. Es handelt sich um den Hochglanzstil der Magazine, wo man mit jedem Satz einen Effekt erzeugen will. Der Leser soll dranbleiben. Der Charakter eines schriftlichen Textes tritt zunehmend hinter einer Art transkribierter mündlicher Rede zurück: "Was für ein Brief! 'Ich glaube an die Macht der Liebe und der Untreue.' Hm. So etwas möchte man doch als Freundin, als Geliebte gerne lesen." Das rhetorische eingesetzte "Hm" kennzeichnet die Aussage des ganzen Buches in zwei Buchstaben. Viele Zeitzeugen haben bereits berichtet, dass Frisch ein ziemliches Ekel sein konnte. Weidermann beschreibt das in den ersten Kapiteln suggestiv: den Egoismus, die fehlende Sensibilität für andere, den Größenwahn. Er zitiert, das ist ein sehr gut gesetzter Akzent, aus dem Frisch-Buch Urs Birchers einen chauvinistischen, antisemitischen Brief Frischs aus dem Jahr 1938 und hebt solche Prägungen seines Autors durchaus hervor. Schicksal und Sexualität Erstaunlich ist dann aber, wie er die abrupte Wende zum großen Erfolg behandelt. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs schreibt Frisch noch ein völlig unpolitisches Theaterstück, drei Monate später aber "Nun singen sie wieder". Und das ist ein ganz Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch anderer, bis dato bei ihm überhaupt nicht vorstellbarer Ton: ein zeitpolitischer Stoff, eine scharf akzentuierte Sprache. Was da genau passierte, erfahren wir in dieser Biographie jedoch nicht. Hier würde man, dem Sujet entsprechend, etwas eingehendere Reflexionen erwarten, eine psychologische Studie, den Versuch einer Erklärung. Der Biograph stellt aber bloß fest: "Es ist, als habe jemand ein Fernrohr neu justiert." Innerhalb kurzer Zeit wird Frisch berühmt, und der unsympathische, zu selbstgewisse Jüngling ist plötzlich vergessen. Weidermann berauscht sich an den Texten: "Ein Roman in Bewegung, wahnsinnig gut geschrieben" ("Stiller"). Dass die Person Frischs sich aber gar nicht so schnell verändert, bleibt außer Betracht: zum Beispiel auch der entsetzliche Brief, den er 1958 an Paul Celan geschrieben hat und in dem er sich auf selten exemplarische Weise entlarvt. Auch das Verhältnis Frischs zu Ingeborg Bachmann, ein zentrales Trauma bis zu seinem Tod, wird eher summarisch und lustlos abgehandelt ("Anziehung und Abstoßung waren bei diesem Paar gigantisch"). Zitatnachweise gibt es keine, das Literaturverzeichnis ist dürftig. Und zeitgeschichtliche Einschätzungen sind zuweilen mehr als fahrlässig. Über die literarische Situation direkt nach 1945 schreibt Weidermann: "In Deutschland beansprucht eine neue Generation allen Raum für sich. Rückkehrwillige Emigranten sind nicht willkommen, im Land gebliebene Schriftsteller politisch verdächtig. Man nutzt die Situation, so radikal neu zu beginnen wie nie zuvor." Da ist der Autor seinen 68er-Lehrern und den Exegeten der Gruppe 47 doch zu sehr auf den Leim gegangen. Dass die 50- bis 70-jährigen "inneren Emigranten" keineswegs "politisch verdächtig" waren, sondern noch bis Mitte der 50er Jahre die literarischen Institutionen und wichtigsten Medien dominierten, scheint ihm nicht bewusst zu sein. Eine wunderbare literarische Fiktion Eine schöne Passage allerdings fällt aus diesem Buch heraus. Weidermann hat Alice Carey, die junge, ominöse "Lynn" aus Frischs "Montauk" von 1974, im März2010 getroffen und ist mit ihr noch einmal nach Montauk gefahren. Das ist eine wunderbare literarische Fiktion: Die mittlerweile über 60-Jährige und der junge Mann verkehren die ursprüngliche Konstellation, als der alternde Frisch auf die junge Frau traf. In diesem Abschnitt wird der Ton des Buches auch nachdenklicher, und der Autor nimmt sich etwas zurück. Er hat Alice-Lynn am Meer fotografiert und konfrontiert dieses Foto mit einem früheren just aus dem Jahr 1974, dem FrischMontauk-Jahr, Lynn am Strand in engen Jeans und flüchtigem Schwarz-Weiß. Hier ist etwas enthalten, was man sich vom gesamten Buch gewünscht hätte. Ingeborg Gleichauf hat in der Schule ebenfalls Max Frisch als Klassensatz gehabt, und das merkt man ihrem Buch in ganz anderer Weise an. Die Erörterung hat sich Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch unmerklich in eine Proseminararbeit weiterentwickelt, eine, die weniger um neue Erkenntnisse als um die Sicherung der zentralen Quellen bemüht ist. Wenn es spannend wird, hört Gleichauf auf. Als Frisch Bachmann kennenlernt, ist das "der Beginn einer rätselhaften Liebesgeschichte, der man nicht zu sehr auf den Leib rücken sollte, sonst steht man schließlich mit leeren Händen da". Wo Weidermann zu nassforsch ist, ist Gleichauf zu bieder. Aber das Frisch-Jahr hat ja noch gar nicht angefangen. Die nächsten Biographen und Jubiläumstexter stehen bereits an der Rampe und sperren den Mund schon auf. Bald singen sie wieder. MAX FRISCH: Die Schwierigen oder J'adore ce qui me brûle. Roman. Mit einem Nachwort von Lukas Bärfuss. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2010. 283 Seiten,19,90 Euro. VOLKER WEIDERMANN: Max Frisch - Sein Leben, seine Bücher. Kiepenheuer &Witsch, Köln 2010. 407 S., 22,95 Euro. INGEBORG GLEICHAUF: Jetzt nicht die Wut verlieren. Max Frisch - eine Biografie. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2010. 271 Seiten, 18,90 Euro. Aus der Süddeutschen Zeitung, 14. Dezember 2010 Theater Kanton Zürich | Uwe Heinrichs | Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit | Telefon 052 212 14 67 | Fax 052 212 88 19 | [email protected] | www.theaterkantonzuerich.ch