Beispielaufsatz zu Max Frischs Roman Homo faber Interpretation eines Textabschnitts, Homo faber, Liebesnacht in Avignon, S. 162-165 Der im Jahre 1957 erschienene Roman "Homo faber. Ein Bericht" von Max Frisch handelt vom rational denkenden Ingenieur Walter Faber, der eine Entwicklung vom rationalen Realisten zum weltoffenen Menschen erfährt und somit sein Weltbild ins Wanken gerät. Faber führt ein inzestuöses Verhältnis zu Elisabeth Piper, die er während einer Reise kennenlernte, unwissend, dass es sich um seine Tochter handelt. Nach dem Tod von Elisabeth trifft er auf seine Jugendliebe und Mutter Elisabeths und wird somit mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Der zu analysierende Textauszug spielt in Akrokorinth, nachdem Sabeth ursprünglich vorhatte ihre Reise durch Europa nach Athen zu ihrer Mutter eigenständig fortzuführen, wovon Faber sie abhielt und die beiden daraufhin eine gemeinsame Mondfinsternis in Avignon verbrachten. In dieser Nacht erlebten sie die inzestuöse Liebesbeziehung. Im Anschluss daran spielt sich die vorliegende Textpassage ab, bei der sich das Paar dazu entscheidet die Nacht im Freien zu verbringen, um sich am darauf folgenden Tag auf den Weg nach Athen zu Sabeths Mutter zu machen, wo es zum Tod der Tochter Sabeth kommt, der durch einen Schlangenbiss verursacht wird. Während der Nacht unter freiem Himmel interpretieren Sabeth und Faber in Form eines Spiels verschiedene Naturerscheinungen und vergleichen ihre eigenen Assoziationen miteinander. Dieses Spiel zieht sich die ganze Nacht durch, bis sie schließlich auf dem Berg ankommen und, Sabeth in Fabers Armen, den Sonnenaufgang abwarten und als Sabeth Siegerin des Spiels die Nacht ausklingen lässt. Zum Schluss beschreibt Faber jede Einzelheit an Sabeths Bewegungen detailreich und wahrheitsgetreu und bringt seine starken Gefühle gegenüber Sabeth zur Geltung. Die Textpassage wird in Form einer Rückblende wiedergegeben, als Faber nach dem Tod von seiner Tochter bei der Mutter Sabeths wohnt. Diese Rückblende, die Faber 24 Stunden nach dem Schlangenbiss berichtet, kommt Faber wie eine "Jugenderinnerung" (S. 162, Z. 26) vor, obwohl er sich durchaus sehr klar an das Geschehen erinnern kann, sich jedoch inzwischen Vieles ereignet hat. Die Erzählperspektive des Romans ist die Ich-Perspektive aus der Sicht des Protagonisten Faber, was dem Leser einen genaueren Einblick in seine Gedanken verschafft und der Leser sich somit einfacher mit ihm identifizieren kann. So präsentiert er alle Informationen, die er sehr wortreich ausformuliert, was für einen wortkargen Menschen wie Faber nicht üblich ist und wiederum seine starke Zuneigung zu Sabeth verstärkt, da er hauptsächlich über ihre Gestalt und Naturwahrnehmungen, die Sabeths Interesse wecken berichtet. Auch wiederholt er den Ausruf, dass er dieses Erlebnis nie vergessen könne und gibt all diese Erlebnisse ohne Dialoge, in Form einer indirekten Rede wieder. In Anbetracht dessen, dass Faber ein stark technikorientierter Mensch ist, fällt schon allein die Bewilligung der Reise mit Sabeth und sein Kulturinteresse („Säulen eines Tempels zu besichtigen“, S. 162, Z.30) ins Auge, geschweige denn der Vorschlag seinerseits, die Nacht in naturbelassenem Raum zu verbringen. Zumal Letzteres zunächst als scherzhafter Vorschlag galt, wird er durch die Abenteuerlustigkeit und die Naturnähe Sabeths motiviert, die den Vorschlag mit Freunde entgegennimmt. (Vgl., S. 163, Z. 1-6) Die Naturlandschaft Akrokorinths und die Suche nach einem Schlafplatz werden von Faber zu Beginn mit negativen Formulierungen ausgedrückt wie mit dem "Gekläffe der Hunde" (S. 163, Z. 9)) oder die Kälte der Nacht (S. 163, Z. 12), was auf den naturphoben Charakter des Protagonisten zurückzuführen sind. Im weiteren Verlauf entwickelt sich ein Spiel zwischen den beiden, indem sie diese Naturerscheinungen mit eigenen Wahrnehmungen vergleichen. Besonders auffällig sind Sabeths Vergleiche, die sich stark von Fabers unterscheiden. Während Sabeth romantische und fantasievolle Vergleiche anbringt wie "Rosa Puder" (S.164, Z.24) assoziiert Faber deutlich sachliche und technikfokussierte mit der Natur wie "ungeschmierte Bremse" (S.163, Z.22) und "Zinkblech" (S.164, Z.11) mit der Natur. Des Weiteren wird es im Text deutlich, dass Sabeth nicht allzu große Schwierigkeiten bei der Findung von Begrifflichkeiten hat, wohingegen Fabers Absicht allein die Fortführung des Spiels ist und er oftmals absichtlich kühle oder gar keine Vergleiche findet (S. , Z. ). Am Ende des Textausschnitts beschreibt Faber die Momente mit Sabeth in ihrem Arm und das Gefühl von Liebe minuziös und bringt erstmals nicht üblicherweise starke Gefühle zum Vorschein. Diese Annäherung der beiden, infolge der gemeinsamen Liebesnacht in Avignon, und das Schweigen Sabeths, was ihre Nachdenklichkeit ausdrückt, verdeutlicht das gegenseitige Bewusstwerden ihrer Gefühle zueinander. Dies wird durch Fabers euphemistische Wortwahl und detailreiche Naturbeschreibung der Morgenröte und des Meeres sehr deutlich. Faber freut sich über Kleinigkeiten, genauso wie Sabeth es tut. So widerspiegeln sich seine Gefühle in dem Naturerlebnis wieder. Auch wird dies verdeutlicht, indem er immer wieder die Wärme der Natur aufgreift, welches mit seiner inneren Wärme und Nähe zu Sabeth in Verbindung gesetzt werden kann (S. , Z. ). Diese Naturwahrnehmung steht im starken Kontrast zum Beginn des Romans, die hauptsächlich negativ geprägt waren. Diese verdeutlichte er in der Beschreibung der Wüste und des Dschungels, in seiner Ablehnung der Wahrnehmung anderer Menschen, die die Natur als Erlebnis betrachten. Diese Menschen, wie auch Ivy, beschrieb er als weibisch und hysterisch. Obwohl beides auf Sabeths Naturverbundenheit zutrifft liebt Faber sie. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Textpassage einen bedeutenden Stellenwert im Roman hat, da man sowohl Fabers Veränderung seiner Naturwahrnehmung als auch die starke emotionale Bindung zu Sabeth mit klaren Motiven sehr deutlich erfährt. Jeder Mensch durchläuft während seines Lebens eine charakterliche Veränderung. Erfahrungen und Erlebnisse prägen unser Weltbild und veranlassen uns dazu, die Welt aus anderer Perspektive zu betrachten. In Bezug auf den Roman stellt sich die Frage, inwiefern durchläuft Faber eine charakterliche Veränderung? Sein Umgang mit Menschen hat sich in erster Linie stark verändert. Faber hat zu Beginn des Romans eine Phobie vor Menschennähe, welches er durch Vergleiche der Menschen Hässlichem und Lästigem mit zur Geltung bringt. Am Ende des Romans zeigt sich Faber im Gegenzug sehr kontaktfreudig und ist beeindruck von der Schönheit der südländischen Menschen, ja sogar verwundert, dass ihm das zuvor nicht auffiel. Auch seine Distanz zu Frauen und sein negativ geprägtes Bild von Frauenstereotypen ändert sich nach dem Zusammentreffen mit Sabeth fortan. Er wird motiviert sein pauschales Frauenbild zu hinterfragen und wird von der Intelligenz Sabeths beeindruckt und erfährt zudem gleichzeitig zum ersten Mal emotionale Gefühle. Auch seine Emotions- und Gefühlslosigkeit solle sich im weiteren Geschehen ändern. Während Faber sich zu Beginn zu nichts begeistern lässt und sehr kalt reagiert, genießt er seine Zeit in Cuba und wird mit ihm fremden Gefühlen wie Freude und Interesse konfrontiert. Auch seine Technikbesessenheit und seine sachliche Wortwahl erfährt einen Wandel und Faber lässt sich leichter für Dinge begeistern, reist sogar mit Sabeth durch europäische Museen. Seine anfängliche Ablehnung der Natur, die besonders während seiner Zeit im Dschungel und in der Wüste nach dem Flugzeugabsturz auffiel, macht eine Wendung. Der naturphobe Techniker Faber erlebt mit Sabeth eine gemeinsame Mondfinsternis und einen Sonnenaufgang, die er zudem mit bildhafter Sprache schmückt, um somit ihre Besonderheit zu unterstreichen. Der Protagonist glaubte ursprünglich fest an seine Wahrscheinlichkeitsrechnung, die durch den unabsehbaren Tod Sabeths an Wertigkeit in Fabers Leben verliert. So wird er mit dem Schicksal konfrontiert und erleidet eine große Erschütterung. In Anbetracht der Argumente lässt sich sagen, dass Faber durchaus eine charakterliche Veränderung während des ganzen Romans durchläuft, die hauptsächlich durch die Konfrontation mit seiner Vergangenheit, mit dem Zusammentreffen mit Sabeth und die große Erschütterung durch Sabeths Tod resultiert. Während Faber in seinem Bericht krampfhaft versucht an seinem rationalen, an Technik und Kontrolle orientiertem Selbstbild festzuhalten, wird dem Leser des Romans deutlich, wie einseitig und schädlich eine solche Auffassung ist. Sie führt bei Walter Faber zu einer „Magenerkrankung“ (Krebs?) und wohl zum Tod, auch wenn das am Ende des Romans offen bleibt.