braunschweiger beiträge Jahreslosung 2006 Jos 1,5b Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. für theorie und praxis von ru und ku 114 4/2005 issn 0172-1542 herausgegeben vom KIRCHENCAMPUS Wolfenbüttel schriftleitung: hans-georg babke und heiko lamprecht arbeitsbereich religionspädagogik und medienpädagogik der ev.-luth. landeskirche in braunschweig postfach 16 64, 38286 wolfenbüttel telefon: [05331] 802-507 oder -504 • fax: [05331] 802 713 http://www.arpm.de • e-mail: [email protected] impressum Schriftleitung: Pfarrer Dr. Hans-Georg BABKE, ARPM, Wolfenbüttel Pfarrer Heiko LAMPRECHT, ARPM, Wolfenbüttel in Kooperation mit Axel KLEIN, Dozent für Konfirmandenarbeit und schulnahe Jugendarbeit, Wolfenbüttel Mitarbeiter dieses Heftes: Dörte Gloy, Papenbergstr. 11, 38667 Bad Harzburg René Herbig, Meißenstraße 100, 38124 Braunschweig Klaus KNOKE, Wolfkamp 6, 29683 Fallingsbostel Prof. Dr. Barbara Ränsch-Trill, Kirchstr. 8, 31185 Söhlde Dipl.-Psych Wilhelm R. REINMUTH, Landespfr. u. ehem. Leiter ARP, Hohenloher Str. 27, 97234 Reichenberg Prof. Dr. Hein Retter, Stettiner Str. 3, 38518 Gifhorn Dipl.-Päd. Dr. Jos SCHNURER, Immelmannstr. 40, 31137 Hildesheim Manfred TIEMANN, St.-Pöltener-Str. 20, 89522 Heidenheim Dr. Friedrich Weber, Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, 38300 Wolfenbüttel Layout: Veronika SCHNEIDER, ARPM, Wolfenbüttel Druck: Druckerei KOTULLA, Wolfenbüttel ‘braunschweiger beiträge’ erscheinen viermal im Jahr. Preis im Abonnement 9,00 EURO; Einzelheft 3,00 EURO Auflagenhöhe ‘bb’ Heft 114-4/2005: 2.000 Exemplare Bestellaufnahme: Arbeitsbereich Religionspädagogik und Medienpädagogik der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, 38300 Wolfenbüttel Tel.: [05331] 802 507 • Fax: [05331] 802 713 http://www.arpm.de • e-mail: [email protected] Landeskirchenkasse Wolfenbüttel, EKK Hannover, Konto 65 05, BLZ 250 607 01 Ab- und Raubdrucke sowie Fotokopien und sonstige Vervielfältigungen sind dringend erwünscht. Bitte Quellenangaben nicht vergessen, zwei Exemplare immer als Beleg an uns. Wir freuen uns, danke! Quellen: Titelbild: Klappkarte Jahreslosung 2006 (Foto: Christoph Püschner), Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e. V. für die Aktion „Brot für die Welt“, 70184 Stuttgart Klappkarte mit dem Motiv des Meditationsplakates zur Jahreslosung 2006. Mit dieser Karte, die ein Motiv aus Äthiopien zeigt, können Sie Freunde grüßen, Spendern danken, sie zu Hausbesuchen mitnehmen und vielfältig in Ihrer Arbeit einsetzen. Einsatz: Geschenk an Spender, für Hausbesuche, Bibelkreise, Veranstaltungen rund um die Jahreslosung. Format 210 x 210 mm ungefalzt aber vorgerillt. Die Karten können somit zum Selbsteindrucken von Texten, Einladungen usw. verwendet werden. Durch die Vorrillung ist es einfach, die Karte auf DIN lang, Hochformat (105 x 210 mm) zu falzen. Die Innenseite ist komplett unbedruckt. Bezugsquelle: http://www.brot-fuer-die-welt.de Liebe Leserin, lieber Leser! Für erhebliche Unruhe unter langjährigen Religionslehrkräften haben die Pläne der niedersächsischen Landeskirchen zur Einführung einer Bevollmächtigung bzw. Vocatio der Religionslehrerinnen und -lehrer gesorgt. Das betraf vor allem die bis vor kurzem vorgesehene „Altfallregelung“ für diejeni­gen Lehrkräfte, die schon bislang Religionsunterricht erteilt haben. Nachträglich sollten sie ihre Kir­chenmitgliedschaft bescheinigen lassen, ihre Examenszeugnisse vorlegen sowie eine Schulleiterbescheini­gung darüber, dass sie das Fach im letzten Jahr unterrichtet haben. Auch das Verfahren, dass die Schullei­tungen aufgefordert wurden, die Religionslehrkräfte zur Vorlage der Dokumente zu ermuntern, war für viele befremdlich. Nicht nur bei der jüngsten Tagung der Fachberater für evangelische und katholische Religion und beim Aktionsausschuss niedersächsischer Religionslehrer wurden Befürchtun­gen laut, dass etliche Religionslehrkräfte, unter diesen Bedingungen nicht länger bereit sein könnten, Religion zu erteilen. Offensicht­lich haben ähnliche Bedenken von kultusministerieller Seite zur Rücknahme der Altfallrege­lung geführt. Das hat zu einer erheblichen Entspannung der Situation beigetragen. Zumin­dest müssen wir uns als Vertreter der Kirche den Vorwurf gefallen lassen, dass wir nicht hinreichend deutlich den Anlass und die Funktion der vorgesehenen kirchlichen Bevollmächtigung herausgestellt haben. Die Überlegungen zu einer kirchlichen Bevollmächtigung wurde vor allem durch die Reform der Lehreraus­bildung in Form von Bachelor- und Master-Studiengängen ausgelöst. Bislang galt Art. 4 des niedersächsischen Staatskirchenvertrages (Loccumer Vertrag) von 1955. Danach wirkt ein Vertreter der zuständigen Landeskirche bei der Feststellung der Lehrbefähigung für den Religionsunterricht mit. Diese Mitwirkung geschieht in der Regel so, dass der kirchliche Vertreter an der ersten Lehramtsprü­fung als Prüfungsausschuss-Vorsitzender teilnimmt. Durch diese eher lockere Mitwirkung der Kirchen galt die kirchliche Bevollmächtigung der Lehramtskandidaten als erteilt. In der damaligen Regierungsbe­gründung für diese Praxis hieß es: „Auch die der bisherigen Handhabung entsprechende Mitwirkung eines kirchlichen Vertreters an der Prüfung in evangelischer Religion bei den Lehramtsprüfun­gen trägt dem Erfordernis Rechnung, daß der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Kirchen zu erteilen ist. Neben dieser Mitwirkung findet eine besondere Bevoll­mächtigung der Religionslehrer nicht statt.“ (Werner Weber [Hg.], Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. 1, Göttingen 1962, 224) Durch die Reform der Lehrerausbildung haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend verändert. Einmal, weil ein 1. Staatsexamen zusätzlich zu den universitären Bachelor- und Master-Studiengängen in Niedersachsen nicht vorgesehen ist, an dem die Kirchen mitwirken könnten. Zum andern, weil –selbst wenn es ein Staatsexamen gäbe – die kirchliche Mitwirkung daran bedeutungslos geworden wäre, weil die zu bewertenden Inhalte nicht mehr dort abgefragt würden, sondern in den in sich abgeschlos­senen Modulen während des Studiums. Dieser Ausschluss der Kirchen aus dem Prüfungsgeschehen führte dann zu der Überlegung, vor allem für künftige Religionslehrkräfte mit reformierter Lehrerausbildung eine gesonderte kirchliche Bevollmächti­gung nach einer Teilnahme an damit verbundenen Rüsttagen vorzusehen, wie es in den meisten evangelischen Landeskirchen üblich ist. Um eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von bevollmächtig­ten und nicht-bevollmächtigten Lehrkräften zu vermeiden, wurde die mittlerweile zurückgezo­gene Altfallregelung vorgesehen. Sehr schnell wird diese evangelische Bevollmächtigung in einen engen Zusammenhang gebracht mit der missio canonica für katholische Lehrkräfte. Das jedoch ist völlig ungerechtfertigt aufgrund des unterschiedlichen Charakters des Kirchenrechts und der unterschiedlichen Kirchenlehre. Mit Schleierma­cher gesprochen, „kann man den Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholizismus vorläufig so fassen, daß ersterer das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche abhängig macht von seinem Verhältnis zu Christo, der letztere aber umgekehrt das Verhältnis des Einzelnen zu Christo abhängig von seinem Verhältnis zur Kirche.“ (Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, Berlin 19607, 137) Anders ausgedrückt: Der Protestantismus geht von einem direkten, unmittelbaren Gottesverhält­ nis des Einzelnen, auch des Religionslehrers, aus und vertraut auf die in Verantwortung wahrgenommene Freiheit des Christen. Lehrunterschiede werden außerhalb des Disziplinarrechts behan­delt. Die katholische dezisive nihil-obstat-Regelung bei der Berufung von theologischen Hochschullehrern dagegen, die sich auf die Konformität der individuellen Lehre mit der Lehre der Kirche, aber auch auf die Konformität des Lebenswandels des Hochschullehrers mit der katholischen Morallehre bezieht, das nachträgliche dezisive Beanstandungsrecht, sofern der Hochschullehrer im Laufe der Zeit in Lehre und Lebenswandel von der katholischen Lehre abweicht, und analog dazu die missio canonica für Religionslehrkräfte, die ebenfalls Lehre und Lebenswandel umgreift, sind Teil des kirchlichen Disziplinar­rechts, das im Lehramt der katholischen Kirche begründet ist. Nihil obstat, nachträgliches Beanstandungsrecht, missio canonica mit disziplinarischen Konsequenzen sind traditionell keine Rechtsfigu­ren des evangelischen Staatskirchenrechts und widersprechen dem protestantischen Prinzip. Ein Teil der Unruhe unter den evangelischen Religionslehrkräften scheint daher zu rühren, dass wir es als Vertreter der evangelischen Kirchen versäumt haben, auf diesen fundamentalen Unterschied hinzuwei­sen. Welche Bedeutung aber soll und kann die kirchliche Bevollmächtigung von evangelischen Religionslehr­kräften in Verbindung mit vorbereitenden Rüsttagen dann haben, wenn sie kein kirchenauf­sichtlich-disziplinarisches oder lehramtliches Instrument sind und sein können, das Lehr­kräfte gegenüber verpflichtet? Die einzige Möglichkeit, dieser aus der Not geborenen Maßnahme einen positiven Sinn zu geben, ist der der Selbstverpflichtung der Kirchen zur Verantwortungsübernahme für den Religionsunterricht in der Schule und die darin tätigen Religionslehrkräfte. Konkret könnte das heißen: • Die Landeskirchen mit ihren Schulreferaten und religionspädagogischen Einrichtungen lassen sich langfristig darauf festlegen, dass sie kritisch-solidarische Prozessbegleiter der gesamtschuli­schen Entwicklungsprozesse sind und sich dafür stark machen, dass der Religionsunter­richt als ordentliches Lehrfach nicht weiter marginalisiert wird. • Die Landeskirchen mit ihren Schulreferaten lassen sich darauf festlegen, dass hinreichende ge­eignete Maßnahmen zur individuellen fachdidaktischen und theologischen Fortbildung durch ihre religionspädagogischen Einrichtungen auf Dauer gestellt und auf eigene Kosten vorgehal­ten werden. Die Rüsttage dienen als Kostprobe für die Fortbildung, die zu einer Verbesserung der Unterrichtsqualität führt. Damit die Lehrkräfte die Unterstützungseinrichtungen im Be­reich ihrer Einsatzschulen kennen lernen, sollten die Rüsttage regional durchgeführt werden. • Die Landeskirchen mit ihren Schulreferaten setzen sich dafür ein, dass auch weiterhin individu­elle fachspezifische Fortbildungen als dienstliche Fortbildungen erhalten bleiben und nicht schlechter gestellt werden als systemische Fortbildungen. Sie setzen sich auch für den Er­halt der Fachberaterstellen für Religion ein und beteiligen die Fachberater und Mitglieder von Religionslehrerverbänden an den Rüsttagen, damit die Unterstützungsmöglichkeiten in ih­rer Fülle sichtbar werden. • Die Landeskirchen ermutigen die Religionslehrkräfte für ihre schwierige Arbeit in den Schu­len und sprechen ihnen den Segen Gottes für diese Arbeit zu. Die Bevollmächtigung von evangelischen Religionslehrkräften schafft dann beides, ein größeres Bewusst­sein im Raum der Kirche für die Bedeutung von Schule und Religionsunterricht für das christ­lich-kulturelle Gedächtnis, und ein größeres Bewusstsein bei den Religionslehrkräften dafür, dass sie in ihrer Arbeit nicht auf sich allein gestellt sind. Nur auf diese Weise wird es uns gelingen, die noch bestehenden Vorbehalte gegenüber einer kirchlichen Bevollmächtigung und das Missverständnis, als handele es sich dabei um ein kirchenaufsichtliches Kontrollinstrument, zu beseitigen. Ihr meditation Überlegungen zum „Bösen“ Wenn wir das menschliche Leben betrachten – individuell oder in der Geschichte - , so sehen wir, dass es selten ohne Schrecken verläuft. Der Schrecken ist eine allgegenwärtige Grunderfahrung. Wenn er aus Stürmen, Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Überschwemmungen herrührt, macht er unser Ausgeliefertsein an die Natur offenkundig, entstammt er dem „Bösen“, dann lässt er uns vor uns selbst erschaudern. Was eine Kultur als „böse“ definiert, hängt immer von ihrem historischen Kontext ab, so dass die eine noch hinzunehmen bereit ist, was die andere schon als böse verurteilt. Jedenfalls scheint es in unserem Kommunikationsbereich im Hinblick auf Moral einen „Kernschatten“ dessen zu geben, was als „prinzipiell böse“ zu gelten hat. Das Böse verfolgt, sagt Schopenhauer, „ganz uneigennützig den Schaden und den Schmerz anderer, ohne allen eigenen Vorteil“, und „Der Bosheit und Grausamkeit [...] sind die Leiden und die Schmerzen anderer Zweck an sich und dessen Erreichen Genuß.“ Aus allen geschichtlichen Erfahrungen wissen wir, dass das Böse nie endgültig unter Kontrolle ist, sondern nach Phasen relativer Unbemerkbarkeit jederzeit wieder hervorbrechen kann. Denn die Erfahrung des Bösen ist keine Randerscheinung des Lebens, sondern das vielschichtige Kernproblem der Selbstgefährdung und drohenden Selbstzerstörung des Menschen. Alle Zivilisationen bleiben latent gewaltbereit, alle Versuche der Sicherung vor dem Bösen wie Recht, Moral, Erziehung, Religion, Kunst und Philosophie waren niemals endgültig und niemals absolut. Nicht, dass es immer wieder Gewalt und Zerstörung gibt, ist das Rätsel, denn das gibt es ja in der Natur auch, sondern dass es eine Lust an Gewalt und Zerstörung gibt, ja eine Begeisterung für das Böse. Es war Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der in der Philosophie als erster diese Tatsache nicht heruntergespielt oder weggedacht hat, dass es „eine Begeisterung des Bösen“ geben kann, so „wie es einen Enthusiasmus zum Guten gibt“. In kritischer Auseinandersetzung mit Augustins Erbsündenlehre und Immanuel Kants Neigung, das Böse als „etwas bloß Passives“ zu betrachten, suchte Schelling die reale, positive Macht des Bösen im Menschen zu verstehen. Die Ableitung des Bösen im Menschen bei Schelling führt uns über philosophische Theologie, Kosmologie und Anthropologie zu einem interessanten Befund: Das Böse entspringt nach Schelling nicht, wie frühere Philosophen es gerne sahen, aus der sinnlichen Natur des Menschen, der Schwäche seiner Triebe und Begierden, sondern aus seinem „Geist“. Es ist der menschliche Geist in seiner Tatkräftigkeit, der in der Lage ist, die Ordnung von allgemeinem Gesetz und individuellen Willen, die bei den Naturwesen gültig ist, auf den Kopf zu stellen: den individuellen Willen über den Anspruch des Allgemeinen zu erheben. Diese Fähigkeit bezeichnet Schelling als die „Freiheit“ des menschlichen Geistes. Aber genau diese Freiheit – da ist Schelling durchaus mit den Theologen einig – ist die Bedingung der Möglichkeit der bösen Handlung: „wir haben mit einem Bösen in und außer uns zu kämpfen, das Geist ist“. Nun würden wir alle wünschen, das Böse in und außer uns wäre gar nicht möglich und damit in der Welt auch nicht vorhanden. Viel Schreckliches, viele Qualen, viel Unglück blieben der Menschheit erspart. Es ist gewiss kein Trost für denjenigen, der unter der Gewalt des Bösen leiden muss, was Schelling als Antwort bereit hält. Aber es ist gleichwohl eine Überlegung, die zu denken gibt. 3 'bb' 114-4/2005 Wenn der Mensch das Böse tut, hat er sich frei entschieden für das Böse. Diese Freiheit als die eigentliche Möglichkeit des Menschen – hätte er sie nicht, wäre er nur eine Marionette – ist das kostbare Gut der Schöpfung Gottes. Aus dieser Perspektive ist das Schlimmste, was Menschen einander antun, noch gerechtfertigt, so absurd das klingen mag. Es muss zwar in jedem Fall moralisch und rechtlich verurteilt werden, aber „metaphysisch“ muss es zugelassen werden – und zwar im höheren Interesse der Freiheit der Menschen, auch wenn diese ihre Freiheit missbrauchen. Barbara Ränsch-Trill EAWRE PICTORIAL CALENDAR 2006 Der seit Jahren in Großbritannien erscheinende Wandkalender der Shap Working Party on World Religions in Education wird für 2006 erstmals auch von der Europäischen Arbeitsgemeinschaft für Weltreligionen in der Erziehung (EAWRE) veröffentlicht. Er enthält im Kalendarium die Daten aller großen Feste der Religionen: Bahai, Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam, Judentum, Sikkhismus und Zaroastrier. Seine 12 Monatsbilder stehen unter dem diesjährigen Thema „Heilige Stätten“ (Holy Places). Zu jedem Bild gibt es eine kurze englischsprachige Erklärung. Ein idealer Begleiter in Schule und Unterricht, und zugleich ein ansprechendes Geschenk für alle, die sich für die Vielfalt religiöser Traditionen in Europa interessieren! Ausführliche ergänzende Kommentare zu den religiösen Festen Europas finden sich in Deutsch, Englisch und Französisch in der online-Ausgabe des EAWRE Kalenders unter http://www.eawre.org. Pictorial Calendar 2006, DIN A4, Vierfarbendruck, Preis: EUR 7,00 plus Porto Bestellung: Tel. 05331-802 507 / Fax 05331-802 713 4 'bb' 114-4/2005 u-stunde: (un-)willkommen?! – reaktionen auf jesus rené herbig Die dargestellte Stunde ist Teil der U-Einheit „Von Passion bis Pfingsten – Ereignisse um das Leben Jesu“. Sachanalyse Die Perikopen vom Einzug Jesu in Jerusalem (Mk 11,7ff.) und die nach Mt daran direkt anschließende Tempelreinigung (Mt 21, 12ff.) zeigen den Beginn der Passionsgeschichte, die mehrfach auch den Kontrast von Abweisung und Zuneigung, Hass und Verehrung gegenüber Jesus thematisiert. So werden in den beiden Texten einerseits die Bejubelung Jesu aufgrund seines bisherigen Wirkens bekundet bzw. durch dessen Wundertaten im Tempel Gründe für die Sympathie gegenüber seiner Person aufgezeigt. Vor allem die Perikope zur Tempelreinigung liefert andererseits auch mögliche Argumente für die Abneigung gegenüber Jesus und die Abweisung seines messianischen Anspruchs. Beim Einzug Jesu in Jerusalem wird nach Mk dabei der Aspekt der Erfüllung alttestamentlicher Prophetie vom kommenden messianischen Friedenskönigs (u.a. Sach 9,9) hervorgehoben1, der durch Jesu „messianisch-triumphalen Einzug [...] in Jerusalem“2 belegt wird. Die Klimax der Erzählung liegt dabei in der jubelnden Akklamation Mk 11,9-10, mit der Jesus von der Menge als Messias gefeiert und der Anbruch der messianischen Heilszeit angekündigt oder von Gott nun neu erbeten wird3. Das Ausbreiten der Kleider und der (Palm-)Zweige zeugt dabei von einer an einen weltlichen König gerichteten Huldigungsart (2 Kön 9,13) und zeigt, dass Jesus vom Volk zunächst jubelnd empfangen wird, wobei zumindest Lk schon beim Einzug in Jerusalem auf den Konflikt mit den Pharisäern hinweist (Lk 19,39f.)4. Die Auseinandersetzung mit den Hohenpriestern und Schriftgelehrten verschärft sich in der Perikope von der Tempelreinigung. Jesu zorniges Handeln wie auch das Apophthegma Mt 21,13 stellt Jesus unmittelbar in die Tradition der Propheten und zeugt von der Autorität, in der er die Händler aufgrund einer auf Profit ausgerichteten Praxis und der Zweckentfremdung des Tempels kritisiert. Die nur in Mt beschriebene Heilung von Blinden und Lahmen (Mt 21,14) zeugt des Weiteren von der gütigen Annahme aus Gesellschaft und Tempel Ausgeschlossener und weist auf den Einbruch der verheißenen Gottesherrschaft hin5. Die Texte stellen, wie gezeigt, die Reaktionen von Freunden wie Gegnern hinsichtlich des Auftretens Jesu gut heraus und zeigen sogar Begründungen für die jeweilige Haltung der Personen. Während die einen in Jesus den lang ersehnten Befreier sehen, der sich der Menschen annimmt und sie heilt, lehnen ihn die anderen aufgrund ihrer eingefahrenen Frömmigkeit und ihres Gesetzesverständnisses oder aber aus geldgierigen Gründen ab. Der Konflikt mit den Gegnern weist dabei implizit sogar schon auf das Schicksal Jesu hin, selbst „wenn [noch] von keinem formellen Todesbeschluß die Rede“6 sein kann. Didaktische Analyse Das Thema der Stunde ist in den niedersächsischen Rahmenrichtlinien des 7./8. Schuljahrgangs für die Realschule einerseits durch den an Jesu Einzug in Jerusalem erinnernden kirchlichen „Palmsonntag“ dem Themenkreis „Feste und Feiern“, andererseits aber auch im neutestamentlichen Bereich dem Thema „Jesus Christus: Die Botschaft vom Zuspruch und Anspruch Gottes“ zuzuordnen. In den höheren Jahrgängen ist die Stunde in dem Themenbereich „Jesus Christus – Hoffnung für das Leben“ verankert, in dem hervorgehoben wird, dass Jesus Christus „von Anfang an Menschen bewegt, getragen und mit Hoffnung erfüllt [hat]; aber auch Widerspruch hervorgerufen [hat]“7. Dabei steht der in den Texten aufgezeigte Gegensatz zwischen der Verehrung Jesu durch Teile der Bevölkerung und der Gegnerschaft der jüdischen Geistlichen exemplarisch für die von Beginn des Wirkens Jesu an fortwährend geteilte Meinung zu seiner Person. Auch sind die Ereignisse kennzeichnend für die Streitgespräche, also die häufigen Auseinandersetzungen Jesu mit den jüdischen Gelehrten über deren Frömmigkeitsform und Gesetzesverständnis, sowie für das neutestamentliche Bild der Schriftgelehrten, die an Jesu Handeln Anstoß nehmen und schon früh dessen Tod beschließen. Daneben zeugen die Ereignisse jedoch auch vom Hoffnungsmotiv, das hier zunächst in Form der Messiaserwartung, dann aber auch in Form der Heilung Blinder und Lahmer exemplarisch für weitere biblische Texte und letztlich den christlichen Glauben stehen. Aber auch das Wundermotiv und die beiden bei Theißen so genannten Grundaxiome christlichen Glaubens „Monotheismus“ und „Erlöserglauben“ finden hier ihre Exemplarität8. Die Bedeutung des Themas im Leben der Schüler besteht zunächst in der Widerspieglung unterschiedlicher Ansichten zu Jesus Christus. So gibt es auch bei den Schülern einige, die der Person Jesu positiv gegenüberstehen (sei es durch deren religiöse Sozialisation oder 5 'bb' 114-4/2005 anderer Erfahrungen und Interessen), es gibt jedoch auch etliche Lernende, die sich sehr kritisch geben und abweisend auf Jesus reagieren, selbst wenn letztere freilich nicht die in den Texten betonten theologischen Gründe aufzeigen. Gegenwartsbedeutung könnte aber gerade auch die Tempelreinigung dahingehend haben, dass Jesus hier äußerst unkonventionell vorgeht, gar wie ein Rebell auftritt. Jesus ist hier nicht das kleine friedliche Kind aus der Krippe, sondern zornig und aufrührerisch. Das mag die Schüler überraschen und bietet ihnen die Möglichkeit, sich mit ihm zu identifizieren, da diese Haltung den Schülern in ihrer Alters- und Entwicklungsstufe nicht unbekannt ist, vielleicht sogar anziehend auf sie wirkt. Der Jubel beim Einzug in die Stadt könnte die Lernenden im Weiteren an eigene Erlebnisse erinnern, werden doch Popstars und andere Idole bei Auftritten ähnlich verehrt und beklatscht. Die tatsächliche Bedeutung des Themas aufgrund bestehender Erfahrungen zeigt sich auch in der Vertrautheit des Gemocht- und Ungewollt-Seins. Jeder Schüler hat in seinem Leben Situationen erlebt, in denen er von Menschen abgewiesen wurde, und kann Gefühle mit solchen Erlebnissen verbinden. Desgleichen kennt jeder auch aus Freundschaften und Familie Formen oder Erfahrungen des Gemocht- und Gewollt-Seins. Die Rolle des Beurteilenden ist den Lernenden ebenfalls nicht unbekannt, wird doch gerade in der Schule auch über Mitschüler gesprochen und eine Bewertung abgegeben. Daher ist sowohl eine partielle Identifikation mit der Person Jesu als auch der anderen Personen über die Gefühle von Annahme und Ablehnung durchaus möglich. Die Kenntnis des kirchlichen Feiertages „Palmsonntag“ ist bei den Schülern wohl eher zu verneinen, könnte aber wie auch die aus Kindergottesdienst, Konfirmanden- oder Religionsunterricht bekannte Tempelreinigung durchaus einen Anknüpfungspunkt an vorliegende Erfahrungen bilden. Die Behandlung des Themas „Die Welt der Bibel“, bei dem auch auf den Tempelkult eingegangen wurde, sollte im Übrigen für Verbindungsmöglichkeiten sorgen. Insofern knüpft der Lerngegenstand also in mehrfacher Hinsicht an die Erfahrungen der Schüler an und entfaltet von dort aus seine Bedeutung. Hinsichtlich der zukünftigen Relevanz des Lerngegenstands kann zunächst auf die Möglichkeit verwiesen werden, Einstellungen zur Person Jesu und seinem Wirken kennen zu lernen, auf diese Weise Gründe für die Gefangennahme und den späteren Tod Jesu genauso zu verstehen wie den Nachfolgewunsch der Jünger und somit schließlich Zusammenhänge innerhalb der biblischen Texte zu erkennen. Dies kann schon in den nächsten Stunden fruchtbar werden. Auch kann durch den Lerngegenstand die Chance gegeben werden, den eigenen Standpunkt zur Person Jesus Christus zu reflektieren und so neu zu klären, sowie generell die Urteilsbildung zu stärken und die Entwicklung der (oder: zur) Persönlichkeit zu fördern9. Die in Standbildern ausgedrückten Szenen des Einzugs Jesu in Jerusalem und der Tempelreinigung ermöglichen die lebendige Erfahrung von Gefühlen biblischer Personen und eine Identifikation mit ihnen, 6 was Auswirkung auf die Motivation und die Fähigkeit der Auseinandersetzung mit Bibeltexten haben kann. Das Darstellen der Szenen durch Standbilder verleiht den Schülern dabei nicht allein die Fähigkeit, sich gestisch und mimisch auszudrücken, sondern fördert zugleich die emotionalen und kreativen Kräfte. Zudem ermöglicht das Thema, menschliche Erfahrungen und Gefühle zu artikulieren und hinsichtlich der Folgestunden Deutungsmöglichkeiten des Lebens anzubahnen und dabei eine christliche Perspektive zu öffnen. Schon aufgrund der oben beschriebenen Erfahrungen und Kenntnisse der Lernenden sollte die Zugänglichkeit des Lerngegenstands für die Schüler auch im Hinblick auf ihren Bildungsstand deutlich geworden sein. Die teilweise entwicklungsbedingte Distanz zur Person Jesu kann aufgegriffen und letztlich sogar für den Unterricht fruchtbar gemacht werden. Wie im Folgenden noch aufgezeigt werden wird, kann durch die Art und Weise der Darstellung der Szenen der Unterrichtsgegenstand in der gegebenen pädagogischen Situation anschaulich und lebendig dargestellt, letztlich sogar verinnerlicht werden. Methodische Überlegungen Die Motivationsphase zu Beginn des Unterrichts erfolgt im Stuhlkreis. Der Lehrer betritt als Schriftgelehrter verkleidet (Maske, umgehängten Mantel und Thorarolle tragend) den Raum. Dabei wird über Neugier und Anreiz versucht, eine hohe (intrinsische) Motivation zu erzeugen. In Verbindung mit dem bereits Kennengelernten (Personengruppen/ Masken/ Darstellung durch Gestik) erreicht der Stundeneinstieg so eine relative Neuheit, die zu Überraschung führt und auf diese Weise motivierend wirkt10. Durch die Möglichkeit zur eigenen Darstellung biblischer Personen können ein Einbezug und eine erste persönliche Auseinandersetzung des Schülers mit den Figuren der Bibeltexte stattfinden. Die Wiederholung der verschiedenen Personengruppen dient zugleich der Festigung. Alternativ zum nun anschließenden Lehrervortrag wäre das Vorlesen der Geschichten durch die Schüler möglich, dieses hätte jedoch aufgrund des Entwicklungs- und Bildungsstandes der Lernenden die Wirkung der Geschehnisse in den Texten vermindert, wohingegen der Lehrer im Vortrag die Dramatik der Erzählungen durch besondere Betonung und Gestik hervorheben kann. In der nächsten Phase sind Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit erwünschtes (auch langfristiges) Ziel und Motivierungsanreiz zugleich. Durch den Einsatz vor der Gruppenarbeit bestimmter Regisseure bekommen die Schüler, die noch nicht die benötigten Kompetenzen besitzen und auch Schwierigkeiten bei der Darstellung eines Standbildes haben, Hilfestellung. Bei den Arbeitsaufträgen ist jeweils ein besonderer Vers herausgegriffen, der darzustellen ist11. Dies dient als Hilfe für die Gruppe, da die Schüler aufgrund der geringen Erfahrung mit Standbildern ansonsten überfordert sein könnten, eine Erzählung auf lediglich ein Bild zu reduzieren. Auch sollen so in der Präsentationsphase verschiedene Aspekte der Texte Beachtung finden können. Über die planerischen Überle- 'bb' 114-4/2005 gungen der Gruppen zur Gestaltung des Verses und der Darstellung einzelner Szenen in Standbildern soll eine intensive Auseinandersetzung mit den biblischen Texten erfolgen. Die Masken dienen dabei nicht allein dem Abbau von Scheu, sondern sind zugleich aufgrund ihrer Attraktivität Motivationsanreize. Dies wird durch weitere Materialien (Umhänge, Zweige, Speere...) unterstützt und so eine Übertragung der positiven Assoziationen auf die Auseinandersetzung mit den biblischen Texten ermöglicht. In der Präsentationsphase dient der Einsatz zuvor bestimmter „Beobachter“ dazu, erste Hemmschwellen zur Besprechung der Standbilder zu überwinden. Neben der Möglichkeit, Assoziationen zu äußern, dienen Kärtchen für Überschriften und Gedanken den Schülern als Strukturhilfe bei der Artikulation. Dies hat den Vorteil, dass sich alle Schüler mit der Szene intensiv auseinandersetzen und ein Einfühlen in verschiedene Aspekte und Positionen ermöglicht wird12. Im Anschluss hat der „Regisseur“ die Chance, das erbaute Standbild zu reflektieren, bevor dann Mitspieler von Erfahrungen berichten und Gefühle der Personen artikulieren. Alternativ hätten die Zuschauer erst am Ende Beobachtungen äußern können, wobei hier die Möglichkeit einer intensiveren Auseinandersetzung aller Schüler verloren gegangen wäre. Auch das Einbringen der m.E. wichtigen Kärtchen wäre nicht mehr sinnvoll gewesen. Variationen der Besprechung des Standbildes könnten im Wechsel des „Regisseurs“ liegen (ein Zuschauer nimmt Veränderungen im Bild vor), oder aber darin, dass Mitspieler oder Zuschauer selbstständig die ihnen genehme Position innerhalb des Bildes einnehmen. Hierbei muss eine Sensibilität dafür herrschen, die Ergebnisse der Gruppen oder einzelner Personen nicht abzuwerten. Die dargestellte Vorgehensweise beim Vorstellen der Standbilder bereichert die Auseinandersetzung mit den biblischen Texten und intensiviert sie. Der in der Sachanalyse hervorgehobene Kontrast zwischen Annahme und Ablehnung Jesu sowie die (emotionalen) Beweggründe dafür können so nicht allein nur dargestellt und herausgearbeitet, sondern durch die szenische Interpretation nachempfunden und „belebt“ werden. Die Stunde endet mit einer kurzen Bündelung der Ergebnisse. Sie dient dem Überblick über das Erarbeitete und soll einen Ausblick auf die Folgestunde ermöglichen, in der sich die Situation um Jesus weiter verschärft. Neben der geschaffenen Transparenz und dem Spannungsbogen zur nächsten Stunde soll der Hinweis auf das Szenische Spiel eine andauernde Motivation ermöglichen. Stunden-/Teilziele Groblernziel der Unterrichtsstunde: Die Schüler sollen die Szene vom Einzug Jesu in Jerusalem und der Tempelreinigung darstellen und reflektieren können, indem sie die Gedanken der Personen und den sich ergebenden Konflikt herausstellen. Feinlernziele der Unterrichtsstunde: FZ 1: Die Schüler sollen vorhandenes Wissen reaktivieren und in Zusammenhang zu der Darstellung biblischer Personen/-gruppen bringen können, indem sie die vorgespielte Person erraten oder selbst einen der kennen gelernten Charaktere als Standbild darstellen. FZ 2: Die Schüler sollen den Inhalt der Bibeltexte in eigenen Worten wiedergeben können. FZ 3: Die Schüler sollen die Gruppenarbeit vororganisieren können, indem sie zur Realisierung notwendige Punkte besprechen, relevante Charaktere benennen und kurz eine mögliche Darstellung reflektieren. FZ 4: Die Schüler sollen sich der Aufgabe in der Gruppenarbeit selbstständig stellen können. FZ 5: Die Schüler sollen sich mit dem Bibeltext auseinandersetzen können, indem sie ihn in der Gruppe lesen und durch Reflexion zur Darstellungsweise der einzelnen Personen im Standbild kommen. FZ 6: Die Schüler sollen einen Bibelvers als Standbild darstellen können. FZ 7: Die Schüler sollen den Gehalt des biblischen Textes nachvollziehen können, indem sie die Standbilder beschreiben und sich in einzelne Personen hineinversetzen. Literatur Conzelmann, H./ Lindemann, A.: Arbeitsbuch zum Neuen Testament. Tübingen: Mohr Siebeck 121998. Edelmann, W.: Intrinsische und extrinsische Motivation. In: Grundschule 4/2003. Gugel, G.: Methoden-Manual II: „Neues Lernen“. Tausend neue Praxisvorschläge für Schule und Lehrerbildung. Weinheim: Beltz Verlag 1998, S. 96. Hoffnung für alle – Die Bibel. Basel: Brunnen Verlag 42000. Iber, G. (Hrsg.): Das Buch der Bücher – Neues Testament. Einführungen, Texte, Kommentare. München: R. Piper & Co. Verlag 1972. Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.): Rahmenrichtlinien für die Realschule. Evangelischer Religionsunterricht. Hannover: Schroedel Schulbuchverlag GmbH 1994. Noormann, H./ Becker, U./ Trocholepczy, B. (Hrsg.): Ökumenisches Arbeitsbuch Religionspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer 2000. Rienecker, F.: Das Evangelium des Lukas (Reihe: Wuppertaler Studienbibel). Wuppertal: R. Brockhaus Verlag 101985. Schweitzer, E.: Das Evangelium nach Markus (NTD 1). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 17., durchges. Aufl. (7. Aufl. dieser Bearb.) 1989. Schweitzer, E.: Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 16., durchges. Aufl. (4. Aufl. dieser Bearb.) 1986. Theißen, G.: Zur Bibel motivieren: Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik. Gütersloh: Chr. Kaiser/ Gütersloher Verlagshaus 2003. Walvoord,J.F./ Zucl, R.B.(Hrsg.): Das Neue Testament – erklärt und ausgelegt (Bd. 4, Mt-Röm). Holzgerlingen: Hänssler Verlag 1992. 7 'bb' 114-4/2005 Groblernziel der Unterrichtseinheit: Die Schüler sollen den Weg Jesu und seiner Jünger von Passion bis Pfingsten kennen lernen und in seiner elementarisierten theologischen Bedeutung nachvollziehen können. Thema der Unterrichtsstunde Didaktischer Schwerpunkt/ Stundenziel(e) 1. Std. Der Weg Jesu – eine Übersicht Erstellen der Masken Die Schüler sollen einen Überblick über die Ereignisse von Passion bis Pfingsten gewinnen, indem sie biblische Erzählungen anhand verschiedener Gegenstände wieder erkennen, erzählen und in einer Wegstruktur ordnen. Sie sollen sich die in den Erzählungen vorkommenden Personen/-gruppen und ihre hervorstechenden Eigenschaften vergegenwärtigen und dadurch entsprechende Masken für Standbilder und Szenisches Spiel gestalten können. 2. Std. „Warming up – Cooling down“ (Übungen zu Standbildern und Szenischem Spiel) Die Schüler sollen anhand verschiedener Übungen die Vielfalt von Ausdrucksformen durch Standbilder und Szenisches Spiel kennen lernen, anwenden und auf diese Weise den Einsatz szenisch interpretierender Methoden trainieren können. 3. Std. (Un-)Willkommen?! (Reaktionen auf Jesus) Die Schüler sollen die Szene vom Einzug Jesu in Jerusalem und der Tempelreinigung darstellen und reflektieren können, indem sie die Gedanken der Personen und den sich ergebenden Konflikt herausstellen. 4. Std. Die Gefangennahme Jesu Die Schüler sollen die Bedeutung der Gefangennahme (und so des Todes) Jesu für die Jünger nachvollziehen können, indem sie die Perikope szenisch darstellen und die Betroffenheit der Jünger in Worte fassen. 5. Std. Der Weg geht weiter (Die Emmausgeschichte) Anknüpfend an die letzte Stunde sollen die Schüler über das Vorlesen der Kummersteine und das durch einen Dialog unterstützte spontane Spiel der Emmausgeschichte die Wende nach dem Tod Jesu herausarbeiten und durch deren Gestaltung mit Kett-ähnlichem Material die Bedeutung der Auferstehung erfahren können. 6. Std. Auferstehung erschließen Die Schüler sollen in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Symbolen eigene Erfahrungen einbringen und sie zum Auferstehungsgedanken in Beziehung setzen können. 7. Std. Jesu Himmelfahrt Die Schüler sollen über die Unterscheidung der englischen Wörter ‚sky‘ und ‚heaven‘ die Bedeutungsebenen des Begriffs „Himmel“ erarbeiten und so die Aussage der Himmelfahrt Jesu verstehen und erläutern können. 8. Std. Das Pfingstereignis Anhand des Symbols „Wind“ und der in verschiedenen Spielen gemachten Erfahrungen zu seinen Eigenschaften sollen die Schüler Aussagen des biblischen Textes vom Pfingstereignis erschließen und den Aspekt des Angetrieben-Seins und Hinausgehens im Verpusten von Farbklecksen vertiefen können. 9. Std. Ereignisse von Passion bis Pfingsten (Lernen an Stationen) Die Schüler sollen durch die Bearbeitung der Aufgaben an verschiedenen Lernstationen die in der Unterrichtseinheit erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen zu den Ereignissen von Passion bis Pfingsten anwenden und vertiefen können. Bemerkungen 1 2 3 4 5 6 7 Vgl. Conzelmann, H./ Lindemann, A.: Arbeitsbuch zum Neuen Testament. Tübingen: Mohr Siebeck 121998, S. 498f. Iber, G. (Hrsg.): Das Buch der Bücher – Neues Testament. Einführungen, Texte, Kommentare. München: R. Piper & Co. Verlag 1972, S. 140f. Vgl. ebd.; Dagegen Schweitzer, E.: Das Evangelium nach Markus (NTD 1). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 17., durchges. Aufl. (7. Aufl. dieser Bearb.) 1989, S. 125. Walvoord,J.F./ Zucl, R.B.(Hrsg.): Das Neue Testament – erklärt und ausgelegt (Bd. 4, Mt-Röm). Holzgerlingen: Hänssler Verlag 1992, S.193. Vgl. Rienecker, F.: Das Evangelium des Lukas (Reihe: Wuppertaler Studienbibel). Wuppertal: R. Brockhaus Verlag 101985, S. 454. Vgl. Schweitzer, E.: Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 16., durchges. Aufl. (4. Aufl. dieser Bearb.) 1986, S. 266. ebd., Hervorh. v. Verf. Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.): Rahmenrichtlinien für die Realschule. Evangelischer Religionsunterricht. Hannover: Schroedel Schulbuchverlag GmbH 1994, S. 50. 8 8 Vgl. Theißen, G.: Zur Bibel motivieren: Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik. Gütersloh: Chr. Kaiser/ Gütersloher Verlagshaus 2003, S. 133ff. 9 Vgl. Rahmenrichtlinien, S. 9. Im weitesten Sinne werden durch den Lerngegenstand auch die „Bildung der Gesamtpersönlichkeit“, die „Herausbildung sozialer und humaner Verhaltensweisen und Einstellungen“ sowie die Förderung „soziale[r] Integration“ angeschnitten. 10 Vgl. Edelmann, W.: Intrinsische und extrinsische Motivation. In: Grundschule 4/2003, S. 30. 11 Aufgrund der für Schüler gut lesbaren und im Vergleich verständlicheren Übersetzung, wurden die Bibeltexte der „Hoffnung für alle“ entnommen. Hoffnung für alle – Die Bibel. Basel: Brunnen Verlag 42000. 12 Gugel, G.: Methoden-Manual II: „Neues Lernen“. Tausend neue Praxisvorschläge für Schule und Lehrerbildung. Weinheim: Beltz Verlag 1998, S. 96. 'bb' 114-4/2005 'bb' 114-4/2005 9 20 Min. 10 Min. 10 Min. 5 Min. Zeit FZ 7 Präsentation/ Sicherung FZ 4/ FZ 5/ FZ 6 Erarbeitung FZ 2/ FZ 3 Hinführung Beendet die Gruppenarbeit und bittet in die Mitte des Raums. Fordert S. auf, den Mitschülern ihre Standbilder vorzustellen. Bestimmt jeweils „Beobachter“, die Anmerkungen und Assoziationen zu den Standbildern äußern und von den Zuschauern ergänzt werden sollen. Fordert S. auf, Überschriften und Gedanken der dargestellten Personen auf Kärtchen zu schreiben und diese vorzulesen. Lässt dann den „Regisseur“ reflektieren und die Mitspieler von Erfahrungen berichten bzw. Gefühle artikulieren. Ggf. Variationen in der Besprechung. Fasst das Erarbeitete kurz zusammen und verweist auf die Folgestunde. Leitet zu den Bibeltexten über und trägt sie vor. Klärt zusammen mit S. aufkommende Fragen und Schwierigkeiten. Leitet zur Erstrezeption an. Bespricht mit S. die für die Standbilder benötigten biblischen Personen/-gruppen. Erklärt Arbeitsauftrag für die Gruppen, den Bibeltext noch einmal laut zu lesen, sich Gedanken zum darzustellenden Vers zu machen und ihn als Standbild zu verwirklichen. Bestimmt die „Regisseure“ und teilt S. in Gruppen ein. Gibt ggf. Hilfestellungen UnterrichtsLehrertätigkeit phase Kommt mit Maske, umgehängtem Mantel Einstieg/ Motivation und Thorarolle in der Hand herein. Stellt sich in die Mitte des Stuhlkreises. FZ 1 Stellt einen Schriftgelehrten dar (Stummer Impuls). Zeigt ggf. Impulskarte „Wer bin ich?“ Fordert S. auf, weitere biblische Personen/gruppen darzustellen und erraten zu lassen. Arbeits- und Sozialform Stuhlkreis Stellen das Standbild aus der Gruppenarbeit vor. Äußern sich zu den Ergebnissen der Mitschüler. Finden zu den jeweiligen Standbildern Überschriften und schreiben die Gedanken der verschiedenen biblischen Charaktere auf. Lesen sie vor. „Regisseur“ reflektiert das Ergebnis seiner Gruppe. Mitspieler berichten von Erfahrungen und artikulieren Gefühle und Gedanken der gespielten Person. Wechseln ggf. den „Regisseur“ oder nehmen eine andere Position ein und erklären sie. Bearbeiten in Gruppenarbeit die Aufgaben. Der „Regisseur“ leitet dabei die Gruppen nach gemeinsamen Überlegungen zum Standbild an. Verfolgen die vorgetragenen Bibeltexte und äußern Fragen oder erste Reaktionen. Klären ansatzweise die Texte. Überlegen sich gemeinsam die für die Standbilder relevanten Charaktere. L.-Vortrag Unterrichts-gespräch S.-Vortrag Gruppenarbeit Unterrichtsgespräch Stuhlkreis L.-Vortrag Erkennen Darstellung und Züge eines Schriftgelehrten wieder und erraten Person. Stellen selbst Unterrichtseine biblische Person dar bzw. gespräch erraten die ihnen als Standbild dargebotene Person. Schülertätigkeit Arbeitskarten, leere Überschrifts-/ Gedankenkärtchen, Masken, Umhänge, Gegenstände zu den Personen Arbeitskarten, Masken, Umhänge, Gegenstände zu den Personen Bibeltexte zum Vortragen Masken, Umhänge, Thorarolle, Gegenstände zu den Personen Medien/ Material Intrinsische Motivation über Neugier und Anreiz (Diskrepanzprinzip) –> Überraschung/Verblüffung. Reaktivierung vorhandenen Wissens. Selbstaktivierungsanreize durch Darstellen und Erraten biblischer Charaktere. Vorbereitung und Überleitung zur Folgephase durch Klärung in Texten vorkommender Personen. Klärung und Erstrezeption bereiten die Erarbeitungsphase vor. Ebenso das Aufgreifen des reaktivierten Wissens aus der Einstiegsphase, das nun in den Kontext der Bibeltexte gestellt wird. Lernen und Auseinandersetzung im sozialen Verband soll Motivation fördern. Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit als Ziel und Motivationsanreiz zugleich Differenzierung durch Rollenverteilung. Masken zum Abbau der Scheu und als Assoziationsanreize. Intensive Auseinandersetzung durch Standbilder ermöglicht eine Identifikation mit biblischen Personen und Einfühlen in verschiedene Aspekte. Vermutlich trotz Masken Schwierigkeiten, dass S. sich darstellen sollen. Bestimmung eines „Beobachters“ soll Besprechung der Standbilder unterstützen. Finden von Überschriften und die Artikulation von Gefühlen/ Gedanken der biblischen Personen soll intensivere Auseinandersetzung aller S. mit dem Thema ermöglichen. Zugleich Chance zur Identifikation mit bzw. Einfühlen in Rollen. Zusammenfassung des Erarbeiteten durch den Lehrer dient dem Überblick, Verweis auf nächste Stunde der Transparenz und der Erhaltung des Spannungsbogens. Hinweis auf Szenisches Spiel soll motivieren. Didaktisch-methodischer Kommentar Gruppenarbeit A 1) Lest den folgenden Text in der Gruppe laut vor: Als sie in der Nähe von Jerusalem waren, brachten die Jünger einen jungen Esel zu Jesus, legten ihre Mäntel auf das Tier, und Jesus setzte sich darauf. Viele Leute breiteten ihre Kleider als Teppich vor ihm aus, andere rissen grüne Zweige von den Bäumen und legten sie auf den Weg. Vor und hinter ihm drängten sich die Menschen und riefen: „Heil unserem König! Ihn hat Gott zu uns gesandt! Jetzt kommt endlich Davids Reich! Gelobt sei Gott!“. Nur einige Schriftgelehrte standen am Weg und schauten grimmig drein. So zog Jesus in Jerusalem ein. (Markusevangelium 11, 7-11) 2) Stellt folgenden Vers als Standbild dar: Viele Leute breiteten ihre Kleider als Teppich vor ihm aus, andere rissen grüne Zweige von den Bäumen und legten sie auf den Weg. Ihr benötigt dazu: - Jünger - Einfache Leute - Schriftgelehrte - (Soldaten) Gruppenarbeit B 1) Lest den folgenden Text in der Gruppe laut vor: Als sie in der Nähe von Jerusalem waren, brachten die Jünger einen jungen Esel zu Jesus, legten ihre Mäntel auf das Tier, und Jesus setzte sich darauf. Viele Leute breiteten ihre Kleider als Teppich vor ihm aus, andere rissen grüne Zweige von den Bäumen und legten sie auf den Weg. Vor und hinter ihm drängten sich die Menschen und riefen: „Heil unserem König! Ihn hat Gott zu uns gesandt! Jetzt kommt endlich Davids Reich! Gelobt sei Gott!“. Nur einige Schriftgelehrte standen am Weg und schauten grimmig drein. So zog Jesus in Jerusalem ein. (Markusevangelium 11, 7-11) 2) Stellt folgenden Vers als Standbild dar: Vor und hinter ihm drängten sich die Menschen und riefen: „Heil unserem König! Ihn hat Gott zu uns gesandt! Jetzt kommt endlich Davids Reich! Gelobt sei Gott!“. Ihr benötigt dazu: - Jünger - Einfache Leute - Schriftgelehrte - (Soldaten) 10 'bb' 114-4/2005 Gruppenarbeit C 1) Lest den folgenden Text in der Gruppe laut vor: Dann ging Jesus in den Tempel, jagte alle Händler und Käufer hinaus, stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und rief: „Gott sagt: ´Mein Haus soll ein Ort des Gebets sein´, ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!“. Da kamen auch schon Blinde und Krüppel, und er heilte sie im Tempel. Als die Hohenpriester und Schriftgelehrte all das sahen und hörten, wie viele Leute ihn feierten, wurden sie wütend und entrüsteten sich. (Matthäusevangelium 21, 12-15) 2) Stellt folgenden Vers als Standbild dar: Dann ging Jesus in den Tempel, jagte alle Händler und Käufer hinaus und stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um. Ihr benötigt dazu: - Händler und Käufer (einfache Leute) - Schriftgelehrte - Hohepriester - Tempelwache Gruppenarbeit D 1) Lest den folgenden Text in der Gruppe laut vor: Dann ging Jesus in den Tempel, jagte alle Händler und Käufer hinaus, stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und rief: „Gott sagt: ´Mein Haus soll ein Ort des Gebets sein´, ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!“. Da kamen auch schon Blinde und Krüppel, und er heilte sie im Tempel. Als die Hohenpriester und Schriftgelehrte all das sahen und hörten, wie viele Leute ihn feierten, wurden sie wütend und entrüsteten sich. (Matthäusevangelium 21, 12-15) 2) Stellt folgenden Vers als Standbild dar: Da kamen auch schon Blinde und Krüppel, und er heilte sie im Tempel. Ihr benötigt dazu: - Blinde und Krüppel (einfache Leute) - Schriftgelehrte - Hohepriester - Tempelwache 11 'bb' 114-4/2005 u-stunde: ethische fallbesprechung ethik im lebensalltag dörte gloy Lernziele Prozesslernziel der Unterrichtseinheit Die Schülerinnen und Schüler sollen … - …sich für ihr einwandfreies ethisches (pflegerisches) Handeln verantwortlich fühlen. Groblernziel der Unterrichtsstunde Die Schülerinnen und Schüler sollen… - …die Methode nach M. Rabe als ein Hilfsinstrument in einem ethischen Entscheidungs- Prozess verstehen und diesen im Hinblick auf das eigene pflegerische Handeln überprüfen. Feinlernziele bezüglich der Fachkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler sollen … - …den Ablauf der ethischen Fallbesprechung nach M. Rabe verstehen und anwenden, indem sie den Verlauf der Fallbesprechung anhand eines Beispieles (Der Klaps) durcharbeiten. - …das Verständnis der fünf Prinzipien einer Ethik der Verantwortung erweitern, indem sie die Arbeit mit einer ethischen Fallbesprechung einüben. Feinlernziele bezüglich der Sozialkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler sollen… - …ihre Teamfähigkeit weiter verbessern, indem sie in Partner- und Gruppenarbeit zusammen arbeiten. - …ihre Teamfähigkeit ausbauen, indem sie die andere Meinung und die offenen Ergebnisse akzeptieren. - …ihre Fähigkeit, Standpunkte zu vertreten erweitern, indem sie diese verständlich artikulieren. - …ihre Fähigkeit, respektvoll miteinander umzugehen erweitern, indem sie sich gegenseitig aufmerksam zuhören und andere Standpunkte akzeptieren. - …ihre Empathiefähigkeit erweitern, indem sie die Übung „Ich bin wie Du, ich bin anders“ mit möglichst vielen Mitschüler/innen durchführen. Feinlernziele bezüglich der Personalkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler sollen… - …sich ihrer eigenen Werthaltungen und Verantwortung in ihrem eigenen Handeln bewusst werden, indem sie ihre Werte und Normen mit denen in der ethischen Fallbesprechung abgleichen. - …den Einsatz der Methode zur ethischen Fallbesprechung nach M. Rabe abwägen, indem eine vorgefallene Situation (z. B. in der Praxis) eingeschätzt wird. Sachdarstellung Feinlernziele bezüglich der Methodenkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler sollen … - …anhand eines Standbildes ihre persönlichen Gedanken assoziieren und diese vor dem Plenum ausdrücken. - …ihre Kommunikationsfähigkeit erweitern, indem sie vor der Gruppe sprechen. - …ihre Konfliktfähigkeit erweitern, indem sie in Rollenspielen in die Rolle der Betroffenen schlüpfen und sich über deren Situation eine eigene Meinung bilden. 12 „Das Leben ist im Sinne des biblischen Schöpfungsverständnisses ein anvertrautes Gut. Es ist den Geschöpfen von Gott, dem Ursprung des Lebens geschenkt und daraus ergibt sich die Verpflichtung, das Leben zu schützen und zu erhalten und zugleich mit allem Geschaffenen verantwortlich umzugehen“1. Um Kruhöffers Forderung nach verantwortlichem Handeln nachzukommen, braucht es eine gewisse Vertrautheit mit ethischen Begriffen. Das Instrumentarium der ethischen Reflexion oder ethischen Fallbesprechungen hilft, bewusste und reflektierte Entscheidungen zu treffen. Es existieren heute unterschiedliche Modelle für eine ethische Reflexion oder Fallbesprechung. Die fünf Prinzipien einer Ethik2 'bb' 114-4/2005 der Verantwortung sollten jedoch in jedem Modell zur ethischen Reflexion /Fallbesprechung zu finden sein: 1. 2. 3. 4. 5. Das Prinzip der Achtung vor dem Wert des Lebens Das Prinzip des Guten und Richtigen Das Prinzip der Gerechtigkeit und Fairness Das Prinzip der Wahrheit und Ehrlichkeit Das Prinzip der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung Durch die Auseinandersetzung mit den zentralen Begrifflichkeiten der Ethik werden wir gestärkt, problematische Situationen anzugehen und eine moralische Entscheidung zu treffen. „Wenn Mensch sein heißt, Verantwortung zu übernehmen, dann hilft uns die reflektierte moralische Entscheidung, mehr Mensch zu sein3“ Ethik beschäftigt sich übergeordnet mit den Fragen: „Was ist gut? Wie soll ich leben? Was ist gut? Was ist schlecht? Warum soll ich so oder so handeln?“. Als ethische Frage entzündet sich die Frage „Was soll ich tun?“ normalerweise daran, dass man zwischen mehreren Verhaltensweisen zu wählen hat: “Wie soll ich mich konkret entscheiden?“. Der Begriff Ethik leitet sich ab von dem griechischen Begriff „Ethos“ (= gewohnter Ort des Lebens, Sitte, Charakter). Erstmals von Aristoteles (324-322 v. Chr.) genutzt, steht Ethik heute für eine Disziplin der Philosophie, der Wissenschaft des moralischen Handelns4.Die Wissenschaft der Ethik analysiert die Art und Weise, wie Beurteilungen, Wertungen und Verhaltensweisen entstehen und moralisch bewertet werden. Ethik als Wissenschaft sagt nicht, was das Gute ist, sondern wie man dazu kommt, etwas als gut zu beurteilen. Ethik betreibt nicht selber Moral, sondern analysiert moralisches Handeln. Als Moral werden normative Handlungsmuster einer Gesellschaft bezeichnet. Sie bilden ein Ordnungs- und Regelsystem und spiegeln die Wert- und Sinnvorstellungen einer Handlungs-Gemeinschaft wieder5. Moral baut sich bei jedem Individuum durch seine Sozialisation und innerhalb einer Gesellschaft durch den kulturgeschichtlichen Entwicklungsprozess auf. Die Entwicklungsstufen der menschlichen Moral hat der Psychologe und Philosoph Kohlberg untersucht und festgelegt. Die moralischen Regeln für gutes Handeln benötigen ein Wissen von Werten und Normen. Werte sind bewusste oder unbewusste Orientierungsstandards und Leitvorstellungen, die menschliches Handeln beeinflussen oder Entscheidungen leiten6. Mögliche Werte, die im menschlichen Leben eine Rolle spielen, könnten z. B. Würde, Gleichheit, Liebe, Leben, Gesundheit und Solidarität sein. Es wird unterschieden zwischen persönlichen, kulturellen und religiösen Werten. Die 10 Gebote bestimmen den traditionellen Wert im christlichen Leben. Sie sagen den Menschen, wie sie sich zu verhalten haben, doch sie entbinden uns nicht von eigenen Entscheidungen. Die Grundlagen christlichen Denkens müssen auch immer wieder neu verstanden werden7. Der Begriff „Norm“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Richtschnur“, „Maßstab“ oder „Regel“. Unter Normen werden verbindliche Leitlinien oder Regeln verstanden, die das moralische Handeln von einzelnen Menschen oder Gruppen leiten, ohne dass diese in jeder Situation erneut über grundlegende Werte nachdenken müssen8. Hier wird differenziert zwischen allgemeinen und konkreten Normen. Allgemeine Normen gelten für alle Menschen gleich wie z. B. Gerechtigkeit, Autonomie und Ehrlichkeit. Konkrete Normen beschäftigen sich mit Handlungen in Abhängigkeit von bestimmten Situationen. Das Instrument der ethischen Fallbesprechung ist eine Methode, um ein konkretes moralisches Problem, welches in der Berufspraxis oder im allgemeinen Lebensalltag auftaucht, zu analysieren und zu einer ethischen Entscheidung/Lösung zu finden. Sie orientiert sich beim Ablauf grundsätzlich grob an der Struktur des Problemlösungsprozesses. Sie soll den mutmaßlichen Willen des betroffenen Menschen hervorbringen und das Prinzip Hoffnung immer wieder deutlich werden lassen. Folgende Ziele werden mit einer ethischen Reflexion verfolgt: • • • • • • • • Stärken und Schwächen der eigenen Position sehen und sie evtl. verändern Argumente und Sichtweisen der anderen Beteiligten hören und nachvollziehen Einigung auf gemeinsame Ziele Einigung über weitere Handlungen Vereinfachung von Entscheidungen bei wiederkehrenden Situationen Gefühle, Intuitionen umwandeln in eine ethische Reflexion Argumentation klären Problemlösungs- und Handlungsfähigkeit steigern Die in dieser Stunde gewählte Methode zur ethischen Fallbesprechung stammt von M. Rabe, einer bekannten Autorin in der Literatur für Pflegeethik. Didaktische Analyse Das Thema der Stunde „Begleitung von Menschen in lebenskritischen Fragen mit Hilfe der Methode nach M. Rabe, ein ethischer Entscheidungsprozess“ ist so nicht in den niedersächsischen Rahmenrichtlinien für evangelische und katholische Religion in der Berufsschule zu finden und lässt sich dennoch in das Themenfeld 4.2 „Mensch“ (RRL –evangelische Religion) und 4.5 „Ethik“ (RRL – katholische Religion) zuordnen. Hier ist auf die Verantwortung des Menschen hingewiesen, die dieser zur Gestaltung der Welt im Hinblick auf das christliche Menschenbild übernimmt. Im christlichen Sinn bedeutet Menschsein auch Verantwortung im Handeln und im Umgang miteinander auszudrücken9. 13 'bb' 114-4/2005 Die Auswahl ergibt sich weiterhin aus den neuen Rahmenrichtlinien für die Berufsfachschule Altenpflege von 2003. Die Auszubildenden befinden sich zu dieser Unterrichtseinheit im dritten Ausbildungsjahr und haben während ihrer bisherigen Ausbildung Grenzsituationen und ethischen Konflikte in ihrem Pflegealltag erlebt und können die theoretischen Kenntnisse zur Ethik verstehen und in einen Zusammenhang bringen und die Prinzipien der Ethik anwenden. Die Rahmenrichtlinien beschreiben die Inhalte zu dieser Unterrichtseinheit im Lernfeld 1.1 mit „Pflegerelevanten Grundlagen der Ethik“ und im Lernfeld 4.1 „Mit Krisen und schwierigen sozialen Situationen umgehen“. Die Thematisierung des Instrumentariums „ethische Fallbesprechung“ zum Ende der Unterrichtseinheit, macht deshalb Sinn, da die Schülerinnen und Schüler nun die theoretischen Kenntnisse mit ihren praktischen Erfahrungen verknüpfen können. Die Schülerinnen und Schüler sollen nicht in einer Dilemmasituation verharren, sondern eine Entscheidung für ihre persönliche und pflegerische Handlung treffen, die sie zur Lösung des ethischen Problems führt. Diese Unterrichtsstunde ist sicher nicht nur für Auszubildende einer Altenpflegeklasse relevant, sondern auch für Schülerinnen und Schüler anderer Klassen. Aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Normen und des Reflektieren des eigenen Entscheidungsprozess (fünf Prinzipien der Ethik der Verantwortung) entsteht ein hoher Lebensbezug. Die ethische Fallbesprechung kann ebenfalls auf allgemein diskutierte menschliche Grenz -und Krisensituationen angewandt werden, mit denen die Schülerinnen und Schüler entweder im eigenen Leben und/oder in den Medien konfrontiert werden (z. B. Gewalt in der Schule, Klonen, Trennung vom Partner, Schwangerschaftsabbruch, kriminelle Delikte). Neben einer religiösen Dimension bezüglich der Auseinandersetzung z.B. mit dem eigenen Menschenbild und der Schöpfung gewinnt das Thema besonders in der Altenpflegeausbildung an Bedeutung, da die Auszubildenden sich in ihrem Arbeitsalltag täglich mit ethischen Grenzsituationen (z.B. Nahrungs-Darreichung, passive Sterbehilfe) beschäftigen müssen. Hier steht der Lebensund Berufsbezug während der Unterrichtseinheit und der Unterrichtsstunde entsprechend im Vordergrund. Das Thema hat gleichzeitig eine Zukunftsbedeutung, denn die Schülerinnen und Schüler können das erlernte Wissen über den Umgang mit der ethischen Fallbesprechung auch auf Probleme in ihrem ganz persönlichen Lebensalltag anwenden. In die Situation des geschilderten Falles kann jeder Mensch kommen. Der geschilderte Fall beschreibt die Situation einer jungen Auszubildenden, die sich provoziert fühlt. Zum Einüben in die Arbeit mit ethischen Fallbesprechungen, ist es wichtig Fallsituationen für den Unterricht auszuwählen, die nicht zu komplex erscheinen. So ist es für alle Beteiligten leichter, in die Rollen der Betroffenen hineinzugehen. Die Auszubildenden sind gefordert sich über ihr moralisches Verständnis auszutauschen 14 und sollen ihre individuellen Entscheidungen begründen, damit ihr Reflexionsvermögen weiter entwickelt wird. Ungewohnt ist oft für die Schülerinnen und Schüler, dass keine allgemein gültige Lösung erarbeitet wird, sondern dass eine Ergebnis offene Diskussion geführt wird, in der das Spektrum der unterschiedlichen Lösungsansätze der Gruppen deutlich wird. Methodische Überlegungen Die Schülerinnen und Schüler sehen auf einem Flip- Chart die Stunden der gesamten Unterrichtseinheit, sodass sie diese Unterrichtsstunde in das Gesamtthema einbetten können. Da es sich um eine offene Unterrichtssituation handelt, kann der zeitliche Rahmen nicht eindeutig festgelegt werden. Sollte ein starkes Mitteilungsbedürfnis deutlich werden, wird die Lehrkraft diesem den nötigen Raum geben. Ein vorschnelles Beenden soll vermieden werden, damit der ethische Entscheidungsprozess nicht unterbrochen wird. Unterrichtsphasen im Plenum erfolgen in einem Sitzkreis. Dies ermöglicht eine gleichberechtigte Sitzordnung und unterstützt die Förderung der Kommunikationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Gleichzeitig bietet sich der Sitzkreis immer dann an, wenn Gespräche geführt werden sollen und es um einen Austausch von Erfahrungen geht. Gerade in dieser Unterrichtsstunde, in der mit einer emotionalen Beteiligung der Schülerinnen und Schüler gerechnet werden muss, ist es gut, wenn alle Teilnehmenden sich ansehen können, um gleich aufeinander zu reagieren und alle im Blick zu haben. Auch die Standbildübung kann idealerweise von einem freiwilligen Schüler/in in der Mitte des Sitzkreises durchgeführt werden. Diese Übung soll auf die später folgenden Rollenspiele hinführen, denn es geht bei der ethischen Fallbesprechung hauptsächlich darum, sich in den Betroffenen und/oder deren Angehörige hineinzuversetzen. Ein Schüler soll bei der Standbildarbeit z.B. sein derzeitiges Gefühl darstellen und die übrigen Schüler/innen sollen es erraten. Auch die Übung „Ich bin wie Du- Ich bin anders“ soll das Empathievermögen der Schüler/innen weiter vertiefen. Es soll mit dieser Methode versucht werden, die Schüler/innen dafür zu sensibilisieren, dass jeder Mensch in seiner Individualität anders ist und anders fühlt als man selbst. Die Schülerinnen und Schüler stellen sich in zwei Kreise: einen Innen- und Außenkreis mit den Gesichtern zueinander. Die Personen des Innenkreises sagen ihrem gegenüber: „Ich bin wie du, wenn…“ (z. B. wenn ich Tanze). Der Innenkreis geht um eine Person weiter. Die Person des Außenkreises sagen ihrem gegenüber: „Ich bin anders als du, wenn…“ (z. B . ich lache)10. Auch eine ethische Entscheidung fällt bei den Menschen unterschiedlich aus. Gerade deswegen, muss bei ethischen Fallbesprechungen der mutmaßliche Wille und die Gefühlslage des Betroffenen herausgearbeitet werden. Zu Beginn der Erarbeitungsphase stellt die Lehrkraft die Methode nach M. Rabe vor, indem jeder Auszubildende diese anhand eines Informationsblattes erhält und 'bb' 114-4/2005 kurz erläutert. Dann wird auf den konkreten Fall (Der Klaps) verwiesen, bei dem diese Fallbesprechung angewandt werden soll. Die Schülerinnen und Schüler sollen entweder in die Rolle des Betroffenen, der Angehörigen oder die Beobachter schlüpfen. Sie sollen den Fall anhand der vorgegebenen Schritte des Modells zur Fallbesprechung bearbeiten und diskutieren. Diskussionsergebnisse könne auf Flip-Charts deutlich und verständlich notiert werden, um dann dem Plenum präsentiert zu werden. In der Präsentationsphase berichten die Beobachter über den Verlauf der geführten Gespräche und geben Auskunft über Gesprächsförderer und Gesprächsstörer. Durch die Rollenspiele und anschließende Diskussionen werden die Empathiefähigkeit, das Zuhören, die personenzentrierte Gesprächsführung und das Übernehmen von Verantwortung weiter eingeübt. In der Ergebnissicherung sollen jede Schülerin und jeder Schüler ihre Position deutlich formulieren, um so ihrer persönlichen Verantwortung in der täglichen Praxis bewusster zu werden. Diese Schüleräußerungen könnten alternativ auch auf Karten geschrieben und in die Sitzkreismitte gelegt werden, damit alle diese lesen können. In der didaktischen Reserve kann die Nimwegener – Methode mit der ethischen Fallbesprechung nach M. Rabe verglichen und den Einsatz beider Methoden in der Praxis abgewogen werden. Der Lernprozess für diese beschriebene intensive Arbeit an einem Fall mit einem sehr persönlichen Austausch wird durch eine vertrauensvolle Klassengemeinschaft und einer entspannten Lernatmosphäre maßgeblich gefördert. Literaturverzeichnis ARNDT, M.: Ethik denken – Maßstäbe zum Handeln in der Pflege, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 1996 BÄßLER, U. et al: In guten Händen, Arbeitsbuch 1 und 2, Cornelsen Verlag, 2005 HÖFFE, O.: Lexikon der Ethik, 5.Auflage,München:Beck 2003 KATTERFELD; V.: Ethik für berufliche Schulen, Kieser Verlag Neusäß, 1997 KRUHÖFER, G.: Der Mensch- Das Bild Gottes, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, 1999 KRUHÖFER, G.: Grundlinien des Glaubens, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, 2000 NEITZKE, G./ Möller M.: Zur Evaluation von Ethikunterricht, Med. Ausbildung ,2002 NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (Hrsg.): Rahmenrichtlinien für das Unterrichtsfach „Evangelische Religion“ an der Berufsfachschule – Heilerziehungshilfe-; Fachschule Heilerziehungspflege-, Fachschule – Altenpflegehilfe- und Fachschule – Altenpflege, 1996 Gliederung der Unterrichtseinheit Thema der Unterrichtsstunde Didaktischer Schwerpunkt Ethik – Was ist das?; Einführung in die (pflege)relevanten Grundlagen der Ethik Anhand einer Einstiegsthese zum Thema verantwortliches Handeln im Alltag entzündet sich die ethische Frage „Was soll ich tun?. Die Begriffe Werte, Normen, Moral und Ethik werden anhand von Alltagsbeispielen problematisiert. Moralische Entwicklungsstufen nach Kohlberg/ Gilligan Um die unterschiedlichen Wertmaßstäbe, die zu einer menschlichen Entscheidung führen, nachvollziehen zu können, werden die Entwicklungsstufen nach Kohlberg und Gilligan an verschiedenen vorgegebenen „Heinz – Dilemmata“ aufgezeigt und diskutiert. Fünf Prinzipien einer Ethik der Verantwortung Prinzipien werden anhand von Thesen diskutiert und analysiert Ethischer Kodex für den Altenpflegeberuf Ethischer Kodex wird auf die fünf Prinzipien hin überprüft und auf die Praxis übertragen Ethische Grenzsituationen im (altenpflegerischen) Alltag Dilemmata werden auf den eigenen Alltag übertragen und es werden ethische Grenzsituationen des Lebens- und Berufsalltags gesammelt. Ethische Reflexion nach M. Rabe Ausgewählte ethische Grenzsituationen (z. B. Gewalt in der Pflege bei der Nahrungsanreichung, oder „Der Klaps“) werden anhand der ethischen Reflexion nach M. Rabe besprochen. Ethische Fallbesprechung nach M. Rabe Begleitung von Menschen in lebenskritischen Fragen mit Hilfe der Fallbesprechung nach M. Rabe, ein ethischer Entscheidungsprozess. Ethische Reflexionen und Fallbesprechungen im Vergleich Vergleich und Reflexion unterschiedlicher Verlaufsstrukturen von Modellen zur ethischen Fallbesprechung und deren Relevanz für den Lebensalltag. 15 'bb' 114-4/2005 NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (Hrsg.): Rahmenrichtlinien für den Unterricht im Fach Evangelische Religion in der Berufsschule, 1999 NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (Hrsg.): Rahmenrichtlinien für den Unterricht im Fach Katholische Religion in der Berufsschule, 1999 NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (Hrsg.): Rahmenrichtlinien für die Berufsfachschule Altenpflege, 2003 RENDLE, L. et al: Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht. Ein Praxisbuch. Kösel Verlag, München, 2003 TSCHUDIN,V.: Ethik in der Krankenpflege,1988 6 Köther, I.: Altenpflege, Zeitgemäß und zukunftsweisend, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 2005, S.20 7 Arndt, M.: Ethik denken – Maßstäbe zum Handeln in der Pflege, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 1996, Einleitung I 8 Köther, I.: Altenpflege, Zeitgemäß und zukunftsweisend, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 2005, S.21 9 Niedersächsische Rahmenrichtlinien für den Unterricht im Fach Evangelische Religion in der Berufsschule, 1999 10 RENDLE, L. et al: Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht. Ein Praxisbuch. Kösel Verlag, München, S.2003, S.124 Anmerkungen 1 2 3 4 5 Kruhöffer; G.: Der Mensch – Das Bild Gottes, Vandenhoeck & Ruprecht, 1999, S.162 Arndt, M.: Ethik denken - Maßstäbe zum Handeln in der Pflege, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 1996, S.67/68 Arndt, M.: Ethik denken – Maßstäbe zum Handeln in der Pflege, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 1996, S.84 Höffe, O.: Lexikon der Ethik, 5. Auflage, München, 2003, S.55 Arndt, M.: Ethik denken - Maßstäbe zum Handeln in der Pflege, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 1996, Einleitung I M1 Modell für die ethische Fallbesprechung/ Reflexion in Anlehnung an M. Rabe 1. Situationsanalyse/ Problemfeststellung • • • • • 2. Es soll geklärt werden, was das eigentliche Problem ist. Inwieweit sind wir selber betroffen (persönliche Reaktionen)? Welche Bedürfnisse und Interessen werden berührt? Wie ist die Sicht der anderen? Betrachtung der Perspektive aller am Fall Beteiligten. Wie ist die Beziehung der Beteiligten untereinander? Situations- und Kontextanalyse • • Der gesellschaftliche und politische Kontext, in dem sich das Problem stellt, wird untersucht. Persönlicher Lebens- und Handlungszusammenhang. 3.Verhaltensalternativen • • • 4. Gibt es alternative Handlungsmöglichkeiten? Wie wären die Konsequenzen für die Betroffenen? Was sollte getan werden? Ethische Reflexion • • • • Welche Werte sind betroffen?(Sichtweisen der Beteiligten) Welche moralischen Normen, Handlungsprinzipien oder allgemeine Werthaltungen sind für diese Situation von Bedeutung? Worin liegt das ethische Problem? Welche Verantwortungsebenen liegen vor: persönlich, institutionell, gesellschaftspolitisch? 5.Schlussfolgerungen • • • • 16 Wie sieht die abschließende Bewertung der Situation aus? Was hat sich gegenüber der ersten Situation verändert? Wo gibt es Konsens / Dissens in der Gruppe? Welche praktischen Konsequenzen lassen sich aus der Analyse und ethischen Reflexion 'bb' 114-4/2005 'bb' 114-4/2005 17 L. unterstützt den Austausch L. verteilt Nimwegener - Methode Präsentation Ergebnissicherung/ Reflexion Didaktische Reserve 30 10 Sch. vergleichen die beiden ethischen Fallbesprechungen miteinander Sch. beziehen Position zu ihrem Prozess der ethischen Entscheidungsfindung Sch. äußern ihre Meinung zum geführten Gespräch und tauschen ihre Erfahrungen aus Stuhlkreis Plenum Stuhlkreis Plenum/ auswertend Stuhlkreis Plenum/ auswertend L./Beitrag Erläuternd Sch./GA erarbeitend Sch. stehen in einem Innenund Außenkreis. Sch. beschäftigen sich mit der Fallbesprechung. Freiwilliger Sch. liest einmal den Fall laut vor. Sch. schlüpfen in die Betroffenen-, Angehörigen- und/oder Beobachterposition. Sch. diskutieren. Sch./PA assoziierend Sch. macht Standbild vor, andere raten Gefühl. Arbeits- und Sozialform Stuhlkreis EA/Plenum/ assoziierend Schülertätigkeit Infoblatt mit Nimwegener-Methode M3 Evtl. Flip-Chart Stifte Informationsblätter: 1.Ethische Fallbesprechung nach M. Rabe, M1 2.„Der Klaps“, als Fallbeispiel M2 ausreichend großer Raum Flip-Chart Medien/ Material Sch.= Schülerinnen und Schüler, L.= Lehrkraft, EA = Einzelarbeit, PA = Partnerarbeit, GA = Gruppenarbeit L. moderiert und unterstützt den Meinungs- und Erfahrungsaustausch Erarbeitung 30 L. stellt ethische Fallbesprechung nach M. Rabe vor und verteilt diese als Arbeitsblatt L. erklärt Übung „Ich bin wie du – ich bin anders“ Hinführung 10 Begrüßung, Zusammenhang zwischen vorheriger und dieser Stunde herstellen L. erklärt Vorgehen zum Standbild Einstieg/ 10 Lehrertätigkeit Unterrichtsphase Zeit 2 UStd. Unterrichtsverlauf Feststellen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Methoden zur ethischen Fallbesprechung Abwägen des Instrumentes der Methode in Theorie und Praxis Unterschiedlichkeit der ethischen Reflexion wird deutlich Um gemeinsam den Prozess der ethischen Reflexion mit Hilfe der ethischen Fallbesprechung als Methode zu gehen, arbeiten die Sch. in fünf verschiedenen Gruppen, bei einer Klassenstärke von 25 Schülerinnen und Schülern (möglichst leistungsstärkere und leistungsschwächere Sch. in einer Gruppe) Es soll erfahren werden, dass jeder Mensch ein Individuum ist. Einstieg dient der Motivation und soll eine vertrauenswürdige Atmosphäre schaffen Vorübung für das Einfühlen in eine menschliche Situation Kommentar M2 Fallbeispiel: Der Klaps (nach Marianne Rabe)1 Arbeitsauftrag: • Schlüpfen Sie in einem Rollenspiel in die Rollen der Beteiligten und stellen Sie die Situation nach! • Bearbeiten Sie den vorliegenden Fall anhand der vorgegebenen Schritte der ethischen Fallbesprechung/Reflexion nach M. Rabe! • Diskutieren Sie Ihre Entscheidungen und/oder Ergebnisse! • Stellen Sie nach ca. 30 Minuten ihre Ergebnisse/Entscheidungen dem Plenum vor! Der Klaps Eine 76-jährige Frau lebt seit zwei Jahren in einem Altenheim der oberen Preisklasse. Sie leidet unter Parkinson (Schüttellähmung) und benötigt viel pflegerische Hilfe. Die Frau ist als schwierige Bewohnerin bekannt, weil sie öfter unfreundlich und unzufrieden ist und gelegentlich beleidigende Bemerkungen äußert. Bei der Frühbesprechung für die Verteilung der pflegerischen Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner stellt sich heraus, dass niemand vom Pflegepersonal mehr gerne in das Zimmer von der Dame gehen möchte. Es wird entschieden, dass Ayszegül, eine erfahrene und im Allgemeinen sorgfältig arbeitende Auszubildende der Altenpflege im dritten Ausbildungsjahr, die Grundpflege durchführen soll. Nachdem die Anstrengung des Bades vorbei war und Ayszegül der Dame half, sich hinzustellen, damit sie ihre Unterwäsche hochziehen konnte, sagte die Frau mit nörgeliger Stimme: “Natürlich tun mir wieder alle Knochen weh. Das kommt davon, wenn eine Hilfskraft eine so kranke Frau wie mich badet. Das dürfte doch gar nicht erlaubt sein. Und richtig abtrocknen kann man mich hier auch nicht, ich bin an den Beinen noch halb nass. Ein richtiges Pack arbeitet hier, nur verdienen an den alten Leuten und nichts Richtiges leisten. Das können sie mir glauben, meine Tochter wird sich beschweren“. Bei Ayszegül brannte in diesem Moment eine Sicherung durch. Ohne zu überlegen gab sie der Frau einen Klaps hintendrauf und sagte empört: „Das ist doch nicht zu glauben, was ich mir hier anhören muss!“ Die Frau verstummte verblüfft. Ayszegül wusste auch nichts mehr zu sagen und begleitete die Frau schweigend zurück ins Zimmer. Danach suchte sie gleich die Stationsleitung auf und erzählte ihr, was geschehen war. 1 Fall ist wurde leicht verändert, entnommen aus Tschudin: Ethik in der Krankenpflege, 1988 18 'bb' 114-4/2005 'bb' 114-4/2005 19 Fachbereich Ethik, Philosophie und Geschichte der Medizin Katholische Universität Nijmegen ETHISCHE FALLBESPREGHUNG FÜR NIMWEGENER METHODE M3 Wie wirken sich Krankheit und Behandlung auf das Wohlbefinden des Patienten aus (Lebensfreude, Bewegungsfreiheit, körperliches und geistiges Wohlbefinden, Schmerz, Verkürzung des Lebens, Angst, etc.)? Wohlbefinden des Patienten BEWERTUNG Kann dem Bedarf an Behandlung und Pflege des Patienten nachgekommen werden? Organisatorische Dimension Was ist über die Lebensanschauung des Patienten bekannt? Gehört der Patient einer Glaubensgemeinschaft an? Wie sieht er selbst seine Krankheit? Wie prägt die Weltanschauung des Patienten seine Einstellung gegenüber seiner Krankheit? Hat er ein Bedürfnis nach seelsorglicher Begleitung? Wie sieht das soziale Umfeld des Patienten aus? Wie wirken sich Krankheit und Behandlung auf seine Angehörigen, seinen Lebensstil und seine soziale Position aus? Übersteigen diese Auswirkungen die Kräfte des Patienten und seiner Umgebung? Wie können persönliche Entfaltung und soziale Integration des Patienten gefördert werden? Lebensanschauliche und soziale Dimension Wie ist die pflegerische Situation des Patienten zu beschreiben? Welcher Pflegeplan wird vorgeschlagen? Inwieweit kann der Patient sich selbst versorgen? (Ist zusätzliche Unterstützung von außen verfügbar?) Welche Vereinbarungen sind über Aufgabenverteilungen in der Pflege getroffen worden? Pflegerische Gesichtspunkte Wie lautet die Diagnose des Patienten und wie ist die Prognose? Welche Behandlung kann vorgeschlagen werden? Hat diese Behandlung einen günstigen Effekt auf die Prognose? In welchem Maße? Wie ist die Prognose, wenn von dieser Behandlung abgesehen wird? Welche Erfolgsaussicht hat die Behandlung? Kann die Behandlung dem Patienten gesundheitlich schaden? Wie verhalten sich die positiven und negativen Auswirkungen zueinander? Medizinische Gesichtspunkte FAKTEN Wie lautet das ethische Problem? PROBLEM 20 'bb' 114-4/2005 WIE KANN MAN DIE ENTSCHEIDUNG UND DIE AUSWERTUNG ZUSAMMENFASSEN? Wie lautet nun das ethische Problem? Sind wichtige Fakten unbekannt? Kann dennoch ein verantwortlicher Beschluss gefasst werden? Kann das Problem in Formulierungen miteinander im Konflikt stehender Werte übersetzt werden? Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Welche Handlungsalternative steht am meisten in Übereinstimmung mit den Werten des Patienten? Welche weiteren Argumente spielen bei der Entscheidung eine Rolle? Welche Handlungsweise verdient den Vorzug auf der Basis der genannten Argumente (Behandlung, Änderung der Pflege, Konsultation, Überweisung, Zuwarten etc.)? Welche konkreten Verpflichtungen gehen die Betroffenen ein? Welche Fragen bleiben unbeantwortet? In welchen Fällen muss die Entscheidung aufs Neue überdacht werden? BESCHLUSSFASSUNG Gibt es zwischen Ärzten, Pflegenden, anderen Betreuenden, dem Patienten und seinen Angehörigen Meinungsverschiedenheiten darüber, was getan werden soll? Kann dieser Konflikt gelöst werden durch die Auswahl einer bestimmten Versorgung? Gab es genügend gemeinsame Beratung unter Ärzten, Pflegenden und anderen Betreuenden? Sind ihre Verantwortlichkeiten deutlich genug abgegrenzt worden? Wie wird mit vertraulichen Informationen umgegangen (Konfidentialität)? Ist der Patient der Wahrheit entsprechend über seine Situation in Kenntnis gesetzt worden (Aufrichtigkeit)? Gibt es im Team Spannungen angesichts des Falles (Kollegialität)? Ist das vorgeschlagene Vorgehen im Hinblick auf andere Patienten zu verantworten (Gerechtigkeit)? Müssen Interessen Dritter mitberücksichtigt werden? Welches sind die relevanten Richtlinien der Einrichtung? Verantwortlichkeit von Ärzten, Pflegenden und anderen Betreuenden Wurde der Patient umfassend informiert und hat er seine Situation verstanden? Wie sieht der Patient selbst seine Krankheit? Wurde der Patient bis dato ausreichend an der Beschlussfassung beteiligt? Wie urteilt er über die Belastungen und den Nutzen der Behandlung? Welche Werte und Auffassungen des Patienten sind relevant? Welche Haltung vertritt der Patient gegenüber lebensverlängernden Maßnahmen und Intensivtherapie? Ist es richtig, dem Patienten die Entscheidung zur Behandlung zu überlassen? Autonomie des Patienten Drs. Norbert Steinkamp Dr. Bert Gordijn Fachbereich Ethik, Philosophie und Geschichte der Medizin Katholische Universität Nimwegen Geert Grooteplein 21 P.O. Box 9101 6500 HB Nijmegen, Niederlande Tel.: 0031/24/3615320; Fax: 0031/24/3540254 E-mail: [email protected] [email protected] 09-2000-3483A Falls Sie diese Methode anwenden wollen oder mehr Information darüber erhalten möchten, nehmen Sie bitte Kontakt auf mit: In welchen Situationen muss das Vorgehen in der Pflege überdacht und eventuell verändert werden? Welche Haltung vertritt der Patient gegenüber Veränderungen des Vorgehens in der Pflege? Lange andauernde Behandlung Wurde dem Kind ausreichend Gehör geschenkt? Kann das Kind in Hinsicht auf die Behandlung selbst entscheiden? Welche Behandlungsalternative steht am meisten in Übereinstimmung mit den Werten der Eltern? Was bedeutet es für das Kind, falls der Auffassung der Eltern entsprochen bzw. gerade nicht entsprochen wird? Kinder Wie und durch wen wird festgestellt, dass der Patient nicht zu einem eigenen Willen fähig ist? In welcher Hinsicht ist er/sie nicht willensfähig? Wird die Willensunfähigkeit als zeitlich begrenzt oder dauerhaft angesehen? Welche Aussicht besteht auf Wiederherstellung der Willensfähigkeit? Können die jeweils zu treffenden Entscheidungen solange aufgeschoben werden? Was weiß man über die Werte des Patienten? Gibt es einen guten Vertreter der Interessen des Patienten?, Patienten ohne eigene Willensfähigkeit BESONDERE SITUATIONEN fachbeitrag: „wer schafft dem baum des lebens die blätter?“ – eine überlegung aus religionspädagogischer sicht in drei teilen – klaus knoke Teil I Die Frage nach den „Blättern des Lebensbaumes“ stellte Joseph Beuys seinen beiden Malerkollegen Günter Skrodzki und Günter Tollmann, als er anlässlich der Kunstmesse 1981 in Dortmund mit ihnen zusammensaß und sich mit ihnen über Fragen der moder­nen Kunst unterhielt. Gemeint war mit dieser Frage eine systematische und vollständige bildnerische Darstellung der Bibel und ihres Anliegens aus der Auffassung der Kunst des 20. Jahrhunderts heraus mit den ihr eigenen Darstellungsmitteln, etwa unter dem Etikett „Expressionismus“. Beuys sah, wie seine beiden Kollegen auch, dass diese Auf­gabe von der zeitgenössischen Kunst bisher noch nicht in Angriff genommen worden war. Es gab zwar einzelne, zum Teil sehr wertvolle Blätter und kleine Bilderzyklen zur Bibel, aber kein Gesamtwerk. Ein solches Werk war längst überfällig, nachdem sich die künstlerische Neubesinnung nach dem Ableben des Impressionismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter der Bezeichnung „Expressionismus“ schon zu Beginn des 20. Jahr­hunderts in verschiedenen Künstlergemeinschaften und -vereinigungen wie „Die Brü­cke“ (1905) und „Der Blaue Reiter“ (1914) mit ihren zahlreichen Ausstellungen im öf­fentlichen Bewusstsein Bahn gebrochen hatte. Inzwischen war aber mehr als ein Drei­vierteljahrhundert vergangen und es war noch nichts geschehen. Wer von den drei in der kleinen Kaffee-Runde zusammensitzenden Künstlern könnte diese umfangreiche Arbeit übernehmen? Beuys, damals sechzigjährig, und Tollmann hielten sich für zu alt dafür. Daher richteten sich ihre Blicke auf Günter Skrodzki, den Jüngsten und am kon­ sequentesten Arbeitenden unter ihnen. Worum ging es eigentlich bei diesem Großprojekt? Es ging nicht einfach um eine Bebil­derung oder Illustrierung der Bibel. Davon gab es bereits genug. Nein, es ging entschie­den um eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit Gottes, wie sie die Bibel darstellt und verkündigt, und zwar aus dem Selbstverständnis der Moderne her­aus mit den bildnerischen Ausdrucksmitteln der modernen Kunst. Es ging also nicht um eine bloße Umsetzung erzählter biblischer Geschichten in Bilder, sondern um die künst­lerische Gestaltung biblischer Texte und Inhalte als Auslegung, als Vertiefung, als Ver­ kündigung des biblischen Evangeliums mit malerischen oder graphischen Ausdrucks­mitteln der Gegenwart für den Menschen der Gegenwart; ganz im Sinne des Fundamen­talsatzes, den Paul Klee, einer der führenden Künstler „Des Blauen Reiters“, für die Kunst überhaupt prägte: „Kunst gibt nicht Sichtbares wieder, sondern macht sichtbar!“ Das ist es, worum es bei der Aufgabe der bildenden Kunst, „dem Baum des Lebens die Blätter zu schaffen“, die Joseph Beuys stellte, geht. 21 'bb' 114-4/2005 Diese überaus große Aufgabe der kompletten Darstellung der Bibel in künstlerischen Bildern erfordert neben einer hohen Begabung und der Beherrschung der bildnerischen Techniken vor allem eine profunde Bibelkenntnis und eine möglichst tiefe Verwurzelung in der in der Bibel dargestellten Wirklichkeit Gottes. Dieses alles stand und steht Günter Skrodzki in ungewöhnlichem Maße zu Gebote. Hinzukommen müssen noch eine sehr große Ausdauer, über Jahre am selben Projekt zu arbeiten, sowie eine erhebliche kör­perliche Kraft, die Druckplatten herzustellen. Denn für dieses Vorhaben ist kaum eine andere bildnerische Technik so sehr geeignet wie die des expressionistischen Holz­schnitts, den vor allem die „Brücke“-Maler, Schmitt-Rottluff, Kirchner, Heckel, Pech­ stein, Beckmann, aber auch viele andere Künstler, wiederentdeckt, angewandt und da­mit zu neuer künstlerischer Geltung gebracht haben. Der expressionistische Holzschnitt mit seiner Kunst des Auswählens und Weglassens, Überhöhens und Übertreibens, Abstrahierens und Symbolisierens, Verbindens von Konkretem und Abstraktem, sowie In-Beziehung-Setzens und Strukturierens von Bildelementen ist besonders geeignet, We­sentliches herauszustellen und Hintergründiges hervorzuholen und „ins Bild zu setzen“. Damit entspricht er in besonderem Maße der Eigenart der Heiligen Schrift; denn sie verweist in ihren Texten immer auf das, was dahinter steht, in ihrer Darstellung des Sichtbaren auf das Unsichtbare. Sie denkt und erzählt in Gleichnissen. Dem kann der expressionistische Holzschnitt mit seinen Ausdrucksmöglichkeiten genauestens entspre­chen, indem er ebenfalls mit seinen Bildzeichen auf die hinter den Dingen stehende und in den Begegnungen und Vorgängen wirkende Kraft (Gottes) hinweist. Günter Skrodzki nahm diese Herausforderung an. Der 1935 in Ostpreußen geborene, noch verhältnismäßig junge Maler und Grafiker sah diese Aufgabe schon lange auf sich zukommen. Als Fünfzehnjähriger las er die Bibel zum erstenmal „ganz durch“ und ver­sprach bereits damals seinem „Herrgott“, dass er später einmal die Bilder zur Heiligen Schrift schaffen wolle. Aber wann würde das sein? Der von frühester Kindheit an ständig zeichnende Junge lernt zunächst das Maler­handwerk, lässt sich anschließend zum Grafiker ausbilden, studiert außerdem Malerei und wird schließlich freischaffender Grafiker und Maler, während er sich autodidak­tisch mit vielen Künstlern und Kunstrichtungen intensiv auseinandersetzt, bis er schließlich seine eigene künstlerische Auffassung und Handschrift findet. Seine künstle­rische Heimat wird der Expressionismus, und zwar der Expressionismus der „Brücken-Maler“, vor allem Karl Schmidt-Rottluffs und Ernst-Ludwig Kirchners. Günter Skrodzki setzte das aufmerksame Lesen der Bibel zeit seines Lebens fort und beschäftigte sich persönlich besonders intensiv mit ihr. Inzwischen hat er sie sechsmal ganz gelesen. Er versuchte wiederholt bildnerische Darstellungen ihrer Geschichten, war aber mit den Ergebnissen nicht recht zufrieden. Die innere Reife fehlte noch. Erst im Jahr 2000, 22 als der Künstler 65 Jahre alt war, wurde ihm bewusst, dass die Zeit drängt, seine Kräfte einmal nachlassen werden, Verletzungen ihn arbeitsunfähig ma­chen können, ehe er sein Gelübde eingelöst hat. Da endlich, nach bald 100 Jahren Ex­pressionismus in Deutschland, als ein Gesamtwerk zur Bibel mehr als „überfällig“ war, wie Skrodzki sagt, da, nach einem erneuten inneren Anstoß, begann er endlich, das Ver­säumte nachzuholen und seine Vision in die Tat umzusetzen. Der gelernte Grafiker wählte als Darstellungsweise den expressionistischen Grobholzschnitt und war jetzt mit den Ergebnissen zufrieden. Die Reife und damit der Zeitpunkt des Beginns waren da. So begann für den Graphiker eine Odyssee unermüdlicher Holzschnittarbeit. Wie viele Bilder benötigt die Bibel, bis sie ausreichend in Bildern repräsentiert ist? 250? 300? Mehr? Oder genügen weniger? Sie hat Stoff für 1000 und mehr! Lukas Cranach illustrierte die (Luther-)Bibel mit 128 kolorierten Holzschnitten, Mattheus Merian mit 273 kolorierten Radierungen, Gustave Dore mit 180 Holzstichen und Schnorr v. Carols-feld mit 240 Holzstichen. Im 20. Jahrhundert fertigten einige Künstler zwischen 100 und 120 Graphiken zur Bibel an (Seewald, Räcke, Reidel, de Ponte). Reicht das? Wie viele Bilder wird Günter Skrodzki für notwendig halten? Günter Skrodzki legt uns 420 „ausgewachsene“ Holzschnitte zur Bibel vor! Allein die Auswahl und Festlegung der „bildwürdigen“ Textstellen ist schon ein „Kunstwerk“ für sich, wie Britta Reiman mit Recht feststellt. Skrodzki ist kein Theologe. Er liest die Bibel unvoreingenommen so, wie sie als Buch vorliegt, das aber genau, sehr genau! Dabei ent­deckt er manchen Text und manches Wort, die wir oft überlesen, und setzt sie in Bilder um und macht uns damit auf Dinge aufmerksam, die wir noch nie (so) gesehen haben. Besonders seine zahlreichen Porträts von Persönlichkeiten der Heiligen Schrift, biblischer Mandatsträger der Geschichte Gottes mit den Menschen, führen uns zu neuer Auseinandersetzung mit ihnen. So schneidet also der tatkräftige Mann im Verlauf von fünf (!) Jahren nacheinander vier große HolzschnittZyklen zur Bibel: „Die Offenbarung des Johannes“ mit 65, „Das Le­ben Jesu“ mit 120, dann „Die Schöpfung“ mit 90 und zuletzt „Die Geschichte Israels von der Berufung des Mose bis zur Verkündigung der Geburt Johannes des Täufers“ mit 145 Holzschnitten, die der „Maler“ Skrodzki mit streng reduzierter Farbpalette kolo­riert. Auf diese Weise entstanden insgesamt 420 Farbholzschnitte zur Bibel als „Spätgeburt“ des deutschen Expressionismus. Im Juni 1905 schlössen sich die „BrückeMaler“ in Dresden zu ihrer künstlerischen Vereinigung zusammen und genau hundert Jahre da­nach, im Oktober 2005, vollendete Günter Skrodzki als ein geistiger und künstlerischer Nachfahre des deutschen Expressionismus das überfällige „Bibel-Projekt“, das in die­sem Umfang noch von keinem anderen geplant und durchgeführt worden ist. Was will Skrodzki mit seinem Bildwerk erreichen? Er sagt: „Dass die Menschen, Jung und Alt, die Bibel zur Hand nehmen und lesen.“ Darum gibt er den „Blättern des Le­bensbaumes“ „Stiele“, mit denen sie fest 'bb' 114-4/2005 am „Baum“ hängen: Er fügt ihnen jeweils ein Bibelwort als Titel und eine Bibelstelle als Inhaltsangabe und damit als Interpretations­schlüssel bei. Damit bindet er seine Holzschnitte fest an das biblische Wort, aus dem sie ihm erwachsen sind, und bindet somit ihr Verständnis und ihre Auslegung an ihren Ur­sprung. Wer die Skrodzkischen Bilder zur Bibel richtig verstehen will, muss die Bibel­ stellen nachschlagen und lesen. Das ist sein didaktisches Anliegen und seine Methode. Das Ganze hat allerdings eine zwingende Voraussetzung: Sind die Bilder überhaupt er­reichbar und zugänglich? Wo sind sie? In den Regalen des Künstlers, im Internet und auf gelegentlichen Ausstellungen? Das reicht nicht, entspricht auch nicht dem Anliegen des Künstlers; denn sie sollen ja unter die Leute gebracht werden, damit sie die Bibel lesen! Nach dem Bilderkatalog, der zur Zeit gedruckt wird, müsste recht schnell eine „Skrodzki-Bibel“ herausgegeben werden, in der neben allen 420 Holzschnitten ihr ein­schlägiger Bibeltext und eine Bildinterpretation stehen. Ferner benötigt das Gesamt­werk eine „Heimat“, in der es ständig „zu Hause“ und der Öffentlichkeit zugänglich ist, ggf. auch in (4!) Teilen an verschiedenen Orten. Der Verfasser betreut zur Zeit im Geist­lichen Rüstzentrum in Krelingen die Teilausstellung „Das Leben Jesu“ mit ihren 120 Holzschnitten und baut sie nach und nach zu einer LehrAusstellung aus, in der im Ver­bund mit diesen Bildern das ganze Leben Jesu dargestellt werden soll. Das müsste an­schließend auch als Buch veröffentlicht werden. So könnten drei weitere in sich ge­schlossene Ausstellungsteile an möglichst feste Standorte, etwa in Museen oder (kirchli­che) Einrichtungen oder Ausbildungsstätten gebracht und ggf. in deren Lehrbetrieb integriert werden. Die Bilder haben durchaus den künstlerischen Wert dazu! Wichtig wäre, dass die Standorte nicht zu oft wechseln, wie das bei Wanderausstellungen im Au­genblick der Fall ist: „Die Schöpfung“ stand eine Zeitlang in Nienburg, ist aber wieder beim Künstler in Hattstedt. „Das Leben Jesu“ ‚geht‘ nach einem halben Jahr in Krelin­gen im Frühjahr 2006 weiter nach Wolfenbüttel. „Die Offenbarung“ steht zur Zeit auf Sylt. Feste Standorte mit Lehrausstellungen und Führungen wären das Beste; denn ohne Interpretation erschließt sich das Werk nicht so leicht, vor allem bei Unkundigen, bei Kindern allerdings leichter. Warum ist das so? Erste Erfahrungen mit Ausstellungen in katholischen und evangelischen Kirchgemein­den sowie pietistisch geprägten Gemeinschaften zeigen immer wieder dasselbe Bild: Das Bibelwerk wird sehr zwiespältig aufgenommen: Auf der einen Seite steht begeisterte Zustimmung und auf der anderen heftige Ablehnung. Und das nach 100 Jahren moderne Kunst in Deutschland und 50 Jahren intensiver Forschungsarbeit der Religionspäda­gogik, die das gesamte Bildgut der Christenheit, auch der Moderne, gesichtet und das Gute und Verwendungsfähige erschlossen und der Praxis zugänglich gemacht hat, das auch erfolgreich eingesetzt wurde und wird in Verkündigung und Lehre, sowohl in Kir­che und Schule als auch in der Ausbildung von Lehrern und kirchlichen Mitarbeitern. Der Verfasser war als Dozent und Lehrer sein ganzes Berufsleben daran beteiligt. Nach diesem Einsatz ein solcher „Erfolg“? Woran liegt das? Symptomatisch dafür ist die Aus­sage einer Besucherin der Ausstellung „Die Schöpfung“ in Nienburg: „So habe ich mir das nicht vorgestellt!“ Warum nicht? Vermutlich liegt es an den Sehgewohnheiten und den von daher geprägten Erwartungen an Bilder zur Bibel sowohl in Kirchgemeinden beider großen Konfessionen wie in evangelikalen Kreisen als auch bei Spätaussiedlern. Sie schätzen nach wie vor Bibelillustrationen á la Cranach, Merian, Dore und v. Carolsfeld und deren Nachahmer, die bis heute immer wieder aufgelegt und gekauft werden! Vor allem prägen Kinderbibeln mit ihren naturalistisch-gegeständlichen Illustrationen die Sehgewohnheiten der Christen fürs ganze Leben. Der Verfasser hält nach seinen jahrelangen Erfahrungen gerade mit dem Einsatz von expressionistischen Holzschnitten im Religionsunterricht und in der Religionslehrerausbildung die Herausgabe einer Kin­derbibel mit Skrodzki-Bildern für durchaus hilfreich; denn die Farbholzschnitte von ihm sind für Kinder gut zugänglich, besser als für Erwachsene mit ihren verfestigten Sehgewohnheiten und daraus resultierenden Vorurteilen. Kinder sind da ganz, ganz aufgeschlossen! Auch bei Ausstellungsführungen wurde immer wieder dieselbe Erfah­rung gemacht: Nach anfänglichem Zögern ließen sich die Besucher für die Bilder auf­ schließen und zogen erstaunt, beeindruckt und begeistert wieder von dannen. In ande­ren Fällen führten schriftliche Interpretationen zu Begeisterung für die Holzschnitte von Skrodzki (und deren Erwerb!). Bleibt zu hoffen, dass das wunderbare Bibelwerk seine Heimat(en) findet, veröffentlicht wird und die Religionspädagogik sich seiner annimmt und es für Verkündigung und Lehre erschließt. Der Verfasser setzt sich mit seiner Erfahrung dafür ein und beginnt bereits mit der Arbeit. (Die Abschnitte II und III folgen in der nächsten Ausgabe der ‚bb‘.) 23 'bb' 114-4/2005 fachbeitrag: „...und erlöse uns vom bösen“ erlösergestalten in film und kino manfred tiemann Einleitung Der Film „Der König von Narnia“ wird seit dem Kinostart im Dezember 2005 kontrovers diskutiert: Viele amerikanische Christen und teilweise auch evangelikal-fundamentalistisch geprägte Kreise in Europa loben die Vermittlung von christlicher Botschaft im Werk von C.S. Lewis (18981963): Der Löwe Aslan opfert sich für das Gute, wird getötet und feiert eine Auferstehung. Aslan als Befreier und Erlöser wie Jesus Christus? Kirchen bieten Narnia-Events und Narnia-Gottesdienste mit Filmausschnitten oder Diskussionen zum Film an, z. B. die Gellert-Kirche in Basel vier Narnia-Gottesdienste für den Monat Januar 2006 oder die Stadtmission in Wolfsburg. Der Narnia-Trailer wird dort in Kirchen gezeigt, um Menschen zum Glauben zu überzeugen. Kritiker dagegen sehen den Film im Zusammenhang von Mel Gibsons „Die Passion Christi“ (2005) als gut kalkulierte Vermarktung von eher reaktionären Inhalten. Die Idee der Vermittlung biblischer Botschaften im Film ist nicht neu: Die Helden als Befreiungsgestalten siegen im Kampf zwischen Gut und Böse und präsentieren Gerechtigkeit. „Der Terminator I ; II und III (USA 1984,1991 u. 2003) als Messias und Kulturträger?1 Seit Arnold Schwarzenegger in „End of Days (USA 1999) als Ex-Cop eine hilflose Jungfrau vor dem Bösen, vor fanatischen Killerpriestern rettet und gleich zum Endkampf um die Rettung der ganzen Welt antritt, zeigen die neuen Heldinnen und Helden ihre Kompetenzen als Retter und Erlöser, z. B. in „Matrix“ (USA 1999/2003) u. a.. Die Helden als mythische Heroen befreien die Menschheit von Krieg, Hunger und Armut und befriedigen die Erlösungssehnsüchte der Zuschauer. Junge Menschen sind auf der Suche nach Identität und finden hier vermeintlich Antworten in Utopien, Träumen und Märchen. Sie nehmen das Angebot einer Vermittlung von christlichen Inhalten und Glaubenspraxis weniger im gottesdienstlichen Feiern wahr, sondern erleben das Kino als Sinnmaschine.2 Was suchen junge Menschen im Kino, was sie in Kirchen oder im Religionsunterricht nicht finden? Kino statt Kanzel? Massenmedien als Religionsersatz? Seit 1980 gibt es auch in Deutschland eine sog. Medienreligion, z. B. Serien wie „Oh Gott Herr Pfarrer“ (1988), „Wie gut, dass es Maria gibt“ (ZDF ab 1989), „Ein gesegnetes Team“ (Pro 7 ab 1989), „Mit Leib und Seele“ (ZDF), 24 „Eine himmlische Familie“ (ab 1996), „Pfarrer Braun“ (2002), „Um Himmels Willen“ (ARD ab 2002) u.a. Die These „Der Glaube kommt vom Fernsehen“3 lässt sich leicht auf das Kino übertragen. Populäre (Kult-)Filme, z. B. Jurassic Park, Forrest Gump, Der König der Löwen, Independence Day, Titanic, Dogma, Stigmata, Matrix u.a., können als Chance genutzt werden, Jugendliche bei ihren Sehgewohnheiten abzuholen, um mit ihnen gemeinsam die Herausforderung zur theologischen Auseinandersetzung mit verbreiteten kommerzialisierten (Pseudo)Sinnangeboten anzunehmen. Erlösergestalten in der Filmgeschichte Filme leben von Geburt an (Gebrüder Lumière 1897) von der Darstellung von Gut und Böse. Engel, Himmel, Hölle, Tod und Teufel haben nicht nur Dichter inspiriert, sondern Filmregisseure greifen gerne diese beliebten Motive auf. Gewalt, Liebe und Opfer sind die Themen, von denen die meisten Filme erzählen. Filme verarbeiten dabei auch religiöse Motive, wie z. B. Apokalypse, Bekehrung, Erlösung, Opfer, Schuld, Sünde, Tod, Wunder. Aktuelle Filmbeispiele, in denen der Kampf zwischen Gut und Böse thematisiert ist, sind - „Dogma“ (DOGMA, USA 1999; R: Kevin Smith) - „Die neun Pforten“ (THE NINTH GATE, USA 1999; R: Roman Polanski, unter Verwendung des Romans Arture Perez Reverte „Der Club Dumas“, 127 Min., FSK: ab 12). - God’s Army – Die letzte Schlacht (USA 1995; R: Gregory Widen - Star Wars Episode I: Die dunkle Bedrohung (USA 1999; R: George Lucas). - X-Men 2 (USA 2003, R: Bryan Singer). Wurden früher Äußerungen des kollektiven Unbewussten (vgl. C.G. Jung) in Märchen und Mythen wahrgenommen, so findet dies heute mehr in Spielfilmen und in Werbespotts statt. Als charakteristische Merkmale eines Helden bzw. eines Erlösers lassen sich u.a. anführen: - Der Held kann im Verlauf der Handlung mehrere Archetypen annehmen. - Der Held stellt seine Bedürfnisse zurück und opfert diese der Gemeinschaft (Selbstaufopferung). 'bb' 114-4/2005 - - - Der Held präsentiert das Ich und ist auf der Suche nach Ganzheit und Identität. Je mehr der Held mit persönlichen Problemen zu kämpfen hat, desto beliebter wird er beim Publikum landen. Typologisch zeigt der Held • einen starken Willen, der stets zum Erfolg führt: Er hat eine bestimmte Mission zu erfüllen, • den Wunsch nach äußerer und innerer Freiheit (Selbstverwirklichung), • das Verlangen nach Rache und gerechter Bestrafung des Bösen (Weltpolizist), • seine Funktion als Retter und Erlöser, der einzelnen Personen oder der gesamten Menschheit in Notsituationen hilft, • seine Funktion in der Beseitigung des Chaos, indem er die alte Weltordnung wieder herstellt. Es lassen sich u.a. folgende Erlöserfiguren im Film unterscheiden: - Menschen, die in der Nachfolge Jesu stehen, z. B.: “Nazarin“ (Buñuel: Mexiko 1958/59) - Christus inkognito als Erlöser, als Fremder, z. B. “Teorema“ (Pasolini: Italien 1968) - Christus inkognito als Richter und Erlöser in amerikanischen Western, z. B.: „Pale Ride – Der namenlose Reiter“ (Eastwood: USA 1984/85) -Der Messias als erlösendes Kind, z. B.: “Spuren im Sand“ (Ford: USA 1948), “Der Navigator“ (Ward: Neuseeland 1987) - Christus inkognito wider Willen: Menschen, die heilen, z. B.: – „Der starke Wille“ (Petrie: USA 1979/80), – „Mr. North – Liebling der Götter“ (Huston: USA 1987), „Touch. Der Typ mit den heilenden Händen“ (Schrader: USA 1997), „Der Gefallen, die Uhr und der sehr große Fisch“ (USA 1991) - Himmlische Erlöser Figuren in der „Lovestory“: z. B. „Chocolat“ (Hallström: USA 2000), „Stadt der Engel“ (Silberling: USA 1998), „Von Engel und anderen Menschen“ (Butter, Röser u.a.: Deutschland 2002). Aus den vielen Beispielen in der Filmgeschichte sind hier drei ältere markante Beispiele kurz angeführt. NAZARIN Mexiko 1958/59 R: Luis Buñuel B: Julio Alejandro, Luis Buñuel, nach einem Roman von Benito Pérez Galdós 94 Min. In einem Elendsviertel im Mexiko-City der Jahrhundertwende lebt der Priester Don Nazario unter Dirnen und Dieben und versucht hier, das Gebot der Nächstenliebe zu erfüllen. Als die Prostituierte Andara, die in Notwehr einen Mann getötet hat, zu ihm flüchtet und er ihr beisteht, wird er von seiner Kirche ausgestoßen. Er zieht nun – begleitet von zwei Frauen, die ihn für einen Wundertäter halten – als Wanderprediger durch das Land. Sein Auftreten bringt die Menschen dazu, sich zu entlarven, Heuchelei und Bigotterie zu offenbaren. Seine Umgebung sieht ihn als Messias:4 Don Nazarino: Gut, ihr Trost zusprechen und um Gottes Hilfe bitten, das kann ich tun. Dass mir aber niemand etwas anderes verlangt! Frau: Gott hat Sie in dieses Haus gesandt. Sie sind ein Heiliger. ... Don Nazarino: Befolgt die Anweisungen des Arztes und vertraut auf Gott. Frau: Nur ein Wunder kann sie retten! Und Gott hat es durch Sie schon eingeleitet. Barfuß sind Sie wie Jesus Christus. Nararin erkennt, dass helfender Samariterdienst nicht ausreicht. Es müssen radikale strukturverändernde 25 'bb' 114-4/2005 Maßnahmen eingeleitet werden, um soziale Gerechtigkeit herzustellen. Luis Buñuel zu seinem Film: „Was das religiöse Problem angeht, so bin ich überzeugt, daß der Christ im reinen, absoluten Sinn auf Erden nichts zu suchen hat ... weil es keinen anderen Weg gibt als den der Rebellion in dieser so mißlungenen Welt.“5 In dem folgenden Film bewirkt der Erlöser nicht durch Worte und Taten die Befreiung, sondern nur durch seine Anwesenheit. Teorema – Geometrie der Liebe TEOREMA Italien 1968 R u. B: Pier Paolo Pasolini 94 Min. Gott erscheint in Gestalt eines geheimnisvollen, schönen jungen Mannes, der in ein herrschaftliches Haus eines Mailänder Fabrikanten kommt. Er wird vom Boten namens Angelo freudig hüpfend angekündigt. Der Fremde erobert die ganze Familie und gibt sich allen hin, dem Vater, der Mutter, dem Sohn, der Tochter und der Magd 26 Emilia und erweckt ihre geheimen Sehnsüchte. Er befreit und irritiert zugleich. Die Erlösten werden sich ihres Chaos inne. Immer wieder durchzieht das Bild der Wüste die Handlung. Sie kommen aus der Sünde und schämen sich, müssen ständig um Vergebung bitten, sind nicht unschuldig. Der Gast aber spricht sie ohne Worte frei und umarmt jeden. Alle sind durch die Begegnung mit ihm verwandelt. Jeder verfällt auf seine Art der Anziehungskraft des jungen Mannes, dargestellt als eine Art himmlischer Erlöserfigur, als ein Engel im weißen Hemd, als Christus inkognito. Sein Verschwinden bewirkt für jeden einzelnen eine Lebenskrise: Erst als er sie verlassen hat, erkennen sie ihn. Die einzelnen Familienmitglieder reagieren radikal, z. B. schenkt der Vater den Arbeitern seine Fabrik. Pasolini geht der Frage nach, ob eine bourgeoise Familie, die eine große Fabrik besitzt, durch den Besuch eines Gottes verändert werden kann. Die Magd ist die erste, die aus der Berührung des Erlösers eine neue Existenz gewinnt. Sie will nicht mehr essen. Sie hat eine andere Speise gefunden. Der Film ist für Pasolini eine religiöse Geschichte: Sie erzählt von einem Gott, der in eine bürgerliche Familie kommt. Er ist schön, jung, faszinierend, blauäugig. Er liebt alle: Vom Vater bis zur Dienstmagd. „Ich fühlte, daß diese Liebe zwischen dem göttlichen Besucher und den Personen aus dem Bürgertum stumm viel schöner war.“6 Die Verabschiedungen der Familienmitglieder vom Fremden, von ihrem Erlöser sind zu unterscheiden: - der homosexuelle Sohn Pietro: „Du hast mich verändert … Ich muss auf den Grund kommen von dem anderen Leben, das du mir offenbart hast.“ (39:30) - die Mutter: „Jetzt wird mir klar, dass ich nie irgendein Interesse gehabt habe, das Interesse für die alltäglichen Dinge, für meinen Mann, für meinen Sohn, für die Schule. … Ich kann nicht verstehen, wie ich habe in einer solchen Leere leben können, aber ich habe gelebt. … In Wirklichkeit war diese Leere voll von armseligen eingebildeten Werten, fürchterlichen Haufen von falschen Ideen. Jetzt aber sehe ich das ganz deutlich. Du hast diesem Leben die grausame Gleichgültigkeit genommen… Was du mir gegeben hast, die Liebe …“ (40:35) - das Mädchen: „Durch dich habe ich entdeckt, was ich bin. Früher habe ich immer Angst vor den Männern gehabt. Der Schmerz, dich zu verlassen, wird bei mir einen Rückfall verursachen ... Heilung, die durch deine Gegenwart geschah. Durch die Güte, die du mir gegeben hast, habe ich das Übel in mir erkennen können.“ (42:00) - der Vater: „Du bist sicher hierher gekommen, um zu zerstören. Die Unruhe, die du hergestellt hast, hätte nicht vollkommener sein können.“ (43:49) – „Jetzt sehe ich überhaupt nicht mehr, was ich mit meiner Identität wiederherstellen könnte. … Ich habe das Gefühl, ich bin für diese Gesellschaft gestorben.“ 'bb' 114-4/2005 In vielen amerikanischen Western-Filmen tritt eine Erlöserfigur auf. Der Jesus-Nimbus wird ganz aus der Geschichte gelöst und auf fiktive Erlöser-Geschichten übertragen, z. B. Pale Rider USA 1984/5. Megan liest in der Wohnstube in der Bibel die Vision von den apokalyptischen Reitern: Da sah ich ein fahles Pferd und der, der auf ihm saß, dessen Name war Tod. Und die Hölle folgte ihm nach. La Hood, der Reiche, spürt bald, dass der Prediger stört. LaHood versucht, den Fremden eine lukrative Pfarrstelle zu verschaffen: Wieso gibst du diesem frommen Mann nicht eine neue Gemeinde, mehr noch, eine brandneue Kirche? Der namenlose Prediger entgegnet: Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon. LaHood: Die Siedler-Prediger stehen dem Fortschritt entgegen ... Wenn Blut vergossen wird, dann klebt es an ihren Händen! Der namenlose Prediger führt den Titel Pale (d.h. fahl) – eine Anspielung auf die Endzeit: Pale Rider wird La Hood und seine Hintermänner richten. Erlösergestalten in aktuellen Kultfilmen God’s Army – Die letzte Schlacht GOD’S ARMY Horrorthriller USA 1995 R: Gregory Widen gekürzte Fassung (88 Min.) ab 16 Jahren; ungekürzt (94 Min.) ab 18 Jahren Der Held dieses Western tritt als Erlösergestalt auf; der Film verwendet bewusst biblische Anspielungen, um die Jesus-Artigkeit seines Protagonisten zu verdeutlichen. Das Goldgräber-Städtchen LaHood hat seinen Namen vom den skrupellosen Coy LaHood, Besitzer der Bergbaugesellschaft. Zusammen mit Marshal Stockburn tyrannisiert er die Siedler im Ort.7 Megan, die Tochter, muss ihr Hündlein beerdigen, das brutal von einem Terrorkommando erschossen wurde. Sie spricht dabei den gesamten Psalm 23 und fügt ihre eigene Not ein: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, aber ihn vermiss ich. Er führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele, aber sie haben meinen Hund getötet. Auch wenn ich wandere im tiefen Tal des Todes, fürchte ich nichts Böses – aber ich habe Angst. Doch du bist bei mir. Dein Stecken und Stab werden mich leiten. Wir brauchen ein Wunder. Und ich werde wohnen im Hause des Herrn immerdar. Ein namenloser Fremder, auf dem Schimmel reitend, taucht plötzlich auf. Er wird wegen seines weißen Kragens „Prediger“ genannt. Die Engel im Himmel fühlen sich im Vergleich zu den Menschen auf Erden zurückgesetzt. Deshalb rebellieren sie gegen diese Ungerechtigkeit. Anführer des Aufstands ist der Erzengel Gabriel (Christopher Walken). Der Krieg wird aber nicht im Himmel, sondern auf der Erde erbittert und grausam geführt. Auf der Erde sucht er zur Unterstützung nach bösen Seelen. Engel Simon will dies verhindern. Die Engel haben übermenschliche Kräfte, aber keine Seele. Sie können z. B. den Toten die Seele entnehmen und die Fähigkeiten des Verstorbenen erhalten. Filmauszug: „Und die Engel waren voller Zorn, denn Gott hatte sie den Menschen untergeordnet. Da folgten die Engel dem Beispiel Luzifers und rebellierten gegen die Heerscharen des Erzengels Michaels, und im Himmel ertönte zum zweiten mal der Lärm einer gewaltigen Schlacht. … Und es wird sein eine dunkle Seele. Diese Seele verschlingt andere dunkle Seelen und wird ihr dunkles Erbe antreten. Kein Engel beherbergt diese Seele, aber ein Mensch, ein Kämpfer und ein Schlächter.“ Touch Fernsehtitel: Der Typ mit den heilenden Händen USA 1997 Satire – Komödie R: Paul Schrader Die Verfilmung von Elmore Leonards Roman zeigt eine moderne Christusfigur im heutigen Los Angeles: Der 27 'bb' 114-4/2005 junge Prediger und Franziskaner Juvenal (Skeet Ulrich) heilt allein durch die Kraft seiner Hände. Er weist die gleichen Stigmata auf wie Jesus. Bei einem Gottesdienst heilt er einen Jungen. Juvenal will nur Gutes tun und widersetzt sich allen Versuchen, seine Fähigkeiten zu vermarkten. Er ist begehrtes Objekt der Massenmedien und rivalisierender Orden: Ein katholischer Fundamentalist und Religionsfanatiker und ein TV-Prediger wollen ihn vermarkten. Juvenal befreit nicht nur Kranke von ihrem Leiden, sondern er deckt die scheinheilige Welt religiöser Fanatiker und deren Praktiken auf. Star Wars Episode I – Die dunkle Bedrohung THE PHANTOM MENACE USA 1999 R: George Lucas 133 Min. möglicherweise für die römische Kolonialmacht steht, die die Juden zur Zeit Christi beherrschte. Die alte Republik ist nur noch in der Erinnerung lebendig, sie steht für das alte Land der Juden in dem sie ohne Fremdherrschaft leben konnten. Aber auch ein neuer Messias taucht auf, Anakins und Amidalas Sohn Luke Skywalker. Er nimmt den Kampf gegen das böse Imperium auf und besiegt es schließlich mit Hilfe seines von ihm zum Guten bekehrten Vaters Anakin alias Darth Vader (Episode VI). Anakin steht für verschiedene christliche Elemente, insgesamt gesehen ist in ihm die Geschichte vom verlorenen Sohn zu sehen, der vom Glauben abfällt und später reumütig zurückkehrt (Lukas: 15, 11-32). Denn er ist zuerst ein Kämpfer für die gute Macht (wahre Religion) (Episode I), der sich aber den Verlockungen des Bösen nicht entziehen kann (Episodes IV-VI). Am Ende allerdings wendet er sich wieder dem Glauben zu und hilft mit das Böse zu zerstören (Tötung des bösen Imperators, Episode VI). Weiterhin hat er durch die Tötung des Imperators seinen Zweck als Messias (Episode I) zu guter Letzt doch noch erfüllt, da er mitgeholfen hat das Gute zu retten. Interessant erscheinen die Figuren: - Darth-Maul: • Sein Aussehen: Er hat Hörner auf dem Kopf, Gesichtstätowierungen und leuchtende, gelbe Auge und verkörpert die Gestalt des Teufels • Seine Funktion: Er ist Kämpfer des Bösen -QUI-GON-GIN: • Sein Aussehen: Er trägt langes, zusammengebundenes Haar • Seine Funktion: Er soll als Jedi-Meister die Bürger beschützen - ANAKIN SKYWALKER: • Der blauäugige, neunjährige Junge träumt von einer Karriere als Pod- Rennfahrer. • Er wird für die Jedis zum Erlöser. - PRINZESSIN AMIDALA: • regiert über den Planeten Naboo und ist beim Volk wegen ihrer Menschlichkeit und Gerechtigkeit sehr beliebt. - OBI- WAN KENOBI: • steht kurz vor dem Ende seiner Ausbildung zum Jedi - Parallelen zu biblischen Motiven, z. B. Anakin als Erlösergestalt, als verlorener Sohn, der seine Dienste auch dem Bösen zur Verfügung stellt, später jedoch reumütig zurückkehrt (vgl. Lk 15, 11-32). Inhalt8 Anakin Skywalker, der Messias aus dem ersten Teil, ist mittlerweile zum Bösen übergetreten und nennt sich nun Darth Vader. Er missbraucht seine Macht (Religion), um gegen das Gute und gegen die Jedis zu kämpfen. Er hat sich in die Dienste des bösen Imperiums gestellt, was 28 'bb' 114-4/2005 The Green Mile • USA 1999 - - - John Coffey (Michael Clarke Duncan), ein riesenhafter Schwarzer, ist rechtskräftig verurteilt für den Mord an zwei neunjährigen Schwestern, die man tot in seinen Armen fand. Der aufrichtige Paul Edgecomb erlebt, dass Coffey eine übernatürliche Gabe zu besitzen scheint. Er beginnt sich zu fragen, ob der Mann, zu dem er eine immer engere Bindung aufbaut, wirklich der wahre Schuldige am Tod der Kinder ist. Religiöse Symbole eines Erlösers lassen sich zwischen der Hauptfigur John Coffy und Jesus vergleichen, z. B. die Wunderheilungen: Coffy heilt eine Blasenentzündung durch Handauflegen, eine Tumorerkrankung u. a..9 - Matrix USA 1999/2003 Die Trilogie zeigt deutliche Anlehnungen aus Philosophie und Religion, z. B. - Neo als Christus-Figur, Cypher als Judas-Figur - Neo heißt mit bürgerlichem Namen Thomas Anderson: Son of Man - Trinity (Trinität) verkörpert eine moderne Maria Magdalena - Zahlensymbolik, z. B. - Neos Herz beginnt nach genau 72 Sekunden wieder an zu schlagen: Nach 72 Stunden wird Jesus vom Tode auferweckt • die Zahl 3 biblische Anklänge, z. B. • Morpheus als Figur Johannes der Täufer: Das Orakel weissagt Morpheus, dass er den Erlöser finden wird. Morpheus: „Ich habe Dich gesucht, Neo. ... Du bist auserwählt, Neo.“– „Du bist hier, weil du etwas weißt. ... Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang … es ist wie ein Splitter in deinem Kopf.“ • Der Softwarekäufer vor Neos Tür: „Du bist mein Erlöser“. • Neo hat Macht über die Welt: „Mir ist gegeben alle Macht …, vgl. Mk 28,18) • „Es ist vollbracht“ (Zum Tod Neos im 3. Teil) die Frage nach der Wirklichkeit und der Wahrheit: Morpheus: • „Hattest du schon einmal einen Traum, Neo, der dir vollkommen real schien? Was wäre, wenn du aus diesem Traum nicht mehr aufwachst? Woher würdest du wissen, was Traum ist und was Realität?“ • „Du siehst aus wie ein Mensch, der das, was er sieht, hinnimmt, weil er damit rechnet, dass er wieder aufwacht. Ironischerweise ist das nah an der Wahrheit.“ die Charaktere: • Neo als Erlöserfigur und Held verkörpert das Gute • Cypher als Schurke und Luzifergestalt verkörpert das Böse Klischees: Filmheld Neo erfüllt die gängigen Hollywood-Klischees vieler Science-Fiction-Filme, z. B. • der Film zielt auf die Identifikation des Zuschauers mit dem Filmhelden: „Du schaffst es, wenn du glaubst!“ • der Film vermittelt die einfache Botschaft: das Gute, z. B. „Die Liebe schlägt das Böse und siegt!“ • der Film betont religiös-traditionelle Werte von Glaube, Liebe, Hoffnung: Mit diesen Werten vermag der Mensch die Bedrohung durch die Technik bestehen • der Film macht das Gewehr zum choreographischen Lustobjekt die eigentliche Befreiung und Erlösung: Kann bzw. will der einzelne Mensch • die Scheinwirklichkeit wirklich zerstören • oder will er nur die Kontrolle über die Technik erhalten, um Entscheidungen treffen zu können. 29 'bb' 114-4/2005 Chocolat USA 2000 R: Lasse Hallström B: Joanne Harris / Robert Nelson Jacobs 110 Minuten - - - - stärkt eine Frau im Bewusstsein, sich von ihrem Mann, der sie erniedrigt und misshandelt, zu trennen, führt Generationen (Oma und Enkelkind), Familien und entfremdete Ehepartner wieder zusammen, befreit den Bürgermeister von seiner strengen orthodox-dogmatischen Glaubenspraxis, die von Gesetzesgehorsam und Werkgerechtigkeit geprägt ist, erlöst die Menschen von Unheil, indem sie ihnen Hoffnung und Lebensfreude zurückgibt.11 K-Pax – Alles ist möglich USA 2001 R: Iain Softley B: Gene Brewer u.a. 115 Minuten Die Hauptfigur des Ende der Fünfzigerjahre angesiedelten Märchens ist die philanthropische Nomadin Vianne Rocher (Juliette Binoche), die mit ihrer kleinen Tochter Anouk von Ort zu Ort zieht, um die Menschen mit liebevoll zubereiteten Schokoladespezialitäten emotional zu befreien und Vergnügen zu säen, wo Verbitterung und moralische Rigidität herrschen. Als sie in der Fastenzeit in das Städtchen Lansquenet-sous-Tannes kommen und einen Laden gegenüber der Kirche eröffnen, spüren sie den Widerstand des Pfarrers und des Bürgermeisters.10 Ist Vianne ein weiblicher Heiland, eine moderne JesusGestalt? Es lassen sich einige Parallelen aufdecken: Die Fremde - bricht die im Dorf herrschenden Kommunikationstrukturen, die Sprachlosigkeit und lebensfeindlichen Praktiken mittels süßer Schokolade, - hinterfragt die unmenschlich, heuchlerisch christliche Tradition des fanatischen Fastens im Ort, - hat ein feines Gespür für die individuellen Wünsche ihrer Kunden, indem sie für jeden einzelnen eine Spezialität kreiert, die seiner Persönlichkeit entspricht, 30 Ein verwirrt wirkender Mann, der sich Prot nennt und behauptet, vom Planeten K-PAX zu kommen. wird in die Obhut des Psychologen Dr. Mark Powell übergeben. Als der ungewöhnliche Patient ankündigt, bald wieder nach Hause reisen zu wollen, versucht Powell in das Universum des seltsamen Mannes einzutauchen. Prot wird zum Messias. Parallelen zu Jesus lassen sich finden, z. B.: - Wie der zwölfjährige Jesus im Tempel lehrt Prot die ungläubigen Wissenschaftler. 'bb' 114-4/2005 - - - Wie Jesus heilt Prot seine Mitpatienten, die der Arzt Powel schon aufgegeben hat. Prot deckt heuchlerisches routiniertes Handeln und die Entfremdung des Arztes zu seinen Patienten auf und wird ihm zum Bruder. Prot zeigt, dass Liebe Menschen gesund machen kann, die als krank ausgegrenzt und bereits aufgegeben sind.12 Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia USA 2005 „Es ist vollbracht!“, sagt Aslan, als er die Hexe besiegt. Der Altar, auf dem er stellvertretend für den „sündigen“ Edmund hingerichtet wird, zerbricht nach seinem Tod in zwei Stücke. Die beiden Mädchen Lucy und Susan (Maria und Magdala) kommen im Morgengrauen als erste zum Leichnam Aslans. Der Steintisch zerbricht: Aslan ersteht auf wundersame Weise. „Wenn sich einer, der nichts verbrochen hat, freiwillig für einen Schuldigen opfert, dann bricht der Steintisch entzwei, und der Tod weicht zurück.“ Im letzten Kapitel „Die Jagd auf dem weißen Hirsch“ steht die Verheißung: „Er wird kommen und gehen. Ihr werdet ihn an einem Tag sehn und am anderen nicht mehr. Niemals lässt er sich halten. Natürlich, es gibt noch andere Länder, die auf ihn warten ... Er wird wiederkommen, aber ihr dürft nicht drängeln.“ Aslan, der Erlöser, befreit die Menschen vom Bösen durch sein Opfer.13 „Die Amerikanische Missionskoalition etwa lädt Kirchenleiter ein, «die fantastischen geistlichen Möglichkeiten des Filmstarts zu nutzen». Der Bruder des US-Präsidenten und Gouverneur von Florida, Jeb Bush, will, dass jedes Kind in seinem Bundesstaat Lewis‘ Bücher liest. Der Verband Catholic Outreach hat 150 Koordinatoren bereit gestellt, die den Film bewerben sollen.“14 Mein Erlöser Deutschland 2002 15 Minuten B: Athanasios Karanikolas, D: Jonathan Richter, Athansios Karanikolas. 15 Min. Das Königreich Narnia, das von einer kalten, weißen Hexe beherrscht wird, ist kalt, eisig und verschneit. Dagegen wird das Gute von Aslan, einem Löwen verkörpert: Er opfert sich für das Gute, er wird getötet und feiert Auferstehung. Die Opferung des Löwen Aslan wird besonders von evangelikal-fundamentalistisch eingestellten Christen als Anspielung für den Stellvertreter-Tod Jesu am Kreuz interpretiert. Suse möchte Asian auf seinen Opfergang begleiten: „Willst du uns nicht erlauben, mit dir zu gehen, wohin du auch gehen magst?“ Aslan: „Ich wäre froh, diese Nacht nicht allein zu sein.“ Ein zehnjähriger Junge aus wohlhabendem Hause fühlt sich, weil seine Eltern meistens abwesend sind, einsam und isoliert. Nur beim Singen im Kirchenchor kann er seine Situation für kurze Zeit vergessen. Der Film zeigt nur Sequenzen: „Ein Junge allein in einer Wohnung, eine Schildkröte in einem Glas, das von einem kleineren Glas und einer Badewanne abgelöst wird. Ein Mann ohrfeigt den Jungen, der nebenbei auch in einem Chor auftritt. Das dargebotene Lied vom „Erlöser“ wird zum Kernstück des Films.“15 Die Handlung ist minimalistisch inszeniert. Kein Dialog, kühle, distanzierte Bilder, Momente von Alltag, fragmentarisch montiert, zeichnen Alleinsein und Einsamkeit. Halt findet der Junge im Glauben. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, singt er am Schluss. „Im Alleinsein, in der Stille, ist die Musik das einzig Wahre, das einzig Lebendige, für den Jungen. Es ging mir darum, eine persönliche Geschichte zu erzählen, über ein Gefühl, das ich sehr gut kenne“, so Athanasios Karanikolas zu seinen Intentionen.16 31 'bb' 114-4/2005 Literaturhinweise Kirsner, Inge: Erlösung im Film. Praktisch-theologische Analysen und Interpretationen. Stuttgart-Berlin-Köln 1996 Schnabel, Norbert: Wenn Gott ins Kino geht. 50 Filme, die man kennen muss. Wuppertal 2004 Tiemann, Manfred: Bibel im Film. Ein Handbuch für Religionsunterricht, Gemeindearbeit und Erwachsenenbildung. Stuttgart 1995 Tiemann, Manfred: Jesus comes from Hollywood. Religionspädagogisches Arbeiten mit Jesusfilmen. Göttingen 2001 mit elektron. Anhang: http://www.vandenhoeck-ruprecht.de/tiemann/hollywood.html Tiemann, Manfred: Die teuflischste Versuchung. In: entwurf 3/2002 (Stuttgart) Tiemann, Manfred: Engel im Film. In: Jüngst/Kirchhoff/Tiemann: Es ging ein Engel durch den Raum. Göttingen 2003 Tiemann, Manfred: Von Schurken und Helden. In: Ritter/Pohlmann (Hg.): Gut oder böse? Göttingen 2004 Tiemann, Manfred: Schönster Herr Jesu. Tendenzen in neuen JesusFilmen. Braunschweiger Beiträge 110 (2005), S. 5ff. Zum Thema „... und erlöse uns vom Bösen“, Erlösergestalten in Film und Kino, wird am 20.04.2006, 10.00 – 16.30 Uhr, auf dem Kirchencampus Wolfenbüttel, eine Fortbildung stattfinden. Bemerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Vgl. Yvonne Pollnick, Der Terminator als Messias. Amerikanisches Actionkino als moderner Kulturträger. Taunusstein 2000 Vgl. Jörg Herrmann: Sinnmaschine Kino. Sinndeutung und Religion im populären Film. Praktische Theologie und Kultur, Bd. 4, Gütersloh 2001 Ohne Hörfunk und Fernsehen ist von Gott keine Rede mehr, v. Ulrich Fischer in Anzeiger für die Seelsorge, 7/8 2005, Verlag Herder Die folgenden Dialogtexte sind den Untertiteln des Films entnommen. Buñuel, Luis, in: Alice Goetz / Helmut W. Banz, Luis Buñuel. Eine Dokumentation. Bad Ems 1965, S. A 62 P. P. Pasolini, in: de Giusti (Hg.), I film di P.P. Pasolini. Rom 1983; S. 94 Die folgenden Dialogtexte sind vom Film abgehört Die inhaltliche Übersicht – gekürzt – entnommen: Untersuchung des Films „Star Wars- Episode one“ unter religiösen Gesichtspunkten VerfasserInnen: Tobias Müller, Marcel Müller, Carolin Sühl, Patrick Dammann, Moritz Ruff . Betreuende Lehrkraft: Karin Aulike (Internet: http://www.rpi-loccum.de/wett/beitr/starone.html). – Vgl. auch: „Lerne zu kämpfen, aber niemals mit Hass.“ Star Wars: Mythos Heldenreise in Science Fiction Format. In: ru intern. I/2003. Die Drehbücher zur Trilogie: The Art of Star Wars (Bastei-Lübbe-Verlag) Bergisch-Gladbach 1996. Oliver Denker: Star Wars – die Filme. (Heyne Taschenbuch) München 1999; Arno Behrend: 25 Jahre Star Wars. Für immer im Bann der Macht. Internet: http://www.epilog.de/sf/StarWars/SW_25_ Jahre_AC047.htm Weitere inhaltliche Details http://www.filmspiegel.de/filme/greenmilethe/greenmilethe_1.php Vgl. auch http://www.eyz-kino.de/filme/chocolat/ausf.html Vgl. auch Clauß Peter Sajak. Erlösung durch Pralinen. In: ru. Ökumenische Zeitschrift für den Religionsunterricht 1/2002, S. 21f. Vgl. auch Inge Kirsner, Magazin für Theologie und Ästhetik 27/2004 (http://www.theomag.de/27/ik6.htm) Vgl. auch Markus Mühling: Gott und die Welt in Narnia. Eine theologische Orientierung. Göttingen 2005 Sophie Albers, Ein Löwe ist ein Löwe. Netzeitung vom 8.12.2005 http://www.netzeitung.de/entertainment/movie/filmderwoche/371808.html Vgl. http://www.satt.org/film/03_02_berlinale-kurzfilme.html Zitiert nach http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/12602/ 32 'bb' 114-4/2005 fachbeitrag: anmerkungen zum islamischen religionsunterricht friedrich weber A. Vorbemerkungen Dass Religionsunterricht einen unverzichtbaren Beitrag für die Lebensdeutung junger Menschen und das Zusammenleben in unserer Gesellschaft leistet, ist nicht zu bezweifeln. Die überwiegende Zahl der Deutschen stimmen darin laut einer Emnid-Umfrage1 überein. So betrachten 85% „die Vermittlung von Grundwerten und die Beschäftigung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens“, wie sie u. a. Gegenstand des Religionsunterrichts ist, als bedeutsame Aufgabe der Schule. Rückblickend bezeichnen etwa 2/3 der Befragten das im Religionsunterricht Gelernte als „heute“ noch wichtig. Auch Muslime in Deutschland fordern einen islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen. Sie sind mit weit über 3 Mio. Menschen eine beachtliche Minderheit, die schon ziemlich lange hier lebt: Seitdem die Bundesrepublik 1961 mit der Türkei ein Anwerbeabkommen für so genannte „Gastarbeiter“ abgeschlossen hat, leben Muslime in größerer Zahl in unserem Land. Viele sind hier heimisch geworden. Ihr Aufenthalt ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern ein bleibender Faktor, der unsere Kultur und Gesellschaft nachhaltig prägt und verändert. Das Recht der freien Religionsausübung, auch wenn sie anderen Kulturen angehören, garantiert unsere Verfassung jedem Bürger. „Dies ist ein wichtiges Zeichen von Toleranz. Verständnis und Dialog sind für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit in einer freiheitlichen Demokratie unerlässlich. Diese Überzeugungen müssen nun auch ihren praktischen Ausdruck auch in der Weise finden, dass Lösungen für einen islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach entwickelt werden.“2 Es geht hierbei um einen Unterricht, der auch das Verständnis anderer religiösen Anschauungen erschließt – insbesondere die im Aufnahmeland prädominierenden Anschauungen – und der so zur Toleranz und zur Integration in die deutsche Gesellschaft beiträgt, der zudem auch den Austausch mit einheimischen Schülern möglich macht. B. Begründungen für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen die Begründung eines islamischen Religionsunterrichts übertragen lassen, die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts zulässig und geboten ist. Als problematisch erweisen sich allerdings die zu nennenden rechtlichen Probleme. 1. Anthropologische Gründe Kinder haben ein Recht auf Religion, sind doch die Fragen nach Sinn, nach Gott, Leben und Tod, Gerechtigkeit und Leid konstitutiv für das Menschsein und darauf angelegt eine Antwort aus einem religiösen Bezug zu erfahren. Die Auseinandersetzung mit religiösen Erfahrungen und Vorstellungen gehört zur Persönlichkeitsentwicklung. Von entscheidender Bedeutung sind Erziehung und Wertebildung im Elternhaus, in der Kindertagesstätte und Schule. Da die religiöse Erziehung im Elternhaus für viele Kinder eher marginal ist, bleiben sie mit ihrem Menschenrecht auf religiöse Bildung (Herzensbildung) allein. Kinder wollen keine allgemeinen und unverbindlichen Antworten auf ihre radikalen Fragen nach dem Leben und Sterben und nach einer die Immanenz übersteigende und diese überdauernde Wirklichkeit. Sie fragen nach Verlässlichkeit über den Tod hinaus. Kinder fragen nach Religion. Indem Kinder diese Fragen stellen, formulieren sie ihren Wunsch, in einem tieferen Sinne in einem Koordinationssystem, in einer verstehbaren Welt leben zu können. 2. Kulturgeschichtliche Gründe Für den christlichen Religionsunterricht gilt: Weil die Bibel, weil die christliche Theologie, weil die kulturellen auf Bibel und Tradition zurückgehenden Lebensäußerungen unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Gegenwart prägten und prägen, müssen Kinder sie kennen lernen, um einen Schlüssel für den Zugang zu ihnen zu gewinnen. Im Blick auf einen nötigen islamischen Religionsunterricht lässt sich dieses Argument nur bedingt verwenden. Dennoch ist es wirksam, leben wir doch – trotz dieser christlichen Prägungen – in einem von Multikulturalität bestimmten Umfeld. Außerdem erlaubt die Auseinandersetzung mit den Elementen von Schrift und Tradition auch die Erschließung familialer Grundierungen. Für die evangelische Kirche steht außer Zweifel, dass aus nachfolgend genannten Gründen, die zwar zur Begründung für den christlichen Religionsunterricht entwickelt wurden, sich aber, bei bestimmten Akzentuierungen, auf 33 'bb' 114-4/2005 3. Gesellschaftliche Gründe Weil Religion und deren Rituale den Hintergrund vieler öffentlicher und privater Wertesysteme, Feste und Feiern sind, weil in einer durch das Zusammenleben von Menschen mit sehr unterschiedlichen Religionen die Differenzen wahrgenommen und durchaus auch als Grenzen und Bedrohung erfahren werden, ist es nötig, dass Kinder im Religionsunterricht im Vertrautwerden mit der eigenen Religion deren Lebensäußerungen in Familie, Gemeinde und Öffentlichkeit verstehen lernen. Sie sollen im Kennenlernen der Religion einer großen Gruppe anderer deren „Geheimnis zu achten“ lernen, ein Grundverständnis der anderen Religion erwerben (Gemeinsames und Fremdes zur eigenen Religion) und damit zu einem von Respekt bestimmten Zugang zu andren religiösen Inhalten und Lebensformen finden. 4. Bildungstheoretische Gründe Ausgehend von Klafkis Bildungsbegriff, der durch das Ineinander der Kategorien Subjekt, Tradition und Gesellschaft bestimmt ist, wird Bildung als Selbstbildung mit dem Ziel der Subjektentwicklung „in Auseinandersetzung mit den durch die Tradition vorgegebenen kulturellen Gegenständen“3 verstanden. Die in diesem Prozess erfolgende Auseinandersetzung mit Wert- und Bekenntnisfragen kann Schüler zur „Selbstbildung und Wahrnehmung der Grund- und Menschenrechte befähigen“ und damit die „Entwicklung von Handlungsfähigkeit in der Gesellschaft zur Bewältigung von Zukunft“ ermöglichen.4 Hartmut von Hentig beantwortet 19965 die Frage: „Was für eine Bildung wollen wir den jungen Menschen geben?“ mit der Entwicklung von „Bildungskriterien“.6 Ich referiere sie zusammenfassend: a. Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit b. Wahrnehmung von Glück c. Die Fähigkeit und der Wille sich zu verständigen d. Ein Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz e. Wachheit für letzte Fragen f. Die Bereitschaft zur Selbstverantwortung und Verantwortung in der respublica.7 Die Fragen nehmen die Themen auf, die jeden Menschen zu jeder Zeit bewegt haben und bis heute bewegen. Es sind die Fragen nach menschlichem Erkennen: Wie ist die Welt und ich in ihr beschaffen? Kann ich überhaupt etwas Sicheres wissen? Nach menschlichem Handeln: Wie soll ich mein Leben führen? Was soll ich anstreben? Wie verhalte ich mich gegenüber meinen Mitmenschen? Und nach dem Glauben: Gibt es einen Gott? Ist der Mensch frei? Gibt es ein ewiges Leben? Diese drei Fragen führen nach Kant9 zu einer vierten: Was ist der Mensch? Es ist offenkundig, dass diese Maßstäbe und Fragen religiöse Dimensionen enthalten. Von Hentig führt, indem er an die „Wachheit für letzte Fragen“ anknüpft, aus: „Wer keine Beunruhigung durch letzte Dinge zeigt, bleibt ein unzu- 34 verlässiger, weil unkritischer, und ein geistig armer, weil geistig oberflächlicher Mensch. Wenn Bildung dazu beitragen soll, uns vor einem zweiten Auschwitz zu bewahren, dann muss sie zu jenen Fragen ermutigen, ihnen Sprache geben, ihnen einen hohen Rang einräumen, das heißt, die Menschen müssen Zeit auf sie verwenden. Bildung ist hier, wie in den meisten anderen Kriterien, eine Leistung der Gemeinschaft. Das dieses fünfte Kriterium Deutsche und fremde Deutsche, Gläubige und Ungläubige verbindet, bekräftigt, dass die geforderte Bildungserfahrung eine gemeinsame sein muss, also nicht in getrennten Einrichtungen und verschiedenen Einrichtungen gemacht werden sollte.“9 Nipkow merkt hierzu an: „Im Falle eines auch von evangelisch amtskirchlicher Seite befürworteten islamischen Religionsunterrichts steht die Frage der Kooperation mit ihm auf der Tagesordnung der Kirchen.“10 Die angesprochenen Fragen sind die wesentlichen Fragen menschlicher Existenz und Sozialität. Sie bilden das Zentrum des Religionsunterrichts. Widmet sich der Religionsunterricht ihnen, wird er einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Menschenbildung leisten. Auf einen islamischen Religionsunterricht angewandt ergeben sich folgende Bestimmungen: a. „Der Religionsunterricht weckt und reflektiert die Frage nach Gott und motiviert zum religiösen Leben. Islamischer Religionsunterricht kann dann zum Integrationsinstrument werden, weil er muslimischen Kindern zeigt, dass ihre Religion einen anerkannten Platz in dieser Schule, in dieser Gesellschaft findet. Islamischer Religionsunterricht kann zum Ort der Aufklärung werden, wenn in ihm Wege zum friedlichen Zusammenleben zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen gebahnt werden. Islamischer Religionsunterricht gehört in die staatlichen Schulen, weil die Schule der wichtigste Ort der Begegnung von Kulturen und Religionen in dieser Gesellschaft ist. b. Der Religionsunterricht stiftet ein vertieftes Verständnis der eigenen religiös-kulturellen Herkunft und fördert Aufgeschlossenheit und Interesse gegenüber anderen Religionen und Kulturen. Christliche Identität soll sich heute in Relationalität, nicht in Konfrontation, als dialogische Identität, Geschwisterlichkeit mit den anderen abrahamitischen Religionen verwirklichen. Islamischer Religionsunterricht ist damit also Identitätsunterricht, ein Beitrag zur Pflege islamischer Identität in nicht-islamischer Umwelt, aber auch zur Entwicklung eines Islam für diese europäische Gesellschaft.“11 5. Rechtliche Probleme bei der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG ist der Religionsunterricht in öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach, das „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt werden muss. Dies bedeutet, dass Eltern, Erziehungsberechtigte und Schüler grundsätzlich anspruchsberechtigt sind. „Deren subjektive 'bb' 114-4/2005 Rechte beruhen auf Art.7 Abs. 2 und 3 GG sowie auf Art. 4 Abs. 1 und 2, 6 Abs. 2 GG. Die verfassungsrechtliche Position – an erster Stelle: der Schüler beruht auf der Religions-und Glaubensfreiheit und dem damit gegebenen Recht auf Persönlichkeitsbildung und -entfaltung im religiösen Bereich. Der Religions -und Glaubensfreiheit entspricht so hinsichtlich des Religionsunterrichts ein Anspruch grundrechtlichen Charakters.“12 Voraussetzung der Einrichtung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach ist allerdings, dass er in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt wird. Für den christlichen Religionsunterricht wird dies durch die evangelische und katholische Kirche erklärt. Da ein für die Gemeinschaft der Muslime sprechender Partner für den Staat nicht erkennbar ist, liegt hier ein grundsätzliches, nicht gelöstes Problem vor. Ebenfalls erweist sich als Problem, dass nach Art. 7 Abs. 3 GG die Zugehörigkeit der Schüler zur besagten Religionsgemeinschaft eindeutig sein muss. Dies bedeutet, dass sich eine für die Gemeinschaft der Muslime sprechende Größe – so wie der Rat der EKD für die Evangelische Kirche – konstituieren müsste, um die Übereinstimmung des Unterrichts mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft festzustellen und um die Frage der Zugehörigkeit der Schüler zur Religionsgemeinschaft zu definieren. Solange diese wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht erfüllt sind, kann der islamische Religionsunterricht nicht als ordentliches Lehrfach entsprechend Art. 7 Abs. 2 und 3 bewertet werden. C. Übergangslösungen und Voraussetzungen für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts Die Notwendigkeit, islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzuführen, ist zwar schon 1984 im Rahmen der Kultusministerkonferenz bundesweit gefordert worden (Beschluss vom 20.03.1984), doch gibt es bislang nur „Schulversuche“. Diese in Niedersachsen13, Nordrhein-Westfalen und Bayern entwickelten Formen sind ein wichtiger Schritt, um die Ersatzkonstruktionen wie die „Religiöse Unterweisung“ im Rahmen des Muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts (MEU) zu ersetzen.14 Hinsichtlich des Ansprechpartners15 für den Staat könnte eine Übergangslösung nach den Empfehlungen der „Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft“ von 2002 sich von folgender Überlegung leiten lassen: Da das verfassungsrechtliche Zentrum von Art. 7 Abs. 3 aber im Grundrecht der Schüler, Eltern und Erziehungsberechtigten auf Religionsfreiheit und dem damit unter bestimmten Voraussetzungen gegebenen subjektiven Recht auf Gewährleistung des Religionsunterrichts liegt, sollte der Begriff der Religionsgemeinschaft zumindest für die eine Erprobungsphase organisationsoffen „und in einer das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften berücksichtigenden Weise konkretisiert werden.“16 Die so zu schaffenden Übergangslösungen könnten als „religionsbezogener“ Unterricht – allerdings nicht mit Pflichtcharakter – angesehen werden. Für diese müssen die auch für den Religionsunterricht der christlichen Konfessionen geltenden und bewährten Regeln aus Gründen der staatlichen Schulhoheit und Schulaufsicht, die das auf der Religionsfreiheit beruhende Selbstverwirklichungsrecht der Religionsgemeinschaften begrenzen, angewandt werden. Dies bedeutet, dass Lehrpläne, Unterrichtsmaterialien, Erziehungsziele, didaktisches und methodisches Niveau des Unterrichts mit dem Leistungsprofil anderer Fächer vergleichbar sein müssen.17 Entsprechend gilt für die Unterrichtenden, dass sie eine Befähigung zum Unterricht nachweisen müssen, die der den an staatlichen Schulen in Deutschland Unterrichtenden entspricht. Die Inhalte des Unterrichts bestimmen die Religionsgemeinschaften, auch gestalten sie die Ausbildung der Unterrichtenden – soweit sie religionsbezogen ist – mit (Prüfungen). Die Unterrichtssprache muss deutsch sein. Dies gilt auch für Unterrichtsmaterialien. Gerade bei den zu entwickelnden Materialien ist ein besonderes Gewicht auch auf die Art der Darstellung des Christentums und des Judentums zu legen. Andrerseits sind Lehrbücher für den christlichen Religionsunterricht hinsichtlich ihrer Darstellung des Islams zu überprüfen. 18 Bei der Einrichtung des Religionsunterrichts ist der Staat aus Gründen der Organisationsdefizite der muslimischen Gemeinschaft nicht zur Zusammenarbeit mit den bestehenden Dachverbänden verpflichtet, da diesen die Anerkennung durch die Religionsangehörigen fehlt, sie somit keine religionsbezogene Autorität besitzen. Die örtlichen Religionsvereine o. ä. gewährleisten keine auf Dauer angelegte Verfasstheit. Zur Realisierung von Erprobungsmodellen (Erstellung vorläufiger Curricula) könnte die Kultusbehörde mit Islamwissenschaftlern, Religionspädagogen, muslimischen Fachleuten sowie muslimischen Eltern und bestimmten regionalen Zusammenschlüssen von Muslimen zusammenarbeiten. Nötig aber bleibt die Klärung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach. Anzumerken ist noch, dass auch dieser hier als Erprobungsmodell skizzierte Unterricht nicht als staatlich verantwortete neutrale Wissensvermittlung verstanden werden darf. Eine islamische Religionskunde kann nicht die religionsspezifischen Qualitäten des Religionsunterrichts sicherstellen. Klärungsbedarf besteht hinsichtlich verschiedener Fragen, die auch eine deutliche Spannung zu den in Deutschland geltenden Verfassungsprinzipien und Grundrechten erkennen lassen. Hierzu zählen insbesondere: • Bedeutung der Scharia, Dschihad, Geschlechterverhältnis undReligionsfreiheit.19 • Menschenrechte müssen unabhängig von Religionen entwickelt werden. • Eine wichtige Aufgabe wird es sein, den Geist des Islams und seiner Vorschriften im Licht der modernen Wirklichkeit neu zu interpretieren. So auch: Textkritische Arbeit am Koran 35 'bb' 114-4/2005 • • Muslimische deutsche Staatsbürger werden zu fragen sein, ob sie das Grundgesetz prinzipiell achten, auch wenn sie die Mehrheit wären (islamische Charta des Zentralrates der Muslime gibt hierauf keine Antwort). Es geht nicht nur darum, muslimische Identität zu bewahren (These 19 der Charta), sondern im historischen Prozess eine Neuorientierung als Islam in Europa weiterentwickeln. D. Ergebnisse der Auswertung gegenwärtiger Modellversuche Zum Schluss referiere ich noch kurz Ergebnisse und Thesen der Stuttgarter Tagung20 zur Auswertung bestimmter Modellversuche, die 2005 von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Universität Bayreuth und der Universität Erlangen-Nürnberg in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung durchgeführt wurde. 1. Die Schulversuche zeigen eine breite Akzeptanz bei Eltern und Schülern. 90–100% Beteiligung von Schülern ist die Regel. Voraussetzung ist eine intensive Überzeugungsarbeit durch die Lehrkräfte. 2. Lehrkräfte gewinnen einen „vertieften Einblick in die tatsächliche Lebenssituation muslimischer Jugendlicher in Deutschland, insbesondere auf religiöse Fragen“. Umgekehrt wirkt der Unterricht in die Elternhäuser zurück und „verbessert die Integration der muslimischen Schüler und Schülerinnen in das Schulleben und in ihr unmittelbares soziales Umfeld.“ 3. Nötig ist eine „schulartspezifische Fachdidaktik“. 4. Eine grundständige fachspezifische Ausbildung der Lehrkräfte, entsprechend der Ausbildung evangelischer und katholischer Religionslehrer ist nötig. Dies setzt eine Professionalisierung „im Kernbereich einer künftigen Islamischen Theologie und Religionspädagogik“ voraus. Die Einrichtung von entsprechenden Professuren ist erforderlich. 5. Für die Sozialisation und Identität von Kindern religiöser Minderheiten ist es dringend erforderlich, dass bei der Lehrplanentwicklung auf folgende Gesichtspunkte geachtet wird: • Reflexion und Darstellung der Vielfalt in der eigenen Religion, die differenzierte Wahrnehmung nationaler, ethnischer und religiöser Identitäten, • Stärkung der Schülerinnen und Schüler gegenüber den Bedrohungen durch Ideologisierungen der Religion, • vorurteilsfreie und an der authentischen Begegnung orientierte Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Lebensentwürfe, • Vermittlung theologisch begründbarer Methodenkompetenzen (Umgang mit den eigenen Quellen, Dialogbereitschaft...), • Wissen um die Geschichtlichkeit religiöser Traditionen. 36 E. Fazit Um das hohe Gut der Religionsfreiheit im schulischen Kontext zu gewährleisten, bin ich davon überzeugt, dass Übergangslösungen, die allerdings kein ordentliches Lehrfach auf Dauer ersetzen dürfen, in dieser schwierigen Situation nötig sind. Bemerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Veröffentlichung der Pressestelle der EKD am 13. Nov.2001 Wolf-Dieter Just, „Islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen? – Perspektiven für NRW, in: epd-Dokumentation 2/00, 1 Andrea Schulte/Ingrid Wiedenroth-Gabler, Religionspädagogik, Stuttgart 2003, 42 Schulte, a.a.O., 43 Hartmut von Hentig, Bildung -Ein Essay, München/Wien 1996 von Hentig, a.a.O., 76 Karl Schneider, Auf dem Weg zum islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen, in: Glaube und Lernen 18,2003, Immanuel Kant, Vorlesung zur Logik 1800 von Hentig, a.a.O., 95f Karl-Ernst Nipkow, Die Zukunft der Religions-und Kulturbegegnung, Hamburg 1998,198 Wagner, a.a.O., 157 Empfehlungen zum islamischen Religionsunterricht. Arbeitsgruppe „Kirchenrecht und Staatskirchenrecht“ an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, in: epdDokumentation, 32,2002, 30-33, 30 cf. Rolf Bade/Edeltraud Windolph, „Islamischer Religionsunterricht“ – ein niedersächsischen Schulversuch, in: SVBl 12/2003, 389ff „Die Verantwortung für diesen Unterricht liegt in einigen Bundesländern bei den diplomatischen oder konsularischen Vertretungen der Türkei, in anderen bei den Kultusministerien. Im Dienst der jeweiligen Bundesländer wird er von türkischen Lehrerinnen und Lehrern erteilt, die vielfach von der Türkei bestellt und für die Dauer von 5 Jahren abgeordnet werden. Aber diese „Religiöse Unterweisung“ ist kein Religionsunterricht im Sinne von Art. 7,3 GG. Sie hat den Charakter von Religionskunde -es geht eher um Wissensvermittlung, nicht um Glaubensvermittlung und religiöse Identitätsbildung.“ Just, a.a.O., 1 Als Partner werden gelegentlich genannt: Islamrat für die BRD, Zentralrat der Muslime in Deutschland, DITIB: Türkisch islamische Union der Anstalt für Religion, VIKZ: Verband der islamischen Kulturzentren (750 Moscheen) hat sich aber vom Zentralrat getrennt. ebd., 31 Für Niedersachsen hat das Kultusministerium Rahmenrichtlinien für den Schulversuch „Islamischer Religionsunterricht“ vorgelegt.(AZ. 305-82161/1-15 Stand: 27.5.2003) Maßgebliche Repräsentanten der muslimischen Organisationen und Vereine „haben sich gegenüber dem Land … damit einverstanden erklärt, dass im Rahmen eines Schulversuchs ‚Islamischer Religionsunterricht‘ in deutscher Sprache an ausgewählten Grundschulen des Landes auf der Grundlage dieses Lehrplans erteilt wird.“ Rahmenrichtlinien, 3 Eine erste kritische Bestandsaufnahme findet sich in Klaus Hock/ Johannes Lähnemann (Hg.), Die Darstellung des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder, Teil 1 = Pädagogische Beiträge zur Kulturbegegnung Bd. 21 (Ägypten und Palästina, erarbeitet von Wolfram Reiss), Schenefeld 2005 Spezifische islamische Werte und theologische Haltung, die in Spannung zu dem Wissenschaftsbegriff eines RU als ordentlichem Lehrfach stehen, finden sich – nach Glagow – im Anhang 2. Auf dem Weg zum Islamischen Religionsunterricht (IRU) – Ergebnisse und Thesen der Stuttgarter Tagung 2005 'bb' 114-4/2005 fachbeitrag: spiel und spielzeug auf der schwelle eines neuen zeitalters hein retter 1. Das Spiel als Gegenstand der Erinnerungsverklärung „Drei neue Straßen haben seit jener Zeit die Gestalt der Stadt so verändert, daß ich mich mit Mühe darin zurechtfinde... Die Priesterkoppel, wo ich durch meinen Papierdrachen Korrespondenz mit den Wolken pflog, ist jetzt mit einem Häuser­ meer bedeckt; wo ich sonst in jugendlicher Lust dem Ballspiele oblag, werden jetzt Bälle gegeben; der alte trauliche, in süßer Heimlichkeit verschlos­ sene Bullenwinkel hat seine geöffneten Räume den Strömen des Verkehrs übergeben müssen, und der alte Bauhof mit seiner schönen großen Mistpfütze, in die ich zum Schrecken meiner guten Mutter regelmäßig jeden Winter ein oder mehrere Male mit dem Eise einbrach, ist zum fashionablen West­ ende der Stadt geworden, und wo wir Knaben frü­ her im idyllischen Spiel mit den Kälbern, Lämmern und Füllen des alten Nahmacher umhersprangen, wird von den gebildeten Töchtern der Hautevolee jetzt Polkamazurka eingeübt“.1 So beschrieb der niederdeutsche Schriftsteller Fritz Reuter (1810–1874) 1855 seine Kindheit in seiner Vaterstadt Stavenhagen. Erinnerungsverklärung der guten alten Zeit, in der Kinder noch richtig spielten, gab es also auch schon im 19. Jahrhundert. Seitdem liegt uns ihre Pflege besonders am Herzen. Heute, in einer Welt voller Risiken, ist es üblich geworden, Vorträge über Kinderspiel und Medien zum Anlass für das Verkünden von Hiobsbotschaften zu nutzen. Als verantwortungsbewusste Eltern und Pädagogen sind wir darauf eingestimmt, den allgemeinen Niedergang der Spielkultur zu bedauern. Wir trauern um das Verschwinden jener Spiele, die wir Eltern und Großeltern in unserer Jugend auf der Straße mit Nachbarkindern noch gespielt haben. Ja, dieses ständige Fernsehen und Computerspielen der Kinder, dagegen muss man doch etwas unternehmen, stöhnen wir, um im nächsten Augenblick den Fernseher einzuschalten: „Muß doch mal sehen, was in den Nachrichten kommt!“ Jedenfalls sind uns der hohe Medienkonsum und das offensichtliche Verschwinden traditioneller Straßenspiele wie „Hopse“, „Halli hallo“ oder „Murmeln“ ab und zu Anlass zur Bekundung äußerster Sorge. Und natürlich sollten wir angesichts dieses Themas hier und heute die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, die Lage wieder einmal als besonders ernst zu bezeichnen. Dies sage ich, Sie merken es schon, mit einem gewissen Augenzwinkern. Das „Spiel“ mit verteilten Rollen, in welchem Experten, Pädagogen und Eltern ihren Part haben, ist uns seit langem bekannt. Denn wir spielen es mit! Was tun Experten in einer risikoreichen Welt? Sie warnen. Was tun Pädagogen? Sie klagen. Und die Rolle der Eltern ist es bekanntlich, hilflos zu sein – oder zumindest Verunsicherung zu zeigen. Experten warnen, Pädagogen klagen, Eltern sind verunsichert – so lauten in der Regel die Rollenzuweisungen, die von Presse und Fernsehen verbreitet werden, wenn die Lage der Erziehung erörtert, der Niedergang der sprachlichen Fähigkeiten medienverwöhnter Kinder bedauert und die Angleichung ihrer Sprachkompetenz an das Niveau von „Teletubbies“ befürchtet wird. Dabei vergisst man, dass das Kinderspiel in den Ländern der westlichen Welt mit hohem Lebensstand in einer Weise gefördert wird, wie man es überall dort auf der Welt, wo die Menschen täglich ums Überleben kämpfen, gewiss nicht vorfindet. Wo liegt das Problem? Das Problem hat direkt nichts zu tun mit unseren „Sündenböcken“ - das Fernsehen, die Medien, das Computerspiel -, sondern es liegt in den unbegrenzten Wahlmöglichkeiten innerhalb der Kommunikationskultur. Das Kinderspiel ist Teil einer tra­ditionellen Kommunikationskultur mit begrenzten Auswahlmöglichkeiten. Spielen bedeutet ja im Grunde, motiviert sein, immer wieder dasselbe zu tun, immer wieder mit dem Ball, mit den Puppen oder etwa „Memory“ zu spielen. Das eigentliche Problem der modernen Gesellschaft liegt im Bösen des Guten: im Überfluß der Wahlmöglichkeiten, mit denen uns die miteinander konkurrierenden Erlebnis- und Begegnungsmöglichkeiten konfrontieren. Wir geraten in Zeitnot und Terminstress. Anstatt einige wenige feste soziale Kontakte, haben wir eine Fülle verschiedener soziale Interaktionen zu bewältigen. Die neuen Formen sozialer Interaktion mittels Handy und Internet schaffen einerseits eine ganz neue Kommunikationskultur, andererseits fordern sie von uns erhöhte soziale Selektionsleistungen. Die Zahl derjenigen, mit denen wir kommunizieren und die Zahl der erlebnisorientierten Angebote, über die wir entscheiden müssen, ist so gewaltig, das unsere Zeitpläne hochkompliziert werden. 37 'bb' 114-4/2005 Indem die Konsum- und Freizeitgesellschaft uns alle nur denkbaren Erlebnis- und Kommunikationsmöglichkeiten erschließt, verfügt sie gleichzeitig auch mehr und mehr über unsere Zeit. Die Identifikation mit wechselnden Leitfiguren, Moden und Lebensstilen macht das Leben interessanter, aber die Konditionierung auf den Reiz des Neuen, führt schon bei Kindern zur Prägung einer Vielzahl von Bedürfnissen, die durch die kommerzielle Kinderkultur befriedigt werden und den Reiz traditioneller Spiele in den Hintergrund treten lassen. Ich möchte mein Thema im folgenden an der veränderten Rolle des Spielzeugs erläutern. 2. Spiel und Spielzeug im Sog der Medien Das klassische Verständnis des Kinderspiels wurde bis in die letzten Jahrzehnte durch ein Spielwarenangebot realisiert, das aus zwei Gründen attraktiv war, • einmal weil es bestimmte Grundbedürfnisse des Kindes befriedigte, denken Sie an den Siegeszug von Lego, • zweitens weil immer wieder neue kreative Spielideen das Angebot belebten – echte Spielideen, die einerseits eine intellektuelle Herausforderung darstellen, andererseits im besten Sinne Unterhaltung sind und Vergnügen bereiten – denken Sie nur an Ernö Rubiks „Zauberwürfel“ (Rubik’s Cube), der ab 1980 die Welt eroberte. Was ist daraus geworden? Der geniale Rubik–Würfel ist heute völlig von der Erdoberfläche verschwunden, so dass man ihm einen Ehrenplatz in einem modernen Spielzeugmuseum geben muß. Der Spielzeug-Gigant Lego aber hatte im letzten Jahr 1 Milliarde Kronen Verlust und muss drastische Sparprogramme fahren. Die Ursache dafür sehen die Verantwortlichen bei Lego eindeutig in den Neuen Medien, die das Interesse der Kinder auf sich ziehen. Lego brauchte viele Jahrzehnte, damit es zum bekanntesten Markenspielzeug in Deutschland wurde. Die Teletubbies schafften es innerhalb von 12 Monaten, denselben, wenn nicht einen noch höheren Bekanntheitsgrad zu erreichen. Erste These: Alle Spielmittel und fast alle Spiele der Kinder stehen heute im Sog der elektronischen Unterhaltungsmedien. Die klassische Theorie des Kinderspiels betrachtet Spielen als „ein universelles, geradezu unverzichtbares Moment der Erfahrung von Kindheit“ (Hoppe-Graf/Oerter 2000, S. 231). Doch die Veränderungen medialer Kommunikation wecken Zweifel, ob Spielen für Kinder heute tatsächlich noch eine universale Erfahrung darstellt. Konventionelles Spielen ist handelnder Umgang im dreidimensionelen Raum mit oder ohne Spielzeug, modernes Spielen ist Agieren, Reagieren und Abreagieren vor einem zweidimensionalen Bildschirm. Marcel Proust (1871–1922), der 38 französische Schriftsteller, schrieb die letzten 15 Jahre seines Lebens an seinem epochaeln Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (A la recherche du temps perdu). Heute, fast 100 Jahre später, sind Spielpädagogen auf der Suche nach der verlorengegangenen dritten Dimension im Spiel. Sie gibt es nur noch im Kleinkindalter, denn später überwiegt eindeutig das Bildschirmspiel. Ist das eindrucksvolle graphische Layout der heutigen Computerspiele schon an sich faszinierend, so wirkt die lebensechte Verbindung von schnellem Szenen­wechsel der Bilder, der Handlung und der Sprache für Kinder ungeheuer anzie­ hend – hierin vergleichbar nur mit dem Aufforderungscharakter von Zeichentrickfilmen. Bildschirmspiele werden von den Kindern als spannungsvolle Herausforderung aufgesucht und dienen gleichzeitig der Abreaktion der aufgenommenen Spannung. Es geht beim medialen Spielkonsum um mehr als nur um das Produzieren wechselnder Bilder, es geht vielmehr um das Management der aktivierten Erregungsmuster. Dem steht allerdings nichts entgegen, innerhalb der Familie konventionelle Spielformen wiederzuentdecken. Jene persönlichen Beziehungen und sozialen Interaktionen, die die individuelle Mediatisierung der Erfahrung ausblendet, sind im konventionellen Spiel selbstverständlich. Gerade weil das größere Zeitquantum dem Bildschirmspiel gehört, bildet das Spielen in der Familie eine qualitativ hochwertige Alternative und hat auch heute durchaus eine Chance – wenn sich Eltern genug Zeit für ihre Kinder nehmen – und nicht ihren eigenen Beziehungsproblemen gefangen bleiben. Im Spiel kann – um mit M. Proust zu sprechen - ein Stück „wiedergefundener Zeit“ lebendig werden. 3. Spielzeug als Ideenträger für Konsum und Kultur – Schlüsselreize Bezeichnenderweise sind die attraktivsten und ökonomisch erfolgreichsten Spielmittel heute diejenigen, deren Besitz nicht um einer bestimmten Spieltätigkeit willen erstrebenswert ist. Pokemon-Karten dienen nicht, wie Skat– oder Quartettkarten dem Spiel, man will sie tauschen, besitzen und möglichst wertvolle Karten erwerben. Sie dienen nicht dem Spiel, sondern dem Besitzstreben, denn sie sind zum Statussymbol geworden, steigern das Selbstwertgefühl und die Wertschätzung innerhalb der Freundesgruppe. War Spielzeug früher immer ein Gegenstand, dessen Wert allein in seiner Spielfunktion bestand, ist dies heute anders geworden. So wie die Gentechnik aus abgetriebenen menschlichen Föten das Zellmaterial gewinnt, um nach Wunsch der Aufftraggeber ein bestimmtes Körperorgan zu produzieren, ist Spielzeug zum Rohstoff geworden, mit dem attraktive Ideen zielgruppengerecht vermarktet werden. 'bb' 114-4/2005 Zweite These: Das Zeitalter des Spielzeugs als „Zeug zum Spielen“ hat ausgespielt; das Zeitalter des Spielzeugs als Ideenträger für Konsum und Kultur hat begonnen. Die Stichworte, die diesen Prozess vorantreiben, heißen: Medienpräsenz und Marketing. Spielmittel figurieren heute in hohem Maße als normative Leitbilder einer hochentwickelten Kultur des Konsums und der Unterhaltung: Sie sind Werbeträgern von Ideen, verkörpern Produkt-Philosophien und Marketing-Konzepte wie kaum ein anderer Kulturgegenstand. So wie es einem weltbekannten Getränkekonzern gelang, den Markennamen einer braunen trinkbaren Flüssigkeit mit der Idee von der „süßen, prickelnden Lebenserfahrung“ zu verbinden und damit den Namen „Coca Cola“ in der ganzen Welt unauslöschlich einzuprägen, werden heute alle bedeutenden Produkte der Konsumkultur einem ausgefeilten Marketingprozess unterworfen. Marketing bindet das Produkt an atraktive Ideen, welche Identifikaton, Besitzwunsch und Dauerbindung der Zielgruppe für eine möglichst lange Zeit sichern. In der Spielwarenindustrie gelang dies der Firma Mattel mit Barbie in beispielhafter Weise. Ganze Generationen von Mädchen waren und sind der Barbie.Puppe verfallen. Warum? Sie hat körperliche Idealmaße, trägt wunderschöne Kleider sowohl betont als auch verhüllt, dargeboten in einer ästhetisch unwiderstehlichen Weise, die Schönheit und hohe soziale Akzeptanz signalisiert. Die außerordentliche Attraktivität von Spielmitteln, welche geschlechtsspezifische Leitbilder vermitteln, kann heute von der klassischen Verhaltensforschung und von der modernen Soziobiologie erklärt werden. Wenn für das weibliche Geschlecht körperliche Schönheit und soziale Akzeptanz, für das männliche Geschlecht dagegen körperliche Stärke und Klugheit Wunschideale darstellen, so hat dies etwas zu tun mit den unterschiedlichen Werbestrategien der Geschlechter, die bei der Frau Schönheit als Indiz für gesunden Nachwuchs, soziales Ansehen als Indiz für den aktivierten Brutpflegeinstinkt deuten läßt, während der Mann evolutionsbiologisch sowohl körperliche und geistige Überlegenheit gegenüber Konkurrenten ebenso wie die Fähigkeit zur Sicherung des Nachwuchses vor Hunger und Feinden unter Beweis stellen muß. Natürlich überlagern kulturspezifischen Faktoren das Prinzip der Fitnessmaximierung beim Menschen. Die Wirksamkeit evolutionsbiologisch sinnvoller Schlüsselreize sollte keinesfalls unterschätzt werden. Wir reagieren auf Schlüsselreize, diese Reaktionen sind in unserem Erbgut fixiert, und die Werbung macht sich dies Zunutze. Bestandteil des Marketing ist die zielbewußte Vermarktung eines bekannten Namens oder eines Symbols mit höchster Ausstrahlung. Dadurch, dass andere Produkte den Namen oder das Symbol tragen, wird einerseits die Verkaufsrate dieser Produkte erhöht, andererseits die Bekanntheit des Ideenträgers unterstrichen. Ich nenne ein Beispiel: Janosch gehört zu den bekanntesten deutschen Kinderbuchautoren. Sein Markenzeichen ist die gelbschwarz gestreifte Tigerente. Der Handels-Umsatz mit schwarz-gelb gestreiften Janosch-Produkten beträgt über 250 Mill.DM – von der Karneval-Pappnase bis zum „Panama-Kinderhaus“. Der Aufschwung von Lizenzartikeln erschließt einem lange vor sich hin dümpelnden Spielwarenmarkt völlig neue Dimensionen. Zu Lizenzartikeln werden Spielmittel, wenn sie eine von einem Namen oder einer Idee bestimmte inhaltliche Auskleidung erfahren, die von einer Lizenzagentur gekauft wird. dementsprechend wird aus einem Puzzle ein Pokémon-Puzzle, eine Stoff-Figur wird als Pikachu oder als Kermit aus der Sesamstraße angeboten. Der hohe Bekanntheitsgrad und die damit verbundene Popularität von bestimmten Namen, Marken und Charakteren dient der erfolgreichen Aufwertung der Produkte. Die Rechte für das Lizenzthema „Harry Potter“ sicherten sich die bekannten Spielzeug-Konzerne Mattel, Hasbro und Lego mit einer Gesamtsumme von 50 Millionen US-Dollar. Dritte These: Je erfolgreicher ein Spielzeug Marktanteile erobert, desto weniger ist es Mittel zum Spiel, um so mehr aber Statussymbol und Identifikationsobjekt. Spielzeug wird heute in erster Linie gekauft, weil es unsere Wunschbilder und Visionen befriedigt. Mickymaus, Mythen und Monster sind deshalb zu Bestseller–Sujets geworden, weil sie die Phantasie beleben, gleichzeitig aber auch Narrativität, Witz und Gefühlsstärke ausstrahlen, worauf Kinder positiv reagieren. 4. Das Kinderspiel – ein Opfer des Modernisierungsprozesses? Spiel und Spielmittel sind ein kulturelles Überschussphänomen. Je reicher eine Kultur, je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto mehr wird auch in der Regel auch für Spielmöglichkeiten gesorgt sein. Und nur deshalb wird Spiel auch als Krisenphänomen diskutiert. In der jüngsten Zeit sind in den hochtechnologisierten Gesellschaften neue Entwicklungen erkennbar: Je stärker der Modernisierungsprozess voranschreitet, desto mehr beginnt sich das allgemeine Konzept „Spiel“ zu aufzulösen. Spiel ist nicht mehr die – alle anderen Aktivitäten des Kindes einschließende – Form der Welterschließung. Es verbleibt dort als Bestandteil einer traditionsgebundenen Sozialisationsform, wo die hochmodernisierten Formen der Erziehung noch nicht greifen oder wo sie sogar bewußt abgelehnt werden – wie etwa im Falle alternativer Erziehungsmilieus mit ökologischem Einschlag. Vierte These: Spiel als allgemeines Sozialisationskonzept ist zum Kennzeichen traditioneller Erziehung und traditioneller Gesellschaften geworden, während die allgemeine Bedeutung 39 'bb' 114-4/2005 des Spiels in hochmodernen Gesellschaften zugunsten einer hochselektiven Auswahl der situativen, sozialen und medialen Kontexte des Freizeitverhaltens zurücktritt. Modernisierte Formen der Erziehung sind karrierebewußt, selektiv in der Auswahl der Peer group und zeitlimitiert in der Auswahl von Freizeitaktivitäten. In der modernisierten Erziehung existiert das Spiel als „natürliche“ allgemeine Tätigkeitsform spätestens nach dem 10. Lebensjahr nicht mehr. In hochmodernen Erziehungsmilieus karrierebewußter Eltern steht nicht das Spiel, sondern die Zeitorganisation im Vordergrund. Kinder mit hochmodernem Sozialisationshintergrund zeichnen sich aus durch eigenverantwortlichen Um­gang mit Zeit und genaue Vorstellungen über „sinnvolle Freizeit“. Die Kinder haben ein breites Akti­vitätsspektrum, stehen häufig sozial im Mittelpunkt und verfügen über ein fein gestuftes soziales Netz­werk von Freunden. Im traditionalen Kinderleben gibt es weniger feste Termine, es gibt mehr „freie Zeit“, d.h. die Zeit­nutzung ist weniger intensiv, das Aktivitätsspektrum ist weniger breit, wenn auch das Interessen- und Aktivitätsspektrum nicht als gering zu bezeichnen ist. Jungen- und Mädchenwelten sind stärker von­einander getrennt, ein eigenes Zimmer ist allerdings nicht selbstverständlich. Traditionale Kinder sind stärker auf nachbarschaftliche Kindergruppen bezogen und leben stärker familienorientiert. Je stärker traditionelles Spiel schwindet, desto stärker bemüht sich die Pädagogik, es am Leben zu erhalten. Heute führt das Feld institutionalisierter Spielangebote über vorschulische Einrichtungen weit hinaus. Großstädte bieten pädagogisch betreute „Abenteuerspielplätze“ an, weil das Abenteuer in der Natur in weite Ferne gerückt ist. Private Anbieter bauen großflächige „Eventparks“, die fiktive Spielwelten für erlebnishungrige Besucher bereit halten. Museen offerieren heute Aktivspiele in jenen Formen an, die in der Sozialisation der Kinder schon im Verschwinden begriffen sind. Leiter von Management– Trainingskursen planen für Führungskräfte naturnahe „adventure-events“, um Solidarität und Führungsstärke zu schulen. Angesichts der hohen Medienrezeption erscheint es naheliegend, Spiele zur Aktivierung unserer Sinne zu einem besonderen pädagogischen Anliegen zu machen. Aber wenn das Spiel nur noch als Mittel alternativer Pädagogik dient, dem Medienrezeption wenigstens symbolisch etwas Eigenaktivität entgegensetzen zu wollen, haben wir uns weit von dem Gedanken entfernt, Spiel sei heute etwas Selbstverständliches, Naturwüchsiges, das jedem Kind zukomme. „Spielen“ scheint mehr denn je in divergenten Aktivitäten zum Ausdruck zu kommen und in differente soziale Kontexte eingebunden zu sein, in Form globaler Medienrezeption allerdings auch ethnische und soziale Grenzen zu überschreiten. Der aktive virtuelle Mord und Aggression jeglicher Art, sind im Computerspiel für Kinder so normal, wie sie dies von den Fernsehfilmen her kennen. Klinische Erfahrungen verweisen auf den Tatbestand, dass Kinder mit 40 schweren Beziehungsstörungen unfähig sind, die Grenze zwischen fiktiver und realer Aggression wahrzunehmen: Das Überangebot an fiktiver Gewalt im Bildschirmspiel begünstigt möglicherweise die Tendenz, sie auch realiter als „normales“ Mittel der Auseinandersetzung zu empfinden. Aber die eigentliche Botschaft des Spiels sieht ganz anders aus. 5. Die Botschaft „Dies ist Spiel!“ Spielen sei, so behaupten kluge Köpfe, für den Menschen notwendig. Was heißt das? Notwendig ist etwas, das eine „Not wendet“. Die Botschaft „Dies ist Spiel“! ist immer verbunden mit einem Lächeln, einer einladenden Geste, und sie wird überraschenderweise überall auf der Welt verstanden. Diese Botschaft ist nicht nur ein Zeichen für Frieden, sie signalisiert auch eine Verheißung: Dass wir uns der Nöte des Alltags entledigen und im Spiel einen Erfahrungsraum betreten, der gleichsam zwischen „Himmel und Erde“ liegt: nämlich zwischen der Geworfenheit in die Zeitlichkeit des Daseins und der Hoffnung auf Ewigkeit. Das Spiel gewährt uns einen Vorgeschmack auf die Erfüllung dieser Hoffnung: Denn im Spiel erfahren wir das zeitenthobene Glück des Augenblicks. Wer einen anderen Menschen von Herzen liebt, weiß um das Stehenbleiben der Zeit im Moment der existentiellen Begegnung. Aber die große Liebe gibt es nur einmal im Leben – mit einem einzigen Menschen. Die Chance, das Glück des Augenblicks mit sehr vielen Menschen – und immer wieder aufs Neue – gemeinsam zu erfahren, bietet nur das Spiel. 6. Schluss: Ein pädagogischer Ausflug zu Johann Sebastian Bach Ist die Erziehung heute nicht viel komplizierter geworden und wird sie nicht ständig durch außerpädagogische Einflüsse in Frage gestellt? Viele Eltern würden das vermutlich bejahen, aber die Frage selbst stand schon vor knapp 300 Jahren in aller Öffentlichkeit zur Diskussion und war sogar Gegenstand öffentlicher Unterhaltung. Der Leipziger Postbeamte Henrici (1700–1762), der unter dem Namen Picander dem Thomaskantor Johann Sebastian Bach nicht nur den Text der Matthäuspassion lieferte, sondern auch Satiren und witzige Gedichte schrieb, legt eben dieses Problem der Kompliziertheit der modernen Erziehung einem besorgten Vater in den Mund, der sich über die Drogenabhängigkeit seiner Tochter entsetzte. Die Droge der Zeit aber war der Kaffee. Angesichts des Kaffeekonsums seiner Tochter ruft der Vater verzweifelt aus. „Hat man nicht mit seinen Kindern Hunderttausend Hudelei [= Scherereien] ?“ Und er fährt fort: „Was ich immer alle Tage meiner Tochter Liesgen sage, gehet ohne Frucht vorbei!“ Zur Tochter gewandt, ruft er streng: „Nun folge, was dein Vater spricht!“ Sie antwortet schnippisch: „In allem, 'bb' 114-4/2005 nur den Coffee nicht!“ Kundige wissen, worum es geht. Wir befinden uns mitten in jener Kantate Johann Sebastian Bachs von 1732, deren offizieller Name das einleitende Rezitativ bildet „Schweig stille, plaudert nicht“. Viel bekannter ist dieses Werk unter dem Namen Kaffeekantate. Der Kaffee bildete damals für das Bürgertun – zumal in Leipzig – nicht nur ein neues Stimulans, sondern führte auch zu Veränderungen im sozialen Leben. Leipzig war ein Zentrum jener neuen Mode, in öffentlichen Lokalen, im sog. „Kaffeehaus“, das braune Getränk zu genießen. Das brachte einen emanzipativen Schub mit sich. Junge Frauen hatten im „Kaffekränzchen“ z. B. die Möglichkeit, ohne Ansehen der Geburt und des Standes mit ihresgleichen in Kontakt zu kommen und zu klönen – würden wir heute sagen. Sittenwächter konnte diese Entwicklung nur empören.2 So auch der alte Schlendrian in der Kaffekantate, der seine Tochter Liesgen vom Kaffeetrinken abbringen möchte. Aber sie weigert sich. Als letztes Mittel stellt der Vater der Tochter die von ihr ersehnte Heirat in Aussicht, wenn sie auf den Kaffee verzichtet. Sogleich gelobt sie, dem Kaffee abzuschwören, was den erfreuten Vater veranlasst, nach Bewerbern Ausschau zu halten. Die Tochter hat allerdings nichts anderes zu tun, als alle potentiellen Verehrer heimlich wissen zu lassen, sie würde nur unter der Bedingung heiraten: „dass mir erlaubet möge sein, den Coffee, wenn ich will, zu kochen.“ Die Moral von der Geschicht‘ lautet am Ende: dass der zitierte Schluss-Chor der Kaffee-Kantate vom ehrwürdigen Thomaskantor selbst getextet wurde.3 Angesichts der großen Kinderzahl und angesichts einer großen Kaffeekanne mit Service, die in der Familie Bach ihre Dienste tat, kann man nur sagen. Der Mann hatte Erfahrung mit solchen Dingen. Die bisher nur der musikalischen Welt vorbehaltene Aufforderung: „Lernen von Bach!“ erschließt uns Eltern und Pädagogen in der heutigen Konsum- und Medienwelt also ganz neue Horizonte. Bemerkungen 1 2 3 Fritz Reuter, Meine Vaterstadt Stavenhagen. In: Fritz Reuter, Gesammelte Werke und Briefe. Bd. 1. Rostock (Konrad Reich Verlag) 1990, S. 341 ff. Vgl. Peter Albrecht, Von „Kaffeekränzchen“ und „Kaffeeschwestern“. In: Kleinau/Schmersahl/Weickmann, „Denken heißt Grenzen überschreiten“. Beiträge aus der sozialhistorischen Frauen- und Geschlechterforschung. Festschrift Elisabeth Hilger. Hamburg (von Böckel Verlag) 1995. Vgl. Hans-Joachim Schulze, - Ey! wie schmeckt der Coffee süße. Johann Sebastian Bachs Kaffee-Kantate in ihrer Zeit. Leipzig (Verlag für die Frau) 1985, S. 62. 0 „Die Katze lässt das Mausen nicht, die Jungfern bleiben Coffeeschwestern. Die Mutter liebt den Coffeebrauch, die Großmama trank solchen auch, wer will nun auf die Töchter lästern!“ Dem Zuhörer werden damit zwei wichtige pädagogische Erkenntnisse vermittelt. Erstens eine triebtheoretische Einsicht: „Die Katze lässt das Mausen nicht. Die Jungfern bleiben Coffeeschwestern“ soll heißen: Die Begehrlichkeit nach dem Konsumobjekt, das uns gefangen nimmt, wird durch Verbote der Eltern nicht geringer – im Gegenteil. In einer von moralischen Vorstellungen beherrschten Zeit ist eine solche Aufforderung an die Erwachsenen, Toleranz gegenüber bestimmten Konsummoden der reiferen Jugend walten zu lassen, durchaus eine gewaltige Herausforderung. Ein Stück Antipädagogik wird sichtbar. Der abschließende Satz aber: „Die Mutter liebt den Coffeebrauch, Die Großmama trank solchen auch. Wer will nun auf die Töchter lästern?!“ ist eine allen Eltern bekannte Retourkutsche, die sie oft genug von den Kindern zu hören bekommen: „Wenn Ihr Eltern gerne fernseht und die Großeltern ebenso gerne ferngesehen haben: wie kommt Ihr dazu, uns Kindern den Fernsehgenuss einschränken zu wollen?“ Der Schluss der Kaffeekantate ist pädagogisch besonders pikant, weil dieser letzte Abschnitt, wie die Forschung erwiesen hat, nicht vom Picander stammt, sondern ein Zusatz von fremder Hand ist. Vieles spricht dafür, 41 'bb' 114-4/2005 fachbeitrag: wenn kinder die schwächsten in der menschlichen gemeinschaft sind, wie sollen sie die starken für die zukunft der menschheit sein? ein pädagogisch-globaler zwischen- und mahnruf jos schnurer „Ben ist zwei Jahre alt und fast 65 Zentimeter groß. Läuft er den Bürgersteig entlang, sind Autos riesige Blechberge. Trotzdem erkennt er fehlerfrei: Be-Em-We. Vau-We, Miiisubisi, Merceeedes, Pöögooh... Seid nicht so laut, sonst baue ich noch einen Unfall, ruft die Mutter nach hinten. Super, gibt Finn zurück, dann kommt der Volvo zum Schrotthändler, und der macht ein Paket daraus, aus dem ein richtiges Auto wird: ein BMW...“1 Die beiden Blickfänge in den Zustand unserer Welt, in den der Konsumwelt des Nordens unserer Hemisphäre und den der Armutswelt des Südens, haben eines gemeinsam: Kinder werden als „Ware“ betrachtet, freilich aus unterschiedlichen Motiven. Dass Kinder Rechte haben, ist ja nicht so selbstverständlich. Dabei bedarf es nicht nur des Blicks in die so genannte Dritte Welt, sondern auch in unsere. Die Einstellung, die mit der Losung „Lasst uns die Kinder leben lassen“3 zum Ausdruck kam, nämlich das individuelle und gesellschaftliche Denken und Handeln auf die richtige Entwicklung der Kinder zu lenken, droht ja in ein „Verschwinden der Kindheit“4 zu münden. Die Geschichte der Kindheit, wie sie für die westlichen Kulturen und Gesellschaften geschrieben wurde5, ist leider kein Ruhmesblatt in unserer historischen und aktuellen Entwicklung. Die Probleme werden vielfach erst deutlich, wenn wir von der Mehrheitsgesellschaft und durchaus ethnozentrisch, den Blick auf die Anderen, die Minderheiten in der eigenen Gesellschaft und vor allem über den nationalen und eurozentrierten Grenzzaun, hin zu den Menschen in anderen Kontinenten, in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa, richten. Dann wird die „Folklore des Halbwissens“6 aufgedeckt und das deutlich, was einmal als die „Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein“ bezeichnet wurde7. Dabei sind die Prinzipien humanen Denkens und Tuns längst eingemeißelt in das ethische Gerüst des Menschseins auf unserer Erde. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“8. In der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 42 „Der Konflikt in Norduganda ist einer der brutalsten Krisenherde. Die Rebellen der Lord`s Resistance Army (LRA) unter ihrem Anführer Joseph Kony überfallen Dörfer und kidnappen vor allem Kinder zwischen neun und 16 Jahren. Diese bilden sie zu Soldaten aus, die jungen Mädchen werden meist zu Sklavinnen der Anführer. Die Mobilmachung gegen die eigenen Familien und Bevölkerung erfolgt über eine brutale Mischung aus religiösem Sektierertum – mit Joseph Kony als göttlich inspiriertem Führer – und Abhängigkeit...2 20.11.1959 proklamierten „Erklärung der Rechte des Kindes“ heißt es in der Präambel, dass „die Menschheit dem Kind das Beste schuldet, was sie zu geben hat“, mit dem Appell, dass jedes Kind „ohne Unterscheidung oder Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Überzeugung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder eines anderen Status sowohl seiner selbst als auch seiner Familie“ den besonderen Schutz genießt9. Diese Kinderrechtskonvention wurde von den Vereinten Nationen am 20.11.1989 konkretisiert. Hierbei wird insbesondere die Bedeutung hervor gehoben, dass „das Kind umfassend auf ein individuelles Leben in der Gemeinschaft vorbereitet und im Geist der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Ideale und insbesondere im Geist des Friedens, der Würde, der Toleranz, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität erzogen werden sollte“10. Globale Gerechtigkeit Die Chance, dass Kinder leben und überleben in unserer vielfach so leichtfertig betitelten EINEN WELT11 ist leider zur Zeit nicht gegeben: Von je 1000 Kindern sterben vor dem fünften Lebensjahr (2000) in12 'bb' 114-4/2005 Afrika südlich der Sahara Südasien Naher Osten und Nordafrika Ostasien und Pazifik Lateinamerika und Karibik Länder des ehem. Ostblocks 172 101 62 44 38 34 Kinderhandel und die Rekrutierung von Kindersoldaten habe, so der Sprecher des „Netzwerk Afrika“ nicht nur in diesem Kontinent nicht ab- sondern zugenommen. Weltweit, so schätzt UNICEF, gibt es mehr als 300.000 Minderjährige, die als Krieger oder „Minenräumer“, wie z. B. im Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988, missbraucht und in den Tod geschickt werden, aus machtpolitischen, ideologischen und religiös verbrämten Gründen13. Der Kinderhandel floriert überall auf der Welt. In Westafrika schuften Jungen und Mädchen auf Baumwollplantagen, in Goldminen, Bergwerken; in Lateinamerika werden Kinder als Drogenkuriere und Prostituierte missbraucht; albanische Kinder werden nach Griechenland und weiter geschleust und dort zum Betteln und Stehlen gezwungen; Mädchen aus osteuropäischen Ländern landen in westeuropäischen Freudenhäusern; an der deutschtschechischen Grenze hat sich, so meldet es die Kinderrechtsorganisation Ecpat, hat sich ein offener Sex-Markt mit Kindern entwickelt. In Indien arbeiten rund 400.000 Kinder in der Prostitution, in Thailand mehr als 200.000. „Die Methoden der Menschenhändler sind stets die gleichen: Sie ködern verarmte Familien mit falschen Versprechungen und Bargeld. In der Hoffnung, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, stimmen dann viele Eltern einem vermeintlichen ‚Auslandsaufenthalt‘ ihrer Tochter oder ihres Sohnes zu“14. Der Portugiese Gomes Eanes de Zurara schildert in der „Chronik der Entdeckung und Eroberung von Guinea“ Mitte des 15. Jahrhunderts, wie die Europäer, nachdem sie mit ihren Schiffen die afrikanische Küste erreicht hatten, auf „Menschenjagd“ gingen15. Am Sklavenhandel haben über Jahrhunderte hinweg auch die europäischen Staaten und Händler verdient. Das „Kopfgeld pro Neger“ erreichte zum Beispiel 1783 Spitzenwerte, so dass von französischen Häfen aus mehr als 1.100 Sklavenschiffe in Richtung afrikanische Küsten ausliefen, um ihr „Ebenholz“ anzulanden und die amerikanischen Plantagen und Bergwerke mit Sklavenarbeitern zu versorgen. Schätzungen gehen davon aus, dass in den rund 400 Jahren Sklavenhandel etwa 20 Millionen Afrikaner als Sklaven nach Amerika transportiert wurden16. Erst mit der Französischen Revolution 1794 begann zögerlich und langsam die Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei. Menschenhandel ist ein abscheuliches Verbrechen In Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist eindeutig deklariert: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten“. Sklaverei ist eine uralte Unmenschlichkeit, die auf dem Machtverhältnis Herr – Diener, Besitzer – Ware, Meister - Werkzeug beruht. In Alt-Ägypten, in Babylon und Assyrien, in der griechischen und römischen Zeit, im karolingischen Europa, immer gab es „Unfreie“, Sklaven als selbstverständliche, vermeintlich berechtigte Handelsware. Die wesentlichen Mittel, sie anfangs als „NichtMenschen“, später als Eigentum zu betrachten, waren, ihnen ihre eigene Würde und Ehre abzusprechen, sie also von sich selbst und den Mitmenschen zu entfremden. Die Änderung ihres Namens zu einer unpersönlichen Bezeichnung, wie „païs“ im Griechischen oder „puer“ im Lateinischen (Jüngling, Boy), hatte den Zweck, die Sklaven zu entpersönlichen. Körperliche Strafen, wie Auspeitschen, Foltern, in Ketten legen, Misshandeln und Nahrung zu verweigern oder zu rationalisieren, dienten dazu, sie gefügig zu machen. Einige Daten zur offiziellen Abschaffung der Sklaverei Am 4. Februar 1794 verabschiedet die Nationalversammlung der Französischen Revolution ein Dekret zur Abschaffung der Sklaverei in allen französischen Kolonien. Napoleon Bonaparte erlaubt in den französischen Kolonien den Sklavenhandel und die Sklaverei wieder. Am 1. Januar 1804 erreicht Santo Domingo die Unabhängigkeit als Staat Haiti. Großbritannien und Dänemark verbieten es ab 1807 Schiffen, unter ihrer Flagge am Sklavenhandel teilzunehmen. Die USA schaffen 1807 den Sklavenhandel ab. Die europäischen Staaten beschließen beim Wiener Kongress 1815, in ihren Ländern den Sklavenhandel abzuschaffen. In der Zeit von 1833 bis 1838 wird in den britischen Kolonien der Sklavenhandel verboten. 43 'bb' 114-4/2005 Landkarte aus: RM-Spezial 38/2004, S. 8 1847 verbietet das Osmanische Reich den Sklavenhandel im Golf und schließt öffentliche Sklavenmärkte in Konstantinopel. Bei der Berliner Konferenz einigen sich Großbritannien, Frankreich, Österreich, Deutschland, Russland, Spanien, Portugal, Holland, Belgien, Italien, Schweden, Dänemark und die USA darauf, in ihren Hoheitsgebieten den Sklavenhandel einzudämmen. Bei der Versammlung des Völkerbundes 1926 in Genf unterzeichnen 44 Staaten die „Sklavenkonvention“. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO / ILO) beschließt am 28. 6. 1930 das „Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit“, das mit dem „Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit“ vom 25. 1. 1957 konkretisiert wird. 1962 schafft Saudi-Arabien offiziell die Sklaverei ab, 1981 Mauretanien. Zwangsarbeit und Sklaverei heute Menschenhandel in der Welt von heute hat andere Namen als die der traditionellen Sklaverei. Die Wirkungen auf die Menschen sind jedoch die gleichen. Experten schätzen, dass jährlich 600.000 bis 800.000 Personen von Menschenhändlern im Rahmen der organisierten Kriminalität nach Europa geschleust werden. Dabei handelt es sich überwiegend um Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, aber auch Kinder, die aus der Ukraine, Moldawien, Rumänien und Bulgarien in die europäischen Länder kommen und 44 in der Prostitution und beim Drogenhandel eingesetzt werden17. Weltweit werden mehr als 300.000 Jungen und Mädchen, so schätzt UNICEF, als Kindersoldaten missbraucht. Die Skandal-Bestandsaufnahme über die Länder, von denen viele die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet haben und trotzdem Kinder als „Kämpfer“ einsetzen, ist groß18: In den 15 Jahren Bürgerkrieg im westafrikanischen Liberia haben rund 40.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gekämpft. Die tamilischen „Befreiungstiger“ aus Sri Lanka bilden Waisenkinder als Selbstmordattentäter aus. Im südostasiatischen Myanmar werden mehr als 70.000 Kinder als Minensucher und Schutzschilde eingesetzt. Die Rebellen der „Lord‘s Resistance Army“, die gegen die Regierung in Uganda kämpft und im Norden des Landes einen eigenen Staat errichten will, hat seit 1986 mehr als 12.000 Kinder entführt und bildet sie als „Killermaschinen“ aus, 2004 alleine 4.500. Der Bürgerkrieg im Sudan hat, nach vorsichtigen Schätzungen, bisher mehr als 30.000 Menschen das Leben gekostet, darunter vielen Kindern, die als Krieger gezwungen und abgerichtet, oder entführt und als Sklaven verkauft wurden. Die Skandalliste lässt sich erweitern auf die 36 Länder der Erde, in denen Menschenrechtsverletzungen an Kindern begangen werden19. 'bb' 114-4/2005 Schuldknechtschaft, eine neue Form der Sklaverei Die Zwangsarbeit als ein Mittel, Menschen zu versklaven, wird nach wie vor in vielen Ländern der Erde praktiziert. Die Schuldknechtschaft funktioniert so, dass etwa ein Arbeitgeber einem Arbeiter einen Lohnvorschuss gewährt, den er von seinem künftigen Einkommen abzahlen muss. Weil der Lohn meist aber zu niedrig ist und der Ausbeuter auch noch hohe Beträge für Unterkunft, Verpflegung und Werkzeug einbehält und dem Arbeiter Strafgelder für unzulängliche Arbeitsleistungen auferlegt, ist er meist nicht in der Lage, die geforderten Rückzahlungen zu erbringen. So wächst der Schuldenberg, und der Arbeitgeber fordert nun, dass die Frauen, Kinder und sogar Enkelkinder die Schulden abtragen müssen. Besonders in Indien, Pakistan und Lateinamerika ist das System der Schuldknechtschaft weit verbreitet. Kinder von Schuldnern werden in der Landwirtschaft, in Steinbrüchen, Ziegelbrennereien, Fischfang, beim Bau, in der Forstwirtschaft, in Teppichknüpfereien und Keramikbetrieben, bei der Herstellung von Glasperlen, der Produktion von Streichhölzern und Feuerwerkskörpern als Zwangsarbeiter beschäftigt, ohne irgendwelche Rechte auf geregelte Arbeitszeit und Entlohnung. In Südasien kommt die illegale Beschäftigung von Kindern in der Prostitution, der Kinderpornographie und im Haushalt dazu. In einem Bericht der IAO / ILO wird 1993 die gewaltsame und betrügerische Anwerbung von Kindern zur Arbeit in Fabriken und Bordellen in Bangkok und Thailand angeprangert20. In dem von der gleichen UN-Organisation 1991 initiiertem internationalem Programm zur Beseitigung von Kinderarbeit (International Programme on the Elimination of Child Labor, IPEC) werden Maßnahmen ergriffen, arbeitenden Kindern wieder ein Kinderleben zu ermöglichen und ihnen den Schulbesuch und eine Berufsausbildung angedeihen zu lassen. Der aktuelle Bericht von 2004 macht deutlich, dass es zwar in den betroffenen Ländern eine Reihe von Verbesserungen und Entwicklungen hin zu einer Eindämmung der Kinderzwangsarbeit gibt; gleichzeitig aber werden zahlreiche Missstände angeprangert21. Was ist zu tun? Wut über die vielfältigen Menschenrechtsverletzungen, die weltweit besonders an Kindern verübt werden, aus Macht- und Raffgier, aus politischen oder religiösen Gründen, durch rassistischem und von Höherwertigkeitsvorstellungen bestimmtem Handeln, aus Ausbeutung und Egoismus, ist eine legitime Reaktion von Menschen, die an das Gute im Menschen glauben. Sie reicht aber nicht aus, weil sie die unmenschlichen Situationen kaum zu verändern vermag. Notwendig ist deshalb, in der Welt ein Bewusstsein für eine „globale Verantwortungsethik“ zu schaffen, die es möglich macht, dass die Menschen auf der Erde, in der EINEN WELT, friedlich, gerecht und gleichberechtigt zusammen leben können. Anlässlich der Weltdekade für kulturelle Entwicklung, die von den Vereinten Nationen von 1988 bis 1997 aufgerufen wurde, hat die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ die Forderung erhoben, eine „globale Ethik“ für das Zusammenleben und die Existenz der Menschheit zu implementieren. In ihr werden Mindeststandards definiert, die für alle menschlichen Gemeinschaften gelten sollen: „Internationale Standards für Menschenrechte, Demokratie und Minderheitenschutz sind wichtige Prinzipien einer globalen Ethik. Armut, Arbeitslosigkeit, Hunger, Unwissenheit, Krankheit, Elend und Ausgrenzung sind Übel, die noch nicht eingedämmt sind. Sie werden noch genährt durch kulturelle Traditionen, einer engstirnigen Selbstsucht, von Vorurteilen und irrationalem Hass“22. Aus diesen Überlegungen ist der Entwurf einer „Erd-Charta“ entstanden, der 2000 erstmals der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde23. In ihr werden ethische, globale Grundsätze formuliert, wie • • • • Achtung vor dem Leben und Sorge für die Gemeinschaft des Lebens, Ökologische Ganzheit, Soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, Demokratie, Gewaltfreiheit und Frieden. Um diese Visionen weltweit durchzusetzen, bedarf es einer globalen Verantwortung, die gepaart ist mit einer globalen Empathie und einer globalen Solidarität24, also eines unbedingten Willens der Weltgemeinschaft zum friedlichen, gerechten und demokratischen Zusammenleben. Diese Annahme muss stetig und geduldig entwickelt werden, in der Erziehung und Bildung, Aufklärung und als globales, lebenslanges Lernen. Gleichzeitig aber muss daran gearbeitet werden, dass aus der Vision eine Realität wird. In der real existierenden Welt gibt es dabei nur eine internationale Organisation, die dazu in der Lage ist – die Vereinten Nationen. In deren Charta von 1945 verpflichten sich die Völker der Erde in Artikel 1, Abs. 3, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“25. Ein Handicap bei der Durchsetzung der Menschenrechte und bei einem möglichen Eingreifen gegen Menschenrechtsverletzungen stellt jedoch die in Art. 2, Abs. 7 der Charta proklamierte Einschränkung dar: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung aufgrund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden...“. Eine gewaltsame Veränderung von Missständen in einzelnen Ländern durch die Vereinten Nationen, wie in unserem Beispiel bei der Durchsetzung von Kinderrechten, ist demnach nicht möglich. Zwei Lösungsmög- 45 'bb' 114-4/2005 lichkeiten bieten sich dabei an: Entweder eine Veränderung der Charta der Vereinten Nationen hin zu einer Verfassung der Weltgemeinschaft, mit den Instrumenten, wie sie dann eine „Weltregierung“ zur Verfügung hat; oder die Hoffnung, dass durch weltweite Ächtung von Menschenrechtsverletzungen eine globale Ethik entsteht. Girls. Children abducted in northern Uganda, 2001); oder in einer Schülerpartnerarbeit werden die verschiedenen Aktivitäten von Menschenrechtsorganisationen gegen „Kinderhandel“ thematisiert (www.unicef.de; www.ecpat. de; www.bmfsfj.de). Global Governance 1 Bemerkungen In der internationalen Diskussion um die Verwirklichung einer gerechteren, besseren Weltordnung wird „Global Governance“ genannt, als „part of the evolution of human efforts to organize life on the planet“26. Bei dem Ziel, “zu einem neuen Paradigma globaler Beziehungen” zu kommen, nennt der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, als ein wichtiges Instrument den „Dialog“ und nicht die gewaltsame Durchsetzung, um zu einer gerechteren und globalen Ordnung in der Welt zu kommen. Die wichtigste Voraussetzung, dass die Vereinten Nationen Frieden schaffen und unfriedliche und inhumane Zustände auf der Welt verhindern können, sind nach seiner Meinung Partizipation und Legitimität: Die Gleichheit aller Mitglieder der Staatengemeinschaft und damit die gleichberechtigte Teilnahme am internationalen und interkulturellen Dialog und die legitime Anerkennung der Vereinten Nationen als Wächter für die Etablierung und Erhaltung eines globalen Gesellschaftsvertrags. Nur dadurch können die Vereinten Nationen in die Lage versetzt werden, schließlich auch Menschenrechtsverletzungen zu ahnden und zu beseitigen27. Bei dieser Aufgabe aber sind wir alle gefordert, indem wir in unserem individuellen Denken und Handeln ein Bewusstsein von der Zusammengehörigkeit der Menschen in einer globalen Gemeinschaft entwickeln, in der Mitarbeit bei demokratischen Organisationen und Initiativen (Parteien, Vereinen, NGO) lokal und global die Entwicklung einer gerechten Einen Welt befördern, uns als Staatsbürger dafür einsetzen, dass die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen wirksam den Frieden und die humane Existenz auf der Erde garantieren können, dabei mithelfen, den internationalen und interkulturellen, gleichberechtigten Dialog zu verwirklichen. Die schulische Auseinandersetzung mit der Thematik kann z. B. dadurch erfolgen, dass die einzelnen, im Text genannten Dokumente, wie die UN-Charta, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Kinderrechtsdeklaration, u.a., vorgestellt und diskutiert werden; oder Schülerinnen und Schüler setzen sich in Referaten und längerfristigen Hausarbeiten mit verschiedenen Veröffentlichungen zur Thematik „Kindersoldaten“ auseinander (z. B.: China Keitetsi, Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr, Berlin 2003; Annette Rehrl, Die Diamantenkinder. Afrikas Kinder zwischen Sklaverei, Gewalt und Hoffnung, München 2004; Els De Temmerman, Aboke 46 Götz Hamann, Habe alles, bekomme mehr; in: DIE ZEIT, Nr. 22 vom 19. 5. 2004, S. 19 2 Weltnachrichten. Informationen der Österreichischen Entwicklungs- und Zusammenarbeit, Nr. 4 / 2004, S. 7 3 Ellen Key, Das Jahrhundert des Kindes, Berlin 1908, S. 261 4 N. Postman, Das Verschwinden der Kindheit, 1975 5 Philippe Aries, Geschichte der Kindheit, 2003 6 Elisabethz Beck-Gernsheim, Wir und die Anderen. Vom Blick der Deutschen auf Migranten und Minderheiten, Frankfurt/M. 2004 7 Annita Kalpaka / Nora Räthzel, Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, Köln 1994 8 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948; Deutsche UNESCO-Kommission, Menschenrechte – Internationale Dokumente, Bonn 1981, S. 49 9 Erklärung der Rechte des Kindes, in: a.a.o., S. 95ff 10 http://tychsen.homepage.t-online.de/ksb/rechte/01.htm; vgl. auch: Reinald Eichholz, Die Rechte des Kindes (Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes), Düsseldorf 1989 11 Jos Schnurer, Für Eine Welt – in Einer Welt. Überlebensfragen bei der Weiterentwicklung von Bildungs- und Erziehungsaufgaben der Schule, Verlag Dialogische Erziehung, Oldenburg 2003, 267 S. 12 Reinhard Marx, Die Weltfamilie, in: RM 51/52 vom 21. 12. 2001, S. 25 13 Johannes Mehlitz, Willige Waffenträger, RM 3/2005, S. 10 14 Astrid Prange, Verkauft für zwanzig Euro, RM 2/2005, S. 13 15 Elikia M‘Bokolo, Wer trägt die Verantwortung? In: UNESCOKurier 10/1994, S. 8; vgl. auch: Helmut Bley (Hrsg.), Sklaverei in Afrika. Afrikanische Gesellschaften im Zusammenhang von europäischer und interner Sklaverei und Sklavenhandel, Pfaffenweiler 1991 16 M‘Baye Gueye, Ein Kontinent der Angst, UNESCO-Kurier, a.a.o., S. 12ff 17 „Abscheulichste Verbrechen“. EU kündigt stärkeren Kampf gegen Menschenhandel an; in: HAZ vom 23. 12. 04, S. 2 18 vgl. dazu: Aktion „Hilfe für Kindersoldaten“, Spezial RM 38/04 vom 16. 9. 2004, S. 7-10 19 Christian Büttner / Regine Mehl / Peter Schlaffer / Mechtild Nauck (Hg.), Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten. Lebensumstände und Bewältigungsstrategien, Campus Verlag, Frankfurt/M. New York 2004, 243 S. 20 George Thullen, Zwangsarbeit – Sklaverei in der Welt von heute; in: UNESCO-Kurier, a.a.o., S. 22ff 21http://www.ilo.org/public/english/standards/ipec/ 22 Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt. Bericht der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (Kurzfassung), Bonn 1997, S. 76 23 http://www.denkmodelle.de/welt/erd/charta.htm; siehe auch: MISEREOR, Lehrerforum 46/Sept. 2002 24 vgl. dazu: Jos Schnurer, a.a.o. 25 Deutsche UNESCO-Kommission, Menschenrechte, a.a.o., S. 20 26http://globgov.bg.univ.gda.pl/gbgoveng.htm 27 Kofi Annan, Brücken in die Zukunft. Ein Manifest für den Dialog der Kulturen, 2. Aufl., Frankfurt/M., Dez. 2001, 267 S. 'bb' 114-4/2005 buchtipps SCHWENDEMANN, W. und B. KOCH (Abb.) Geschwistergeschichten – Geschwisterkonflikte. Lernen an Stationen zu Jakob und Esau, Marta und Maria. Werkbuch Religionsunterricht 1 bis 6, Kaufmann-V., Lahr 2004. 76 S. mit Cartoons und Abb.. Zielgruppe: Lehrerinnen und Gemeindeseminare, kartoniert, 1695. ISBN: 3-78062638-1 Zwei Vorurteile haben nach den im Buch vorgestellten Unterrichtsmodellen keine Chance mehr. • Das erste: Jungen müssten Konflikte ‚handfest‘ austragen. Müssen sie nicht. Auch Jungen lernen nämlich, sich um konstruktive Lösungen zu bemühen. • Das zweite: Streit sei <Männersache>. Stimmt so nicht (mehr), denn „Mädchengangs und prügelnde Schülerinnen [gehören] durchaus zum Alltag“ (S. 57). Sie sind deshalb beim Thema voll mit einbezogen. Nimmt man das Buch zur Hand, dann kann es passieren, dass drei als Anhängsel, eher als pädagogischer Beipack gedachte Unterrichtsvorschläge noch vor dem eigentlichen Hauptteil das Interesse beanspruchen. Die Autoren schlagen nämlich vor, die Arbeit an ausgewählten Geschwistergeschichten nicht in den Schulstuben zu belassen. Sie empfohlen stattdessen diese vielmehr mit hinüber zu nehmen in das Streitklima von Familienkonflikten, um zu beobachten, was dort dann in Gang kommt. Das könne z.B. im Rahmen eines Wochenend – Gemeinde – Seminars geschehen, wo die Kinder unter Aufsicht und pädagogischer Anleitung am Thema arbeiten, während die Eltern miteinander in einen ungestörten, professionell begleiteten Erfahrungsaustausch eintreten könnten. Zurück zum Anfang: das Buch beginnt mit einer von ihrem Umfang her gemessen eher ungewöhnlich ausführlichen Einleitung. Darin hat der Religionspädagoge das Wort. Er öffnet die beiden biblischen Geschwistergeschichten (Jakob/ Esau bzw. Marta/Maria) für das Verständnis von Schülerinnen der Primar- und Orientierungsstufe. Unerlässliche psychologische Betrachtungen zu Geschwisterbeziehungen schließen sich an. Schließlich rücken die Autoren das Thema auch noch ins Licht volkskundlicher Überlieferung: in der überall leicht zugänglichen Märchenliteratur wird die Geschwisterproblematik interessanterweise oft gerade nicht überwunden bzw. verarbeitet. Der Abschnitt „Der Brudermord Kains an Abel oder die Bevorzugung Kains gegenüber Abel“ beschreibt das Grundmuster der Urgeschichte von Rivalität und Brudermord und schließt das Eingangskapitel ab. Mit der von der Pädagogin Gabriele FAUST-SIEHL übernommenen Idee der „Lernstraße“ beschreiten die Autoren einen methodischen Unterrichtsweg, den sie folgendermaßen begründen: „Lernen an Stationen ist eine aktuelle Form des offenen Grundschulunterrichts, die den Kindern bei thematischer Festlegung Wahlfreiräume in Bezug auf die Aufgaben und ihre Reihenfolge, die Sozialformen und vor allem hinsichlich der Lernzeit eröffnet“ (17). Im Unterricht führen insgesamt 7 Stationen durch die Dramatik der Lernstraße „Esau-Jakob“ hin zum abschließenden Freudenfest des Jakob. Zu jeder Station gibt es die klassische Sequenz: Informationen – Didaktischer Kommentar – Lernziele – Material – Erzählung, ergänzt um Arbeitsaufträge und versehen mit Lösungsblättern. Kopierfähige s/w – Abbildungen (u.a. eine Stationenkarte) erleichtern die unterrichtlichen Vermittlungsprozesse. Eine Sammlung von Segenssprüchen, ein Glossar, ein Würfelspiel, ein Puppenspiel, ein Puzzle nebst einem kleinen Theaterstück und einige Lieder (für das Freudenfest) vervollständigen das Angebot an begleitenden Materialien. Die abschließenden Unterrichtsüberlegungen zur Geschichte von Maria und Marta sind übrigens hauptsächlich auf Schülerinnen zugeschnitten, weil die sich eher mit Frauen-, als mit Männergestalten identifizieren dürften. Summa: Wer bei Geschwister- u/o Freund/Freundin – Beziehungen Rivalität und Konkurrenz, Streit und vielleicht sogar Brutalität wahrnimmt und deshalb Impulse zu gegenseitiger Hilfe setzen möchte, und wer will, dass schon junge Menschen in Liebe zueinander und füreinander einstehen, der gerät mit vorl. Werkbuch in eine ziemlich komfortable Lage: er hat die Chance, bei Kindern und Jugendlichen Lernprozesse anzustoßen, die sowohl darauf abzielen, die Gerechtigkeit zu befördern als auch konkret dazu beitragen können, Benachteiligte zu ermutigen, verweigertes Recht einzufordern. Das vorliegende Unterrichtsmodell ist empfehlenswert! HENTIG, H. v. Ach, die Werte. Ein öffentliches Bewußtsein von zwiespältigen Aufgaben.Über eine Erziehung für das 21. Jahrhundert. Beltz TB 66, 2001, 165 S.; kartoniert, 2000. ISBN 3-4072–2066-9 H. v. HENTIG schreibt ein philosophisches Buch. Es ist eines von der Sorte, auf die man sich nur ganz oder gar nicht einlassen kann. Mit aphoristischem Lesestil ist da nichts zu holen, vulgo: es eignet sich (im krassen Unterschied zu dieser Buchbesprechung) nicht als Sitzlektüre auf dem Klo. Hentig nimmt sich viel vor: wer von uns möchte sich, ehrlich, darüber schon ohne Not auslassen: „Über – eine – Erziehung (!) – für – das – 21. (!) – Jahrhundert? Ist der Schreiber, antikem Vorbild nacheifernd, das delphinische Orakel von Bielefeld, dass er die Zukunft zu deuten wüßte? Jedenfalls vertritt er die These: „Wer die kommende Generation 47 'bb' 114-4/2005 auf die Zukunft vorbereiten will, muss ein klares Bewußtsein von den schwierigen Aufgaben unserer Gesellschaft haben“. Dieser Satz, es ist gerade erst der fünfte des Buches, gleich vorneweg ganz programmatisch, kann richtig, er kann aber auch grottenfalsch sein. Herausgestellt haben wird sich das (leider!) erst, wenn sich der Autor, sein „Freund und Lehrer Carl Friedrich von Weizsäcker“ (dem das Büchlein gewidmet ist) und dazu der Rezensent längst zu ihren Vätern versammelt haben werden. Aber gemach: im Weiterlesen wird’s unversehens (vielleicht sogar unerwartet) spannend. Etwa dadurch, dass v. HENTIG mit Genuß heuriger Pädagogik (und Pädagogikpolitik) den Spiegel vorhält: „Man wiederholt unablässig, die dreißigjährige Reform (...) sei >gescheitert<, hält aber unbekümmert, nein, mit Eifer an den Ergebnissen fest: an einem Gymnasium, das bis zu 50% aller Schüler eines Wohnbezirks in sich versammelt statt der einst 5 Prozent, an einer Abiturientenquote von fast 30 Prozent, an der Ganztagsschule (...), der Erfolgsbilanz der Mädchen, an der Reduktion der Fächer (...), in meiner Schulzeit 12, heute 4“ (S.12f.). Da wird benannt, was Sache ist. Etwa dies, dass alle über einen Reformstau klagen, aber „in der öffentlichen Diskussion (...) die Pädagogen nur bildungspolitische Ladenhüter und ihre eigene Ratlosigkeit wieder(finden)“ [a.a.O.]. Das sei auf den meisten schulischen Defizittableaus so. Helfen, so der Autor, könne hier, wie in der Werte–Erziehung, seinem Thema, nur, (wie schon bei der „Kreativität“, dem „Multikulturalismus“ oder der „Medienkompetenz“) „in erster Linie so etwas wie eine Entzauberung, eine Ernüchterung...“. Die nun wird eifrig, und, so muss man sagen, mit Kompetenz in Teil I des vorl. Buches betrieben. Motto: die Zukunft ist nicht identisch mit „hochgerechneten technischen Neuheiten und ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen“ (a.a.O.). Sondern mit den „Werten“? Der Autor prüft in Teil II („Die Mittel, Verfahren und Einteilungen der Pädagogik“), ob die Erziehungswissenschaften im Rahmen von so oder so definierter Zukunft überhaupt zuständig seien für derlei Fragen. Da sie im öffentlichen Bewußtsein – zumal seit der Rückbildung des Wertemonopols des RU – diese geforderte Werte-Erziehung eigentlich zu schultern hätten, Teil III, müssten diese Wissenschaften daraufhin überprüft werden, ob sie dazu überhaupt fähig und dann vor allem willens sind. Im vierten Teil („Die Klärung des Gemeinwohls“) nähert sich v. HENTIG der Gretchenfrage seines Themas, nämlich, ob man es der parlamentarischen Demokratie zutrauen könne, „dass durch (sie) das Gemeinwohl geklärt und bestimmt werden sollte“. Ihr lägen nämlich „die Mehrzahl der die Pädagogik beschäftigenden Werte zugrunde“. Im abschließenden Teil („Werte und Sinn“) setzt sich der Autor mit dem Verhältnis von Religion, Ethik und Philosophie auseinander. Da kommt man unversehens auf die Frage, die vor vier Jahrzehnten, ab Mitte der 60er Jahre, schon einmal vehement die Gemüter bewegt hat: wie Sinnfindung außerhalb der Religion überhaupt vonstatten gehen könne, woher, im religionslosen Raum, Werte zu beschaffen seien. Und – welche Welt man letztlich wolle? Zugespitzt: „Wollen wir (...) die Verdrängung (...) unseres Hundes durch ein Mega-Tamagotchi“? 48 FREESE, H.-L. Kinder sind Philosophen. Beltz Taschenbuch 117; Weinheim und Basel 2002. 176 S., kartoniert, 1200 . ISBN 3-4072-2117-7 Das pädagogische Interesse an der Philosophie geht von jeher in zwei Richtungen. Es zielt sowohl • auf moralische Erziehung ab als auch • auf die Schulung des Verstandes, also die Gewöhnung, „mit förmlichen Gedanken umzugehen“ (zit. Hegel, S. 107). Wenn dem so ist, dann „muss ein wirksamer Philosophie-Unterricht bereits in der Grundschule einsetzen“(109). Wer mit Kindern lebt, so FREESE, der bemerke, wie sie schon früh, „von den ersten Ahnungen der Rätselhaftigkeit der Welt und der Unergründlichkeit ihres Daseins ergriffen, beginnen ... über Gott und die Welt nachzudenken“. Platon und Sokrates, Descartes und Kant in der Grundschule – warum eigentlich nicht? Es sei eine verblüffende Erkenntnis, wie nahe die „Kinderphilosophie“ den Ausführungen der großen Denker sei, so die Beobachtung des Berliner Philosophen und em. Hochschullehrers für Pädagogik. Dessen eingedenk, stellt der Autor das nötige Handwerkszeug bereit, gibt Hilfestellungen, um sich mit Kindern auf das Abenteuer „Philosophie“ einzulassen. Er tut dies, ausdrücklich sei es angemerkt, in einer jedermann leicht verständlichen Sprache. Stichworte zum Kinder-Diskurs: „Staunen und Denken“ – „Wahrheitswitterung“ – „Entwicklungsstufen des Denkens“ – „Wer ist >naiv<?“ – „Das Gespräch, die nützlichste und natürlichste Übung unseres Geistes“ – und: „Können Blumen glücklich sein?“. Das Buch bringt ganz viele Beispiele für Fragen, die scheinbar harmlos und kindlich-naiv sind, bei näherem Hinsehen aber ein tiefes Nachdenken über fundamentale, zumeist problematische Sachverhalte verraten. „Papa, wie kommt eigentlich die große Klotür in mein kleines Auge rein?“ ruft es aus einer Sitzung im Stillen Örtchen wissbegierig heraus. Dort thront der 6jährige Jan-Hinrich und fragt genau das, was die großen Denker seit der Antike bis heute beschäftigt und Nervenforscher samt Wahrnehmungs-Psychologen mitunter an ihrem Verstand zweifeln lässt. Oder wissen Sie, wie „die Kluft zwischen der physischen Außenwelt und unserem Bewusstsein von ihr“ (S. 8) zu überbrücken ist? Der „Philosophie in der Schule“ ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Verständlich, denn schon im griechischen Altertum wohnten Bildung und Erziehung mit der Philosophie unter einem Dach. Und bis ins 19. Jahrhundert hinein waren Theologie und Philosophie die beiden wichtigsten ‚Kernfächer‘ und zugleich zentrale Bildungsinstrumente der Höheren Schule. Dass sie heute, im Fächerkanon allenfalls randständig geduldet, keine tragende mehr Rolle spielen, damit wollen sich v. HENTIG und viele seiner Mit-Denker nicht abfinden. Einer von denen sagt, warum nicht: Matthew LIPMAN, Prof. für Logik und Philisophie an der New Yorker Columbia – Universität. Er schreibt: „Die Tatsache, dass Johnny addiert, subtrahiert, multipliziert, dividiert und durch sein Lesebuch stürmt, heißt nicht, dass er denken kann. Es heißt nicht, dass 'bb' 114-4/2005 er Gewohnheiten effizienten Denkens oder unabhängigen Urteilens entwickelt“ (109). Es sollte Lehrer wie Eltern hellhörig machen und nachdenklich stimmen, dass philosophisch geschulte Schüler in den traditionellen Schulfächern ganz ohne Frage signifikant bessere Leistungen erzielen als andere. Dafür gibt inzwischen den empirisch gestützten Nachweis. FREESEs Buch ermutigt dazu, Schulkindern entschieden mehr Raum zu geben für’s Denken; vielleicht sogar unterrichtliche Konsequenzen daraus zu überlegen, dass sie Philosophen sind. Im letzten Buchkapitel jedenfalls findet man eine umfängliche Sammlung von Themen und Texten zum Philosophieren mit unseren Minis. Es kann also sofort losgehen! FRINDTE, W. Kommunikations-Psychologie (KP). Eine Einführung in die Grundlagen der KP und ihre Anwendungen. Reihe Beltz Studium, hrsg.v. HURRELMANN, K. und J. OELKERS. Weinheim und Basel 2001, 232 S., broschiert, 1400. ISBN 3-4072-5254-4 Seit den seligen Zeiten der Feuerzangenbowle heißt die klassische Fragestellung im Schulunterricht: „Wat is 'ne...“? (Heinz Rühmanns Physiklehrer erklärte „'ne Dampfmaschin“ mit – man erinnert sich schmunzelnd – „...önö jrooße, dunkle Loch“.) Wenn Autor FRINDTE fragt: „Wat is 'ne KP“, dann hört sich das „a weng annerschder“ an, nämlich so: „KP befaßt sich mit der Kommunikation zwischen unterschiedlich komplexen personalen und sozialen Systemen. Dabei geht es zum Beispiel um den sprachlichen und nichtsprachlichen Austausch in Zweierbeziehungen, um Gruppenkommunikation, um interkulturelle und medial vermittelte (mediierte) Kommunikation“. Wenn einer nach dieser Wortexegese immer noch nicht weiß, was ‚Kommunikation‘ auf deutsch heißt, dann bleibt er leider aber logisch und mit Wilhelm BUSCH, „...so schlau als wie zuvor“. Und das dürfte vermutlich selbst dann noch so sein, wenn er in der Einleitung zum vorl. Studienbuch, womöglich gar des Lateinischen unkundig, auf Descartes` abgewandeltes Zitat stößt: „Communicamus ergo sum“. Aber, keinem entfalle der Mut: im ersten der fünf Kapitel wird der Begriff KP in durchaus verständlicher Sprache und auf 60 Seiten umfassend erklärt. Noch mehr, in diesem wie in den vier weiteren Kapiteln gibt es eine Fülle von aus dem Leben gegriffenen Szenen, kurzen Erzählungen, beobachteten Begebenheiten, skurilen oder gar rätselhaften Ereignissen usf., die dazu verhelfen (der Autor ist ja schließlich Psychologe!), auch besonders kompliziert scheinende Überlegungen leicht zu verstehen und damit die Zugänge zu unseren Buchinhalten zu gewinnen. Ergo: man darf sich durch des Autors obige, reichlich fachchinesisch riechende Duftmarke nicht abschrecken lassen! In Kapitel 3 führt der Jenaer Psychologe die Vielfalt zwischenmenschlicher Kontaktmöglichkeiten vor Augen: außersprachliche Verbindungen, formelle und informelle Kommunikation, Kontakte zwischen und innerhalb von Gruppen. Die Erörterung von romantischen Beziehungen, also ein „Versuch über die Liebe“ als die intimste Form der Kommunikation, beschließt dieses Kapitel. Natürlich muss man in der KP auch nach der Bedeutung des kommunikativen Geschehens fragen: was kommunizieren wir? Hier liefert die Werbung ergiebieges Anschauungsmaterial. Um erfolgreich zu verkaufen, heißt es dort, verknüpfe man am besten gegenständliche Botschaften über ein Produkt („Odol dient der Mundpflege“) mit symbolischen („Wahre Küsse gibt es nur mit Odol“). Wer erinnert sich nicht an das weltweite Aufsehen, welches ein in 110 Ländern geklebtes Plakat mit dem Abbild des blutigen T-shirts von Marinko Gagro aus Jugoslawien erregte, nachdem selbiger von den Serben meuchlings hingemetzelt worden war. Dabei wollte ein gewisser Herr Benetton eigentlich nur Textilien verkaufen. Diese und viele andere Beispiele lassen erahnen, dass es bei der Werbung eine Fülle von kommunikations-psychologischen Aspekten zu betrachten gilt, die bis zur Einschätzung von Pornofilmen, Horrorvideos und Gewalt gegen sich selbst und andere reichen. Seit es die Neuen Medien („computervermittelte Kommunikation“) gibt, sind Lehrende aller Schulen noch brennender als sie es eh schon waren an der Zentralfrage der modernen Mediendidaktik interessiert, welcher gesicherte Zusammenhang bestehe zwischen dem Einsatz von Medien im Unterricht und dem Lernfortschritt von Schülern. Mit Blick auf diesen Schul-Bedarf listet ein Mitarbeiter des Autors sozialwissenschaftliche Theorien über die Wirkfelder neuer Medien auf und diskutiert diese. Die Medienwirkforschung ist ein noch junger Zweig der Päd.Psychologie, aber erste, verlässliche Ergebnisse gibt es, wie sich in vorl. Buch zeigt, schon. Lesenswert. KRAPP, A. und B. WEIDEMANN u.a. (Hrsg.) Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. BeltzV., Weinheim und Basel 2001‘4, vollst. überarbeitet, XVI und 837 S.; mit Abbildungen, Schaubildern, Grafiken, Skizzen und Fotos; gebunden, 3900. ISBN: 3-6212-7473-1 Die Pädagogische Psychologie (PP) wird immer mehr zur zentralen Bezugswissenschaft für die Begleitung und Strukturierung von Lernprozesse in den pädagogischen Einrichtungen unserer Gesellschaft. Mit deren Wandel lernt freilich auch sie dazu. Vieles hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert: Neue Medien haben ihren Einzug in Arbeitszimmer, Schulstuben, Studentenbuden und Mamas Küchentisch-Schule gehalten. Die Aus- und Weiterbildung ist, flachdeutsch gefispelt, ‚ein absolutes Muss‘ geworden. ‚Lebenslanges Lernen‘ hat einen hohen Stellenwert bekommen und ist für viele Berufe unerlässlich geworden. Das vorl. Kompendium, 1986 bei Urban & Schwarzenberg in München zusammen mit Heinz MANDEL von Manfred und Günter L. HUBER erstmals herausgegeben, trägt mit seinen Neuauflagen den schnellen gesellschaftlichen Wandlungen und der ständig zunehmenden Fülle wissenschaftlicher Untersuchungsergebnisse Rechnung. 49 'bb' 114-4/2005 In 16 Kapiteln wird auf gut 700 Zweispalter-Seiten (plus ca. 100 Seitren Register) kompendienartig alles ausgebreitet, was national und international im Fachbereich gilt. Das reicht von den „Themen Geschichte und Gegenstandsbereich der PP“ bis zum Stichwort „Datenbanken und Internet als Informationsquellen für PP“. Der gegenwärtig verfügbare Wissensstand soll darin exemplarisch und systematisch dargestellt werden. Vor allem aber: „Es geht um die Vermittlung praktisch verwertbaren Wissen an die Experten ... in der Schule!“ (S. 27). Für letztere interessant sind dabei insbesondere die Kapitel • „Spielräume für Veränderung durch Erziehung“ (AnlageUmwelt; Reifung; Sensible Phasen; Entwicklungsaufgaben...) • „Lernen als Verhaltensänderung und Wissenserwerb“ • „Psychologie des Lernens (Emotionale und kognitive Bedingungen; Lernmotivation; Soziales Verhalten ...) • „Die Erziehenden und Lehrenden“ (Eltern; Schullehrer; Hochschullehrer; Trainer; Kursleiter ...) • „Pädagogische Interaktion“ (in der Familie, in der Schule, in der Erwachsenenbildung) • „Lernen mit Medien“ (Text; Illustration; Film/FS/Video/ Computer) • Ferner: Diagnostik; Beratung; Lernumgebung; Evaluation; Internet. Das zunächst auf Psychologiestudenten zugeschnittene Lehrwerk ist längst auch bei Erzieherinnen, Lehrern, Trainern und anderen Berufsgruppen mit pädagogischen Aufgaben angekommen. Beim Gebrauch des Buches gewöhnt man sich gern und schnell daran, dass es von seiner Aufmachung her sehr, sehr benutzerfreundlich angelegt ist. Die Psychologen haben von der angelsächsischen Literatur gelernt, dass sich auch das Komplizierte ohne Substanzverlust leicht verständlich ausdrücken lässt. Man greift übrigens zum vorl. Kompendium allein deshalb schon gern, weil die Beiträge frei sind von Fachchinesisch. Im Text heben sich die zahlreich eingestreuten Beispiele in ihren hellblau unterlegten Kästen besonders gut heraus. Dasselbe gilt für wichtige Auflistungen und für Kern- und Leitsätze bzw. Zwischen- und Forschungsergebnisse. Auch didaktische Experimente und Impulse für die Weiterarbeit sind auf diese Weise gekennzeichnet und deshalb jederzeit wieder leicht auffindbar. Modellzeichnungen und Skizzen unterstützen den Verstehensvorgang beim Lesenden. Man muss die Benutzerfreundlichkeit vor dem Hintergrund abschreckender Gegenbeispiele ausdrücklich und verdienter Maßen loben. Genannt sei schließlich noch das letzte Kapitel des Buches. Seine Empfehlungen für den Zugriff auf Datenbanken und Internet werden dankbar angenommen werden. Wer im pädagogischen Raum tätig ist, kann auf Dauer nicht ohne ein Kompendium der PP auskommen. Die klassische Pädagogik fand sich, wie sich Ältere noch erinnern, überwiegend mit der Philisophie verbunden. Die moderne PP ist demgegenüber eine Erfahrungswissenschaft, die ohne Umschweife der pädagogischen (und psychologischen) Praxis dienen möchte und dieses mit erheblichem experimentellen 50 Aufwand zu erreichen sucht. In dieser Funktion ist sie für Schulen unverzichtbar. Man kann auf eine ganze Reihe von PP-Lexika zurückgreifen, wenn es um Informationen für Erziehung und Bildung geht. Das „Handwörterbuch Pädagogische Psychologie“, im gleichen Verlag von Detlef H. ROST herausgegeben, wäre z.B. eine gute Ergänzung für den einen oder anderen Bereich des vorl. Kompendiums. Was für den KRAPP/WEIDEMANN als Standardwerk in Schule und häuslichem Arbeitszimmer spricht, ist (neben einem durchaus moderaten Preis) die oben schon gelobte Benutzerfreundlichkeit sowie die Sorgfalt und Vielfalt konzentrierter Bearbeitungen aller wichtigen Bezugsfelder. Es dürfte sich für Erzieherinnen, Lehrer und die pädagogisch tätige Pfarrerschaft schwerlich Geeigneteres finden lassen. BECKER, G.E. Unterricht planen. Handlungsorientierte Didaktik. Beltz-V., Weinheim und Basel 2001/8, 252 S.; kartoniert, 1990; ISBN: 3-4072-5346-X BECKERs „Handlungsorientierte Didaktik“ ist ein pädagogisches Werk in drei Bänden, dessen erster hier rezensiert werden soll. Die Bände 2 und 3 sind den Themen „Unterricht durchführen“ und „Unterricht auswerten und beurteilen“ gewidmet. Als Ziel seiner Publikation formuliert der Autor, „die Lehre vom Erwerb jener Qualifikationen und Handlungskompetenzen (zu entfalten), die angehende und praktizierende Lehrerinnen zunehmend in die Lage versetzen, einen humanen, demokratischen und effektiven Unterricht fachmethoden- und sozial kompetent zu planen, durchzuführen und auszuwerten.“ Alle drei Bände wollen miteinander auf drei Wegen zur Verbesserung der unterrichtlichen Situation an den Schulen beitragen: durch Erhöhung der Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz. Diese drei Felder sind gleichscharf fokussiert. Der Schwäbisch Gmünder Hochschullehrer für Allgemeine Didaktik/Schulpädagogik denkt bei der Abfassung seiner Publikation natürlich in erster Linie an seine Studenten und Junglehrerinnen. Was läge für einen Hochschullehrer vom Fach auch näher? Tatsächlich aber ist das dreibändige Werk weit darüber hinaus auch für die vermeintlichen oder wirklichen ‚Profis‘ hinterm Schulkatheder eine Fundgrube für alles, was der Auffrischung der eigenen Lehrerkompetenz dienen kann. Selbst der Schulaufsicht sollte man’s zum nützlichen Gebrauch insgeheim auf den Schreibtisch schmugeln. BECKER gilt unangefochten als Fachmann für die Organisation von Lernprozessen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es inhaltlich vier Anliegen sind, denen das Planungsbuch Rechnung tragen will: 1. Das erste Anliegen ist es , die Unterrichtsplanung differenziert darzustellen. Damit will der Autor der großen Zahl möglicher Unterrichtskonzeptionen gerecht werden. 2. Das zweite Anliegen ist es , der planenden Lehrerin Hinweise zu geben, wie sie Unterricht möglichst effektiv gestalten kann. Hierbei kann man insbesondere von den 'bb' 114-4/2005 Angelsachsen lernen (vgl. die Metaanalysen von WALBERG 1990). 3. An der dritten Stelle folgt das gesellschaftspolitische Anliegen. Will heißen: Zielsetzungen von Unterricht, ja selbst die Medien- und Methodenwahl beinhalten auch politische Entscheidungen von z. T. erheblicher Tragweite. 4. Im vierten und letzten Anliegen sieht sich der Autor selbst in die Pflicht genommen, um eine verständliche Textgestaltung bemüht zu sein: kurz müsse sie sein, schreibt er, dazu prägnant, gegliedert und anregend. Im Einzelnen geht der Autor tatsächlich geduldig und erschöpfend den vielen Überlegungen, entlang, die es in der Praxis braucht, um Unterricht zu planen und vorzubereiten. Jeder, der im Unterrichtsbetrieb steckt, weiß, dass es so sein muss. Das fängt dabei an, die Lernvoraussetzungen einzuschätzen, den Lehrplan anzuschauen, Ziele zu sehen und abzuwägen, die Sache zu analysieren und Schwerpunkte zu finden. Und das ist immer noch nicht zu Ende, wenn man dabei angelangt ist, die Lehr-Lern-Folge zu planen, sich um Medien zu bemühen und Unterrichtsentwürfe schriftlich auszuarbeiten. Insgesamt 22 vorbereitende Schritte kommen auf 230 Buchseiten nacheinander in den Blick. Besonders hilfreich: am Ende eines jeden Abschnittes findet sich ein Kästchen, in welchem die wichtigsten Gesichtspunkte, Schlußfolgerungen oder Marßnahmen noch einmal stichwortartig zusammengefaßt sind. Im Anhang ermöglicht ein Stichwortverzeichnis den schnellen Zugriff zu einzelnen Buchabschnitten oder Sachzusammenhängen. Ein Literaturverzeichnis befördert die Weiterarbeit an den Buchthemen. „Unterricht planen“ – daraus ist ein hilfreiches, praxistaugliches Nachschlagewerk geworden, auf welches Lehrerinnen aller Schularten und -stufen gern und mit Gewinn zurückgreifen werden. GÖTTE, Rose und Karin MANSEL-BALLIER Und was machen wir morgen? Lernfreude und Kinderneugier in der Grundschule. Zielgruppe: Grundschullehrer/innen; Studierende und Lehrende in den Lehramtsstudiengängen. Beltz Praxis. Weinheim und Basel 2005. 160 S. 30m cm; Format: A 4; mit zahlr. farbigen Fotos; kartoniert, 2290. ISBN: 3-4076-2538-3 Eine der schönsten Fragen, die es auf dieser Welt gibt, haben Kinder erfunden: „Und, was machen wir morgen?“ Vorfreude, Erwartung, Spannung, Phantasie, Bestürmen, Vertrauen, Zukunft, Erleben und Erhoffen: dies alles mindestens klingt an, wenn Jan oder Irena uns kurz vor Schulschluß mit dieser Frage bestürmen. Ich habe meinen Lehramtsanwärter(inne)n und Vikar(inn)en in der Ausbildung immer gesagt: Vergeßt in der GS bei der Unterrichtsvorbereitung niemals, dass ihr am folgenden Tag eine (möglichst die Spannung und Vorfreude erhöhende) Antwort auf die genannte Schüler-Frage braucht. Denkt euch abends vorher schon aus, worauf sich die Kinder am folgenden Schultag freuen können... Die Autorin unterrichtete 17 Jahre lang mit großem Erfolg an einer GS in einem sozialen Brennpunkt in Rheinland Pfalz, ehe sie jetzt als Fachleiterin für GS an das Studienseminar Kusel berufen wurde, um dort ihre Erfahrungen an die nachwachsenden Pädagog(inn)en weiterzugeben. Gefördert durch die ehem. Mainzer Kultusministerin GÖTTE will Karin MANSEL-BALLIER nachweisen, dass eine Schulreform möglich ist, die ohne Zusatzstunden und ohne Modellversuchsausstattung gelingt. Sie übersetzt zu diesem Zweck die Kinderfrage in die päd. Fachsprache. Das hört sich dann so an: „Qualitätsentwicklung an den Schulen. Maßnahmen zur Sicherung und Weiterentwicklung eines erfolgreichen Unterrichts: wer wollte sie nicht ergreifen? Aber Probleme mit verhaltensauffälligen Schülern, unterschiedliche Leistungsniveaus, räumliche Enge, dürftige Ausstattung und vor allem personelle Engpässe mit der Folge von viel zu großen Klassen versperren immer wieder den Weg zum Ziel. Umso wichtiger ist es, nach positiven Wegen und Beispielen für den Unterricht zu suchen, „in dem auch unter schwierigen Bedingungen individuelle Förderung stattfindet (...), wo versucht wird, die Lernmotivation zu erhöhen“ (Vorw.) und, so könnte man ergänzen, wo auch die äußeren Bedingungen ständig verbessert werden, damit sich unsere Kinder hier wohlfühlen. Daran arbeitet die Autorin mit uns. Sie hält im ersten, schmaleren Teil auf 23 Seiten in 11 „Grundprinzipien des Unterrichts“ die wichtigsten Erfahrungen fest, die sie in jahrzehntelanger Tätigkeit in Schulen und in der Lehrerausbildung gewinnen konnte. Im Hauptteil des Buches erfährt der Leser auf je einer Doppelseite, wie Unterricht in der GS geht; linksseitig liest man zu jedem „Grundprinzip“ präzise Arbeitshinweise dafür, wie man’s im Unterricht am besten macht (Rhythmisieren; Differenzieren; Rituale; Sinnlich wahrnehmen; Schreibfreude födern; Klassen-Chronik; Spiele einsetzen; Ergebnisse präsentieren; Würdigen; Verantwortung übertragen; Eltern/Fachleute einbeziehen; Außerschulische Lernorte). Auf den rechten Buchseiten führen 4 – 6 Farbfotos die Unterrichts-Umsetzung der genannten Grundprinzipien vor (mit Kurzbeschreibungen). Nach diesem Muster geht es weiter durch das ganze Buch: auf den folgenden 115 Seiten erfährt der Leser, Schritt für Schritt an kronketen Unterrichtsmodellen entlanggeführt (3 Beispiele für jede der vier GS-Klassen), wie ein nach den „Grundprinzipien“ abgehaltener Unterricht in der Schulstube tatsächlich abläuft. Auch hier wieder Doppelseiten: jeweils linksseitig die Beschreibung des Unterrichtsablaufs und rechts Bilder aus dem Klassenraum oder dem außerschulischen Lernort. Man muss schon sagen: konkreter, anschaulicher geht’s nimmer! Wir haben also eine komplette Farbfoto-Dokumentation von insgesamt 4 x 3 = 12 GS-Unterrichtsbeispielen (plus Stunde 13 mit „Sexualerziehung, schuljahrsübergreifend 1.-4-Schuljahr“) vorliegen. Mit diesem allem wird eindrücklich dokumentiert, wie die Praxis in der GS aussehen kann, damit Lernspaß und Kinderneugier erhalten bleiben. Im Nachwort betont GÖTTE, der im vorl. Buch dokumentierte Reform-Unterricht zeige, „wie nachhaltiges Lernen organisiert wird und wie schön Schule sein kann. 51 'bb' 114-4/2005 Und was machen Sie morgen? Wer weiß, vielleicht kommen Sie auf Ihrem Einkaufsbummel bei Ihrer Buchhandlung vorbei... OLBRICH, Hiltraud u. a. Religion kreativ. Reihe „Werkbuch Religionsunterricht 1 bis 6“, Band 10. Ganzheitliches Lernen und Gestalten. Kaufmann-V., Lahr 2005, ISBN: 3-7806-2652-7 und Persen-V., Horneburg 2005. 88 S., kartoniert, 1695. ISBN: 3-83444280-1 Klar, „Religion kreativ“ klingt wie ein Programm. Vollends dann, wenn man sich das kleine Wörtlein „endlich“ dazwischengeschoben denkt. Was aber mag so kreativ an Religion (geworden?) sein, dass dieses Stichwort eine ganze WerkbuchReihe lang den Titel für die Jahrgangsstufen 1 bis 6 hergibt? Keine Frage, die beiden Verlage signalisieren mit ihrer ‚Kreativ-Reihe‘ ein ehrgeiziges Programm: „Die Unterrichtsvorschläge streben mehr als nur methodische Vielfalt an. Sie wollen die kreativen Potentiale der Kinder aufdecken und zur schöpferischen Eigenaktivität motivieren.“ Spielmaterial ist reichlich vorhanden, es muss nur altersmäßig passend und lehrplankonform ins Unterrichtsprogramm eingearbeitet werden, so der Tenor. Betrachtet man die Bände der Reihe näher, dann erkennt man rasch, dass es den Autoren noch um etwas anderes geht. Sie wollen, dass RU-Lehrbücher in Zukunft wieder unverwechselbar fachspezifisch sind. Sie erliegen nicht länger der Verlockung, mit ihren RU-Modellen in der Sozialkunde herumzuwildern. Also nehmen sie sich vor, „kreatives persönliches Handeln (so) zu initiieren, ...dass sich dieses Handeln „im Religionsunterricht an der christlichen Botschaft orientiert und an den durch das Alte und Neue Testament bestimmten ethischen Kriterien: des Friedens, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung. ...In einem dialogischen Geschehen antwortet das Kind auf seine Erschaffung durch den Schöpfer“ (S. 4). Auf dieser christozentrisch orientierten Basis werden insgesamt 8 Unterrichtsmodelle entwickelt: Licht kommt in die Dunkelheit (Weihnachten); Geborgen in Gottes Hand (Religiöse Bildsprache); Wir danken Gott für die Ernte; Angst und Geborgenheit (Beten); Jona-Gott ermöglicht Umkehr; Damals in Jerusalem (Pfingsten); Ich will nicht nichts sein (Tod und Leben); Mit der Schöpfung leben (Verantwortung; Gemeinschaft). Zu diesen acht Modellen gibt es je bis zu einem Dutzend Sequenzen, ‚Elemente‘. Es handelt sich dabei um Unterrichtsbausteine, die Inhalte liefern samt deren methodischdidaktischer Aufbereitung. Alles kann unverzüglich in die Unterrichtssituation übertragen werden. Auch die Materialien (Kopie-Vorlagen, Texte, Lieder, Tabellern, Fotos, Lieder usf.) sind mit dabei. So hat man Lust, gleich mal mit dem Buch in den Unterricht zu gehen. An kreativen Kindern dürfte dort kein Mangel sein! 52 VELLGUTH, K. Ein Wort, dem kein Tod gewachsen ist. Jesus in der modernen Literatur. Reihe „LeseWelten“. Für Lehrer (Sek I und II) aller Schularten der Fächer Religion, Ethik und Deutsch; auch für Gesprächskreise. Kaufmann-V., Lahr 2004, 160 S., kartoniert, 1695 . ISBN 3-7806-2620-9 Jesus – wer ist das eigentlich? Diese Frage stellen keineswegs nur neugierig gewordene Menschen, denen in der ehemaligen DDR der Zugang verwehrt gewesen war zur Zentralgestalt des christlichen Glaubens. Nein, auch im ‚alten Land‘ fragt man so. Jugendliche und Schüler suchen darauf nach einleuchtenden Antworten, wie es Menschen eigentlich aller Altersstuden besonders häufig dann tun, wenn sie in eine ‚Sinnkrise‘ geraten sind oder sich zu einem Bibelabend ins Gemeindehaus ihres Kurortes getraut haben. Der Autor des vorl. Buches entlockt engagierten Literaten der hundert Jahre, die zwischen Oscar WILDE (*1854) und Patrick ROTH (*1953) liegen, eine Fülle oft äußerst überraschender Antwort-Versuche. Die genannte Zeitspanne ist eine der aufwühlensten im zweiten nachchristlichen Jahrtausend. Jedenfalls war dem gewaltsamen Tod, obschon seit eh und je ein Vielfraß, so reiche Beute wahrlich noch nie zuvor beschieden: im zweiten 30jährigen Krieg, dem also zwischen 1914 und 1945, fand sich so leicht kaum einer, der ihm unbeschadet entronnen wäre. Den dahingemeuchelten 60 – 70 Millionen Toten war dies nicht gelungen. Wären sie nacheinander Kopf an Fuß aufgereiht und wanderte man an dieser Strecke mit, sagen wir, arbeitstäglich 30 km Fußmarsch entlang – man wäre wohl 20 Jahre unterwegs! Eine Strecke des Grauens. Vor solch einem, blankes Entsetzen erregenden Bild scheint es eine rechte Provokation, den Titel dieses Buches so zu formulieren, wie es dem Herausgeber der vorl. Textsammlung eingefallen ist. Was ist das für ein Wort, dem kein Tod gewachsen ist? VELLGUTH möchte seine Leserschaft dazu bewegen, einen weniger aufwühlenden als den oben ins Auge gefaßten Reiseweg zu wählen, um dieses Wort aufzuspüren; eine Route nämlich, die einer sich über 99 Jahre hinziehenden Literatenspur folgt. Und zwar in der Hoffnung, wirklich das Wort zu finden, dem selbst 70millionenfacher Tod nicht gewachsen sei. Läßt man sich darauf ein, fragt also bei den Literaten nach diesem „Wort“, so fallen die Ant -Worten nach Inhalt und Verstehensziel oft überraschend, niemals langweilig und fast immer provozierend aus: „bekenntnishaft oder zweifelnd, beschreibend oder visionär, idyllisch oder rebellisch“. Wie auch immer: der Hrsg. erwartet, dass seine Literaten und ihre Leser miteinander in einen Diskurs eintreten mit dem Ziel, „eine ganz eigene Antwort auf die Frage zu finden, wer dieses Wort heute ist.“ Wer? Freilich, denn gemeint ist Jesus Christus als „das eine Wort Gottes, (...) dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“ (Barmer Theol. Erkl. 1934, These 1). Albert Schweitzer hat einmal gesagt, der Nazarener sei eine ideale Projektionsfläche für Gläubige, Forscher und Schriftsteller. Will sagen: „die meisten Jesus-Bilder ähneln mehr den Verfassern des literarischen Werkes als dem histo- 'bb' 114-4/2005 rischen Jesus“ [S. 7]. Gerade das aber qualifiziert sie erst dazu, als Folie für die Auseinandersetzung mit dem Nazarener zu dienen, will mir scheinen. Die 83 (!) zusammengetragenen Ant -‚Wort‘-Texte der Literaten sortiert der Hrsg. in sieben bibelnahe Rubriken ein: Jesus‘ Geburt; Gott als Mensch; Gleichnisse und Wunder; Passion; Auferstehung; Anklage; Unter uns. Im Anhang des Buches folgen für jeden vorgestellten Text meist drei Impulsfragen. Zudem werden die zwischen den Buchdeckeln zu Wort kommenden Autoren nicht nur namentlich genannt , sie erfahren darüber hinaus auch eine knappe zeitgeschichtliche Einordnung und literarische Würdigung. Der VELLGUTH ist mit seiner Vielfalt von Lyrik- und Prosatexten wieder so ein Buch, das bei jedem in den Bücherschrank gehört, der im religionspädagogischen Bereich tätig ist. By the way: langwieriges Themen- und Textgesuche für Schülerreferate im RU wie für Klassen- oder Abiturarbeiten gehört ab jetzt der Vergangenheit an. FRITZ, V. u. a. (Hrsg.) mit Esther Richter (Illustr.) Vieles ist neu 1. Religion im ersten und zweiten Schuljahr. Biblische Texte, Lieder und Szenen für die Grundschule (GS). Kaufmann-V., Lahr mit Person-V., Horneburg 2005. Schulbuch 1/2: durchgehend farbig illustriert, 80 S., kartoniert, 1195; ISBN 3-8344-4200-3. Lehrerhandbuch Vieles ist neu 1.: mit Abbildungen versehen.. 56 S.; geheftet, 1895; ISBN 3-8344-4204-1 Das Unterrichtswerk ist dem neuen Bildungsplan GS in BadenWürttg. eingepasst. Ein Blick auf die Bildungsstandards und Kompetenzen, welche die Lernangebote von „Vieles ist neu“ bestimmen, zeigt allerdings, dass letzteres ebenso an den Schulen jedes anderen Bundeslandes in Gebrauch genommen werden könnte. Auch dort geht es schließlich in der Eingangsstufe der GS um die „Dimensionen“ (so sind die Themenfelder benannt) ‚Mensch‘, ‚Welt und Verantwortung‘, ‚Bibel‘, ‚Gott‘, ‚Jesus Christus‘, ‚Kirche und Kirchen‘ nebst ‚Religionen und Weltanschauungen‘. Daraus leiten sich im Schulbuch die vier Inhaltsteile ab: Ich bin ein Geschöpf Gottes – Jesus: Gott kommt zu uns – Familiengeschichten – Wir glauben. Als Lieder sind berücksichtigt: Meinem Gott gehört die Welt – Kindermutmachlied – Kind, du bist uns anvertraut – Eine freudige Nachricht – Zu Pfingsten in Jerusalem. Auf jeweils einer Doppelseite finden die Kinder entweder einen kurzen biblischen Text oder ein Thema aus ihrer eigenen Lebenssituation u./o. Erfahrungswelt. Die Impulse, die sie anschließend in Einzelarbeit oder in Gruppen bearbeiten können, sollen ihnen helfen, „religiöse Kompetenz zu erwerben und zu vertiefen“ ( so im Leittext formuliert). Layout, Satz und Illustrationen des Schulbuches sind hervorragend. Die Text- und Bildanordnung ist erfreulich großzügig gehandhabt. Im Lehrerhandbuch gibt es detaillierte methodisch-didaktische Aufbereitungen und zahlreiche Getaltungsvorlagen. Im Lehrerhandbuch ordnet eine Synopse den ‚Dimensionen‘ ihre Lernziele zu, nennt die im Unterrichtswerk 1 – 4 vorgeschlagenen und ausgearbeiteten Unterrichtsschritte und verweist in einer dritten Spalte auf die jeweiligen Buchkapitel. Auf eine Besonderheit sei ausdrücklich hingewiesen: Abweichend von manch anderem Unterrichtswerk zum RU liegt den Autoren daran, die sog. „Geistliche Gestaltung“ mit in diesen einzubeziehen. Es geht ihnen offensichtlich um mehr als nur darum, auf biblischer Grundlage die Hauptstücke des christlichen Glaubens kennenzulernen, einen Kanon von Memorierstücken zu vermitteln und vor kirchlichen Festtagen miteinander ein Lied einzuüben: wenn jedes Schulbuchkapitel, wie hier, mit einer Liturgieseite schließt, dann sind Meditation, Andacht und gottesdienstliche Feier als Elemente christlicher Lebensführung erkannt und im RU als Lernziele vorhanden. Da gehören sie auch hin. Lehrerinnen der 1.u.2. Grundschulklassen dürften mit dem vorl. Unterrichtswerk problemlos zurechtkommen. Kinder, so zeigen erste Unterrichtsversuche, sind von ihrem Reli-Buch begeistert. FILITZ, Martin Jesu Christi eigen. Der Heidelberger Katechismus in biblischen, poetischen, theologischen Bezügen; gesammelt vom Autor. Hrsg.: Lippische Bibelgesellschaft, Detmold 2004, 304 und XIV S. Der neben dem lutherischen bekannteste Katechismus des 16. Jh., der reformierte „Heidelberger Katechismus“ (HK) ist kein Werk eines einzelnen Autors, sondern ein Gemeinschaftswerk vieler Theologen und „gottselig gelehrter Männer“ (S. II). Man kann in ihm einen frühen Vorläufer unserer RU-Schulbücher sehen. Federführend waren die Reformatoren Caspar OLEVIAN aus Trier und Zacharias URSINUS aus Breslau. Entstanden ist der HK für den „christlichen Unterricht, wie er in Kirchen und Schulen der kurfürstlichen Pfalz getrieben wird.“ Seine Absicht war und ist es, „das Zeugnis der Hl. Schrift zu bündeln und zugleich zum rechten Verständnis der Bibel zu verhelfen“ (s. Vorwort). Der HK wurde 1563 von Kurfürst Friedrich III von der Pfalz in eine neue, soeben abgeschlossene reformierte Kirchenordnung eingefügt und für sein Land verbindlich in Kraft gesetzt. Bis in die Gegenwart hinein dient er als Lehr- und Unterrichtsbuch der deutschen, holländischen, ungarischen und schweizerischen Reformierten. Er wollte von allem Anfang an • der Lehrpraxis der Pfarrer und der Unterweisung der Jugend dienen, • abschnittsweise in den Gottesdiensten, über das Jahr verteilt, ins Gedächtnis zurückgerufen werden und • „eingeteilt in 52 Sonntage (...) als Thema-Grundlage für den Nachmittagsgottesdienst bzw. die Nachmittagspredigt Verwendung finden“ (a.a.O.). Die 129 knappen Fragen und Antworten des HK zu dem, was des Christen „Trost im Leben und im Sterben“ (Frage 1) ist, haben über die Jahrhunderte hinweg zu vielfältigen Kommentaren, Weiterführungen, stützenden wie kritischen Beiträgen 53 'bb' 114-4/2005 angeregt. Da hat sich eine breite Sekundärliteratur angesammelt. Es ist das Verdienst des lippischen Theologen FILITZ, alles gesammelt zu haben, dessen er in den Quellen habhaft werden konnte. Frage für Frage ummantelte er anschließend mit • biblischen Belegstellen, • Gesangbuchstrophen und poetischen, sowie • theologischen und speziell literarischen Texten. Auf diese Weise ist ein Nachschlagewerk entstanden, das zwar kein Theologiestudium ersetzt, aber immerhin den HK als weitweite, zentrale Glaubensurkunde der Evangelisch – Reformierten – Christenheit in einmaliger Weise dem unmittelbaren Zugriff, dem alltäglichen Gebrauch in Predigt und Lehre, in Gemeinde und Schule öffnet. Insgesamt ein äußerst dankenswertes Unterfangen. Vor allem für Religionslehrerinnen und Pfarrer ist die Sammlung ein kaum zu überschätzender Schatz an Textmaterial für den RU in Schule und Gemeinde REICHLE, Barbara Hochbegabte Kinder. Erkennen, fördern, problematische Entwicklungen verhindern. Eine praxiserprobte Handlungsanleitung für einen professionellen Umgang mit hochbegabten Kindern und Jugendlichen – mit Kopiervorlagen zur Identifikation und Diagnostik. Beltz Pädagogik 2004, 144 S., broschiert, 1990. ISBN 3-40725351-6 Der Verlag hält das Buch für so wichtig, dass er es in seinem Halbjahresprospekt gleich vorn an erster Stelle vorstellt. Unerkannt hochbegabte Kinder leiden nicht selten darunter, dass sie in einer auf die Förderung von leistungsschwachen Schülern ausgerichteten Schule gar nicht erkannt oder zumindest weniger beachtet und damit am Ende womöglich schlimm verkannt werden. Die Folgen: völlig unerwartetes, unerklärliches Leistungsversagen, dazu Persönlichkeitsveränderungen, Reifeverzögerungen, psychische Instabilitäten. Alles Befindlichkeiten, vor denen man gerade Hochbegabte lange Zeit gefeit wähnte. Wenn Hochbegabung nicht erkannt und Fehlentwicklungen nicht verhindert werden, erwachsen daraus leicht problematische Bildungskarrieren, die zu Schulabbruch und Berufsversagen führen und bei der Sozialfürsorge enden können. Wer sich derlei Werdegänge vor Augen führt, den überraschen Statistiken nicht mehr, welche hochbegabte Schüler/Studenten signifikant suicidgefährdeter sehen als ihre Altersgenossen. Die Autorin, Diplompsychologin und ausgewiesen als Grund-, Haupt- und Ludwigsburger Hochschullehrerin, greift in vorliegender Publikation auf einen reichen Schatz an Erfahrungen in Anamnese und Therapie von problematischen Hochbegabungen zurück. Daraus erwuchs über die Jahre eine „praxiserprobte Handlungsanleitung“ (Cover), die in vorl. Publikation vorgestellt wird. Zunächst vermittelt die Autorin Grundkenntnisse über das eigentliche Phänomen „Hochbegabung“. Sie zählt Charakteristika hochbegabter Kinder auf, als da vorzugsweise sind: 54 besonders auffälliges Neugier- und Explorationsverhalten; sehr hohe Begriffs-, Abstraktions- und Übertragungsleistungen; frühes Interesse an Symbolen und abstrakten Konzepten; hervorragende Gedächtnisleistungen u.m.m.. Die Folgen sind nicht selten Underachievment , Streber-Angst und Camouflage. Erkennt man Symptome von Hochbegabung, dann gilt es unverzüglich zu handeln. Aber was kann man tun? Fördermöglichkeiten mit dem Schwerpunkt Akzeleration wären: vorzeitige Einschulung u./o. schnelleres Durchlaufen der Schullaufbahn; eine flexible Schuleingangsphase; das Überspringen von Klassen; das Abkürzen der gymnasialen Ausbildungsphase oder eine vorzeitige schulparallele Zulassung zum Uni-Studium (seit 2005 z.B. in Würzburg und bisher erfolgreich in der Erprobung). Im zweiten Teil ihres Buches begibt sich die Autorin auf den „Weg zu einem professionellen Umgang mit Hochbegabten in der Schule“ (S. 59ff.). Fallbeispiele, inklusive ausführlicher Diagnosen samt therapeutischen Konsequenzen, vermitteln einen höchst aufschlussreichen Einblick in Möglichkeiten konkreter Hochbegabten-Förderung. Der dritte und letzte Teil des Buches bringt auf 45 Seiten einen Anhang mit äußerst hilfreichen Informationen. Eine Chekliste („Lernverhalten, Motivation, Kreativität und Soziale Fähigkeiten“) zur Vorauswahl von hochbegabten Schülern verhilft dazu, derselben überhaupt erst einmal ansichtig zu werden. Es folgt eine Übersicht der Adressen von Schulen bzw. Klassen in Deutschland mit besonderen Förderprogrammen, übrigens auch solchen für den Vorschulbereich. Mit aufgeführt sind auch alle hierzulande angebotenen Schüler- und Jugendwettbewerbe (naturwissenschaftliche, geistes- und sozialwissenschaftliche und musisch-kulturelle), dazu die Auswahlwettbewerbe zu den Internationalen Olympiaden für Biologie, Physik und Chemie. Ein Kurzbeitrag über die Deutsche SchülerAkademie sowie die Adressen von Fachvereinigungen/ Institutionen/Vereinen/ Beratungsstellen u.ä. beschließen dieses höchst lesenswerte, hilfreiche und darin äußerst wichtige Buch. Sagen wir’s so: Ein Minister HÖCHERL lief nicht ständig „mit dem Grundgesetz unterm Arm herum“. Anders als er sollten wir das in unserem Zusammenhang durchaus zu tun erwägen! Denn mit der ‚REICHLE‘ unterm Arm dürfte es so schnell keine Möglichkeiten mehr geben für Hochbegabten – Katastrophen ! SCHMITTHENNER, F. C. und S. HESS (Illustr. u. Layout) Bräuche – Quiz. 120 spannende Rätselfragen und Antworten zu christlichen Festen und Bräuchen. Kartenblock für Kinder ab 8 Jahren, Familien, RU, Konfirmanden-Vorbereitung, Jugendgruppen und Bibelkreise. Kaufmann-V., Lahr 2005; Handformat 7 x 14 cm; Spiralbindung, 695; ISBN 3-7806-2650-0 In Zeiten, wo Frageonkels wie Günter JAUCH in der Glotze Spitzenquoten erzielen, profitieren auch andere vom QuizBoom. In Lahr jedenfalls kam man auf die Idee, 64 Fragekärtchen im o.g. Format durch eine robuste Spiralbindung miteinander stabil und doch leicht aufklappbar zu verbinden 'bb' 114-4/2005 und mit 120 Fragen nebst rückseitigen Antworten zu bedrucken: Im multiple – choice – Verfahren (3 mögliche Antworten) und mit hohem Unterhaltungswert wird das Wissen zur christlichen Religion, speziell zu christlichen Festen und Bräuchen erfragt. Themen sind Advent, Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Erntedank, Taufe und Hochzeit. Also: Wer immer schon wissen wollte, was der Hahn auf dem Kirchturm treibt, in welchen Bundesländern der hl. Bonifatius zugange war oder ob an Palmsonntag die Palmbüsche vom letzten Jahr zu erneuern sind ... wer sich derlei Fragen stellt, kann aufatmen: seine Wissbegier wird, sozusagen spielerisch, befriedigt. Man kann sich leicht vorstellen, dass neben den beiden bereits vorliegenden Quiz-Kartenblöcken (‚Bibel-Quis‘ ‚ReliQuiz‘) das Bräuche-Quiz am Familientisch, im Ferienauto durchs norddeutsche Flachland, in Jugendgruppen und treuen Bibelkreisen (sehr erfolgreich übrigens auch beim Seniorennachmittag) ebenso mit Begeisterung gespielt wird wie zur Entspannung im Religionsunterricht oder bei der ansonsten eher unbeliebten Vertretung in der 8. Klasse Hauptschule, Freitag siebte Stunde. Resümee: waren schon die beiden handlichen, ebenfalls spiralgebundenen Spielblöcke ‚Bibel‘- und ‚Reli-Quiz‘ mit ihren Fragen zu biblischen Personen und Ereignissen, Gebäuden und Gegenständen oder zu Symbolen und schwierigen Begriffen ein Volltreffer, so dürfte das ‚Bräuche-Quiz‘ auf der nach oben offenen Beliebtheits-Skala mindestens den Wert 7,6 erreichen, wetten? MOOG, W. und A. SCHULZ Zahlen begreifen. Diagnose und Förderung bei Kindern mit Rechenschwäche. Mit Test- und Trainingsverfahren. Beltz-V., Weinheim und Basel, 2. überarbeitete Aufl. 2005. 241 S. mit Abbildungen. Einband: KSTO 2590. ISBN: 34076-2530-8 Das Buch enthält die beiden für die (Erkennung und) Förderung rechenschwacher Schüler erforderlichen Handwerkszeuge: 1. als Teil I das von den beiden Autoren dortselbst entwickelte Dortmunder Zahlenbegriffstraining (ZBT), 2. als Teil II den Dortmunder Rechentest für die Eingangsstufe (DORT-E), beide ergänzt durch 3. Fallbeispiele zur Demonstration der Wirksamkeit der hier vorgelegten Instrumentarien. Das ZBT ist entwickelt für Schüler der Sonderschule L, Klasse 2 und 3 bzw. für Grundschüler ab dem Ende der ersten Klasse. Für diese Förderkinder wird ein strukturiertes achtstufiges Training angeboten. Im Übungsverlauf wird ein Zahlbegriff aufgebaut, der die Zahl-Menge-Zuordnung, die Zahlraumvorstellung bis 10, die Mengen- und Zahlzerlegung/-vereinfachung und –ergänzung von äußeren Zählbehandlungen zu internen Vorstellungen schrittweise zu verinnerlichen sucht. Geübt werden Zahl- und Abzählfertigkeiten, das Mengenrelations- und Mengenoperations-Verständnis und, nach einiger Zeit, ein erstes numerisches Addieren im Zahlenraum bis 20. Es handelt sich bei Teil I um ein inzwischen vielfach erprobtes, strukturiertes Training zur Förderung des Zahlenbegriffsverständnisses. Trainiert und automatisiert werden (Stufe 1 – 5) Zähl- und Abzählfertigkeiten sowie (Stufe 6 – 7) Mengen- und Zahlrelationen, Mengenoperationen. Den Schluß (Stufe 8) bildet eine Vertiefungsphase. Um vorweg herauszufinden, wo man bei den rechenschwachen Schülern einsetzen muß, bzw. um deren Lernfortschritte im Laufe des Unterrichts zu messen, wendet man Teil II, den Rechentest an: Der DORT-E ist ein Diagnose-Instrument zur Feststellung der Indikation des Trainigs und erreichter Lernfortschritte. 40 Seiten des Buches bringen Testmaterialien und Bildvorlagen. Alles ist inzwischen in kontrollierten Evaluationsstudien dokumentiert und auf seine Lernwirksamkeit hin vielfach überprüft worden. Es gibt zwar schon seit Jahren Testverfahren, die sich im Primarbereich bewährt haben und so einsetzen lassen, daß sich die Lehrkraft je nach den Umständen und dem Ziel ihrer Förderung das eine oder andere Modellstück herauspickt. Unsere Autoren wählen einen anderen Weg: sie bieten ein strukturiertes Förderprogramm an, das sich aufgrund einer lienear angeordneten Übungsaufeinanderfolge über einen längeren Zeitraum hin erstreckt. Dabei ist besonders erwähnenswert, daß vor allem „den rechenschwachen Schülern mit einem fundierten Zahlbegriff (der) Zugang zur Mathematik deutlicht erleichtert“ werden soll (Vorw.). Also ein wichtiges Buch für rechenschwache Sorgenkinder in unseren Grundschulen. VELKD-Arbeitsgruppe >Kinderkatechismus< (Hrsg.) Wenn dein Kind dich fragt. Impulse zur religiösen Begleitung von Kindern und Jugendlichen. Kaufmann-V., Lahr und Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2004. 160 Seiten mit Illustrationen. Gebunden, 1495; ISBN 3-7806-2639-X Er ist längst zum Klassiker geworden, der in den 80er Jahren erschienene Kinderkatechismus „Erzähl mir vom Glauben“. Von Schulen und Gemeinden wird er bis heute gut angenommen. Er ist jetzt bei seiner 6., einer völlig neu überarbeiteten Auflage angekommen. Immer neue Weihnachtsmänner – Scharen (Großeltern, Eltern oder Paten) haben ihn ihren Lieblingen Jahrzehnte lang unter den Christbaum gelegt; viele, viele Stunden lang wurde daraus vor- oder selbst gelesen. Und da der Appetit geweckt war, gab die federführende Arbeitsgruppe inzwischen in der gleichen äußeren Aufmachung einen zusätzlichen Band heraus: ein ganzes Buch voll kapitelweise, also thematisch zugeordnete Erzähl- oder Vorlese- Geschichten (Titel: ‚Vorlesebuch – Erzähl mir vom Glauben‘; vgl. ‚bb‘ 108, S. 63 ff.). Wenn jetzt in der Kinderkatechismus – Familie ein dritter, ein „Impulse“-Band erscheint, dann reagiert der Herausgeberkreis damit auf Wünsche der Leserschaft: es fehle an einer brauchbaren Handreichung zur unterrichtlichen Erschließung des Katechismus. Dieses ebenso gut verständliche wie erfreu- 55 'bb' 114-4/2005 liche Anliegen aufgreifend, will der vorl. Band das Gespräch über und die Auseinandersetzung mit den Inhalten des christlichen Glaubens, wie sie sich im Kinderkatechismus darstellen, strukturieren und fördern. Er bietet seine Anregungen für insgesamt drei Altersstufen an: ab 4, ab 9 und ab 14 Jahren (Konfirmanden!). Ein Glossar liefert elementare Informationen zu wichtigen biblischen und religiösen Sachverhalten. Selbstverständlich kann der „Impulse“- Band auch losgelöst vom eigentlichen Kinderkatechismus in Haus, Gemeinde und Schule gute Dienste tun. Im Kern geht es im vorl. Band darum, mit Lesetexten aus der Erzählliteratur, die altersstufengemäß ausgewählt und gekennzeichnet sind. Sie sollen Gesprächsprozesse daheim, in der Gruppe, in der Jugendarbeit und in der Schule anregen, „offene Dialoge“, wie die Herausgeber hoffen. Die Themen sind: >Freundschaft – Beziehungen – Liebe<, >Angst – Hoffnung – Vertrauen<, >Gebote und Werte<, >Wahrheit und Lüge<, >Jesus<, >Gott<, >Leben in einer Welt<, >Im Rhythmus der Zeiten< und >Leben mit dem Tod<. Die Bearbeitung jedes Themas beginnt mit je einem auf die drei o.g. Altersstufen abgestimmten Lesetext. Angefügt sind mancherlei weiterführende Impulse, vermittelt durch Fragebögen, Cartoons, Comics, Sachinformationen, kurze Bibetexte und Vorlagen für Meditation und Gebet. Sie alle sind grafisch sehr ansprechend aufgemacht: nicht zuletzt darin zeigt sich die langjährige kinder-, schul- und jugendpublizistische Erfahrung der beiden Verlage. Bei solcher schöpferischen Vielfalt kann man sich leicht vorstellen, dass alsbald auch andere Gruppierungen und Altersstufen (wie Männer-, Frauen- oder Seniorenkreise u.w.) von dem vorl. Buch erreicht werden. Wer weiß, vielleicht mausert es sich gar mit der Zeit zu einer Art christlichem Hausbuch. ‚Münte‘ könnte dann einen weiteren seiner berühmten Dreiwort – Klassiker rauslassen: Vermißt – gedruckt – Volltreffer! HILKERT, M. und S. HORST (Vignetten) Mit Kindern das Abendmahl entdecken und feiern. Eine Arbeitshilfe für Gemeindemitarbeiterinnen, Religionslehrerinnen in der GS, Pfarrer, Eltern und Taufpaten. Mit einem Verteilheft für Kinder ab 6 Jahren (s.u.). Kaufmann-V., Lahr 2005, 64 S. ; mit Vignetten; kartoniert, 1295. ISBN 3-7806-2645-4 Klevere Sechsjährige wie Hemrichs Matthias sagen schonmal auf dem Nachhauseweg zu den Eltern: „Taufen habe ich mich lassen müssen, aber wieso darf ich nicht zum Abendmahl?“. Der betuliche Satz: „Erst musst du konfirmiert sein, dann darfst du‘s auch...“ kommt beim Filius überhaupt nicht gut an, wie sollte es auch anders sein? Wahrscheinlich würden Eltern und Paten ihre Sprößlinge dem Altar nicht länger fernhalten, wenn sie wüssten, dass die Minis in der Frühzeit der Kirche bis weit ins Mittelalter hinein ganz selbstverständlich Gäste am Tisch ihres himmlischen Vaters waren, sie hatten ja schließlich auch ihren festen Platz am Tisch ihres irdischen Vaters. Die Aufforderung von Jesus: „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ hat, entgegen allen 56 ständig wiederholten pseudoexegetischen Begründungen, nichts, aber auch wirklich garnichts mit der Säuglingstaufe zu tun. Wenn schon, dann könnte sie allenfalls und diesmal mit einigen guten Gründen, die Einladung von Kindern zum Abendmahl rechtfertigen. Es ist vor diesem Hintergrund überhaupt nicht aufregend, und es widerstreitet schon gar nicht dem Evangelium, wenn Eltern zunehmend häufiger in ihren Gemeinde-Gottesdiensten gemeinsam mit ihren Kindern am Abendmahlstisch präsent sind. Da dies aber immer noch nicht selbstverständlich und die Kinderteilnahme umstritten ist, wird man das vorl. Hilfsbüchlein des Religionspädagogen vom RPI der Ev. Landeskirche Baden vor allem dort begrüßen, wo man die kinderlose Abendmahlszeit längst schon gern und so rasch wie möglich beendet hätte, aber nicht wusste, wie dies anzustellen sei und, vor allem, wie sich Widerstände freundlich und ermutigend überwinden lassen. Diese Not hat nun ein Ende. Versteht sich das Büchlein doch ausdrücklich als Arbeitshilfe, will also „Eltern, Lehrern und GemeindemitarbeiterInnen umfassende Information über Wurzeln, Geschichte und Bedeutung des Abendmahls geben“ (Cover), Spielmaterial für einen neuen Anlauf, Kindern den Weg zum Abendmahl endlich wieder zu eröffnen. Es ist erfreulich zu sehen, dass HILKERTs Schrift die besten Voraussetzungen dafür schafft. Dass dies Werk gelinge, dass vor allem Widerstrebende liebevoll, einfühlsam und mit Geduld an die zu verändernde Abendmahlspraxis herangeführt werden, dies wünschen sich landauf, landab viele engagierte Christen. „Entdeckungsreise“ ist dabei das klug gewählte Stichwort. Dieses möchte selbst beim eingefleischtesten Skeptiker Lust und Neugier wecken, sich mit auf den Weg zu machen. Und der beginnt – wo auch sonst? – bei den Wurzeln (‚Passamahl‘) des Mahls ( S. 14 ff.), begleitet dieses durch die Geschichte der Christenheit (‚erste Christen, Mittelalter, Reformation, Gegenwart‘) und stellt „theologische und pädagogische Entdeckungen“ vor. Es ist erfreulich, dass kritische Einwände(„Kinder verstehen nicht, was Abendmahl bedeutet“; „welchen Sinn hat dann noch die Konfirmation?“ u.a.m. [S. 23 ff.]) breiten Raum erhalten. So läßt sich am besten die eigene mit anderen Positionen vergleichen. Für überzeugende Rückgriffe auf biblische Befunde ist gesorgt. Jetzt muss die Entdeckungsreise noch zur Abendmahlsliturgie führen, wobei praktischer Weise „Anregungen zu ausgewählten liturgischen Schritten“ (S. 35) gleich mitgeliefert werden. Den Abschluß des Büchleins bilden didaktische Hinweise zum beigepackten Verteilheft für Kinder „Wir entdecken das Abendmahl“ (s. u.). Man kann dem Autor nur wünschen, dass ihn Gemeinden, Schulen und Familien mit ebenso viel erst spannender Erwartung und dann überzeugter Zustimmung auf seiner einfühlsamen „Entdeckungsreise“ begleiten, wie es beim Rezensenten der Fall war. Dieser erlaubt sich, alle Gotteskinder in Gemeinde, Schule und Haus noch einmal an die Einladung des Gastgebers der ersten Festtafel zu erinnern: „Lasset die Kindlein zu mir kommen...!“ Wilhelm R. Reinmuth 'bb' 114-4/2005 inhalt 'bb' 114-4/2005 meditation u-stunde: u-stunde: liebe leser 1 überlegungen zum „bösen“ 3 (un-)willkommen?! – reaktionen auf jesus 5 hans-georg babke barbara ränsch-trill rené herbig ethische fallbesprechung ethik im lebensalltag 12 „wer schafft dem baum des lebens die blätter?“ 21 dörte gloy fachbeitrag: – eine überlegung aus religionspädagogischer sicht in drei teilen – klaus knoke fachbeitrag: „...und erlöse uns vom bösen“ erlösergestalten in film und kino 24 anmerkungen zum islamischen religionsunterricht 33 spiel und spielzeug auf der schwelle eines neuen zeitalters 37 wenn kinder die schwächsten in der menschlichen gemeinschaft sind, wie sollen sie die starken für die zukunft der menschheit sein? 42 manfred tiemann fachbeitrag: fachbeitrag: friedrich weber hein retter fachbeitrag: ein pädagogisch-globaler zwischen- und mahnruf jos schnurer buchtipps wilhelm r. reinmuth 47