Didaktik der Geometrie und Stochastik WS 2010/11 5.1 Abriss der Geschichte der Geometrie 5.1.1 Entwicklung einer an praktischen Fragen sich entwickelnden Mathematik in den frühen Hochkulturen Ägyptens, des Zweistromlands, des Indus und in China. Hochkulturen um 3000 v. Chr. 5.1.2 Ägypten: Flächen- und Rauminhaltsberechnungen im Zusammenhang mit dem Bau der Pyramiden. Schriftliche Zeugnisse: 1. Papyrus Rhind (2000 – 1700 v. Chr.), eine Art mathematisches Handbuch bekannt unter dem Namen „Rechenbuch des Ahmes“. Beispiel: Volumen des Pyramidenstumfes 2. Die jährlichen Nilüberschwemmungen zwangen zur genauen Vermessung der Felder (Rechte Winkel, Satz des Pythagoras), erwähnt bei griechischen Schriftstellern 5.1.3 Zweistromland: Entwicklung der Astronomie, dadurch Entwicklung der Winkelmessung und der Geometrie (ca 2500 v. Chr.). Einteilung des Vollwinkels in 360°. 5.1.4 China: Figur zum Satz des Pythagoras (400-600 v. Chr.) 5.1.5 Griechische Mathematik: 1.Neuer Ansatz im griechisch-antiken Denken: Nicht mehr nur zur Befriedigung praktischer Bedürfnisse wird Mathematik entwickelt, sondern aus philosophischem Interesse: Die Folge Definition – Satz – Beweis ist eine griechische Errungenschaft. Das Wort „Geometrie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Erdmessung“. In der so genannten „griechisch-antiken“ Schule unterscheidet man die ionische, die athenische, die alexandrinische Periode und die Spätzeit (nach Kaiser-Nöbauer, Geschichte der Mathematik). 1. Ionische Periode: 1. Thales von Milet (um 600 v. Chr.) : Er ist der erste Mathematiker, nach dem Sätze benannt worden sind (v. a. Sätze über das gleichschenklige Dreieck), war außerdem Kaufmann, Astronom, hat die eine Sonnenfinsternis richtig vorhergesagt. 2. Pythagoras von Samos (um 550 v. Chr.) : Begründer einer Philosophenschule in Süditalien. Gott hat die Welt nach Zahlen und Zahlenverhältnissen geordnet. Man weiß nicht genau, was Pythagoras in der Mathematik selbst entdeckt und was seine Schüler entdeckt haben. Wahrscheinlich haben die Pythagoreer den ersten Beweis des nach Pythagoras benannten Flächensatzes angegeben. 18. 1. 11 Didaktik der Geometrie und Stochastik WS 2010/11 Entdeckung irrationaler Zahlen durch Anhänger dieser Schule (vermutlich Hippasos), dadurch Grundlagenkrise ausgelöst. In der Astronomie vertraten die Pythagoreer die Auffassung, dass sich die Gestirne auf ewig gleichen Kreisbahnen bewegen. 2. Die athenische Periode (450-400 v. Chr.) Blütezeit der Sophisten (Weisheitslehrer), z. B. Zenon Philosophenschule in Athen: Platon, Begründer der gleichnamigen Akademie: „Niemand trete ein, der nichts von Geometrie versteht“. Beschränkung der Konstruktionshilfsmittel auf Zirkel und Lineal. Platon ist vor allem bekannt durch seine Ideenlehre. Aristoteles, Begründer der formalen Logik Platon und Aristoteles haben über die Kirchenlehrer des rühchristentums und über den Humanismus die weitere Entwicklung der abenländischen Wissenschaft wesentlich beeinflusst. Beide, Platon und Aristoteles haben der Geometrie einen hohen Rang eingeräumt und andere Wissenschaftszweige nach deren Vorbild streng geordnet nach dem Schema „Definition, Satz, Beweis“. 3. Die alexandrinische Periode (ca. 400 - 200 v. Chr.): Euklid steht am Übergang von der athenischen zur alexandrinischen Periode. Er war zwischen 330 v. Chr. und 300 v. Chr. Vorsteher der Bibliothek von Alexandria. Er verfasst um 320 v. Chr. nach einigen Vorläufern und Vorarbeiten von Elementenschreibern wie Hippokrates, Theaitet, Leon unter dem Einfluss von Platon seine „Elemente“ (ca 320 v. Chr.). Es ist eine Gesamtdarstellung des mathematischen Wissens seiner Zeit. Es wird zum Standard-Lehrbuch der Mathematik und zum einflussreichsten Buch der Mathematikgeschichte. Noch bis zum 19. Jahrhundert dienten „die Elemente“ vielerorts als Grundlage des Mathematikunterrichts. Nach der Bibel waren „die Elemente“ das meistgedruckte Buch der Weltliteratur. Euklids streng axiomatische Vorgehensweise nach dem Schema „Axiom – Definition – Satz – Beweis wurde zum Vorbild für jede wissenschaftliche Denkweise. In der Renaissance spricht man von „more geometrico“. Archimedes ist der wohl bedeutendste Mathematiker und Physiker der Antike. Er wirkte die meiste Zeit in seiner Heimatstadt Syrakus. Dort starb er bei der Einnahme der Stadt 212 v. Chr. durch die Römer. 18. 1. 11 Didaktik der Geometrie und Stochastik WS 2010/11 Er hat das erste systematische Verfahren zur Eingrenzung der Zahl Pi angegeben (Ein- und Umbeschreiben des Kreises durch Vielecke). Berechnung von Flächeninhalten und Oberflächen- und Rauminhalten von Körpern (Parabelsegment, Kugel, Rotationskörper) mit Hilfe der Exhaustionsmethode. Entdeckung wichtiger physikalischer Gesetzmäßigkeiten (Hebelgesetz, Gesetz vom Auftrieb). Archimedes kann als Vater der „mathematischen Physik“ bezeichnet werden. Bestimmung der halbregulären Körper. Eratosthenes: Spitzname „beta“ (der zweite nach Archimedes) war Mathematiker, Geograph, Historiker, Philologe und Dichter. Eratosthenes war Direktor der Bibliothek von Alexandria. Bekannt durch eine recht genaue Bestimmung des Erdumfangs. Apollonius: Hauptwerk „Konika“ (Kegelschnitte), das nach Euklids Elementen bedeutendste Werk der Antike. 4. Die Spätzeit (nach ca. 150 v. Chr.) Entwicklung der Trigonometrie (Sehnentafeln), vor allem durch Hipparch von Nikäa Entwicklung der Astronomie, vor allem durch Ptolemäus: Sein Hauptwerk „Syntaxis“ (Almagest) wird die für anderthalb Jahrtausende gültige Darstellung des geozentrischen Weltbilds Heron: Enzyklopädie der angewandten Mathematik Niedergang der griechischen Mathematik Mögliche Gründe für den Niedergang: Bei der Einnahme von Alexandria durch Cäsar wurde die Bibliothek stark beschädigt. Kaum Interesse der Römer an der Weiterentwicklung der griechischen Mathematik aber auch: Unhandlichkeit der (geometrisch formulierten) griechischen Algebra 5.1.6 Geometrie des Mittelalters und der Neuzeit: Bewahrung des Erbes durch Araber, auch Weiterentwicklung der Wissenschaften Keine wesentlichen Fortschritte bis zur Renaissance (ab 15. Jahrhundert) Renaissance = Wiedergeburt der Antike und des antiken Denkens Dürer: Entwicklung perspektivischen Zeichnens Cavalieri, Kepler: Weiterentwicklung der Volumenformeln Kepler, Galilei: Weiterentwicklung der Physik, Astronomie und 18. 1. 11 Didaktik der Geometrie und Stochastik WS 2010/11 18. 1. 11 damit verbunden der Mathematik. Analytische Geometrie: Begründer vor allem Descartes, Verknüpfung von Algebra und Geometrie durch Verwendung von Koordinaten. 5.1.7 Weiterentwicklung der Euklidischen Geometrie zur Nichteuklidischen Geometrie erst nach 1800 durch Gauss, Bolyai und Lobatschewsky: Euklids Parallelenpostulat wird als unabhängig erkannt, nachdem Jahrhunderte hindurch versucht worden ist, dieses Postulat durch die anderen Axiome der euklidischen Geometrie zu beweisen. Zitat von Gauss 1817: „Bei der Theorie der Parallelen sind wir jetzt noch nicht weiter als Euklid. Das ist ein beschämender Teil der Mathematik...“ GBL haben eine Geometrie entwickelt ohne das Parallelenpostulat. Beispiel: Poincare – Modell 5.2 Historische Bemerkungen und klassische Probleme Klassische Probleme: Konstruierbare Zahlen (konstruierbar = mit Z&L konstruierbar): 1. 2. Welche Zahlen sind konstruierbar? ℤ ist aus 1 konstruierbar durch bloßes Vervielfachen konstruierbar. Wenn a,b konstruierbar (b e N\{0}) ist, dann ist auch a/b konstruierbar, denn mit Hilfe des Strahlensatzes kann eine Strecke der Länge a in b gleich lange Teile geteilt werden. Somit: ℚ ist konstruierbar. Wenn a konstruierbar ist, dann auch a (Konstruktion mit Höhensatz). Dies kann fortgesetzt werden: Z. B. 4-te Wurzel aus a, 8-te Wurzel aus a usw. Denn die Schnittpunkte von Geraden/Geraden, Kreise/Kreise und Geraden/Kreise führen auf quadratische Gleichungen. Somit sind konstruierbare Zahlen nur Zahlen, die aus fortgesetzter Erweiterung des Körpers ℚ mit Quadratwurzeln entstehen. Berühmte Probleme: 1. Würfelverdopplung : Historisch: Als die Delier sich wegen der herrschenden Pest an das Orakel zu Delphi wandten, wurden sie aufgefordert, den würfelförmigen Altar des Gottes Apollon in ihrem Tempel zu einem wieder würfelförmigen Altar mit doppeltem Volumen zu vergrößern. Dies führt auf die Gleichung x³ – 2 = 0 . Eine Strecke mit der Länge x ist aber nicht konstruierbar. Wäre sie nämlich konstruierbar, dann würde x Lösung einer Gleichung von Zweierpotenzgrad sein. x ist aber Lösung einer irreduziblen Gleichung 3. Grades. Andere Begründung: Wenn sie konstruierbar wäre, dann hätte die Gleichung x³ – 2 = 0 auch eine ganzzahlige Lösung z mit der Eigenschaft, dass z das konstante Glied, also -2 teilt (Hilfssatz 1.76 und Zusatz in Benno Klotzek „Euklidische und nichteuklidische Didaktik der Geometrie und Stochastik WS 2010/11 18. 1. 11 Elementargeometrien, Harri-Deutsch-Verlag) . 2. Dreiteilung eines Winkels, z. B. von α = 120°: Dies führt auf eine Gleichung dritten Grades. 3 cos − 3cos c = 0 3 3 Setzt man x = cos , erhält man x³ − 3x + c = 0 3 Daher ist keine Konstruktion mit Z&L möglich. 2.1 Lösung nach Archimedes mit Einschublineal (Quasikonstruktion). 2.2 Lösung durch Falten Begründung? 3. Quadratur des Kreises, resp. Rektifikation der Kreislinie. Die Zahl ist transzendent (Lindemann 1882 in Freiburg!), daher ist die Quadratur des Kreises nicht möglich. Denn wäre die Quadratur möglich, dann wäre eine algebraische Zahl. 5.3 Zur Analytischen Geometrie 5.2.1 Vektorbegriff: Im Unterschied zum Vektorbegriff in der Physik, wo Vektoren im Zusammenhang mit konkreten Problemen als „linienflüchtig“ bezeichnet werden und diese Eigenschaft ausgenutzt wird, bestimmt man in der Mathematik einen Vektor als eine Translation der Ebene / des Raumes in sich. Das bedeutet: Jeder Punkt der Ebene wird in Richtung der Translation und um deren Betrag verschoben. Translation im Sinne einer Kongruenzabbildung. Mit einem Pfeil ist ein Vektor eindeutig festgelegt. Ein Pfeil ist aber nur ein „Vertreter“ des Vektors, nicht der Vektor an sich. Mit den Translationen kann man ähnlich rechnen wie mit Zahlen: Es gilt die Kommutativität der Hintereinanderausführung von Translationen, ebenso die Assoziativität, die Smultiplikation und deren Eigenschaften. Letztlich kann man Vektoren als Elemente eines Vektorraums auffassen mit den Vektorraumeigenschaften, losgelöst von deren anschaulich-geometrischer Bedeutung. Diese Grundvorstellung ist auch im Zuge der NewMath-Bewegung um 1970 herum in die Schulen eingedrungen, hat sich aber nicht durchsetzen können, weil die Anschaulichkeit sträflich vernachlässigt worden ist. Eine geeignete Balance zwischen Abstraktion und Anschauung ist für die Schule unerlässlich! Inzwischen beschränkt man sich meistens auf die anschauliche Deutung, aber dennoch sollten die „Recheneigenschaften“ besprochen werden. Eine Eigenschaft, die man dabei fordert und die SuS seltsam finden, ist 1⋅a = a : Diese Forderung ist sinnvoll, weil man sonst s⋅a = 0 festlegen könnte für alle s ∈ ℝ und a ∈ V. Ein solche Menge von Vektoren soll aber kein Vektorraum sein. Wichtig: Sehr viele Begriffe anschaulich machen mit Stangen und Quadern! Heikle Begriffe: 5.2.2 Der Begriff des Ortsvektors: Unterscheiden Sie den Begriff „Punkt P“ mit den Koordinaten (4|3) vom Didaktik der Geometrie und Stochastik WS 2010/11 18. 1. 11 4 . OP = 3 Der Ortsvektor des Punktes P 4|3 ist der Vektor, d. h. ist die Translation, die jeden Punkt der 4 Ebene um den Vektor verschiebt , insbesondere O auf P abbildet. 3 Ortsvektor 5.2.3 Der Begriff der linearen Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit: Man kann z. B. vom Begriff der linearen Abhängigkeit ausgehen: Man nennt zwei Vektoren mit der Eigenschaft b = r⋅a oder gleichwertig a = s⋅b linear abhängig. Anschaulich bedeutet dies: Die Vektoren a und b sind parallel oder antiparallel. Beide Gleichungen kann man als eine Gleichung schreiben und dazu sagen: Die Gleichung r⋅a s⋅b = 0 ist erfüllt, wobei mindestens einer der beiden Koeffizienten ungleich 0 ist. Dementsprechend sagt man: die Vektoren a und b sind linear unabhängig, wenn die Gleichung r⋅a s⋅b = 0 nur dann erfüllt ist, wenn r und s beide gleich 0 sind.