Ballett : Projekt X Der inspirierende Sprung ins kalte Wasser Ein neuer Schritt für das Ballett: Projekt X 50 Jugendliche und 22 Profitänzer zusammen auf der Schauspielhausbühne – das klingt verwegen, und auch Ballettchef Goyo Montero sieht dem mit Spannung entgegen, sich mit seiner Compagnie in ein ganz neues Erfahrungsfeld zu begeben: Unter dem Titel „Projekt X“ wird er zum ersten Mal eine Produktion mit Laien und Tänzern zusammen auf die Bühne bringen. Den Wunsch hat er schon lange mit sich getragen, ein Tanzprojekt mit Laien in Nürnberg zu verwirklichen, denn die Begegnung mit Projekten wie „Le Sacre du printemps“ von Royston Maldoom oder „Kontakthof für Jugendliche“ von Pina Bausch hat längst tiefe Eindrücke beim Nürnberger Ballettdirektor hinterlassen. Aber während seiner ersten Jahre in der Noris sah er sich zunächst mit anderen Aufgaben konfrontiert: die neue Compagnie zu etablieren, mit ihr eine eigene choreographische Handschrift zu entwickeln, regelmäßig renommierte Gastchoreographen für die junge Truppe zu gewinnen, ein begeisterungsfähiges Publikum zu binden und sich schließlich damit einen Ruf in der europäischen Tanzlandschaft zu erarbeiten: Seht her, Nürnberg ist Tanzstadt! » Der Weg ist Viel hat das Staatstheater Nürnberg Ballett mit seinem spanischen Ballettdirektor erreicht in den ersten Jahren. In seiner achten Spielzeit am Staatstheater Nürnberg ist es für Goyo Montero nun so weit, neues Tanzterrain in der Stadt zu erobern, von den etablierten Pfaden des Tanzschaffens für das Repertoire abzuschweifen und neue Wege zu erproben. Es gilt, den Bewohnern der Stadt noch ein Stück näher zu kommen, in Austausch zu treten mit jungen Menschen, deren Alltag meilenweit von dem einer Ballettcompagnie entfernt ist. Mit 25 Schülerinnen und Schülern der Veit-Stoß-Realschule und 25 weiteren Jugendlichen aus allen Stadtteilen wird Goyo Montero mit seinem Ensemble nun ein Projekt entwickeln, über dessen Ergebnis sich heute munter spekulieren lässt. In einem ersten Workshop über vier Tage im Mai 2015 haben sich alle Beteiligten im Staatstheater erst einmal kennen gelernt, sich in Gesprächsrunden ausgetauscht, sich motorisch ausprobiert im Ballettsaal und alles ausgepackt, was die Jugendlichen so „im Köcher“ haben: ob Skateboard, Geige, Malerei, Gesang oder Basketball – nichts ist unwichtig, alles kann Material werden für die neue Produktion. In einem zweiten Schritt erprobte der Spanier durch Einstudierung einer kleinen, einfachen Choreographie die Möglichkeiten der Schüler: Welches Schrittmaterial ist bewältigbar, wie ist das Rhythmusgefühl, die Musikalität? Zu Beginn der neuen Spielzeit im Herbst 2015 trifft man sich wieder, um dann das gesammelte 36 das Ziel « Projekt X : Ballett Material konkret auszurichten für das gemeinsame Bühnenprojekt. Über ein ganzes Jahr hinweg werden die Jugendlichen mit dem Staatstheater Nürnberg Ballett zusammenarbeiten, ein Projekt entwickeln, das vielleicht Tanz ist, evtl. aber auch etwas ganz anderes. Offen sein für das, was die Schülerinnen und Schüler mitbringen, das ist die oberste Prämisse des Ballettdirektors. Denn die Jugendlichen haben alle einen anderen Hintergrund, sind unterschiedlicher Herkunft, gehören unterschiedlichen Religionsgruppen und Konfessionen an und haben verschiedene Bildungsgrundlagen. Das alles macht eine faszinierend bunte Inspirationsgrundlage für Goyo Montero und sein Ensemble aus. Goyo Montero sieht in dem Projekt nicht nur eine große Herausforderung, sondern vor allem eine große Chance für alle Beteiligten, auch für sich selbst. Zum ersten Mal arbeitet er mit Laien ohne tänzerische Vor- oder Ausbildung. Eine ganz andere „motorische Grundlage“, die die Jugendlichen einbringen, erwartet sich der Ballettdirektor, Bewegungen, die nicht geschult, dafür aber unmittelbar und „wahr“ wirken, die Tänzer durch ihre Ausbildung längst abgelegt, vergessen oder verlernt haben. Und einen gewaltigen Energieschub erhofft sich der Spanier aus der Konfrontation von drei Generationen in diesem Projekt: den Schülerinnen und Schülern, den Tänzerinnen und Tänzern sowie mit dem Kreativteam um den Ballettdirektor selbst. Es ist ein „Aufbau von Null“ und ein spannender Prozess für alle. Der Weg zur Aufführung ist dabei wichtiger als die „Show“ am Ende. „Wenn es uns gelingt, nur einen der Jugendlichen für das Theater zu entflammen, dann haben wir ganz viel gewonnen.“ Dabei meint Montero nicht, dass mit diesem Projekt künftige Bühnentänzer und Künstler entdeckt werden müssen, es geht nicht um „Nürnberg sucht den Supertänzer“. Es können auch handwerkliche Fähigkeiten entwickelt werden, beim Maskenbau oder in der Beleuchtungstechnik. Und auch das wäre schon ein großer Gewinn, wenn der eine oder andere jugendliche Teilnehmer für sich das Theater als Plattform des Gedankenaustausches und als Ort des Ausprobierens entdecken würde. Für alle soll jedenfalls der Spaß im Vordergrund stehen, kleine und große Erfolgserlebnisse, die nicht durch Zwang, sondern aus der Lust am Probieren entstehen. Am Ende steht das Bühnenerlebnis, vielleicht eine Tanzvorstellung, vielleicht eine Kunst-Performance oder ein musikalisches Spektakel – so offen wie möglich zu sein für alle Formen des Ausdrucks, das ist die Maxime von „Projekt X“, das am 9. Juli 2016 im Schauspielhaus seine Uraufführung erleben wird. Verena Kögler 37