Dornröschen - Staatstheater Nürnberg

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Dornröschen
Ballett von Goyo Montero
Musik von Peter Tschaikowski
MATERIALMAPPE
Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
Liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebes Publikum,
wer das Märchen um Dornröschen, die Dornenhecke und den befreienden Prinzenkuss
kennt, wird erstaunt sein, was die Bearbeitung und Choreographie von Goyo Montero aus
diesem Klassiker zu zaubern wusste. Den Kampf um Gut und Böse bringt er in einer völlig
eigenen Interpretation auf die Bühne.
Um sich vorab über das Stück zu informieren, stellen wir Ihnen vorliegende
Materialmappe zur Verfügung.
Ein Gespräch mit Dirigent Philipp Pointner und Ballettchef Goyo Montero bietet
aufschlussreiche Hintergrundinformationen zur Historie des Stücks und zur Verbindung von
Musik und Choreographie. Ein Artikel aus unserem Theatermagazin „Impuls“ und Gedanken
vom produktionsbetreuenden Dramaturgen Johann Casimir Eule sowie Pressestimmen runden
die Materialmappe ab.
Die Theaterpädagogik des Staatstheaters bietet zur Inszenierung von „Dornröschen“
sowohl vorstellungsvorbereitende als auch vorstellungsnachbereitende Workshops und
Gespräche für Schülerinnen und Schüler an.
Wenn Sie Fragen haben oder weitere Informationen sowie szenisch-musikalische
Arbeitsmaterialien zur Unterrichtsgestaltung benötigen, können Sie sich gerne an mich
wenden.
Mit herzlichen Grüßen,
Gudrun Bär
Theaterpädagogin
Kontakt:
Staatstheater Nürnberg
u18plus: junges publikum
Theaterpädagogin Gudrun Bär
Telefon: 0911-231-6866
Email: [email protected]
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
DORNRÖSCHEN:
FANTASTISCH, VISUELL BEEINDRUCKEND, MODERN!
AB DEM 22. JANUAR KEHRT GOYO MONTEROS „DORNRÖSCHEN“
ZURÜCK INS OPERNHAUS
Die Erwartungen waren bereits hoch, als bekannt wurde, dass Goyo Montero seine
Interpretation des Dornröschen-Stoffes zur Musik von Peter Tschaikowsky auch am
Staatstheater Nürnberg zeigen würde. Denn die Produktion, die der Choreograph bereits 2006
in Valencia herausgebracht hatte, wurde 2008 zum renommiertesten italienischen Festival,
dem Maggio Musicale Fiorentino, eingeladen, dort neu erarbeitet und prompt im
Jahresrückblick der Fachzeitschrift „Danza & Danza“ zur besten italienischen Produktion des
Jahres gewählt!
Das Nürnberger Publikum und die Presse konnten sich dann in der vergangenen
Spielzeit selbst ein Bild machen von Monteros ebenso mutiger wie ungewöhnlicher Lesart und
Choreographie des berühmten Ballettklassikers – und waren begeistert. Tatsächlich hat Goyo
Montero das Märchen vom hundertjährigen Schlaf der Prinzessin Aurora und ihrer glücklichen
Wiedererweckung durch den Kuss des Prinzen Désiré für sich neu entdeckt, um es von den
Füßen auf den Kopf zu stellen. Er erzählt die Geschichte von ihrem Ende, der glücklichen
Hochzeit her, um anschließend den Prinzen auf eine tour de force durch die düsteren Welte n
der bösen Fee Carabosse im Kampf um seine Liebe zur Prinzessin zu schicken. Mit gutem
Ausgang. [...]
(aus: „Impuls“, monatliches Theatermagazin, Ausgabe Januar 2011)
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
NACH DEM KUSS BEGINNT DAS DRAMA
DIRIGENT PHILIPP POINTNER UND BALLETTCHEF GOYO MONTERO IM
GESPRÄCH
Wenn man die Reaktionen auf die Uraufführung von Tschaikowskis „Dornröschen“
aus dem Jahre 1890 im Mariinski-Theater in Moskau Revue passieren lässt, dann
überraschen vor allem zwei Einschätzungen: zum einen die negativ gemeinte
Feststellung, dass „Dornröschen“ ausschließlich Märchencharakter habe, und dass die
Musik dazu nicht passe, weil sie zu ernst und zu schwer sei ...
Goyo Montero: Ja, das ist heute nur mehr schwer vorstellbar. Tschaikowskis beste
Ballettkomposition und eines der berühmtesten Ballette überhaupt, hatte es am Anfang durchaus
schwer, sich seinen Platz im Repertoire zu erobern. Spannend ist ja auch, dass „Dornröschen“ im
Westen zuerst 1921 in einer starken Bearbeitung von Sergei Diaghilews Ballets Russes – zum Teil
mit fremden Musiknummern und neuer Instrumentation von Igor Strawinski – bekannt wurde;
seinen stilprägenden Siegeslauf aber erst in der Nachkriegszeit beginnen konnte. Damit ist
„Dornröschen“ ein Ballett, das – wenn man von unserer inneren Vorstellung ausgeht – zwar bereits
seit Urzeiten zu unserem Vorstellungsschatz gehört, sich aber erst so richtig vor 60 Jahren
kanonisiert hat.
Philipp Pointer: Ich finde es ja immer wieder spannend, wie sich dabei die Perspektiven
verändern - auf Dinge, die man zu kennen meint. Und diese frühen Kritiken sind doch wunderbar!
Denn sie machen für mich deutlich, wie gut Goyo Monteros Interpretation der Geschichte zu
„Dornröschen“ passt.
Die Choreographie zu „Dornröschen“ wurde bereits 2006 in Valencia uraufgeführt
und 2008 mit großem Erfolg auf dem Festival Maggio Musicale Fiorentino gezeigt. Die
Kritik war so begeistert, dass sie „Dornröschen“ zur besten Choreographie Italiens des
Jahres 2008 wählten. Was ist das Besondere an deiner Interpretation?
Goyo Montero: In meiner Auseinandersetzung nehme ich das, was bei der Uraufführung von
„Dornröschen“ noch Grund zur Kritik war, ganz ernst: Die Geschichte, die Tschaikowski uns
musikalisch erzählt, ist ein Märchen. Dabei dürfen wir uns aber nicht von dem romantisch
überzuckerten Bild, das von Walt Disney und Co. geprägt wird, täuschen lassen. Die alten
Märchen sind oftmals grausam und erzählen auf drastische Weise von uns Menschen. Nicht
umsonst gab es deshalb auch eine Zeit, in der man sich nicht sicher war, ob Märchen überhaupt
etwas für Kinder sind. Bruno Bettelheim, der ja hier in Deutschland sehr bekannt ist, hat darüber
ein wichtiges Buch geschrieben: „Kinder brauchen Märchen“. Ich habe dieses Buch während
meiner Auseinandersetzung mit „Dornröschen“ gelesen - und darin wichtige Anregungen
gefunden.
Was war für dich wichtig?
Goyo Montero: Bettelheim setzt das Märchen von Dornröschen in Verbindung mit der Zeit
der Pubertät, dem sich notwendigen Abkapseln der Jugendlichen von den Eltern, dem Schlafen ...
der junge Mensch braucht in dieser Phase des Übergangs viel Zeit für sich, zieht sich zurück,
bricht mit den Eltern und nimmt mit neuen Welten Kontakt auf. Es ist also wie ein „hundertjähriger“
Weg zu sich selbst, den der junge Mensch gehen muss ...
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
Im Märchen funktioniert dieser Reifungsprozess ja einigermaßen konfliktfrei – das
würden sich manche Eltern wohl wünschen, dass ihre Teenager einschlafen und
irgendwann geläutert wieder aufwachen ...
Goyo Montero: Ja, und hier setzt meine Deutung an, hier weiche ich vom „märchenhaften“
Charakter der Erzählung ab: Bei mir ist es mit dem Einschlafen, Küssen und Aufwachen nicht
getan. Bei mir beginnt nach dem Kuss erst die Geschichte, das eigentliche Drama ...
Philipp Pointner: Und um das erzählen zu können, hat Goyo die Partitur von „Dornröschen“
komplett umgebaut und choreographisch neu gedeutet!
Geht das aus Sicht des Dirigenten überhaupt?
Philipp Pointner: Das ist das Verblüffende: Es geht wunderbar. Sonst würde ich das auch
nicht machen. Aber, wir haben ja bereits bei „Romeo und Julia“ zusammengearbeitet, Goyo ist ein
hochmusikalischer Choreograph. Und es erstaunt mich immer wieder, mit welchem Gespür für die
Musik und ihre Anforderungen er arbeitet.
„Dornröschen“ gilt als Tschaikowskis reifste Ballettmusik ...
Philipp Pointer: Unbedingt! Wenn man die Komposition durchgeht, wird auch noch einmal
deutlich, wie stark spätere Komponisten wie Prokofjew oder Strawinski auf Tschaikowski
zurückgriffen. Da weist vieles an rhythmischen Verschiebungen, tonalen Auflösungen etc. bereits
in die Moderne. Tschaikowski war einfach der Beste und progressivste russische Komponist seiner
Zeit – der vor allem auch die Kunst der Instrumentierung hervorragend beherrschte. Andererseits
war gerade in der Ballettmusik von Tschaikowski vieles, ich nenne es mal etwas respektlos so,
„Meterware“. Komponiert für den choreographischen Bedarf von Marius Petipa. Da bei Goyo
Montero die Erzählstruktur und die Erzählweise aber radikal anders ist als im klassischromantischen Ballett, ist es nur logisch, dass wir viele Nummern nicht nur umgestellt, sondern
auch gestrichen haben. Und dafür bin ich aus musikalischer Sicht sogar dankbar! Denn so
kommen die Stärken, der Facettenreichtum und die Bandbreite der Komposition viel präziser zur
Wirkung.
Wenn nach dem Erweckungskuss zwischen Prinzessin Aurora und Prinz Désiré
die Geschichte erst beginnt, wie wird „Dornröschen“ dann weitererzählt?
Goyo Montero: In meiner Deutung beginne ich im ersten Teil mit dem Schluss der
klassischen Geschichte, mit Kuss und Hochzeit. Dieser Teil ist, dem Anlass angemessen,
schließlich erleben wir Glück, Hochzeit, allgemeinen Jubel, durchaus märchenhaft gehalten. Wir
zitieren hier auch in der Ausstattung vergangene märchenhafte Ballett-Zeiten, die Farben sind
freundlich und die Choreographie habe ich in Teilen an die Tradition des klassisch-romantischen
Balletts angelehnt. Nur gibt es auch hier bereits Zeichen für das drohende Unheil, Carabosse ist
bereits zugange...
Im zweiten Teil wird es dann richtig wild. Denn Carabosse hat den Wunschtraum perfekten
Liebesglücks zerstört und Dornröschen in seine Welt entführt. Jetzt ist es an dem Prinzen Désiré,
um Dornröschen zu kämpfen, um die junge Frau wirklich für sich zu erringen. Bei mir steht als
handelnde Figur also der Prinz im Zentrum der Geschichte. Der muss den langen steinigen Weg
der Erkenntnis gehen, sich mit Sehnsüchten, Albträumen, Verlockungen und Vexierspielen
auseinandersetzen, ihnen widerstehen, um sich schlussendlich für Dornröschen reif zu erweisen.
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
Welche Auswirkungen hat das auf die Ausstattung?
Goyo Montero: Im Gegensatz zu den Produktionen in Valencia und in Florenz habe ich hier
einen neuen Kostümbildner, Angelo Alberto. Angelo hat schon oft für Ballett gearbeitet und ein
wunderbares Gespür für Kostüme, und ich glaube, dass das Ergebnis noch besser sein wird als
bisher. Im ersten Teil werden die Kostüme dabei – ähnlich wie die Choreographie – „klassischer“
gehalten sein, in freundlichen Farben, licht, hell, optimistisch, elegant. Umso stärker ist dann der
Bruch zum zweiten Teil, der sehr düster wird. Hier sind wir im Reich des Bösen, die Tanzsprache
wird moderner, radikaler ... die Kostüme tragen die Spuren der Vergänglichkeit. Und alles
entwickelt sich hin zu einer Reduktion, alles Überflüssige wird überwunden.
Für die Bühne arbeite ich wieder mit dem Team Josep Simon und Manuel Zuriaga
zusammen. Hier gilt, was übrigens auch für die Kostüme gilt: Die Produktionsbedingungen sind
hier in Nürnberg für uns deutlich besser – und so können wir auch die Ausstattung optimieren. Der
Bühnenraum hat bei Dornröschen vor allem die Funktion, die unterschiedliche emotionale Qualität
der beiden Teile zu verstärken und zu unterstützen. Das wird unter anderem dadurch gelingen,
dass das Bühnenbild nun leuchten kann...
Der Zuschauer kann sich also auf eine höchst spannende Neuinterpretation einer
vermeintlich bekannten Geschichte gefasst machen ...
Philipp Pointner: Und sich darauf freuen! Die Szene und die Musik entwickeln so viel Magie
... wenn sie mit so viel Begeisterung erzählt wird wie hier – und wenn sie live ist! Deshalb freue ich
mich auch so, dass wir das Ballett mit den Nürnberger Philharmonikern begleiten...
Goyo Montero: Das hat einfach eine völlig andere, unmittelbarere Energie. Das spüren
natürlich vor allem auch die Tänzer, wenn dann das Orchester dazu kommt ... Aber noch einmal
zurück zu „Dornröschen“: Meine Lesart von „Dornröschen“ erscheint auf den ersten Blick vielleicht
etwas ungewöhnlich, ist aber von tiefem Respekt vor der Geschichte, der Musik und auch der
Tradition, in der ich ja selbst verwurzelt bin, getragen. Und die Liebhaber werden alle wichtigen
Nummern auch bei mir wiederfinden ... allein nicht immer dort, wo sie es vermuten, und in neuen
Konstellationen.
Die Fragen stellte Johann Casimir Eule.
(aus dem Programmheft zu „Dornröschen“)
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
VON DER FEERIE ZUM PSYCHODRAMA
ZU „DORNRÖSCHEN“ VON JOHANN CASIMIR EULE
I.
Die Reaktionen auf die Uraufführung von Peter Tschaikowskis „Dornröschen“ in der
Choreographie von Marius Petipa waren alles andere als erwartet. Anstatt das hochadelige
Auditorium zu Beifallsstürmen und hemmungsloser Begeisterung hinzureißen, schien es, als
sei das Publikum selbst ob der märchenhaften Geschichte um den hundertjährigen Schlaf der
schönen Aurora und ihre Erweckung durch den Prinzen Désiré in eine Art emotionales
Wachkoma verfallen. Der Applaus war mäßig, die Begeisterung gering. Und der anwesende
Zar Alexander III. bemerkte nur kühl, das Ballett sei „sehr nett“. Ein Märchen? Als Stoff für ein
Handlungsballett? Das erschien wohl manch einem als eine Art intellektueller Unterforderung,
ein eher kindisches denn hochkünstlerisches Vergnügen; und was von den einen als zu leicht
befunden wurde, fanden die Musikkritiker teilweise zu schwer, zu düster, zu symphonisch und
nicht für ein Ballett dieser Art geeignet. Dem Erfolg beim breiten Publikum taten diese ersten
Reaktionen keinen Abbruch, die Tänzerbesetzung war herausragend, die an Gustav Dorés
Illustrationen zu Charles Perraults Märchen orientierte Ausstattung schwelgerisch, und
unschwer war zu sehen und zu hören, dass hier Peter Tschaikowski als Komponist auf dem
Höhepunkt seines Könnens agierte. Aber – die anfänglichen Irritationen kamen nicht von
ungefähr, und es schadet nicht, nach ihren Ursachen zu fragen, um das Besonde re des
Werkes zu erfassen.
II.
Heute ist man allgemein der Ansicht, dass „Dornröschen“ zur Musik von Peter
Tschaikowski und mit der Choreographie von Marius Petipa den glanzvollen Höhepunkt der St.
Petersburger Ballettklassik darstellte. Wenn man allerdings erwartet, wie es 1890 wohl auch
der Fall war, umweglos einem Plot folgen zu können, wird man erst einmal enttäuscht. Bis man
Aurora zum ersten Mal tanzen sieht, sind bereits die ersten vierzig Minuten des Prologs und
des Ersten Aktes vergangen. Und wenn Prinz Désiré sie schließlich mit seinem Kuss erweckt
hat und das Märchen nun eigentlich mit dem Finale des Zweiten Aktes vorbei sein könnte, folgt
noch das Hochzeitsfest, der Dritte Akt, mit seinen Reminiszenzen an höfische Ballkultur und
französische Märchentradition – d.h. man darf ebenfalls rund vierzig Minuten Hochzeitsgästen
beim Tanzen zusehen ... Spätestens hier wird überdeutlich, dass die konzentrierte Entfaltung
des dramatischen Geschehens nicht vorrangiges Interesse der Schöpfer dieses Werkes war
und somit auch nicht als Kriterium für die Größe und Qualität des Werkes herhalten kann.
III.
„Dornröschen“ ist vielmehr in dem Sinne eines klassisch symphonischen Werkes zu
verstehen, das sich in überlegener architektonischer Meisterschaft, von großer S trukturiertheit
und einem Reichtum der Beziehungen vor uns ausbreitet. Die vier sich entsprechenden Teile
der ursprünglichen Gliederung – Prolog, I., II. und III. Akt haben wenig mit der Struktur eines
Dramas aber viel mit dem Aufbau einer klassischen Symphonie zu tun. Jeder Satz ist in sich
eigenständig gebaut und ein geschlossenes Ganzes, ein Gewebe von Tänzen und
Pantomimen, deren Wesen nicht im möglichst stringenten Erreichen eines Kulminationspunktes liegt, sondern in der Entfaltung eines quasi „symphonischen Geschehens“. Dafür muss
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
man wissen, dass sich Tschaikowski, als er von I. A. Wsewoloschki, dem Direktor des
Kaiserlichen Theaters in St. Petersburg, den Auftrag zu der märchenhaften Feerie erhielt,
gerade in einer ausgesprochen fruchtbaren Arbeitsphase befand. Er arbeitete an seiner fünften
Symphonie (das Cello-Solo aus „Dornröschen“ ist ein fast wörtliches Zitat aus der fünften
Symphonie) und auch „Pique Dame“ entstand in dieser Zeit. Allerdings hatte er sich seit
„Schwanensee“, das mehr als zehn Jahre zurücklag, nicht mehr mit Ballett beschäftigt, und
sich seither kompositorisch weiterentwickelt. Hier tritt nun ein Meister des symphonischen
Tongemäldes vor uns, nicht zuletzt in der Art und Weise, wie er Leitmotive einsetzt, um die
Geschichte zu entfalten. Und „Dornröschen“ ist – nicht nur für die Tänzer auf der Bühne - eine
virtuose Komposition für das Orchester und gibt allen Instrumenten wichtige, glanzvolle
Aufgaben, der Violine und dem Cello, der Oboe wie der Klarinette bis hin zum Triangel.
Dadurch erweist sich Tschaikowski als Komponist, der für das Ballett nicht nur Brosamen vom
Tisch seines Genies übrig läßt, sondern seine ganze Größe in den Dienst des Tanzes stellt.
Und er tut dies mit Demut, wenn er in seinen Solo-Variationen mit einfacher Textur dem
Tänzer dient, um dem Dirigenten ein Höchstmaß an Flexibilität zu ermöglichen, die wiederum
dem Tänzer Gestaltungsfreiheit in Tempo und Phrasierung gibt ...
IV.
Da es seinerzeit mit „Schwanensee“ einige Probleme gegeben hatte, wurde gleich
nachdem Tschaikowski seine Einwilligung zu I. A. Wsewoloschkis Ballettentwurf gegeben
hatte, Marius Petipa zur Zusammenarbeit herangezogen. Petipa war damals siebzig Jahre alt,
seit sechsundzwanzig Jahren Ballettmeister des kaiserlichen Balletts und hatte bere its nahezu
alle seiner 42 Ballettchoreographien kreiert. Von diesen „Balletts à grand spectacle“ sollte
„Dornröschen“ das berühmteste werden. Dafür verfasste Petipa eine detaillierte
Szenenabfolge, die so genannte „Minutage“, in der jeder Abschnitt und jed er Tanz detailliert
festgelegt war. Zu diesem Entwurf stellte Tschaikowski dann innerhalb von 40 Tagen die
Komposition fertig. Aber auch wenn sich die Instrumentation als etwas schwieriger erwies, so
berichtete Tschaikowski doch seiner Mäzenin Nadeschda von Meck mit großem Enthusiasmus
er sei sicher, es würde eine seiner besten Arbeiten werden. Igor Strawinski, der selbst die
Uraufführung von „Dornröschen“ erlebte und später im Auftrag von Sergei Diaghilev einige
Teile des Werkes für die Aufführungen in London 1921 neu instrumentieren sollte, schrieb über
die Komposition in einem Brief an den Impresario: „Für mich als Musiker ist es eine große
Befriedigung, ein Werk, das einen so unmittelbar anspricht, aufgeführt zu sehen, und
zwar zu einer Zeit, in der so viele Menschen, die weder einfach noch naiv oder
spontan sind in der Kunst Einfachheit, Ursprünglichkeit und Spontanität suchen.
Tschaikowski besaß von Natur aus diese drei Gaben in höchstem Maße. Deshalb
fürchtete er sich nicht davor, sich gehen zu lassen. Die Prüden hingegen waren
schockiert von der ungehemmten, ungekünstelten Sprache der Musik. Tschaikowski
besaß eine große melodische Kraft und diese bildete bei ihm den Schwerpunkt in
jeder Symphonie, in jeder Oper und in jedem Ballett. Er war ein Schöpfe r der Melodie
und dies ist eine sehr seltene und kostbare Begabung.“
V.
Blickt man in der Folge auf die Geschichte der „Dornröschen“-Rezeption, so lassen sich
zwei große Tendenzen – eine an Petipa orientierte, eher restauratorische Sicht und ein
reformatorischer Zugriff – im Umgang mit dem Werk festmachen, die sich gleich zu Beginn der
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
Verbreitungsgeschichte etablieren sollten. Anders als man es vielleicht erwartet, stand
aber zu Beginn der Aufführungstradition nicht der samthandschuhene Umgang mit einem a ls
sakrosankt empfundenen Meisterwerk, sondern der zum Teil pragmatisch begründete, zum
Teil durch eigene künstlerische Ideen bedingte gestalterische Zugriff auf das Werk. Und,
während es in Russland an den Theatern in St. Petersburg und Moskau eine weitge hend
kontinuierliche Aufführungstradition gab, dauerte es letztlich bis zur Londoner Produktion von
1946, dass sich das heute in der Vorstellungswelt vieler eingeprägte Bild vom klassisch romantischen Ballett russischer Provenienz im Westen etablieren konnte.
VI.
Nach der Uraufführung 1890 am Mariinski Theater in St. Petersburg wurde bereits 1896
an der Mailänder Scala in der Choreographie von Giorgio Saraccos glücklos „La bella del
bosco dormiente“ herausgebracht – weitreichend und wichtig in der Wirkung hingegen war die
Produktion von Sergei Diaghilevs Ballets Russes aus dem Jahre 1921. Unter dem Titel „The
Sleeping Princess“ – um Verwechslungen mit einer traditionellen englischen Pantomime zu
vermeiden – brachte der russische Impresario nach einer Reihe moderner Ballettproduktionen
in London „Dornröschen“ heraus. In der von Nikolai Sergejew einstudierten Choreographie
Marius Petipas gab es allerdings einschneidende Veränderungen, für die Bronislava Nijinska
als Choreographin hinzugezogen wurde.
Außerdem wurden zum Teil neue, fremde Musiknummern hinzugefügt und Diaghilev
beauftragte Igor Strawinski, einige Nummern Tschaikowskis neu zu instrumentieren. So kam
es, dass einerseits – auch durch die Mitwirkung einiger Tänzer der Uraufführung, so des
herausragenden Enrico Cecchetti, der den Carabosse und den Blauen Vogel tanzte, und dank
der Aufzeichnungen Sergejews – ein hohes Maß an Kontinuität sichergestellt schien, dass
aber andererseits die Eingriffe und Neuerungen derart massiv waren, dass Nikolai Sergejew
noch vor der Premiere empört ausschied. Die Produktion, die u.a. auch durch die prächtigen
Bühnenbild- und Kostümentwürfe von Léon Bakst, extrem kostspielig war, konnte leider das
enorme künstlerische und finanzielle Risiko nicht ausgleichen und musste vor zeitig abgesetzt
werden. Bereits 1922 brachte Sergei Diaghilev in Paris schließlich eine gekürzte Fassung als
unter dem Titel „La Mariage d’Aurore“ heraus, die nur die Feenvarationen des Prologs und den
(fast) vollständigen III. Akt umfasste. Ironischerweise wurde diese Arbeit zu einem der
populärsten Ballette der Ballets Russes und später von zahlreichen Kompagnien übernommen.
VII.
Erst mit Nikolai Sergejews Produktion von „Dornröschen“ für das Sadler’s Wells Ballett in
London im Jahre 1939 kann von einer kontinuierlichen Tradition unter Berücksichtigung von
Petipas ursprünglicher Choreographie gesprochen werden. Diese Produktion stellte quasi das
Vorspiel zu der repräsentativen Inszenierung, die die Kompagnie 1946 am Covent Garden
herausbrachte, dar. Die stilprägende Ausstattung stammte von Oliver Messel, Robert
Helpmann tanzte in einer interessanten Doppel-Deutung den Prinzen und Carabosse und die
junge Margot Fonteyn die Aurora. Mit beiden triumphierte das Sadler’s Wells schließlich 1949
in New York, wo die Inszenierung seitdem als das maßgebliche Modell für eine Klassikerproduktion der Petersburger Tradition galt und den Protagonisten als „Bobby and Margot“ zu
unsterblichem Ruhm verhalf.
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
VIII.
In Deutschland lernte man das Tschaikowski-Ballett zuerst in einer Petipa-unabhängigen
Choreographie von Tatjana Gsovsky an der Staatsoper Berlin im Jahre 1949 kennen. Nicholas
Beriozoffs Stuttgarter Inszenierung 1957 hingegen orientierte sich wieder an Petipa. Bald sollte
aber auch hier die Moderne Einzug halten: Bereits 1978 brach John Neumeier in Hamburg
radikal mit den hergebrachten Seh- und Erzählgewohnheiten. Sein Prinz trug keine
Seidenstrümpfe und Kniehosen mehr, sondern kam in Jeans auf die Bühne, um die Geschichte
als Traum zu erleben. Und auch Marcia Haydee erweiterte 1986 in ihrer Choreographie für das
Stuttgarter Ballett das Interpretationsspektrum - bei aller Klassikverbundenheit - über die
harmlose Feerie Petipas hinaus. Sie baute den Part Carabosses deutlich aus und erzählte das
Märchen „Dornröschen“ unter dem Aspekt des auch bei Tschaikowski musikalisch-motivisch
angelegten archetypischen Kampfes zwischen Gut und Böse. Den bisherigen Höhepunkt
radikaler Neudeutung stellt aber Mats Eks Interpretation des „Dornröschen“ -Stoffes aus dem
Jahre 1996 dar. Zur Tonbandeinspielung von Tschaikowskis Musik ließ Mats Ek quasi „keinen
Schritt auf dem anderen“ als er das Ballett für die Hamburger Kompagnie neu interpretierte.
Bei ihm ist die Geschichte ganz im Heute, in der Gosse des Drogen- und Fixermilieus
angesiedelt. Als Ausweg sind hier zwar Rausch- und Traumfluchten möglich, den Figuren ist
aber kein Happy Ending mehr vergönnt.
IX.
Es bleibt bei diesem punktuellen Ausschnitt aus der Dornröschentradition festzuhalten,
dass sie, wie sich gezeigt hat, von Anfang an von starken Bearbeitungen und Umformungen
geprägt war, dass aber gleichsam parallel dazu eine Restaurationsbewegung einsetzte –
passenderweise im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg – die Petipas ursprünglichen Geist zu
bewahren suchte; z.B. auch in der Choreographie von Stefan Liška am Staatstheater München
2003. Daraus resultiert heute – auch dank der Verfügbarkeit zahlreicher unterschiedlicher
Deutungen auf DVD – in weiten Teilen des begeisterten Ballettpublikums eine Kennerschaft
und die Möglichkeit aus der Tradition und ihren Variationen Neues zu gewinnen.
Hier setzt Goyo Monteros choreographische Auseinandersetzung mit dem Stoff und seiner
Tradition ein, die er bereits 2006 für Valencia erarbeitet hat und 2008 beim Maggio Danza
Fiorentino zeigte (diese Aufführung wurde rückblickend zur besten Choreographie des Jahres
2008 gewählt): Seine Sicht auf den Entwicklungsprozess der jungen Menschen lässt ihn die
Geschichte in neuer Abfolge erzählen, die Nummern straffen und vor allem auf der Ebene der
Zitation und Umdeutung neue Bedeutungszusammenhänge entstehen. Die einst in breiter
Architektur und Statuarik flächig angelegte Feerie hat sich unter der Hand zu einem stark
beschleunigten Drama gewandelt, das im bewussten freien Spiel mit choreographischen un d
musikalischen Mustern neue Einblicke in die Tiefe und Schönheit der Partitur eröffnet und
unter der Oberfläche des Märchens ungeahnte Tiefen und Abgründe entdeckt.
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
PRESSESTIMMEN
In Monteros dunkler Version hat Carabosse das Sagen – fantastisch getanzt von Saúl Vega als
eine Mischung aus Schlange und Skorpion. Désiré wird zu seiner Marionette, schwach und lüstern
und erliegt gleich mehreren Frauen. Doch der Prinz wächst an seinen Schwächen und besiegt
Carabosse erneut. Eindrucksvoll streckt er ihn mit einem langen Kuss nieder und tanzt in einem
Pas de deux seine schlafende Aurora zurück ins Leben. Zum Schluss folgt die zweite Auflage des
Finales – weniger märchenhaft, mit einem ernüchterten Désiré.
Goyo Montero zeigt in seiner Version von Dornröschen ein weiteres Mal seine Begeisterung für
das große Gefühl und überrascht mit seinem goldenen Einstieg. Bisher punktete er vor allem mit
seinen düsteren Inszenierungen. Auch der zweite düstere Teil des Stücks besticht mit Bildern, die
so noch lange in den Köpfen der Zuschauer nachwirken werden, wie der Pas de Deux von Désiré
und der schlafenden Aurora – scheinbar nackt getanzt im gleißenden Scheinwerferlicht. Neben
den beiden herausragenden Solisten, Iván Gil Ortega als Prinz Désiré und Tamara Michalczyk als
wunderbar emanzipierte Prinzessin Aurora, zeigt vor allem auch das Gesamtensemble seine
Klasse. Im ersten Teil unterstreichen die Tänzer in goldenen Roben, wie ein Körper, das große
Gefühl, im zweiten Teil kämpfen sie als schwarzer Mob der Versuchung gegen Désirés Willen.
Untermalt von den Nürnberger Philharmonikern, die immer respektvoll, aber mit würziger Frische
an die Musik Tschaikowskis herangehen, schafft Goyo Montero den Spagat. Aus beiden Teilen der
Inszenierung entsteht eine fantastische, visuell beeindruckende, moderne Version von
Dornröschen, mit der auch Freunde der klassischen Aufführung ihren Spaß haben werden.
Matthias Rüd
Bayerischer Rundfunk - 14.12.2009
Einen großen Publikumserfolg landete das Ballett Nürnberg mit seiner Einrichtung des
Tanzklassikers «Dornröschen« von Peter Tschaikowsky im Opernhaus. Alles fließt. Alles dreht
sich. Galant und geschmeidig schälen sich Figuren und Figurinen aus den schnell wechselnden
Formationen. Ecken und Kanten sind Goyo Monteros Sache nicht. Nürnbergs Chefchoreograf
steht für leidenschaftliches, von hoher Körperspannung geprägtes, Athletik immer in den Dienst
der Musik stellendes, aber eben auch neoklassisches Tanztheater. [...]
Der andernorts geläufige Name für die Titelheldin, «schlafende Schönheit«, hier wird er zum
ästhetischen Prinzip. Ob Hochzeitsdefilee, einsames Umherwirren im Geisterwald oder Nahkampf
mit dem Magier: Alle spartanisch möblierten Bilder (Bauten: Josep Simon und Manuel Zuriaga)
sind wunderbar durchkomponiert in Licht, Schattenriss, Farben, Timing und klassisch geschulter
Bewegung, atmen die Musik perfekt nach, dass man schon fast erschrickt vor so viel tänzerischer
Präzision und Akribie. Gerade die kreisrunden Ensemble-Spiralen gestaltet Montero virtuos, aber
eben dadurch auch ein bisschen zu glatt, zu gefällig und weiht das Bühnenleben oft zu sehr der
Schönheit.
Auf seine Tänzer kann sich Nürnbergs Ballettdirektor absolut verlassen. Tamara Michalczyk
gestaltet im rosa Ballerinen-Outfit eine selbstbewusste, ganz unpubertäre Prinzessin, die nicht wie
ein Ding behandelt, sondern erobert sein will. Iván Gil Ortega verlebendigt den Gutmensch-Prinzen
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Dornröschen“
mit Energie und Eleganz, aber es liegt in der Natur der Sache, dass das Böse den interessanteren
Charakter hat. Saúl Vega verkörpert den schwarzen Schatten Carabosse ebenso sportiv wie
diabolisch durchtrieben. Auch wenn (zum Glück) etliche Variationen wegfielen, auf die SingvögelFee oder den seit Petipas Tagen sprungtechnisch ungemein anspruchsvollen Blauer-Vogel-Part
mochte man nicht verzichten. Auch hier ein ironischer Verweis: Hirotaka Seki flattert über einen
Trampolin-Parcours zum Pas de deux mit Sayaka Kado.
Dazu schlagen die Nürnberger Philharmoniker unter der behenden, mit den Tänzern verständig
kommunizierenden Leitung von Philipp Pointner einen satten, wo nötig auch fülligen und
pathetischen, aber nie schwerfälligen Tschaikowsky-Ton an. Das abwechslungsreich
instrumentierte Konzentrat enthält das Beste aus der Komponierstube. Gerade die pavaneähnliche Mazurka zum Schlussbild, in dem Désiré die tote Aurora trägt, unterstrich die Archaik der
Szene. [...]
Jens Voskamp
Nürnberger Nachrichten - 14.12.2009
Nürnbergs Ballettchef Goyo Montero strafft (um rund eine Stunde) und stellt die Musik Peter
Tschaikowskis kräftig um, bläst den Staub aus dem Stoff, lädt ihn mit viel Tempo und
akrobatischer Bewegung auf – um danach doch die altbekannte Geschichte zu erzählen. Aber er
tut es mit so viel Esprit und bildstarker Fantasie, dass das Tanzstück seit seiner Uraufführung im
Jahr 2006 im spanischen Valencia (damals unter dem Titel «La bella durmiente«) und dem
Kritiker-Preis 2008 beim Festival Maggio Danza Fiorentino den Erfolg wie einen Bauchladen vor
sich herträgt.
Kein Wunder, dass in der dritten Auflage bei der Premiere im Opernhaus am Samstagabend der
Sprung zum umjubelten Erfolg kürzer war als Désirés Weg zum Herzen Auroras. Was in der
jungen Dame zwischenzeitlich vorgegangen sein mag, können wir nur ahnen, denn Montero zeigt
sie lediglich als begehrenswertes Objekt: fröhlich-keck (Tamara Michalczyk setzt diese Frische
wunderbar im Tanz um) mit blütenartig-bauschendem Röckchen in der von der «guten« Weißen
Fee (Denise Churchward) beschützten Gesellschaft der Ensembletänzer oder in den Klauen der
schwarz-betuchten, qualmenden Welt der «bösen« Fee Carabosse (Saúl Vega tanzt dämonisch
schöne, flinke Soli). [...]
In der zweiten, deutlich düsteren Hälfte ringt Désiré mit der Verführung in Form von Dornröschens
vierfachem Schatten und den lüstern-schwarz gekleideten Helferinnen Carabosses. Gastsolist Iván
Gil Ortega gewinnt hier tänzerisch ausdrucksstark Profil und schüttelt die ihm auferlegte staunende
Passivität – der «reine Tor« Parsifal ist ihm ein Bruder im Geiste – erst ab, als er die wie eine
Klette an ihm klebende Carabosse kräftig würgt und in die Schranken weist. Wie Klingsors
Zauberreich zerfällt Carabosses finsterer Spuk, weder schwarz noch weiß, sondern hautfarben
unspektakulär reihen sich Désiré und Aurora ein in den kollektiven Reigen der heterosexuellen
Paare. [...]
Viel Schönheit, aber vor allem viel dramatischen Pfeffer und temporeiche Unruhe fanden die
Philharmoniker mit Philipp Pointner im gestrafften Tschaikowski. Vom Jubel haben sie sich einen
ordentlichen Anteil verdient.
Thomas Heinold
Nürnberger Zeitung - 14.12.2009
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