Universität des Saarlandes - Fachrichtung Anorganische Chemie Chemisches Einführungspraktikum Formale Ladungen und Oxidationszahlen Bei der Diskussion der Reaktivität verschiedener Stoffe, sowie bei der Formulierung von chemischen Reaktionsgleichungen erweist sich die Zuordnung von Ladungszahlen zu den einzelnen Atomen in einem Ionen oder Molekül als sehr nützlich. Es ist z.B. plausibel, dass solche Ladungszahlen zur Beurteilung herangezogen werden können, wie leicht ein Ionen oder Molekül Elektronen abzugeben vermag. Auch bei der Formulierung von stöchiometrischen Gleichungen sind solche Zahlen hilfreich: Falls Elektronen verschoben werden, müssen immer gleichviele Elektronen abgegeben werden wie aufgenommen werden (Erhaltungssatz). Nun ist es aber sehr aufwendig, die wirkliche „physikalische“ Ladung eines Atoms in einem molekularen Verband zu ermitteln. Zu diesem Zweck müsste man die gesamte Elektronendichte als Funktion des Raumes bekannt sein. In der Chemie behilft man sich deshalb mit formalen (heuristischen) Ansätzen. Es ist wichtig zu wissen, dass die folgenden Ladungszahlen in keiner Weise der wirklichen (physikalischen) Ladung eines Atoms entsprechen. Trotzdem haben sich Ladungszahlen in der Chemie sehr bewährt und kommen oft zur Anwendung. Heute benutzt man zwei verschiedene Konzepte, welche in gewisser Hinsicht komplementär sind: Formale Ladungen und Oxidationszahlen. Diese beiden Zahlen werden auf verschiedene Weise ermittelt. Sie haben deshalb in vielen Fällen verschiedene Werte. Dies ist kein Widerspruch, da es sich ja nur um formale Größen handelt! Es ist jedoch wichtig, dass man genau weiß, welche Zahlen gemeint sind. Um beide Größen klar unterscheiden zu können, verwendet man für Oxidationszahlen römische Zahlen (+I, +II, +III, +IV, -I, -II, -III, -IV etc.) formale Ladungen arabische Zahlen (1+, 2+, 3+, 4+, 1-, 2-, 3-, 4- etc.). 1 In der Praxis hat sich gezeigt, dass Oxidationszahlen vor allem bei anorganischen Verbindungen von Nutzen sind, während formale Ladungen mehr bei organischen Verbindungen zur Anwendung gelangen. Regeln zur Bestimmung von formalen Ladungen: 1. Einatomige Ionen: formale Ladung = physikalische Ladung des Ions 2. Bei mehratomigen Ionen oder Molekülen geht man von einer korrekten Lewisformel aus. Sämtliche Elektronenpaarbindungen werden symmetrisch aufgeteilt. Auf diese Weise erhält jedes Atom eine definierte Anzahl Elektronen. Durch Vergleich mit der Elektronenzahl des neutralen Atoms (= Ordnungszahl) erhält man die formale Ladung. Regeln zur Bestimmung von Oxidationszahlen: 1. Atome in Elementen: OZ = 0 2. Einatomige Ionen (Elementionen): OZ = Ionenladung 3. Summe der OZ = Ladung des gesamten Ions (Teilchens) oder Moleküls 4. Falls Lewisformel schreibbar: a) Bindungselektronen werden dem elektronegativeren Partner zugeordnet b) Gleichmäßige Aufteilung der Bindungselektronen, falls die beiden Atome zum selben Element gehören. Für entsprechende Verbindungen gilt: Oxidationszahl Oxidationszahl Alkalimetalle Erdalkalimetalle +I +II Sauerstoff mit Nichtmetallen in Peroxiden -II -I Fluor -I Wasserstoff mit Nichtmetallen mit Metallen +I -I Bemerkung: - positive Oxidationszahlen können höchstens gleich der Zahl der Valenzelektronen sein (Hauptgruppennummer im PSE) - negative Oxidationszahlen können höchstens so groß sein wie die Zahl der am Oktett fehlenden Elektronen (z.B. Schwefel: OZ zwischen -II und +VI) 2 Unterschiedliche Werte bei der Ermittlung von formalen Ladungen und Oxidationszahlen kommen somit dadurch zustande, dass im ersten Fall die beiden Elektronen einer gemeinsamen Elektronenpaarbindung symmetrisch aufgeteilt werden, während beim Ermitteln der Oxidationszahlen beide Elektronen dem elektronegativeren Partner zugeordnet werden. Die physikalische Wahrheit liegt sehr oft irgendwo dazwischen. Doch spricht z.B. die Tatsache, dass NH4 + und H2O mit F- sehr starke Wasserstoffbrücken bildet, klar für eine positivere Partialladung auf den H-Atomen. Elektronegativität der Elemente: Definition: Die Elektronegativität ist ein Maß für die Fähigkeit eines Atoms, in einer Atombindung das bindende Elektronenpaar an sich zu ziehen. Abbildung 1 : Elektronegativität nach Pauling 3 Übung zu Gruppenarbeiten Formale Ladungen und Oxidationszahlen Bestimmen Sie die Oxidationszahlen der Elemente in den Verbindungen NaCl KNO3 PbO2 SO42- H2O MgCl2 LiH SiO2 FeCl3 H2O2 Fe2O3 NaOH Cl2 N2O3 ClO2 LiAlH4 BrF3 K2MnF6 KMnO4 NaClO2 KCN HClO3 KO2 NH2OH N2H4 OF2 HClO NaN3 B2H6 IF7 SF6 K3[Co(CN)6] NaK4HV10O28 CrO2Cl2 CaSO3 Cs[Sb(OH)6] NH4[BiI4] K4[Fe(CN)6] K2Na[Co(NO2)6] TiOSO4 NH4ClO4 O - H Ca(OCl)Cl Ca3(PO4)2 CoAl2O4 H SCN Na2[SnCl6] [Co(NH3)5Cl]Cl2 C Essigsäure C O H H 2- 2O O S O S S O S O S 4 O6 2- Tetrathionat O O 2- O S S O O O S O O O O S O O S2O82Peroxodisulfat S2O32Thiosulfat 4