Volksgericht und Volksversammlung im demokratischen Athen des

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Geschichte
Alice B
Volksgericht und Volksversammlung im
demokratischen Athen des 5. Jahrhunderts
v. Chr.
Examensarbeit
Universität Mannheim
Philosophische Fakultät
Lehrstuhl für Alte Geschichte
Volksversammlung und Volksgericht im
demokratischen Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr.
Wissenschaftliche Arbeit im Fach Geschichte vorgelegt von:
Alice Bischof
8. Fachsemester Geschichte, Politik, Germanistik (4. Fs), LAG
Abgabedatum: 11.01.2006
Inhaltsverzeichnis
Seite
I.
Einleitung
4
II.
Hauptteil
7
1.
Die Reformen Kleisthenes' als Ausgangslage für die
7
Entwicklung der Demokratie
2.
Bürger – Nichtbürger
10
2.1
Bürger
10
2.2
Die Sklaven
13
2.3
Metöken
14
2.4
Die Frauen
16
2.5
Zwischenfazit
18
3.
Institutionen
19
3.1
Alterseinteilung der Bevölkerung
19
3.2
Der Rat der 500 als repräsentatives Abbild der atheni-
20
schen Bürgerschaft
3.2.1
Zusammensetzung
20
3.2.2
Die Rolle des Rates im athenischen System
22
3.2.3
Das Verhältnis zwischen Rat und Volksversammlung
23
Exkurs 1
Sinn und Ziel des Losverfahrens
24
3.3
Die Volksversammlung als Paradebeispiel für direkte
26
Demokratie?
II
3.3.1
Zusammensetzung
26
3.3.2
Zuständigkeiten und Befugnisse der Volksversamm-
29
lung
3.3.3
Redner und Strategen - Politiker in der Antike?
30
3.3.4
Gesetzesänderungen, neue Gesetze und die Rolle der
33
Nomotheten
3.4
Die Volksgerichte
36
3.4.1
Zusammensetzung und Charakter der Volksgerichte
36
3.4.2
Das athenische Rechtssystem und die Zuständigkei-
37
ten
3.4.3
Magistrate in den Volksgerichten
40
3.4.4
Die Losung der Richter
41
Exkurs 2
Die Losmaschine und die übrigen Auslosungen
43
4.
Logographen und Sykophanten
44
5.
Prozessablauf und Urteilsfindung
46
5.1
Vorladung und Vorverfahren
46
5.2
Die Verhandlung und Beweise
47
5.3
Die Stimmabgabe
49
6.
Politische Bedeutung der Volksgerichte
51
7.
Die Magistrate
52
8.
Zusammenfassung: Sind die Bürger der Staat?
55
9.
Quelle
57
9.1
Rede gegen die Stiefmutter
57
10.
Rhetorik
65
III
III.
Schluss
68
1.
War die athenische Verfassung demokratischer als
68
unsere heutige Verfassung?
2.
Das griechische Gerichtswesen als Vorbild für das
Geschworenengericht
in
den
USA
und
70
die
Schöffenrichter in Deutschland?
IV.
Literaturverzeichnis
76
IV
I.
Einleitung
Frauen waren im antiken Griechenland nicht rechtsmündig, d.h., sie durften sich vor
Gericht nicht selbst verteidigen und mussten sich von einem Vormund vertreten lassen. Frauen war eine politische Beteiligung untersagt. Ebenso konnten die Zeugenaussagen von Sklaven nur verwendet werden, wenn sie unter Folter erfolgten. Das
Urteil in Gerichtsprozessen fällten erloste Bürger, ohne jegliche juristische Ausbildung.
Aus unserer heutigen Sicht fällt es schwer, das Rechts- und Demokratieverständnis
der Antike nachzuvollziehen, denn wir setzten unser heutiges politisches System wie
auch unser Rechtssystem auf einen höheren Sockel als das der Antike. Aber besteht
dazu überhaupt Anlass? Wir haben größtenteils nur Grundkenntnisse über die athenische Verfassung, wissen nichts über die Motive einiger Verfahrensweisen. Diese
Arbeit hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Zusammenhänge der einzelnen Institutionen im antiken Athen - besonders der Volksversammlung und der Volksgerichte aufzuzeigen, um das Verständnis über die athenische Verfassung zu stärken. Anhand der Erläuterungen über das demokratische Athen soll es möglich sein, eine
Gerichtsrede (zum Beispiel die Rede gegen die Stiefmutter) zu verstehen. Zudem
möchte die Arbeit versuchen, Unterschiede bzw. Zusammenhänge zu modernen
demokratischen Verfassungen zu finden. Inwiefern beruht die Praxis der Schöffengerichte in Deutschland oder die Geschworenengerichte in den USA auf den athenischen Geschworenengerichten?
Hierbei muss man sich vergegenwärtigen, dass sich das Demokratieverständnis der
Antike und das der Gegenwart unterscheiden. Der Begriff Demokratie taucht zum
ersten Mal bei Herodot1 auf und bedeutet die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Die
Vorzüge der Demokratie seien die Besetzung aller Ämter durch Los, die Rechenschaftspflicht der Amtsträger und die Pflicht, alle Beschlüsse der Gesamtheit vorzulegen.2 Nach Platon3 ist eine Verfassung demokratisch, wenn in ihr die Armen die
1
Herodot, Sohn des Lyxes, wurde nicht lange vor 480 v. Chr. (vielleicht 484) in Halikarnass geboren.
Im Zusammenhang mit dem Versuch, den Tyrannen Lygdamis zu stürzen, floh Herodot nach Samos.
Heimgekehrt, beteiligte sich Herodot am Sturze des Tyrannen. Sein Werk (neun Bücher) behandelt
die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Persern und Griechen von den Anfängen bis zur Schlacht
von Platää. Vgl. Walter Pötscher 1979: Herodotos, Sp. 1099f. In: Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike
in fünf Bänden, Bd. 2. Hrsg. von Konrat Ziegler, Walther Sontheimer, München: DTV, Sp. 1099 - 1103
2
Günther Bien 1972: Demokratie, Sp. 50. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 2, hrsg.
von Joachim Ritter, Basel, Stuttgart: Schwabe & Co Verlag, Sp. 50 - 51
4
Ämter besitzen bzw. die Oberherrschaft ausüben. Dabei gibt es in dieser Verfassung
zwei Hauptmerkmale: Die Besetzung der Ämter durch Los und das Prinzip, nach
dem jeder lebt, wie er leben will.4
Aristoteles5 entwarf ein Sechs-Verfassungs-Schema durch die Kombination des
numerischen Prinzips des zahlenmäßigen Verhältnisses der Regierenden zu den
Regierten mit dem normativen der Intention der Herrschaftsausübung.6 Für Aristoteles war die Demokratie als politische Ordnungsform eine entartete Form der Politie.
Das heißt, Demokratie war eine Herrschaft der Vielen mit Rücksicht auf den Nutzen
der Regierenden. Demnach war für Aristoteles die Demokratie kein erstrebenswertes
Ideal.
Heute bezeichnen wir eine Staatsform als Demokratie, wenn folgende Kriterien erfüllt
sind: Die Regierung wird nach allgemeinen, freien und geheimen Wahlen direkt oder
indirekt vom Volk für eine bestimmte Zeitdauer gewählt. Bei der Ausübung der ihr
anvertrauten Macht wird die Regierung durch das Volk oder durch die von ihm befugten Organe kontrolliert. Alle Handlungen des Staates müssen mit der Mehrheit
des Volkswillens sowie mit der Verfassung übereinstimmen. Ausgehend von der
Gleichheit aller Bürger, hat der Staat die Menschen- und Bürgerrechte als Grundrechte des Bürgers zu achten, zu gewährleisten und zu schützen. Ferner erwarten
wir nach unseren heutigen Demokratievorstellungen, dass in einer Demokratie
Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Gerichte, eine wirksame Opposition als Alternative zur Regierung sowie Meinungs-, Presse- und Organisationsfreiheit vorhanden
sind.7
Sowohl bei der Betrachtung des antiken Rechtssystems als auch bei den übrigen
Institutionen sei darauf hingewiesen, dass die athenische Verfassung ein hypothetisches Gebilde darstellt, das auf inhomogenen Quellen aufgebaut ist. In einigen Bereichen steht uns heute allerdings ein dichtes Informationsnetz zur Verfügung. Das,
was wir heute über Athen wissen, wissen wir aus Gerichtsreden, Bodenfunden und
die Papyrusfunde, die die Schrift „Über den Staat der Athener" von Aristoteles ent3
Platon, Sohn des Ariston von Athen, entstammte einer vornehmen Familie Athens. Er lebte von
428/27 bis 349/48. Platon war Schüler Sokrates`, er gründete etwa 387 v. Chr. eine Akademie in
Athen.
4
vgl. Andreas Milios-Nikolaou 1986: Die Beteiligung der Bürger an der öffentlichen Verwaltung Athens
zur Zeit des Perikles. Frankfurt am Main, Bern, New York: Land (= Europäische Hochschulschriften,
Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 290), S. 13
5
Aristoteles, Sohn des Nikomachos, in Stageira 384 v. Chr. geboren, 322. v. Chr. gestorben.
Griechischer Philosoph und Mitglied der Akademie Platons.
6
Bien 1972: Sp. 50
7
vgl. Bernd Guggenberger 1991: Demokratie/Demokratietheorie, S. 70f. In: Wörterbuch Staat und
Politik, hrsg von Dieter Nohlen, München: Pieper, S. 70 - 79
5
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