370_401_BIOsp_0408.qxd 370 13.06.2008 7:57 Uhr Seite 370 WISSENSCHAFT · AKTUELL ÿ Grauer Star als Biomarker? ÿ Pseudomonas mit anpassungsfähigem Genom ÿ Gewürz für das Herz Gen in den Schlagzeilen Grauer Star als Biomarker? region auf dem Chromosom ó Der Graue Star (Trübung der 10q23.13 umfasste 3 cM, enthielt Augenlinse, Katarakt) ist eine typiaber kein Gen, das bisher für die sche Alterskrankheit und weltweit Ausprägung von Katarakten verdie häufigste Ursache für Erblinantwortlich war. Aufgrund der dungen. Katarakte im Kinder- und Kombination der pathophysiologiJugendalter sind dagegen eher selschen Befunde untersuchten die ten und beruhen häufig auf EntAutoren das Gen SLC16A12, das wicklungsstörungen. B. Glöckner- Bild: Augenpraxis Klinik für ein Transportprotein mit bisher Gruissem aus Zürich berichtete Heidelberg unbekannter Funktion codiert. Die kürzlich von einer juvenilen, dominanten Form der Katarakt, die in einer Schwei- Autoren konnten zeigen, dass eine C→T-Muzer Familie zusammen mit Mikrocornea und tation im Exon 6 mit der Krankheit assoziiert renaler Glukosurie über vier Generationen auf- ist. Die Mutation führt zu einem vorzeitigen getreten ist (Am. J. Hum. Genet. 82 (2008) 772– Stopp-Codon. Der Abbruch der Aminosäure779). Den Autoren standen 24 Familienmit- kette erfolgt in einer cytosolischen Domäne glieder zur genetischen Untersuchung zur Ver- des Proteins, das im Wildtyp über insgesamt fügung, sodass eine genomweite Kopp- zwölf Transmembrandomänen verfügt. Das lungsanalyse möglich war. Die Kandidaten- SLC16A12-Gen wird in der Linse und der Niere exprimiert, sodass damit das Krankheitsbild erklärt werden kann; Transkriptionsprodukte sind aber auch in der Retina, in der Lunge und in Hoden nachweisbar. Y Katarakte wurden in der Vergangenheit häufig als isolierte Krankheitsform der Augenlinse angesehen. Zunehmend wird aber deutlich, dass viele mit der Krankheit zusammenhängende Gene auch in anderen Organen exprimiert werden. Das Auftreten einer Linsentrübung kann daher oft nur das erste Zeichen einer Erkrankung sein, die eher durch pleiotrope Effekte gekennzeichnet ist. Das bisher in seiner Funktion unbekannte Gen SLC16A12 ist dafür ein hervorragendes aktuelles Beispiel. Unter den 13 betroffenen Patienten sind übrigens nur vier Männer. Jochen Graw, München ó Mikroorganismus in den Schlagzeilen Pseudomonas mit anpassungsfähigem Genom ó Pseudomonas aeruginosa ist ein wahrer Tausendsassa unter den Bakterien. Er besiedelt fast jeden Lebensraum auf unserer Erde, verwertet eine breite Palette an Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen als Nahrungsquelle und infiziert eine große Zahl an Wirten vom Wurm über die Fliege bis hin zu Nerz, Delfin und Mensch. Die vergleichende Genomanalyse gibt Hinweise auf die Ursachen dieser Anpassungsfähigkeit von P. aeruginosa. Nach K. Mathee et al. (Proc. Natl. Acad. Sci. USA 105 (2008) 3100–3105) setzt sich das P. aeruginosa-Genom aus dem konservierten Kerngenom und dem variablen akzessorischen Genom zusammen. Das Kerngenom repräsentiert das gemeinsame genetische Repertoire aller P. aeruginosa-Stämme. Die nächsten Verwandten der Gene des Kerngenoms findet man bei anderen Pseudomonas-Spezies. Die Genomplastizität von P. aeruginosa spiegelt sich im klon- und stammspezifischen Auf- bau des akzessorischen Genoms wider. Viele Regionen des akzessorischen Genoms lassen sich aus dem Chromosom wieder mobilisieren und in zirkulärer Form über Speziesgrenzen hinweg auf andere Bakterien übertragen. Das Mukoider Pseudomonas aeruginosa-Stamm akzessorische Genom ist reich an Sequenzen aus Phagen oder Transposons und/oder codiert häufig für Transporter und Abbauwege von Sekundärmetaboliten oder Schadstoffen wie Antibiotika, Terpene oder halogenierte Kohlenwasserstoffe. Die nächsten Verwandten der Gene des akzessorischen Genoms lassen sich in erster Linie bei Ralstonien und Burkholderien nachweisen. Diese Bakterien sind zwar stammesgeschichtlich nicht direkt mit P. aeruginosa verwandt, zeigen aber eine ähnliche Lebensweise und Anpassungsfähigkeit an die Umwelt. Y Spezialisten unter den Bakterien, die als Pathogen oder Symbiont an einen Wirt adaptiert sind, reduzieren ihre Genome. Universalisten wie P. aeruginosa hingegen expandieren über horizontalen Gentransfer stamm- oder klonspezifisch ihr genetisches Repertoire, um sich weitere Substrate und Lebensräume zu erschließen. Burkhard Tümmler, Hannover ó BIOspektrum | 04.08 | 14. Jahrgang 370_401_BIOsp_0408.qxd 13.06.2008 7:58 Uhr Seite 371 Arzneimittel in den Schlagzeilen Gewürz für das Herz ó Trotz aller Bemühungen, aus Pflanzen oder anderen biologischen Quellen wirksame Arzneistoffe zu identifizieren, gibt es nur wenige aktuelle Beispiele für die erfolgreiche Entwicklung von Arzneimitteln aus natürlichen Quellen. Zwei kürzlich im Journal of Clinical Investigation (118 (2008): T. Morimoto et al., 868–878 und H. L. Li et al., 879–893) vorgestellte Untersuchungen lassen nun auf ein neues Prinzip zur Therapie der Herzinsuffizienz hoffen. Curcumin ist ein Polyphenol, das aus den Rhizomen der Gelbwurz gewonnen wird und den Curry-Gewürzmischungen die gelbe Farbe gibt. Gelbwurz wird seit 3.000 Jahren als Heilpflanze in der ayurvedischen Medizin und vielen anderen Kulturen eingesetzt. Dem Curcumin werden antioxidative, antiinflammatorische, proliferationshemmende und vielfältige andere Wirkungen zugesprochen. Nun belegen zwei Forschergruppen aus Kanada und Japan, dass Curcumin in verschiedenen Tiermodellen eine Herz-Hypertrophie und Insuffizienz verhindern kann. In vitro hemmte Curcumin die durch Phenylephrin induzierte Hypertrophie neonataler Ratten-Kardiomyozyten ebenso wie die Acetylierung von Histonen und dem Transkriptionsfaktor GATA4. Identische Effekte wurden in verschiedenen Maus- und Rattenmodellen der Herzhypertrophie in vivo beobachtet. Curcumin soll seinen Effekt auf das Herz über eine Hemmung der p300Histonacetylase (p300-HAT) bewirken. Y Weitere Untersuchungen werden zeigen, ob die HAT-Hemmung durch Curcumin primär oder sekundär für den protektiven Effekt verantwortlich ist. Bemerkenswert ist, dass die Hemmung zweier gegenläufiger Prinzipien des Chromatin-Remodelling, Acetylierung und Deacetylierung von Histonen, das Wachstum von Herzmuskelzellen hemmen kann. Durch die exakte Entschlüsselung dieser molekularen Mechanismen werden wir noch viel Neues über die Bedeutung der Epigenetik für die pathologischen Umbauprozesse des Herzens (und anderer Gewebe) lernen – und Curry als ein „gesundes“ Gewürz genießen. Lutz Hein, Freiburg ó BIOspektrum | 04.08 | 14. Jahrgang