VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka VO Germanistische Sprachwissenschaft - Schnittstellen 1. Psycholinguistik Definition Wissenschaft von den psychischen Vorgängen beim Erlernen der Sprache und bei ihrem Gebrauch (duden.de) Wissenschaft vom sprachlichen Handeln und Erleben Wechselwirkung Denken – Sprache Vielfalt der möglichen Fragestellungen Wahrnehmung, Gedächtnis, Gefühlsleben Der Mensch als denkendes, handelndes Wesen ist in den Vordergrund gerückt. Sprache hat etwas mit der Psyche zu tun. Psycholinguistik ist aber auch wissenschaftlich -> kognitive Wende -> hat zu einer Auseinandersetzung mit einem Modell geführt -> Behaviorismus; Kognitivismus wurde relativiert Grundansichten Behaviorismus / Kognitivismus Beides sind Lerntheorien mit verschiedenen Zugängen – heftiger Diskurs Behaviorismus Lernen ist ein konditionierter Reflex Adaption = Anpassung Daten werden abgelagert und aufgerufen Was versteht man unter Wissen? Wissen: korrekt ablaufende Relation zwischen Input und Output (Output = richtiges Wiedergeben und Verwenden) Der Behaviorismus führt alle Leistungen auf Lernvorgänge zurück. Es gibt einen universalen Lernmechanismus (Menschen müssen etwas lernen, um sich weiterzuentwickeln). Kinder imitieren die Sprache der Erwachsenen. Richtige Imitationen werden verstärkt bzw. belohnt. Kognitivismus Lernen ist Resultat von Informationsaufnahme und -verarbeitung Das Gehirn bewertet und vergleicht Daten, zieht Schlüsse, entwirft und verwirft Wissen: Bedeutsame Prozesse im Gehirn – Input wird verarbeitet und es kommt etwas Besseres heraus Kritik am Behaviorismus: Man könnte nie etwas Neues äußern. Kinder sind oft belehrungsresistent. Es müsse angeborene Prinzipien, die genetisch vorher angelegt sind, geben Kinder haben mit 4 oder 5 Jahren (bei normaler Entwicklung) die Grammatik vollständig erworben. Der Input sei in vielerlei Hinsicht zu dürftig bzw. unzuverlässig. Außerdem hört ein Kind nicht nur korrekte Äußerungen und kann nicht wissen, was richtig/falsch ist. Der Einzelne nimmt aus Erfahrung auf und orientiert sich an der Umwelt. 1 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Die Stimmen gegen den Behaviorismus waren und sind lauter. (Wichtiger Vertreter: Skinner) "Tochter" des Kognitivismus ist der Nativismus (Vertreter: Noam Chomsky Begründer der generativen Grammatik; Universalgrammatik; Language Aquisition Device LAD) Fanselow/Felix: Sprachtheorie Pidgin, Kreol Übergeneralisierungen Wissen Der Mensch verfügt über verschiedene Wissenssysteme: Enzyklopädisches Wissen (z.B. 2+2=4, Hunde haben 4 Beine, 'kauft' ist ein Verb) Interaktionales Wissen (Zielgerichtetheit von sprachlichem Handeln, z.B. Kind vs. Polizist) Wissen über globale Textstrukturen (verschiedene Textmuster/-gestaltung) Sprachliches Wissen (Grammatisch korrekte Sätze können produziert und verstanden werden, äußert sich auch in Kreativität - kompetente Menschen) Eine begrenzte Anzahl von Prinzipien und Regeln würde unzählige richtige Sätze ermöglichen. 2 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Spracherwerb Erstspracherwerb Wie wird sprachliches Wissen erworben? -> unterschiedliche Meinungen Behaviorismus Menschen besitzen einen allgemeinen Lernmechanismus, der ausreicht, um alle komplexen Lernaufgaben zu bewältigen (auch bezüglich der Sprache) Nativismus Geht von einem angeborenen Mechanismus aus, der speziell für den Spracherwerb zuständig ist (Modul) - abgekapselt vom Erwerb anderer kognitiver Funktionen Es ist sehr viel Input notwendig Kein großer Input notwendig Der Spracherwerb ist von Kind zu Kind verschieden Der Spracherwerb ist bei allen Kindern gleich Wahrscheinlich stimmt ein Teil von beiden Ansichten. Was allerdings bestätigt ist, ist, dass Kinder Sprache in verschiedenen Stadien erwerben. (Unabhängig von sozialen Gegebenheiten usw.) Pränatale Phase (Vor der Geburt, gehört zum Erstspracherwerb) Der Fötus reagiert auf Umweltgeräusche und die Stimme der Mutter Präverbale Phase (1.-3. Woche nach der Geburt) Lautes Schreien; ab der 2. Woche kann man schon differenzierte Klangmuster vernehmen (Hunger, Schmerz,...) Phase des "Gurrens" (2.-3. Monat nach der Geburt) Gurrlaute; Vorgesprochene Vokale werden nachgeahmt Phase der "Expansion" (3.-6. Monat) Die produzierten Laute werden immer ähnlicher; Spielen mit der Stimme hauptsächlich Vokale (Potenzial des Stimmapparates) Lallan, B(r)abbeln (6.-9. Monat) Kehlkopf senkt sich ab; erste Konsonanten werden produziert und mit Vokalen kombiniert; Reduplikation; Sprachmelodien werden nachgeahmt Erste Wörter werden gebildet (Zwischen 10. und 14. Monat) Wortschatz steigt sprunghaft an, ca. 100 Wörter werden aktiv beherrscht (Mitte des 2. Lebensjahres); danach werden ca. 10 Wörter pro Tag gelernt (bis zum Schulalter) Holophrasen = einzelne Wörter stehen für einen ganzen Sinneszusammenhang (12. bis 18. Monat) Zweiwortphase - die ersten Zweiwortswechsel (Ende 2. Jahr, 24. Monat) Danach mehr als zwei Wörter, Syntax wird komplexer (Relativsätze usw.) -> bis zum 4. Lebensjahr 3 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Grammatik ist vollständig erworben (4./5. Lebensjahr), trotzdem treten Übergeneralisierungen auf Wortschatz wird kontinuierlich erweitert (lebenslang) Weitere Komponenten z.B. Erfolgreiche Kommunikation (interaktives Wissen) Zweitsprach-/Fremdspracherwerb Kinder lernen Fremdsprachen beinahe mühelos, Erwachsenen fällt es schwerer Verläuft eigentlich unbewusst (Kinder sind oft belehrungsresistent) Kritische Phase: Bis zum 10. Lebensjahr erfolgt das Sprachenlernen ohne große Anstrengung Verläuft von Sprache zu Sprache verschieden - man lernt leichter, wenn die Fremdsprache eine ähnliche Struktur wie die Muttersprache hat Interferenz: Übertragung sprachlicher Regeln der Erstsprache auf die Zweitsprache Gesteuerter Zweitspracherwerb: bewusstes Sprachenlernen (Institutionen, Bücher, eigene Anstrengung - formaler Unterricht) Ungesteuerter Zweitspracherwerb: ohne formalen Unterricht (z.B. Gastarbeiter) keine Korrekturinstanz ist von verschiedenen Faktoren abhängig, z.B. Art der Erstsprache heißt nicht, dass man kein Arrangement zeigt Dauer des Sprachkontaktes ist nicht sehr entscheidend Gemeinsamkeiten des gesteuerten und ungesteuerten Erwerbs: Interimsgrammatiken/Lernervarietäten Sprecher weisen als erste Varietät (Basisvarietät) Grammatik auf (Infinitive usw.) Fossilisierung: Bei den meisten Lernern bleibt der Zweitspracherwerb auf einer Zwischenstufe stehen 4 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Sprache im menschlichen Gehirn Verbindung zur Medizin/Naturwissenschaft Es gibt nicht das eine Hirnareal, das für Sprache verantwortlich ist, sondern ein komplexes Zusammenspiel von Bereichen Diese Bereiche hat man aufgrund von Schädigungen entdeckt - die Funktion eines Hirnareals wird deutlich, wenn etwas nicht stimmt Die meisten Sprachareale befinden sich in der linken Gehirnhälfte, aber auch die rechte ist beteiligt Wernicke Areal Linke Hirnhälfte benannt nach Carl Wernicke (Neurologe, 19. Jahrhundert) Verantwortlich für das Sprachverständnis Beeinträchtigung des Wernicke Areal: o Eigene Sprachproduktion ist noch erhalten und unauffällig, aber es kommt zu Verständnisproblemen o Unverständliche Wörter, grammatikalische Defizite o Ursache: Schlaganfall -> sensorische Aphasie Broca Areal Grammatik, Wortstellung Folgen einer Schädigung: o Wenig Probleme mit dem Sprachverständnis o Langsames Sprechen, viele Pausen, reduzierte Syntax, Auslassen von Präpositionen und Artikel o Patienten versuchen dagegen zu steuern -> Agrammatismus Störungen bei anderen Arealen: z.B. Wortfindungsstörungen, Lesestörungen Sprache und Denken Inwieweit bestimmt die Sprache das Denken? Auf welche Weise wird die Welt wahrgenommen? Sapir-Whorf-Hypothese Edward Sapir (1848), Benjamin Whorf 5 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Sprache ist nicht nur ein Reproduktionsmittel, sondern determiniert das Denken und die Wahrnehmung. -> sprachliches Relativitätsprinzip Sprache teilt sich auf in verschiedene Grammatiken, Bedeutungen und Bewertungen. Kymrische Farbskala (Kymrisch spricht man in Whales) Sprache bei Mensch und Tier Menschen Sprachfähigkeit ist dem Menschen gegeben Tiersprachen können wir herausnehmen (z.B. Bienentanz) Lautliche Zeichensysteme Begriffliche Verallgemeinerung Menschliche Sprache zeichnet sich durch zweisprachliche Gliederung aus o Bedeutungstragende Elemente - Morpheme o Kombinationen von kleinsten bedeutungsunterscheidenden Elementen Phoneme Tiere Versuche mit Primaten: verblüffende Ergebnisse, dennoch ist der Unterschied zu Menschen sehr deutlich Tiere wie z.B. Hunde oder Elefanten haben tolle Fähigkeiten entwickelt Sprachverstehen Tiersprachliche Äußerungen: Reflexe auf Signale Den Menschen ist ein angeborenes Modul gegeben, aber auch Tiere haben angeborene Reflexe, die nicht erlernt werden müssen Einzelne Elemente können nicht neu kombiniert werden - Kombination von Elementen Begriffliche Verallgemeinerung ist bei Tieren nicht möglich Metasprachliche Kompetenz fehlt vollkommen 6 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Sprachverstehen und Sprachproduktion -> Reihe von Hindernissen möglich Sprachverstehen Was sagt mir der Andere? Was hat er gemeint? Weg verläuft von außen (hören/sehen -> Gebärdensprache) nach innen Fehlleistungen spielen eine große Rolle - fehlerhaftes Verarbeiten von sprachlichen Sequenzen (z.B. Internet: Agathe Bauer, Anneliese Braun; Der Mond ist aufgegangen...Der weiße Neger Wumbaba) Wahrnehmen von Lautäußerungen: wir können eine menschliche Sprache erkennen Dekodierung (=Entschlüsselung) von Äußerungen Sprachproduktion Fehlleistungen: nicht die Verhörer, sondern die Versprecher spielen eine Rolle -> Fehler bei der Sprachproduktion Weg von innen nach außen Patholinguistik: andere Parameter bei pathologischen Störungen TOT-Phänomen (Tip of Tongue): Blockade von wenig Frequentem 7 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka 2. Sprachtypologie Wo steht die deutsche Sprache typologisch? -> Sprachen der Welt werden nach bestimmten Kriterien kategorisiert. -> Man versucht, bestimmte Typen voneinander abzuheben -> Suche nach differenzierenden Strukturmerkmalen. [Nicht verwechseln mit genealogischen Sprachverwandtschaften!] August Wilhelm Schlegel Unterscheidung von analytischem und synthetischen Sprachgebrauch Analytischer Sprachgebrauch Synthetischer Sprachgebrauch Arbeitet mithilfe von syntaktischen Mitteln (=Hilfswörter) Morphologie Analytische Strukturen haben sich vermehrt Latein ist sehr stark synthetisch gebildet (z.B. synthetisches Passiv: laudatur - er/sie/es wird gelobt) Sprachfamilien Die meisten Sprachen lassen sich Sprachfamilien zuordnen. (z.B. germanisch) Einige Sprachen scheinen isoliert zu sein. (z.B. Baskisch, Koreanisch) Universalienforschung Suche nach Strukturmerkmalen, die allen/den meisten Sprachen gemein sind. Substantielle Universalien / Universelle Implikationen Sprachbund, z.B. SAE 40 Sprachen wurden auf gemeinsame Merkmale überprüft (z.B. Passiv, Dativ, Artikel, obligatorischer Gebrauch von Subjektpronomen - pro-drop z.B. Italienisch, Spanisch) Formale Charakteristika Lautebene: Inventar an Vokalen und Konsonanten sehr unterschiedlich Lautkombinationen innerhalb von Silben Intonation (fallend/steigend, z.B. Chinesisch vs. Deutsch) Kennzeichnung grammatischer Kategorien und Relationen: Isolierende (=amorphe) Sprachen haben unveränderbare Wörter. Entscheidend ist die Syntax. z.B. Chinesisch, Vietnamesisch 8 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka o Englisch ist stark in der Nähe der isolierenden Sprachen. Bsp. The dog bites the postman. <-> The postman bites the dog. ? Inkorpoorierende Sprachen (einverleibend, polysynthetisch) Ein ganzer Satzinhalt wird in einem Wort ausgedrückt. z.B. Tschuktschisch, Grönländisch Agglutinierende Sprachen haben unveränderliche Stämme, an die unselbstständige Morphe (Affixe) treten. z.B. Türkisch (Im Deutschen gibt es für -en zahlreiche Möglichkeiten: Plural, Infinitiv, Adjektiv,... bei einer agglutinierenden Sprache wäre das kaum möglich) Flektierende Sprachen o Formveränderungen innerhalb der Wortstämme o Formveränderungen durch (polyfunktionale) Affixe, die an den Stamm treten Wurzelflektierende Sprache: z.B. Arabisch Ablaut: geregelter Vokalwechsel bei wurzelverwandten Wörtern z.B. binden - band gebunden Umlaut: Wechsel, der auf einen Wandel zurückgeht Neuer Ansatz der Sprachtypologie Die Sprachen der Welt können eingeteilt werden in Silbensprachen: o Optimierung der Silbenstruktur steht im Vordergrund o Eine gute Silbenstruktur wird erreicht durch einen regelmäßigen Wechsel von Vokalen und Konsonanten (K-V-K-V...) o Silbenstruktur ist mehr oder weniger unabhängig von der Wortposition o Einheitliches Vokalsystem in allen Silben o Haben einen schwach ausgeprägten Wortakzent z.B. Japanisch o Sind für den Sprecher vorteilhaft, aber nicht für den Rezipienten Wortsprachen: o phonologisches Wort steht im Vordergrund o häufig komplexe Silben o Unbetonte/betonte Silben o Haben einen deutlichen Wortakzent z.B. Deutsch o Sind hörerfreundlicher Deutsch hat sich von einem Typ zum Anderen gewandelt: Althochdeutsch (Silbensprache) -> Neuhochdeutsch (Wortsprache) 9 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Bsp. althd. salbota -> mhd. salbete -> nhd. salbte Bsp. tomo - tomas - toma (Silbensprache - spanisch) nehme - nimmst -nimmt (Wortsprache) Epenthese (Einschub) Sowohl in Silben- als auch in Wortsprachen. Vokalepenthese: man möchte die Anhäufung von Konsonanten vermeiden Vermeidung von Hiatus -> Aufeinanderfolgen von Vokalen mhd. bur - Bauer pereg - perg buan - ahd. büwan [Wortgrenze markieren: Wortakzent, reduzierte Vokale in unbetonten Silben] Number of Genders Im Deutschen gibt es 3 Geschlechter, in manchen Sprachen sogar 5 oder mehr (andere Kategorien werden berücksichtigt z.B. belebt, zählbar). Silbenstruktur - In Europa sehr komplex. Wortakzent - Es gibt viele Sprachen, wo es keinen fixen Wortakzent gibt. Wortstellungstypologie -> Bekannte Einteilung von Sprachen -> Wie ist die Abfolge von Subjekt, Verb und Objekt? (6 Möglichkeiten) Abfolgen der meisten Sprachen: SVO-Sprachen: Kühe fressen Gras o Englisch, Finnisch, Chinesisch usw. VSO-Sprachen: Fressen Kühe Gras o Arabisch, Kymrisch usw. SOV-Sprachen: Kühe Gras fressen o Hindi, Türkisch usw. Objekt vor Subjekt: VOS: Fressen Gras Kühe OSV: Gras Kühe fressen 10 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka OVS: Gras fressen Kühe Deutsch ist ein Mischtyp. Urindogermanisch: (S)OV-Sprache Stark vereinfachte Form: Subjekt weglassen SVO, VSO -> VO-Sprachen (zentrifugal, emissiv) o NA: Substantiv vor Adjektiv, z.B. rosa blanca (spanisch) -> emissiv o NG: Nomen mit attributivem Genetiv o Pr: Präpositionen, z.B. im Himmel SOV -> OV-Sprachen (zentripetal, rezeptiv) o AN: Adjektiv vor Substantiv, z.B. weiße Rose -> rezeptiv o GN: z.B. laivan lähtö (finnisch: des Dampfers Abfahrt) o Po: Postpositionen, z.B. svarg men (Hindi: Himmel im) Charakteristika Phonetik/Phonologie Morphologie Syntax Variation Gerundete Vorderzungenvokale: ü, ö In Europa gibt es ein paar Sprachen mit high and mid. Vokalische Charakteristika der deutschen Standardsprache Unterschied zwischen Monophthongen und Diphthongen (ei, eu, au) o Monophthong: Vokal, bei dem sich während der Dauer der Artikulation nichts tut o Diphthong: Ausgangspunkt und Endpunkt – dazwischen liegt ein Kontinuum (es sind nicht nur zwei Vokale!) In Dialekten gibt es viele Diphthonge (z.B. „Schui“, „Stean“) Phonologisch distinktive Vokallänge (zumindest hinsichtlich Monophthongen) bzw. gespannte : ungespannte Vokale, z.B. Unterschied Ratte – rate Ungerundete : gerundete Palatalvokale (http://wals.info...) Tonhöhe nicht phonologisch o Tonsprachen; Tonverlauf (fallend, steigend usw.), z.B. Chinesisch Unterschied Vokale – Konsonanten Vokale sind stimmhaft (Stimmbänder sind angenähert und erzeugen periodische Schwingungen, ein Stimmton entsteht) 11 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka o Unterschiedliche Vokalqualitäten -> unterschiedliche Ausformung der Resonanzräume Konsonanten: Luftstrom tritt auf ein Hindernis; es gibt stimmhafte und stimmlose Konsonantensystem der deutschen Standardsprache Frikative: Engebildung Plosive: Vollverschluss, Überdruck entsteht, wird explosionsartig gelöst Affrikaten: Verschluss wird in den Reibelaut hinein gelöst, z.B. pf Nasale: Vollverschluss, Nasenraum wird miteinbezogen, Gaumensegel (Velum) geschlossen, Luft kann durch die Nase entweichen, stimmhaft Laterale: Seitenlaut, stimmhaft, Luft kann seitlich vorbei, Teilverschluss, „l“ Vibranten: r, R; vorderes r: Zungenspitze vibriert, hinteres r: Gaumenzäpfchen vibriert gegen den hinteren Teil der Zunge Konsonantische Charakteristika der deutschen Sprache Relativ wenig Nasale Recht viele Obstruenten: Plosive, Frikative, Affrikaten, Glottisverschluss Fortes (stark) und (phonologisch distinktive) Lenes (weich – d,b,g): s. Tier : dir, Pein : Bein, Krippe : Grippe Auslautverhärtung: Stimmtonverlust am Ende des Wortes, ab dem Mittelhochdeutschen, Bsp.: ahd. tag -> mhd. tac, im Englischen gibt es keine Auslautverhärtung Homophonie: z.B. Rad wird gleich ausgesprochen wie Rat Silbenstrukturelle Charakteristika des Neuhochdeutschen Relativ komplexe Silbenstrukturen (Nhd. = „Wortsprache“), z.B. strolchst (K), (K), (K) V (K), (K), (K), (K) Reduzierter Nebensilbenvokalismus: z.B. Lateinisch, Althochdeutsch,… Keine Vokalharmonie (Assimilation von Vokalen in Abhängigkeit von Nachbarvokalen): s. aber ahd. „i-Umlaut“ Die vokalische Distanz wird verringert Prosodisch-intonatorische Charakteristika des Deutschen Wortakzent auf Stammsilbe (Akzentzählung: Konstante Abstände zwischen betonten Silben) Satzmelodie ist funktional gesteuert: s. etwa Deklarativ-, Imperativ- und Fragesatz Drei Möglichkeiten einer Satzintonation im Deutschen Fallend (terminal): z.B. „Ich habe heute noch kein Mittagessen gehabt.“ 12 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Steigend (interrogativ): z.B. „Gehst du mit mir ins Kino“ –> Entscheidungsfrage; aber nicht „Wer hat aus meinem Becherchen getrunken?“ –> Ergänzungsfrage -> fallend intoniert Weiterführend (progredient): Bei Übergängen von Sätzen, z.B. „Die Wurst, die du mir gebracht hast, ist schlecht.“ (endet fallend) Satzmelodien haben bestimmte Funktionen. Morphologie Am Wort verändert sich etwas Flexion: Bedeutungskonstanz, z.B. ich spiele, du spielst Wortbildung: Bildung von komplexen Wörtern aus dem vorhandenen sprachlichen Inventar - es entsteht etwas Neues, z.B. Spieler, Spiel, spielsüchtig Konstruktionsbezogene Aspekte des Deutschen Wortbildungsarten des Deutschen Das Deutsche ist sehr produktiv bezüglich Wortbildungsarten. Wortbildung = Bildung von neuen Wörtern auf Basis von vorhandenem sprachlichen Material Komposition: Zusammensetzung aus mehreren verschiedenen Wörtern, z.B. Lehrbuch (engere Kategorie als Buch), Kant-studien o Produkt: Kompositum, Pl. Komposita o Zwei Bestandteile: Grundwort und Bestimmungswort -> können auch komplex sein - Simplex/Komplex, z.B. Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän) o Determinativkomposita: Bestimmungswort (Erstglied), Grundwort o Kopulativkomposita: Additive Aneinanderfügung von zwei Einheiten (könnte auch umgedreht werden), z.B. Dichterkomponist, nasskalt Kontamination: Verschmelzung aus verschiedenen Wörtern, eher spielerischer Charakter, z.B. Kurlaub (Kur, Urlaub) Derivation: Ableitung eines Wortes durch wortarttypische Suffixe, z.B. Frech-heit, herz-lich Präfixbildung: Wortbildung durch vorangestellte Affixe, z.B. Un-sinn, ver-legen Konversion: Wortartenwechsel ohne Stammänderung, z.B. Fisch, fisch-en Akronymenbildung: Abkürzungswörter, z.B. EDV Kurzwortbildung: z.B. Uni statt Universität, Bus anstelle von Omnibus, Cello statt Violoncello 13 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Inventar an grammatischen Kategorien des Deutschen 1. 2. 3. 4. Person Numerus: Singular, Plural, Dual (ausgestorben) Genus Verbi (Pl. Genera): aktiv (synthetisch), passiv (analytisch) Tempus: synthetisch: Präsens, Präteritum; analytisch: Perfekt, Futur I&II, Plusquamperfekt 5. Modus (Pl. Modi): Indikativ, Konjunktiv (kann analytisch und synthetisch sein), Imperativ Grammatische Kategorien, die durch Flexion zum Ausdruck gebracht werden können: Verben o Modi in anderen Sprachen: z.B. Optativ, Involuntativ, Energikus Substantiv/Nomen o Genus: Maskulinum, Femininum, Neutrum o Weitere Numeri: Dualis, Trialis, Paucalis o Kasus im Deutschen: Nominativ (neutral), Genitiv (Attribut, Objekt, Adverbiale), Dativ (indirektes Objekt), Akkusativ (direktes Objekt, Adverbiale) o Kasus in anderen Sprachen: Ablativ, Lokativ, Instrumental, Vokativ Adjektiv: Komparation (manchmal nicht möglich, z.B. bei "tot") 14 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka 3. Variationslinguistik Allgemeines: Varietäten sind Ausprägungen von Sprachen. Bestimmte Sprachform, die durch spezifische außersprachliche Kriterien definiert wird Regionales (der Raum), Alter, Geschlecht, Soziales usw. spielen eine Rolle -> sehr vielfältig Lekt: Oberbegriff für verschiedene Varietäten Heutzutage gibt es ein Anstreben dialektferner Aussprache (möglichst standardnah) Raum: Dialekte, Regiolekte, regionale Umgangssprachen usw. Soziolekte -> haben mit sozialen Parametern zu tun; Zusammenhang SpracheGesellschaft Art der medialen Manifestation (schriftlich vs. Mündlich) Idiolekte: Sprache einzelner Individuen o Bloch 1948 o Gesamtheit möglicher Äußerungen, individueller Sprachgebrauch des Einzelnen o Wissenschaftlich relevant? Unterschiede sind Realität. o Schnittmenge verschiedener Idiolekte: Varietäten Geschlecht: konkurrierende Termini Sexlekt, Sexolekt (beides überholt) und Genderlekt o Sexlekt/Sexolekt: vieldiskutiert und in Frage gestellt o Genderlekt trifft eher das, worum es geht (soziale Rolle) o Interaktion zwischen den Geschlechtern o Vorurteile o Feministische Sprachwissenschaft Situolekte: Sprache in verschiedenen Situationen, verschiedenen außersprachlichen Einbettungen o Wer spricht mit wem in welchem Umfeld was? Funktiolekte: Alltagssprache, Literatursprache, Pressesprache usw. Mediolekte: mündlich vs. Schriftlich; mediale Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit; Konzeption o Schriftlich konzipiert, mündlich realisiert: z.B. Predigt, Vortrag o Konzeptionell mündlich, medial schriftlich: z.B. Grußkarte, soziale Netzwerke o Konzeptionell und medial schriftlich: z.B. Gesetzestext o Konzeptionell und medial mündlich: z.B. Gespräch mit Freunden Räumliche Varietäten (Sprache im Raum) Standardsprache, Umgangssprache, Verkehrsdialekt, Basisdialekt -> Kontinuum, keine genaue Einteilung möglich o Basisdialekt: Ältere Menschen, die kaum ihren Heimatort verlassen haben. 15 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka o Verkehrsdialekt: Jüngere Menschen, die sich sprachlich auf ein nicht allzu weit entferntes Zentrum ausrichten, z.B. Wien. o Umgangssprache: schwieriger Begriff in der Sprachwissenschaft o Standardsprache: überregional? Mündliche Verwendung Im gesamten Sprachraum unbegrenzte Reichweite Ergebnis eines komplizierten historischen Ausgleichprozesses Deutsche Standardsprache: mündliche Realisierung der Schriftsprache Orts- und regionsgebundene Varietäten Überregionalität erst später Maximale kommunikative Reichweite der Standardsprache Dialekte haben im Vergleich eine minimale kommunikative Reichweite Schriftsprache Spaltung im deutschsprachigen Raum: Reformation, Gegenreformation, Rekatholisierung Unterschiede zwischen Schreibsprachgebrauch Unterschiede verschwinden in der Schriftsprache Unterschiede in der Lexik: z.B. Karfiol-Blumenkohl, Quark-Topfen, Möhre-Karotte Räumlich definierte Varietäten Standardsprache: Prinzipiell überregional Regiolekte Umgangssprache: landschaftsgebundene Varietäten „unterhalb“ des Standards Dialekte: das „untere“ Ende des Varietätenspektrums Bußmann: Sprachsystem -> regional gebunden, keine kodifizierte Schriftlichkeit Wiesinger: verschiedene Kriterien einer Definition; Protosystem: früheres System Löffler: Hochsprache und Dialekt Hochsprache-Dialekt Prototypische Zuweisungen nach Löffler a) Kriterium er Sprachbenutzer Hochsprache: Mittel- und Oberschicht Dialekt: Unterschicht b) Kriterium des Verwendungsbereiches Hochsprache: öffentlicher (überörtlicher) Bereich, mündliche und schriftliche Rede Dialekt: familiär-intimer Bereich (örtlich), mündlicher Sprachgebrauch c) Kriterium der räumlichen Erstreckung Hochsprache: überörtlich, räumlich nicht begrenzt, nicht landschaftsspezifisch Dialekt: orts- und raumgebunden, landschaftsspezifisch d) Kriterium der kommunikativen Reichweite 16 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Hochsprache: unbegrenzte, optimale kommunikative Reichweite, größter Verständigungsradius Dialekt: begrenzte, minimale kommunikative Reichweite, geringster Verständigungsradius e) Kriterium der sprachgeschichtlichen Entstehung Einziges Protosystem; Deutsch -> komplexe Materie, lässt sich nicht linear auf einen Dialekt zurückführen Dialekte: Weiterentwicklung eines Protosystems, geschichtlich „linearer“ beschreibbar als die deutsche Schrift- bzw. Standardsprache f) Linguistische Kriterien Zwei Möglichkeiten: o Defizithypothese o These von Jan Goossens Defizit vs. Differenz Hochsprache: optimale Besetzung aller grammatischen Ebenen, reicher Wortschatz Dialekt: dürftige Besetzung aller grammatischen Ebenen Elaborierter Code: differenziert Restringierter Code Dialektsprecher -> restringierte kommunikative Möglichkeiten Dialekt -> defektives Sprachsystem (gilt heute als überholt) Differenzhypothese Unterschiede wertfrei beschreiben Es gibt Unterschiede, aber Dialekt ist nicht ganz schlecht und Hochsprache nicht ganz gut Breites Spektrum an Varietäten ist gut These von Jan Goossens (1977) Zwischen den einzelnen Varietäten von Hochsprache bis Dialekt liegen Regeln. Dialekt ist jenes sprachliche System, das von der Hochsprache durch eine maximale Anzahl von Regeln getrennt ist. Es gibt eine ganze Reihe von Zwischenstufen Vom „tiefsten“ Dialekt bis hin zur Hochsprache Unterschiede sind erfassbar und durch Regeln beschreibbar In der Praxis sind diese Regeln schwer vollständig Zwischen Hochsprache und Dialekt gibt es keine scharfen Angrenzungen -> Varietätenkontinuum 17 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Deutsche Dialekte – ein knapper Rundblick Zweiteilung: Nördlicher Teil: Niederdeutsch Südlicher Teil: Hochdeutsch Niederdeutsch vs. Hochdeutsch Zweite (Hochdeutsche) Lautverschiebung Wandlung um 500 n.Chr. Plosive „Benrather“ Linie maken-machen-Linie nördlichste Ausdehnung Benrath liegt am Rhein -> Lautverschiebungsgrenzen werden danach benannt, wo die Orte den Rhein überqueren Merkmale des Niederdeutschen Nasalschwund vor Frikativen: fīf, gōs (hd fünf, Gans) Das maskuline Personalpronomen lautet im Nd. hē (hd. er) Das Fragewort wie lautet im Nd. Wō Einheitsplural im Singular der Verben: wir/ihr/sie gebet bzw. geben (hd. geben – gebt – geben(t)) ... und anderes mehr Hochdeutsch: Mitteldeutsch und Oberdeutsch Mitteldeutsch: Westmitteldeutsch und Ostmitteldeutsch Mitteldeutsch: o Nördlich begrenzt von der maken-machen-Linie o Südlich begrenzt von der Appel-Apfel-Linie Appel-Appel-Linie: Verschiebung im Mitteldeutschen nicht, im Oberdeutschen schon. Das Oberdeutsche im Süden des deutschen Sprachraums umfasst drei große Dialektgruppen: Ostfränkisch Alemannisch Bairisch (nicht Stadt, sondern Sprache gemeint!) 18 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Unterscheidungsmerkmale zwischen Mitteldeutsch und Oberdeutsch: Mitteldeutsche Dialekte weisen Monophthongierung der mhd. Diphthonge ie-ü-uo auf (Merkspruch: liebe guote brüeder), im Oberdeutschen nach wie vor diphthongische Lautungen. o ie > i o üe > ü o uo > u Im Oberdeutschen stirbt in den Dialekten bald nach 1500 das Präteritum aus (z.B. ich ging -> ich bin gegangen); im Mitteldeutschen kann es sich auch mündlich behaupten. Diminutivsuffixe (Verkleinerungsform): im Mitteldeutschen ist –chen die heimische Form, im Oberdeutschen sind es Formen, die auf –lin zurückgehen. Korrelation Langvokal + Lenes (schwacher Konsonant) z.B. weder Kurzvokal + Fortis (starker Konsonant) Mittelbairisch: Vokalisierung von r und l r r + K (Konsonant) l l+K Beispiele: ‚wer‘ und ‚folgen‘ werden vokalisiert; voll -> vui, viel -> vü Südbairisch kennt diese Vokalisierung nicht Eigenentwicklungen/Neuerungen: o mhd. e-oe-o > er-or o -gt > -k o -bt > k Das Oberdeutsche ist bei der Lautverschiebung konsequent. Funktiolekte Funktion: kommunikativer Zweck von sprachlichen Zeichen Einteilung funktionaler Varietäten: man nimmt an, es gibt Texte aller Art: (± binäres System) 1) ± „ungezwungen-locker“ (+ Alltagssprache, - der Rest) 2) ± literarisch geformt (+ Literatursprache) 19 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka 3) ± theoretisch abstrakt (+ Wissensch.-/Fachsprache) 4) ± bürokratisch formalisiert (+ Behördensprache) 5) ± ohne bürokratische Formalisierung; journalistisch geformt vs. anpreisend-persuasiv (+ Presse-; Werbesprache) Fachsprachen/Wissenschaftssprachen DF: Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung der dort tätigen Fachleute zu gewährleisten. - Hoffmann Es gibt nicht nur eine Fachsprache -> hat nur im Plural Berechtigung (Fachsprachen) Abgrenzung von Fächern horizontale Gliederung: welche Fachsprachen gibt es eigentlich und wie lassen sie sich abgrenzen? (Chemie, Mathematik usw.) vertikale Gliederung: eine hierarchische Gliederung innerhalb eines bestimmten Fachbereichs (z.B. Krankenschwester – Arzt) Berufssprache ist ein ungenauer Begriff! Es geht nicht nur um den Fachwortschatz, sondern um eine Charakterisierung auf allen sprachlichen Ebenen. Lexik In jeder Fachsprache gibt es spezifische Wortschatz-Elemente. (z.B. Aktant in der Sprachwissenschaft) „Gütemerkmale“ Exaktheit Eineindeutigkeit (1:1 Verhältnis zwischen Ausdrucks- und Inhaltsseite) Selbstdeutigkeit Knappheit: je kürzer, desto besser (z.B. EKG) – Sechsdeutigkeit geht verloren Neutralität: Fachwörter sollen nicht grob sein 1:1 Verhältnis: Fachwörter sind z.B. in Operationssälen wichtig, man sollte aber differenzieren. Sechsdeutigkeit: z.B. Schnecke -> etwas Spiraliges; Knie -> etwas Gebogenes Kontextautonomie: wenn ein bestimmtes Fachwort ohne Kontext festbesteht Morphologie Flexion 20 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka o besondere Plurale/Singulare (z.B. das Elter) o anderes Genus o Verbflexion Wortbildung o Komposition (z.B. –itis) o Derivation o Konversion o Abkürzungen etc. Syntax Typische Muster syntaktischer Gestaltung: Syntaktische Strategien zur Anonymisierung „explizite Spezifizierung“ Kondensierung Text Fachsprachliche Texte vs. nicht-fachsprachliche Texte Fachprachliche Texte: logisch gegliederte Abschnitte, Fußnoten, Zusammenfassung usw. In Gesetzestexten eher stereotype Satzanfänge usw. Graphematik, Orthographie: z.B. ph- statt f-Schreibung Lautebene: z.B. langes o bei ‚Ost‘ (wegen Verwechslungsgefahr) 21 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Herkunft des Fachwortschatzes Verschiedene Verfahren: a) mithilfe von Wortbildungselementen Wortbildung = Bildung neuer Wörter auf Basis des bereits vorhandenen Inventar (Morphologie; Flexion = neue Wortformen) Präfigierung (z.B. verfüllen), Suffigierung (z.B. –itis), Komposition (z.B. Trapezgewindeschleifmaschine – verstößt aber gegen Gütekriterium Knappheit), Wortkürzung (z.B. MPBetreibV) Determinativkomposita (z.B. Trapezgewindeschleifmaschine), Kopulativkomposita (z.B. nasskalt, Dichterkomponist) b) Entlehnung, Lehnübersetzung Übernahmen aus dem Griechischen und Lateinischen, heute auch aus anderen Sprachen (vor allem Englisch) Entlehnung: z.B. Diagnose, Ventrikel, Software, Langue/Parole Lehnübersetzung: z.B. herunterladen (aus engl. downloaden) c) Transposition von Eigennamen z.B. Gauß, Hertz, Parkinson, Vernersches Gesetz d) Metaphorisierung basierend auf Ähnlichkeitsrelationen in Bezug auf Form oder Funktion z.B. Muschel, Frosch, Auge, Zahn, Knie, Schnecke (weist auf etwas Spiraliges hin),… e) Terminologisierung Wörter gibt es auch in der Gemeinsprache, sie haben dort aber einen Haken z.B. wird „Wärme“ in der Physik für jeden Temperaturzustand gebraucht -> Gemeinsprachliches Merkmal (fühlbar nicht kalt) ist neutralisiert z.B. Kurve: optisch erkennbar gekrümmt – in der Geometrie ist aber auch eine Gerade eine Kurve (Radius unendlich) f) (Absolute Neubildungen) 22 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka 4. Soziolinguistik Allgemein relativ junge Disziplin, Ursprünge 50er Jahre USA wissenschaftlich etabliert seit den 60er Jahren beschäftigt sich mit Sprache und Gesellschaft Sprache und Sprechen (als Handeln) in der Gesellschaft alles was nicht zur Systemlinguistik gehört Wer spricht was wie wann mit wem unter welchen (sozialen) Umständen mit welchen Absichten/Konsequenzen? Basil Bernstein (1924-2000) Defizithypothese (60er Jahre) Angehörige der Arbeiterschicht haben im Vergleich zur Oberschicht unterschiedliche Sprachverhältnisse Die Unterschicht (charakterisiert durch schulische Ausbildung usw.) kommuniziert in Form eines restringierten Codes (eingeschränkt) Mittel- und Oberschicht kommunizieren in Form eines elaborierten Codes (stärker ausgebaut, sorgfältiger ausgearbeitet) Kriterien Frage der grammatischen Korrektheit sprachlicher Äußerungen Logische Strukturierung Umfang des Vokabulars Fazit Sprache der Unterschicht ist defizitär (schlechtere Qualität) Elaborierter Code: größere Varianz bei der Wortwahl usw., kognitive Entwicklung gefördert Bernstein hat sich nur auf Ergebnisse in England bezogen Ergebnisse unabhängig von Intelligenz Bernstein wollte bildungspolitische Maßnahmen setzen und Förderprogramme ermöglichen -> Weg zu höherem Sprachniveau (elaborierter Code) -> beruflicher Werdegang erleichtern Sprachbarrierendiskussion lange vorhanden (teilweise bis heute) Trotz bildungspolitischer Unterrichtsideen/-maßnahmen keine positiven Ergebnisse Heftige Kritik trotz edlem Ziel 23 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka William LABOV (1927) Kritik an der Defizithypothese Schwarze Bevölkerung in Amerika: Sprachliche Unterschiede, aber Sprache nicht defizitär -> kaum qualitative Unterschiede Differenzhypothese Unterschiede im Sprachgebrauch, aber keine Unterschiede in Bezug auf die Ausdrucksfähigkeit Defizithypothese: restr.C.: Wirklichkeit kann nicht konkret abgebildet werden Differenzhypothese: restr.C.: man kann ebenso viel ausdrücken, nur mit anderen Mitteln Verbindung Dialekt mit restringiertem Code: Dialekte keine Defizite, bloß Differenzen Soziolekte Gruppenspezifische Varietäten (im weitesten Sinn) Eigentliche Soziolekte: transitorisch, temporär, habituell Transitorische Soziolekte (vorübergehend) Sprachformen, Durchgangsstatus – Ablaufdatum, Lebensaltersprachen Lebensaltersprachen: vier Stadien „Kindersprache“: vom ersten Sprechen bis zum Beginn der Schulzeit -> Vorschulalter, Erstspracherwerb nicht gemeint „Schüler- und Jugendsprache“: bis zum Ende der beruflichen Ausbildung „Erwachsenensprache“: während der Zeit der Berufsausübung, auch Zeit der Kindererziehung „Alterssprache“/“Seniorensprache“: Zeit nach der Berufsausübung Jugendsprache Keine eigene Varietät Wer definiert Jugend? Scheuch: „Die Jugend gibt es nicht“ Es gibt mindestens sechs Möglichkeiten, Jugend zu bezeichnen 1. Jugend als biologische Altersphase: Pubertät/Adoleszenz 2. Jugend als sozial definierte Alltagsphase: z.B. Strafmündigkeit (Jugend endet wenn Strafmündigkeit beginnt), Konfirmation, Firmung usw. 3. Jugend als soziale Altersgruppe; Subkultur, Jugend als Problemgruppen 24 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Schlobinski "Jugendsprache" -> Mythos von der Jugendsprache Jugendsprache ist ein komplexes Varietätenbündel Punktuelle Feststellungen Kindersprache Pädagogisches Engagement sehr stark (nicht deskriptiv wissenschaftlich) Erwachsenensprache wurde als wenig lohnender Forschungsgegenstand gesehen erscheinen weniger als Gruppe -> einzelne Individuen berufsbedingte Mobilität größere Bandbreite von Varietäten Situationsangepasste Register Potentielle Kommunikationsfähigkeit Alterssprache große Unterschiede zwischen den einzelnen Individuen Man muss altersbedingte Prozesse/Abbauprozesse berücksichtigen Dialektologie, Dialektsoziologie geographisch, berufsbedingt und sprachlich mobile Menschen -> tendenziell monolektale Sprechweise (kommunizieren stärker in einer Varietät) Sprachbiografien/Kommunikationsbiografien - sehr unterschiedlich Temporäre Soziolekte Sprache, die Menschen zu einer bestimmten Zeit gebrauchen Bsp. Soldatensprache, Sportvereine, Hobbygesellschaften Habituelle Soziolekte Bewusstsein, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern herrschen Frauensprache - Männersprache Sex(o)lekte, Genderlekte (soziale Rolle) Otto Jespersen 20er Jahre (20. Jh.) Unterschiede/Divergenzen in Wortschatz, Stil, Syntax, in der sich sprachlich auswirkender Gedankenführung Frauen: feinere, verhüllte Ausdrücke; schrecken vor groben Ausdrücken zurück Wortschatz geringer als der von Männern 25 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Wortgebrauch von Männern mehr an Öffentlichkeit orientiert (Hypotaxe), Wortgebrauch von Frauen mehr an Familie (Parataxe) Frauen lassen laut Jespersen Sätze unvollendet und denken nicht zu Ende konservativere Sprache Voreingenommenheit von Jespersen führte erst ab den 70er Jahren zu heftigen Reaktionen (Sexismus usw.) deskriptiv: wertfrei beschreiben; sprachkritisch orientiert -> sprachkritischer Zweig präsenter Sondersprachen Varietäten von Außenseitergruppen, z.B. Gaunersprache (grenzen sich ab) Bsp. Jiddisch: Europäische Juden, Gemenge aus deutschem Grundwortschatz, viele hebräische Wörter, viele Dialektismen je nach Region, heutzutage kaum noch vorhanden Drei Themenblöcke: Gesprächslinguistik, Konversationsmaximen, Sprechakttheorie Gespräch Gesprochene sprachliche Interaktionsform, an der mindestens zwei Partner beteiligt sind zeitlich und räumlich unmittelbarer Kontakt (heute Ausnahme: Telefongespräch) Einmal Sprecher, einmal Hörer -> Wechselrede Gesprächsthema vorhanden (mehrere können aufeinandertreffen) Sprecherwechsel Fremdwahl: jemandem das Wort erteilen Selbstwahl: Rederecht selbst nehmen Zeitpunkte (Sprecherwechsel) a) Sprecherwechsel ohne Pause (oder kurz) zwischen den turns turn: einzelner Redebeitrag ("ja" ist kein turn, sondern Feedback) b) Sprecherwechsel mit Überlappung c) Unterbrechung Unterschiede soziale Rollen/Hierarchien: z.B. Professor darf unterbrechen Unterbrechung kann unangenehm sein oder toleriert werden d) Sprecherwechsel mit längerer Pause verschiedene Faktoren unüblich lang: Unbehagen? 26 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Rolle des Sprechers Rederecht wie lange Signale, dass man das Rederecht behalten will: Intonationsmuster, Blickkontakt usw. Rolle des Hörers es werden bestimmte Signale erwartet o aufmerksamkeitsbezeugende Signale: bestätigend, eigene Aufmerksamkeit demonstrieren o kommentierende Signale (auch nonverbal: Nicken, Lächeln, Applaus usw.) Phasen des Gesprächs Immer drei Phasen: Eröffnungsphase: nonverbale/verbale Vorbereitung - Umfang unterschiedlich Kernphase o Thema ist festgelegt, z.B. Sitzung einer Kommission (ritualisierte Handlungen bei z.B. Geschäftsgespräch) o Thema ergibt sich noch Beendigungsphase o verbale Signale o nonverbale Signale -> obligatorisch: Grußfloskeln Konversationsmaximen -> Maximen, die die Kommunikation steuern Sg. die Maxime, Pl. die Maximen Paul Grice Kooperationsprinzip (allgemeines Prinzip) Quantität Qualität Relation Modalität 27 VO Schnittstellen SS 16, Franz Patocka Bemerkungen zur Sprechakttheorie Sprechen als Tätigkeit/Handeln Urvater: John Austin, Searle verschiedene Teilhandlungen (Austin): o lokutiv o illokutiv o perlokutiv Searle unterteilt noch in Äußerungsakt und Propositionaler Akt o Propositionaler Akt: Bsp. Rauchen ist ungesund. Peter raucht nicht mehr. (Rauchen = Proposition, gemeinsamer Kern/neutraler gemeinsamer Nenner) 28