Dialekt in der Werbung: jo deaf denn des sei? Dialektexpertin Eveline Wandl-Vogt im Interview über die neue kabelplus-Kampagne, in der Menschen so zu Wort kommen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: In den Dialekten ihrer niederösterreichischen oder burgenländischen Heimatorte lassen sie ihren Emotionen freien Lauf. In der Kampagne wird geschimpft und gejubelt: Verwendet man in emotionalen Situationen wie diesen besonders gerne Dialekt? Emotionale Situationen gehören zum privaten Bereich. Beim Jubeln und Schimpfen kommt hinzu, dass man entweder fixe Fügungen verwendet – und diese dann häufig (ältere) Dialektwörter enthalten – oder dass sich hier auch kreative, spontane Erfindungen und Spieltrieb bemerkbar machen; beides fördernde Elemente für Dialektgebrauch. Manche Überschriften klingen grammatikalisch falsch: Folgen Dialekte eigenen Regeln? Dialekte sind eine eigene, großteils mündliche „Sprache“. Sie sind ständig in Veränderung. Ein gemeinsames „Regelverständnis“ gibt es dennoch. Etwas, was im Standarddeutschen heute als grammatikalisch falsch angesehen wird, kann in Dialekten korrekt sein. Ein Beispiel dafür ist der Wechsel zwischen drittem und viertem Fall in der Überschrift „Rearn kint i bei den blunznbledn Feansegn!“ Dieser Wechsel gehört in Niederösterreich und dem Burgenland zum alltäglichen Sprachgebrauch und wird innerhalb der „Sprachgemeinschaft“ nicht als fehlerhaft wahrgenommen; im Gegenteil: Er ist Teil der (sprachlichen) Wiedererkennung. Welche Rolle spielen Dialekte heute? Dialekte bestimmen in Österreich auch heute noch weitgehend den alltäglichen Sprachgebrauch, auch wenn von einer stärkeren Vermischung und Veränderung der Dialekte auszugehen ist. Für mich als Tirolerin in Wien ist mein Dialekt die „Sprache“, die stark mit meiner persönlichen Identität und mit etwas wie „Heimat“ verbunden ist. Wie erleben Sie Dialekt in der Werbung? Dialekt wird in der Werbung immer mehr zu einem Fixbestandteil. Die Einstellung gegenüber dem Dialekt ist positiver und es wird mehr mit dieser Sprachform gespielt. Dass die Werbung in einer Zeit der möglichst kundenspezifisch gestalteten Kommunikation das Mittel Dialekt für sich entdeckt, ist naheliegend. Es zeigt, dass die sprachliche Identität der Kundin / des Kunden als wichtiges Merkmal seiner Wahrnehmung erkannt wird. Ich gehe davon aus, dass Dialekt mittelfristig in wesentlich mehr Bereichen Einsatz finden wird. Bild: Beispiel für die Verwendung des niederösterreichischen Dialekts in der kabelplus Werbung. Worin unterscheiden sich die Dialekte aus Niederösterreich und dem Burgenland? Der Großteil Niederösterreichs gehört zum sprachlichen Neuerungsgebiet Österreichs, das sich zwischen der Achse Wien–München befindet und den mittelbairischen Dialektraum bildet. Es stellt den wohl sprachlich modernsten Dialektraum Österreichs dar. Ein kleiner Teil des (nördlichen) Burgenlands gehört ebenfalls zu diesem Dialektraum. Innerhalb Niederösterreichs kann man vor allem zwischen den moderneren, änderungsfreudigeren Mundarten entlang der Donau und in den großen Ebenen (Tullnerfeld, Marchfeld, Wiener Becken) und den altertümlicheren Mundarten in den weiter von Wien entfernten Gebieten unterscheiden, wobei hier moderner und altertümlicher nicht als wertend zu verstehen sind. Der Großteil des Burgenlands gehört zum mittelbairischsüdbairischen Übergangsgebiet. Im Burgenland, das jahrhundertelang unter ungarischer Verwaltung stand, hat sich aufgrund der jungen Zugehörigkeit zu Österreich ein altertümlicherer Charakter bewahrt als in Niederösterreich, der sich u.a. auch darin ausdrückt, dass sich auch einzelne Gemeinden eine sehr eigenständige Ausdrucksweise bewahrt haben. Das betrifft vor allem die Aussprache, seltener die Verwendung und Bedeutung einzelner Wörter. Eveline Wandl-Vogt, geboren in Ischgl (Tirol), ist u.a. Mitarbeiterin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Mitarbeiterin des Forschungsbereichs Dialekt- und Namenlexika, deren Mitarbeiter/innen sich der Dokumentation der Österreichischen Dialekte im Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ) widmen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind elektronische Lexikographie, Dialekt(ologie) im web 2.0, Archivierung, Strukturierung, Standardisierung, Lokalisierung von Daten, Forschungsinfrastrukturen & Texttechnologien.