Satire zum Eunuchus

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Die Uraufführung des „Eunuchus“
Eine Satire zur Komödie des Terenz
− von Sebastian Schuller (K 12) –
Rom, der Tag der ludi Megalenses, der Tag der Erdgöttin Kybele, in jenem sonnigen April
des Jahres 592 ab urbe condita.
Irgendwo inmitten der Bretterbuden, Paläste, Häuser der Stadt schwillt der Lärm an.
„Ausverkauft!“
„Für den ‚Eunuchus‘ Karten zu bekommen, ich sag’s dir: ein Vermögen auf dem
Schwarzmarkt!“
„Der macht ganz schön Furore, der Terentius Afer.“
„Sag mal, stimmt es, dass er ursprünglich aus Afrika stammt?“
„Ja, der Senator Terentius Lucanus hat ihn als Sklaven gekauft, ihm dann die Ausbildung und
Freiheit geschenkt. Aus Dank hat er den Nachnamen seines Wohltäters angenommen. Aber
das ist doch alles stadtbekannt!“
Das fröhliche Geplapper der bunten Menge von Theaterbesuchern dröhnt durch die engen
Gassen, vermischt sich mit dem Geschrei der fliegenden Händler, die ihre Waren – geröstete
Pinienkerne, in Honig eingelegte Würstchen und Schafskäse – anpreisen, sowie mit dem
Summen und Flirren der Legionen von Stechmücken und Fliegen.
Man sieht Plebejer in vom Straßenstaub braun gefärbten Tuniken. Senatoren, umgeben vom
Pulk ihrer Klienten, drängen sich wichtigtuerisch durch die Menge, stets darauf bedacht, ihre
blütenweißen Togen mit den purpurnen Streifen nicht zu beschmutzen. Irgendwo weiter vorne
will jemand die Liktoren, die Leibwächter der Konsuln, gesehen haben, die sich mit ihren
Rutenbündeln den Weg freikämpfen.
Schwerer Duft von Wein wabert durch die Luft, vermengt sich mit dem scharfen, beißenden
Gestank nach Schweiß, Erbrochenem, Fäkalien, bildet den unverwechselbaren Duftcocktail
der Stadt am Tiber. Feiertagsstimmung.
Irgendwo auf den hinteren Bankreihen kämpft ein munteres Völkchen um die besten Plätze.
„Hermotus, nu’ komm doch schon!“
„Bei uns in Athen, da haben wir Platzkarten, aber davon habt ihr hier in Rom offenbar noch
nichts gehört, oder? Und, Spurius, es ist übrigens nicht sehr nett, anderen Leuten eins
überzuziehen, bloß weil sie einen besseren Sitzplatz ergattert haben!“
„Beim Herkules!“
„Herakles!“
„Hä?“
„Herakles, in Wirklichkeit heißt der Gute Herakles, aber ihr römischen Barbaren…“
„Schon gut, meinetwegen auch bei dem! Hermotus, bloß weil ihr Athener einen Kult um so
ein paar bereits seit Jahrhunderten tote Dichter macht, heißt das noch lange nicht, dass ihr das
kulturelle Nonplusultra seid! Auch andere können was, schau’s dir doch an: Da, da vorne auf
der Bühne!“
Der dunkelhaarige Caius blickt auf: „Der Punkt ist doch der, dass unser Freund Hermotus hier
schon recht hat, Spurius, wenn er sagt, dass wir nur schlechte Kopisten der Griechen sind –
auch unser lieber Terenz. Erinnerst du dich? Vor fünf Jahren sein erstes Werk, die ‚Andria‘,
war beinahe gänzlich von dem Griechen Menander kopiert und…“
„DA!“ Hermotus schreit so laut auf, dass sogar die Schauspieler vorne auf der Bühne
zusammenzucken. „ Da, jetzt hat er’s selber zugegeben euer Terenz, in seinem Prolog, seinem
Vorwort zur Komödie, habt ihr’s gehört? Nichts wird gesagt, was nicht schon vorher gesagt
wurde… Das ist doch… Dieser Plagiator… Also, wenn ich dürfte, dann…“
„He, ihr Jüngelchen, sagt mal: Wisst ihr, wann der Boxkampf beginnt?“ Eine massige,
schwammige Gestalt bewegt sich die Sitzreihen entlang auf die Plätze des Hellenen und
seiner Freunde zu, wo sie, schwer atmend, eine Pause einlegt: Luscinus, ein stadtbekannter
Tabernenwirt, bei dem man offiziell Wein bekommt, inoffiziell und gegen Aufpreis auch die
Bedienung dazu.
„Was’n für’n Boxkampf?“
„Na Aristeion gegen Ruscus!“
„Der findet doch erst nächste Woche statt.“
Der fette Mann neben den drei kunstbeflissenen „Jüngelchen“ erstarrt, lässt sich, bleich und
entsetzt, auf die Sitzbank fallen. Hermotus gelingt es nicht mehr, rechtzeitig auszuweichen.
„B…b…beim Janus, diese vermaledeiten…! Und da glaubt man, man könne Hehlern auf dem
Schwarzmarkt vertrauen!“ Der Dicke wischt sich mit seiner vor Ringen glitzernden Hand den
Schweiß von der glänzenden Stirn. „Und was is’ das da vorne? Theater?! Ach nee…! Ich
meine, ich bin natürlich ein Kulturmensch. Ich war mal in ’nem Plautus-Stück. Das war toll!
Richtig schön derbe, witzig, zum Schießen komisch! Aber das da vorne!? Sagt mal, was is’
das denn bitte?“
„Das, mein Herr, ist Terenz, Publius Terentius Afer: ‚Der Eunuch‘.“
Die Augen von Luscinus weiten sich unnatürlich.
„Ein geistreiches Stück in hervorragendem Latein, von einem vorbildlichen Dichter mit einem
subtilen Humor, der nicht die einfachen Bedürfnisse des Pöbels befriedigt, sondern…“
„Nicht? Keine Schenkelklopfer? Oh, wie schade! Na, Bacchus sei Dank: Ich hab ja was zum
Schnabulieren dabei. Mag jemand Oliven, Jungs?“
Zum Entsetzen der „Jungs“ packt Luscinus, dabei fröhlich ein zotiges Lied schmetternd, einen
Schlauch Wein, Schälchen mit Ziegenkäse, Pinienkernen, schwarzen Oliven, grünen Oliven,
eingelegten Oliven, Schafskäse, Ziegenkäse, Würstchen, nochmal Pinienkernen, gerösteten
Haselmäusen und ein paar anderen Kleinigkeiten aus seiner Toga und verteilt sie vor sich auf
dem Boden. Wie er diesen ganzen Lebensmittelladen quer durch Rom gebracht hat, bleibt ein
Rätsel.
Unterdessen ist Hermotus auf seinem unbequemen Sitz zusammengebrochen. Unkultiviertheit
sowie Gewicht des inzwischen schmatzenden Luscinus sind einfach zu viel für ihn.
Inzwischen beginnen auch anderswo Gespräche, immerhin hat man nun schon minutenlang
stillgehalten.
„Paullilinus, Schätzchen, jetzt sag schon: Worum geht’s denn da heute?“
„Du sollst mich doch nicht in aller Öffentlichkeit…“
Eine ältere römische Matrone fährt einem Endzwanziger sanft über dessen puterrot gefärbte
Wange: „Aber Paullilinus, du bist und bleibst doch Mamis kleiner…“
„Mama!“
„Schon gut! Jetzt sag doch endlich, worum es geht!“
„Also, Mama, hör zu: Da ist Thasso, ein Soldat…“
„Thraso, der heißt Thraso!“, erklingt es von irgendwoher.
„… und der jedenfalls liebt Thais, eine Prostituierte…“
Hermotus will gerade erklären, dass man nicht Prostituierte, sondern Hetäre sagen müsse, da
das Stück ja in Attika, sprich Hellas spiele, wird aber von einer nicht ganz jugendfreien
Anekdote übertönt, die Luscinus lautstark zum Besten gibt.
„… und auf alle Fälle schenkt dieser Soldat ihr eine Sklavin, die aber, was niemand weiß, in
Wahrheit ihre Adoptivschwester ist: Pamphila. Ja, und Phaedria, der andere Liebhaber dieser
Thais und somit Konkurrent des Thraso, der will ihr seinerseits einen Eunuchen schenken:
Dorus. Aber der Bruder von Phaedria, nämlich Chaerea…“
„Und warum machen die auf der Bühne jetzt so lächerliche Verrenkungen?“
Hermotus wittert erneut die Chance, eine Oase des Hellenismus zu schaffen: „ Diese
Verrenkungen, meine Dame, sind die Folge der grauenhaften Regiearbeit von Ambivius
Turpio, der…“
„Von wem?“
„Ambivius Turpio, das ist der Schauspieler, der zugleich Regisseur der meisten Komödien
von Terenz ist, allerdings…“
Jedoch in genau diesem Moment wendet sich die Matrone schon wieder den Erklärungen
ihres Sohnes zu.
„ Also, wo war’n wir? Genau: Thraso schenkt Thais eine Sklavin namens Pamphila. Und in
die verliebt sich jetzt Chaerea, der Bruder des Phaedria. Um sich Pamphila nähern zu können,
lässt er sich nun in den Klamotten des Eunuchen ins Haus der Thais bringen.“
„Wieso lässt er sich zum Eunuchen machen, wenn…“
„Er tut doch nur so! Soll ich jetzt weitererzählen oder nicht? Dann aber bitte ohne
Unterbrechung! Also: Schließlich kann sich Chaerea nicht zurückhalten und vergewaltigt
Pamphila, rennt dann weg und… Ja, Mama, bei mir brauchst dich nicht zu beschweren!
Terenz schreibt so was, nicht ich! Thais ist jedenfalls todunglücklich, weil sie wollte ja
eigentlich ihre Adoptivschwester…“
„Welche Adoptivschwester?“
„Na Pamphila, die Sklavin! Heiliger Apoll, ich erzähl’ doch nicht alles dreimal! Jedenfalls
will Thais den Kontakt zu Pamphilas wirklicher Familie aufbauen, besonders zu Pamphilas
Bruder Chremes. Aber jetzt, nach alledem, was da vorgefallen ist… Aber das Stück steuert
dann doch noch auf ein Happyend zu, aber das verrate ich jetzt nicht!“
Paullilinus bricht erschöpft zusammen.
„Interessant, sehr interessant!“ Luscinus zu verstehen, ist nur eingeschränkt möglich, was an
den mindestens vier Oliven, die sich in seinem Mund befinden, liegt. „Und wo liegt nun der
Witz? Das ist doch eine Komödie, oder etwa nicht?“
Das Stichwort für Hermotus, der (wieder einmal) in seinem Element ist: „Nun, mein Herr,
Sie müssen wissen: Terenz’ Schaffen ist fest verwachsen mit dem Ideal eines neuen, vom
humanum bestimmten Menschentums. Um diese Idee geht es, wenn etwa ausgerechnet Thais,
die Hetäre, sich selbstlos um das Schicksal dieses Mädchens Pamphila kümmert. Den
Kontrapunkt dazu bildet der General Thraso: Er, der Aufschneider und Säbelrassler, wird am
Ende als Einziger vom Glück ausgeschlossen, obwohl…“
Doch Luscinus hat sich angesichts dieses hochgestochenen Wortschwalls längst hinter seinem
mitgebrachten Kissen verschanzt, in der Hoffnung, nicht weggeschwemmt zu werden, denn
die Matrone ist den Tränen nahe.
„Hermotus, bei allen Furien des Tartarus, wir sind hier nicht an der Akademie in Athen! Da
kannst du so etwas abziehen, aber hier nicht!“
„Ich bin aber Stoiker!“
„Wirklich? Ach, du Armer! Und… Nein, lass mich ausreden! Aber schaut doch, da kommt
jemand auf die Bühne. Nein, ich glaube es nicht: Das ist Terenz, der Dichter
höchstpersönlich. Ich glaube, er bittet um mehr Ruhe im Publikum für den zweiten Akt.“
„Was, noch ein Akt?! Beim Jupiter, das kann ja noch heiter werden! Mag jetzt jemand ein
Stück Käse?“
Angelockt vom Käsegeruch schwirren Myriaden von Fliegen über den Sitzreihen. Ihr
Summen übertönt beinahe die Klänge des Schauspiels, die Gespräche, die weiterhin
aufflammen.
Unterdessen versinkt eine rotglühende Sonne in dem Meer, das seit kurzem mare nostrum
heißt, und das in wenigen Jahren den begnadeten Dichter Terenz verschlingen wird.
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