Bondeli. Freiheitsauffassungen in der klassischen deutschen Philosophie. 13. März 2014 Kant Bereiche der Vernunft: 1.Theoretische Vernunft: Bereich der Erkenntnis im strengen Sinne des Wortes. Mögliche Erkenntnis unter Bedingungen von Raum, Zeit, Kategorien des Verstandes, des Bezugs auf Erfahrung (konstitutive Erkenntnis, objektiv gültige Erkenntnis). 2.Theoretisch-spekulative Vernunft: Bereich der Erkenntnis in einem weiteren, nicht strengen Sinne. Systematisierung von Erkenntnis (regulative Erkenntnis, subjektiv oder hypothetisch gültige Erkenntnis) mithilfe transzendentaler Ideen der Vernunft. Wird in diesem Bereich Erkenntnis im Sinne von 1. behauptet, handelt es sich um Scheinerkenntnis. 3.Praktische Vernunft: technisch-praktische (Mittel-Zweck-Relation, hypothetische Imperative), moralisch-praktische (Sittengesetz, kategorischer Imperativ, moralische Urteile, moralische Gebote, Pflichten). 4. Ästhetische-teleologische Vernunft: Bereich der Geschmacksurteile (Schönes, Erhabenes), Bereich der Natur- und Menschenzwecke. Freiheit vor dem Hintergrund dieser Bereiche der Vernunft KrV Freiheit lässt sich im Bereich der theoretischen Vernunft nicht geltend machen. Auf jeden Fall lässt sich nicht behaupten, Freiheit sei im Sinne von 1. erkennbar. Für Kant ist dies gleichbedeutend mit der Auffassung, dass Freiheit jenseits der Naturnotwendigkeit (auch jenseits einer moralischen Notwendigkeit, die, wie bei Leibniz und Wolff, als Teil der Naturnotwendigkeit verstanden wird) anzusiedeln ist. Dass es Freiheit in einem anderen Bereich als 1., mit anderen Worten jenseits von Naturnotwendigkeit, geben kann, wird dabei bereits bei Überlegungen im Rahmen von 1. nicht ausgeschlossen. Dies geschieht im Zusammenhang der sowohl in einer antidogmatischen als auch in einer realistischen Variante auslegbaren Auffassung Kants von einem Ding an sich. Das Ding an sich (Ding/Dinge der Erscheinung als an sich betrachtet; Objekt an sich, Subjekt an sich in der Erkenntnisrelation) gehört zu den Bedingungen von Erkenntnis, ist selber aber nicht erkennbar, sondern nur denkbar. Genauer besehen wird man davon sprechen müssen, dass es dieses Ding (X) gibt. Dies impliziert, dass es etwas (X) gibt, was nicht zum Bereich der Erkenntnis bzw. nicht zur Welt, die unter Naturgesetzen steht, gehört. Dieses etwas (X) kann (muss nicht) als Freiheit gedeutet werden. Es lässt Platz für Freiheit. Im Bereich der theoretisch-spekulativen Vernunft (2.) lässt sich eine Freiheit, die als kosmologische oder transzendentale Freiheit zu kennzeichnen ist, als möglich und letztlich hypothetisch wirklich behaupten. Kant argumentiert für diese Ansicht in Form der Aufstellung und Auflösung einer kosmologischen Antinomie, der sog. Freiheitsantinomie (KrV A 444-452/ B 472-479; A 532-558/ B 560-586). Die Antinomie lautet kurz: These: Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige…Es gibt auch eine Kausalität durch Freiheit, Antithese: Es gibt keine Freiheit, alles geschieht nach Gesetzen der Natur. Eine Antinomie besteht hier nach Kant insofern, als es gleichwertige Gründe sowohl für die These und damit gegen die Antithese als auch für die Antithese und damit gegen die These gibt. Für die These spricht die Überlegung: Gäbe es keine Kausalität der Freiheit, hätten wir eine endlose Ursachenreihe, keinen ersten Anstoß, wir hätten somit Wirkungen, aber keine zureichende, in sich selbst bestehende Ursache [Problem dieser Erklärung: ist „zureichend“ dasselbe wie „in sich selbst“?] Für die Antithese sprechen die Überlegungen: eine erste Ursache wird in der Erfahrung nicht angetroffen, in der Erfahrung haben wir in Raum und Zeit feststellbare Ursachen, die Ergebnis anderer Ursachen sind; eine erste Ursache ist demnach bloßes Gedankending. Eine erste Ursache ist ihrer Natur nach causa sui (Ursache ihrer selbst) oder absolute Spontaneität, damit auch Wirkung ihrer selbst, sie widerspricht damit der mit dem normalen Kausalgesetz einhergehenden Vorstellung, dass eine Wirkung eine von dieser verschiedene Ursache hat. [Problem: sind „erste Ursache“ und „Ursache ihrer selbst“ dasselbe?] Der Entstehungsgrund der Antinomie ist Kant zufolge das Hinausgehen unseres Denkens über den Bereich 1., der ein Bereich endlicher Erkenntnis ist, das Bedürfnis einen unendlichen Gegenstand oder Begriff zu denken. Daraus ergibt sich eine Vermischung von Endlichkeit und Unendlichkeit. Kant hält die Freiheitsantinomie für auflösbar [somit für keine echte Antinomie?], und zwar für derart auflösbar, dass sowohl These als auch Antithese ihre Berechtigung haben (konträrer Widerspruch erweist sich als subkonträrer Widerspruch). Diese Auflösung geschieht bei Kant in Form der Statuierung einer Zwei-Welten-Lehre. Es existiert seiner Ansicht nach eine intelligible Welt, in welcher es Kausalität der Freiheit gibt, sowie eine phänomenale Welt, in welcher es keine Freiheit gibt, sondern nur Kausalität der Natur. Beide Welten bestehen zusammen [Problem der Interaktion beider Welten]). Da in Bereich 2. Vernunftideen angenommen werden können, bedeutet die Auflösung der Freiheitsantinomie und damit das Akzeptieren einer kosmologischen oder transzendentalen Freiheit neben der Naturnotwendigkeit, dass ebendiese Freiheit den Status einer Vernunftidee haben kann und damit den Status eines Begriffs, welchem im Blick auf Erfahrung subjektive oder hypothetische Gültigkeit zukommt. Freiheit lässt sich damit genauer besehen nicht nur als möglich (möglich im Sinne von denkbar oder nicht widerlegbar) behaupten, sondern auch als (in einem subjektiven oder hypothetischen Sinne) wirklich. Die kosmologische oder transzendentale Freiheit, eine Freiheit, die ihrem Wesen nach Vermögen einer ersten Ursache oder der Selbstbewegung ist, lässt sich mit anderen Worten auf der Grundlage von 2. als in einem schwachen Sinne wirklich behaupten. Einige unter den im Bereich der theoretische-spekulativen Vernunft angesiedelten Vernunftideen haben ihren eigentlichen Ort und Begründungsursprung im Bereich der moralisch-praktischen Vernunft (3.). Sie sind als transzendentale Ideen gleichzeitig praktische Ideen und werden als praktische Ideen (sog. Postulate der praktischen Vernunft) aus dem Sittengesetz begründet. Zu den Vernunftideen, die zugleich praktischen Ideen sind und aus dem Sittengesetz begründet werden, gehört neben den Ideen des Daseins Gottes und der Unsterblichkeit der Seele die Idee der Freiheit. Deshalb gibt es hier im gesamten Begründungsgang eine Wechselseitigkeit Würde die „Aufhebung der transzendentalen Freiheit alle praktische Freiheit vertilgen“ (A 534 / B 562), so die transzendentale Freiheit ohne die praktische nicht über die nötige Festigkeit und sichere Verankerung verfügen. Die praktische Freiheit setzt auch ihrem Wesen nach die transzendentale Freiheit voraus, ist sie doch eine Freiheit in der Bedeutung einer ersten Ursache oder Ursache ihrer selbst. Doch geht es bei ihr nicht darum eine Reihe von Ursache und Wirkung in Gang zu setzen oder in eine solche Reihe einzugreifen, sondern um ein Vermögen der Selbstbestimmung angesichts von sinnlichen Antrieben und Forderungen durch das Sittengesetz. In diesem Sinne lässt sich die „Freiheit im praktischen Verstande“ definieren als die „Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit.“ (A 534 / B 562) Mit dieser Unabhängigkeit der Willkür (nach Kant „liberum arbitrium“) ist die praktische Freiheit in negativer Weise bezeichnet. Positiv betrachtet ist diese Willkür das Vermögen, sich selbst zur Befolgung des Sittengesetzes zu bestimmen. Bondeli. Freiheitsauffassungen in der klassischen deutschen Philosophie. 20. März 2014 GMS, KpV Die Freiheit, die uns als handelnde und wollende Wesen primär zu interessieren hat, ist im Bereich 3. zu suchen; es ist die Freiheit im Bereich der moralisch-praktischen Vernunft. Diese Freiheit ist eine Freiheit, die in einem Zusammenhang mit dem Sittengesetz steht, das, soweit es als Gebot oder Imperativ verstanden wird, als kategorischer – und nicht bloß hypothetischer – Imperativ, als Imperativ, der zu etwas auffordert, was Zweck in sich ist, behauptet und seit GMS in mehreren Varianten als gesetzesartige Handlungsanweisung (Verallgemeinerungstest bei Maximen des Wollens/Handelns, Zweckformel usw. – Wähle jene Maxime…, Handle so…) ausformuliert wird. Eine Reihe von Überlegungen zur Freiheitsthematik aus GMS und KpV kreist um Argumente oder Beweise für das Dasein oder die Realität der Freiheit. Es wird somit am Resultat aus KrV über die Freiheit als transzendentale Idee angeknüpft und nach einer Möglichkeit gesucht, die dortigen Resultate (transzendentale Freiheit, das Vermögen einer ersten Ursache, ist eine hypothetisch gültige Vernunftidee; diese Vernunftidee lässt sich auch als Postulat der praktischen Vernunft, als Folgerung aus dem Sittengesetz verstehen und begründen; die praktische Freiheit ist das Vermögen, sich unabhängig von sinnlichen Antrieben selber zu bestimmen) einsichtiger zu machen, zu verbessern oder auch zu ergänzen. Alles in allem wird dabei Freiheit in beweistheoretischer Hinsicht stärker als zuvor als etwas betrachtet, was in einem basalen unmittelbaren Verhältnis mit dem Sittengesetz steht (Freiheit wird somit nicht nur wie bei der Postulatenlehre als eine Folgerung aus dem Sittengesetz betrachtet). Markant sind vor allem zwei Richtungen der Argumentation. Erstens sollen Sittengesetz und Freiheit als zwei Seiten ein und derselben Sache betrachtet werden. Freiheit soll verstanden werden als die ratio essendi (der Seinsgrund) des Sittengesetzes, das Sittengesetz als die ratio cognoscendi (der Erkenntnisgrund) der Freiheit (KpV A 5f.). Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Freiheit nur ausgehend vom Begriff des Sittengesetzes zum Bewusstsein gebracht oder deutlich gedacht wird. [Frage: ist die Freiheit als Seinsgrund des Sittengesetzes die als hypothetisch gültig (wirklich) ausgewiesene transzendentale Freiheit? Oder wird ein Seinsgrund stärkerer Art unterstellt?] Zweitens soll – dies wird allerdings erst in KpV, noch nicht in GMS, wo es noch eine Deduktion des Sittengesetzes gibt (GMS A 111f.), entwickelt [die Vereinbarkeit dieser Deduktion mit der Faktumslehre ist dabei nicht unmittelbar einsichtig] – davon auszugehen sein, dass es ein „Faktum“ der praktischen Vernunft gibt, in welchem das Sittengesetz wurzelt, einer anderen Formulierung zufolge: ein Faktum der praktischen Vernunft, das sich gesetzgebend ausdrückt (KpV A 55ff., A 72ff., A 80ff. ). Das Sittengesetz soll damit als etwas Faktisches (unbestreitbar Existierendes, Gegebenes) behauptet werden können (es gibt das Sittengesetz). Nur nebenbei sei erwähnt, dass mit Faktum auch auf das „Vorgegebensein“ des Sittengesetzes sowie auf die Art, wie das Sittengesetz gegeben ist, nämlich als Tätigkeit, Aufforderung, angespielt wird [Man könnte sich überlegen, ob nicht zuletzt auch das Faktum „es gibt das Sittengesetz“ aus dem Faktum „das Sittengesetz wird durch Tätigkeit, den Akt des Aufforderns, real gemacht, bewahrheitet“ erschlossen werden soll]. Wesentlich für Kants Versuch, die Realität der Freiheit zu beweisen, ist bei alldem die Schlussfolgerung: Wenn das Sittengesetz etwas Faktisches (es gibt) ist und wenn die Freiheit unweigerlich zum Sittengesetz gehört, so ist auch die Freiheit etwas Faktisches (es gibt Freiheit). Man kann demnach davon ausgehen, dass dem Begriff der Freiheit (der als transzendentale Freiheit nur eine problematisch oder hypothetisch gültig Vernunftidee war) „hier objektive und obgleich nur praktische, dennoch unbezweifelte Realität verschafft wird.“ (KpV A 85) Auffällig wird im Weiteren an die Ausführungen in KrV A 534 / B 562 angeschlossen und die praktische Freiheit in eine negative und positive Seite unterschieden. Negative Freiheit ist das Vermögen eines wollenden Vernunftwesens, unabhängig von fremden Ursachen bestimmend zu sein, positive Freiheit ist das Vermögen dieses Vernunftwesens, „sich selbst ein Gesetz zu sein“, gemeint ist das Sittengesetz (GMS A 97f.). [Das „sein“ bei „Gesetz zu sein“ lässt vieles offen; gemeint sein kann: sich das Gesetz selbst geben, das Gesetz selbst wählen, sich dem Gesetz selbst unterwerfen; ausgeschlossen ist aber offenbar: das Gesetz selbst schöpfen, selbst Urheber des Gesetzes sein; denn das widerspräche dem als Faktum (Vorgegebensein) zu verstehenden Sittengesetz; sich selbst ein Gesetz geben bzw. selbst ein Gesetz aufstellen kann man deshalb nur unter der Bedingung bzw. nach Maßgabe des je schon bestehenden Sittengesetzes]. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass eine Wechselseitigkeit von Sittengesetz und Freiheit vorliegt, Freiheit nur im Sittengesetz deutlich Bewusstsein kommen soll, versteht sich, dass das positive Freiheitsverständnis als das eigentliche und fruchtbare angesehen werden soll: „Die angeführte Erklärung der Freiheit [jene zur Unabhängigkeit von fremden Ursachen] ist negativ, und daher, um ihr Wesen einzusehen, unfruchtbar; allein es fließt aus ihr ein positiver Begriff derselben, der desto reichhaltiger und fruchtbarer ist.“ (GMS A 97) Freiheit, wie Kant sie hier im Zusammenhang der negativen und positiven praktischen Freiheit thematisiert, ist ausdrücklich eine „Eigenschaft des Willens“ (GMS A 100), es geht somit um (oder primär um) Willensfreiheit. Handlungsfreiheit wird vorausgesetzt, wobei diese, soweit es um moralische Maßstäbe des freien Handelns geht, von der Willensfreiheit als sittlicher Freiheit abhängig ist. Das Prinzip der Willensfreiheit (auch Autonomie des Willens genannt) soll der kategorische Imperativ sein (Handle nur nach der derjenigen Maxime, die ein allgemeines Gesetz sein kann…) (GMS A 87). Insofern kann gesagt werden: „also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.“ (GMS A 99) Ist damit gemeint, freier und sittlicher Wille seien dasselbe, oder nur, der freie Wille sei nicht ohne den sittlichen Willen denkbar? Auf jeden Fall ergibt sich eine privilegierte Zuordnung von freiem Willen und sittlichem Willen. Unter einem freien Willen lässt in diesem ganzen Zusammenhang verstehen: a) der Wille als Vermögen, sich unabhängig von sinnlichen Antrieben zu bestimmen (frei ist, wer sich von Naturnotwendigkeit emanzipieren kann), b) der Wille als Vermögen, sich selbst ein Gesetz zu sein, der gesetzgebende Wille (frei ist, wer sich selbst ein Gesetz geben kann), c) der Wille als Vermögen, Maximen zu wählen, die dem Gesetz entsprechen können (frei ist, wer Maximen wählen kann), c) der Wille, der Maximen gewählt hat, welche dem Gesetz entsprechen (frei ist, wer sich für das Richtige, die gesetzeskonforme Maxime entschieden hat). Gemeint ist dabei immer ein menschlicher Wille, nicht der Wille eines höheren, göttlichen Gesetzgebers (des Gesetzgebers des Sittengesetzes). Mit der KpV tritt ferner die Reflexion darüber in den Brennpunkt, welcher Status der Freiheit in einem kommenden System der reinen Vernunft einzuräumen ist. Kann die Realität der Freiheit bewiesen werden, ist dies nach Kant ein Grund, das System der Vernunft künftig in einem fundamentalen Sinne mithilfe des Freiheitsbegriff aufzubauen: „Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systemes der reinen, selbst der spekulativen Vernunft aus ….“ (KpV A4) Zu den hauptsächlichen Bedeutungen von Autonomie, die in GMS, KpV vorkommen: -Autonomie der praktischen Vernunft. Gemeint ist: Die praktische Vernunft ist ein eigenständiger, nicht als Teil der theoretischen Vernunft zu verstehender Vernunfttypus; -Autonomie vs. Heteronomie der Bestimmungsgründe der Moral. Gemeint ist: Moral ist unabhängig von materialen Bestimmungsgründen (Glück, Idee der Vollkommenheit u.a.); in diesem Sinn kann auch die Rede von einem autonomen Geltungssinn von moralischen Urteilen sein; -Autonomie des Willens. Gemeint ist die Freiheit des Willens, deren Prinzip das Sittengesetz ist. Der autonome Wille ist – wenn man sich an der wörtlichen Bedeutung von Auto(selbst)nomie(Gesetz) orientiert – der Wille, der sich selbst das Sittengesetz gibt. KU, Rel, MdS In KU findet sich eine Modifikation der Faktumslehre. Die Idee der Freiheit wird, vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Tatsachen und Glaubenssachen als einzige Tatsache der praktischen Vernunft behauptet: „Was aber sehr merkwürdig ist, so findet sich sogar eine Vernunftidee (die an sich keiner Darstellung in der Anschauung, mithin auch keines theoretischen Beweises ihrer Möglichkeit, fähig ist) unter den Tatsachen; und das ist die Idee der Freiheit, deren Realität, als einer besondern Art von Kausalität (von welcher die Begriffe in theoretischem Betracht überschwenglich sein würde), sich durch praktische Gesetze der reinen Vernunft, und, diesen gemäß, in wirklichen Handlungen, mithin in der Erfahrung dartun läßt.“ (KU § 91) In KU und Rel wird über ein Moment des Unerforschlichseins der Freiheit gesprochen. Die reine, seelenerhebende, bloss negative Darstellung der Sittlichkeit (Darstellung des moralischen Gesetzes ohne Beimengung sinnlicher Versprechen) bringt keine Gefahr der Schwärmerei mit sich. „Denn die Unerforschlichkeit der Idee der Freiheit schneidet aller positiven Darstellung gänzlich den Weg ab“ (KU § 29, Allgemeine Anmerkung…). [Weshalb und in welchem Sinne ist die Idee der Freiheit hier unerforschlich? Es scheint, dass hier ein Kontigenzproblem angesprochen wird, das mit den erwarteten Folgen aus dem freien sittlichen Handeln zu tun hat; Postulat des höchsten Gutes, Glückseligkeit] „Wenn wir also sagen: der Mensch ist von Natur gut, oder: er ist von Natur böse, so bedeutet dieses so viel als: er enthält einen (uns unerforschlichen) ersten Grund der Annehmung guter, oder der Annehmung böser (gesetzwidriger) Maximen; und zwar allgemein als Mensch…“(Rel AA VI, 21) [Hier scheint mit der Unerforschlichkeit eine Kontingenz im Zusammenhang der Maximenwahl gemeint zu sein] In Rel wird vor dem Hintergrund der Frage nach dem Ursprung des Bösen der Freiheit der Maximenwahl und das dazu gehörende Moment der Zurechenbarkeit stärker gewichtet. Der subjektive Grund des Gebrauchs der Freiheit unter objektiven, moralischen Gesetzen wird thematisiert: „Dieser subjektive Grund [der Freiheit] muss aber immer wiederum selbst ein Aktus der Freiheit sein (denn sonst könnte der Gebrauch oder Mißbrauch der Willkür des Menschen in Ansehung des sittlichen Gesetzes ihm nicht zugerechnet werden und das Gute oder Böse in ihm nicht moralisch heißen).“ Somit kann in keinem Naturtriebe, „sondern nur in einer Regel, die die Willkür sich selbst für den Gebrauch ihrer Freiheit macht, d. i. in einer Maxime [dem Entscheid für die gesetzwidrige Maxime] der Grund des Bösen liegen.“ (Rel. AA VI, 22) In MdS kommt es – dies jedenfalls terminologischer Hinsicht – zu einem Neuansatz. Der Wille, so wird nun behauptet, ist weder frei noch unfrei, frei ist nur die menschliche Willkür. Die Unterscheidung zwischen Sittengesetz, das uns gegeben ist, und unserem freien Handeln angesichts dieses Gesetzes ist markanter als zuvor. „Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkür; der Wille, der auf nichts Anderes, als bloß auf Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlechterdings nothwendig und selbst keiner Nöthigung fähig ist. Nur die Willkür also kann frei genannt werden.“ (MdS AA VI, 226) Soll es um eine Definition der Freiheit der Willkür gehen, kann nicht eine Freiheit als Wahl für oder wider das Gesetz, sondern nur die negative Freiheit, durch keine sinnlichen Bestimmungsgründe genötigt werden, im Mittelpunkt stehen. „Die Freiheit der Willkür aber kann nicht durch das Vermögen der Wahl, für oder wider das Gesetz zu handeln, (libertas indifferentiae) definiert werden – wie es wohl einige versucht haben, – obzwar die Willkür (als Phänomen davon in der Erfahrung häufige Beispiele gibt). Denn die Freiheit (so wie sie uns durchs moralische Gesetz allererst kundbar wird) kennen wir nur als negative Eigenschaft in uns, nämlich durch keine sinnliche Bestimmungsgründe zum Handeln genöthigt zu werden. Als Noumen aber, d. i. nach dem Vermögen des Menschen bloß als Intelligenz betrachtet, wie sie in Ansehung der sinnlichen Willkür nöthigend ist, mithin ihrer positiven Beschaffenheit nach, können wir sie theoretisch gar nicht darstellen.“ „Die Freiheit in Beziehung auf die innere Gesetzgebung der Vernunft ist eigentlich allein ein Vermögen; die Möglichkeit von dieser abzuweichen ein Unvermögen.“ (MdS AA VI, 226f.) [Ist Wahl für oder gegen das Gesetz zu handeln tatsächlich libertas indifferentiae? Ist das Vermögen der Wahl für oder wider das Sittengesetz in der Tat etwas, was ausschließlich zur Erfahrung gehört? Ist das Handeln wider das Sittengesetz ausschließlich ein Unvermögen? Falls ja, wie ist dann Zurechenbarkeit möglich?] In MdS wird auch über Zusammenhänge von Recht (vernünftiges, natürliches vs. positives) und Freiheit gesprochen. Das Recht soll als äußere oder Handlungsfreiheit unter allgemeinem Gesetz verstanden werden. Die Freiheit soll das Recht schlechthin sein. Die Definition von Recht (Recht als legitimes Recht; Recht, das aus moralischem Grund – und mit der Befugnis zu zwingen, gelten soll) lautet: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ (MdS AA VI, 230) Kategorischer Imperativ gilt auch für das Recht. Die Freiheit ist ein angeborenes Recht. Es gibt nur ein einziges angeborenes Recht: die Freiheit „Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Wilkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.“ (MdS AA VI, 237)