Medizinische Hochschule Hannover Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin Werturteile in Evidenz-basierter Medizin und Health Technology Assessment Prof. Dr. med. Dr. phil. Daniel Strech Kooperation: - Jon Tilburt, MD, MPH (Mayo Clinic, Rochester, USA) Hintergrund: Angaben zu Nutzen- und Schadenspotentialen medizinischer Maßnahmen spielen eine zentrale Rolle bei klinischen und ethischen Kontroversen. Verzerrte und damit in der Entscheidungsfindung fehlleitende Informationen zum Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen widersprechen den ethischen Geboten einer fürsorglichen und nicht schadenden klinischen Versorgung. Eine adäquate Patientenaufklärung und das informierte Einverständnis (‚informed consent’) sind nur dann angemessen umzusetzen, wenn valide Informationen zu Nutzen und Schaden vorliegen. Und schlussendlich bedarf es qualitativ wertvoller Informationen zu Nutzen, Schaden und Kosten von medizinischen Maßnahmen, um eine gerechte Gesundheitsversorgung unter knappen Ressourcen zu ermöglichen. Es ist ein erklärtes Ziel der Evidenz-basierten Medizin (EbM), die Analysen und Evaluationen zum Nutzen und Schaden von medizinischen Interventionen durch systematische Übersichtsarbeiten, Metaanalysen, Health Technology Assessment (HTA) oder so genannte S3-Leitlinien zu verbessern und entsprechend glaubhafter (valider) zu machen. Hierdurch ergibt sich eine zentrale Verbindung zwischen EbM und Ethik. In der Praxis sieht sich die Genese Evidenz-basierter Informationen jedoch mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Der Goldstandard einer validen klinischen Studie, der RCT (randomized-controlled trial) ist aus methodischen oder auch aus ethischen Gründen teilweise nicht immer durchführbar. Oder RCTs sind zwar machbar, werden aber aufgrund von mangelnden Kenntnissen, Fremdinteressen oder fehlender Studienfinanzierung nicht bzw. nur methodisch fehlerhaft durchgeführt. Hierdurch entstehen verschiedene Problembereiche mit schwierigen Abwägungsprozessen, wenn es zur studienübergreifenden Nutzenevaluation kommt, sprich wenn Übersichtsarbeiten, Leitlinien oder HTAs verfasst werden. Solche Abwägungen sind beispielsweise: „Wann sollen Studien aufgrund von methodischen Schwächen aus der Gesamtbewertung ausgeschlossen werden und wann nicht?“ oder „Was sind patientenrelevante Studienendpunkte und was nicht?“. In diesen Abwägungsprozessen spielen meist implizit, verdeckt auch Werturteile eine zentrale Rolle. Forschungsziele: Das Phänomen von Werturteilen in der systematisch angelegten, medizinischen Nutzenevaluation wurde in einer kritischen Analyse aufgearbeitet. Hierbei konnten verschiedene Typen von Werturteilen unterschieden werden. Zudem wurde ein Rahmengerüst (framework) entwickelt, welches bei der systematischen Identifikation entsprechender Werturteilstypen unterstützt. Es besteht weiterer Forschungsbedarf, um die Werturteile in HTA weiter zu spezifizieren und zu katalogisieren. Hierauf aufbauend soll das Rahmengerüstes zur Förderung von Transparenz im Umgang mit Werturteilen im HTA implementiert werden. Publikationen Strech D (2010) Werturteile in der Evidenzanalyse. Meist intransparent, oft konfliktbehaftet, nie vermeidbar, in: Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ)], 104, 168– 176 Strech D, Tilburt J (2008): Value judgments in the analysis and synthesis of evidence, in: Journal of Clinical Epidemiology, 61 (6), 521-4 Strech D, Soltmann B, Weikert B, Bauer M, Pfennig A [forthcoming in Journal of Clinical Psychiatry] Quality of reporting in randomised controlled trials on pharmacological treatment of bipolar disorders. A systematic review Strech D (2010) Zur Ethik einer restriktiven Regulierung der Studienregistrierung, in: Ethik in der Medizin, online first Strech D (2008): Evidenz und Ethik. Kritische Analysen zur Evidenz-basierten Medizin und empirischen Ethik, Dissertation (Philosophie), LIT-Verlag, Münster Medizinische Hochschule Hannover Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin Strech D (2007): Vier Ebenen von Werturteilen in der medizinischen Nutzenevaluation. Eine Systematik zur impliziten Normativität in der Evidenz-basierten Medizin, in: Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ), 101, 473-480 Strech D (2005): Der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten und das Vertrauen in die Medizin. Ethische und wissenschaftstheoretische Aspekte einer Evidenz-basierten Medizin am Beispiel der Krebsfrüherkennung, in: Ethik in der Medizin, 17, 103-113 Strech D [im Druck]: Zur Rolle von Werturteilen in der Evidenz-basierten Medizin, in Brand C, Kovacs L (Hrsg.) Forschungspraxis Bioethik, Alber Verlag Strech D (2008): Verdeckter Pluralismus der Werturteile in der medizinischen Nutzenbewertung, in: Michl S, Potthast T, Wiesing U (Hrsg.), Pluralität in der Medizin. Werte - Methoden - Theorien, Verlag Karl Alber, Freiburg i. Br., 421-32