Volkssouveränität und parlamentarisches System

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Politik
Denis Köklü
Volkssouveränität und parlamentarisches
System - Ideologiegeschichtliche Wurzeln
einer aktuellen Debatte
Essay
Bergische Universität Wuppertal
Fachbereich A / Politikwissenschaft
Seminar
Klassiker der politischen Theorie: Wandel der Demokratie
Wintersemester 2010/11
Essay
Thema: „Volkssouveränität und parlamentarisches System Ideologiegeschichtliche Wurzeln einer aktuellen Debatte“
vorgelegt von:
Denis Köklü
(Geschichte/ Philosophie/ Sozialwissenschaften für das Lehramt
Gymnasium und Gesamtschule)
Wuppertal, im Februar 2011
„Volkssouveränität und parlamentarisches System Ideologiegeschichtliche Wurzeln einer aktuellen Debatte“
I. Inhaltsbeschreibung und kritische Auseinandersetzung
Der Sozialwissenschaftler Tilman Evers gibt sich in dem von ihm verfassten Text
„Volkssouveränität und parlamentarisches System […]“ als Verfechter Verfahren direkter
Demokratie zu erkennen.
Zu Beginn des Textes, in der Einleitung, weist der Autor auf die Bedenken der Gegner
hinsichtlich direktdemokratischer Verfahren - in der Mehrheit Konservative - hin, auf deren
Widerlegung - dies natürlich im Hauptteil - der Leser zu hoffen beginnt. Die Rede ist von
Demagogie und Irrationalität, für die Verfahren direkter Demokratie laut Gegenpartei anfällig
seien, während ihrer Auffassung nach allein das parlamentarische System legitimiert und
imstande sei, das Gemeinwohl zu artikulieren. Was Evers im Hauptteil seines Textes dem zu
entgegnen hat und ob er zu überzeugen vermag, wird der Essay im Folgenden zeigen.
Beginnend mit einem historischen Rückblick auf die Genese des Begriffs der
Volkssouveränität, kommt der Autor zum Schluss, dass diese in der Geschichte einem
gedanklichen Konstrukt gleicht, Volkssouveränität lediglich in vermittelter Form bestehe.
Dennoch stehe das Verfahren der Volksabstimmung einer Partizipation des Volkes am
politischen Prozess näher als repräsentative Verfahren, während das Ideal uneingeschränkter
Volkssouveränität obsolet erscheint. So geht es dem Autor um eine direktdemokratische
Ergänzung des parlamentarischen Systems.
Den Disput für oder wider direktdemokratische Elemente im Parlamentarismus sieht Evers als
Analogie zum inneren Widerstreit des Liberalismus zwischen politischem und ökonomischem
Freiheitsverständnis, wobei letzterer die Überhand habe. Doch was will der Autor damit zum
Ausdruck bringen? Während der Liberalismus in seiner frühen Ausprägung sich gegen die
Demokratie noch abgegrenzt hatte, gilt seit Tocquevilles berühmtem Reisebericht das
demokratische Denken als Bestandteil liberaler Tradition. Die Folge dieses liberaldemokratischen Konglomerats war indes das Hineinziehen des demokratischen Elements in
besagten innerliberalen Widerstreit. Und so lasse sich nach Evers auch in der
Demokratietheorie ein Konflikt zwischen politischer und ökonomischer Tradition erkennen,
bei der die besitzbürgerliche die Überhand habe. Wirft man nun den Blick auf die realen
Demokratien, also die Praxis, wird eine Analogie zur Theorie evident. So bestehe dort zwar
neben der wirtschaftsliberalen Komponente noch die zivilgesellschaftliche, die mittels
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Kommunikation und Interaktion der Bürger politisches Handeln derselben verwirkliche, diese
sei aber - vor allem in den westlichen Demokratien - der wirtschaftsliberalen untergeordnet.
Letztere sei durch die sogenannte Freiheit des Einzelnen charakterisiert. Mit besagter Freiheit
ist das Heraushalten des Staates aus der wirtschaftlichen Geschäftigkeit der Bürger gemeint,
während dieser der alleinige Ort des Politischen ist. Wir haben es in den westlichen
Demokratien, so die Konklusion Evers, also mit einem Dualismus zwischen politisch passiven
und unbeteiligten Wirtschaftsbürgern, die vom (Nachtwächter-)Staat unbehelligt wirtschaften
können, und den Parteien, in denen sich das Politische im Staat manifestiert, zu tun.
Wie es schon der Ökonom Schumpeter festgestellt hatte, stellt somit der Wahlakt für die
Bürger die einzige Möglichkeit politischer Partizipation dar. So verwundere es laut Tilman
Evers auch nicht, dass Parteienvertreter in dem in Deutschland vorherrschendem liberalen
Politikmodell direktdemokratische Mitsprache ablehnen, die Fundamente an demokratischer
Kultur und lebendiger Beteiligung durch das Politikmonopol von Staat und Parteien
ausgehöhlt seien und das parlamentarische System somit untergraben sei. Doch was ist die
Alternative? Evers fordert, wie bereits zu Beginn des Essays angeführt, direktdemokratische
Beteiligungsformen auf Bundesebene. Die Forderung danach sei dem Autor zufolge
hierzulande durch die Bürgerbewegungen in der ehemaligen DDR gestärkt worden. Der
Zusammenhang scheint indes weit hergegriffen, waren doch die Montagsdemonstrationen ein
Aufbegehren gegen ein autokratisches System - etwa zu vergleichen mit den Ereignissen in
Tunesien und Ägypten dieser Tage.
In den weiteren Anführungen versucht der Autor seine Forderung nach mehr
direktdemokratischen Elementen durch ein Beispiel zu bekräftigen, was ihm indes misslingt.
Gemeint ist das Exempel der Arbeit der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahre 1998
hinsichtlich der Durchsetzung der doppelten Staatsbürgerschaft, die in der Bevölkerung nicht
mehrheitsfähig war. Evers These respektive Lösung zu diesem Dilemma: „Wer
direktdemokratische Ergänzungen zur parlamentarischen Repräsentation vorschlägt, […] fügt
ihm neue Stützen ein.“5 Dieser Ansatz des Autors ist indessen mehr als fragwürdig. Denn
gerade die verneinende Haltung der Majorität in Hinblick auf die doppelte Staatsbürgerschaft
dient als Exempel dafür, dass direktdemokratische Elemente nicht zwingend zu richtigen
Ergebnissen führen müssen. In diesem Fall ist man sogar geneigt, zu sagen, dass der Zweck
das Mittel heiligt: den parlamentarischen Entscheid. Die politische Bildung der Bevölkerung
als Voraussetzung für die Installierung direktdemokratischer Elemente wäre der richtige
Ansatz gewesen, worauf Evers indes nicht eingeht. Unbildung hingegen bereitet Demagogen
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Tilman Evers, Volkssouveränität und parlamentarisches System - Ideologiegeschichtliche Wurzeln einer
aktuellen Debatte in Mehr Demokratie wagen, hrsg. von Heußner und Jung, S. 35.
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