SWR2 OPER

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SWR2 OPER
Moderationsmanuskript von Dorothea Enderle
Giacomo Puccini:
„Madama Butterfly“
Sonntag, 12.03.2017, 20.03 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
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Herzlich willkommen zum Opernabend in SWR2, zu dem Sie Dorothea Enderle begrüßt.
Der heutige Opernabend ist dem wichtigsten Opernereignis des Jahres 2016 gewidmet – so
jedenfalls nannte Alexander Pereira, Intendant der Mailänder Scala, die offizielle
Saisoneröffnung seines Opernhauses, die sogenannte „Inauguratione“ am 7. Dezember
2016.
An diesem Tag also begann die Opernsaison der Scala mit Puccinis Oper „Madama
Butterfly“. Und den Mitschnitt dieses Abends können Sie heute bei uns auf SWR2 hören.
Die größten Opernenthusiasten unter Ihnen haben möglicherweise am 7. Dezember die liveÜbertragung dieses Ereignisses bereits im Programm des Fernsehsenders ARTE gesehen –
heute also der reine „soundtrack“ des Abends.
Die Scala-Eröffnung – das ist ein Ereignis von mindestens nationaler, in der Wahrnehmung
der Italiener aber ein Ereignis von weltweiter Bedeutung. Nicht nur die feine, einflussreiche
und elegante Mailänder Gesellschaft ist anwesend, die Scala feiert ihre Saisoneröffnung
gewöhnlich in Anwesenheit des Staatspräsidenten der italienischen Republik.. .
Wie staatstragend dieser Abend ist, sieht man auch daran, dass vor Beginn der Oper vom
Orchester der Mailänder Scala die italienische Nationalhymne gespielt wird.
Den Genuss lassen wir uns heute abend zur Einstimmung auf einen großen Opernabend
nicht entgehen:
„Fratelli d’Italia“ – italienische Nationalhymne = 1‘44“
„Fratelli d'Italia“ - Brüder Italiens - so heißt die erste Textzeile der italienischen
Nationalhymne, entstanden 1847 während der italienischen Freiheitskämpfe, also im
sogenannten „Risorgimento“.
Heute gehört sie unbedingt an den Beginn der feierlichen Eröffnung der neuen Spielzeit der
Mailänder Scala. Und damit wären wir wieder beim 7. Dezember 2016, als die noch laufende
Scala-Saison mit Puccinis „Tragedia giapponese“, also mit seiner Oper „Madama Butterfly“
eröffnet wurde.
Es war Puccinis Lieblingsoper, keine andere seiner Opern hat er so geliebt, an keine hat er
so geglaubt wie an die tragische Geschichte von der 15jährigen Japanerin Cio-Cio-San,
deren unbedingte und nur unvollkommen erwiderte Liebe zu dem amerikanischen
Besatzungsoffizier Pinkerton schließlich mit ihrem Selbstmord endet.
„Madama Butterfly“ wurde 1904 an der Scala uraufgeführt.
Sie gehört seitdem natürlich zum Repertoire der Scala, im Dezember 2016 war es trotzdem
eine Art zweite Uraufführung, an der das Mailänder Publikum teilnahm.
Denn zum ersten Mal seit 1904 wurde dort die zweiaktige Urfassung gespielt, also genau die
Fassung, die im Februar 1904 erstmals dort erklungen war – und dann nie wieder. Denn,
man glaubt es kaum, die Uraufführung der „Butterfly“ war einer der größten Theaterskandale,
den die Scala jemals erlebt hat.
Nun sollte man Uraufführungsskandalen grundsätzlich keine größere Bedeutung
beimessen. Viele der erfolgreichsten Opern sind bei der Uraufführung durchgefallen: Bellinis
„Norma“ ebenso wie Rossinis „Barbier von Sevilla“ wie Verdis „Traviata“.
Das Mailänder Opernpublikum ließ sich durch pikante Details aus dem Privatleben des
Bühnenpersonals schnell zu gehässigen oder ironischen Kommentaren während der
laufenden Vorstellung hinreißen, und eine bezahlte Claque steuerte ohnehin den Ausgang
eines solchen Abends. In diesem Fall waren das die Anhänger von Pietro Mascagni,
Puccinis stärkstem Gegner an der Scala.
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All diese Faktoren haben wohl dazu beigetragen, dass Puccini nach der durchgefallenen,
ausgebuhten Uraufführung der Butterfly, fühlte wie ein Mann, der ein dreckiges Verbrechen
begangen hatte – so sagte er jedenfalls selbst.
Den Glauben an seine „Butterfly“ hatte er allerdings nicht verloren.
„Er kürzte den ersten Akt, teilte den überlangen 2. Akt in zwei Teile, entschärfte die
Kolonialismus-Kritik des Librettos - und drei Monate später gab es in Brescia, wohin man die
neuerliche Uraufführung verlegt hatte, 32 Vorhänge und 7 Dacapos. Na also.
Was muss man nun unbedingt über die Oper wissen?
Den Stoff entdeckte Puccini in einer Londoner Theateraufführung eines Stückes mit dem
Titel „Madame Butterfly“, ein Stück, das bereits in New York einen Sensationserfolg gehabt
hatte.
Puccini war so begeistert davon, dass er sofort nach der Vorstellung den Autor David
Belasco um die Rechte zur Vertonung bat.
Der Stoff wurde schließlich von seinen beiden Librettisten Luigi Illica und Giuseppe Giacosa,
mit denen er schon für „La Bohème“ und „Tosca“ zusammengearbeitet hatte, operntauglich
bearbeitet.
Die Oper spielt in Japan, genauer: in der Hafenstadt Nagasaki. Die war um 1900
ein sogenannter Vertragshafen, der es den Kolonialmächten des Westens erlaubte, mit ihrer
Wirtschaftsmacht die traditionelle japanische Kultur ziemlich brutal zu zerstören.
Dies genau ist der real-gesellschaftliche Hintergrund in „Madama Butterfly“.
Zum Inhalt: Ein amerikanischer Marineoffizier namens Pinkerton ist vom Reiz eines
fünfzehnjährigen japanischen Mädchens namens Cio-Cio-San höchst angetan und möchte
sie während seiner Zeit in Japan als Geliebte benutzen. Dafür unterwirft er sich amüsiert den
japanischen Gepflogenheiten: er kauft das Haus der Familie und erwirbt damit auch das
Mädchen als Ehefrau, der Vertrag ist aber nach japanischem Recht so abgeschlossen, dass
er ihn jederzeit lösen, also seine Frau verstoßen kann.
Cio-Cio-San, eine Halbwaise, hat nach dem Tod des Vaters ihren Lebensunterhalt als
Geisha verdient. Sie ist von dem amerikanischen Offizier mehr als angetan, sie liebt ihn
aufrichtig, sogar so sehr, dass sie vor der Hochzeit den christlichen Glauben annimmt. Das
wiederum führt dazu, dass sie von ihrer japanischen Familie verstoßen wird.
Die Hochzeit findet statt, und am Ende des ersten Aktes, im Übergang vom Tag zur Nacht,
entfaltet sich ein ungeheuer intensives, langes, über die Maßen schönes Liebssduett, eines
der schönsten der Operngeschichte. Soweit der erste Akt, der ungefähr eine Stunde dauert.
Und wen hören wir heute Abend?:
Cio-Cio-San, also Madama Butterfly, ist Maria José Siri.
Ihre Dienerin Suzuki ist Annalisa Stroppa
Der Marineoffizier Pinkerton wird von Bryan Hymel gesungen.
Der amerikanische Konsul Sharpless in Nakasagi ist Carlos Alvarez, der Heiratsvermittler
Goro ist Carlo Bosi. Weiter sind zu hören: Abramo Rosalen als Priester Bonzo , Gabriele
Sagona als kaiserlicher Kommissar, der die Trauung vollzieht und Leonardo Galeazzi als
Yakusidé:
Und, natürlich, das Orchester der Mailänder Scala, die Leitung hat Riccardo Chailly.
„Madama Butterfly“, 1. Akt = 61‘40“ (einschl. Beifall)
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Opernabend auf SWR2, heute Abend sind wir in der Mailänder Scala.
Sie hören die – begeistert aufgenommene – Premiere von Puccinis „Madama Butterfly“
anlässlich der Saisoneröffnung des Teatro alla Scala am 7. Dezember 2016.
Die beiden Hauptrollen, also Madama Butterfly und der Offizier Pinkerton werden von Maria
Josè Siri und Bryan Hymel gesungen, Riccardo Chailly leitet das Orchester der Mailänder
Scala.
Erstmals seit dem Theaterskandal 1904 erklang damit in der Scala die Fassung der
Uraufführung. Sie ist länger als die späteren, bis heute gebräuchlichen Fassungen, und sie
umfasst nur zwei statt der späteren drei Akte.
Von dieser Rückkehr zur Urfassung war auch die Inszenierung beseelt.
Der Regisseur Alvis Hermanis vermied jedes Zugeständnis an modernes Regietheater.
Seine Personen waren an den Bewegungen des Kabuki-Theaters geschult, keine machte
das überzeugender als Butterflys Dienerin Suzuki.
Auf der Bühne wird ein typisches traditionelles japanisches Ambiente gezeigt.
Ausgangspunkt ist ein japanisches Teehaus, dessen Wände immer wieder verschoben
werden und den Blick auf unterschiedliche Szenen der Oper freigeben: sei es der Hafen von
Nagasaki, sei es die Wohnung von Butterfly oder der Garten mit blühenden Kirschbäumen.
Madama Butterfly geht für die Titelheldin nicht gut aus, das werden Sie wissen. So ist es mit
vielen Puccini-Opern, erinnert sei an die Vorgängerin Tosca und an die Mimi in La Bohème.
Daraus kann man unterschiedliche Schlüsse ziehen: einerseits Puccini als
„Frauenversteher“, der das Leid von betrogenen, hintergangenen und unterlegenen Frauen
klar und schonungslos auf die Bühne bringt. Oder aber Puccini als ein Mann, der sich am
Leid seiner Heldinnen, an ihrem schön in Szene gesetzten Tod heimlich weidet. Eine
Inszenierung kann auf das eine oder andere zielen.
In Mailand war es sicher das erstere - und dazu trug die gespielte Urfassung in ihrer Klarheit
und Härte wesentlich bei.
Ein paar Worte noch zur Musik der „Butterfly“. Wenn es um 1900 den Begriff der
„Weltmusik“ schon gegeben hätte, dann wäre er hier durchaus angebracht gewesen. Puccini
hat sich viel Mühe gegeben, seiner Oper japanische Klangfarben beizumischen. Für uns am
auffallendsten ist die Verwendung von japanischem Tamtam, von diversen Gongs sowie
einem Glockenspiel . Nagasaki war die Stadt der Glockenklänge. Puccini ließ es extra für
die Aufführung gießen.
Der farbliche Reichtum der Musik kann in dieser Oper auch als eine Stellungnahme gesehen
werden. Puccini nimmt Partei für seine Protagonistin, dem bedauernswerten Opfer einer
unmenschlichen imperialistischen Praxis.
Das zeigt uns der zweite – und letzte – Akt der Oper.
Der Inhalt: Butterfly lebt in der ständigen Erwartung der Rückkehr ihres Mannes Pinkerton.
Drei Jahre sind seit der Eheschließung vergangen, aus ihrer Liebe ist ein Kind, ein Sohn
hervorgegangen.
Tatsächlich kehrt Pinkerton zurück, aber nur, um Butterfly darüber zu informieren, dass er
inzwischen standesgemäß mit einer Amerikanerin verheiratet ist. Diese Botschaft soll der
Konsul Sharpless an Cio-Cio-San überbringen. Der erfährt bei dieser Gelegenheit erst von
dem Kind und ahnt die Tragödie, die sich nun ereignen wird.
Denn Pinkerton wird von seiner Frau Kate begleitet. Von dieser Ehe hat Butterfly bis dahin
keine Ahnung, sie erwartet den Mann, der der ihre ist, in ihrem Hochzeitsgewand und wacht
fast eine ganze Nacht, um ihn zu empfangen.
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Statt ihres nach japanischem Recht angetrauten Mannes Pinkerton erscheint bei ihr am
Morgen seine Frau Kate, und die will ihr, nach einigem Vorgeplänkel, das Kind Pinkertons
sozusagen abkaufen.
Butterfly stimmt schließlich zu, unter der Bedingung, dass es der Vater selbst ist, dem sie
das Kind übergibt. Aber bevor es dazu kommen kann, ersticht sie sich mit dem Dolch, mit
dem bereits ihr Vater Harakiri begangen hat. Als Pinkerton mit dem dreimaligen Ruf
„Butterfly“ erscheint und ein wenig Reue zeigt über die Konstellation der Ereignisse, kann er
nur noch die tote Butterfly umarmen.
Diese Ereignisse also nehmen den gesamten, anderthalb Stunden dauernden zweiten Akt
der in Mailand gespielten Urfassung in Anspruch. Keine Akt-Trennung also zwischen dem
berühmten „Summ-Chor“, der die Nacht des Wartens auf den Geliebten begleitet, und dem
Vorspiel zum späteren dritten Akt, der mit deutlich hörbarem Vogelgezwitscher beginnt.
Auch der zweite Akt - und hier der letzte Akt - von Puccinis „Madama Butterfly“ beginnt mit
einem kurzen Orchester-Vorspiel: wir sind wieder im Teatro alla Scala, Riccardo Chailly ist
der Dirigent der Premiere am 7. Dezember 2016, als Madama Butterfly hören wir Maria José
Siri, als Offizier Pinkerton Bryan Hymel, als Butterflys Dienerin Suzuki Annalisa Stroppa und
als Konsul Sharpless Carlos Alvarez:
„Madama Butterfly“, 2. Akt = 93‘50“ (einschl. Beifall)
Große Begeisterung am 7. Dezember 2016 in der Mailänder Scala, dem Tag der Eröffnung
der Opernsaison. Das Publikum umjubelt die Sänger, vor allem aber das Orchester der
Scala und den Dirigenten des Abends, Riccardo Chailly.
Auf dem Programm stand Giacomo Puccinis „Tragedia Giapponese“, Madama Butterfly, in
der zweiaktigen Urfassung von 1904.
Die Titelheldin war Maria José Siri, den Marineoffizier Pinkerton sang Bryn Hymel, seine
Frau Kate war Nicole Brandolino. Annalisa Stroppa war Butterflys Dienerin Suzuki, Carlos
Alvarez der amerikanische Konsul Sharpless und Constantino Finucci der Fürst Yamadori.
Unser Opernabend auf SWR2 ist fast zu Ende, aber für ein Stück haben wir noch Zeit.
Was sonst als der Streichquartettsatz „Crisantemi“ von Puccini könnte diesen Abend
beschließen.
Puccini hat dieses Andante als Trauermusik komponiert, der Titel spielt ja auf die
Trauerblumen, die Chrysanthemen an. Und damit verabschieden wir die arme Butterfly in
Würde:
„Crisantemi“ = 6‘19“
Mit Puccinis „Crisantemi“, gespielt vom Signum-Quartett, ging der Opernabend auf SWR2 zu
Ende.
Durch den Abend begleitete Sie Dorothea Enderle.
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