Unternehmensethik – Firlefanz oder Orientierung in schwierigen Zeiten Vortrag zu den Herbstgesprächen von AIW und IHK Nord Westfalen am 20.11.2003 von Prof. Dr. Henner Hentze, Fachhochschule Münster Ich zitiere aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. September 2003: „AltBundeskanzler Schmidt kritisiert Habgier der Manager.“ Anlässlich des 90. Geburtstages von Berthold Beitz äußerte er sich außerordentlich kritisch über den Verfall moralischer Werte unter deutschen Managern. Ich zitiere: “In den neunziger Jahren haben nicht allein in den Vereinigten Staaten, sondern auch hierzulande private Habgier und Rücksichtslosigkeit, Macht und auch Größenwahn einen allzu großen Einfluss auf das Verhalten mancher Manager ausgeübt. Undurchsichtige Bilanz- und Finanzkunststücke und sagenhafte Selbstbereicherung sind leider ziemlich häufig und ziemlich marktgängig geworden....“ Und, meine Damen und Herren, Schmidt sagte das, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, unter dem Beifall auch einiger Hundert Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft. Zweifelsohne ist die öffentliche Empörung groß, wenn wir von Bilanzfälschung bei Enron, riesigen Abfindungssummen für Konzernführer, Ermittlungen gegenüber dem früheren Mobilcom-Chef und unzureichenden Prüfungen durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG reden. Das sind die „Großen“ mit angestellten Managern, die nur eine kurzfristige, persönliche Gewinnmaximierung im Auge haben. Aber sind es wirklich nur die großen, die unmoralisch handeln? Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass immer mehr Unternehmen Studenten in Praktika einsetzen, diese auch eine verwertbare Leistung erbringen, dafür aber keinen einzigen Cent erhalten; und das von Unternehmen, die nicht müde werden, sich bei jeder Gelegenheit zur sozialen Marktwirtschaft und zum Leistungsprinzip zu bekennen. Ist das moralisch? Die Notsituation von jungen Menschen auszunutzen? Solche Zeiten des Sittenverfalls im Wirtschaftsleben rufen geradezu nach Verhaltensregeln, Unternehmensleitlinien und moralischen Werten für Mitarbeiter und Führungskräfte. Deshalb hat auch die Kommission der Bundesregierung zum Corporate Governance so viel Beifall bekommen. Das ist die eine Seite der Betrachtung. Die andere ist ordnungspolitisch ausgerichtet. Das ´Soziale` in unserer Marktwirtschaft ist durch Arbeitnehmerschutzgesetze, Umweltauflagen und eine unternehmensumfassende Regelungsdichte manifestiert, so dass für unternehmerischen Gestaltungsspielraum kaum noch Platz bleibt. Ist es nicht moralisch ausreichend, sich an diese Vorschriften zu halten? Ein weiterer Verhaltenscodex würde die Regelungsdichte noch weiter erhöhen. Oder anders ausgedrückt: „Was nicht verboten ist, ist erlaubt!“ Und wir nutzen auch die Grauzonen gesetzlicher Bestimmungen aus, weil wir – so argumentieren einige Unternehmenslenker nur dann am Markt bestehen können. Ethische Grundsätze sind ein Luxus, der keinen müden Euro mehr für die Firma bringt! Also Firlefanz! Wirklich Firlefanz? Meine Damen und Herren, der AIW hätte mir heute abend die Moderation nicht anvertraut, wenn ich ein Gegner unternehmerischer Ethik wäre. Ich halte die Beschäftigung mit Fragen der Moral, mit Werten und anständigem Verhalten im Unternehmen für durchaus wichtig, weil wir dadurch Ziele erreichen können, die jenseits eines gesetzestreuen Handelns liegen. Andererseits bin ich skeptisch gegenüber auf Hochglanzpapier publizierten Unternehmensleitlinien, die sich zu Toleranz, Fairness und Respekt bekennen, deren Unternehmenswirklichkeit jedoch weit von solch edlen Werten entfernt Unternehmensethik ist nur so viel wert, wie sie auch in den Unternehmen gelebt wird. ist. Wenn das, was das Unternehmen sagt, nicht mit dem, was es tut, übereinstimmt, geht einer der wichtigsten Grundpfeiler des Unternehmens verloren: die Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit gegenüber Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und gegenüber den Mitbürgern ist der Kompass bei der Entwicklung von Unternehmenswerten. Lassen Sie mich an dieser Stelle eine allgemeine Orientierung geben. Die Ethik beschäftigt sich mit moralischen Phänomenen und Werten. Sitte, Moral, Ethik, die begrifflich dicht beieinander liegen, besitzen aber auch in den verschiedenen Kulturen unterschiedliche Inhalte. Sehr aufschlussreiches Anschauungsmaterial bietet das Buch „Manieren“ des Großneffen des äthiopischen Kaisers Haile Salassie Prinz Asserate, der Werte des alltäglichen aber auch des Berufslebens in Deutschland kritisch hinterfragt – aus der Sicht seiner nationalen und sozialen Herkunft. Während in unserer demokratischen und liberalen Gesellschaft das Wort ‚Untergebener’ mit dem Geist des ‚Untertan’ verbunden wird, sind diese Begriffe für ihn Ausdruck eines stabilisierenden Ordnungssystems. Wir werden während der Podiumsdiskussion sicher bei Fragen der Bestechung und Korruption auf diese kulturellen Werteunterschiede zurückkommen. Für einen Gesinnungsethiker ist für einen Wert der gute oder schlechte Wille und nicht die Folgen der Handlung entscheidend. Anders die Verantwortungsethiker. Sie beurteilen Handlungen ausschließlich danach, wie gut oder erstrebenswert ihre Folgen sind. Dass Aussagen der Gesinnungsethiker und Verantwortungsethiker nicht immer zur Deckung kommen, zeigt die heftige Diskussion über das Tragen eines Kopftuchs moslemischer Lehrerinnen. Würden wir den Ereignissen mit einer toleranten Gesinnung gegenübertreten, wäre uns die Aufregung vollkommen unverständlich. Erst bei der Betrachtung der Folgen dieser Toleranz kommen die Disputanten zu einer recht unterschiedlichen Einschätzung. Auch auf betrieblicher Ebene scheinen Gesinnungswerte auf den ersten Blick nur positiv, werden sie aber umgesetzt, kann es zu unerwünschten Folgen kommen. „Offenheit“ ist solch ein Wert, der in vielen Unternehmensleitbildern erscheint und als erstrebendwertes Ziel propagiert wird. Führt Offenheit in der Kommunikation jedoch zu Verleumdung und Gerüchten – also negativen Folgen- wirken diese Leitbilder kontraproduktiv. Werte, die nur die Gesinnung zum Ausdruck bringen wie Toleranz, Respekt, Fairness, Offenheit, erlauben bei der Anwendung zu viele subjektive Interpretationen der Beteiligten und konterkarieren ein Wertesystem. Die Verantwortungsethiker stellen das Handeln in den Vordergrund und bewerten die Folgen des Tuns, wobei die Bewertung in den Kategorien „gut“ oder „erstrebenswert“ erfolgt: „Wir wollen den Mitarbeitern bei ihrer Arbeit mehr Gestaltungsspielräume einräumen (=handeln)... Die Folgen: Mitarbeiter werden sich dann stärker mit ihrer Arbeit identifizieren. Kants hypothetischer Imperativ folgt den Prinzipien der Verantwortungsethik: „Du musst so und so handeln, wenn du das und das erreichen willst.“ Dieses zweckgerichtete Postulat kann die Unternehmensethik zu einem Instrument nur einer Partei im Unternehmensgeschehen werden lassen. Es werden 20% der Belegschaft entlassen ( = handeln)“ „.....danach steigt der Aktienkurs“ (= positive Folge für die Aktionäre) – Ist das moralisch? Kants kategorischer Imperativ kann uns aus diesem Dilemma helfen. Danach betrachtet er jeden Menschen als Selbstzweck, der sein Handeln an den eigenen Werten und Interessen orientiert. Bei einer Interessenkollision müssen hingegen individuelle Interessen geopfert werden, um einem allgemeinen Wohl zu dienen. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werden.“ Kant hat sich bei seiner Orientierung am „Allgemeinen Wohl“ sehr allgemein gehalten, obwohl er hin und wieder Beispiele aus der Kaufmannschaft anführt. Versuchen wir das „Allgemeine Wohl“ auf die Unternehmensethik zu übertragen, bieten sich drei Sphären zur Lokalisierung des „Allgemeinen Wohls“ an. 1. die Sphäre der Mitarbeiter, Führungskräfte und ihrer Angehörigen 2. die Sphäre der Kunden, Lieferanten und Wettbewerber 3. die Sphäre der Gesellschaft (Bürger und Organisationen der Gemeinde) Der Ansatz der Verantwortungsethik kann um den Aspekt der „Nachhaltigkeit“ ergänzt werden. Dabei schaut das Unternehmen bei seinem Tun nicht nur auf die Folgen im ´Heute`, sondern auch im ´Morgen`! Nachhaltigkeit ist eine Entwicklung dann, so der BrundtlandReport, wenn sie den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden. Hauptsächlich wird das Prinzip der Nachhaltigkeit zur Lösung gegenwärtiger und zukünftiger Umweltprobleme herangezogen. Auf der betrieblichen Ebene erfasst der Aspekt der Nachhaltigkeit die Verwendung von Material, die Produktentwicklung, den umweltschonenden Umgang mit Energie, Wasser und anderen Hilfsstoffen. Nachhaltige Wirkungen haben auch Maßnahmen im Personalbereich. Ein Unternehmen, das über den momentanen Bedarf in zukunftsorientierten Berufen ausbildet, leistet einen langfristig positiven Beitrag zur Erhaltung der Qualifikationen von Arbeitnehmern einer Region und damit auch zur Steigerung ihrer Attraktivität als Standort. Nachhaltig wirkt ein an ethischen Grundsätzen ausgerichtetes Entgeltsystem, das Nachhaltigkeit belohnt, der Umgang mit Wissen und Erfahrungen, insb. der älteren Mitarbeiter, die Familienfreundlichkeit von Arbeitszeiten und Integrationsmaßnahmen für ausländische Mitarbeiter. Ethische Werte müssen auch auf der 2. Sphäre der Kunden und Lieferanten nachhaltig wirken. Eine auf Dauer angelegte Kunden- und Lieferantenbindung bedarf Verhaltensweisen, die auf Vertrauen, Qualität, Offenheit und Verlässlichkeit basieren. Aber dass das Leben eines solchen Wertesystems auch Grenzen haben kann, zeigt eine Untersuchung der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. Auf die Frage, wie häufig es in einigen Unternehmen Situationen gab, in denen man wegen des Wertekodex eine Geschäftschance ausgelassen habe, antworteten 19% mit ´nie` und immerhin 26% mit ´sehr häufig`! Die 3. Sphäre betrifft das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen. Die FAZ hat am 12.Oktober 2003 unter der Überschrift „Der Staat zieht sich zurück – jetzt kommen die Bürger“ die Chancen eines bürgerschaftlichen Engagements für Unternehmen aufgezeigt. Unter den Stichworten „Corporate Volunteering“ oder „Corporate Involvement“ wird das gesellschaftliche Engagement immer häufiger Bestandteil von Unternehmensstrategien. Solche Projekte fördern nachhaltig die Eigeninitiative und Flexibilität der Mitarbeiter. Außerdem bringt es frischen Wind in das Unternehmen, wenn die Mitarbeiter an ungewohnten Orten neue Erfahrungen sammeln können. Der Rückzug des Staates schafft Freiräume für neue Ideen, Chancen für Verbesserungen. Und die Geschichte lehrt, dass Fortschritt immer von Menschen, die sich für die Gemeinschaft eingesetzt haben, ausgeht – zum Nutzen der Allgemeinheit, aber durchaus auch im legitimen Eigeninteresse. Der AIW ist in dieser 3. Sphäre seit Jahren aktiv, mit verschiedenen Projekten, wie „Gutes Tun mit Gewinn“, „Bürgerstiftung“ und anderen. Er hat eine Vorreiterrolle bei der Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements übernommen. Die Unternehmensethik ist das geistige Rückrat eines Unternehmens und gibt ihm Orientierung - und nicht zur in bezug auf den Unternehmer. Deshalb ist die Einbeziehung aller Führungskräfte und Mitarbeiter der entscheidende Punkt bei der Entwicklung des Wertekatalogs. Diese Werte müssen gelebt werden – durch Vorbild aller, durch materielle und immaterielle Anreize bis hin zur Trennung von Mitarbeitern, die den Wertekanon eines Unternehmens ignorieren oder sogar boykottieren. Ich fasse zusammen: 1. Unternehmensethik sollte Verantwortungsethik sein und das Prinzip der Nachhaltigkeit verfolgen 2. Unternehmensethik sollte auf 3 Sphären wirken: auf der Ebene des Unternehmens, auf der der Kunden und Lieferanten und auf der Ebene des gesellschaftlichen Engagements. 3. Ethische Werte, nach denen ein Unternehmen sein Tun ausrichten will, brauchen die Beteiligung der Mitarbeiter und eine vorbildliche Führung durch die Unternehmensleitung.