Perforierte Appendizitis – Seltene Ursache und Therapie Matthias Buchhorn 64-jähriger Patient mit Oberbauchschmerzen (Vorstellung in der Notfallaufnahme um 20.30 Uhr) Anamnese: • Schmerzen im Oberbauch seit 1 Tag • Zu Beginn der Symptomatik 2-maliges Erbrechen • Kein Stuhlgang seit 2 Tagen • Anamnestisch Gallensteine, sonst keine Vorerkrankungen • Keine Vormedikation • Nikotinabusus (40 PY) • Alkohol gelegentlich • Der Patient spricht nur schlecht deutsch Untersuchungsbefund: • Blutdruck leicht erhöht, sonst Vitalparameter unauffällig • Cor, Pulmo o.B. • Abdomen ubiquitär druckdolent, keine Abwehrspannung • Sonstiger Status unauffällig • Sonographie: Meteorismus, kein Aszites, Gallenblase nicht wandverdickt, Mikrolithen in der Gallenblase Labor bei Aufnahme: • Leukozyten 13.24, restliches Blutbild unauffällig • Gerinnung unauffällig • AP, GPT, Gamma-GT, Bilirubin, LDH, Lipase, CK unauffällig • Kreatinin, GFR, Harnstoff, Elektrolyte unauffällig • CRP 37,5 mg/l (Normal < 5 mg/l) Stationäre Aufnahme mit Arbeitsdiagnosen: Gastroenteritis DD Ulcus ventriculi DD symptomatische Cholezystolithiasis • Sofortmaßnahmen: Schmerztherapie, PPI-Therapie, Flüssigkeitssubstitution • Geplantes Procedere: erneute Sonographie nüchtern, ÖGD, Laborkontrolle Tag 2: • Labor: Leukozyten 14,78 • Sonographie Abdomen: Leberzysten, eine große Nierenzyste links, V.a. Gallenblasensludge, eine Spur Aszites im rechten UB., Enteritisbild im re. Unterbauch, akzentuierte Dünndarmwand (4mm), umgebende Flüssigkeit, Appendix nicht darstellbar V.a. Enteritis/Ileitis Tag 2: • ÖGD: Refluxösophagitis I (nach Savary und Miller), Erosionen im Magen und Duodenum. PPI-Therapie zunächst weiter. • Geplantes Procedere: Koloskopie Tag 3: • Labor: Leukozyten 15,36 • Koloskopie: , CRP 252,6 mg/l (zuvor 37,5 mg/l) Tag 3: • Koloskopie: Coecum deutlich verschwollen DD bei Divertikulitis DD Appendizitis Nebenbefundlich Polypenknospe im Sigma – Zangenektomie • Antibiose mit Cefuroxim/Metronidazol • Chirurgische Vorstellung, CT-Abdomen Tag 3: CT-Abdomen: Befund einer perforierten akuten Appendizitis mit Verdacht auf perityphlitischen Abszess. Inzidentalome der Nebennieren bds. Tag 3: Operation: • Diagnostische Laparoskopie. Bei entzündlichem Konglomerattumor im rechten Unterbauch und ausgedehntem perityphlitischen Abszess bis zur rechten Flexur -> Umstieg auf • Konventionelle Hemikolektomie rechts unter Anlage einer Seit-zu-Seit Ileotransversostomie. Diagnose Post-OP: • Perforierte, gangränöse Appendizitis mit ausgedehntem, bis zur rechten Flexur reichendem perityphlitischem Abszess. • Lokale Unterbauchperitonitis. Histologie: V.a. maligne Zellen! Diagnose Gering differenziertes Adenokarzinom der Appendix auf der Basis eines Becherzellkarzinoides (MANEC) mit Infiltration der Subserosa und begleitender akuter perforierter Appendizitis mit Ausbildung einer akuten Serositis. Lymphangiosis carcinomatosa. Tumorfreie orale und aborale Resektionslinie. Drei Lymphknotenmetastasen in sieben darstellbaren Lymphknoten. Tumorstadium: pT3pN1(3/7)L1V0G3 Mäßiggradig malignes MANEC (MANEC = Mixed adeno-neuroendocrine carcinomas) Appendixtumore • Neuroendokrine Tumore Grading Anzahl Mitosen Ki67/MIB-1 Neuroendokriner Tumor (NET) G1 (Karzinoid) G1 <2 <2 Neuroendokriner Tumor (NET) G2 G2 2-20 2-20 Neuroendokrines Karzinom (NEC) G3 >20 >20 • Epitheliale Tumore (Mukozele, muzinöses Zystadenokarzinom, Adenokarzinom, Siegelringzell-CA) • Sonderformen (Becherzellkarzinoid/karzinom = Goblet Cell Carcinoid/ Carcinoma, MANEC) Neuroendokrine Tumore der Appendix • Inzidenz 0,15-0,6/100000/Jahr • Meist Zufallsbefund bei Appendektomie (3-5 Fälle/1000 Appendektomien) • Meist frühe Stadien (60-80% < 1cm) • Prognose bei lokale begrenzter Erkrankung exzellent (5-YSR 95-100%), bei regionaler Erkrankung sehr gut (5-YSR 85-100%) und bei den seltenen Fällen mit Fernmetastasen relativ schlecht (5-YSR <25%) • Becherzellkarzinoide und MANEC haben eine deutlich schlechtere Prognose Klinische Präsentation • Keine charakteristischen tumorspezifischen Symptome! • Bei großen Tumoren abdominelle Schmerzen und Ileus möglich • Appendizitis eher selten! – die Tumoren liegen zu 70% an der Appendixspitze • Karzinoidsyndrom (z.B. Flush, Diarrhoen) sehr selten – deutet auf metastasierte Erkrankung hin. Metastasierungsrisiko der neuroendokrinen Tumoren der Appendix • Tumoren < 1 cm haben ein Risiko für Lymphknoten- und Fernmetastasen von <0,1% • Für Tumoren > 1cm und < 2cm liegt das Risiko für Lymphknoten- und Fernmetastasen bei jeweils 1% • Bei Tumoren > 2cm steigt das Risiko für Lymphknoten- und Fernmetastasen deutlich an und liegt bei 30% bzw. 20% (Daten für hochdifferenzierte NET der Appendix) Therapie der neuroendokrinen Tumore der Appendix Gut-differenzierte Tumore < 2 cm Appendektomie Tumoren 1-2 cm falls R1, G2, Gefäßinvasion, tiefe Infiltration der Mesoappendix Hemikolektomie rechts Tumore >2 cm Hemikolektomie rechts Becherzellkarzinoid Hemikolektomie rechts Becherzellkarzinoide/Karzinome (Goblet Cell Carcinoids/Carcinomas) GCC • Seltener Subtyp eines MANEC (Mixed adeno-neuroendocrine carcinoma) • Es gibt kaum Daten! Sehr selten • Becherzellkarzinoid der Appendix Inzidenz 0,01-0,05/100000/Jahr • Mittleres Erkrankungsalter 52 LJ • Prognose: im lokoregionalen Stadium 5-YSR 50-80%, bei Fernmetastasen 5-YSR < 20% (zum Vergleich Siegelringzellkarzinome der Appendix und Adenokarzinome vom Kolontyp der Appendix 5-YSR 0-15%) Becherzellkarzinoide/Karzinome (Goblet Cell Carcinoids/Carcinomas) GCC • Symptome einer akuten Appendizitis in 50-60%, in 10-20% auch Peritonitis • Ein Drittel der Patienten ist asymptomatisch • Selten Diagnose als Krukenbergtumor der Ovarien • 10% der Patienten haben bei Diagnosestellung schon Fernmetastasen • Staging: Serotonin-Rezeptor-Imaging hat nur untergeordnete Rolle • Tumormarker: CEA, CA19-9, CA125 in 80% der Fälle, kein Stellenwert von Chromogranin A Becherzellkarzinoide/Karzinome (Goblet Cell Carcinoids/Carcinomas) GCC • Chirurgische Therapie: Hemikolektomie rechts mit Lymphadenektomie (spätestens 3 Monate nach Appendektomie) • Bei Frauen wird zusätzlich eine bds. Adnexektomie empfohlen – wobei es keine Daten gibt die einen Vorteil belegen. • Für Metastasenchirurgie und HIPEC fehlen Daten – ist in Einzelfällen aber wahrscheinlich sinnvoll Becherzellkarzinoide/Karzinome (Goblet Cell Carcinoids/Carcinomas) GCC • Adjuvante Therapie: Wird bei den GCC in den Guidelines nicht besprochen. Bei Adenokarzinomen der Appendix ist die Rolle unklar. Wahrscheinlich ist eine Therapie Analog den Kolonkarzinomen im UICC Stadium III sinnvoll. • Palliative Therapie: Kaum Daten! Nach Expertenmeinung und Berichten ist eine 5-Fluoruracil haltige Chemotherapie (z.B. FOLFOX) sinnvoll • Nachsorge: Regelmäßige Nachsorge ist sinnvoll. Hohe Inzidenz von Zweitmalignomen, z.B. Kolonkarzinomen! Quellen ENETS Consensus Guidelines for the Managment of Patients with Neuroendocrine Neoplasms from the Jejuno-Ileum and the Appendix Including Goblet Cell Carcinomas U.-F. Pape et al. Neuroendocrinology 2012;95:135-156 Consensus Guidelines for neuroendocrine neoplasms of the Appendix (excluding goblet cell carcinomas) U.-F. Pape et al., Neuroendocrinology. Epub 2016 Jan 5 Klinische Gastroenterologie, Herausgeber Helmut Messmann