MHH Klinisches Ethik-Komitee (KEK) Ethik in der Patientenversorgung Ergebnisbericht der Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der MHH Hannover, im Dezember 2001 Inhalt I. Fragestellung 3 II. Methode 4 III. Ergebnisse 6 Konflikthäufigkeit und –bedeutung 6 Probleminhalte 8 Konfliktparteien 11 Konfliktursachen 11 Ansprechpartner für Konflikte 13 Fragen zum KEK 14 IV. Interpretationen der Ergebnisse 15 V. Schlussfolgerungen 17 VI. Anhang 18 2 I. Fragestellung Schon immer stellte die Medizin eine Herausforderung an die Einstellungen und Haltungen der in ihr Tätigen und von ihr Betroffenen dar. Zusätzlich findet eine fortlaufende Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahren statt. Gleichzeitig treten Selbstbestimmungsrecht und Autonomie in der Gesellschaft zunehmend in den Vordergrund. Dadurch akzentuieren sich Probleme der medizinischen Ethik. In einem Krankenhaus arbeiten Menschen unterschiedlicher Interessen, Herkunft und kultureller Prägung in den verschiedenen Berufsgruppen miteinander. Durch unterschiedliche Wertvorstellungen der Beteiligten werden Situationen anders wahrgenommen und bewertet. Im Berufsalltag sind Grenzsituationen häufig, in denen schwierige Entscheidungen mit schwerwiegenden Konsequenzen getroffen werden müssen. Diese Konstellation stellt eine Herausforderung an die Kommunikation zwischen den Beteiligten dar, insbesondere wenn Konflikte entstehen. In diesem Kontext hat sich die MHH entschlossen, ein „Klinisches Ethik-Komitee“ (KEK) zu gründen. Die Aufgaben des KEK sind in der Präambel der Satzung beschrieben: „Das KEK soll einen Beitrag zur Kultur der MHH und zum Klima und Stil in der Patientenversorgung leisten. Es trägt dazu bei, dass insbesondere Verantwortung, Selbstbestimmungsrecht, Vertrauen, Respekt, Rücksicht und Mitgefühl als gelebte moralische Werte die Entscheidungen und den Umgang an der MHH prägen.“ (...) „Das KEK stellt ein Forum für schwierige und kontroverse moralische Entscheidungen bereit. Es bietet die Chance, in interdisziplinärer und systematischer Weise anstehende oder bereits getroffene Entscheidungen in den Bereichen Medizin, Pflege Organisation und Ökonomie ethisch zu reflektieren und aufzuarbeiten.“ „Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses sowie den Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen gibt es die Zusage, dass Gewissensnöte oder das Leiden an nicht annehmbar erscheinenden Situationen und Strukturen im gemeinsamen Gespräch gehört werden und ein Beitrag zu deren Änderung geleistet wird.“ (...) „Das KEK soll vorrangig die moralische Kompetenz vor Ort verbessern helfen und somit verhindern, dass Entscheidungen an das Komitee delegiert werden. Der Stärkung des moralischen Bewusstseins und des Verantwortungsgefühls in der Patientenbetreuung dienen vor allem die Sensibilisierung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die moralische Dimension verschiedener medizinischer, pflegerischer, ökonomischer und institutioneller Aspekte, die Information und Weiterbildung in diesen Fragen, das konkrete Einüben ethischen Argumentierens, die Beratung in individuellen Konfliktsituationen und die Diskussion und Erarbeitung von Leitlinien für die MHH.“ Das KEK ist beim Vorstandsmitglied für Krankenversorgung angesiedelt und seine unmittelbare Ansprechpartnerin ist die Klinikkonferenz. Das KEK besteht insgesamt aus 19 Mitgliedern. Darunter sind fünf externe Mitglieder, die ihre Perspektive von außerhalb der MHH einbringen. Die Mitglieder repräsentieren unterschiedliche Arbeitsbereiche und Sichtweisen. Sie wurden vom Vorstandsmitglied für Krankenversorgung für diese Arbeit berufen. Das KEK beschloss in einer seiner ersten Sitzungen, eine Befragung der Mitarbeiterschaft durchzuführen. Die Ergebnisse sollen Aufschluss darüber geben, welches Engagement hinsichtlich ethischer Belange an der MHH bereits besteht und wo zusätzliches Engagement von den Beschäftigten gewünscht wird. Die Ergebnisse der Befragung sollen in die Planung der weiteren Arbeit des KEK und seiner konkreten Angebote eingehen. 3 Die Umfrage soll Antworten geben auf folgende Fragen: - Werden ethische Konflikte überhaupt erlebt, wie häufig sind sie und wie groß ist die daraus resultierende persönliche Belastung? - Welche inhaltlichen Bereiche führen zu ethischen Konflikten und in Bezug auf welche Personengruppen werden diese erlebt? - Welche Ursachen liegen diesen Konflikten zugrunde? - Wie wichtig werden ethische Konflikte derzeit genommen und wie wichtig sollten sie genommen werden? - Mit wem werden ethische Konflikte besprochen und gibt es darüber hinaus Kommunikationsbedarf? - Wie groß ist die Bekanntheit des KEK und was wird von dessen Arbeit in erster Linie gewünscht? - Gibt es in den genannten Fragen Unterschiede zwischen den einzelnen Berufsgruppen, insbesondere zwischen der Ärzteschaft und den Pflegenden? Darüber hinaus hofft das KEK, sich durch die Befragung bekannt zu machen und das Bewusstsein für moralisch-ethische Themen und Konflikte weiter zu vergrößern. Es wurde in dem Fragebogen bewusst darauf verzichtet, den verwendeten Begriff „ethischer Konflikt“ näher zu definieren. Die Befragten sollten – unbeeinflusst von fixierten Definitionen – jedes als ethisches Problem wahrgenommene Thema benennen können. Damit stellt die Umfrage eine Bestandsaufnahme der ethischen Problem- und Konfliktfelder dar. Im Anschreiben zum Fragebogen (siehe Anhang, S. 19) wurde diese thematische Offenheit angesprochen: „Viele der Fragen beziehen sich auf ‚ethische Konflikte‘. Darunter fällt alles, was Sie selbst als moralisches oder ethisches Problem im Zusammenhang mit der Krankenversorgung verstehen.“ II. Methode Das KEK wollte alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragen, die an ihrem Arbeitsplatz direkte Patientenkontakte haben. Deshalb wurden folgende Bereiche in die Befragung einbezogen: - Alle klinischen Abteilungen (Sektionen II und III) - Pflegedienst - Andere Abteilungen (Sektion IV): Pathologie, Rechtsmedizin, Toxikologie, Klinische Pharmakologie, Arbeitsmedizin, Mikrobiologie, Virologie, Allgemeinmedizin und Transfusionsmedizin - Sozialdienst Im Sommer 2001 wurden insgesamt 3.954 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeschrieben. 14 Fragebögen kamen als unzustellbar zurück. Damit erhielten ca. 2/3 der an der MHH Beschäftigten den Fragebogen. Innerhalb der oben genannten Abteilungen wurden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Berufsgruppen angeschrieben, mit Ausnahme der Arbeiterinnen und Arbeiter und der nicht hauptberuflich an der MHH Beschäftigten. 4 Der Fragebogen umfasst insgesamt 17 Fragen auf 4 Seiten und ist im Anhang (siehe Abschnitt V, S. 20 ff.) abgedruckt. 4 Wochen nach Versenden der Fragebögen wurde allen Befragten ein Erinnerungsschreiben zugeschickt. 794 Fragebögen wurden ausgefüllt und zurückgeschickt. Das entspricht einem Rücklauf von 20,15 %. Der Rücklauf war in den einzelnen Berufsgruppen unterschiedlich hoch. 34,7 % der Ärzteschaft und 14,7 % der Pflegenden beteiligten sich an der Befragung (siehe Tab. 1). In beiden Berufsgruppen ist der Rücklauf bei den in leitender Funktion Tätigen überproportional hoch. Von den Antwortenden gaben 607 an, in der Krankenversorgung mit direktem Patientenkontakt zu arbeiten (78,6 % aller zurückgeschickten Fragebögen), 187 verneinten dies. Ärzteschaft Ärztinnen Ärzte Pflegende Schwestern Pfleger Tab. 1: Rücklauf MHH insgesamt 868 244 624 1686 1.363 323 Rücklauf 301 93 208 247 183 62 In % 34,7 38,1 33,3 14,7 13,4 19,2 Im Sinne der Fragestellung (siehe Abschnitt I, S. 4) wurden einige Antworten nach Berufsgruppen getrennt ausgewertet. Dabei werden drei Gruppen unterschieden: Von Ärztinnen und Ärzte stammen 46,9 % der Antworten, von den Pflegenden 36,7 %. 16,4 % der Antworten kamen nicht von Pflegenden oder Ärzten/innen. Sie wurden in der Auswertung als „andere Berufsgruppen“ zusammengefasst. Diese Gruppe ist inhomogen und besteht zu gut 40 % aus Angehörigen anderer therapeutischer Berufe (KG, Ergotherapie, Logopädie etc.), zu etwa 20 % aus technischen Assistenten/innen, zu knapp 10 % aus dem Sozialdienst und zu etwa 30 % aus weiteren, nicht näher spezifizierten Berufsfeldern. Es sei noch einmal betont, dass die im Folgenden beschriebenen Ergebnisse sich ausschließlich auf die 78,6 % der Fragebögen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beziehen, die selber Patientenkontakt angegeben haben. Eine Durchsicht der übrigen 21,4 % der Fragebögen ergab, dass knapp die Hälfte aller Beschäftigten ohne direkten Patientenkontakt ebenfalls ethische Konflikte in ihrem Bereich erleben. Ob diese Konflikte in Bereichen wie der Forschung, oder in Tätigkeitsfeldern mit eher indirektem Patientenkontakt bestehen, kann so nicht geklärt werden. Auch in diesen Bereichen werden ethische Konflikte wahrgenommen, die aber möglicherweise nicht durch das Beratungsangebot des KEK abgedeckt sind. 5 III. Ergebnisse Konflikthäufigkeit und -bedeutung Der erste Fragenkomplex widmet sich der Häufigkeit von ethischen Konflikte und der daraus resultierenden Belastung. 90,1 % der Antwortenden gaben an, in ihrem Arbeitsbereich im zurückliegenden Jahr ethische Konflikte erlebt zu haben. Dieser hohe Prozentsatz findet sich in allen Berufsgruppen: Bei den Pflegenden sind es 93,1 %, in der Ärzteschaft 91,8 % und die übrigen Berufsgruppen liegen mit 78,9 % etwas niedriger (vgl. Abb. 1). Circa die Hälfte der Antwortenden, die überhaupt Konflikte angaben, erleben diese Konflikte wöchentlich oder Ich habe im letzten Jahr ethische Konflikte erlebt: 100 90,1 80 22,2 91,8 93,1 19,2 22,4 Ja, und zwar 78,9 seltener eher monatlich eher wöchentlich 60 30,7 24,9 23,4 30,0 27,7 17,7 19,6 eher täglich 25,1 40 26,0 30,7 20 16,7 9,9 7,7 0 Gesamt Ärzteschaft Pflegende Andere Abb. 1: Ethische Konflikte im Klinikalltag häufiger. 93,4 % derjenigen, die im letzten Jahr ethische Konflikte erlebt haben, gaben an, dass diese sie persönlich belastet haben. Auch hier gibt es keine Unterschiede zwischen den Berufsgruppen. Innerhalb derer, die überhaupt eine Belastung angeben, wird eine mindestens wöchentliche Belastung durch Konflikte mit 38,7 % etwas häufiger von den Pflegenden als von Ärzten/innen (32 %) genannt (vgl. Abb. 2). Hochgerechnet auf die Gesamtheit der Antwortenden geben immerhin 8,6 % der Ärzte/innen und 11,7 % der Pflegenden an, dass sie jeden Tag durch ethische Konflikte belastet sind. Die Befragten wurden gebeten, die Stärke der persönlichen Belastung durch ethische Konflikte auf einer Skala von 1 bis 10 einzuschätzen. Unter denen, die überhaupt eine Belastung benannten, lag die durchschnittliche Belastung bei 5,6 Punkten. Darunter gaben die Pflegenden zu 60,8 % eine mittlere Belastung (4-7 Punkte) und zu 30,6 % eine hohe Belastung (8-10 Punkte) an, die entsprechenden Zahlen in der Ärzteschaft lagen bei 50,6 % und 19,9 % (vgl. Abb. 3). 6 Die ethischen Konflikte haben mich belastet: 100 93,4 94,4 93,0 91,9 Ja, und zwar seltener 80 30,8 33,4 34,5 eher monatlich eher wöchentlich 48,1 eher täglich 60 27,1 28,1 29,8 40 25,4 24,0 20,6 20 20,4 11,3 12,5 10,2 9,4 Gesamt Ärzteschaft 7,1 0 Pflegende Andere Abb. 2: Belastung durch ethische Konflikte Klinische Ethik an der MHH Belastung durch Konflikte 80 Gesamt 60,8 60 Ärzteschaft 54,8 Pflege 50,6 40 30,6 29,4 22,2 23,0 20 19,9 8,6 0 leichte Belastung (1-3) mittlere Belastung (4-7) Abb. 3: Höhe der Belastungen 7 hohe Belastung (8-10) Auf die Frage, wie wichtig ethische Aspekte derzeit am eigenen Arbeitsplatz genommen werden, ergaben sich bei allen Antwortenden hohe Werte (vgl. Abb. 4). Auf einer Skala von 1 – 10 Punkten wurde die Bedeutung im Median mit 6 Punkten (Mittelwert = 5,95 Pkt.) angegeben. Auf die sich anschließende Frage, wie wichtig ethische Aspekte in der Patientenversorgung genommen werden sollten, wird ein Durchschnitt von 8,63 Punkten erreicht. Bei einer bereits hohen Sensibilität für ethische Fragen wird von allen Berufsgruppen eine intensivere Beachtung der moralrelevanten Aspekte in ihrem Arbeitsumfeld gewünscht. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung der an der Krankenversorgung beteiligten Berufsgruppen fallen dabei unterschiedlich aus. Die Ärzteschaft bewertet die Bedeutung von Ethik für sich selbst (6,03 Pkt.) und die Pflegenden (6,25 Pkt.) etwa gleich hoch. Einen Unterschied äußern die Pflegenden, die sich selbst im Durchschnitt 7,09 Punkte zuschreiben und der Ärzteschaft 4,36 Punkte. Gesamt Klinische Ethik an der MHH Wie wichtig wird Ethik an Ihrem Arbeitsplatz derzeit genommen ... Ärzteschaft Pflege 10 8,63 8 8,72 7,09 6,56 6,25 6,03 6 8,50 5,37 4,36 4 2 0 ... von Ärzteschaft? ... von Pflegenden? Wie wichtig sollte Ethik sein? Abb. 4: Bedeutung von Ethik Probleminhalte Die nächste Frage widmet sich den Inhalten ethischer Konflikte. Es war eine umfangreiche Liste von möglichen Konflikten im klinischen Alltag vorgegeben. Die Befragten wurden gebeten mitzuteilen, ob sie diese Konflikte überhaupt erleben, ob sie eher selten oder häufig auftreten und ob sie das jeweilige Problem für schwerwiegend halten oder nicht. Unter den Problemen, die überhaupt auf Station erlebt werden, liegt die „Qualität der medizinischen Versorgung“ mit 87,8 % der Nennungen an der Spitze, gefolgt von „Wahrung der Menschenwürde“ (83,9 %), „Aufklärung von Patienten“ (83,7 %), „Aufklärung von Angehörigen“ (83,3 %), „Patientenwille (Selbstbestimmung)“ (82,2 %), „allgemeiner/alltäglicher Umgang mit Patienten“ (80,4 %), „Sterbenlassen“ (78,5 %), „Umgang mit psychisch 8 kranken Menschen“ (75,6 %), „medizinische Forschung / Studien“ (75,3 %), „Aufteilung knapper Mittel“ (72,4 %), „Leben künstlich verlängern“ (71,7 %), „ethische Probleme in der Pflege“ (63,7 %), „Schweigepflicht“ (60,6 %), „Apparatemedizin“ (59,1 %), „Transplantation/Organspende“ (55,5 %), „Probleme der Humangenetik“ (24,6 %), „Schwangerschaftsabbruch“ (16,5 %), „Fortpflanzungsmedizin“ (11,6 %). Zwischen den Berufsgruppen ergaben sich leichte Unterschiede in der Reihenfolge der Probleme (siehe Tab. 2). Bei den nachfolgenden Tabellen ist zu berücksichtigen, dass sich die Spalte „Insgesamt“ jeweils aus den Gruppen „Ärzteschaft“, „Pflegende“ und „Andere Berufsgruppen“ zusammensetzt. Dabei sind die „Anderen Berufsgruppen“ jedoch wegen der geringen Zahl der Antwortenden nicht mit dargestellt. Dadurch kann der Rang, den ein Problem „Insgesamt“ einnimmt, von den unter „Ärzteschaft“ und „Pflegende“ genannten Rängen abweichen. Problembereich Insgesamt Ärzteschaft Pflegende Rang Rang Rang (% der Nennungen) (% der Nennungen) (% der Nennungen) 1. Qualität medizinischer Versorgung 2. Wahrung der Menschenwürde 3. Aufklärung von Patienten 4. Aufklärung von Angehörigen 5. Patientenwille (Selbstbestimmung) 6. Allgemeiner / alltäglicher Umgang mit Patienten 7. Sterbenlassen 1. 1. 2. (87,8 %) (89,4 %) (93,2 %) 2. 5. 1. (83,9 %) (79,3 %) (95,3 %) 3. 3. 3. (83,7 %) (82,5 %) (92,5 %) 4. 2. 4. (83,3 %) (83,6 %) (91,1 %) 5. 4. 7. (82,8 %) (81,3 %) (88,7 %) 6. 8. 5. (80,4 %) (74,3 %) (90,6 %) 7. 6. 8. (78,5 %) (79,2 %) (88,2 %) Tab. 2: Probleminhalte, die überhaupt auf Station erlebt wurden (Rangreihenfolge) Die Probleme, die überhaupt auf Station vorkommen, werden nicht automatisch auch als häufig oder schwerwiegend eingeschätzt. Auf die Frage, welche der Probleme häufig auftreten, ergibt sich die in Tab. 3 wiedergegebene Reihenfolge. Probleme, die nur bestimmte Fachabteilungen betreffen, wie etwa Humangenetik, Reproduktionsmedizin oder Schwangerschaftsabbruch, wurden nur von wenigen als häufiges Problem angegeben. „Qualität der medizinischen Versorgung“ als ein fächerübergreifendes Problem war zwar von den meisten Antwortenden als Problem identifiziert worden, jedoch sehen nur 16,5 % dies als ein häufiges Problem an. Die Wichtigkeit, die den einzelnen Konfliktfeldern zugeordnet wurde, folgt einer anderen Verteilung. Über die Reihenfolge der von den einzelnen Beteiligten am häufigsten genannten schwerwiegenden Probleme gibt Tab. 4 Auskunft: Ärzteschaft und Pflegende zeigen eine hohe Übereinstimmung in der Einschätzung, welche Probleme schwerwiegend sind. Hier werden vor allem Probleme der Behandlung am Lebensende genannt. Die zuvor als ‚häufig‘ benannten Probleme der Aufklärung von Patienten oder Angehörigen werden nur von 31,9 % 9 10 bzw. 27,8 % der Befragten auch als schwerwiegend eingeschätzt, ebenso Fragen des allgemeinen Umgangs mit Patienten (20,0 %). Die Anzahl der Antwortenden, die Probleme der Humangenetik, Reproduktionsmedizin und des Schwangerschaftsabbruchs als schwerwiegend einschätzen ist größer als die Zahl derjenigen, die solche Probleme selbst erlebt haben. Hier liegt eine Sensibilisierung für Probleme außerhalb des eigenen Arbeitskontextes vor. Problembereich Insgesamt Ärzteschaft Pflegende Rang Rang Rang (% der Nennungen) (% der Nennungen) (% der Nennungen) 1. Aufklärung von Patienten 2. Wahrung der Menschenwürde 3. Leben künstlich verlängern 4. Aufteilung knapper Mittel 5. Allgemeiner/alltäglicher Umgang mit Patienten 6. Patientenwille (Selbstbestimmung) 7. Aufklärung von Angehörigen 1 1 2 (42,5 %) (39,9 %) (52,0 %) 2 6 3 (37,8 %) (28,9 %) (49,8 %) 3 5 1 (36,9 %) (30,0 %) (52,9 %) 4 2 9 (34,9 %) (34,6 %) (32,5 %) 5 8 5 (34,8 %) (27,5 %) (41,1 %) 6 7 6 (33,0 %) (28,1 %) (39,4 %) 7 3 6 (32,6 %) (32,3 %) (39,4 %) 8 4 4 (31,7 %) (30,5 %) (41,5 %) Insgesamt Ärzteschaft Pflegende Rang Rang Rang 8. Sterbenlassen Tab. 3: Häufige Konflikte (Rangreihenfolge) Problembereich (% der Nennungen) (% der Nennungen) (% der Nennungen) 1. Leben künstlich verlängern 2. Sterbenlassen 3. Qualität der medizinischen Versorgung 4. Transplantation / Organspende 5. Wahrung der Menschenwürde 6. Aufteilung knapper Mittel 7. Patientenwille (Selbstbestimmung) 8. Schwangerschaftsabbruch 1 2 1 (66,9 %) (62,0 %) (72,5 %) 2 1 2 (62,7 %) (63,2 %) (63,1 %) 3 3 3 (53,5 %) (50,4 %) (58,2 %) 4 5 6 (46,5 %) (46,1 %) (45,1 %) 5 8 4 (44,7 %) (30,8 %) (58,2 %) 6 6 8 (43,1 %) (39,8 %) (42,0 %) 7 7 5 (41,4 %) (35,2 %) (48,6 %) 8 4 15 (37,1 %) (46,2 %) (27,0 %) Tab. 4: Reihenfolge der schwerwiegenden Konflikte 11 Konfliktparteien Mit welchen Personenkreisen bestehen oder entstehen ethische Konflikte (vgl. Abb. 5)? Bei den Antwortmöglichkeiten war nach der Häufigkeit der Konflikte mit den genannten Personenkreisen gefragt. In der Auswertung wurden alle Angaben zusammengefasst, die einen monatlichen oder häufigeren Konflikt (wöchentlich, täglich) angaben. Ärztinnen und Ärzte geben zuerst Probleme mit Patienten/innen (50,4 % der Befragten) und Angehörigen (45,7 %) an. Die Konflikte mit ärztlichen Vorgesetzten (36,4 %) werden etwas häufiger genannt als zwischen gleichgeordneten Kollegen/innen (32,2 %). Probleme mit anderen Berufsgruppen werden von 33,2 % der Ärzteschaft angegeben. Die Pflegenden nennen am häufigsten Konflikte mit Kollegen/innen anderer Berufe (51,5 %), dabei vor allem mit Vorgesetzten aus anderen Berufen (49,0 %). Erst nachrangig werden Probleme mit Angehörigen (39,1 %) und Patienten/innen (36,5 %) genannt, etwa gleich häufig wie Probleme der Pflegenden untereinander im Team (39,1 %). Konflikte von Pflegenden mit den Vorgesetzten der eigenen Berufsgruppe sind seltener (18,2 %). Konflikte mit gesetzlichen Betreuern oder der Verwaltung werden von allen Befragten eher selten (21,4 % bzw. 15,0 %) angegeben. Mit beiden Gruppen werden Konflikte häufiger von der Ärzteschaft als von den Pflegenden genannt. Klinische Ethik an der MHH Konflikte mit wem? 60 49,0 Ärzteschaft 45,7 42,3 40 Gesamt 51,5 50,4 Pflege 40,2 38,9 39,1 36,5 39,1 36,4 33,3 32,2 33,2 29,5 25,8 25,2 21,4 20 16,5 18,2 21,4 19,8 15,0 9,7 0 Patient/innen Kolleg/innen anderer Beruf Angehörige Kolleg/innen Vorgesetzte Vorgesetze eigener Beruf anderer Beruf eigener Beruf Betreuer Verwaltung Abb. 5: Konfliktparteien Konfliktursachen Was halten die Antwortenden für die wichtigsten Ursachen von ethischen Konflikten in der Patientenversorgung? Übereinstimmend wird „Zeitmangel“ am häufigsten als Ursache angegeben (50,3 % der Antworten). Es folgen „Hierarchiekonflikte“ (43,7 %), „zu wenig Einfühlungsvermögen/Sensibilität“ (41,8 %), „unklares Vorgehen, wie Entscheidungen getroffen werden“ (39,8 %), „unterschiedliche Wahrnehmung/Einschätzung der Situation“ 12 (39,4 %), „Probleme durch Ablauf und Organisation der Krankenversorgung“ (37,2 %), „mangelnde oder schwierige Kommunikation mit Patienten/Angehörigen“ (36,0 %), „mangelnde oder schwierige Kommunikation im Team“ (35,6 %), „schwierige/umstrittene Folgen von Entscheidungen“ (33,6 %), „persönliche Überlastung“ (32,9 %), „ungenügende Ausbildung/Schulung im Umgang mit ethischen Fragen“ (31,3 %), „fehlende Übernahme von Verantwortung“ (29,6 %), „bestimmte Anforderungen stehen in Konflikt mit meinem eigenen Gewissen“ (25,5 %). Seltener genannt wurden religiöse oder kulturelle Unterschiede, fehlendes Wissen oder mangelndes Vertrauen. Sowohl zwischen den Berufsgruppen als auch zwischen Personen mit oder ohne Leitungsfunktion lassen sich Unterschiede feststellen (vgl. Tab. 5). „Kommunikationsprobleme im Stationsteam“, „unklare Entscheidungsfindung“, „geringe Sensibilität“ und „schlechte Ausbildung in Ethik“ werden von Pflegenden häufiger als von Ärzten/innen als Konfliktursache gesehen. Die Ärzteschaft nennt „umstrittene Folgen von Entscheidungen“, „Organisationsprobleme“ und „fehlende Übernahme von Verantwortung“ häufiger als Konfliktursache 1. Zeitmangel 2. Hierarchiekonflikte 3. Mangelnde Sensibilität 4. Unklare Entscheidungsfindung 5. Unterschiedliche Wahrnehmung der Situation 6. Organisationsprobleme Insgesamt Ärzteschaft Pflege Leitung Übrige Leitung Übrige Rang Rang Rang Rang Rang (%) (%) (%) (%) (%) 1 5 1 2 1 (50,3 %) (29,9 %) (51,0 %) (58,7 %) (56,0 %) 2 8 2 7 2 (43,7 %) (21,8 %) (40,3 %) (41,3 %) (54,3 %) 3 6 7 10 3 (41,8 %) (28,7 %) (30,6 %) (30,4 %) (53,1 %) 4 8 5 3 4 (39,8 %) (21,8 %) (35,2 %) (50,0 %) (49,1 %) 5 1 5 1 9 (39,4 %) (37,9 %) (35,2 %). (60,9 %) (37,1 %) 6 2 3 5 10 (37,2 %) (36,8 %) (38,3 %) (43,5 %) (34,3 %) 7. Kommunikationsprobleme mit Patienten/Angehörigen 7 2 10 8 7 (36,0 %) (36,8 %) (30,1 %) (37,0 %) (37,7 %) 8. Kommunikationsprobleme im Team 8 11 11 4 5 (35,6 %) (19,5 %) (28,1 %) (47,8 %) (46,3 %) 9. Umstrittene Folgen von Entscheidungen 9 4 4 12 11 (33,6 %) (34,5 %) (37,8 %) (26,1 %) (32,6 %) Tab. 5: Konfliktursachen die Pflegenden als Konfliktursachen. „Hierarchiekonflikte“, „Zeitmangel“, „persönliche Überlastung“ und „eigene Gewissenskonflikte“ werden vor allem von den Ärzten/innen und Pflegenden ohne Leitungsposition als Konfliktursachen genannt. Von den ärztlichen Leitungspersonen werden die Aspekte „Zeitmangel“, „Hierarchiekonflikte“, „unklare 13 Entscheidungsfindung“ und „Kommunikationsprobleme im Stationsteam“ im Verhältnis zu den anderen befragten Gruppen seltener genannt. Dafür treten aus Sicht ärztlicher Leitungspersonen eher die Ursachen „Kommunikationsprobleme mit Patienten/Angehörigen“, „Organisationsprobleme“ und „unterschiedliche Wahrnehmung der Situation“ in den Vordergrund. Ansprechpartner für Konflikte Mit wem werden die ethischen Probleme besprochen? Für die Auswertung wurden alle Antworten zusammengefasst, die ein monatliches oder häufigeres (wöchentliches, tägliches) Gespräch mit der jeweiligen Personengruppe benennen. Ethische Konflikte werden – durch alle Berufsgruppen hindurch – vor allem mit Kollegen/innen und unter Freunden oder in der Familie besprochen. Dabei werden Kollegen/innen der eigenen Berufsgruppe am häufigsten (74,5 %) angesprochen, Familie und Freunde folgen bei 65,6 % der Antwortenden. Es folgen etwa gleichrangig die Kollegen/innen anderer Berufe mit 64,3 %. Das Gespräch mit Vorgesetzten wird von 35,1 % der Befragten genutzt. Gespräche mit Fachleuten aus den Bereichen Psychologie, Supervision, Seelsorge o.ä. nutzen insgesamt 14,6 % der Befragten. Die Frage, ob kompetente Ansprechpartner/innen für ethische Probleme an der MHH derzeit vermisst werden, wird zwischen den Berufsgruppen und innerhalb der Berufshierarchien unterschiedlich beantwortet (vgl. Abb. 6). Die Zahl derjenigen, die sich mehr kompetente Beratungsangebote wünschen steigt von den Ärzten/innen in Leitungsposition (41,5 %) über die Ärzte/innen ohne Leitungsfunktion (53,5 %) und die Pflegenden in Leitungsposition (64,2 %) bis zu den Pflegenden an der Basis (70,2 %). Klinische Ethik an der MHH Ansprechpartner in der Hochschule 80 Ärzte: Leitung 70,2 Ärzte: übrige 64,2 Pflege: Leitung 60 53,5 Pflege: übrige 41,5 40 30,8 26,8 25,7 25,0 22,0 20 15,5 14,2 10,3 0 "Ich vermisse kompetente Ansprechpartner" "Es gibt genügend kompetente Ansprechpartner" Abb. 6: Wer vermisst Ansprechpartner/innen? 14 "Ich benötige keine Ansprechpartner" Fragen zum KEK Das „Klinische Ethik-Komitee der MHH“ (KEK) ist knapp zwei Dritteln der Befragten bereits bekannt, und zwar in allen Berufsgruppen gleichermaßen. Auf die Frage, welche Aufgaben und Funktionen von dem KEK erfüllt werden sollen, ergab sich folgendes Bild: 7,7 % der Befragten haben keine Erwartungen oder Wünsche an das KEK. Von 72 % der Befragten wurde konkret eine Beratung in Konfliktfällen gewünscht, und zwar sowohl im Nachhinein (in der Rückschau) als auch während der Konflikt besteht/andauert. Dabei wird eine über die Beratung hinausgehende Entscheidung des Konflikts durch das KEK überwiegend abgelehnt und nur von 21,6 % gewollt. Als nächst wichtige Aufgabe wird die Information und Weiterbildung von 55,1 % der Befragten gewünscht. Die Erarbeitung von Leitlinien für ethische Probleme an der MHH erwarten 51 % der Befragten. Damit decken sich die drei am häufigsten genannten Bedürfnisse der Mitarbeiterschaft an das KEK mit den in der Satzung festgeschriebenen Aufgabenbereichen. Die Punkte „höhere Patientenzufriedenheit“ (45,3 %), „Hilfestellung bei Kommunikation“ (39,0 %), „höhere Arbeitszufriedenheit“ (38,3 %), „persönliche Entlastung“ (25,0 %), „besseres Gewissen“ (24,6 %) und „weniger Konflikte auf Station“ (22,8 %) werden im Schnitt von den Pflegenden häufiger angesprochen als von der Ärzteschaft. 15 IV. Interpretationen der Ergebnisse Die Befragung zeigt, dass sich eine große Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der MHH in ihrem Arbeitsalltag mit ethischen Fragen auseinandersetzt. Die Antwortenden fühlen sich für diesen Bereich verantwortlich und nehmen ihn in der Berufsausübung ernst. Bei der Interpretation der gewonnenen Ergebnisse ist aber zu beachten, dass etwa 65 % der befragten Ärztinnen und Ärzte sowie 85 % der befragten Pflegenden nicht an der Umfrage teilgenommen haben. Über die Gründe einer Nicht-Teilnahme lässt sich nur spekulieren. Wie bei jeder Umfrage werden die Interpretationen jedoch anhand der eingegangenen Daten vorgenommen. Ob von den Befragten nur eine bestimmte Auswahl von Personen geantwortet hat, bleibt offen. Eine solche Selektion innerhalb der Befragten kann aus methodischen Gründen weder ausgeschlossen, noch darf sie systematisch unterstellt werden. Ethische Konflikte sind im Arbeitsalltag an der MHH allgegenwärtig. Es gibt kaum Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Krankenversorgung, die keine ethischen Konflikte angeben. Diese Konflikte werden als belastend beschrieben. Etwa 10 % der Beschäftigten erleben sogar täglich belastende ethische Konflikte an ihrem Arbeitsplatz. Von den Pflegenden geben etwa ein Drittel, von der Ärzteschaft etwa ein Fünftel eine hohe Belastung durch ethische Konflikte an. Dabei sind sich alle Befragten einig, dass Ethik derzeit bereits einen wichtigen Stellenwert in ihrer Arbeit einnimmt, aber in Zukunft noch deutlich wichtiger genommen werden sollte. Damit benennen alle Beschäftigten der MHH eine gemeinsame Konfliktbühne, auf der die Konflikte in der Patientenversorgung bearbeitet werden können. Auch über Inhalte und Gewichtung der Konflikte besteht Einigkeit bei allen Befragten: An der MHH werden häufig Probleme der Aufklärung von Patienten/innen, der Menschenwürde, der künstlichen Lebensverlängerung und der Mittelverteilung in der Medizin erlebt. Als schwerwiegende Konflikte werden vor allem Entscheidungen am Lebensende und die Qualität der medizinischen Versorgung angegeben. Auf der gemeinsamen Konfliktbühne benennen die Befragten vorrangige Problemfelder und -schwerpunkte ebenso wie deren Dringlichkeit weitgehend einheitlich. Auf der oben beschriebenen Basis der gemeinsamen Problemwahrnehmung ist interessant, dass die Selbst- und Fremdeinschätzung von Pflegenden und Ärzten/innen voneinander abweichen. Auf die Frage „Wie wichtig werden ethische Gesichtspunkte an Ihrem Arbeitsplatz derzeit genommen?“ geben Ärzte/innen an, dass Pflegende Ethik etwa so wichtig nehmen wie sie selbst. Aus Sicht der Pflegenden hingegen nehmen sie selbst Ethik deutlich wichtiger als die Ärzteschaft. Welche Interpretationen können diese voneinander abweichenden Wahrnehmungen erklären? Zunächst ist festzuhalten, dass die Ärzteschaft ihr Interesse an ethischen Fragen durch eine vergleichsweise hohe Beteiligung an der Umfrage deutlich gezeigt hat. Warum wird deren Engagement von Pflegenden nicht in vollem Umfang wahrgenommen? Als Ursache kommt am ehesten eine unzureichende und/oder missverständliche Kommunikation über ethische Fragen in Betracht. Möglicherweise erleben Pflegende zu wenig, wann und wo moralische Belange in die ärztliche Entscheidungsfindung eingehen. Dadurch wird die ärztliche Entscheidung als solche nicht weniger moralisch, problematisch erscheint eher die lückenhafte Transparenz der Entscheidungsfindung. Als Ursachen für diese unzureichende Kommunikation haben Zeitmangel und hohe Leistungsanforderung einen zentralen Stellenwert. Jede Berufsgruppe muss innerhalb ihrer Dienstzeit ein hohes Maß an Leistung erbringen und es bleibt zu wenig Zeit für den Austausch zwischen Pflegenden und Ärzten/innen. Zwar geben etwa zwei Drittel der 16 Befragten an, regelmäßig Gespräche über ethische Fragen mit Kollegen/innen aus anderen Berufsgruppen zu führen, aber solche (persönlichen) Einzelgespräche ersetzen offenbar nicht den regelmäßigen, interprofessionellen Dialog. Zeitmangel wird von den Befragten als Hauptursache ethischer Konflikte gesehen. Hinzu kommen Hierarchieprobleme, mangelnde Sensibilität von Beteiligten, unklare Prozesse der Entscheidungsfindung und unterschiedliche Wahrnehmung der kritischen Situationen. Die Auswirkungen der genannten Konfliktursachen im Stationsalltag lassen sich durch eine Verbesserung der Kommunikationsstrukturen ebenfalls positiv beeinflussen. Da viele der Befragten die Hierarchieproblematik als bedeutsam anführen, ist auch eine andere Interpretation der Daten denkbar: Möglicherweise werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Konflikte benannt, die aufgrund beruflicher Hierarchien entstehen, die aber nicht primär ethische Konflikte sind. Hier könnte die Medizinethik unbemerkt zu einem Ersatzschauplatz für Konflikte werden, die zwar über Fragen der Ethik ausgetragen werden, nicht aber dort entstanden sind. In dem Fall sollte jedoch zumindest untersucht werden, welche Auswirkungen Hierarchiekonflikte auf ethische Probleme und deren Lösung haben. Da auch mangelnde Sensibilität und unterschiedliche Wahrnehmung von Situationen häufig als Konfliktursache genannt werden, liegt die Interpretation nahe, dass die Befragten unterschiedliche Blickwinkel auf Ethik haben. Tatsächlich unterscheiden sich die Bereiche der Pflegeethik und der ärztlichen Ethik inhaltlich voneinander. Falls es zutrifft, dass eine unzureichende Wahrnehmung der ethischen Probleme der jeweils anderen Berufsgruppe vorliegt, sollte auch hier die interprofessionelle Kommunikation gefördert werden. Dadurch kann der eigene Blickwinkel auf Ethik um den Blickwinkel der anderen erweitert werden, um zu einem umfassenderen Verständnis von Ethik zu gelangen. Dabei sollten professionsspezifische Fragen der medizinischen Ethik der jeweiligen Berufsgruppe zugeordnet bleiben. Die gemeinsamen Fragen sollten dann aber auch gemeinsam in wechselseitigem Respekt diskutiert werden. Ärzte und Ärztinnen erleben ethische Konflikte am häufigsten in Bezug auf Patienten/innen und Angehörige. Das Pflegepersonal hingegen benennt am häufigsten Konflikte mit Kollegen/innen und Vorgesetzten aus anderen Berufsgruppen und meint damit die Ärzteschaft. Während die Ärzteschaft bei ihrer Tätigkeit die Konflikte in der direkten Auseinandersetzung mit Patienten und Angehörigen erlebt (Aufklärung, Patientenwille, Sterbebegleitung etc.), sieht sich das Pflegepersonal mit den Folgen ärztlicher Entscheidungen konfrontiert. Es bedarf einer institutionalisierten Kommunikationsebene, damit diese Entscheidungen nachvollzogen und die Folgen mitgetragen werden können. Die Beschäftigten der MHH verfügen über ein ausgeprägtes Bewusstsein für ethischmoralische Konflikte. Diese sind Gegenstand von zahlreichen Gesprächen im professionellen Umfeld (vor allem mit Kollegen/innen, aber auch mit Vorgesetzten) und im privaten Bereich. Viele Befragte wünschen darüber hinaus zusätzliche Ansprechpartner/innen, insbesondere die Pflegenden und Ärzte/innen, die auf Station „an der Basis“ arbeiten. Es besteht ein deutlicher Bedarf an kompetenter Unterstützung und Beratung im Umgang mit ethisch schwierigen Situationen und Entscheidungen. In dem Zusammenhang verfügt das KEK bereits über einen hohen Bekanntheitsgrad an der MHH. Die Aufgaben, die das KEK nach Wunsch der Befragten übernehmen soll, sind vor allem Fallberatungen, Information und Weiterbildung sowie das Erstellen von Leitlinien für die MHH. Diese Bedürfnisse der Mitarbeiterschaft decken sich mit dem Auftrag, den die Mitglieder des KEK in seiner Satzung definiert haben. 17 V. Schlussfolgerungen Was bedeuten die Ergebnisse und ihre Interpretationen für das KEK? Welche Schlussfolgerungen zieht das KEK für die Planung seiner weiteren Arbeit? Zunächst stellt sich die Frage nach den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den Fragebogen nicht zurückgeschickt haben. Das KEK fühlt sich verpflichtet nachzuspüren, warum die Mehrheit der Befragten an der Umfrage nicht teilgenommen hat. Ist dies ein Ausdruck hoher Arbeitsbelastung? Sehen und erleben diese Befragten keine ethisch problematischen Situationen und antworten deshalb nicht? Haben diese Befragten keine ethischen Konflikte, weil sie in ihrem Arbeitsumfeld auf eine allseits akzeptierte Basis von Wertvorstellungen zurückgreifen können? Haben sich eher Mitarbeiter/innen beteiligt, die das KEK bereits kennen? Zahlreiche Gespräche der Mitglieder des KEK und die Alltagserfahrung auf den Stationen bestätigen allerdings den Eindruck, der in den Interpretationen wiedergegeben ist. Die zentrale Aussage der Befragung ist nach unserer Einschätzung, dass die von allen gewünschten Verbesserungen nur realisierbar sind durch eine kontinuierliche, institutionalisierte und interprofessionelle Kommunikation über ethische Themen auf Station. Nur so kann ein höheres Maß an Transparenz von Entscheidungen, mehr fachlicher Austausch über Entscheidungshintergründe und mehr gemeinsame Entscheidungsfindung entstehen. Das KEK wird versuchen, diese Prozesse durch gezielte Fortbildungs- und Gesprächsangebote zu fördern. Dabei kann es notwendig sein, dass das KEK eine Vermittlerrolle zwischen Pflege und Ärzteschaft einnimmt. Wir verstehen diesen Austausch über Ethik als Teil der professionellen Aufgaben an der MHH und wollen durch unsere Gesprächsangebote verhindern, dass der Gesprächsbedarf in den privaten Bereich und damit in die Freizeit verlagert wird. Viele der Befragten erleben ethische Konflikte in den Bereichen „Aufklärung von Patienten und Angehörigen“, „Wahrung der Menschenwürde“, „Patientenwille (Selbstbestimmung)“ und „alltäglicher Umgang mit Patienten“. Diese Themen sollten vom KEK als Inhalte von Fortbildungs- und Diskussionsangeboten für alle Berufsgruppen aufgegriffen werden. Wir bemühen uns einerseits um berufsgruppenbezogene Angebote, um die spezifischen Inhalte der Ethik zu bearbeiten. Andererseits werden wir dabei jedoch die verbindenden Angebote zwischen den Berufsgruppen als übergeordnetes Ziel beachten. Schwerwiegende Konflikte werden in den Bereichen „Sterben lassen“, „Leben künstlich verlängern“, „Qualität der medizinischen Versorgung“, „Transplantation und Organspende“ gesehen. Aus diesen Bereichen kamen die bisherigen Anfragen für Fallberatungen. Das KEK geht davon aus, dass auch weiterhin die sehr schwierigen Entscheidungen in den Bereichen Therapieabbruch, Sterbebegleitung und Behandlungsqualität zu Beratungsanfragen führen werden. Wir werden weitere Maßnahmen zur internen Fortbildung durchführen, um gezielt unsere Kompetenz für diese Problembereiche zu erweitern. Langfristig ist das KEK darauf eingerichtet, in den wiederkehrenden und brisanten Problembereichen auf Antrag Leitlinien zu erarbeiten. Wichtig ist uns hierbei, zu einem Konsens zwischen allen Beteiligten zu kommen. Die während dieses Prozesses stattfindende Selbstvergewisserung über die Grundlagen der eigenen Ethik fördert bereits den reflektierten Umgang mit dem Problembereich. Darüber hinaus können alle Beteiligten auf die Leitlinien bei ähnlichen Konfliktfällen zurückgreifen. Das KEK sieht sich durch die Ergebnisse der Befragung in seinem Auftrag und in seiner Arbeitsweise bestätigt. Die Bekanntheit des KEK ist erfreulich hoch. Da aber ein Drittel der Befragten das KEK nicht kennen, ist weitere gezielte Öffentlichkeitsarbeit notwendig. 18 VI. Anhang Danksagung Wir danken allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich an der Umfrage beteiligt haben und die unsere Gesprächsangebote zur Medizinethik so fruchtbar aufgegriffen haben. Bei der Versendung der Fragebögen haben uns Frau H. Grages, Frau B. Hartmann und Herr cand. med. T. Ripperger sehr geholfen. Ohne die Unterstützung von Herrn cand. med. M. Kaczinski wären wohl immer noch einige Fragebögen nicht in den Computer übertragen... An alle ein herzliches Dankeschön! Im Namen des KEK: Dr. Gerald Neitzke Ingo Wilhelm Charlotte Wilken Dr. Sabine Kuhn 19 Das Anschreiben zum Fragebogen im Original: Ethik im Arbeitsalltag an der MHH und das Klinische Ethik-Komitee (KEK) Persönlich „Anrede, Titel, Vorname, Zusatz, Nachname“ OE, MHH Umfrage Hannover im Mai 2001 Sehr geehrte/r Herr/Frau „Titel, Zusatz, Nachname“! Bitte nehmen Sie sich einige Minuten Zeit zum Ausfüllen dieses Fragebogens. Diese Umfrage wird durchgeführt vom Klinischen Ethik-Komitee (KEK) der MHH. Die Umfrage richtet sich an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der MHH, die in der Krankenversorgung arbeiten. Ziel ist es herauszufinden, welche ethischen Konflikte auftreten, und mit welcher Häufigkeit. Zusätzlich haben Sie die Gelegenheit, Ihre Erwartungen an das KEK mitzuteilen. Das Beratungsangebot durch das KEK wird sich daran orientieren. Viele der Fragen beziehen sich auf „ethische Konflikte“. Darunter fällt alles, was Sie selbst als moralisches oder ethisches Problem im Zusammenhang mit der Krankenversorgung verstehen. Bitte trennen Sie dieses Anschreiben von dem Fragebogen. Wir werten die Antworten anonym aus. Bitte schicken Sie die ausgefüllten Fragebögen innerhalb von 10 Tagen per Hauspost zurück an das KEK z.H. Dr. G. Neitzke OE 5450 MHH Wir freuen uns ebenfalls über Kommentare und Ergänzungen zum Fragebogen sowie zur Arbeit des KEK. Bitte wenden Sie sich an die untenstehende Kontaktadresse. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Kontakt: Dr. Gerald Neitzke (komm. Vorsitzender des KEK), OE 5450, MHH Tel.: 532 – 4271, e-mail: [email protected] 20 Der Fragebogen im Original: I. Fragen zur Ethik in Ihrem Arbeitsbereich 1. Haben Sie in den letzten 12 Monaten in Ihrem Arbeitsbereich ethische Konflikte erlebt? o ja, und zwar ... o eher täglich o eher wöchentlich o eher monatlich o seltener o nein (à bitte weiter mit Frage 4) 2. Haben Sie ethische Konflikte in Ihrem Arbeitsbereich erlebt, die Sie persönlich belasten? o ja, und zwar ... o eher täglich o eher wöchentlich o eher monatlich o seltener o nein (à bitte weiter mit Frage 4) 3. Wie stark belasten diese ethischen Konflikte Sie persönlich in Ihrem Arbeitsbereich? keine Belastung 1 2 sehr starke Belastung 3 4 5 6 7 8 9 10 4. Welche inhaltlichen Bereiche führen in Ihrem Arbeitsbereich zu ethischen Konflikten und für wie schwerwiegend halten Sie diese? (Bitte 2 Kreuze pro Zeile!) Häufigkeit Sterbenlassen Leben künstlich verlängern Patientenwille (Selbstbestimmung) Aufklärung von Patienten Aufklärung von Angehörigen Schweigepflicht allgemeiner/alltäglicher Umgang mit Patienten Wahrung der Menschenwürde ethische Probleme in der Pflege medizinische Forschung / Studien Transplantation (Organspende/Organvergabe) Apparatemedizin Aufteilung knapper Mittel Qualität der medizinischen Versorgung (z.B. Behandlungsfehler) Fortpflanzungsmedizin (z.B. künstliche Befruchtung, IvF) Schwangerschaftsabbruch Probleme der Humangenetik (z.B. Gentests, pränatale Diagnostik) Umgang mit psychisch kranken Menschen sonstige, nämlich: ... 21 Wichtigkeit nie eher selten eher häufig leichtere Konflikte schwerwiegende Konflikte o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o 5. Es gibt unterschiedliche Arten von Konflikten, die auftreten können. Es geht hier nur um ethische Konflikte. Kreuzen Sie bitte an, in Bezug auf welche Personengruppen Sie solche Probleme erlebt haben! Konflikte mit eher täglich eher eher wöchentlich monatlich o o o o o o o o Kollegen/innen aus der eigenen Berufsgruppe Kollegen/innen aus anderen Berufsgruppen Vorgesetzten aus der eigenen Berufsgruppe Vorgesetzten aus anderen Berufsgruppen Patienten/innen Angehörigen von Patienten/innen Betreuern von Patienten/innen Verwaltung o o o o o o o o seltener nie o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o anderen, und zwar: ... 6. Was halten Sie für die Ursachen dieser Konflikte? (Bitte nur die wichtigsten angeben!) o o o o o o o o o o o o o o o o o mangelnde oder schwierige Kommunikation mit Patienten/Angehörigen mangelnde oder schwierige Kommunikation im Behandlungsteam Hierarchie-Konflikte Probleme durch Ablauf und Organisation der Krankenversorgung unklares Vorgehen, wie Entscheidungen getroffen werden schwierige/umstrittene Folgen von Entscheidungen religiöse oder kulturelle Unterschiede bestimmte Anforderungen stehen in Konflikt mit meinem eigenen Gewissen fehlendes Vertrauen zu wenig Einfühlungsvermögen/Sensibilität von Beteiligten fehlende Übernahme von Verantwortung mangelndes Wissen ungenügende Ausbildung/Schulung im Umgang mit ethischen Fragen persönliche Überlastung Zeitmangel unterschiedliche Wahrnehmung/Einschätzung von Situationen anderes, nämlich: ... 7. Wie wichtig werden ethische Gesichtspunkte an Ihrem Arbeitsplatz derzeit genommen ... ... von Pflegenden? ... von Ärztinnen/Ärzten? sehr unwichtig 1 2 sehr wichtig 3 4 5 6 7 8 9 sehr unwichtig 10 1 2 sehr wichtig 3 4 5 6 7 8 9 10 8. Wie wichtig sollten ethische Gesichtspunkte Ihrer Meinung nach an Ihrem Arbeitsplatz von allen genommen werden? sehr unwichtig 1 2 sehr wichtig 3 4 5 22 6 7 8 9 10 9. Mit wem besprechen Sie ethische Konflikte? eher täglich Mit Kollegen/innen der eigenen Berufsgruppe Mit anderen Kollegen/innen im Team Mit Vorgesetzten Privat in der Familie / mit Freunden Mit Fachleuten, z.B. Seelsorgern In Beratungs- / Supervisions-Einrichtungen eher eher wöchentlich monatlich o o o o o o o o o o o o o o o o o o seltener nie o o o o o o o o o o o o Anderes, nämlich: ... 10. Gibt es für Sie an der MHH genügend kompetente Ansprechpartner/innen für ethische Fragen? o Ja, es gibt genügend kompetente Gesprächspartner/innen an der MHH. o Nein, ich vermisse kompetente Ansprechpartner/innen an der MHH. o Ich benötige keine Ansprechpartner/innen an der MHH. II. Fragen zum Klinischen Ethik-Komitee (KEK) 11. Ich habe schon vom KEK gehört: o ja o nein 12. Was wünschen Sie sich von der Arbeit des KEK? (Mehrfachnennungen möglich!) o nichts, in meinem Arbeitsbereich werden alle ethischen Fragen angemessen behandelt o Beratung betroffener Personen in ethischen Konfliktfällen o während der Konflikt andauert o im Nachhinein (retrospektiv) o Entscheidung von ethischen Konfliktfällen durch das KEK o Erarbeitung von Leitlinien für häufige ethische Probleme in der Krankenversorgung o Information und Weiterbildung in Fragen der Medizinethik o mehr Gespräche über Ethik auf meiner Station o Hilfestellung bei Kommunikation o im Team o mit Vorgesetzten o mit Patienten/innen o mit Angehörigen o weniger Konflikte im Stationsalltag o höhere Zufriedenheit am Arbeitsplatz o persönliche Entlastung o besseres Gewissen am Arbeitsplatz o höhere Zufriedenheit der Patienten/innen mit ihrer Betreuung o anderes, nämlich: ... 23 III. Persönliche Angaben 13. Ich bin o weiblich o männlich o 20-29 o 30-39 14. Alter: Ich bin o unter 20 o 40-49 o 50-59 15. Ich arbeite in der Krankenversorgung mit direktem Patientenkontakt o60 oder älter o ja o nein 16. Ich arbeite als oÄrztin/Arzt o in leitender Funktion (d.h. Oberarzt/-ärztin, C3, C4) oKrankenschwester/Pfleger o in leitender Funktion (PDL, Stationsleitung/Stellvertretung) oin einem anderen therapeutischen Beruf (KG, Logopädie, Psychologie etc.) oVerwaltungspersonal auf Station onicht-ärztliche/r Wissenschaftler/in oTechnische/r Angestellte/r (MTA, RTA etc.) oSozialdienst, Seelsorge oder Vergleichbares oanderes, nämlich: ... 17. Hier ist Platz für Ihre Kommentare zum Fragebogen oder Anregungen an das KEK: Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Unterstützung! Ausgefüllte Fragebögen, Kommentare und Anregungen F bitte zurück an OE 5450 E Ende des Fragebogens 24