Jan Zalasiewicz Die Erde nach uns Der Mensch als Fossil der fernen Zukunft Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Schalipp Originaltitel: The Earth After Us – What Legacy will Humans Leave in the Rocks? Die amerikanische Originalausgabe ist erschienen bei Oxford University Press Inc., New York, USA Copyright © 2008 Jan Zalasiewicz The Earth After Us: What Legacy will Humans Leave in the Rocks, Àrst edition, was originally published in English in 2008. This translation is published by arrangement with Oxford University Press. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Schalipp Wichtiger Hinweis für den Benutzer Der Verlag, der Herausgeber und die Autoren haben alle Sorgfalt walten lassen, um vollständige und akkurate Informationen in diesem Buch zu publizieren. Der Verlag übernimmt weder Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für die Nutzung dieser Informationen, für deren Wirtschaftlichkeit oder fehlerfreie Funktion für einen bestimmten Zweck. 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Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2009 Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint von Springer 09 10 11 12 13 5 4 3 2 1 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, MikroverÀlmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Planung und Lektorat: Frank Wigger, Sabine Bartels Redaktion: Dr. Jens Seeling Herstellung und Satz: Crest Premedia Solutions (P) Ltd, Pune, Maharashtra, India Umschlaggestaltung: wsp design Werbeagentur GmbH, Heidelberg TitelfotograÀe: © Fotolia, iStockphoto ISBN 978-3-8274-2302-3 Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Geologische Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII Prolog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV 1. Ein erster Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. In 100 Millionen Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3. Schichtarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. Der tektonische Aufzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5. Hochwasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 6. Dynastien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7. Widerhall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 8. Spuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 9. Indizienkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 10. Das Treffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 7 Widerhall Es scheint, als sei dieser Planet nicht immer wohlwollend mit dem Leben umgegangen. Wir konnten aus den Organismen endlich so etwas wie eine Geschichte konstruieren. Der ganze Prozess ist zäh und unsere Technologie war uns nicht immer eine große Hilfe. Unsere Wissenschaftler machen das aber mit engagiertem und unermüdlichem Improvisieren wett. Sie scheinen an solch primitivem Sammeln von Daten sogar Gefallen zu Ànden. Wir haben hitzige Debatten geführt, was die gefundenen Daten bedeuten könnten, doch jetzt bin ich überzeugt. Es gibt stichhaltige Beweise dafür, dass schwere Störungen die Vielfalt dieser Lebensformen drastisch reduziert haben. Wie diese Störungen im Einzelnen ausgesehen haben, ist schwer zu sagen; für die meisten Fälle stehen einige offensichtliche Möglichkeiten zur Auswahl. In einem Fall sieht es allerdings schwierig aus. 168 Die Erde nach uns Auf der Suche nach der Zeit vor 100 Millionen Jahren Es wird wohl der Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen gleichen. In 100 Millionen Jahren werden die Schichten, in denen man erkennbare Fossilien von mehrzelligen Lebewesen Ànden wird, einem Zeitraum von 640 Millionen Jahren entsprechen und sich zu einer Mächtigkeit von vielen Kilometern aufgetürmt haben. Und irgendwo zwischen den endlos scheinenden Schichtenbergen könnte diese bestimmte Schicht liegen, in der die Spuren der Menschheit erhalten sind, um von den neugierigen Besuchern entdeckt zu werden. Werden sie diese Schicht zufällig Ànden? Oder werden unsere außerirdischen Forscher auf sie stoßen, nachdem sie eine lange Spur von Hinweisen verfolgt haben, so wie die Signale des Verbrechens selbst einen Kommissar schließlich zum Täter führt: die verprasste Beute, die verstreuten Fundorte der Opfer, der Schaden an fremdem Eigentum, die Orgie in Monte Carlo. Im Falle der Menschheit gab es das alles, Opfer, Schäden und gestohlenes Eigentum – hier haben wir es mit Straftaten zu tun, die im Kosmos ihresgleichen suchen. Diese Tat wird einen Widerhall hinterlassen, Kollateralschäden, die in der fernen Zukunft als Wegweiser diesen könnten. Einige dieser Wegweiser werden vielleicht in eine klare Richtung deuten und zum Vermächtnis eines Raubzugs führen, der ziemlich ungewöhnlich war, und zwar in planetarischen Maßstäben. Doch zu allererst muss man sich entscheiden: Wie mächtig soll die geologische Schicht sein, die man zur Untersuchung auswählt, um in ihr nach den Spuren einer vergangenen Zivilisation zu suchen? Ein erster Ansatz wäre vielleicht eine Schicht, die einem Intervall von 10 000 Jahren entspricht. Für uns Menschen ist das ein sehr langer Zeitraum (man versuche einmal in Gedanken, 10 000 Jahre in die Zukunft zu schauen). Geologisch gesehen sind 10 000 Jahre aber so gut wie nichts. Eine Million Jahre beinhaltet diesen Zeitraum bereits einhundert Mal, wobei auch eine Million Jahre immer noch geologisches Kleingeld sind. Es gibt trotzdem einige gute Gründe, warum man gerade diese Zeitspanne auswählen soll- 7 Widerhall 169 te. Diese 10 000 Jahre repräsentieren nämlich den Zeitabschnitt, in dem die Aktivitäten des Menschen einen nachweisbaren Abdruck im geologischen Datensatz hinterlassen haben sollten – einen Abdruck, der weit mehr darstellen sollte als einen sonderbaren, nirgendwo anderes aufzuÀndenden Knochen eines nicht einzuordnenden zweibeinigen Hominiden. 10 000 Jahre vor unserer Zeit verschwand die Hälfte der großen Säugetiere für immer vom Antlitz der Erde, und es wird immer wahrscheinlicher, dass hierfür jagende Menschen verantwortlich waren. Nun werden die Knochen großer Säugetiere in 100 Millionen Jahren wahrscheinlich genauso selten sein, wie es die Knochen von Dinosauriern heute sind, so dass dieses plötzliche Verschwinden zunächst gar nicht so offensichtlich sein wird. Doch das plötzliche Abbrechen von verschiedenen, sehr weit zurückreichenden Stammbäumen könnte eventuell doch die Aufmerksamkeit der Wirbeltier-Paläontologen in ferner Zukunft erregen. Es ist der erste große Abdruck, den die Menschheit der Welt hinterlassen hat. Würde man diese Spanne von 10 000 Jahren auf 5000 Jahre halbieren, dann träten diese Auswirkungen vielleicht sogar noch deutlicher hervor. Zu diesem Zeitpunkt hatten viele Menschen das ausschließliche Jagen und Sammeln aufgegeben, wurden sesshaft und begannen mit dem Anbau von Feldfrüchten. An verschiedenen Stellen der Erde erschienen die ersten kultivierten Felder und ersetzten die vorhandenen natürlichen Wälder und Grasländer. Die AnbauÁächen wurden immer größer und bedeckten schließlich ganze Landstriche. Den ersten richtigen globalen Wirkungstreffer empÀng die Erde allerdings erst mit dem Beginn der industriellen Revolution, als sowohl die Zahl der Menschen als auch die Ausbeutung der Rohstoffe, Energien und des Landes exponentiell anstieg – eine Entwicklung, die bis heute anhält. Die Spanne des wirklichen menschlichen EinÁusses auf die neu entstehenden geologischen Formationen umfasst daher nicht mehr als ein paar Hundert Jahre, was in geologischen Maßstäben absolut unbedeutend ist. In den meisten alten Schichten erscheint ein Intervall von solch kurzer Dauer bestenfalls als kurzer 170 Die Erde nach uns Augenblick, kaum zu unterscheiden von dem plötzlichen Ereignis eines Meteoriteneinschlags. Somit ist das Zeitintervall, das der Mensch in den Schichten hinterlassen wird, eher knapp bemessen. Aber wo wird es am Ende liegen, und mit welcher Mächtigkeit? Die Antwort auf diese Frage wird man wahrscheinlich nicht Ànden, wenn man 100 Millionen Jahre in die Zukunft blickt, sondern wenn man in die Vergangenheit zurückschaut. Wenden wir uns hierzu den Schichten zu, die im Zeitraum zwischen 100 Millionen Jahren und 100 Millionen Jahren plus 10 000 Jahren vor unserer Zeit entstanden sind. Verfolgen wir diese Schichten über Länder und Meere, dann werden wir vielleicht eine Vorstellung davon bekommen, welche Indizien auf unsere außerirdischen Forscher der fernen Zukunft warten werden. Also gut: vor 100 Millionen Jahren – aber wo liegt diese Zeit in der geologischen Zeittafel? Nun, ganz exakt können wir das nicht sagen, wir können aber eine vernünftige Schätzung vornehmen, die eine Genauigkeit von etwa einer Million Jahren haben sollte. nach den neusten Einschätzungen würde uns diese Zeitspanne ganz nahe an den Anfang des Cenomans bringen, einer Stufe in der Kreidezeit, die wiederum im Mesozoikum lag. Dies war die Zeit der Dinosaurier und der großen Meeresreptilien, der Ammoniten und der Belemniten. Wenn man den Zeitstrahl etwas genauer fokussiert, liegt diese Zeit etwa 35 Millionen Jahre (auf eine Million Jahre mehr oder weniger kommt es nicht an) vor dem plötzlichen Aussterben der Dinosaurier, das verursacht wurde – oder zumindest beschleunigt – vom katastrophalen Einschlag eines Meteoriten mit zehn Kilometern Durchmesser an der Stelle, an der heute die Halbinsel Yucatan in Mexiko liegt. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es kaum besser zugängliche Schichten als diese. Die Schichten aus der Zeit vor 100 Millionen Jahren liegen sehr nahe an der Basis eines dicken, sehr charakteristischen, blendend weißen und reinen Kalksteins, den wir als Schreibkreide bezeichnen. Unsere Vorfahren schätzten diese Formationen, weil sie in ihnen den Feuerstein fanden, aus dem sie ihre Werkzeuge 7 Widerhall 171 und Waffen fertigten. Im Mittelalter legte man Leuten zum Test ein Stück Kreide vor; konnten sie es eindeutig identiÀzieren, galten sie als geistig gesund, ansonsten als geisteskrank (dieser Test umfasste noch vier weitere Prüfungen). Im Zweiten Weltkrieg wurden die weißen Kreidefelsen von Dover zu einem Symbol für die Verteidigung der Britischen Insel. Geologisch gesehen ist die Schreibkreide ein echter Kosmopolit unter den Schichten. Sie ist normalerweise einige Hundert Meter dick und erstreckt sich über Großbritannien, Nordfrankreich, Deutschland, Polen, Russland, China, Nord- und Südamerika und Australien. Sie markiert die lang andauernde Phase des Treibhausklimas der späten Kreidezeit, als die Eiskappen so gut wie (oder sogar vollständig) verschwunden waren, die niedrig gelegenen Teile des Festlandes unter Wasser lagen und sich Milliarden von mikroskopisch kleinen Planktonalgen – die Coccolithen – in den sonnendurchÁuteten oberen Schichten der Meere tummelten. Die Coccolithen besitzen ein Skelett aus Calciumcarbonat, das unter dem Elektronenmikroskop fast wie ein Kunstwerk aussieht. Nach dem Absterben der Organismen sanken diese Skelette zu Boden, wo sie Schichten von kalkhaltigem Schlick bildeten, aus denen nach der Aushärtung die Schreibkreide entstand. Die Meere der Kreidezeit verharrten 35 Millionen Jahre lang über Großbritannien, bis zum Ende dieser Periode. Die Schichten der Schreibkreide sind hier über 200 Meter mächtig, wobei die Sedimentation mehr oder weniger ohne Unterbrechung verlief. Allerdings wurde in Großbritannien die oberste Schreibkreideschicht im frühen Tertiär erodiert, wodurch die iridiumhaltige Grenzschicht auf der Britischen Insel leider fehlt. Man kann ausrechnen, dass eine Kreideschicht, die unsere ausgewählten 10 000 Jahre repräsentieren soll, etwas mehr als fünf Zentimeter mächtig sein muss. Demnach ergeben 200 Jahre etwa einen Millimeter. Das kann man ohne ein Mikroskop kaum noch ausmachen. Wie die meisten Tiefseesedimente hat sich auch die Schreibkreide nur sehr langsam angereichert, weshalb dünne Schichten sehr lange Zeiträume repräsentieren. Andere Schichten akkumulieren 172 Die Erde nach uns wesentlich schneller, wodurch sich praktisch ein geologisches Vergrößerungsglas ergibt. An der Stelle, wo heute der Mississippi in den Golf von Mexiko mündet, wird eine große Menge des vom Fluss herantransportierten Sandes an der Küste abgeladen. Aus diesen Ablagerungen entstand in etwas weniger als 10 000 Jahren – während sich der Meeresspiegel mit dem Ende der letzen Vergletscherung anhob – das Mississippi-Delta, das sich wie ein Keil aus 100 Meter mächtigen Sedimenten über viele Tausend Quadratkilometer erstreckt. Über die Zeit gesehen wird sich diese Mächtigkeit durch die Verdichtung des Schlicks vielleicht auf die Hälfte reduzieren. Fossile Deltas, die mit dem des Mississippi vergleichbar sind, kommen in der gesamten geologischen Abfolge vor. Unsere gesuchte Schicht kann also dünner oder mächtiger ausfallen, je nachdem welche Art von Umwelt sie repräsentiert und wie viel Sediment angeliefert wird. An vielen Orten werden Schichten eines bestimmten Zeitabschnitts gänzlich fehlen, hier hat die Erosion Oberhand über die Sedimentation behalten. Wo immer solche Lücken in der Abfolge auftreten, können keine Indizien über das Klima oder andere Umweltbedingungen (ob für die Menschen oder für andere Dinge) überliefert werden. Den meisten unserer LandÁächen wird dieses Schicksal widerfahren, ebenso den Meeresböden in jenen Bereichen, die von starken Strömungen praktisch leer gefegt werden. Wo wird also die von uns anvisierte Schicht liegen, sei sie dick oder dünn? Wir wollen uns noch einmal auf die vorher genannte Schicht des Cenomans besinnen, die auf der älteren Schicht des Albs liegt, die wiederum Schichten wie den Gault-Ton und den Oberen Grünsand (Upper Greensand) enthält. Wo liegen diese Schichten heute? Eine geologische Karte verrät uns schnell die Stellen, an denen die Schreibkreide an der OberÁäche liegt. In Großbritannien wird diese Formation in der Regel als grüner Streifen angezeigt, der sich von der Küste Yorkshires, wo die Kreidefelsen von Flamborough Head stehen, bis nach Bridlington zieht. Die Linie verschwindet unter der Bucht des Wash, taucht bei Hunstanton wieder auf, zieht sich weiter durch East Anglia an den Städten Newmarket und Luton vorbei und dann über die Chiltern Hills bis in die Ebene von 7 Widerhall 173 Salisbury. Von dort aus geht ein südlicher Zweig nach Lulworth Cove, während zwei weitere Zweige nach Osten führen, um dort die North und South Downs zu bilden, bevor die Kreideaufschlüsse im Ärmelkanal verschwinden. Dieser Streifen auf der Karte markiert die Stellen, an denen die Schreibkreide durch Ausläufer der gleichen Erdbewegungen, die auch die Alpen emporgehoben haben, gehoben und gekippt wurde (meistens allerdings nur um wenige Grad), um dann durch die Erosion gekappt zu werden, so dass sie die heutige LandoberÁäche bildet. Im größten Teil von Ostengland markiert die westliche Grenze des grünen Streifens die Basis dieser Einheit, wo sie auf älteren Gesteinen liegt. Weiter im Westen und Norden gibt es nur die älteren Gesteine aus der früheren Kreidezeit, und noch weiter im Westen die Gesteine des Juras, der Trias, des Perms und des Karbons, die zu den älteren Gesteinen des Paläozoikums und Präkambriums in Wales und Schottland überleiten. In diesem westlichen Teil lag die Kreide früher einmal über weite Strecken an der OberÁäche. Das ist jedoch bereits wieder geologische Geschichte, denn Wind und Regen haben über viele Millionen Jahre hinweg ganze Erosionsarbeit geleistet. Es gibt hier nicht die geringste Chance, unsere 100 Millionen Jahre alte und einen Millimeter dicke Zielschicht nahe ihrer Basis zu Ànden – heute nicht und übermorgen auch nicht. Diese Verlustzone wird immer größer, unendlich langsam, aber sie schreitet Jahr für Jahr durch die ständig nagenden Kräfte der Erosion fort. Im Osten liegt unsere dünne Schicht zunächst unter weiteren Schichten von Kreide begraben, um dann, wo der grüne Streifen auf der Karte durch andersfarbige Streifen abgelöst wird, von noch jüngeren Gesteinen überlagert zu werden, den kaum verhärteten tertiären Sanden und Tonen. Im Zentrum von London liegt der London Clay an der OberÁäche, und unsere gesuchte Schicht beÀndet sich in etwa 250 Meter Tiefe und somit weit unterhalb der U-Bahn, so dass man sie nur über tiefe Bohrlöcher erreichen kann. Weiter im Osten, unter der Nordsee, verläuft unsere Schicht noch weiter unten, bis etwa zwei Kilometer unter der OberÁäche. Hier 174 Die Erde nach uns hat die Erdkruste stark nachgegeben, so dass die letzten paar Millionen Jahre hier von Schichten von immerhin einem halben Kilometer Mächtigkeit repräsentiert werden. Dank des nimmermüden tektonischen Aufzugs steigt die Schicht dann aber wieder auf, um in Frankreich endgültig an die ErdoberÁäche zu gelangen. Von dort aus durchquert sie dann Europa. Und so zieht sich diese Schicht immer weiter: Teilweise unter der ErdoberÁäche begraben, manchmal Áacher, manchmal tiefer; teilweise über der heutigen LandoberÁäche schwebend als Art imaginäre Schicht, die einst für immer erodiert wurde und die nur dank der Vorstellungskraft der Geologen zu einer Ebene im Raum wird. Zwischen den wirklichen Schichten im Boden und der imaginären Schicht über der Erde liegt irgendwo der zugängliche Aufschluss an der ErdoberÁäche, diese eine Ebene, in der unsere gesuchte Schicht die heutige LandoberÁäche schneiden muss. Hier an diesem Aufschluss tritt die Schicht sichtbar zutage, hier kann sie vermessen, mit dem Hammer bearbeitet und nach Fossilien und Mineralen durchsucht werden. Dort, wo die Vulkane des Cenomans aktiv waren, wird die Schicht von Aschen- und Lavahorizonten begleitet. An anderen Stellen, wo sie zwischen zwei aufeinander prallende Kontinente geraten ist, wird sie aussehen wie ein Schienenbett nach dem Entgleisen eines Zuges. An der Westküste Nordamerikas gibt es Sedimente aus der späten Kreidezeit, denen genau dieses Schicksal widerfahren ist. Diese Schichten wurden in einer Tiefe von 30 Kilometern begraben, um nach ihrer Metamorphose als Swakane-Gneis des Kaskadengebirges wieder an die OberÁäche zu treten. An den meisten Stellen liegt das Gestein unserer Schicht allerdings ausgesprochen sedimentär vor, in der Regel als die typische Tiefseekreide. Wo der Meeresboden allerdings nicht so tief war und näher an den Landmassen lag, wurde er wahrscheinlich eher von Sand bedeckt als von kalkhaltigem Schlick, so dass man an diesen Stellen marine Sandsteine Ànden wird. Wenn man die Schichten des Cenomans über das Land hinweg verfolgt, könnte man irgendwann die Uferzone dieses alten Meers entdecken, mit fossilen Deltas, 7 Widerhall 175 Flussebenen und Stränden. Es gibt um die Erde verteilt einige fossile Deltas aus dem frühen Cenoman. Eines davon liegt in Alaska, ein anderes in der kanadischen Provinz Alberta und ein weiteres in Texas, wo man fossile Böden entdeckt hat. Einem dieser Deltas, das zur Frontier-Formation in Wyoming gehört, hat man den schönen Namen Belle Fourche (Schöne Gabel) gegeben. Auch das SantillanaDelta des Kantabrischen Gebirges in Nordspanien hat einen recht wohlklingenden Namen verliehen bekommen. In Südaustralien gibt es ebenfalls ein Delta aus dem Cenoman, dieses liegt aber vor der Küste und unter Wasser. Ein weiters – mögliches – Beispiel hat man in Polen unterhalb der Karpaten entdeckt. Es ist also wahrscheinlich, dass vergleichbare Deltas aus der Zeit des Menschen irgendwann einmal an der OberÁäche erscheinen werden. Wie gut wird diese Schicht, die weltweit von der menschlichen Existenz zeugt, wohl zu erkennen sein, wenn sie erst einmal durch die tektonischen Kräfte verformt wurde? Wenn sie erst so aussieht wie die Tausenden und Millionen von Schichten, die über und unter ihr liegen, dann wird sie wohl kaum die Aufmerksamkeit der außerirdischen Forscher erwecken. In diesem Fall wäre die Entdeckung der Ruinen des vergangenen menschlichen Imperiums eine Sache des Zufalls, das Resultat eines glücklichen Hammerschlags eines Geologen der fernen Zukunft in den schier endlosen Schichten. In diesem Fall stünden die Chancen gut, dass die zukünftigen Kolonisten der Erde niemals von unserer früheren Anwesenheit als handfertige, kolonisierende und intelligente Vorgänger-Zivilisation erfahren werden. Aber vielleicht ist das Imperium der Menschen ja gar keine so kurzlebige Veranstaltung, nach deren Ende das Leben auf der Erde weitergeht, als wäre nichts gewesen. Das Vermächtnis der Menschen wird aber auch kaum so aussehen wie die Ruinen von Angkor Wat, das heißt, verlassen, vom Dschungel zurückerobert und in wenigen Tausend Jahren womöglich wieder völlig von der Natur absorbiert. Der Übergang von einer Welt vor dem Menschen in eine Welt nach dem Menschen stellt eine einschneidende Schwelle dar, denn unser EinÁuss auf die Erde ist so groß, dass wir heute bereits Erdge- 176 Die Erde nach uns schichte geschrieben haben. Die Welt wird niemals wieder so sein wie zuvor, die Frage ist nur, wie sich diese Umwälzung in unseren Planeten eingravieren wird. Das biologische Signal Im geologischen Hier und Jetzt Àndet eine Welle des biologischen Artensterbens statt. Aktuell verstärkt sich dieser Trend, wie besorgt man sich auch zeigt. Der Regenwald, eines der größten Sorgenkinder der Umweltaktivisten, wird unaufhaltsam in Stücke gehauen. In weniger als einem Jahrhundert wird das meiste von ihm verschwunden sein. Millionen von Arten – Lemure, Papageien, Käfer, Frösche, Spinnen, Orchideen, Jaguare – sind zum Verschwinden verdammt. Viele Tausend Spezies sind bereits für immer verloren, und das, bevor sie irgendein Wissenschaftler gefunden, beschrieben und mit einem Namen versehen hat. Wird ein solches Artensterben eine Marke in der Zukunft hinterlassen? Auf dem Land gibt es nur wenige Möglichkeiten, die Überreste der Fülle an Organismen zu erhalten. Nur einige wenige Tierkörper werden auf den Meeresboden sinken, um hier ein erkennbares Fossil zu bilden. Generationen von Tieren und PÁanzen haben schon im Regenwald gelebt und wurden nach ihrem Tod einfach wieder vom Wald wiederverwertet. Wenn dieser Wald erst einmal verschwunden ist – gerodet, verbrannt, umgepÁügt, abgegrast und dann verlassen –, werden die irdischen Überreste dieser Arten auf ihre atomaren Bausteine reduziert und anschließend vom Wind verweht worden sein. Mutter Natur war immer sehr großzügig zu ihren Kindern, doch das Gedächtnis von Mutter Erde währt nicht sehr lange. Werden also die Spuren dieses Verbrechens an der Natur für immer getilgt werden? Nicht notwendigerweise. Verschwundene Wälder lassen Zeitkapseln zurück, für alle, die wissen, wo und wonach man suchen muss. Man darf allerdings nicht mit vollständig erhaltenen Bäumen rechnen oder den fossilen Skeletten exotischer Halbaffen. Unsere heuti-