_ Das Öl wird zunehmend knapp – auch wenn aus bestimmten Kreisen verkündet wird, man könne durch Verbesserungen bei den Fördertechniken oder durch den Rückgriff auf unkonventionelle Ölvorkommen wie Ölschiefer, Ölsande oder Schweröl die Versorgung der Erdbevölkerung sichern. ›Ölwechsel!‹ erklärt und belegt, warum das Hoffen auf verbesserte Fördertechnik, die Ergiebigkeit der unkonventionellen Ölvorkommen oder auch auf den Einsatz von Erdgas vergeblich ist. Die Autoren erläutern, welche machtpolitischen Interessen hinter der Energiepolitik stehen und wer sich aus welchen Gründen manipulativ zu dem Thema äußert. Sie zeigen Möglichkeiten, wie wir ohne Erdöl und andere nicht-regenerative Energien auskommen können und wie eine zukunftsfähige Energieversorgung aussieht. »Die Studie beeindruckt durch brisante Fakten zu den verbleibenden Ölreserven, den politischen Konflikten um das Erdöl sowie durch engagierte Alternativstrategien.« Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen (JBZ) Colin J. Campbell, Jahrgang 1931, Dr. und Geologe, hat in Oxford Geologie studiert, war danach jahrzehntelang in leitender Position bei großen Ölfirmen tätig und hat selbst große Ölfelder erschlossen. Er kennt den Sachverhalt wie kein anderer. Frauke Liesenborghs, Jahrgang 1954, Soziologin und Journalistin, ist seit 1993 Geschäftsführerin des Global Challenges Network (GCN). Sie wurde 1998 mit dem Umweltpreis des bayerischen Umweltministeriums ausgezeichnet. Jörg Schindler, Jahrgang 1943, Wirtschaftswissenschaftler und Geschäftsführer der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, ist im Vorstand des GCN. Werner Zittel, Jahrgang 1955, Dr. rer. nat. und Diplomphysiker, war am Institut für Technische Physik in Stuttgart sowie bei der Fraunhofer-Gesellschaft in München tätig und arbeitet seit 1989 ebenfalls bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik. Colin J. Campbell, Frauke Liesenborghs, Jörg Schindler und Werner Zittel Ölwechsel! Das Ende des Erdölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft Deutscher Taschenbuch Verlag Die Beiträge von Colin J. Campbell wurden von Helga Roth ins Deutsche übertragen. Dieses Buch wurde mit Unterstützung der »Association for the Study of Peak Oil« (ASPO) erstellt. Nähere Informationen siehe www.peakoil.net und www.energiekrise.de Grafiken, soweit nicht anders vermerkt, von Global Challenger Network (GCN). Karte auf Seite 127: ›dtv-Atlas zur Weltgeschichte‹, Band 2 Aktualisierte Neuausgabe Januar 2007 2. Auflage März 2008 © 2002 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München www.dtv.de Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten. Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen Umschlagfoto: mauritius images/COMSTOCK Satz: KCS GmbH, Buchholz bei Hamburg Gesetzt aus der Times Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany · ISBN 978-3-423-34389-3 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Geologie Wie ist das Erdöl entstanden? Geologische Annäherungen 13 Wie viel Öl gibt es überhaupt? Ein erstes Gesamtbild . . . . 24 Ölfunde und -förderung auf dem Land (onshore) . . . . . . . 32 Ölfunde und -förderung im Meer (offshore) . . . . . . . . . . . 66 Die zukünftige Entwicklung der weltweiten Ölförderung – ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Wie »reich« ist die Ölverwandtschaft? Die Frage zusätzlicher Reserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Erdgas – eine Alternative? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Politik Der Ölpoker beginnt – im Nahen Osten . . . . . . . . . . . . . . . 125 Nach dem Zweiten Weltkrieg – Emanzipation, Konflikte und Interessen . . . . . . . . . . . . . . 146 Die Machenschaften der Mächtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Die aktuelle Debatte Wer schreibt was, wo und warum? Statistiken im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Verfügbarkeit von Öl – Potenziale und Prognosen . . . . . . . 193 Strukturbruch Aufbruch zu neuen Ufern – Überwindung des Wachstumsdenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Wachstum in begrenzten Systemen – ein Grundmuster . . . 206 Bausteine einer zukunftsfähigen Energieversorgung . . . . . 229 Anhang Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Einleitung Rechnet man weltweit alle Ölreserven zusammen, dann sind wir nur noch wenige Tropfen vom weltweiten Fördermaximum oder kurz »Peak Oil« entfernt – und in vielen Fördergebieten sogar schon darüber. Diese These von der Endlichkeit des Öls haben die Autoren in der Erstausgabe dieses Buches bereits im Jahr 2002 aufgestellt, in die öffentliche Diskussion gebracht und sind auf große Resonanz gestoßen. Doch so richtig »glauben« wollte man in Deutschland noch nicht, dass wirklich ein »Ölwechsel« bevorstand. Nur vier Jahre später haben die Realitäten die Behauptung vom »Peak Oil« bestätigt. Nicht nur unsere energieintensiven Lebensstile, auch der wachsende Energiehunger von China und Indien haben binnen kurzer Zeit zu einer steigenden Nachfrage und zu den Fragen geführt: Haben wir genug und wie lange noch? Wo wird noch produziert? Welche Felder sind bereits erschöpft? Wer besitzt Zugang zum Öl und ist von welchen Interessen bei der Verteilung geleitet? Wie sehen energetische Alternativen aus? Der Informationsbedarf zu diesem Thema ist sehr hoch, die Veröffentlichungen dazu jedoch oft unzureichend und widersprüchlich. Es gab also genug gute Gründe, das Buch aktualisiert neu aufzulegen und profunde Informationen zu liefern, ob, wie und wo das schwarze Gold noch sprudelt. Immer wieder gibt es Meldungen, in denen über wachsende Ölreserven und neu entdeckte Ölfelder berichtet wird. Doch ist es wirklich so einfach, »woanders tiefer« zu bohren? Der erste Teil des Buches behandelt deshalb ausführlich die Entstehungsgeschichte des Öls und stellt die Entwicklung der Fördermengen in den weltweit relevanten Ölfeldern dar. Denn wenn im Ölgeschäft Quantitäten angegeben werden, ist es immer sinnvoll, sich diese Zahlen etwas genauer anzusehen: OPEC-Förderquoten werden in Abhängigkeit zu den Reserven festgelegt. Der Hang zur Geheimhaltung und zu intransparenten Daten ist deshalb verständlich. In einem eigenen Kapitel wird ausgeführt, wer an diesem Zahlenspiel mit welchen Interessen beteiligt ist. Nur die allergrößten Optimisten setzen deshalb auf die Erschließung riesiger neuer Vorkommen. 8 Einleitung Was sich oft sehr gewaltig anhört, relativiert sich bei näherer Betrachtung. Ein Beispiel: Zunächst werden die geschätzten zehn Milliarden Barrel Öl im Naturreservat in Alaska unter der Erde bleiben müssen. Würden sie jedoch gefördert, blieben die USA bei ihrem aktuellen Energiebedarf tatsächlich von Importen unabhängig – immerhin ein ganzes Jahr lang! Kaum also anzunehmen, dass nur der massive Einspruch der Naturschützer die Förderung verhindert hat. Denn auch die Erschließung ist in den letzten Jahren finanziell und technisch immer riskanter geworden. Die muss sich dann wirklich rechnen. Unbestritten ist, dass mit der Entdeckung des Rohstoffs »Öl« viel Komfort und Bequemlichkeit in den Alltag einzog. Schneller, besser, mehr – das galt zumindest für die westlichen Industriestaaten. Und jetzt ist es da, das weltweite Fördermaximum: Es wird heute mehr verbraucht als gestern noch gefördert. Vor hundert Jahren waren es 20 Millionen Tonnen Öl, jetzt sind es 4 Milliarden. Mit dem Erdöl ist eine rasante technologische Entwicklung in die Welt gekommen, die zwar alle Lebensbereiche des Menschen betrifft, aber bei weitem nicht alle gleich gut. Ein kleiner Teil der Weltbevölkerung hat den größten Anteil am Energieverbrauch, doch über 2 Milliarden Menschen haben immer noch keinen Strom. Da jedoch 80 Prozent aller Umwelt- und Entwicklungsprobleme von Energiefragen abhängen und der Ölkuchen gleichzeitig immer kleiner wird, muss nicht nur eine gerechtere Verteilung in Zukunft eine Rolle spielen, sondern eben auch ein intelligenterer Umgang mit Energie. Außer der drohenden Knappheit gibt es noch einen weiteren guten Grund, mit Erdöl endlich sparsamer umzugehen: Kaum jemand bezweifelt mehr, dass die explodierende Verbrennung von Erdöl für die globale Erwärmung, für Hurrikane, Dürren und einen steigenden Meeresspiegel ursächlich ist. Die großen Versicherer und Klimaforscher können es belegen und in den neuen Szenarien wird offensichtlich, wie dynamisch schnell sich dieser Klimawechsel weiter entwickeln wird. Der Zeitpunkt zum Energiesparen ist definitiv gekommen, verkündete der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA) Claude Mandil im April 2006. Selbst die Regierung des Öllandes Kanada startete eine Werbekampagne: Weniger Auto, weniger Klimaanlage, weniger Heizung, weniger Geräte – Einleitung 9 das spart teures Öl und den Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid. Dieser sehr wichtige und komplexe Zusammenhang zwischen dem Verbrauch endlicher Ressourcen wie Öl, Gas und Kohle und den Klimafolgen wird jedoch öffentlich bereits intensiv diskutiert. Ohne die Dringlichkeit des Klimaproblems in Frage stellen zu wollen, will dieses Buch in erster Linie die Ressourcenproblematik thematisieren. Noch herrscht in der konventionellen Ökonomie die Meinung vor: Viel und billige Energie ist die notwendige Voraussetzung für stetiges Wirtschaftswachstum. Ein Blick einerseits auf die Verschwendungswirtschaft in den inzwischen zusammengebrochenen Staaten des real existierenden Sozialismus und andererseits in das wirtschaftlich erfolgreiche Japan mit weit höheren Energiekosten als in den übrigen industrialisierten Ländern führt dieses Argument ad absurdum. Hohe Energiepreise lassen sich somit sogar als Voraussetzung zur Lösung unseres Energieproblems identifizieren, auch wenn dies zunächst zynisch klingen mag. Seit dem 11. September 2001 sind das Bewusstsein und die Wahrnehmung für instabile Verhältnisse allgemein gestiegen und werden entsprechend instrumentalisiert. Geopolitische Spannungen beispielsweise im Iran, Tschad, in Nigeria oder Venezuela werden dafür benutzt, die Legende fortzuschreiben, dass die Macht über das Öl bei denen bleiben sollte, die seit den Anfängen der Ölproduktion Zugang und Verteilung kontrolliert haben. Auf diesen Machtpoker wird in diesem Buch ausführlich eingegangen. Die Kernfrage ist jedoch: Wo wird die Energie herkommen, wenn die endlichen Ressourcen Erdöl, Kohle und Erdgas nicht mehr in diesem großen Umfang zu nutzen sind? Können die erneuerbaren Energien den stetig steigenden Bedarf wirklich decken? Reicht die Zeit aus, tatsächlich einen grundlegenden Strukturwandel in der Energieversorgung zu vollziehen, oder hat dieser nicht bereits begonnen? Im dritten Teil des Buches werden die neuen Energieproduzenten vorgestellt. Viele sind schon längst aus ihrer Pionierphase hinaus, haben sich bewährt und werden als echte Alternativen akzeptiert. Der technologische Fortschritt in der fossilen Ära hat viele zukunftsfähige, schadstofffreie und risikolose Energien verfügbar gemacht – Sonne, Wasser, Wind, Biomasse und Erdwärme. Doch ein Strukturwandel bedeutet immer mehr als nur 10 Einleitung den Austausch der Mittel. Nach dem notwendigen »Ölwechsel« werden wir in der post-fossilen Welt mit der prinzipiell immer eher knappen und eher teuren Energie sorgfältiger umgehen. Der Lebensstil des »Nordens«, der sich daraus ergibt, wird nicht mehr auf Kosten der weniger entwickelten Länder und nachfolgender Generationen gehen und »Kriege um Öl« sind dann endgültig Geschichte. Frauke Liesenborghs, im Juli 2006 Geologie Wie ist das Erdöl entstanden? Geologische Annäherungen In der Wissenschaft wurde lange darüber gestritten, wie Erdöl entstanden ist. Fest steht, dass es sich dabei um einen äußerst komplizierten Prozess handelt, der sich in gewaltigen – nur schwer vorstellbaren – Zeitfenstern abspielte. Zum besseren Verständnis ist es notwendig, wenigstens einen kurzen Blick auf die Erkenntnisse zur geologischen und geochemischen Entstehung von Erdöl und Erdgas zu werfen. Vor dem Hintergrund dieses Wissens werden die vielfältigen Dimensionen von politischer Macht und wirtschaftlichen Interessen besser verständlich, die mit dem »schwarzen Gold« bis heute verbunden sind. Zunächst ein kleiner Ausflug: Wenn man in der Grafschaft Dorset an der englischen Küste entlangfährt, stößt man nahe der Ortschaft Kimmeridge auf schwarzen Ton. Der riecht stark nach Petroleum und manchmal ist er sogar brennbar. Dieser Ton wurde am Ende des Jura, das heißt vor ca. 140 Millionen Jahren, hier abgelagert. Eine chemische Analyse hat nun gezeigt, dass dieser Ton etwa 10 Prozent organische Materie enthält. Die verschiedenen organischen Bestandteile wiederum, die in dieser Materie gefunden wurden, sind charakteristisch für Plankton und Algen. Bemerkenswert ist diese nur etwa 100 Meter dicke Tonschicht deshalb, weil sie darüber Aufschluss gibt, wie das gesamte Öl in der Nordsee entstanden ist. Dieser Ton gehört zu einer gewaltigen Schicht, die ursprünglich an einem anderen Ort und unter einmaligen Bedingungen abgelagert wurde – einmalig deshalb, weil solche Umstände weder vorher noch nachher innerhalb der von uns überschaubaren Zeitspanne von 600 Millionen Jahren in Nordwesteuropa aufgetreten sind. Das Wissen um die Entstehung und die Zusammensetzung des Erdöls ist relativ jung. Anfangs hatte man ölig riechende und manchmal mit einer Ölhaut überzogene dunkelfarbige Schiefer und schlammiges Kalkgestein als mögliche Ölquellen angesehen. Über den tatsächlichen Entstehungsprozess und die unterirdische Wanderung der schwarzen Flüssigkeit war zunächst wenig be- 14 Geologie kannt. Heute ist das Geheimnis gelüftet: Erdöl ist in der Hauptsache eine komplexe, vielfältige Mischung aus gasförmigen, flüssigen und festen Kohlenwasserstoffen, und es entsteht nur unter ganz bestimmten Temperaturbedingungen. Erst durch die wissenschaftlichen Fortschritte in den letzten 25 Jahren in Geochemie und Geologie wurde es möglich, die Entstehung von KohlenwasserstoffMuttergestein (dazu später mehr) nachzuvollziehen, wofür die Tonschicht von Kimmeridge ein gutes Beispiel ist. Die Kimmeridge-Tonschicht wurde im Jura, einer Zeitperiode der globalen Erwärmung, in warmem und von der Sonne durchleuchtetem Wasser abgelagert. Das waren ideale Bedingungen für die Entwicklung und Vermehrung von Algen. Weiterhin muss man bedenken, dass Großbritannien damals wegen einer tektonischen Verschiebung der Kontinente den Tropen näher lag als heute. Es war also richtig schön warm. Was passierte dann? Normalerweise wird Algenmaterie zerstört, wenn sie auf den Meeresboden absinkt, doch gewaltige geologische Ereignisse verhinderten diesen Vorgang. Der Nordatlantik begann sich in dem Gebiet, das heute die Nordsee ist, zu öffnen, und es entstanden große Senkungsgräben, ähnlich dem Roten Meer. Auf dem Grund dieser Senkungsgräben entwickelten sich »stabile Bedingungen«: Die organische Materie blieb erhalten und war dabei sehr konzentriert, da vergleichsweise wenig andere Sedimente in die Senkungsgräben hineingespült wurden. Später wurden die Gräben im Laufe einer sehr langen Zeit mit mehreren 1000 Metern von jüngeren Sedimenten überdeckt und erhitzten sich dabei durch den Wärmefluss aus dem Erdinneren. Ab einem bestimmten Zeitpunkt erfolgten chemische Reaktionen ähnlich denen, die im Labor beobachtet werden können: Die organische Materie verwandelte sich entweder in Erdöl oder in Erdgas. Aufschluss darüber, ob eher Erdöl oder eher Erdgas entsteht, geben unter anderem die Analysen der Kimmeridge-Tonschicht. Bei einer weiteren Probe dieser gleichen Schicht, jetzt aus einem Bohrloch am östlichen Rande der Nordsee entnommen, stellt man eine deutlich andere Zusammensetzung fest. Die organische Materie enthält jetzt Beimischungen von weiteren organischen Substanzen, von denen man nachweisen kann, dass sie von Pflanzen herrühren – ein Hinweis darauf, dass sich in dieser Gegend mehr pflanzliche Ma- Wie ist das Erdöl entstanden? 15 terie beigemischt hat. Im Laboratorium kann man nun zeigen, dass bei der Erhitzung der ersten – konzentrierten – Algenmasse Öl entsteht, bei der zweiten, mit weiteren pflanzlichen Überresten angereicherten Masse hingegen Gas. Auch das ölige Gestein spaltet sich unter großer Hitzezufuhr in Gas auf. Die Entstehung von Erdöl, vor allem von sehr großen Mengen Erdöl, scheint folglich nur unter ganz besonderen Umständen überhaupt möglich zu sein und findet nicht einfach so und überall statt. Deshalb sollen im Folgenden die Entstehungsbedingungen von Erdöl etwas systematischer betrachtet werden. Zaubermittel Algenblüte? Keine Frage – ein unverzichtbarer Bestandteil der Öl-Ursuppe ist die Alge. Doch sie ist nur ein erster Hinweis auf eine komplizierte Rezeptur, denn eine gelegentlich vorkommende Alge wird niemals die Entstehung eines Ölvorkommens bewirken können. Das in dieser Alge enthaltene Öltröpfchen würde sich schlicht in den immensen Gesteinsmassen, mit denen die sedimentären Becken dieser Welt angefüllt sind, verlieren. Die Entstehung von Öl ist abhängig von einer außergewöhnlich intensiven und konzentrierten Algenblüte. Nur dann können sich organische Kohlenstoff-Ketten bilden. Die Frage ist nun, unter welchen Bedingungen kann es überhaupt zu einer solchen Algen-Hochblüte kommen? Die erste Voraussetzung ist eine relativ hohe Temperatur an der Wasseroberfläche. Weiterhin muss es irgendeine Nährstoffquelle geben, die kontinuierlich den entstehenden Algennachwuchs ernähren kann. Heute weiß man, dass sich das meiste Erdöl-Muttergestein, das sind feinkörnige Schlammablagerungen mit einem hohen Gehalt an organischer Materie, in tropischen Breiten befand. Das galt, wie schon erwähnt, einst auch für Großbritannien, tektonische Verschiebungen der Kontinente verlagerten es erst später in höhere Breitengrade. Perioden globaler Erwärmung, wie zu Zeiten des späten Jura, heizten das tropische Wachstum zusätzlich an. Ebenso beeinflussten Meeresströmungen und küstennahe Winde in Afrika und Südamerika die Versorgung mit Nährstoffen. In großer Tiefe gelegene und mineralhaltige Gewässer wurden nach oben gewälzt und 16 Geologie so zur reichen Nährstoffquelle. Algenwachstum vor Jahrmillionen bildete somit das Fundament für Reichtum und technischen Fortschritt unserer Tage – zumindest für einen Teil der Menschheit. Ablagerung und Abdeckung organischer Materie in einer tektonischen Mulde An dieser Stelle sei noch einmal auf die enormen Zeitdimensionen hingewiesen, mit der die Entstehung von Erdöl verbunden ist. Niemand würde heute ein schnelles Algenwachstum als »Quelle des Reichtums« bezeichnen. Im Gegenteil – es wird vor allem als Bedrohung angesehen, denn Algen nehmen aus dem Wasser so viel Sauerstoff auf, dass alles andere Leben praktisch erstickt wird. So färben sich beispielsweise die Fjorde Norwegens in den langen nördlichen Sommertagen durch das Algenwachstum milchweiß, und man rät den Menschen in dieser Zeit, keine Muscheln zu essen, weil diese infiziert sein könnten. In den so genannten »roten Gezeiten« nimmt das Meer durch die Fülle toter und lebender Mikroorganismen eine rötliche Farbe an. Wir lesen heute von vergifteten Stränden und Flüssen. Ein Großteil dieser Schäden wird durch Algen verursacht, die sich in nahrungsreichen Abwässern besonders wohl fühlen. Doch die Algenblüte allein ist noch keine hinreichende Bedingung für die Entstehung von Erdöl, denn selbst eine noch so große Ansammlung von organischem Material in Oberflächengewässern Wie ist das Erdöl entstanden? 17 wäre dafür nicht ausreichend. Der größte Teil dieser Materie oxidiert, sobald er der Schwerkraft folgend in die Meerestiefe sinkt, oder wird von anderen Organismen verzehrt. Um diese organische Materie irgendwie zu konservieren, muss es stehende (stagnierende), sauerstofflose (anaerobe) Umgebungen geben. Tiefe Seen oder schmale tektonische Mulden mit keinen oder nur minimalen Strömungen bieten solche Voraussetzungen. Heutige Entsprechungen für derartige Konstellationen wären das Schwarze Meer, der Maracaibo-See (Venezuela) oder die praktisch landumschlossene Adria. Ein besonders ideales Beispiel ist das mit Recht so genannte Tote Meer, weil hier eine weitere Bedingung für die Entstehung von Erdöl gegeben ist – die Konservierung der organischen Materie. Die klimabedingte, permanente Wasserverdunstung führt zu einer hohen Konzentration von Meeressalz. Das dichte salzige Wasser sinkt nun hinunter zu den stagnierenden Tiefen und bedeckt und konserviert das dort abgelagerte organische Material. Die Konservierung kann aber auch auf andere Weise erfolgen, wie etwa durch Tonablagerungen. Wenn die Situation entstanden ist, dass sich eine Mulde mit organischem Material gefüllt hat, dann passiert über einen großen Zeitraum Folgendes: Die angrenzenden Gebiete und Ränder dieser Mulde erodieren nach und nach. Dabei entstehen Sedimente, die mit den Flussströmungen direkt in die Mulde gespült werden und nun das organische Material abdecken. Diese Abdeckung durch Sedimente, im Toten Meer ist es das Salz, bildet eine weitere notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Erdöl. Doch zusätzlich müssen diese hineingespülten Sedimente noch eine bestimmte Eigenschaft aufweisen: Der Deckel muss »dicht« sein. Wenn das angrenzende Land einer zu aktiven Erosion ausgesetzt ist, dann wird zu viel Sand und Kies in die Mulde gespült und der entstandene Deckel ist zu grob und damit durchlässig. Solche geologischen Formationen bilden sich an der Mündung von Flüssen. Einige dieser Deltas enthalten große Mengen von Pflanzenresten, die von ausgedehnten Mangrovenwäldern und Sümpfen stammen. Unter solchen Bedingungen entsteht aber, wie wir noch sehen werden, eher Erdgas statt Erdöl. Ist der Deckel zu durchlässig, so geht das Öl oder Gas verloren. Hier soll jedoch weiterhin von idealen Bedingungen für die Ent- 18 Geologie stehung von Erdöl, oder – genauer gesagt – erst einmal von einem potenziellen Öl-Muttergestein, ausgegangen werden: Die organische Materie, in der richtigen Konsistenz und Dichte, hat sich abgesetzt und die Sedimente waren von guter Qualität und haben die Mulde perfekt verschlossen. Innerhalb dieser »Verpackung« wird die organische Materie nun von anaeroben Mikroben attackiert, ein Vorgang, der zur Zersetzung der Materie führt. Lange Kettenmoleküle werden aufgespalten. Dabei entsteht Methangas. Dieser Prozess und das dabei entstehende Gas ist uns auch bekannt als »Sumpfgas«, das an der Oberfläche von verfaulender Vegetation in überwachsenen Gartenteichen blubbert, oder als ein Gas, das in Mülldeponien entsteht. Dieses Methan verstärkt die reduzierende Wirkung der Umgebung. Das organische Material wird weiter abgebaut, vor allem durch die Bildung von Wasser und Kohlendioxid. Zurück bleibt eine organische Masse, die viel Kohlenstoff und nur noch wenig Wasserstoff enthält. Der im Laufe dieser chemischen Reaktionen entstandene unlösliche organische Rückstand wird »Kerogen« genannt. Je nach Beschaffenheit des ursprünglichen organischen Materials, der »Ursuppe« gewissermaßen, und der Umstände des Prozesses, den die chemischen Reaktionen durchlaufen haben – schneller oder langsamer –, bilden sich unterschiedliche Sorten von Kerogen, die sich insbesondere durch das Verhältnis von Kohlenstoff zu noch verbliebenem Methan und Wasserstoff unterscheiden: Aus »Sapropel« kann vorwiegend Erdöl entstehen und aus »Vitrinit« Erdgas. Eine dritte Variante ist »Inertinite«, das weder für die Erdöl- noch für die Erdgasentstehung von Bedeutung ist. Doch noch ist es nicht so weit, noch ist kein Öl entstanden. Denn zu irgendeinem Zeitpunkt muss Bewegung ins Spiel kommen. Die tektonische Mulde hatte über lange Zeit Bestand und war deshalb ein zuverlässiges und ruhiges Auffangbecken für organisches Material. Wegen der kontinuierlichen Überdeckung mit Sedimenten wird die Formation aber ab einem bestimmten Moment zu schwer. Das organische Material sinkt jetzt langsam ab, konserviert unter einer Last von Sedimenten aus Lehm und Schlick, die von den Flüssen hineingespült wurden. Die Algenblüte an der Meeresoberfläche geht währenddessen übrigens weiter. Allerdings gibt es im Allgemeinen während der Lebensdauer des Absinkens einer be- Wie ist das Erdöl entstanden? 19 stimmten Mulde nur ein oder zwei weitere Phasen von Algenblüte. Das bedeutet, dass dieses Öl-Muttergestein nicht eine einzige große Ölquelle bildet, sondern dass sich darin nur einzelne ergiebige Lagen befinden, und selbst in reichen Schichten, die übrigens nur einige Meter dick sind, ist die Verteilung ungleich. In vielen Fällen hört das Absinken der Mulde auf Grund lokaler tektonischer Bewegungen in einem Gebiet einfach auf. Das Vorkommen »verrutscht« regelrecht, und es bleibt nur ein unreifes, für die Ölförderung unbrauchbares Muttergestein übrig. Die so genannten Ölschiefer, auf die später noch eingegangen wird, gehören z. B. in diese wenig ergiebige Kategorie. Doch wir bleiben zunächst noch bei unserem Idealfall. Der Sinkvorgang des gut abgeschlossenen organischen Materials hat sich fortgesetzt, und das Kerogen wird nun weiter unter einer Schicht jüngerer Sedimente begraben. Wie allgemein bekannt ist, steigen die Temperaturen unter der Oberfläche: in der Regel um 3°C pro 100 Meter (geothermaler Gradient). Unser Material sinkt tiefer und tiefer. Es wird allmählich gekocht, und zwar umso schneller, je höher der geothermale Gradient ist. An einem bestimmten Punkt finden nun neue chemische Reaktionen statt. Sie beginnen in der Regel in einer Tiefe von 2000 Metern. In diesem Tiefenabschnitt, der als »Ölfenster« bezeichnet wird, erfolgt jetzt der letzte Schritt in der Entwicklung von der Alge zum Erdöl. Zwei Faktoren sind für eine erfolgreiche Entstehung von Öl in dieser letzten Entwicklungsstufe ausschlaggebend: zunächst das Tempo der Umwandlung, das wiederum durch die Hitze bestimmt wird – je höher die Temperatur, desto schneller verläuft der Umwandlungsprozess. Der zweite Faktor betrifft den Grad der Umwandlung des Kerogens in Öl. Auf dem Weg nach unten stellt sich jeweils ein Verhältnis von bereits umgewandelter Menge zu der Menge ein, die noch nicht umgewandelt ist. Je tiefer die Mulde sinkt, desto heißer wird es, und immer größere Anteile des Kerogens verwandeln sich in Öl. Wenn sich nun der Sinkflug des Materials durch das Ölfenster fortsetzt, gelangt das kostbare Muttergestein in einer Tiefe von ca. 4000–5 000 Metern in die metagenetische Zone. Hier kann kein Öl mehr entstehen. Durch die hohen Temperaturen in diesen Tiefen bricht der Zusammenhalt der Ölmoleküle auseinander und es entsteht Methangas. Es gibt also 20 Geologie nur einen ganz bestimmten Tiefenbereich, in dem sich das Ölfenster »öffnet« und Öl entsteht. In zu geringer Tiefe ist es dafür zu kalt, in zu großer Tiefe wird es zu heiß und es erfolgt eine vollständige Umwandlung zu Gas. Wenn also nun einige schlaue Leute immer wieder den Vorschlag machen, einfach nur tiefer zu bohren, um mehr Erdöl zu finden, so wissen wir jetzt, warum das wenig sinnvoll ist. Auch für die gerne verbreitete Hoffnung, dass man in sehr tiefen Meeresregionen noch viel neues Öl finden könne, gibt es keine geologische und geochemische Begründung. Die Wanderung des Öls aus dem Muttergestein und die Entstehung eines Ölfeldes in einer Falle aus undurchlässigem Gestein In der beschriebenen »idealen Entstehungsgeschichte« wird nun weiter davon ausgegangen, dass große Mengen von Öl im Muttergestein entstanden sind. Doch bildet sich bei der Umwandlung in Erdöl immer auch noch ein »Abfallprodukt«: Da die Umwandlung nicht zeitgleich für die gesamte Menge des Kerogens vonstatten geht, ist ein Teil des entstandenen Öls länger als der Rest den hohen Temperaturen ausgesetzt und verwandelt sich in Gas. Zudem vergrößert sich während des Umwandlungsprozesses das Volumen der gesamten Materie. Jeder Tropfen Öl sowie das Gas stehen folglich unter sehr hohem Druck. Während das Gestein immer weiter nach unten absackt, steigt der Druck zunehmend. Im schlimmsten Fall platzt die Abdichtung nach oben und Öl und Gas bahnen sich