Planetarische Leitplanken als Kompass für eine zukunftsfähige Entwicklung Inge Paulini, WBGU DBU-Tagung Umweltbildung: Bildung für Nachhaltigkeit in Zeiten großer Herausforderungen, Osnabrück, 19. Januar 2016 WBGU: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen • wissenschaftliche Politikberatung zum Globalen Wandel • seit 1992 (Erdgipfel in Rio de Janeiro): politisch unabhängiges wissenschaftliches interdisziplinäres Beratungsgremium • neun Mitglieder; jeweils für 4 Jahre von der Bundesregierung berufen Aufgaben: • globale Umwelt- und Entwicklungsprobleme analysieren, auf neue Problemfelder hinweisen (im Sinne von Frühwarnung) • Handlungs- und Forschungs /Bildungs/ empfehlungen erarbeiten, Adressaten: primär Bundesregierung, aber auch andere Akteure • durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Bewusstsein für die Probleme des Globalen Wandels fördern Überblick zum Vortrag • Konzept planetarischer Leitplanken • WBGU-Vorschlag für zentrale Leitplanken • Bedeutung der Leitplanken für SDG‘s und globale nachhaltige Entwicklung • Große Transformation • Klimaschutzabkommen von Paris: Bewertung und Bedeutung • WBGU-Produkte für die Bildung (für nachhaltige Entwicklung) Planetarische Leitplanken: es geht um das Erdsystem • Erdsystem: ... Keine einheitliche Definition • Summe physikalischer, chemischer, biologischer und sozialer Komponenten, Prozesse und Wechselwirkungen ... die den Zustand und die Veränderungen des Planeten Erde beeinflussen (Wikipedia) • Physische Systeme (Atmosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre ...) und ihre Interaktion untereinander ... und mit gesellschaftlichen Systemen Grunddiagramm Natur - Anthroposphäre WBGU, 1993 Planetarische Leitplanken: Worum geht es? • Ausgangspunkt: Es werden vielfältige, schädliche globale Umweltveränderungen beobachtet; ihnen soll entgegengewirkt werden • Wie sieht zu erreichendes Ziel / Zielzustand aus? Zu Beginn die Einsicht: Wünschenswerte, nachhaltige Zukunft kann kaum positiv definiert werden • Möglich ist aber: gesellschaftliche Einigung auf Abgrenzung eines inakzeptablen, zu vermeidenden Bereichs • Also hat WBGU Leitplanken entwickelt: für Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter, den Schutz des Erdsystems, den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen • Definition WBGU: Leitplanken sind quantitativ definierbare Schadensgrenzen, deren Überschreitung heute oder in Zukunft intolerable Folgen mit sich brächte, so dass auch großer Nutzen in anderen Bereichen diese Schäden nicht ausgleichen könnte (z.B. 2°C-Leitplanke Klimaschutz) Planetarische Leitplanken und Nachhaltigkeit • nachhaltige Entwicklungspfade verlaufen (nur) innerhalb des durch Leitplanken eingegrenzten Bereichs • auch in diesem Bereich keine absolute Sicherheit, aber geringere Wahrscheinlichkeit für Schadenseintritt; Leitplanken verhalten sich wie Geschwindigkeitsbegrenzungen: 40, 50 oder 60 km/h in Ortschaften ist kollektive normative Festlegung – ihre Einhaltung vermindert Wahrscheinlichkeit, schließt aber Unfälle nicht aus • Einhaltung der Leitplanken ist nur notwendiges, nicht hinreichendes Kriterium für Nachhaltigkeit • auch ohne Überschreiten können globale Umweltveränderungen erhebliche ökologische Schäden und daraus erwachsende sozioökonomische Missstände verursachen • Unsicherheiten (begrenztes Wissen) Typen planetarischer Leitplanken • Leitplanken für die Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter, wie z.B. Klimawandel oder „Ozonloch“. Hier wird ein global relevanter Teil des Erdsystems gestört. • Leitplanken für akkumulierende regionale Umweltveränderungen, wie z. B. Bodendegradation oder Verlust biologischer Vielfalt. • Leitplanken für nicht erneuerbare und nicht substituierbare Ressourcen, wie z.B. Versorgung der Landwirtschaft mit Phosphor. Treiber / Ursachen für globale Umweltveränderungen: • Emissionen und die Nutzung von Umweltkompartimenten als Deponie (z.B. „Entsorgung“ von Stoffen in Luft, Gewässer, Böden) • Fehl- oder Übernutzung von Ökosystemen / nicht regenerierbaren Ressourcen Zusammenhang zw. Treibern und Ausmaß globaler Umweltveränderungen Stärke des Treibers (rot) bzw. Ausmaß der Umweltveränderung (blau) (bei denen sich die Wirkungen der Treiber über die Zeit aufsummieren) Eine Überschreitung der Leitplanke kann nur verhindert werden, wenn die Treiber der Umweltveränderung gestoppt werden. Überschreitung vermeiden Leitplanke Globale Umweltveränderung Nationale Treiber 2015 Jahr Treiber global NullTarget 2050 bzw. 2070 Quelle: WBGU 2014 Zur Klimaschutz (2° C) Leitplanke Fünfter Sachstandsbericht des IPCC, 2013: Globale Mitteltemperatur steigt, menschlicher Einfluss auf Klima ist evident Nur Modelle, die sowohl natürliche als auch menschliche Antriebe berücksichtigen, können den beobachteten Temperaturverlauf reproduzieren a: Änderung des global gemittelten Wärmeinhalts der oberen Ozeanschichten Wärmeinhalt [1022 J] 20 10 0 -10 Der Ozean erwärmt sich, der Meeresspiegel steigt an -20 1900 1920 1940 1960 1980 2000 1980 2000 Jahr b: Global gemittelter Meeresspiegelanstieg a: Änderung des global gemittelten Wärmeinhalts der oberen Ozeanschichten Meeresspiegel relativ zu 1900–1905 [mm] Wärmeinhalt [1022 J] 20 10 0 -10 -20 1900 1920 1940 1960 Jahr 1980 2000 200 150 100 50 0 -50 1900 1920 1940 1960 Jahr relativ zu 1900–1905 [mm] b: Global gemittelter Meeresspiegelanstieg 200 150 100 50 Quelle: IPCC, 2013 Temperaturanstieg wird durch die kumulativen CO2-Emissionen bestimmt Kumulierte anthropogene CO2-Emissionen seit 1870 [Gt CO2] 1.000 5 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 Temperaturabweichung relativ zum Mittel von 1861–1880 [°C] 2100 4 2100 3 2100 2050 2 2030 1 2050 2050 2050 2100 2030 2010 1950 0 RCP 2.6 RCP 4.5 RCP 6.0 RCP 8.5 2000 1980 Historisch RCP Bandbreite 1% pro Jahr CO2 1% pro Jahr CO2 Bandbreite RCP: Representative Concentration Pathways 1890 0 500 1.000 1.500 Kumulierte anthropogene CO2-Emissionen seit 1870 [Gt C] 2.000 2.500 Quelle: IPCC, 2013 Änderung der global gemittelten Oberflächentemperatur [°C] Gute Nachricht: Durch Klimaschutzmaßnahmen lässt sich die globale Erwärmung (noch) unter 2°C halten 6,0 4,0 historisch RCP 2.6 RCP 8.5 2,0 0,0 -2,0 1950 2000 2050 Jahr 2100 Quelle: IPCC, 2013 SDG – Sustainable Development Goals • Millenniumentwicklungsziele (MDGs): 8 Entwicklungsziele, von int. Gemeinschaft in 2000 beschlossen (Zieljahr 2015) • im Zentrum: Überwindung von Armut, Investitionen in Grundlagen menschlicher Entwicklung (z.B. Gesundheit und Bildung) • Rio+20-Konferenz (2012): Post-2015-Prozess, Entwicklung von SDGs beschlossen // parallel: Überlegungen zu MDG-Nachfolge • SDG‘s: seit 2015 neue politische Zielsetzungen der UN für Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene (ab Januar 2016, für 15 Jahre, bis 2030) • Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development Globale Leitplanken mit dringendem Handlungsbedarf Sechs Leitplanken für Entwicklungsagenda 2015+ (1) 1. Klimawandel: Erwärmung des Klimasystems auf 2 ° C begrenzen. Globale CO2-Emissionen aus fossilen Quellen bis etwa 2070 einstellen 2. Ozeanversauerung: pH-Wert der obersten Meeresschicht soll nicht mehr als 0,2 Einheiten gegenüber vorindustriellem Wert absinken. Globale CO2Emissionen aus fossilen Quellen bis etwa 2070 einstellen 3. Biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen: Verlust von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen stoppen; dafür unmittelbare anthropogene Treiber (z. B . Konversion natürlicher Ökosysteme) bis spätestens 2050 zum Stillstand bringen Sechs Leitplanken für Entwicklungsagenda 2015+ (2) 4. Land- und Bodendegradation: Anthropogene Land- und Bodendegradation stoppen. Dafür Netto-Landdegradation bis 2030 weltweit und in allen Ländern stoppen. 5. Gefährdung durch langlebige anthropogene Schadstoffe: Substituierbare Nutzung von Quecksilber sowie anthropogene Quecksilberemissionen bis 2050 stoppen. Freisetzung von Plastikabfall in die Umwelt bis 2050 weltweit stoppen. Produktion von Kernbrennstoffen für Kernwaffen und Kernreaktoren bis 2070 stoppen. 6. Verlust von Phosphor: Phosphor ist unverzichtbare Ressource für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Freisetzung nicht rückgewinnbaren Phosphors bis 2050 stoppen, so dass Kreislaufführung weltweit erreicht werden kann. 17 SDG‘s (Sustainable Development Goals) Mit Agenda 2030 weltweit vereinbart Quelle: http://www.bmz.de/de/ministerium/ziele/ziele/2030_agenda/index.html WBGU: Neutralitätskonzept zur Sicherung der Erdsystemleistungen (auch für Umsetzung SDG‘s anzuwenden) • Entwicklungspfade so umlenken, dass Überschreiten planetarischer Leitplanken vermieden wird à Nullemissionen à Kreislaufwirtschaft • Neutralitätskonzept kann nur umgesetzt werden, wenn • die globalen Disparitäten abgebaut werden (innerhalb und zwischen Staaten) • ökologischer Fußabdruck der Mittel- und Oberschichten verkleinert wird • die ökonomischen Eliten Kapitalanlage- und Investitionsentscheidungen stärker an Leitplanken orientieren. • Das Einhalten der Leitplanken ist eine notwendige Voraussetzung für Armutsbekämpfung und Entwicklung (es behindert nicht etwa die Entwicklung der Ärmsten und Armen) Zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen: WBGU (2011): Wir brauchen eine Große Transformation. Drei zentrale Transformationsfelder; Basisstrukturen / Hauptpfeiler der Weltwirtschaft umgebaut werden: • Energiesysteme • Urbanisierung • Landnutzung Zentrale Botschaften: • Transformation ist notwendig, wegen vieler nicht-nachhaltiger Megatrends des Erdsystems, insbesondere in Bereichen: • • • • • • Klimawandel und -wirkungen Ökosystemleistungen, Biodiversität Bodendegradation, Desertifikation Wassermangel und -verschmutzung Rohstoffe, Nährstoffe, Schadstoffe Interaktionen zwischen globalen Umweltveränderungen • Fossil-nukleares Wirtschaftsmodell hat keine Zukunft (obwohl fossile Ressourcen und Reserven noch sehr groß sind) • Transformation hat bereits begonnen .... Wie kann eine Große Transformation entstehen? (1) • Klar ist: Sie ist nicht planbar – aber sie ist gestaltbar • Es braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag. • (Denkfigur) Konsens über Kernfragen des Zusammenlebens mit dem Ziel: Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage für heute und Zukunft • Kombiniert Zukunftsverantwortung mit Kultur demokratischer Teilhabe • Verknüpft gestaltenden Staat mit verbesserter Beteiligung der gesamten Gesellschaft (Bildung, um zur Beteiligung zu befähigen / capacity building) • Sollte globale Reichweite haben • Muss Fairness, Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich berücksichtigen Wie kann eine Große Transformation entstehen? (2) • Empfehlung einer Transformation beruht auf wissenschaftlicher Erkenntnis und Einsicht; wir wissen viel über die Leitplanken, die wir einhalten sollten bzw. Schäden, die in der Zukunft zu vermeiden sind. Es geht also um „Lernen aus der Zukunft“. Aber was bedeutet das? Wie geht das? • „Entwicklungskorridor“ ist durch die planetarischen Leitplanken vorgegeben, es gilt die Entwicklungspfade in diesem Raum zu gestalten. Gesamtgesellschaftlicher Such- und Lernprozess • Das ist neu – ausgelöst durch und ausgehend von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Wirtschaft und Lebensweisen umzugestalten. • Klar ist: Es braucht viele technische und soziale Innovationen. Dafür sind Bildung und Forschung zentral ! ;59)#7#'(97+. A%#70)('%$. A'#797+01B-('(. C+'7<%.D'))'(E F#<'(06(9,-. G#0,-'7%4)'9( -5,- ,-.'-")" ("#*/%'("&# 8'4%(357#0#'(97+0+(%< !"#$%&$"'(")*+$%%$ !"#$%&'()(*+"#,-'./'0'""0,-%1) $#))'" !&.0%&"*1..2")%$-.' 23'(45$6'70%)#57.&57 8'4%(357#0#'(97+015()0,-(#))'7 :;'3597<= 7#'<(#+ Phasenverläufe der Transformation, Beispiel Klimaschutz !"#$%4(#0' I'9)' >? @%-(' H? @%-(' Bildung auf allen Ebenen relevant, capacity building J'#) Quelle: nach Grin et al., 2010 Rollen für Akteure + Laboratorien im Transformationsprozess Klimaschutzabkommen von Paris Ein Erfolg? Ein großer Schritt zur Einhaltung der Leitplanke(n) und zur globalen nachhaltigen Entwicklung? Es folgt eine kurze Einschätzung des WBGU "Paris Agreement“, Dezember 2015 (1) • jahrelanges Tauziehen, nun erster völkerrechtlich verbindlicher Vertrag zum Klimawandel (WBGU: „historisches Klimaschutzabkommen“) • bedeutet Einigung auf weltweite Transformation zu klimaverträglicher Wirtschaftsweise, also Einstieg in Dekarbonisierung der Weltwirtschaft und Null-Emissionen in 2. Hälfte des Jahrhunderts. WBGU: Für 2°C: globale CO2-Emissionen bis etwa 2070 auf Null absenken • Diese "Dekarbonisierung“ sollte Herzstück der Klimaschutzstrategien aller Staaten werden. Damit ist ein Ende von Kohle, Erdöl und Gas eingeleitet. • Alle Staaten setzen sich Ziele, um klimaverträglich umzusteuern; gut, denn Problem kann nur gemeinsam gelöst werden; Kioto-Protokoll (1997) war auf Industrieländer fokussiert • Begrenzung Klimawandel auf weniger als 2°C völkerrechtlich verankert, Begrenzung auf 1,5°C angestrebt (gegenüber Vor-Industrialisierung) "Paris Agreement“, Dezember 2015 (2) • enthält Vereinbarungen zur Anpassung, Umgang mit Verlusten und Schäden von Folgen der globalen Erwärmung sowie Finanzzusagen und weitere Unterstützungsangebote der reichen Länder • Kann bereits heute erhebliche Wirkungen entfalten (tritt erst 2020 in Kraft); siehe Ausrichtung von Investitionen • Zu begrüßen, dass Klimaschutzbeiträge alle 5 Jahre überprüft und neue Ziele eingereicht werden sollen. • .... Und Vieles mehr zu begrüßen "Paris Agreement“, Dezember 2015 (3) ABER: • Angekündigte nationale Ziele und Maßnahmen der Länder (INDCs, Intended Nationally Determined Contributions) würden nur für Begrenzung auf etwa 3°C ausreichen. • Vereinbarungen garantieren nicht, dass Ziele auch umgesetzt werden. JETZT IST ENTSCHEIDEND: • CO2-Emissionen müssen vor 2030 ihren Scheitelpunkt erreichen und möglichst schnell nach 2050 auf null gesenkt werden. • Vertrag in zusätzlichen Umsetzungsvereinbarungen präzisieren • Noch zu klären: technische Fragen, Überprüfung der nationalen Ziele ... • Verpflichtungen mit Leben füllen; in allen Staaten Dekarbonisierungs- Fahrpläne erarbeiten Beispiele für WBGU-“Bildungs“-Produkte (1) Video-Seminar „Transformation“ (2011): • Vorstellung des Gutachtens „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ durch Mitglieder des WBGU • Englische Vorlesungen plus Diskussionen mit Studentinnen • erstellt in Kooperation mit der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit in Bremen als kostenlose Lehrveranstaltung Nachhaltigkeit Beispiele für WBGU-“Bildungs“-Produkte (2) Comic zum WBGU-Gutachten zur Großen Transformation: auf deutsch herausgegeben von Alexandra Hamann, Claudia Zea-Schmidt, Reinhold Leinfelder Weitere Sprachen: • englisch (kostenlos bei WBGU erhältlich) • französisch • koreanisch Lehrmaterialien Beispiel für WBGU-Film • Kurzfilm: Macht Mensch – Das Konzept planetarischer Leitplanken http://www.wbgu.de/videos/videos-wbgu/video-leitplanken/ Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! Alle WBGU-Gutachten gibt es kostenlos unter: www.wbgu.de