Der Knochenschlosser (Seiten 40-43)

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GESUNDHEIT Chrüteregge
Der Knochen
Um gebrochene Knochen besser zusammen-
Foto: Bildagentur Waldhäusl
wachsen zu lassen, wurde Beinwell früher
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benutzt. Doch die alte Heilpflanze kann mehr:
Sie wirkt mildernd bei Prellungen und Zerrungen – davon profitieren Sportler noch heute.
Text: Marion Kaden
Chrüteregge GESUNDHEIT
schlosser
Beinwell und die Botanik
Beinwell gehört zur Familie der Borretschgewächse (Boraginaceae). Die Pflanze
wächst in Europa und Asien in den gemässigten Zonen, bevorzugt feuchten, humusreichen Boden. In freier Natur ist Beinwell an
P
rellungen, Zerrungen oder Verstauchungen passieren täglich
beim Sport, aber auch bei unbedachten Bewegungen. Sie sind
schmerzhaft und können manchmal lange
gewohnte Tätigkeiten einschränken. Zur
Schmerzbekämpfung werden gerne synthetische Medikamente verordnet, die jedoch wegen ihrer Nebenwirkungen nicht
in einem angemessenen Nutzen-RisikoVerhältnis bei dieser Anwendung stehen.
Salben oder Gelees aus einer uralten
Heilpflanze hingegen haben keine Nebenwirkungen. Ihr Name: Beinwell (Symphytum officinale), auch grosse Wallwurz
oder Schwarzwurzel genannt. Auch etymologisch deutet der Name Beinwell auf
die traditionelle Verwendung des Heil-
krauts hin: «Bein» ist eine alte Bezeichnung für Knochen (Gebeine). Beinwalla
oder Beinwelle bedeuten «Zusammenheilen von Knochen».
Das Synonym Wallwurz ist im biologischen Sinne dem «Wallen» der Bäume
entlehnt. Sie reagieren mit wulstartigen,
«überwallenden» Wundrändern auf Verletzungen. Auch der griechische Name
Symphytum (zusammenwachsen) legt
nahe, dass die Pflanze schon im Altertum
bekannt war.
Bachufern oder auf Streuwiesen zu finden.
Die Pflanze hat eine dicke spindelförmige,
verästelte Wurzel. Sie ist aussen schwarz,
innen weiss und schleimig. Die getrocknete
Wurzel hat eine hornartige Beschaffenheit.
Die Stängel der Pflanze sind kräftig und
ästig verlaufend. An ihnen wachsen grosse,
fleischige und weiche Blätter. Die unteren
Blätter sind eiförmig-lanzettlich, die oberen
lanzettlich nach unten verlaufend. Stängel
wie Blätter sind rauhaarig und borstig.
Die fünfzähligen Blüten sind kelchförmig
Eine vornehme Wundarznei
Im Sinne der griechischen Säftelehre beschrieben Heilkundige Beinwell damals
als warme, trockene Pflanze mit einer
grossen zusammenziehenden (adstringierenden) Kraft. Sie verwendeten sämtliche
Pflanzenteile für den inneren wie äusseren
Gebrauch. Erste schriftliche Dokumentationen lieferte im ersten Jahrhundert
Dioskurides, der Beinwell unter anderem
als Wundauflage (Kataplasma) gegen Entzündungen empfahl. 1500 Jahre später
beschrieb der deutsche Naturforscher
und Arzt Lonicerus die Pflanze mit einer
«widerwertigen Kraft», um Wunden vom
Eiter zu befreien, einen Blutfluss zu stillen
oder Entzündungen abklingen zu lassen.
Und Zeitgenosse Johann Schröder empfahl in der «Chymischen Apothek» Beinwell sogar als «eine der vornehmsten
Wundarzneien» und fasste die damaligen
Darreichungsformen zusammen: «Als Tee,
eingemachte Wurzel, Sirup, eingedickter
Aschschleim der gekochten Wurzel, extrahiert in Weinspiritus, destilliertes Öl.»
Retter in der Hungersnot
Doch nicht nur als grosses Wundheilmittel hatte Beinwell seinen Platz: Er galt auch
als gutes Mittel gegen Lungenerkrankungen wie Tuberkulose, Lungenentzündung
oder Bronchitis, sowie gegen Durchfall,
Magen- und Darmgeschwüre, Ruhr oder
Bauchfellbruch. Bei so einer hohen Wertschätzung durfte die Pflanze entsprechend
in keinem Kloster-, Kräuter- oder Bauerngarten fehlen.
und zu Wickeln angeordnet.
Die Blütezeit ist von Mai bis Juni. Die schönen Blüten sind nach unten wachsende
violettfarbene Kelche. Sie sind honigreich
und vor allem bei den langrüsseligen Hummeln begehrt. Im Aargau wird die Pflanze
deshalb auch Imbelichrut genannt.
Neben der medizinischen Verwendung war Beinwell auch ein beliebtes
Gewürz oder eine Kräuterbeigabe für
viele regionale Gerichte. Die Blätter wurden frisch geerntet, in Teig eingebacken
und als Küchlein gegessen. In der Luzerner Gegend wird Beinwell deshalb auch
als Chuechi-Chrut bezeichnet.
In manchen Notzeiten war Beinwell
aber mehr als nur ein Gewürz. In Irland
ersetzte die Pflanze im 19. Jahrhundert
ein Grundnahrungsmittel: Während der
Grossen Hungersnot (1845 bis 1849) verhungerten eine halbe Million Menschen,
weil Kartoffelfäule mehrere Jahre lang
Kartoffelernten ausfallen liess. Ein grosser
Teil der Bevölkerung soll auf den üppig
wachsenden Beinwell ausgewichen sein.
Sowohl Wurzeln als auch Kraut dienten
der Bevölkerung als Kartoffel-Ersatz.
Einseitig blinde
Laborwissenschaft
Im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert
begann eine grundsätzliche Neubewertung von Heilpflanzen. Wissenschaftler
und Pharmakologen begannen althergebrachte Heilpflanzen mit modernen LaborNatürlich | 9-2007 41
Foto: René Berner
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technologien zu erforschen. Die Durchforstung der naturheilkundlichen Pharmakopoen war und ist bis heute eine wichtige
Grundlage auf der Suche nach neuen Wirkstoffen, um Krankheiten zu heilen. Trotz
modernsten Technologien sind Wissenschaftler jedoch bis heute nur in der Lage,
Einzelwirkstoffe zu extrahieren und darzustellen. Den Forschern gelingt es nicht,
das komplizierte Zusammenspiel pflanzlicher Kompositionen in ihrer Vielfalt zu
erforschen und zu beschreiben.
Problematisch ist bei dieser beschränkten Herangehensweise, dass Pflanzen-Extrakte – im biochemischen Verständnis,
also Wirkstoff-Gemische – oft nicht im
Sinne der standardisierten ArzneimittelWirkungsnachweise geprüft worden sind.
Heilpflanzen werden also nicht ganzheitlich berücksichtigt, sondern nur als isolierter Teilaspekt, zum Beispiel als bestimmte Substanz. Wenn dann bei Heilpflanzen Wirkstoffe gefunden werden, die
isoliert im Zell- oder Tierversuch beispielsweise krebserregend wirken, ist ihr
Ende innerhalb der modernen Phytotherapie oft vorhersehbar.
Beinwell blüht von Mai bis September meist violett, aber auch weisslich-gelb
doch nur eine positive Monografie für die
äusserliche Verwendung von BeinwellPräparaten bei Prellungen und Zerrungen,
also stumpfen Verletzungen, aus. Die
damals verfassten Pflanzen-Monografien
sollten die damaligen Erkenntnisse von
«Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit» widerspiegeln, die eine wechselnde Gruppe von Experten über 30 Jahre
zusammentrugen.
In Tierversuchen wurden angeblich
auch krebserregende und leberschädigende Beinwell-Wirkstoffe nachgewiesen.
Deshalb wollte die Kommission die innere
Anwendung nicht gelten lassen, da in
ihren Augen die Unbedenklichkeit nicht
gewährleistet war. Sie nahm bei den Bewertungen billigend in Kauf, dass ihr Urteil auf nicht verifizierten Tierversuchen
basierte. Diese unterlagen meistens entweder abnormen Fütterungssituationen
von Tieren (Schlundsonden) oder entstanden auf der Grundlage von der Verabreichung von extrem hohen Dosen, die im
Alltagsgebrauch nicht vorkommen.
Bei dem von den Fachleuten befürchteten Risiko wurde jedoch die jahrtausendealte Erfahrung mit Beinwell unberücksichtigt gelassen.
Unsinnige Tierversuche
In Beinwell-Extrakten wurde in den 70erund 80er-Jahren gleich ein ganzes Bündel
hochwirksamer Stoffe nachgewiesen. Die
für Medikamentenzulassungen zuständige
Kommission E des Deutschen Bundesgesundheitsministeriums stellte 1990 je-
Foto: irisblende.de
Ein Fall für Beinwell: Das Heilkraut mildert
die Folgen harter Sportarten
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Wundersames
Wirkstoff-Bouquet
Folgende Wirkstoffe des Beinwells sind
beschrieben worden: Schleimstoffe (Fructane), Gerbstoffe, Triterpensaponine (Sym-
phytoxid A), Rosmarinsäure, Cholin,
Phytosterine, B-Vitamine, Kieselsäure,
Pyrrolizidinalkaloide und Allantoin.
Als Hauptkomponente des Beinwells
gilt das Allantoin. Es ist ein Harnstoffabkömmling, welcher im Pflanzenreich
eher selten vorkommt. Allantoin wirkt
unter anderem wundsekretsteigernd. Es
fördert den Abfluss von Zellflüssigkeit
aus der Wunde, hilft somit Bakterien
und Zersetzungsprodukte schneller wegzutransportieren und wirkt deshalb wundreinigend. Gemeinsam mit den Schleimstoffen fördert das Allantoin die Zellerneuerung sowohl im Haut- als auch im
Knochengewebe.
Während die Gerbstoffe keimhemmend wirken, ist das Cholin durchblutungsfördernd. Durch die verstärkte Durchblutung des Gewebes können verletzte,
von Abwehrzellen abgebaute Gewebeteile
I N F O B OX
Literatur
• Pechatschek: «Beinwell –
Eine hervorragende Heilpflanze»
Verlag Ennsthaler 2001, Fr. 20.–
• Kerckhoff/Wilkens: «Was tun
zur Wundheilung nach Operationen»
Verlag Kvc 2006, Fr. 9.10
Internet
• www.kraeuterfrau.ch
• www.wallwurz.eu
• www.pflanzen-info.ch
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schneller abtransportiert werden. Auch
Blutergüsse (Hämatome) bilden sich besser zurück. Der Austritt von Gewebeflüssigkeit und die damit verbundene Entstehung von Ödemen wird ebenfalls
schneller reguliert.
Beinwell macht mobil
Diese Förderung der Wundheilung wurde
in den letzten drei Jahrzehnten immer
wieder untersucht. Kürzlich beispielsweise durch eine Doppelblind-Studie mit
142 Patienten. Ergebnis: Gegenüber Placebo verspürten Patienten mit BeinwellSalben einen eindeutig rascheren Rückgang von Schmerzen und Gelenk-Schwellungen. Auch die Mobilität war schneller
wiederhergestellt. Eine aktuelle Studie aus
diesem Jahr beschäftigt sich mit der Versorgung von arthritischen Knie-Beschwerden. 220 Patienten wurden mit BeinwellSalbe behandelt. Auch bei ihnen stellte
sich eine schnellere Verbesserung der
Mobilität sowie ein deutlicherer Rückgang
der Schmerzen gegenüber placebobehandelten Patienten heraus. Die Gesamt-Verbesserung der Beschwerden unter Beinwell-Therapie führte auch – im Vergleich
zur Placeboanwendung – zu einer verbesserten Lebensqualität.
■
Heilsam und einfach in der Anwendung
Beinwell wird in der Regel in zwei Darreichungsformen verwendet:
• Als Salbe und Gelee: Um die experimentell
krebserregende Wirksamkeit der Pyrrolizidinalkaloide zu umgehen, sind Hersteller von
Beinwell-Produkten dazu übergegangen, diese zu
entfernen. Salben und Gelee aus Beinwell-Extrakten sind also Pyrrolizidinalkaloid-frei. Sie können
bei Sportverletzungen wie Prellungen,
Verstauchungen, Zerrungen, Knie- und Fussgelenkverletzungen, bedenkenlos auch über längere Zeiträume angewendet werden. Die Salben
werden dabei einmal täglich leicht einmassiert.
Danach wird die behandelte Stelle – je nach Verletzung – beispielsweise mit Gaze abgedeckt,
bevor weitere Stützverbände angelegt werden.
• Als Umschlag: Wer keine Salbe zur Hand hat,
kann bei leichteren Prellungen, Zerrungen oder
Blutergüssen auch Beinwell-Umschläge verwenden. Dazu wird zuerst ein Tee bereitet: zwei bis
drei Teelöffel Beinwell-Kraut mit etwa zwei Deziliter kochendem Wasser übergiessen, bedeckt
ziehen lassen und nach zehn Minuten abseihen.
Den Beinwell-Tee mindestens auf handwarme
Temperatur herabkühlen. Ein Leinen- oder Baumwoll-Handtuch wird mit dem Heiltee befeuchtet
und dann auf die schmerzende Körperstelle aufgelegt. Dieses Tuch wird mit einem trockenen Baumwolltuch fixiert. Der Umschlag kann bis zu einer
Stunde liegen bleiben. Bei ausgeprägten Schmerzen kann der feuchte Umschlag auch mit eisgekühltem Heiltee gemacht werden, wobei dann
die akute Schmerzlinderung im Vordergrund steht.
Die Umschläge sollten nur bei unverletzter Haut
gemacht werden. Bei Überempfindlichkeiten
gegenüber Beinwell kann es zu Rötungen und
Juckreiz kommen. Während der Anwendung ist
körperliche Ruhe empfehlenswert.
• Achtung: Schwangere und stillende Mütter
sollten auf alle Arznei-Anwendungen verzichten,
bis sie mit dem betreuenden Arzt darüber gesprochen haben. Dies gilt auch für sämtliche naturheilkundlichen, phytotherapeutischen oder homöopathischen Präparate.
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