GESUNDHEIT Chrüteregge Der Knochen Um gebrochene Knochen besser zusammen- Foto: Bildagentur Waldhäusl wachsen zu lassen, wurde Beinwell früher 40 Natürlich | 9-2007 benutzt. Doch die alte Heilpflanze kann mehr: Sie wirkt mildernd bei Prellungen und Zerrungen – davon profitieren Sportler noch heute. Text: Marion Kaden Chrüteregge GESUNDHEIT schlosser Beinwell und die Botanik Beinwell gehört zur Familie der Borretschgewächse (Boraginaceae). Die Pflanze wächst in Europa und Asien in den gemässigten Zonen, bevorzugt feuchten, humusreichen Boden. In freier Natur ist Beinwell an P rellungen, Zerrungen oder Verstauchungen passieren täglich beim Sport, aber auch bei unbedachten Bewegungen. Sie sind schmerzhaft und können manchmal lange gewohnte Tätigkeiten einschränken. Zur Schmerzbekämpfung werden gerne synthetische Medikamente verordnet, die jedoch wegen ihrer Nebenwirkungen nicht in einem angemessenen Nutzen-RisikoVerhältnis bei dieser Anwendung stehen. Salben oder Gelees aus einer uralten Heilpflanze hingegen haben keine Nebenwirkungen. Ihr Name: Beinwell (Symphytum officinale), auch grosse Wallwurz oder Schwarzwurzel genannt. Auch etymologisch deutet der Name Beinwell auf die traditionelle Verwendung des Heil- krauts hin: «Bein» ist eine alte Bezeichnung für Knochen (Gebeine). Beinwalla oder Beinwelle bedeuten «Zusammenheilen von Knochen». Das Synonym Wallwurz ist im biologischen Sinne dem «Wallen» der Bäume entlehnt. Sie reagieren mit wulstartigen, «überwallenden» Wundrändern auf Verletzungen. Auch der griechische Name Symphytum (zusammenwachsen) legt nahe, dass die Pflanze schon im Altertum bekannt war. Bachufern oder auf Streuwiesen zu finden. Die Pflanze hat eine dicke spindelförmige, verästelte Wurzel. Sie ist aussen schwarz, innen weiss und schleimig. Die getrocknete Wurzel hat eine hornartige Beschaffenheit. Die Stängel der Pflanze sind kräftig und ästig verlaufend. An ihnen wachsen grosse, fleischige und weiche Blätter. Die unteren Blätter sind eiförmig-lanzettlich, die oberen lanzettlich nach unten verlaufend. Stängel wie Blätter sind rauhaarig und borstig. Die fünfzähligen Blüten sind kelchförmig Eine vornehme Wundarznei Im Sinne der griechischen Säftelehre beschrieben Heilkundige Beinwell damals als warme, trockene Pflanze mit einer grossen zusammenziehenden (adstringierenden) Kraft. Sie verwendeten sämtliche Pflanzenteile für den inneren wie äusseren Gebrauch. Erste schriftliche Dokumentationen lieferte im ersten Jahrhundert Dioskurides, der Beinwell unter anderem als Wundauflage (Kataplasma) gegen Entzündungen empfahl. 1500 Jahre später beschrieb der deutsche Naturforscher und Arzt Lonicerus die Pflanze mit einer «widerwertigen Kraft», um Wunden vom Eiter zu befreien, einen Blutfluss zu stillen oder Entzündungen abklingen zu lassen. Und Zeitgenosse Johann Schröder empfahl in der «Chymischen Apothek» Beinwell sogar als «eine der vornehmsten Wundarzneien» und fasste die damaligen Darreichungsformen zusammen: «Als Tee, eingemachte Wurzel, Sirup, eingedickter Aschschleim der gekochten Wurzel, extrahiert in Weinspiritus, destilliertes Öl.» Retter in der Hungersnot Doch nicht nur als grosses Wundheilmittel hatte Beinwell seinen Platz: Er galt auch als gutes Mittel gegen Lungenerkrankungen wie Tuberkulose, Lungenentzündung oder Bronchitis, sowie gegen Durchfall, Magen- und Darmgeschwüre, Ruhr oder Bauchfellbruch. Bei so einer hohen Wertschätzung durfte die Pflanze entsprechend in keinem Kloster-, Kräuter- oder Bauerngarten fehlen. und zu Wickeln angeordnet. Die Blütezeit ist von Mai bis Juni. Die schönen Blüten sind nach unten wachsende violettfarbene Kelche. Sie sind honigreich und vor allem bei den langrüsseligen Hummeln begehrt. Im Aargau wird die Pflanze deshalb auch Imbelichrut genannt. Neben der medizinischen Verwendung war Beinwell auch ein beliebtes Gewürz oder eine Kräuterbeigabe für viele regionale Gerichte. Die Blätter wurden frisch geerntet, in Teig eingebacken und als Küchlein gegessen. In der Luzerner Gegend wird Beinwell deshalb auch als Chuechi-Chrut bezeichnet. In manchen Notzeiten war Beinwell aber mehr als nur ein Gewürz. In Irland ersetzte die Pflanze im 19. Jahrhundert ein Grundnahrungsmittel: Während der Grossen Hungersnot (1845 bis 1849) verhungerten eine halbe Million Menschen, weil Kartoffelfäule mehrere Jahre lang Kartoffelernten ausfallen liess. Ein grosser Teil der Bevölkerung soll auf den üppig wachsenden Beinwell ausgewichen sein. Sowohl Wurzeln als auch Kraut dienten der Bevölkerung als Kartoffel-Ersatz. Einseitig blinde Laborwissenschaft Im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert begann eine grundsätzliche Neubewertung von Heilpflanzen. Wissenschaftler und Pharmakologen begannen althergebrachte Heilpflanzen mit modernen LaborNatürlich | 9-2007 41 Foto: René Berner GESUNDHEIT Chrüteregge technologien zu erforschen. Die Durchforstung der naturheilkundlichen Pharmakopoen war und ist bis heute eine wichtige Grundlage auf der Suche nach neuen Wirkstoffen, um Krankheiten zu heilen. Trotz modernsten Technologien sind Wissenschaftler jedoch bis heute nur in der Lage, Einzelwirkstoffe zu extrahieren und darzustellen. Den Forschern gelingt es nicht, das komplizierte Zusammenspiel pflanzlicher Kompositionen in ihrer Vielfalt zu erforschen und zu beschreiben. Problematisch ist bei dieser beschränkten Herangehensweise, dass Pflanzen-Extrakte – im biochemischen Verständnis, also Wirkstoff-Gemische – oft nicht im Sinne der standardisierten ArzneimittelWirkungsnachweise geprüft worden sind. Heilpflanzen werden also nicht ganzheitlich berücksichtigt, sondern nur als isolierter Teilaspekt, zum Beispiel als bestimmte Substanz. Wenn dann bei Heilpflanzen Wirkstoffe gefunden werden, die isoliert im Zell- oder Tierversuch beispielsweise krebserregend wirken, ist ihr Ende innerhalb der modernen Phytotherapie oft vorhersehbar. Beinwell blüht von Mai bis September meist violett, aber auch weisslich-gelb doch nur eine positive Monografie für die äusserliche Verwendung von BeinwellPräparaten bei Prellungen und Zerrungen, also stumpfen Verletzungen, aus. Die damals verfassten Pflanzen-Monografien sollten die damaligen Erkenntnisse von «Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit» widerspiegeln, die eine wechselnde Gruppe von Experten über 30 Jahre zusammentrugen. In Tierversuchen wurden angeblich auch krebserregende und leberschädigende Beinwell-Wirkstoffe nachgewiesen. Deshalb wollte die Kommission die innere Anwendung nicht gelten lassen, da in ihren Augen die Unbedenklichkeit nicht gewährleistet war. Sie nahm bei den Bewertungen billigend in Kauf, dass ihr Urteil auf nicht verifizierten Tierversuchen basierte. Diese unterlagen meistens entweder abnormen Fütterungssituationen von Tieren (Schlundsonden) oder entstanden auf der Grundlage von der Verabreichung von extrem hohen Dosen, die im Alltagsgebrauch nicht vorkommen. Bei dem von den Fachleuten befürchteten Risiko wurde jedoch die jahrtausendealte Erfahrung mit Beinwell unberücksichtigt gelassen. Unsinnige Tierversuche In Beinwell-Extrakten wurde in den 70erund 80er-Jahren gleich ein ganzes Bündel hochwirksamer Stoffe nachgewiesen. Die für Medikamentenzulassungen zuständige Kommission E des Deutschen Bundesgesundheitsministeriums stellte 1990 je- Foto: irisblende.de Ein Fall für Beinwell: Das Heilkraut mildert die Folgen harter Sportarten 42 Natürlich | 9-2007 Wundersames Wirkstoff-Bouquet Folgende Wirkstoffe des Beinwells sind beschrieben worden: Schleimstoffe (Fructane), Gerbstoffe, Triterpensaponine (Sym- phytoxid A), Rosmarinsäure, Cholin, Phytosterine, B-Vitamine, Kieselsäure, Pyrrolizidinalkaloide und Allantoin. Als Hauptkomponente des Beinwells gilt das Allantoin. Es ist ein Harnstoffabkömmling, welcher im Pflanzenreich eher selten vorkommt. Allantoin wirkt unter anderem wundsekretsteigernd. Es fördert den Abfluss von Zellflüssigkeit aus der Wunde, hilft somit Bakterien und Zersetzungsprodukte schneller wegzutransportieren und wirkt deshalb wundreinigend. Gemeinsam mit den Schleimstoffen fördert das Allantoin die Zellerneuerung sowohl im Haut- als auch im Knochengewebe. Während die Gerbstoffe keimhemmend wirken, ist das Cholin durchblutungsfördernd. Durch die verstärkte Durchblutung des Gewebes können verletzte, von Abwehrzellen abgebaute Gewebeteile I N F O B OX Literatur • Pechatschek: «Beinwell – Eine hervorragende Heilpflanze» Verlag Ennsthaler 2001, Fr. 20.– • Kerckhoff/Wilkens: «Was tun zur Wundheilung nach Operationen» Verlag Kvc 2006, Fr. 9.10 Internet • www.kraeuterfrau.ch • www.wallwurz.eu • www.pflanzen-info.ch Chrüteregge GESUNDHEIT schneller abtransportiert werden. Auch Blutergüsse (Hämatome) bilden sich besser zurück. Der Austritt von Gewebeflüssigkeit und die damit verbundene Entstehung von Ödemen wird ebenfalls schneller reguliert. Beinwell macht mobil Diese Förderung der Wundheilung wurde in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder untersucht. Kürzlich beispielsweise durch eine Doppelblind-Studie mit 142 Patienten. Ergebnis: Gegenüber Placebo verspürten Patienten mit BeinwellSalben einen eindeutig rascheren Rückgang von Schmerzen und Gelenk-Schwellungen. Auch die Mobilität war schneller wiederhergestellt. Eine aktuelle Studie aus diesem Jahr beschäftigt sich mit der Versorgung von arthritischen Knie-Beschwerden. 220 Patienten wurden mit BeinwellSalbe behandelt. Auch bei ihnen stellte sich eine schnellere Verbesserung der Mobilität sowie ein deutlicherer Rückgang der Schmerzen gegenüber placebobehandelten Patienten heraus. Die Gesamt-Verbesserung der Beschwerden unter Beinwell-Therapie führte auch – im Vergleich zur Placeboanwendung – zu einer verbesserten Lebensqualität. ■ Heilsam und einfach in der Anwendung Beinwell wird in der Regel in zwei Darreichungsformen verwendet: • Als Salbe und Gelee: Um die experimentell krebserregende Wirksamkeit der Pyrrolizidinalkaloide zu umgehen, sind Hersteller von Beinwell-Produkten dazu übergegangen, diese zu entfernen. Salben und Gelee aus Beinwell-Extrakten sind also Pyrrolizidinalkaloid-frei. Sie können bei Sportverletzungen wie Prellungen, Verstauchungen, Zerrungen, Knie- und Fussgelenkverletzungen, bedenkenlos auch über längere Zeiträume angewendet werden. Die Salben werden dabei einmal täglich leicht einmassiert. Danach wird die behandelte Stelle – je nach Verletzung – beispielsweise mit Gaze abgedeckt, bevor weitere Stützverbände angelegt werden. • Als Umschlag: Wer keine Salbe zur Hand hat, kann bei leichteren Prellungen, Zerrungen oder Blutergüssen auch Beinwell-Umschläge verwenden. Dazu wird zuerst ein Tee bereitet: zwei bis drei Teelöffel Beinwell-Kraut mit etwa zwei Deziliter kochendem Wasser übergiessen, bedeckt ziehen lassen und nach zehn Minuten abseihen. Den Beinwell-Tee mindestens auf handwarme Temperatur herabkühlen. Ein Leinen- oder Baumwoll-Handtuch wird mit dem Heiltee befeuchtet und dann auf die schmerzende Körperstelle aufgelegt. Dieses Tuch wird mit einem trockenen Baumwolltuch fixiert. Der Umschlag kann bis zu einer Stunde liegen bleiben. Bei ausgeprägten Schmerzen kann der feuchte Umschlag auch mit eisgekühltem Heiltee gemacht werden, wobei dann die akute Schmerzlinderung im Vordergrund steht. Die Umschläge sollten nur bei unverletzter Haut gemacht werden. Bei Überempfindlichkeiten gegenüber Beinwell kann es zu Rötungen und Juckreiz kommen. Während der Anwendung ist körperliche Ruhe empfehlenswert. • Achtung: Schwangere und stillende Mütter sollten auf alle Arznei-Anwendungen verzichten, bis sie mit dem betreuenden Arzt darüber gesprochen haben. Dies gilt auch für sämtliche naturheilkundlichen, phytotherapeutischen oder homöopathischen Präparate. Natürlich | 9-2007 43