III Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 BIP und Wohlstand 1 von 30 Gut für alle? – Das BIP als Wohlstandsindikator H C S R O V Zeichnung: Bernd Wössner / toonpool.com U A Dr. Peter Kührt, Nürnberg Dauer: 6 Stunden Inhalt: Definition und Berechnung des Bruttoinlandsprodukts, Entstehungsrechnung, Verwendungsrechnung, Verteilungsrechnung, Kritik am Bruttoinlandsprodukt Ihr Plus: leicht umsetzbare methodische Tipps für einen abwechslungsreichen Unterricht zur Vollversion 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 2 von 30 BIP und Wohlstand Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 III Fachliche Hinweise Was bedeutet Wohlstand? Wohlstand ist ein sehr schillernder Begriff, der individuell sehr unterschiedliche Assoziationen weckt. In der Regel wird damit ein positiver Zustand verbunden. Zu den Bedingungen, die für den Einzelnen erfüllt sein müssen, können beispielsweise ein sicheres Einkommen, gute Freizeitmöglichkeiten und bezahlbarer Wohnraum zählen. Viele Jugendliche finden es wichtig, auch die allgemeinen Lebensbedingungen und die Umweltsituation zu berücksichtigen. Der Begriff „Wohlstand“ kann somit unterschiedlich definiert werden. Der Fokus auf das Bruttoinlandsprodukt Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist noch immer der zentrale Maßstab für den Wohlstand einer Volkswirtschaft. Andererseits ist dieses Kriterium Anlass für erbitterte Kritik, da die Berechnung des BIP allein auf marktwirtschaftlichen Größen (umsatzsteuerrelevante Umsätze) basiert und alle anderen volkswirtschaftlichen Leistungen (Hausarbeit, Kindererziehung, Schwarzarbeit, nicht umsatzsteuerpflichtige Umsätze) ausblendet. Zudem ist es fraglich, ob das BIP-Wachstum den Wohlstand eines Landes widerspiegelt, berücksichtigt es doch weder die Einkommensverteilung noch die sozialen und ökologischen Folgekosten der Leistungserstellung. Inzwischen mahnen auch Wirtschaftswissenschaftler, dass mehr Wachstum nicht unbedingt eine Verbesserung der Lebensqualität bedeutet. Ökonomisches Wachstum ist bisher nicht unabhängig vom Ressourcenverbrauch zu haben. Und bisher gibt es noch keine gesamtgesellschaftlich überzeugende Lösung für das Problem, die BIP-Raten vom Verbrauch endlicher Ressourcen zu entkoppeln oder gleichzeitig den materiellen Lebensstandard zu steigern, aber die Umwelt weniger zu belasten. U A H C Wie kann ein neuer Indikator aussehen? Enquete-Kommissionen haben allgemein den Auftrag, sich überparteilich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen. Das Ergebnis der Arbeit der Kommissionen soll dann gemeinsam von allen Fraktionen im Bundestag getragen werden können. Unter dem Titel „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ hat der 17. Bundestag eine solche Enquete-Kommission Ende 2010 eingerichtet. Die sogenannte Wohlstandsenquete soll der Frage nachgehen „wie der Wohlstand in Zukunft gesichert werden kann“. Auf den Internetseiten des Deutschen Bundestages heißt es dazu weiter, dass geprüft werden müsse, „wie die Einflussfaktoren von Lebensqualität und gesellschaftlichem Fortschritt angemessen berücksichtigt und zu einem gemeinsamen Indikator zusammengeführt werden können“. Dahinter steht das Problembewusstsein, dass das BIP soziale und ökologische Aspekte nicht ausreichend berücksichtigt. Es gilt also, einen neuen, erweiterten und gleichzeitig objektiv messbaren Indikator zu erarbeiten. Keine einfache Aufgabe. S R O V Die Arbeit der Wohlstandsenquete In zahlreichen öffentlichen Sitzungen und nichtöffentlichen Beratungsrunden haben die 34 Mitglieder der Kommission darum gerungen, einen solchen neuen Maßstab für erfolgreiche Wirtschaftspolitik zu entwickeln. In diesem Zusammenhang haben sich mehrere Arbeitsgruppen mit den Themen Ressourcenverbrauch, Konsumverhalten, technologischer Fortschritt und zukünftige Lebensstile befasst. Inzwischen liegt der umfangreiche Abschlussbericht der Wohlstandsenquete vor. Wer mag, kann hier das über 800 Seiten umfassende Dokument sowie die Entschließungsanträge der Bundestagsfraktionen einsehen: www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Schlussbericht/index.html. Es geht um Zielkonflikte Bei dieser Mammutaufgabe gibt es verschiedene Zielkonflikte zu berücksichtigen, die im Hintergrund stehen. Darunter sind so komplexe Fragen wie „Führt Wachstum dazu, dass unsere Gesellschaft immer ungleicher wird oder wird sie im Gegenteil dadurch gleicher?“ oder „Ist der Abbau der Staatsverschuldung ein vorrangiges Ziel oder führt aktive Beschäftigungspolitik automatisch zu weniger Verschuldung?“. Die Politiker sind also aufgefordert, Antworten auf diese auch in der Wissenschaft umstrittenen Fragen zu finden. Immerhin konnten sich die Kommissionsmitglieder auf 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 zur Vollversion III Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 BIP und Wohlstand 3 von 30 folgendes eindeutige Fazit einigen: „Trotz steigenden Wohlstands für die Weltbevölkerung muss – vor dem Hintergrund der Betrachtung der planetarischen Grenzen – insgesamt der Druck menschlicher Aktivität auf den Planeten abnehmen.“ (Daniela Kolbe, in: Vorwort der Vorsitzenden zum Schlussbericht. In: http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Schlussbericht/17-13300.pdf, S. 20). Didaktisch-methodische Hinweise Stundenverlauf Stunden 1/2 Unser BIP – woher es kommt und was es ausdrückt Intention Die Stunden 1 und 2 möchten die Grundlagen für die Diskussion des BIP als Wohlstandsindikator legen: Was versteht man darunter? Welche Rolle spielt das Wachstum? Materialien M 1–M 3 Mithilfe von M 1 blicken die Lernenden auf einen Sonderfall: Das Land Bhutan ist in seiner Wirtschaftspolitik nicht auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet, sondern hat als Zielgröße das Bruttonationalglück ausgerufen. Mit M 2 wird die bei uns zentrale Kenngröße, das BIP, definiert. Außerdem soll deutlich werden, wie es berechnet wird und wie es sich vom Bruttosozialprodukt unterscheidet. M 3 geht der Frage nach, was der Unterschied zwischen nominalem und realem Wachstum ist. Stunden 3/4 Das Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsindikator? U A H C Intention Diese Doppelstunden blickt genauer darauf, welche Folgen mit einem steigenden BIP verbunden sind. Materialien M 4–M 6 Die Lernenden hinterfragen das Wirtschaftswachstum in mehrfacher Hinsicht: Berücksichtigt es die Einkommensverteilung (M 4)? Berücksichtigt es ökologische Folgeschäden des wirtschaftlichen Wachstums (M 5)? Bereichern wir uns einfach auf Kosten der Dritten Welt (M 6)? S R O V Stunden 5/6 Wohlstand? Wir setzen Maßstäbe! Intention Die Folgestunden hinterfragen wirtschaftlichen Güterreichtum als Wohlstandskriterium. Sind nicht verfügbare Zeit, Gesundheitsversorgung oder die Arbeitslosenquote viel wichtiger als das Wirtschaftswachstum? Materialien M 7–M 8 M 7 fragt, ob man gesellschaftlichen Reichtum bzw. „Wohlstand“ überhaupt messen kann, und wenn ja, wie. Hier geht es auch um die persönlichen Wohlstandsindikatoren der Lernenden. In M 8 setzen sie sich mit der Arbeit der Enquete-Kommission „Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität“ auseinander. Lernkontrolle Anschließend fragt der Klausurvorschlag in M 9 das Kernwissen der sechs Unterrichtsstunden ab. In M 10 werden die wichtigsten Fachbegriffe in einem Glossar erklärt. zur Vollversion 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 4 von 30 BIP und Wohlstand Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 III Ergänzendes Material Arte – Mit offenen Karten: Bhutan und das Bruttonationalglück www.youtube.com/watch?v=eR4XS49glWI Der kurze Videoclip zeigt ein Porträt des Landes Bhutan. Er geht auf seine geografischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Besonderheiten ein. Außerdem zeigt der Film, in welchen Punkten sich der Index vom Bruttoinlandsprodukt unterscheidet und wie sich der Staat Bhutan für die Steigerung des Bruttonationalglücks seiner Bürgerinnen und Bürger einsetzt. www.bpb.de/apuz/139460/wachstum-wohlstand-lebensqualitaet-aktuelle-debatten Wie kann man Wohlstand messen? Welches Wachstum wollen wir? Und was ist mit der Entkopplung von Wohlstand und Umweltverbrauch gemeint? Die Autoren fassen die Debatten um die zentralen Fragestellungen der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wachstum und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ zusammen. U A Materialübersicht Stunden 1/2 Unser BIP – woher es kommt und was es ausdrückt M1 (Fo) Glück statt Leistung – ein Blick nach Bhutan M2 (Tx) Alle reden vom „BIP“ – aber was ist das? M3 (Ab) Unser BIP – wer macht es und wer bekommt es? H C S R Stunden 3/4 Das Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsindikator? M4 (Ab) Mit dem BIP muss man immer rechnen M5 (Ab) Die Wirtschaft wächst – die Armut auch M6 (Tx) Wachstum um jeden Preis? O V Stunden 5/6 Wohlstand? Wir setzen Maßstäbe! M7 (Ab) Alles zu unserem Wohl? – Kann man mit dem BIP den Wohlstand messen? M8 (Ab) Wirtschaftsleistung ist mehr als das BIP – wie kann man sie besser fassen? Lernkontrolle M9 (Lk) M 10 (Gl) Das BIP und die Messung unseres Wohlstandes – Vorschlag für eine Klausur BIP und Wohlstand – ein Glossar Minimalplan Wenn Sie weniger Zeit zur Verfügung haben, können Sie folgendermaßen planen: Stunde 1 Positives oder negatives Wachstum? – Wir rechnen mit dem BIP M 2, M 4 Stunde 2 Ein besseres Leben – was heißt das? M 7, M 1 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 zur Vollversion 6 von 30 BIP und Wohlstand Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 III Aufgaben zur Farbfolie (M 1) 1. Betrachten Sie das obere Bild. Was wissen Sie über Bhutan? Erstellen Sie eine Mindmap. Bhutan U A 2. Schauen Sie sich die Grafik an. Welche Faktoren ergeben das Bruttonationalglück? H C 3. In Deutschland gibt es keine Berechnung des Bruttonationalglücks (BNG). Dafür spielt aber die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts eine große Rolle. Überlegen Sie, warum das so ist. S R O V Erläuterung (M 1) Zu Aufgabe 1: Stellen Sie den Begriff „Bhutan“ in die Mitte der Mindmap. Entweder schreiben Sie als Lehrkraft die Begriffe, die die Schülerinnen und Schüler nennen, in Form einer Gedankensonne um den zentralen Begriff herum und verbinden die Worte mit dem Zentrum. Oder Sie lassen die Schülerinnen und Schüler selbst an die Tafel kommen und ihre Ideen um den zentralen Begriff notieren. Die Mindmap könnte folgendermaßen aussehen: kleines Land (< 1 Million Einwohner) Spiritualität und Religion (Buddhismus) Gebirge (Himalaya) Fläche ⱁ Schweiz Bhutan Nachbarn: Indien, China, Tibet 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 niedriger Lebensstandard lange, schwierige Wege, keine Autobahnen traditionelle Landwirtschaft (Reisanbau) zur Vollversion III Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 BIP und Wohlstand 15 von 30 M5 Die Wirtschaft wächst – die Armut auch Ein steigendes BIP gilt als wichtiges wirtschaftliches Ziel. Aber: Wirtschaftswachstum bedeutet nicht automatisch, dass dann auch das Einkommen der Beschäftigten steigt. Um diese Frage nach der Lohnentwicklung und der Verteilung geht es hier. Die Armut steigt 5 10 15 Trotz wirtschaftlicher Spitzenwerte leben in Deutschland immer mehr Menschen an der Armutsgrenze. Von Armut betroffen sind insbesondere Kinder und Jugendliche. [...] Mehr als zwölf Millionen Menschen leben heute an der Armutsgrenze und sind damit stark von Armut gefährdet. Wer an der Armutsgrenze lebt, gilt noch nicht als arm, kann seinen Lebensunterhalt aber nur noch knapp bestreiten. An der Grenze zur Armut lebt, wer lediglich 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat. U A H C In: www.cecu.de/armutsgrenze.html (05.12.2012) S R Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander. Die Kluft zwischen denen, die viel haben, und denen, die am Rande stehen, klafft tief. 5 10 O V Die Zahlen zu diesen Wortbildern lauten so: Das oberste Zehntel der Bevölkerung besitzt immer mehr, zuletzt 53 Prozent des gesamten Nettovermögens. Die untere Hälfte der Haushalte dagegen hat nicht mehr als ein Prozent. Während die Löhne in den oberen Einkommensgruppen in den vergangenen zehn Jahren satt anstiegen, sind sie am unteren Ende inflationsbereinigt gesunken. 15 20 Über 4 Millionen Menschen arbeiteten im Jahr 2010 für einen Bruttolohn von unter sieben Euro in der Stunde. Wer einmal arm ist, der hat zunehmend Schwierigkeiten aufzusteigen: 65 Prozent der Haushalte im untersten Einkommenssegment verbleiben dort auf Dauer. Noch bis in die späten 1980er-Jahre war die deutsche Gesellschaft wesentlich durchlässiger. In: Julia Friedrichs: Die Kluft. Was Deutschland teilt. In: www.bpb.de/apuz/156762/die-kluft-was-deutschland-teilt (18.3.2013) Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm! Bertolt Brecht, Dreigroschenoper (1928) Aufgaben 1. Wie ist es zu erklären, dass in einem so reichen Land wie Deutschland die Zahl der Armen zunimmt? Nennen Sie mögliche Ursachen. 2. Beschreiben Sie die Grafik. Welche Entwicklung wird deutlich? 3. Nennen Sie zwei Gründe, warum eine 5-prozentige Steigerung des BIP nicht gleichbedeutend mit einem erhöhten Wohlstand der Bevölkerung ist. 4. Was halten Sie von dem Zitat von Bertolt Brecht? Stimmen Sie dieser Ansicht zu? Begründen Sie Ihre Meinung. zur Vollversion 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 III Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 BIP und Wohlstand 17 von 30 Zur Zusatzaufgabe 1: Die Grafik zeigt die Verteilung des Volkseinkommens: Den Arbeitnehmerentgelten stehen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen gegenüber. Konkret: die Gewinne der Unternehmen und die Zinserträge aus Vermögen (dazu zählen auch die Zinserträge, die Arbeitnehmer mit ihren Geldanlagen erzielen). Im Jahr 2011 machten sie 32,8 Prozent des Volkseinkommens aus. Die Lohnquote ist von 2000 bis 2007 gesunken (72,1 Prozent auf 63,2 Prozent) und seitdem wieder angestiegen auf 67,2 Prozent im Jahr 2011. Zur Erklärung kann man anführen: Angesichts der Wirtschaftslage haben die Gewerkschaften bei Lohnverhandlungen nach dem Jahr 2000 geringe Lohnsteigerungen und Reallohnverluste (im Verhältnis zur Inflationsrate) akzeptiert. Erst seit 2008 konnten sie wieder Lohnerhöhungen durchsetzen. Gleichzeitig stiegen die Gewinne der Unternehmen durchschnittlich weit stärker als die Löhne und Gehälter ihrer Arbeitnehmer. Zur Zusatzaufgabe 2: Eine steigende Lohnquote führt nicht automatisch zum Abbau der gesamtgesellschaftlichen Armut. Es ist nicht gesagt, dass eine steigende Lohnquote zu Lohnerhöhungen bei allen Arbeitnehmern führt. Zudem führt eine steigende Lohnquote nicht zu besserem Einkommen und Auskommen für Menschen, die nicht erwerbstätig sind (Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Rentner). U A Zur Zusatzaufgabe 3: a) Ein gutes Argument der Gewerkschaftsseite für eine Erhöhung der Lohnquote wäre: Unternehmen müssen ihre Waren verkaufen. Nur dann, wenn dies möglich ist, machen sie auch Gewinne. Daher ist es zwingend erforderlich, die Einkommen der Arbeitnehmer zu erhöhen, damit diese Kaufkraft dann nachfragewirksam werden kann. b) Die Arbeitgeberseite wird umgekehrt argumentieren: Zu hohe Lohnkosten vermindern die Gewinne der Unternehmen, verhindern Investitionen und führen zum Abbau von Beschäftigung. Es wäre somit gerade im Interesse der Arbeitnehmer und Gewerkschaften, die vorhandenen Arbeitsplätze nicht mit überzogenen Lohnforderungen zu gefährden. H C Armut ist nicht gleich Armut – Zusatzinformation S R Innerhalb der Europäischen Union (EU) gilt als arm, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens hat, gemessen an der Gesamtbevölkerung jedes einzelnen Landes. Nach dieser Definition war im Jahr 2010 ein Alleinlebender in Deutschland arm, wenn er monatlich weniger als 952 Euro Einkommen zur Verfügung hat (inklusive Sozialleistungen wie Kindergeld, BAföG oder Hartz IV). In anderen EU-Ländern sieht das ganz anders aus. Am niedrigsten ist die Einkommensgrenze für relative Armut in Rumänien (105 Euro), gefolgt von Bulgarien (145 Euro). Dagegen liegt die Armutsschwelle in Luxemburg an der Spitze (1.626 Euro), an zweiter Stelle steht hier Dänemark (1.319 Euro). Dieser relative Armutsbegriff wird von Experten kritisiert, weil die Frage, was sich Menschen tatsächlich leisten können, damit nicht beantwortet wird. O V Nach: www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/armut-und-einkommensverteilung-in-eu-deutschland-unter-durchschnitta-891218.html (27.03.2013) Methodischer Tipp – die lebende Statistik Die Methode „Statistik live“ eignet sich gut dafür, beispielsweise den Anteil der (relativ) Armen in Deutschland sichtbar zu machen. Ausgangspunkt ist dabei die Aussage des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2010: Der Anteil der Armen oder armutsgefährdeten Menschen liegt in Deutschland bei 15,8 Prozent. Also gilt fast jeder sechste Einwohner als arm oder armutsgefährdet. Das lässt sich auf folgende Weise veranschaulichen: Fordern Sie die Schülerinnen und Schüler auf, von 1 bis 6 durchzuzählen. Wenn dies in der gesamten Klasse erfolgt ist, dann stehen alle Lernenden von 1 bis 5 auf, während jede und jeder Sechste sitzen bleibt. Sobald alle entsprechend stehen oder sitzen, verknüpfen Sie dies mit der Information, dass dies dem Anteil der armen Bevölkerungsschicht in Deutschland entspricht. Eine andere Zahl zu den Einkommensverhältnissen in Deutschland lässt sich ebenfalls demonstrieren: Die oberen 20 Prozent (oberes Fünftel) haben 4,5-mal so viel Einkommen zur Verfügung wie die unteren 20 Prozent (unterstes Fünftel). Die Lernenden zählen in einer neuen Runde von 1 bis 5 durch. Dann werden unterschiedlich viele Gummibärchen oder Spielsteine verteilt – und zwar nach folgendem Schlüssel: In Gruppe 1 (= alle, die 1 gezählt haben) erhalten alle jeweils 9 Gummibärchen, in Gruppe 2 jeweils 7 Gummibärchen, in Gruppe 3 jeweils 5 Gummibärchen, in Gruppe 4 jeweils 3 Gummibärchen und die Mitglieder der untersten Gruppe 5 bekommen jeweils nur 2 Gummibärchen. zur Vollversion 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 24 von 30 BIP und Wohlstand Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 III M8 Wirtschaftsleistung ist mehr als das BIP – wie kann man sie besser fassen? Wirtschaftliches Wachstum zu steigern ist eine gängige Methode, um den Wohlstand einer Gesellschaft zu sichern. Ob es auch anders geht, hat eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages untersucht. 5 Fragen zur Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ Name der Vorsitzenden der Kommission: U A Parteizugehörigkeit: Sie leitet die Kommission seit: 1. Was ist die Aufgabe der Kommission? 2. Aus wie viele Mitgliedern besteht die Enquete-Kommission insgesamt? Wie viele Mitglieder davon sind Bundestagsabgeordnete und wie viele externe Fachleute? 3. Wie sieht es mit dem Kräfteverhältnis nach Parteien aus? Und wer bestellt die Expertinnen und Experten? 4. Aus welchen Gründen ist das Vorhaben der Kommission eine große Herausforderung, ja sogar eine „Herkules-Aufgabe“? 5. Aus welchem Grund sind die Sitzungen der Kommission öffentlich, aber die Arbeitsgruppen nicht? H C Foto: © Büro Daniela Kolbe MdB S R O V Aufgabe Recherchieren Sie unter der folgenden Adresse und beantworten Sie die fünf Fragen in der Tabelle: http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/index.jsp. Zusatzaufgabe für Schnelle Recherchieren Sie und erläutern Sie dann, was man unter dem Rebound-Effekt versteht. 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 zur Vollversion 26 von 30 BIP und Wohlstand Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 III Zur Zusatzaufgabe: Unter „Rebound“ findet man im Fremdwörterduden zunächst nur die Erklärung, dass damit das Abprallen vom Korbring im Basketball bezeichnet wird. Der Rebound-Effekt ist aber auch eine wichtige Erkenntnis aus der Forschung zur Wirkung von Effizienzsteigerungen etwa im Bereich von Umwelttechnologien. So hat man festgestellt, dass bisher Maßnahmen zum effizienteren Ressourceneinsatz auf vielfältige Weise durch Rückschlagseffekte (= Rebound) wieder zunichte gemacht worden sind. Beispielsweise wenn sich Verbraucher zwar einen sehr sparsamen neuen Kühlschrank kaufen, den alten dann aber in den Keller stellen und zusätzlich weiterhin nutzen. Auf diese Weise sinkt der absolute Energieverbrauch nicht. Eine Möglichkeit Rebound-Effekte zu verhindern ist es, feste Obergrenzen zu vereinbaren. Dann würde die Bundesrepublik Deutschland sich beispielsweise dazu verpflichten, die Emissionsmenge um 1 Tonne pro Kopf jährlich zu reduzieren. Methodischer Tipp – Präsentationen und Zukunftsszenario Lernstarke Schülerinnen und Schüler können sich mit Auszügen aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission auseinander setzen. Wichtig ist es, sich eine Fragestellung vorzunehmen und daraufhin ausgewählte Kapitel des sehr umfangreichen Dokumentes durchzulesen. Beispielsweise könnte eine mögliche Fragestellung sein „Welche Indikatoren sollen zukünftig Auskunft darüber geben, wie es um Wohlstand und Lebensqualität aussieht? – Die W3-Indikatoren“. U A Dazu hier der folgende Auszug aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission. Aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ Ausgehend von der Erkenntnis, dass Wohlstand mehr ist als „Materieller Wohlstand“ empfiehlt die Enquete-Kommission dem Deutschen Bundestag, ein neues Wohlstands- und Fortschrittsmaß zu etablieren: die W³-Indikatoren. H C Die aus zehn zentralen Variablen bestehenden W³-Indikatoren sollen künftig darüber Auskunft geben, wie es in Deutschland um Wohlstand und Lebensqualität steht. Neben der Dimension „Materieller Wohlstand“ sollen auch die Wohlstands-Dimensionen „Soziales/Teilhabe“ und „Ökologie“ in den Blick genommen werden. S R Der „Materielle Wohlstand“ und dessen Nachhaltigkeit wird durch das BIP pro Kopf, die Einkommensverteilung und die Staatsschulden abgebildet. Der Bereich „Soziales/Teilhabe“ soll durch die Indikatoren Beschäftigung, Bildung, Gesundheit und Freiheit gemessen werden und der Bereich Ökologie durch die Variablen Treibhausgase, Stickstoff und Artenvielfalt. Detaillierte Angaben zu den Indikatoren finden sich in im Teil C des Berichts unter Kapitel 3.2. bis 3.4. O V In: www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Schlussbericht/17-13300.pdf (S.28) Hier ein Entwurf für die Darstellung der W3-Indikatoren: Artenvielfalt national Einkommensverteilung Bruttoinlandsprodukt Stickstoff national Treibhausgase national Beschäftigung Staatsschulden Freiheit 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 Bildung Gesundheit zur Vollversion 30 von 30 BIP und Wohlstand Wirtschaft und Wirtschaftspolitik • Beitrag 16 III M 10 BIP und Wohlstand – ein Glossar Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der Wert aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft (z. B. Deutschland) erwirtschaftet werden. Das BIP wird herangezogen, um sich ein Bild über den Wohlstand eines Landes und die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu machen. Die Berechnung kann sich an den Marktpreisen (nominales BIP) oder an den Preisen eines Basisjahres (reales BIP) orientieren. schaftsbereiche. Die Bruttowertschöpfung ist der Ausgangspunkt für die Entstehungsrechnung des BIP und dient der Beschreibung der Wirtschaftsstruktur, weil die einzelnen Wirtschaftsbereiche (z. B. Landwirtschaft, öffentliche und private Dienstleister) voneinander getrennt dargestellt werden. Das nominale BIP gibt die Summe der inländischen Wertschöpfung in aktuellen Marktpreisen an. Der Preis von Gütern und Dienstleistungen wird normalerweise in Marktpreisen angegeben, z. B. ein Brot kostet 3 Euro. Wenn der Preis des Brotes auf 3,50 Euro ansteigt, dann bedeutet das, dass sich auch das nominale BIP erhöht – obwohl gar nicht mehr Brote produziert worden sind und die wirtschaftliche Leistung somit nicht gestiegen ist! Das heißt: Preissteigerungen „verfälschen“ das Ergebnis. Entstehungsrechnung Bei der E. wird das BIP in den Wirtschaftsbereichen seiner Entstehung (z. B. Land- und Forstwirtschaft, produzierendes Gewerbe, Handel, Gastgewerbe und Verkehr, öffentliche und private Dienstleister) gemessen. Ausgangspunkt ist die Wertschöpfung der einzelnen Wirtschaftsbereiche. Das reale BIP trifft deshalb eine genauere Aussage darüber, wie sich die wirtschaftliche Leistung eines Landes verändert. Denn hier werden die Preissteigerungen „herausgerechnet“. Man sagt auch, das reale BIP sei „preisbereinigt“. Alle Waren und Dienstleistungen werden zu den Preisen eines Basisjahres bewertet. Seit 2005 gibt das Statistische Bundesamt das reale BIP nur noch als Indexzahl (2005 = Basiswert 100) und nicht mehr in Euro an. H C S R O V Bruttosozialprodukt (BSP) ist die Summe aller Güter und Dienstleistungen in der jeweiligen Landeswährung (z. B. Euro), die in einer Volkswirtschaft innerhalb eines Jahres hergestellt beziehungsweise bereitgestellt werden. Das BSP betrachtet vor allem Einkommensgrößen, wohingegen das BIP die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft im Blick hat. Bei der Berechnung des BSP wird vom BIP ausgegangen. Von diesem werden diejenigen Erwerbsund Vermögenseinkommen abgezogen, die an das Ausland geflossen sind, und diejenigen Einkommen hinzugefügt, die von Inländern aus dem Ausland bezogen worden sind. Das BSP wird auch als Bruttonationaleinkommen (BNE) bezeichnet. Das BIP wird in der Wirtschaftsstatistik inzwischen bevorzugt verwendet. Bruttowertschöpfung Die B. errechnet sich aus den Bruttoproduktionswerten (hergestellte Gütermenge zu jeweiligen Marktpreisen) abzüglich der Vorleistungen der einzelnen Wirt- U A Human Development Index (HDI) ist eine Messzahl für den Entwicklungsstand eines Landes und setzt sich aus drei Komponenten zusammen: 1. Lebenserwartung, 2. Ausbildung und 3. Kaufkraft. Dabei bleiben jedoch die sozialen Ungleichheiten und Einkommensunterschiede weitgehend unberücksichtigt. Der HDI unterscheidet auch nicht zwischen Städten und ländlichen Gebieten. Lohnquote Zur Berechnung der L. werden die Arbeitnehmerentgelte – also die Löhne und Gehälter, die alle unselbstständig Beschäftigten im Laufe eines Jahres verdient haben – in Beziehung zum gesamten Volkseinkommen gesetzt. Die L. drückt aus, wie hoch der Anteil des Arbeitnehmereinkommens am BIP bzw. Volkseinkommen ist. In Deutschland liegt sie bei ca. 67 Prozent. Verteilungsrechnung Bei der V. wird das BIP aus der Summe der Lohn- und Gehaltseinkommen der Arbeitnehmer, der Unternehmensgewinne und der Vermögenserträge in der Volkswirtschaft berechnet. Ausgangspunkt ist das Volkseinkommen. Wachstum Im weiteren Sinn beschreibt W. die Zunahme einer wirtschaftlichen Größe im Zeitablauf, z. B. bezogen auf Unternehmen (Unternehmenswachstum) oder auf private Haushalte (W. des verfügbaren Einkommens). Wirtschaftliches W. wird meist angegeben als prozentuale Veränderung im Zeitablauf, im Blick auf monatliche, vierteljährliche oder jährliche Wachstumsraten. Der Wachstumsbegriff wird im engeren Sinn auf gesamtwirtschaftliche Größen bezogen und interpretiert als dauerhafte (langfristige) Zunahme des realen BIP. 28 RAAbits Politik • Berufliche Schulen • September 2013 zur Vollversion