Telefon (089) 53 06-410 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 57 Münchner Merkur Nr. 87 | Freitag, 16. April 2010 MERKUR-SPRECHSTUNDE Im Blickpunkt ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 3 AKTUELLE UMFRAGE Wie steht es mit Ihrem Gehör? Manfred Frietsch (69) aus Gilching Publikumsinteresse: Die Besucher der Merkur-Sprechstunde erfuhren, wie moderne Medizin und Technik helfen können. FOTOS (8): KLAUS HAAG Schwerhörigkeit ist kein Schicksal Wenn sich die Welt der Töne einem verschließt, kann man heute einiges dagegen tun. Moderne Medizin und Technik können das Hörvermögen oft wieder verbessern. Bei der MerkurSprechstunde konnten Leser ihr Gehör testen – und sich beraten lassen. VON SONJA GIBIS München – „Da wär ich ja froh, wenn das meine Kurve wär’.“ Der Mann im braunen Anzug blickt auf das Ergebnis des Hörtests eines Besuchers neben ihm: Die rote Linie zeigt leicht nach unten. Seine eigene fällt steil ab. Das Problem sind, wie bei vielen älteren Menschen, die höheren Töne – in denen zum Beispiel Vögel zwitschern. Der Mann nimmt das Ergebnis des Tests dennoch gelassen: „Da kann man ja heut’ viel machen.“ Trotz Regens und Kälte bilden sich am Mittwoch Schlangen im Innenhof des Münchner Pressehauses. Viele Leser sind bereits am Nachmittag gekommen. Sie wollen wissen, wie gut ihr Gehör tatsächlich ist. Nach einem kostenlosen Test im Hörmobil oder einer Kabine halten sie ein Blatt Paper mit dem Ergebnis in Händen. Eine Kurve zeigt, welche Frequenzen sie hören können – und welche nicht. Wer über sein Ergebnis nicht glücklich ist, kann sich an Infoständen vor Ort Hilfe holen. Denn Schwerhörigkeit ist heute kein Schicksal mehr. Wie man Hörprobleme überwinden kann, zeigt auch die Technik im Veranstal- tungssaal des Pressehauses. Eine eigens installierte Ringschleifenanlage überträgt die Töne direkt in die Hörgeräte – ohne Pfeifen und Rauschen. Zugleich rasen die Finger von Schriftdolmetscher Thomas Wippel über die Tasten – und schreiben für die Gehörlosen fast jedes gesprochene Wort auf eine Leinwand. „Klären Sie mich auf. Auf was muss ich mich einstellen?“, fordert Moderator Professor Christian Stief den ersten Bühnengast auf. Denn auch die meisten Mitglieder seiner Familie hören im Alter schlecht. Was das komplexe Wunderwerk unseres Gehörs stören kann, erklärt dann Professor Alexander Berghaus, Leiter der Münchner HNOKlinik in Großhadern. Denn damit das Gehirn einen Ton wahrnimmt, müssen viele Körperteile reibungslos zusammenarbeiten. Wie eine Reihe fallender Domino-Steine. Bleibt ein Stein stehen, ist der Weg unterbrochen – die Welt wird still. Ein solcher Stolperstein ist zum Beispiel das Trommelfell. Durch chronische Entzündungen können Löcher entstehen. Doch die Medizin kann helfen: Chirurgen können die feine Membran nicht nur nähen, sondern sie sogar durch transplantierte Haut ersetzen. „Eine delikate Konstruktion“ sitzt laut Berghaus im Mittelohr. Dort leiten die Gehörknöchelchen – Hammer, Amboss und Steigbügel – den Schall weiter. Medizintechniker können heute jeden der Knochen nachbauen. Die Titan-Implantate sind so winzig, dass neben ihnen selbst ein Streichholzkopf groß wirkt. Doch können sie die menschlichen Knochen ersetzen – sogar ein Leben lang. Doch gibt es noch andere Hürden für den Schall: Am Steigbügel kann sich zu viel Knochen bilden. Mit dem Laser machen Spezialisten das Knöchelchen wieder beweglich. „Welche Operationen sind denn leichter?“, will Urologe Stief wissen. „Es gibt Ein offenes Ohr für Leser-Fragen (v.l.): Moderator Prof. Christian Stief, Prof. Alexander Berghaus und sein Kollege Oberarzt Dr. John-Martin Hempel, beide Spezialisten der HNO-Klinik Großhadern, und Hörgeräte-Akustiker Wolfgang Luber. keine leichte Operation“, kontert Berghaus. Generell aber gelte: Je näher am Innenohr, desto risikoreicher der Eingriff. Wie die Medizin selbst bei schweren Schäden helfen kann, zeigt Dr. John-Martin Hempel. Sogar Patienten, deren Innenohr beschädigt ist oder die ohne Gehörgang geboren sind, kann moderne Technik die Welt der Töne wieder öffnen. Zum Beispiel mit einem Cochlea-Implantat, der bisher einzigen „Sinnesprothese“. Diese ersetzt die Hörschnecke komplett. Zuvor Gehörlose können wieder Sprache verstehen. „Das ist aber ein anderes Hören“, sagt Hempel. Die Patienten müssen es mit Hilfe eines Spachheilpädagogen erst erlernen. Andere Implantate sitzen in der Schädeldecke. Sie lassen den Knochen vibrieren und leiten den Schall so zum Hörnerv. Kann oder will ein Patient keine äußere Hörhilfe tragen, gibt es ebenfalls implantierbare Alternativen. Nach den Vorträgen gibt es bei einem Gläschen Sekt Zeit für weitere Fragen. Besucher vergleichen Hörtests und Hörhilfen. „Schauen Sie mich mal genau an“, sagt Gerhard Holz vom Förderverein Bairische Sprache zu Dr. Martin Marianowicz, einem WirbelsäulenExperten. Der blickt über den Rand seiner Brille. „Was soll da sein?“ Erst als Holz mit dem Finger auf sein linkes Ohr deutet, bemerkt der Arzt das durchsichtige Röhrchen, das sich in das Ohr schlingt. Ein Hörgerät, kaum erkennbar. „Eine Brille trägt jeder“, sagt Holz. Ein Hörgerät zu tragen, davor hätten viele Scheu. Holz: „Eigentlich ein völliger Schmarrn.“ Minicomputer im Ohr: Was moderne Hörgeräte leisten VON ANDREA EPPNER München – Eben noch leuchteten Margeriten und Sonnenhut von der Leinwand. Eine bunte Blumenwiese und mittendrin ein kleiner Schmetterling. Doch nur einen Moment später verblassen die Farben. Die Blumen sind kaum mehr zu erkennen. „So verändert sich das Hören bei einer Schallempfindungsstörung“, erklärt Wolfgang Luber. Er ist Hörgeräteakustiker und Geschäftsführer der Firma Hörgeräte Seifert. Für die Besucher der Merkur-Sprechstunde hat er Geräusche kurzerhand in Bilder verwandelt. So unscharf und fahl wie die Blumen auf der Leinwand, nimmt ein Schwerhöriger Töne wahr, erklärt Luber den Gästen. Mit einem Klick verpasst er ihnen ein gedachtes Hörgerät – und die Farben auf der Leinwand strahlen wieder. Nur der Schmetterling bleibt ver- schwunden – und das Bild leider unscharf. „Hörgeräte müssen viel mehr können, als Töne lauter zu machen“, sagt darum Luber. Doch die Technik hat sich enorm verbessert. „Ein Hörgerät ist heute ein Computer im Ohr“, sagt der HörgeräteExperte. Ein Pfeifen im Ohr? Längst Vergangenheit. Der winzige Computer erkennt das störende Geräusch „und löscht es aus“. „Rückkopplungs-Unterdrückung“ nennt der Experte das. Mindestens ebenso wichtig: die „Richtmikrofon-Technologie“. Für Neulinge ist die Hörgeräteakustik eine komplizierte Welt. Für viele Hörgeräteträger sind solche Funktionen Leistungsstark und winzig: Ein Mitarbeiter der Firma Seifert zeigt Besuchern ein modernes Hörgerät. aber eine große Erleichterung. Denn ist ein Hörgerät damit ausgestattet, kann sich der Träger auch in einer lauten Umgebung wieder problemlos unterhalten, etwa im Restaurant oder beim Autofahren. Der Computer im Ohr erkennt, welche Töne wirklich wichtig sind. Er macht die Sprache lauter und dämpft störende Geräusche im Hintergrund. „Damit ist es möglich, den Schmetterling aus der Umgebung herauszuholen“, sagt Luber. Dabei hilft auch der „Echoblock“. Dieser löscht Echos aus, die das Hören in Hallen und Kirchen selbst für Menschen mit gesundem Gehör schwierig macht. „In ei- Wie gut hören Sie? Das konnten die Gäste der Merkur-Sprechstunde im Hörmobil vor dem Pressehaus testen lassen. ner stark verhallten Kirche kann es dann sogar passieren, dass der Hörgeräte-Träger besser hört“, sagt Luber. Nimmt ein Mensch nur noch tiefe Töne wahr, macht die Frequenzkompression auch helle Zischlaute wieder hörbar – auch wenn diese ein wenig anders klingen als mit gesundem Gehör. Doch mit den technischen Finessen steigt auch der Preis: Bis zu 2700 Euro kosten die teuersten Modelle – für ein Ohr, versteht sich. Die Krankenkassen übernehmen nur einen geringen Teil. „Es muss aber nicht immer das teuerste Gerät sein, sondern das passende“, beruhigt Luber die Zuschauer. „Wichtig ist, dass es für Sie gut ist.“ Um einen Fehlkauf zu vermeiden, gebe es darum Testgeräte zum Ausprobieren. Zudem sei eine gute Beratung unerlässlich – wie auch die vielen Fragen der Besucher bei der MerkurSprechstunde zeigten. Ich bin gekommen, um mich über Hörgeräte zu informieren. Vor einiger Zeit bin ich gestürzt und habe mir dabei einen Riss im Trommelfell zugezogen. Dieser musste operativ geflickt werden, damit kein Wasser ins Innenohr eindringt. Leider hat sich nach der OP Narbengewebe gebildet, was mir das Hören enorm erschwert. Ich hoffe, dass mir nun ein gut angepasstes Hörgerät helfen kann. Anna Frisch (76) aus Hebertshausen Ich war gerade beim mobilen Hörtest. Das Ergebnis hat mich bestärkt, endlich etwas gegen mein schlechtes Gehör zu unternehmen. Mein Mann beschwert sich immer, dass ich den Fernseher viel zu laut stelle. Bei mir liegt das schlechte Hören in der Familie. Auch meine Brüder tragen Hörgeräte. Jetzt werde ich mir wohl auch eins anschaffen müssen. Aber die Geräte sind sehr teuer. Georg Nadler (73) aus München Ich bin vor allem wegen des Hörtests gekommen. Dass ich ein Hörgerät brauche, weiß ich eigentlich schon lange. Aber ich habe es immer vor mir hergeschoben, da mein Schwiegervater schlechte Erfahrung mit seinem Gerät gemacht hat. Das hat ständig gepfiffen, oder die Batterien waren leer. Jetzt will ich endlich Nägel mit Köpfen machen und hoffe, dass die modernen Geräte besser sind. Georg Kühn (70) aus Neubiberg Ich höre seit einiger Zeit schlechter. Das merke ich vor allem beim Fernsehen, weil ich das Gerät viel lauter stellen muss. Meine Frau drängt mich, endlich was dagegen zu unternehmen. Darum habe ich hier einen Hörtest gemacht. Der hat ergeben, dass ich bei bestimmten Frequenzen Defizite habe. Jetzt muss ich am Ball bleiben. Meine Enkelkinder sollen mal nicht fragen, warum der Opa so schlecht hört. vpf