einzelkapitel - Kunstuniversität Linz

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EINZELKAPITEL
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HAYDN
EXPLOSIV
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2009
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Schlosshof mit Eingang zur Ausstellung, Schriftzug „Haydn“ von Ponatsch
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Säulenhalle mit Teppich von Roy Lichtenstein
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HAYDN EXPLOSIV
Eine europäische Karriere am
Fürstenhof der Esterházy
Explosive Dynamik seiner Karriere – vom Kapellmeister zum Compositeur von Weltruhm
In der multimedialen Ausstellung „Haydn
Explosiv“ ging es um die erlebnisnahe Charakterisierung Haydns als höfischer Künstler.
Als solcher musste Haydn einerseits dem
Auftragswunsch „seiner Herrschaft“ gerecht
werden, andererseits suchte er als musikgeschichtlich relevantes Genie permanent auch
die „Freiheit seines Schaffens“. Als VizeKapellmeister trat er noch unter Fürst Paul
Anton II. (1761) in die Dienste des Hauses
Esterházy und begleitete Nikolaus I., zu Recht
„der Prachtliebende“ genannt, bis zu dessen
Tod 1790 – als „Hof-Musikus“ von zunehmend
europäischem Rang. Zur „künstlerisch-ideellen
Deutungsmacht“ der Dynastie avancierte
Haydn unter Nikolaus II., einem weltläufigen
Connaisseur mit anglophiler Attitüde und einem Hang zum französischen Revolutionsklassizismus – immerhin beauftragte dieser den
klassizistischen Architekten Charles Moreau
mit dem Umbau des Schlosses in Eisenstadt.
Haydn kehrte nach zweifachem Lebenstriumph in London (1790 und 1792) wieder in die
„fürstlichen Dienste“ zurück, obgleich er sich
(von Nikolaus II. toleriert) damals zumeist in
Wien aufhielt. Nikolaus II. wusste den „Weltruhm“ Haydns als Krönung des jahrzehntelangen Dienstverhältnisses des Komponisten
mit seiner Familie wohl zu deuten. So gelang
es ihm, Haydns Aufstieg in den „Olymp der
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Gemälde: Nikolaus I., der Prachtliebende; ihm zu Ehren wurden die Säulen vergoldet
Nikolaus II. gibt Charles Moreau den Auftrag zum klassizistischen Umbau des Schlosses
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Gedächtnisses“, das sich in der Tradition
des Fürstentums Esterházy manifestierte, als
wesentlicher Beitrag zum „überregionalen
Bildungsprozess“ der Bevölkerung von Österreich, Ungarn und den anderen umgebenden
Ländern zu Osteuropa hin angesehen werden.
Am „Début de Siècle, um 1800“ zeigt sich
die Aktualität der Haydn-Zeit für uns heute
Säulenhalle Nebengang, Blick auf Ölgemälde Joseph II.
Musik“ zur „Verklärung“ der eigenen Dynastie
zu nutzen. Schließlich gehört Haydn zu den
wenigen Komponisten, die schon zu Lebzeiten vor das eigene Denkmal treten konnten
– so 1796 in seinem Geburtsort Rohrau.
Durch die spätere politische Grenzziehung
Österreich/Ungarn kann der kulturelle Anteil
„ungarischen Wesens“ am Fürstentum Esterházy zu Haydns Zeit heute oft schwer nachvollzogen werden – diesen „Ungarn-Bezug“ des
18. Jahrhunderts zeitgemäß zu vermitteln und
zu aktualisieren, war auch Anliegen der Ausstellung. So waren alle Beschriftungen, Headlines und Raumtexte zweisprachig: deutsch
und ungarisch. Für ein künftiges ZentralEuropa darf die Erneuerung des „kulturellen
Zwischen Haydns Karriere in einem supranationalen Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts und den absolutistischen Ansprüchen der Fürsten Esterházy an „ihren“
Kapellmeister und Hof-Compositeur spannte
sich der facettenreiche Bogen dieser kulturgeschichtlichen Ausstellung. Die Aktualität
der Haydn-Zeit für uns heute besteht unter
anderem in der „Erfindung“ des modernen
Individualismus (wie in der Mozart-Zeit auch)
– diese vollzog sich in einer revolutionären
Phase der europäischen Gesellschaft zwischen
Absolutismus und einer vor allem auch „rebellischen“ Aufklärung. Letztere steht dem
siegreichen Verstandes-Denken der „VernunftOrdnung“ einer beginnenden bürgerlichen
Welt gegenüber. Dieser Kulturbruch zur Moderne hin kann als „Début de Siècle“ begriffen
werden – 100 Jahre vor dem „Fin de Siècle,
Wien um 1900“. Beide Turns of the Century
sind jeweils Ausdruck einer „produktiven Dekadenz“ ihrer Gesellschaft – stets im Sinne
der Erfindung und Entwicklung des modernen
Individualismus damals. Haydns „kreative Karriere“ reichte vom barocken Lebensgefühl der
Reform-Kaiserin Maria Theresia über den „radikalen Geist“ der josephinischen Aufklärung
bis hin zum vielschichtigen Konservativismus
unter Franz II./I. Während seiner restaurativen
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Regentschaft wurde die Kirche nicht mehr
vom „Experiment Aufklärung“ attackiert – die
radikale Aufklärung wurde marginalisiert und
blieb als „subversiver Rest“ und Widerstandskraft einem neuen Individualismus erhalten
(Romantik, Biedermeier, Vormärz). Die einstigen Ängste vor der Französischen Revolution
waren mittlerweile in der (sehr konkreten)
Angst vor dem realpolitischen Gegner Napoleon fokussiert. Ein damit aufkeimender
Patriotismus gab unter anderem auch der Sentimentalität einer „frohen Religiosität“ Raum.
Bildnis von Charles Moreau, links Monitor, darüber Powerpoint
Die Klassik als „Erste Wiener Moderne“
Der „Geist der Aufklärung“ setzte sich in Zirkeln und Salons, in vielfältig verschlungener
Weise, dennoch fort und entwickelte sich weiter. Beispielsweise im Kreis um Johann Philipp
Graf Stadion, einem einflussreichen österreichischen Staatsmann, der gleichermaßen um
Reformen der Schulbildung wie der Verwaltung bemüht war. Die Zeit der Wiener Klassik
(„Mozarts Geist aus Haydns Händen empfangen“, Graf Waldstein über Beethoven) bildete
eine „künstlerische Brücke“ zum 19. Jahrhundert – zur Differenzierung dieser „abgegriffenen“ Epochen-Benennung schlägt der Haydnforscher James Webster den Begriff „Erste
Wiener Moderne“ vor. Damit wird der kulturellen Ambiguität des historischen Prozesses
Rechnung getragen. Erst vor solch größerem
Horizont des Zeitenbruchs „um 1800“ wird
beispielsweise die (nicht nur) „kammermusikalische Romantik“ eines Schubert verständlich
– und in ihrer Abgründigkeit wie „melancholischen Ekstase“ nachvollziehbar. Die ironischambivalente wie wienerisch-schlagfertige Konversationspraxis der damaligen Gesellschaft
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Bildnis von Charles Moreau, links Monitor, darüber Tapeten-Still
wäre vielleicht ohne die Erfindung des
Streichquartetts durch Haydn nicht denkbar
gewesen. Sein Oratorium „Die Schöpfung“
repräsentiert (als weiteres innovatives „MusikFormat“ Haydns) durchaus exemplarisch jenes
„freudige Lebensgefühl“, mit dem sich ein
neu erstandener Katholizismus umgab, nach
jener Phase seiner kontroversiellen Infragestellung durch die höchstpersönlich verfügte
Aufklärung „von oben“ durch Joseph II. Diese
„Lebensfreude“ des konservativen Teils der
nach-josephinischen Gesellschaft feierte einen
Schöpfer-Gott, der durch die Natur spricht
Die Gartenwerkzeuge von Erzherzog Franz, Symbole seiner Handwerkstätigkeit als Gärtner
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Vier Beamer erzeugen im Hauptraum ein Deckenfresko in Bewegung
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– der Sündenfall als Dogma ist dabei erfolgreich wie lustvoll verdrängt, was nicht verhinderte, dass die heuchlerische Doppelbödigkeit
katholischer Moral erhalten blieb. Dieses
Welt- und Naturverständnis findet in den „romantischen Gärten der Aufklärung“ (Géza Hajós) seinen weitläufigen wie „verinnerlichten“
Ausdruck – waren es doch auch Freimaurer,
die derartige Gärten anlegten. Was nun eine
gewisse Biederkeit des Kaisers anlangte, darf
daran erinnert werden, dass nicht von ungefähr Franz II./I. in seiner dynastisch verordneten Ausbildung die Gartenkunst als Handwerk
erlernte. Im Gegensatz zu seinen floristischen
Ambitionen hatte sein Onkel Joseph II. als
Handwerk immerhin den Buchdruck erlernt.
Genius und Musikmarkt – eine europäische
Karriere dank Notendruck
Haydns Genius als Erneuerer musikalischer
Formen wie planvoller Vermarkter seines
Werks verfolgte eine Karrierestrategie, die
an die Verbesserung und rasante Verbreitung
des Notendrucks in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts gebunden war. An dieser
technischen Innovation entlang vollzog sich
auch die Profilierung des europäischen Musikmarkts, den Haydn vorfand und nachhaltig
mitprägte. Haydns „Erfolgsrezept“ auf den
Punkt gebracht: Im Dienste der Familie Esterházy stehend, lebte er in Eisenstadt – immer
eng mit dem Musikleben der Kaiserlichen Residenzstadt verbunden. Allerdings ließ er seine
Kompositionen in Wien, Paris, Amsterdam,
Berlin und London drucken – wodurch seine
Werke in der europäischen Aufführungspraxis
permanent gegenwärtig waren. So konnte er
in Paris zum Publikums-Liebling avancieren,
ohne je dort gewesen zu sein – Anlass dafür
war der Auftrag für die „Pariser Symphonie“
durch die „Loge olympique“. Als er 1790 erstmals nach London fuhr, wurde der 58-Jährige
dort wie ein Star empfangen – Haydns erste
Reise, die ihn die Grenzen der habsburgerischungarischen Monarchie überschreiten ließ.
Zwei Ausstellungs-Schwerpunkte:
Quartett und Oper
Haydns entscheidende Neuerung für die Musikgattungen war die Erfindung des Streichquartetts – dieses schuf er als KompositionsForm gleichsam intuitiv aus der musikanti
schen Alltagspraxis. In der „Wiener Zeit“
(noch vor seinen Esterházy-Diensten) folgte
Haydn dem Bedürfnis der „kulturtragenden
Aristokratie“ nach Kammermusik; in deren
Salons hatte sich das Kulturleben verlagert,
nachdem die sparsame Hofhaltung der Kaiserin Maria Theresia dem Luxus überschwänglicher Festkultur und damit der großformatigen
Oper den Rücken kehren musste. Im Gegensatz zu Mozart (der als „solistischer Virtuose“
immer auch sein eigener bester Werbeträger
sein musste) war Haydn ein „Virtuose des
Ensembles“ und ein „Struktur-Avantgardist“
neuer Kompositions-Formate. Strukturbildend
revolutionär ist Haydn nicht nur in der Kammermusik, sondern auch für die „Form“ der
Symphonie und des Oratoriums. All dies geht
in die Kompositionstechnik der Musikwelt des
19. Jahrhunderts ein, ohne dass man deswegen
immer gleich plakativ an Haydn denkt. Der
kammermusikalische Schwerpunkt der Ausstellung fand in der Installation „Quartett Virtuell“
Ausdruck – musikalische Akteure dafür waren
das international reputierte Hagen Quartett.
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Vier Beamer erzeugen im Hauptraum ein Deckenfresko in Bewegung
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Vier Beamer erzeugen im Hauptraum ein Deckenfresko in Bewegung
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Bewegliches Deckenfresko mit Insekt, auf dem Rücken der Grundriss des ehemals französischen Gartens des Schlosses
Zum musikalischen „Dienst am Fürsten“ gehörte auch für Haydn die künstlerische Oberaufsicht über das fürstliche Operntheater. Die
enorme Bedeutung der Oper als umfassende
wie „höchste“ Kunstform an fürstlichen Höfen
war denn auch ein weiterer Schwerpunkt von
„Haydn Explosiv“. Beispielsweise wird durch die
Gegenüberstellung von Glucks Reform-Oper
„Armide“ und Haydns „Armida“ dessen Opernschaffen im europäischen Kontext lebendig. Das
Spannungsfeld von Opera Seria und Opera Buffa als der „Leitdifferenz“ dieses Genres im Kultur- und Gesellschafts-Kosmos des 18. Jahrhunderts wurde durch historische Bühnenbilder und
Video-Einspielungen wichtiger Interpretationen
anschaulich wie informativ vermittelt. Immerhin
war in der Oper die Loge zugleich ein Balkon
zum Repräsentationsraum fürstlicher Herrschaft
hin – durch die Loge war man des absolutistischen Kosmos (der dabei symbolisch nicht als
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„Innenraum“ verstanden wurde) teilhaftig. In der
Loge sitzend blickte man in einen „Außenraum“
– ein höchst wichtiger Zugang zur „fürstlichen
Welt“ des Hofes. Die Oper war eben nicht bloß
ein Ort „persönlichen Kunstgenusses“, eine Art
Geschmackslabor „individualistischer Innerlichkeit“, sondern vielmehr eine Schule der Affektmodulation und der kollektiven Einübung neuer
„Emotionsformate“ und „Gefühlsfiguren“, die
gerade in Mode kamen. In der Oper war der
Kosmos „Absolutismus“ symbolisch wie real
allgegenwärtig – und wurde durch jede Aufführung gleichsam „rituell“ erneuert. Mit dem
Opernleben in Schloss Esterháza in Fertőd griff
die Ausstellung eine zentrale Kulturaktivität der
Fürsten Esterházy im 18. Jahrhundert auf – ein
Hinweis mehr auf die Aktualität der GartenOper einst und jetzt. Sagte doch Maria Theresia
sinngemäß, wenn ich eine große Oper hören
will, muss ich halt raus nach Esterháza.
Wiener Anglomanie –
die sogenannte „Britensucht“
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts strahlte
die Modernität Englands auf den Kontinent
aus und beflügelte die „Sehnsucht nach Angelsächsischem“ genauso wie den Wunsch
der Künstler nach einer Berufsperspektive
diesseits absolutistischer Hofhaltung. Das bisher wenig beachtete Phänomen der „Wiener
Anglomanie“ war in der Ausstellung ein lebendiges Thema, dem eine bisweilen skurrilösterreichische Note „britischer Prägung“
nicht abzusprechen ist. Zu Haydns, Mozarts
und Lorenzo Da Pontes Zeit entfaltete sich in
der habsburgischen Residenzstadt jene spezifisch wienerische Anglomanie – auch „Britensucht“ genannt. Dies vollzog sich in der Mode
(grobe Überröcke, dunkle Fracks mit hochstehendem Halskragen, runde Hüte etc.), aber
Monitore in der Säulengalerie, rechts Bildnisse der Eltern Nikolaus I.
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Blick auf ein Passstück von Franz West, links „Kosmos“ von Sabine Jelinek
auch als „Schotten-Faible“ und „Ossian-Kult“,
trat als Verlangen nach Wettrennen zutage,
zeigte sich in der Vorliebe für Jockeys und
das neue Mode-Getränk Punsch. Herren mit
englischen Namen waren als Gentlemen bei
den Damen höchst begehrt – verkörperten sie
doch mit bisweilen bizarrer Attitüde (Coolness
zur Haydn-Zeit) den eleganten Individualismus, der auch bei „kontinentalen Kavalieren“
Schule machte. Nicht zuletzt bei Nikolaus II.,
der nicht nur vom Lebensstil, sondern auch
vom angelsächsischen Fortschritt der Technik
fasziniert war – eine englische Dampfmaschine „betrieb“ den Wasserfall in seinem Park.
Groß war etwa auch das Interesse am Empirismus – einer ganz und gar „englischen“
Philosophie. Adam Smith wurde gelesen und
die aus England kommende Musikästhetik
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Links „Kosmos“ von Sabine Jelinek, rechts Passstück von Franz West
Modell des „Hauses der Launen“ vor einem Plastilinbild von Gelatin
„Selbstlos im Lavabad“ von Pipilotti Rist, Mini-Videoinstallation im
Teppichboden versenkt
hat man in Wien freudig rezipiert, sich in
vielfacher Hinsicht „wienerisch“ angeeignet
und dem Habitus des Genius Loci einverleibt.
Nicht zuletzt dadurch wurde der Wiener „Geschmacksintelligenz“ ein ganz anderer Weg
gewiesen, als ihn etwa jener „Goût allemand“
einschlägt, der sich mit dem „deutschen Idealismus“ eben erst herauszubilden begann.
Für den habsburgisch-ungarischen Kulturraum
war dieser „deutsche Hang“ zu Abstraktion
und Dämonie, selbst als „Wollust im Genietreiben“ des Sturm und Drangs (Weimar/
Jena), nicht wirklich verständlich, kompatibel
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oder gar sexy, wie man heute sagen würde.
Bezeichnenderweise folgten auf die Publikation der „Leiden des jungen Werther“ keine
Selbstmorde, stattdessen wurde das deutsche
Pathos durch eine Karikatur des Goethe’schen
Textes persifliert, mit dem Titel „Die Leiden
der jungen Fanny“. Den Wienern und Wienerinnen war nicht nachvollziehbar, dass man
sich wegen einer verflossenen Liebschaft
entleibt.
Druckerpresse von Erzherzog Joseph als Symbol für seine handwerkliche
Tätigkeit im Trattnerhof
Tapete aus dem Musikzimmer des Hauses der Launen (stark vergrößert), Deckenmalerei von Otto Zitko
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Die „wilden“ 1790er-Jahre in London –
Haydns Triumph in England
Für Musiker und Komponisten aus ganz Europa war London mit seinem florierenden
Musikmarkt eine Art Eldorado, ein „musikalisches Hollywood“ des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Das Musikleben der Stadt „funktionierte“ weitgehend unabhängig vom
Fürstenhof – die breit angelegten MusikAktivitäten von Bürgertum und Aristokratie
konkurrenzierten die königliche „Betriebsamkeit in Sachen Musik“ bisweilen recht offen.
Die beginnenden 1790er-Jahre (die Zeit
von Haydns zweifachem Triumph in London)
brachten, um es salopp zu sagen, das Raffinement der revolutionsflüchtigen französischen
Aristokratie („french powder“) mit einer
lebenswilden, exzentrisch-sarkastischen
„Gentlemen-Society“ („bloody steak“)
zusammen. So galt das London der HaydnJahre als einer der „heißesten“ Orte Europas
– das Weltreich des 19. Jahrhunderts „startete“ gerade durch. Haydns Genius hat man in
Great Britain leidenschaftlich geliebt. Seine
künstlerische „Ingenuity“ wurde in durchaus
moderner Denkweise von der University of
Oxford mit der akademischen Würde eines
Doktors der Kompositionswissenschaften
bedacht. Diese gleichsam „interdisziplinäre
Wertschätzung“ machte ihn geradezu populär,
wie der zugkräftige Titel für einen seiner
letzten Auftritte in London zu beweisen
scheint: „Doctor Haydn’s Night“.
„Hermeneutic Wallpaper“ von Herbert Lachmayer und Margit Nobis im Quartettraum mit Monitoren
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Tapetenausschnitt: Galante Szene in der Opernloge
Szenografie und Multimedialität als „Bühne“
performativer Kulturvermittlung
Contemporary Art von internationalem Rang,
erlesene Kunstwerke des 18. Jahrhunderts
und Autografe aus Haydns künstlerischer Produktion und seinem Alltagsleben wurden in
der „Ausstellungs-Inszenierung“ zur Einheit
eines vielseitig informativen wie erlebnisfrohen
Wissensraums verbunden – gleichermaßen
attraktiv für ein junges Publikum, für Oma
und Enkerl, die „ganze Familie“ also, aber
auch für ExpertInnen mit „transdisziplinärer
Inspiration“. Den Kindern war eine eigene
Medienschiene „Haydn for Youngsters“ gewidmet – in kindgerechter Sichthöhe, versteht
sich. Der farbenfrohe Teppich nach dem Entwurf des amerikanischen Pop-Art-Künstlers
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Roy Lichtenstein erstreckte sich flächende
ckend und war asymmetrisch verlegt. Das
„Hermeneutic Wallpaper“ überraschte mit den
Porträts der beiden Fürsten Nikolaus (I. und II.),
dem Haydns und dem von Franz I. als österreichischer Kaiser, schon beim Betreten des
klassizistischen Säulengangs der Sala Terrena.
Zwei „güldene“ Säulen ließen das „absolutistische Flair“ von Fürst Nikolaus I., dem
„Prachtliebenden“, ahnen. Zeitgenössische
Kunst von Günter Brus („Stillstand der Dynamik“), Franz West („Paukenschlag“), Pipilotti
Rist („Selbstlos im Lavabad“) und Gelatin (aus
der Serie „Guernica“) mischte sich mit erlesenen Stücken der hauseigenen Sammlung der
„Fürstlichen Stiftung Esterházy“. Erstmalig
wurden großflächige Monitore plan/bündig
in die Wände eingelassen; sie „referierten“
Aufprojektion des Wandvideos „Praterlust“ im Wiener Salon (Daniel Dobler)
Rückprojektion von Haydns Oper „Der Apotheker“ im Opernraum (Daniel Dobler)
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Opernraum mit Videobespielung von Kai Matthiesen
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den kultur- und sozialgeschichtlichen Kontext
und bereicherten die Fülle der repräsentativen Exponate um die „Erzählform“ einer
ausstellungsintegrierten Medienpräsenz,
die über einen „intelligenten“ Zentralserver
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verwaltet wurde. Eine fast 90-m -Videoprojektion auf den Plafond des zentralen Raums
der Sala Terrena zeigte im Loop das explodierende Deckenfresko der Akademie der
Wissenschaften, in der Haydn zum letzten
Mal sein Oratorium „Die Schöpfung“ hörte,
und diverse Morphs, wobei sich die Noten
in Pflanzen verwandelten und die Grundrisse des englischen und des französischen
Gartens des Schlosses auf den Keninpanzer
eines riesengroßen Käfers abzeichneten.
„Hermeneutic Wallpaper“ von Herbert Lachmayer und Margit Nobis als
Vorhang
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Barocke Fassade des Schlosses Esterházy
Klassizistische Fassade von Charles Moreau
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Schriftzug „Haydn“ von Ponatsch
Kurator: Herbert Lachmayer
Co-KuratorInnen: Daniel Brandenburg, Agnes Hannes
Wissenschaftliches Team: István Barkóczi, Daniel Brandenburg, Brigitte Felderer, Gernot Gruber,
Christine Hahn, Klaus Heinrich, Richard Heinrich, Teresa Hrdlicka, Markus Kristan, Rocio Paz
Ausstellungsarchitektur: Herbert Lachmayer
Gestaltung/Aufbau: Alfred Weidinger, Team Schloss Esterházy
Organisation: Agnes Hannes, Andrea Traxler
Grafik: Kai Matthiesen
Digital Media: Daniel Dobler, Wolfgang Dorninger, Sabine Jelinek, Clemens Kogler, Silke Pfeifer
Hermeneutic Wallpapers: Herbert Lachmayer, Margit Nobis
KünstlerInnen: Walter Bohatsch, Barbara Mungenast, Margit Nobis, Rudolf Polanszky, Otto Zitko
Ort und Institution: Schloss Esterházy, Eisenstadt
Dauer: Geplant 10. April 2009 – 31. Dezember 2011; aus einer ursprünglich zeitlich limitierten
Jubiläumsausstellung wurde eine Dauerausstellung
Produktion (Auftraggeber): Esterházy Privatstiftung, Dr. Stefan Ottrubay
Kooperationen: Kunstuniversität Linz, Da Ponte Research Center, Interactive Media Services
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Schriftzug „Haydn“ von Ponatsch
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